Science ORF zur Geschichte der Personenidentifizierung
Die ost- und nordosteuropäischen Archive zwischen Digitalisierung, Web 2.0 und sozialen Medien


Jeremy Black und der Dreißigjährige Krieg
Das Konzept der Militärischen Revolution ist längst in die Jahre gekommen. Zudem hat es eine thematische Überdehnung erfahren, die es vom ursprünglichen Ansatz weit weg geführt hat. Jeremy Black hat an dieser Entwicklung in den vergangenen Jahren kräftig mitgewirkt. In seinem zuletzt erschienenen Buch versucht er nun auch, das Konzept auf eine neue Ebene zu transformieren; vgl. dazu meine Rezension in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 12 [15.12.2012], URL: http://www.sehepunkte.de/2012/12/20612.html.
Abseits von dieser Thematik bestechen die Publikationen von Black durch ihren breiten, weltweiten Horizont. Er vergleicht eben nicht nur englische mit der deutschen und russischen Geschichte, nimmt nicht nur osmanische Beispiele hinzu, sondern springt einfach weiter auf den indischen Subkontinent sowie nach Zentral- und Ostasien und vergißt dabei nicht, daß es auch eine afrikanische Geschichte gibt, die zu seiner Thematik etwas beizutragen hat. Natürlich fordert ein solcher welthistorischer Parforce-Ritt immer den Kritikaster heraus, der im Detail Unebenheiten und Unausgewogenes zu monieren findet. Aber das ist nicht der Punkt.
Vielmehr hat es einen ganz speziellen Verfremdungseffekt, den Dreißigjährigen Krieg nicht nur entsprechend reduziert (S. 59-71), sondern auch in ganz ungewohnten Vergleichskategorien vorzufinden. Ich gestehe, daß es mich durchaus irritiert, wenn binnen weniger Zeilen der Sprung von den Mandschu in China zum Dreißigjährigen Krieg und Englischen Bürgerkrieg vollzogen wird, um die allgemein bedeutsame Rolle der Kavallerie herauszustreichen (S. 53). Und mir ist im ersten Augenblick auch nicht wohl dabei, wenn dem Phänomen der schwindenden Rekrutenzahlen im Dreißigjährigen Krieg die zeitgleiche Tendenz der islamischen Reiche gegenübergestellt wird, „slave troops“ ins Feld zu führen (S. 67).
Aber genau damit ist ja schon etwas gewonnen: Wer jahraus, jahrein Wallenstein über die Schulter blickt, wie er seine Riesenarmeen zusammenstellt, und Gustav Adolf seine schwedischen Brigaden befehligen sieht, kann auch mal einen schrägen Blick auf Wohlvertrautes vertragen. Zumindest sollte man sich die Offenheit bewahren, solche ungewohnten Sichtweisen zuzulassen. Die Herangehensweise von Jeremy Black hilft dabei sehr. –
Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/55
Beitrag “Kritische Geschichtspolitik” im “ABC der Alternativen 2.0″
Vor Kurzem ist im VSA Verlag der Band “ABC der Alternativen 2.0″ erschienen, der 161 Stichworte aus dem Fundus politischer Alternativen versammelt, “auf jeweils zwei Seiten – von »Alltagskultur« über »Mosaiklinke« bis »Zivilgesellschaft«” (Verlagshomepage, http://www.vsa-verlag.de/nc/buecher/detail/artikel/abc-der-alternativen-20/).
Einer dieser Beiträge, verantwortlich zeichnet das “AutorInnenkollektiv Loukanikos”, beschäftigt sich mit “Kritischer Geschichtspolitik”.
Er ist hier mit freundlicher Genehmigung des Verlags dokumentiert (auch als PDF, siehe den Link unten).
Pfeile bezeichnen weitere im Band vertretende Beiträge.
“KRITISCHE GESCHICHTSPOLITIK
Kritische Geschichtspolitik beruht auf der Annahme, dass die historische Analyse der Gesellschaft dazu beitragen kann, Ausbeutung, Unterdrückung und Herrschaft in der Gegenwart zu überwinden. Es geht ihr um die Geschichte als Ort von Subjekten, die nach Selbstbestimmung und ➞ Emanzipation strebten, und sie bemüht sich, durch Forschung und öffentliche Intervention dieses Anliegen in der Gegenwart zu unterstützen.
Die AkteurInnen kritischer geschichtspolitischer Interventionen sind ebenso vielfältig wie die Felder und Praktiken ihres Engagements. Sie thematisieren ausgeblendete Facetten der Geschichte und marginalisierte Perspektiven – z.B. durch selbstorganisierte Gedenkstättenarbeit, ZeitzeugInnengespräche, Demonstrationen, Interventionen in den öffentlichen Raum (durch »wilde« Straßenumbenennungen, das Anbringen von Gedenktafeln oder alternative Stadtführungen), eigene historische Forschungen, Öffentlichkeitsarbeit oder auch durch den Kampf für die Aufklärung vergangener Menschenrechtsverbrechen.
Die Initiativen widmen sich beispielsweise der Aufarbeitung des Nationalsozialismus oder des Kolonialismus, der Erinnerung an die Geschichte/n des Widerstands, der ArbeiterInnenbewegung oder des Feminismus. Auf einer grundlegenden Ebene kann kritische Geschichtspolitik dazu dienen, die hegemoniale Darstellung der Vergangenheit zu hinterfragen und so deren Funktionalisierung für die Gegenwart zu kritisieren.
Hegemoniale Geschichtspolitik dagegen stellt die Vergangenheit in den Dienst der Gegenwart und trägt so zur Legitimation gegenwärtiger Machtverhältnisse bei. Sie liefert den ideologischen »Kitt« für kollektive Identitäten, etwa die der Nation: Durch Mythenbildung und Traditionsstiftung wird die Gegenwart als zwangsläufiges Ergebnis der Vergangenheit ausgegeben und so als »natürlich« präsentiert. Diese Art von Geschichtspolitik arbeitet notwendigerweise mit historischen Mythen, in denen Widersprüche und gesellschaftliche Kämpfe ausgeblendet, Heldengeschichten konstruiert und historische Alternativen sowie »Störmomente« verdrängt werden. Geschichte wird hier aus einer spezifischen Perspektive erzählt, die weiß, männlich, bürgerlich und westlich geprägt ist, andere Perspektiven werden marginalisiert.
Vor diesem Hintergrund ist Geschichtspolitik als ein wichtiges Feld zur Herstellung von bürgerlicher Hegemonie anzusehen. Kritische Geschichtspolitik (sowohl durch ➞ kritische Wissenschaft als auch durch Geschichtsschreibung »von unten«) ist somit als Teil eines Kampfes um ➞ Gegen-Hegemonie zu verstehen. Kritische Geschichtswissenschaft zeigt die Leerstellen hegemonialer Geschichtsschreibung und zugleich die Möglichkeiten emanzipatorischer Bemühungen auf – kritische Geschichtspolitik kann diese Erkenntnisse in den öffentlichen Raum und weite Teile der Gesellschaft tragen.
Kritische Geschichtspolitik und -schreibung kann sich auf zahlreiche Traditionslinien kritischer Beschäftigung mit Geschichte berufen, die bis ins 19. Jahrhundert zurückgehen und sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ausdifferenzierten. Hier zu nennen sind insbesondere die englische Geschichtsschreibung »von unten« (Edward P. Thompson), die Sozialgeschichte der BRD der 1960er und 1970er Jahre, die »Grabe, wo du stehst«-Bewegung der Geschichtswerkstätten, Stadtteilgeschichtsprojekte und Betriebsgeschichte der 1980er Jahre sowie zahlreiche feministische, autonome und postkoloniale Einflüsse. Methodisch relevant für kritische Geschichtsschreibung sind dabei insbesondere die Hinwendung zur Alltagsgeschichte sowie der Ansatz der »oral history« und die Etablierung von ZeitzeugInnenschaft als Quelle, vor allem für das Aufzeigen historisch marginalisierter Perspektiven.
Kritische Geschichtspolitik betrachtet Geschichte als einen von gesellschaftlichen Subjekten gestalteten Prozess und im »Licht der nicht verwirklichten Möglichkeiten« (Herbert Marcuse) – das heißt, Geschichte wird als Fundus von Erfahrungen im Kampf um Befreiung genutzt. Damit kann kritische Geschichtspolitik auch eigene Identitätsangebote oder Traditionen für emanzipatorische Bewegungen zur Verfügung stellen und so als Mittel der Selbstermächtigung und Stärkung von Handlungsfähigkeit fungieren – wobei sie jedoch selbst Gefahr laufen kann, in eine homogenisierende und instrumentalisierende Lesart der Vergangenheit zu verfallen. Deshalb ist für kritische Geschichtspolitik eine fortlaufende selbstkritische Positionierung notwendig, bei der die eigene gesellschaftliche Verortung sowie mögliche Leerstellen reflektiert werden – etwa in Bezug auf Geschlecht, Klasse oder race.
(AutorInnenKollektiv Loukanikos)”
VSA_ABC_der_Alternativen_2-0_Kritische_Geschichtspolitik
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Fundstück
Bereits im Krimkrieg und Amerikanischen Bürgerkrieg wurden Fotos geschossen, und bereits damals wurden sie propagandistisch missbraucht. Interessante Zusammenstellung im Einestages.
Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2012/12/fundstuck_6352.html
Antrittsvorlesung des neuen Direktors am DHI Rom, Prof. Dr. Martin Baumeister
Am Montag dem 10. Dezember hat Martin Baumeister seine Antrittsvorlesung »Tiber alone, transient and seaward, bent remains of Rome« am Deutschen Historischen Institut Rom gehalten.
Prof. Dr. Martin Baumeister – Jahrgang 1958 – studierte Geschichte, Germanistik und Hispanistik in München und Madrid. 1985–1989 war er Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der LMU, wo er 1992 mit einer Arbeit zur Sozialgeschichte des ländlichen Spanien promoviert wurde. 1992–1999 arbeitete er als Wissenschaftlicher Assistent an der HU Berlin, 2001 erfolgte die Habilitation mit einer Schrift zur Kulturgeschichte des Ersten Weltkriegs. Nach einer Privatdozentur an der HU Berlin (2002–2003) hat er seit 2003 den Lehrstuhl für Europäische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts (Schwerpunkt Südeuropa) an der LMU München inne. 2010/11 war er bereits Gastwissenschaftler am DHI Rom, im Oktober 2012 trat er dort das Amt des Institutsdirektors an.
Baumeister forscht zur italienischen, spanischen und deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, zur Geschichte der populären Kultur und des Theaters, zur Religionsgeschichte, zur Geschichte des Zeitalters der Weltkriege und des Faschismus sowie dem Mittelmeerraum als historische Region. Er ist Mitglied im Vorstand der Gesellschaft für Stadtgeschichte und Urbanisierungsforschung (seit 2008), im Beirat der Zeitschrift »Historia del Presente« (seit 2009), eines von der DFG finanzierten internationalen Graduiertenkollegs der LMU in Kooperation mit der Karls-Universität Prag zum Thema »Religiöse Kulturen im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts« (seit 2009), im Beirat der Zeitschrift »Semata. Ciencias Sociales y Humanidades« (seit 2010) und der Leibniz Graduate School »Enttäuschung im 20. Jahrhundert. Utopieverlust – Verweigerung – Neuverhandlung« des Instituts für Zeitgeschichte und des Historischen Seminars der LMU (seit 2012). Er gibt u. a. die Zeitschriften »IMS – Informationen zur modernen Stadtgeschichte« (seit 2003), »Münchner Beiträge zur Jüdischen Geschichte und Kultur« (seit 2007) und das Themenportal Europäische Geschichte (clio online) (seit 2010) mit heraus.
Quelle: http://mws.hypotheses.org/1668
Klassik Stiftung Weimar sucht Computerphilologen/in
Die Klassik Stiftung Weimar sucht für das Drittmittelprojekt »Johann Wolfgang Goethe. Briefwechsel mit Friedrich Wilhelm Riemer (Hybridedition)« zum nächstmöglichen Zeitpunkt im Goethe- und Schiller-Archiv, zunächst befristet auf 12 Monate (mit der Option auf Verlängerung bis 36 Monate), eine/n wissenschaftliche/n Mitarbeiter/in (wöchentlich 20 Arbeitsstunden, E 13 TV-L).
Voraussetzungen
» Studium der Computerphilologie oder abgeschlossenes geisteswissenschaftliches Hochschulstudium in Kombination mit guten Kenntnissen und Erfahrungen in der Computerphilologie
» sehr gute Kenntnisse in XML und TEI sowie XML-Technologien (XSLT, XPath, usw.)
» Erfahrung im Einsatz von XML-Editoren (z.B. oXygen) oder mit virtuellen Forschungsumgebungen (z. B. TextGrid)
» editionsphilologische Erfahrungen sowie Erfahrungen bei Archivrecherchen und in der Transkription von Handschriften der Goethe-Zeit
» Latein- und Griechisch-Kenntnisse sind von Vorteil
Aufgaben
» Verzeichnung der Briefe mit Meta- und Strukturdaten
» Unterstützung bei der Transkription nach TEI-Standard, Textkonstitution und
Kommentierung
» Unterstützung bei der Datenmodellierung, Programmierung von Softwaremodulen
» Vorbereitung der Register, Indexierung
» Pflege der Datenbank
» Programmierung und Verlinkung der Online-Version sowie Datenaufbereitung für den Druck
Bewerbungsschluss: 15.01.2013
Weitere Infos:
Ausschreibung: http://www.klassik-stiftung.de/uploads/media/Computerphilologe_16B-2012.pdf
Stellenangebote der Klassik Stiftung Weimar (Kennziffer 16B-2012)
Quelle: http://dhd-blog.org/?p=1189
Peter Haber: Zeitgeschichte und Digital Humanities
Der Schweizer Historiker Peter Haber hat im September auf der Docupedia-Zeitgeschichte seinen Beitrag Zeitgeschichte und Digital Humanities, Version: 1.0, publiziert.
Der Anreisser lautet: “Ist Facebook eine zeithistorische Quelle, und wer archiviert die Tweets der Politiker? Wie nutzt man digitale Quellen, und wie verändert sich die Quellenkritik, wenn die Kopie sich vom Original nicht mehr unterscheiden lässt? Seit Beginn der 2010er-Jahre wird unter dem Stichwort “Digital Humanities” insbesondere im angelsächsischen Raum eine intensive Debatte über neue Potenziale für die Geisteswissenschaften geführt: Peter Haber zeichnet in seinem Beitrag die Entwicklung der Digital Humanities nach und fragt, ob sich mit der Digitalisierung nicht nur die Qualität und Quantität der Quellen, sondern auch der gesamte Arbeitsprozess von Zeithistoriker/innen verändert hat.”
Aus der docupedia ist auch das Buch Frank Bösch/Jürgen Danyel (Hg.): Zeitgeschichte. Konzepte und Methoden. Vandenhoek & Ruprecht, Göttingen 2012, 464 S., entstanden, das u.a. hier auf der Website der RLS kritisch rezensiert wird.
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