aventinus recensio Nr. 33 [30.08.2012]: Sarah Lowndes: Social Sculpture. The Rise of the Glasgow Art Scene, Edinburgh: Luath Press Limited, 2nd. Ed. 2010
aventinus nova Nr. 40 [30.08.2012]: Strukturwandel des deutschen Nationalismus? Die Haltung der Frankfurter Nationalversammlung zu den nationalen Minderheiten
Mailand, Via Beccaria 19 / Enrico Baj: I Funerali dell’Anarchico Pinelli
Wer Pinelli war? Man lese Dario Fos Theaterstück Zufälliger Tod eines Anarchisten oder den entsprechenden Wikipedia-Eintrag Giuseppe Pinelli. Die Ausstellung von Enrico Bajs Bild wurde 1972 übrigens verboten, und nun, unter geänderten politischen Verhältnissen (vgl.) ist es an einem passenden Ort zu besichtigen. Ein Foto des Bilds in brauchbarer Auflösung gibt es hier: http://www.comunedimilano.it/dseserver/webcity/comunicati.nsf/d68aa3e55927f9f7c1256c4500573452/2cd32f3ee5a44566c1257a23004ae1b8/$FILE/BAJ-pinelli42.jpg
Nicht vorenthalten sei die Hausnummer der Via Beccaria 19, Mailänder Polizeisitz, von dem sich Pinelli in den Tod gestürzt wurde, um es mal grammatikalisch angemessen auszudrücken:
Die Digitale Bibliothek und ihr Recht
Fast nebenbei bemerkte Sebastian Thrun, Gründer von Googles Forschungslabor “X” und der Online-Universität Udacity in einem Interview, dass die Geisteswissenschaften den Anschluss an die rasante Entwicklung in den Naturwissenschaften verlieren.
“Sie entwickeln zum Beispiel keine Theorie der neuen Medien.”1 Ganz so hinterher sind die Geisteswissenschaften jedoch nicht. Immer häufiger steht der Einfluss digitaler Medien und Social Media im Fokus kulturwissenschaftlicher Studien und Tagungen. Neben unserer diesjährigen Dresden Summer School widmen sich zahlreiche Forschunsverbünde diesem Thema. Unter anderen stellt sich im September 2012 die Universität zu Köln die Frage, inwieweit künftigen Generationen die Digitalia der Gegenwart als historische Quelle und als Zeugnisse unsrer Kultur zur Verfügung stehen werden.
Sie fasst ihr Thema wie folgt zusammen: Rechtliche Schwierigkeiten, die sich beim Aufbau eines digitalen kulturellen Gedächtnisses ergeben, sind bisher noch unzureichend bedacht. Sicher ist hierbei nur, dass sich die Rahmenbedingungen, Informationen und kulturelle Äußerungen zu speichern, gegenüber dem analogen Zeitalter mit seinen vornehmlich gedruckten Medien grundlegend geändert haben. Der Grund hierfür liegt zum einen in dem gewaltigen Öffentlichkeitspotenzial, insbesondere von Online-Publikationen, zum anderen in dem schlichten Umstand, dass Digitalia bei ihrer Nutzung stets eine Vervielfältigung erfahren und damit das Urheberrecht berühren. Aus unterschiedlichen Perspektiven sollen auf der Tagung Die Digitale Bibliothek und ihr Recht – ein Stiefkind der Informationsgesellschaft? Kulturwissenschaftliche Aspekt, technische Hintergründe und rechtliche Herausforderungen des digitalen kulturellen Speichergedächtnisses die rechtlichen Rahmenbedingungen beleuchtet werden, die beim Aufbau eines digitalen kulturellen Speichergedächtnisses zu beachten sind. Insbesondere soll untersucht werden, ob die rechtliche Seite der digitalen Bibliothek künftig größerer Aufmerksamkeit bedarf, damit die bewährte Gedächtnis- und Erinnerungskultur der Gegenwart nicht in Zukunft durch eine vom Recht verordnete Amnesie des Digitalen abgelöst wird.
Die Tagung ist eine Zusammenarbeit der Universität zu Köln mit dem Hochschulbibliothekszentrum Nordrhein-Westfalen (HBZ), der Universitäts- und Stadtsbibliothek Köln und der Ausbildungsstiftung für Rechts- und Gesellschaftswissenschaften an der Universität. Während der ganzen Tagung informieren das HBZ sowie die Firma ImageWare über technische und organisatorische Fragen der Digitalisierung und digitalen Langzeitarchivierung. Weitere Informationen können Sie dem Tagungsprogramm entnehmen.
1 Vgl. Uwe Ebbinghaus: Veränert er die Welt?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16. August 2012, N3. 190, S. 25. Vgl. auch http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/sebastian-thrun-stanford-university-lehrt-wie-vor-1000-jahren-a-817889.html
Quelle: http://dss.hypotheses.org/163
OER | Open Educational Resources | Freie Bildungsmedien in Deutschland | #OERcamp in Bremen, 14.-16. September 2012
Die „Schultrojaner“-Debatte machte vor knapp einem Jahr die Idee der Open Educational Resources (OER) in einem relativ begrenzten Kreis “netzaffiner” Lehrer und anderer Akteure im Bildungsbereich populär. Online-Bildungsmedien und Lernmaterialien, die sich als OER labeln, müssen drei Bedingungen erfüllen; sie sind 1. frei verfügbar, dürfen 2. urheberrechtlich unbedenklich weiterverbreitet und sogar verändert werden (Public-Domain- oder Creative-Commons-Lizensierung) und sind 3. mittels Open-Source-Software zu öffnen und zu bearbeiten. In anderen Ländern, z.B. den USA, in Norwegen oder Polen sind OER weithin bekannt und anerkannt, auch weil sie dort von staatlicher Seite unterstützt und finanziert werden; zudem versucht die Unesco gemeinsame Standards für die OER zu entwickeln. In Deutschland stehen die OER (oft übersetzt als “freie Bildungsmedien”) erst am Anfang; über die derzeitige Entwicklung kann man sich im Whitepaper OER und auf der Seite cc your edu informieren.
In Bremen findet vom 14. bis 16. September 2012 das #OERcamp statt, das erstens “die Debatte um die OER im deutschsprachigen Bereich erweitern” und zweitens in “Workshops für Einsteiger” Tipps geben will, wie man OER-Lernmaterialien erstellen und verbreiten kann. Aus Sicht des Projekts segu (Lernplattform für Offenen Geschichtsunterricht, die sich seit Dezember 2011 als OER labelt) sei das OERcamp ausdrücklich empfohlen – und (da selbst verhindert) hier fünf Anmerkungen bzw. Diskussionsanregungen.
1 | Ja! Es ist heute problemlos möglich, anspruchsvolle Lernmaterialien als OER online zu veröffentlichen. segu gibt ein Beispiel dafür, wie man mittels OpenOffice (also einem Open-Source-Programm) Arbeitsblätter (wahlweise als odt, doc oder pdf-Datei) erstellen kann, die von Lehrern und Schülern aufgrund der CC | Creative Commons-Lizensierung urheberrechtlich unbedenklich heruntergeladen und verändert werden können. Eingeschränkt wird die Erstellung von OER durch urheberrechtlich geschützte Texte oder Bildmedien mit Copyright-Lizensierung. Es gibt aber bereits einen großen Fundus an CC-lizensierten Materialien – z.B. bezogen auf Bildmedien bei Wikimedia.
2 | Nach einem Jahr Diskussion ist die anfängliche OER-Begeisterung inzwischen wieder etwas abgekühlt. Das Problem: Der Zuwachs an neuen OER-Lernmaterialien hält sich bislang in engen Grenzen. Und die oft geforderte zentrale OER-Datenbank, auf der Benutzer die Lernmaterialien zur Qualitätskontrolle bewerten können, steht immer noch aus. Bisher betonen viele OER-Akteure, dass sich die OER aus dezentralen, staatlich unabhängigen Netzwerken heraus entwickeln und verbreiten sollen. Diskussionsanregung für das #OERcamp: Festhalten an der Unabhängigkeit (und die OER-Bewegung ggf. stagnieren oder wieder einschlafen sehen) vs. Forderung nach staatlicher Unterstützung überdenken (s. hierzu das norwegische Beispiel der professionellen OER-Plattform NDLA, auf der Lehrer ihre OER-Materialien hochladen können)
3 | Reicht im deutschsprachigen Raum die Bezeichnung “OER”, um einen ausreichenden Wiedererkennungswert zu schaffen? Was sich im Englischen ja noch ganz interessant anhört (sprich “Oh – Ih – Ahr”) führt im Deutschen eher zu Aussprach-Schwierigkeiten (“Oh – Ähh – Wat?”) Diskussionsanregung für das #OERcamp: “OER”: neuer Name oder Namenszusatz?
4 | Was ist der Nutzen der OER? Oft wird der Vorteil betont, dass Lernmaterialien auf papierlosem Weg frei verfügbar resp. kostenlos sind. Aber soll es angesichts der in Deutschland im OECD-Vergleich relativ geringen Bildungsausgaben vorrangiges Ziel sein, dass Bildungsmedien nichts mehr kosten? Aus Sicht des Projekts segu war dies nicht der Grund, die Lernmaterialien als OER zu labeln. Vielmehr eröffnen die OER großes didaktisches Neuland. Erstens bieten verschiedene digitale Medien, die sich urheberrechtlich unbedenklich herunterladen, neu zusammenstellen und im Unterricht weiterverbreiten lassen, für Lehrer große Vorteile und auch neue Möglichkeiten zur Kommunikation über Lernmaterialien. Zweitens ermöglichen OER-gestützte Lernkonzepte mehr Methodenvielfalt – beispielsweise bei differenzierendem aufgabenbezogenen Lernen oder auch bei geöffneten Lernmethoden wie Projektlernen. Schüler können in OER-Lernumgebungen endlich sinnvoll mit PC oder Tablet im Unterricht arbeiten. Diskussionsanregung für das #OERcamp: Um OER zu eigenem Selbstbewusstsein zu verhelfen, muss die Diskussion über Nutzen und Nachteile der OER speziell in Deutschland (im Vergleich zu anderen Ländern) geführt und auf Begriffe gebracht werden. Dabei könnte ggf. mehr die Frage im Mittelpunkt stehen: Welche neuen didaktischen Potenziale bieten die OER?
5 | Wie positionieren sich die OER zu den etablierten kommerziellen Anbietern von Bildungsmedien resp. Schulbuchverlagen? Zunächst einmal: Der Stellenwert der OER in der Bildungsmedien-Landschaft ist noch gering; es gilt also, die Kirche im dOERf zu lassen. Weder digitale Medien und das Web2.0 noch die OER werden die Schulbuchverlage – wie in den letzten Monaten gelegentlich zu hören – in absehbarer Zeit überflüssig machen. Diese stehen angesichts der digitalen Veränderungen vor großen Herausforderungen und sicher ist die Frage berechtigt, ob der restriktive Umgang mit Urheberrecht (s. Schultrojaner) nicht kontraproduktiv ist. Dennoch scheint eine Abgrenzung: hier die “guten” OER, dort die “bösen” profitorientierten Verlage (welches Unternehmen will kein Geld verdienen?), weder angemessen noch zielführend. Diskussionsanregung für das #OERcamp: Will man sich von den kommerziellen Anbietern abgrenzen oder Dialoge und sogar Kooperationen (in deren Rahmen die OER-Lernmaterialien ihre Unabhängigkeit bewahren) zulassen. Kann Dialog dazu führen, dass die Verlage von den OER lernen? Selbiges gilt im Übrigen auch für die Frage nach dem Umgang mit Kooperationen zum Beispiel mit Geräte- oder Softwareanbietern und kommerziellen Internetportalen; segu ist z.B. bei Youtube und bei iTunesU, die aber beide CC-Lizenzen unterstützen.
Gutes Gelingen und hoffentlich gute Ergebnisse beim #OERcamp!
Bildnachweis OER-Logo
empfohlene Zitierweise Pallaske, Christoph (2012): OER | Open Educational Resources | Freie Bildungsmedien in Deutschland | #OERcamp in Bremen 14. bis 16. September 2012. In: Historisch denken | Geschichte machen | Blog von Christoph Pallaske, vom 30.8.2012. Abrufbar unter URL: http://historischdenken.hypotheses.org/847, vom [Datum des Abrufs].
Historikerverband wider Uni-Ranking
So wenig, wie es die besten fünf Weltreligionen, die fünf besten Physiklehrer an Gymnasien oder fünf beste Ehefrauen gibt, gibt es die besten fünf Soziologie- oder Geschichtsinstitute oder Geschichtsstudiengänge an deutschen Hochschulen.
Perlentaucher-Protest gegen LSR
Stimmen der Kulturwissenschaften: Interview mit Ulrike Krampl
Seit Ende des 17. Jahrhunderts verfolgte die Pariser Polizei Hexen und Hexer, die Magie als Dienstleistung anboten und Reichtum oder Glück versprachen. Die Historikerin Ulrike Krampl hat sich anhand von Polizei- und Gerichtsakten dem Phänomen der falschen Hexen und Hexern angenähert. Zwar ist die Verknüpfung von Hexerei und Magie mit Betrug nicht neu, doch Ulrike Krampl beschreibt in dieser Episode der Stimmen der Kulturwissenschaften, wie der Teufel seit Beginn der Aufklärung aus der Welt der Gerichtsbarkeit immer mehr verschwindet, sich die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Betrug aber nur langsam verschieben.
Neues Forschungs- und Editionsprojekt des DHIP zu Alltag und Gewalt im Zweiten Weltkrieg
In Zusammenarbeit mit dem Herder-Institut in Marburg bereitet das DHIP unter dem Titel »World War II – Everyday Life Under German Occupation« ein neues Editionsprojekt vor, das den Alltag unter deutscher Besatzung in Europa im Zweiten Weltkrieg dokumentiert. Unter der Leitung von Prof. Dr. Peter Haslinger, Direktor des Herder-Instituts für historische Ostmitteleuropaforschung, Prof. Dr. Tatjana Tönsmeyer, Bergische Universität Wuppertal, Prof. Dr. Wlodzimierz Borodziej, Universität Jena, und Dr. Stefan Martens, DHIP, arbeiten Forscherinnen und Forscher aus 17 Ländern zusammen, um die Alltags- und Gewalterfahrungen der Bevölkerungen in den von der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg besetzten Gebieten zu dokumentieren.
Durch den vergleichenden Blick will das Forschungs- und Editionsprojekt anstelle der »Tätergeschichte«, die bislang im Fokus der Forschung stand, neue Wege in der Historiographie des Zweiten Weltkriegs aufzeigen.
Gefördert wird das Projekt von der Leibniz Gemeinschaft im Rahmen des Paktes für Forschung und Innovation. An dem Forschungs- und Editionsprojekt sind außer dem DHIP und der ENS Cachan für Frankreich Partnerinstitutionen aus insgesamt 15 europäischen Ländern beteiligt.
In der Ankündigung des Projektes auf der Website des Herder-Instituts heisst es:
Die Quellenedition wird die strukturellen Rahmenbedingungen des Alltags in den besetzten Gebieten sowie die daraus resultierenden Grunderfahrungen der betroffenen lokalen Bevölkerungen dokumentieren. Im Fokus stehen dabei Mangelerfahrungen, Tausch- und Schwarzhandel sowie Anpassungs- und Überlebensstrategien in einem von häufig extremer Gewalt geprägten Umfeld, Entrechtung, Widerstand, aber auch Formen von Kooperation und direkte Tatbeteiligung bei nationalsozialistischen Verbrechen. Des Weiteren werden die Folgen der Ausbeutung durch die Besatzungsmacht für die lokalen Bevölkerungen in den Blick genommen. Ein großer Themenschwerpunkt wird überdies die Erfahrung von Ausgrenzung, Zwangsmigration und Verfolgung sein. Diese Erfahrungen konnten sowohl rassische und ethnische, als auch geschlechts- und generationenspezifische Aspekte aufweisen.
Die für die Edition infrage kommenden Quellen stammen überwiegend aus den Kriegsjahren und werden durch Materialien aus der Zeit nach 1945 ergänzt. Dabei rücken in erster Linie bislang nicht edierte Quellen aus den Zentral-, Regional- und Ortsarchiven der jeweiligen Länder sowie Prozessüberlieferungen und Ego-Dokumente in den Blick. Wiederabdrucke werden nur in Ausnahmefällen vorgenommen, wie etwa bei zentralen Dokumenten, die grundlegende Rahmenbedingungen beschreiben, oder bei in Originalsprache publizierten Quellen, die bislang noch nicht in westlichen Sprachen rezipiert worden sind.
Die Edition wird in englischer Sprache erscheinen. Geplant ist neben der Print- auch eine digitale Edition, die die Quellen nicht nur in englischer Übersetzung, sondern auch in der Originalsprache, ggf. unterstützt durch Faksimiles, abbildet. Die digitale Edition soll im Rahmen eines Themenportals »World War II – Everyday Life Under German Occupation« erscheinen, das von den kooperierenden Institutionen gemeinsam getragen wird. An dem Forschungs- und Editionsprojekt beteiligt sind Partnerinstitutionen aus insgesamt 15 europäischen Ländern, die sich schwerpunktmäßig oder ausschließlich mit der Geschichte des jeweiligen Landes im Zweiten Weltkrieg befassen.
Quelle: http://dhdhi.hypotheses.org/1173