Wie schreibt man digital humanities?

Wie Kathleen Fitzpatrick in ihrem lesenswerten Buch “Planned Obsolence” (2011) [preprint] konstatiert, ist die Analyse dessen, was zu Digital Humanities gehört, leichter zu bewerkstelligen als DH wirklich zu praktizieren und die Kultur der kritischen Selbstreflexion bei der Texterstellung – immer noch das Hauptfeld der geistes- und kulturwissenschaftlichen Tätigkeit -  ist bislang selbst unter den DH Affinen zu wenig ausgeprägt. Die Gründungsveranstaltung der deutschen Dependance der DH in Hamburg hat es in der kontroversen Diskussion um das Pflichtabo der Literary & Linguistic Computing( LLC), das mit der Mitgliedschaft erworben werden muss, gezeigt: Kann es sein, dass sich die Neugründung der DHD mit einem kommerziell operierenden Verlag verbindet, der wichtige Elemente wie OA verweigert? Was aber muss eine DH Zeitschrift leisten oder genauer: was sollten Autoren oder die community tun, die im Bereich der DH arbeiten, kurz, wie “schreibt” man DH richtig? Ich habe mir vor dem Hintergrund der kontroversen Diskussion und unter dem Eindruck von Fitzpatricks glänzender Analyse zur Frage der Zukunft des wissenschaftlichen Publizierens einmal drei DH Zeitschriften angesehen (in subjektiver Auswahl), um nicht zuletzt auch im Sinne eines Selbstfindungsprozesses einige Kriterien für eine gute DH Publikation zu gewinnen.
Das Flaggschiff der DH, LCC, wird von Oxford University Press herausgegeben. OUP ist in seinem Ursprung zwar ein Universitätsverlag, arbeitet aber schon lange profitorientiert, nach kommerziellen, weniger wissenschaftlichen Gesichtspunkten (zu dieser Opposition siehe Fitzpatrick). Der Zugriff ist nicht frei, das Abo kostet für Privatpersonen samt Mitgliedschaft 123 Euro. Das liegt, was Zeitschriften im Bereich der Geistes- und Kulturwissenschaften anlangt, im oberen Bereich. Zum Vergleich: Gesellschaften wie die Renaissance Society of Amercia (RSA) veranschlagen samt Bezug der Renaissance Quarterly nur 50 USD. Ein Open Access Modell, sei es green way oder golden way, mittlerweile als Standard und guter Ton in den DH anerkannt, gibt es von Seiten des Verlages nicht (allenfalls unter Druck). Dass die Autoren im Besitz ihrer Rechte bleiben (vgl. das Editorial von Vanhoutte zum Heft 27 (2012) 1), ist zwar theoretisch ein Pluspunkt, der praktische Nutzen für OA ist jedoch zweifelhaft. Z.B. hat keiner der Beiträger des Heftes 27 (2012), 1  seinen Artikel online gestellt (Suche mit Stichwort Autor,Titel + erste Zeile des Haupttextes; jeweils nur LLC Treffer, d.h. Google indexiert die Hefte). Schaut man sich die Dokumente und Services selbst an, so werden Texte als HTML und PDF (die älteren nur PDF) angeboten, was eine analytische Nachnutzung unterhalb der Titelebene erschwert, denn Texte sind in den DH nicht nur Gegenstände der Lektüre, sondern auch der computergstützten Analyse (vgl. Thaller, in Historical Social Research, 37 (2012) 3) und automatisierten Vernetzung (semantic web). Verknüpfungen funktionieren nur innerhalb des Systems bzw. weitgehend unter Ausschluss nicht kommerziell arbeitender wissenschaftlicher Institutionen (Google Books, crossRef, etc.). Kodierungen von Entitäten im Text (Personen, Orte, Körperschaften, etc.) fehlen. Zitiert wird auf der Dokumentebene, feinere Adressierungen sind mittels Fragment-Identifier auf Grobkapitelebene möglich (dort nicht dokumentiert und daher nicht evident). Basis beibt das Paginierungssystem für Druckerzeugnisse. Erfreulicherweise wird eine DOI zum persistenten Zitieren geliefert. Mit DOI stehen auch weitere Funktionalitäten von crossRef zur Verfügung. Die institutionelle Langzeitarchivierung, die auch Access einschließen würde, ist ungewiss (zum Problem bereits Donald J. Waters, Urgent Action Needed (2005)). OUP untersagt es (deutschen) Bibliotheken, Titel herunterzuladen und selbst zu indexieren, so dass keine Möglichkeit besteht, Texte (langzeitzu)archivieren, zu aggregieren, in Mashups zu verbinden oder nach eigenen Suchkriterien und Rankinkmechanismen zu bearbeiten, allesamt Desiderate für DH Anwendungen (vgl.  zum Prinzip Gabriel Bodard/Juan Garcės, Open Source Critical Editions: A Rationale. In Gabriel Bodard/Juan Garcės, Open Source Critical Editions: A Rationale, In:  Text editing, Print and the Digital World, 83-98).  Möglichkeiten zur freien Annotation innerhalb des Systems und damit eine transparente Alternative zum geschlossenen peer-review System gibt es nicht (Fitzpatrick, Kap.1). In nuce, eine am analogen Modell orientierte profitorientierte Zeitschrift mit einem überkommenen geschlossenen peer-review Modell, das den Nutzen gerade für den analytischen Teil der DH zweifelhaft erscheinen lässt. Natürlich hat die Verbindung mit einem kommerziellen Verlag auch Vorteile. Der Herausgeber, Edward Vanhoutte, hebt hervor, dass mit den erwirtschafteten, nicht unerheblichen Gewinnen DH Projekte gefördert und die freie Schwester DHQ unterstützt werden. Doch bleiben prinzipielle Bedenken. Bei allen Verlockungen des Geldes sollte man gerade für das Flaggschiff der DH die Gefahren einer solchen Verbindung nicht unterschätzen ( vgl. Fitzpatrick und die zunehmende Kommerzialisierung am Beispiel einer ähnlich gelagerten Kooperation der der American Anthropological Association mit Wiley-Blackwell, S. 183f.).
Eine weitere im deutschsprachigen Raum etablierte Zeitschrift ist das Jahrbuch für Computerphilologie - online, hg. v. Georg Braungart, Peter Gendolla und Fotis Jannidis. Die Zeitschrift ist OA. Texte werden nur in HTML angeboten.  Angaben zum persistenten Adressieren finden sich nicht (DOI, URN, PURL o.ä.), die einzelnene Paragraphen sind zwar benannt, aber nicht über z.B. Fragmant-Identifier anspringbar (hier sollten zumindest Anker für interne Links eingefügt werden).  Die Langzeitarchivierung ist über die Deutsche Nationalbibliothek gesichert. Leider werden keine Angaben zur Lizenz gemacht (z.B. CC), so dass ein Forscher oder eine Institution (Universität, Bibliothek, Wikipedia) im Falle einer (textanalytischen) Nachnutzung theoretisch immer anfragen müsste, ob Indexierung und Archivierung möglich sind.  Eine automatisierte Nachnutzung ist auf der Basis des HTML Codes wie bei LLC zwar möglich, aber wie dort alles andere als optimal. Z.B. wäre es nur auf der Basis der class-Attribute möglich, Fußnoten in einer  Suche zu differenzieren. Kodierungen von Entitäten fehlen ebenso wie stabile Verlinkungen von Literatur (zum Nachweis von Querververlinkungen). Systemimmanente Annotations- oder Feedbackmöglichkeiten gibt es nicht. Das Review-Verfahren liegt in der Hand der im Feld wissenschaftlich ausgewiesen Herausgeber, was sicher nicht schlecht ist, aber durch ein flankierendes offenes Annotationssystem gewinnen könnte. Dessen ungeachtet zeigt die Zeitschrift, wie sich mit relativ geringem Aufwand qualitativ hochwertige Beiträge online bringen lassen. Die Verbindung der Online Ausgabe zum mentis Verlag ist eher lose. Die Zeitschrift nutzt sinnvoll die Kompetenzen des Verlages im Print-Bereich, ohne sich ihre Freiheiten beschneiden zu lassen. Schwächen liegen vor allem darin, dass zuviel Wert auf Präsentation und zu wenig auf Möglichkeiten zur automatisierte Verarbeitung gelegt wird. Mit einem deutlich formulierten freien CC-Lizenzmodell könnte man dies ggf. verbessern, indem dadurch Interessenten in die Lage versetzt würden, die Texte herunterzuladen, mit entsprechenden tools zu “strukturieren” und neu zu indexieren.

Ein letzter Blick gilt denen in vielerlei Hinsicht hervorragenden Digital Humanities Quarterly (DHQ). Die erste positive Überraschung ist die Bereitstellung nicht nur als HTML, sondern auch XML, das sich an TEI orientiert, wenn auch nicht konsequent. So haben die Herausgeber proprietäre Namensräume (dhq:) integriert. Hier finden sich echte Strukturinformationen z.B. zu den zitierten Titeln, allerdings wurde – wohl aus Gründen des Aufwandes – darauf verzichtet, Entitäten zu kodieren. Hier zeigt sich ein Problem, dass viele DH Publikationen betrifft, dass nämlich Autoren nach wie vor in klassischen Formen wie WORD oder PDF liefern. Würde man die Ablieferung von XML zur Pflicht machen, wären im Vertrauen auf den Wunsch des Autors, es möglichst professional zu getstalten, weit differenzierte Kodierungen möglich. Die Kodierung selbst liesse sich durch passende Schemata steuern. DHQ bietet neben den eigentlichen Publikationsfunktionalitäten, eine Reihe von social services, wie Diskussions- und Annotationsmöglcihkeiten, die im wissenschaftlichen Umfeld perspektivisch unverzichtbar sind. Hervorzuheben ist, dass auf eine CC Lizenz geachtet wurde, die jedoch mit einer Unklarkeit behaftet ist. Die verwendete sehr enge Lizenz BY-NC-ND bedeutet einerseits, dass “kommerzielle” aber offene Player wie wikipedia ausgeschlossen werden, andererseits ist ND interpretationsbedürftig. Das in der Publishing-Policy  zugesicherte Recht “to include it in other aggregations and indexes to achieve broader impact and visibility” wäre auf der Basis von ND (=”You may not alter, transform, or build upon this work”) eigentlich nicht sinnvoll möglich, denn wie soll eine andere Aggregation aussehen, die keine Änderungen vornimmt? Was ist hier eigentlich dasenige, was nicht verändert werden darf? Hier bedarf es weiterer Präzisierungen. Zu Persistent Linking findet sich bedauerlicherweise nichts. Die Artikel lassen sich auf Paragraphenebene mittels Fragment-Identifiern adressieren. Die Qualität wird im peer review Verfahren sichergestellt, wobei die Zeitschrift engagierte Experten aufruft, sich als reviewer zu beteiligen (zu diesem Thema s. Fitzpatrick wie oben).

Insgesamt ist zu beklagen, dass auf der Artikelebene keine professionelle Erschließung in Bibliotheksverbünden stattfindet, sondern man sich mehr oder weniger mit Google oder privatwirtschaftlichen Suchmöglichkeiten behelfen muss. Hier sind Bibliotheken in der Pflicht, die stärker als bisher auch mit entsprechenden Lizenzen ausgestattete OA Publikationen archivieren und nachweisen sollten.

Aus diesen eher kursorischen Betrachtungen scheinen mir folgende Punkte für eine gute DH Publikation, die mehr sein will als ein Druck im Netz (typischerweise als digitale Inkunabel im PDF Format), empfehlens- und bedenkenswert:

  • OA mit einer freien Lizenz. Idealerweise CC BY-SA. Gemeint sollte damit sein, dass der Name des Autors und die URL der Originalpublikation genannt sein müssen. So ist einerseits die Urform im Sinne von ND referenzierbar, andererseits aber jede Art von Nachbearbeitung (Aggregation, Mashup, Archivierung, Indexierung nach eigenen Rankingmechanism, Textanalyse etc.) möglich. Eine kommerzielle Nachnutzung ist erwünscht, wenn sie das Resultat der Bearbeitung nicht einschließt und unter gleichen Bedingungen weitergibt (z.B. wikipedia). Dass muss nicht bedeuten, dass man kommerzielle Geschäftmodelle, die Services bieten (z.B. spezielle akademische Suchmaschienen), ausschließt. Das Verhältnis von Publikationsoberfläche (HTML, PDF), Strukturebene (XML) und Index bedarf jedoch lizenzrechtlich betrachtet präzisierender Erläuterungen, die ich hier nicht anstellen kann.
  • Persistent Linking (DOI, URN, PURL, Handle usw.) sollte immer mitbedacht werden. Wünschbar wären feinere Granularitätsstufen auf Paragraphen oder, wo möglich, sogar auf Wortebene (z.B. mit Xpointer-Techniken). Verbunden damit sind auch Verlinkungsmechanismen, wie wie in semantic web Anwendungen genutzt werden können (z.B. LOD)
  • Texte sollten nativ in XML verfasst oder von Autoren in XML geliefert werden. Portale wie TextGrid oder Editoren wie oXygen können dazu beitragen, den Schritt von einer den Druck simulierenden zu einer nativen DH Publikation zu erleichtern. Dabei wäre die Anwendung von Standards (z.B. TEI) sehr sinnvoll, um stärker als bisher analytische und automatisierte Nutzungsmöglichkeiten (semantic web) zu eröffnen.
  • Publikationen sollten sich zur Qualitätssicherung stärker transparenten peer-review Verfahren und Annotationsmöglichkeiten bedienen (vgl. Fitzpatrick)
  • Zeitschriften-Portale sollten stets Möglichkeiten des wissenschaftlichen Austausches mitbedenken (Kommentar- und Annotationsfuntionen). Dabei können Standards wie der der Open Annotation Collaboration hilfreich sein.
  • Infrastruktureinrichtungen wie Bibliotheken sollten sich stärker als bisher in die Katalogisierung und das Hosting von DH  Angeboten einbringen, um die technische Seite zu betreuen und die Langzeitarchivierung sicherzustellen. Zugleich müssten sie sich stärker wissenschaftlichen Netzwerken bzw. Fachcommunities öffnen, um durch entsprechende Angebote eine Basis zu schaffen, wissenschaftliche Publikationen wieder als Teil der universitären Infrastruktur und weniger als Gegenstand von “Business-Modellen” (vgl. Fitzpatrick, 181) sichtbar werden zu lassen.

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=673

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Die Ursprünge der Mystik – eine Einführung

Der Begriff Mystik (griechisch: mystikós: „geheimnisvoll“) findet seine erste Verwendung in der griechischen Philosophie und Religion in der Antike. Die Stationen der weiteren Entwicklungen der antiken Mystik reichten von der platonischen theoria über die Mysterienkulte und der philosophischen Mystik des Plotin bis hin zum antiken Christentum.1

Die sogenannte Christliche Mystik hatte vermutlich im 4. Jhr. n. Chr. ihren Ursprung. Vermutlich wurde von den Kirchenvätern, wegen der wachsenden Anzahl der Heidenchristen in den Kirchen, in der Theologie und Spiritualität nach „neuen und fruchtbaren Wegen zu Gott gesucht“.2 Im Kern ist die Christliche Mystik als christliche Spiritualität mit Konzentration auf die Gotteserfahrung zu beschreiben. Durch die auf Theorien und Lehren basierenden Praktiken sollen die Erfahrung und das Erlebnis der innerlichen Einswerdung mit Gott und seiner unergründlichen Unendlichkeit für den Mystiker möglich werden.3 Die sogenannte unio mystica ist eine religiös-spirituelle Erfahrung und spielt in der christlichen Mystik die zentrale Rolle. Ursprünglich wurde der Begriff unio mystica von Dionysius Areopagita um 500 n. Chr. als mystiké henôsis geprägt und wurde dann als lateinischer Begriff unio mystica (zunächst auch als Mystische Theologie übersetzt) ab dem 13. Jhr. eingeführt, um sich dann ab dem 15./16. Jhr. fest im Sprachgebrauch zu etablieren.4

Die Christliche Mystik lässt sich auch als eine Fortführung von der im Alten Bund praktizierten Prophetie und von der im Neuen Bund unter den Aposteln erlebten Charismatik  auffassen.5 Diese Fortführung, aber auch die Adaption der mystischen Lehren aus der griechischen Religion und Philosophie, wurde von den Kirchenvätern wie Aurelius Augustinus, Ambrosius und Gregor der Große in der Spätantike durch ihre Schriften und Lehren initiiert und mit der von Mönchen entwickelten monastischen Mystik im Mittelalter übernommen.6 Sieht man von Johannes Scottus Eriugenas erfolglosen Bemühungen aus dem 9. Jhr. ab, die philosophische Mystik mit der Theologie zu vereinen, so war der Zeitpunkt für den Aufbruch einer neuen Mystik das Jahr 1200.7

Noch im 12. Jhr. wurde die Christliche Mystik von den klösterlichen Schriften der Zisterzienser und Viktorianer geprägt, untern ihnen führend der Zisterzienserabt Bernhard von Clairvaux, der die persönliche Gotteserfahrung zu einem ähnlich wichtigen Bestandteil geistliches Lebens erhob, wie die eigentliche Beschäftigung mit der Heiligen Schrift.8 Frühe mittelalterliche Mystik bestand bis zum 13. Jhr. vor allem darin, sich von der Welt zurückzuziehen und sich einer geistlich-privilegierten Gemeinschaft im Kloster anzuschließen.9 Neue Formen religiösen Lebens entstanden ab 1200 mit den städtisch ansässigen Bettelorden der Franziskaner und Dominikaner sowie den Beginen. Mit ihrem Wirken in den Städten und der Verbreitung der Lehren der Armutsmystik sowie der vita apostolica schwand auch allmählich die Überzeugung von der Notwendigkeit der Weltflucht und dem Rückzug in ein geistlich-abgeschiedenes Leben: Eine Erfahrung von Gottes Gegenwart konnte nunmehr jedem Menschen widerfahren, egal an welchem Ort, denn sie war nicht mehr nur geistlich Privilegierten vorbehalten.10

Gegen Ende des 12. Jhr. erreichte die monastische Mystik ihren Höhepunkt und mit dem Jahr 1200 ging ihre Relevanz mit der Neuentstehung der scholastischen Theologie, die an den neu entstehenden Universitäten gelehrt wurde, zurück.11 Die mittelalterliche Theologie setzte sich nun aus der monastischen, der scholastischen und der volkssprachlichen Theologie zusammen.12 Durch die Bemühungen der Bettelorden der Dominikaner und Franziskaner im 12. und 13. Jhr. wurde ab dem 14. Jhr. auch im geistlich-theologischen Bereich statt Latein vorwiegend die deutsche Volkssprache praktiziert.13 Zudem entstand etwa ab der Mitte des 12. Jhr. eine Frauenmystik, deren Anhängerinnen eine fromme und enthaltsame Lebensweise in religiösen Gemeinschaften führten.14

Eine der hauptsächlichen Ausprägungen der Christlichen Mystik im späten Mittelalter war die Deutsche Mystik, die mit Beginn des 14. Jhr vor allem in den südlichen Gebieten Deutschlands ihren Anfang als Bewegung von verschiedenen Mystikern nahm. Die Schriften und Lehren der Deutschen Mystik wurden größtenteils in der zeitgenössischen deutschen Sprache angefertigt.15 Auch die Frauenmystik entwickelte sich im 14. Jhr. zu einem immens wichtigen Bestandteil der Deutschen Mystik weiter.16 In der Deutschen Mystik wurde nicht nur die altchristliche Mystik aufgegriffen, sondern es wurden auch Lehren aus der heidnisch-griechischen Welt aufgegriffen.17 Die Literatur der Deutschen Mystik bestand vor allem aus „Traktaten, Schriftkommentaren, Briefen, Predigten und Autobiographien“.18

 

Empfohlene Zitierweise: Blümel, Jonathan (2012): Die Ursprünge der Mystik – eine Einführung. In: JBSHistoryBlog.de. URL: http://jbshistoryblog.de [Zugriff: DD:MM:YYYY]

 


Bibliographie:

  1. Dinzelbacher, Peter: Christliche Mystik im Abendland. Ihre Geschichte von den Anfängen bis zum Ende des Mittelalters. Paderborn u.a. 1994. S. 35-41 ; Langer, Otto: Christliche Mystik im Mittelalter : Mystik und Rationalisierung – Stationen eines Konflikts. Darmstadt 2004. S. 51-69.
  2. Haas, Alois: Mystik im Kontext. München 2004. S. 50 ; Langer 2004. S. 80.
  3. Haas, Alois M.: Sermo mysticus: Studien zu Theologie und Sprache der deutschen Mystik. Fribourg 1979. S. 256.
  4. Haas 2004, S. 53-62
  5. Haas 1979, S. 257 ; Langer 2004, S. 80ff..
  6. McGinn, Bernard: The Flowering of mysticism: men and women in the new mysticism, 1200-1350. New York 1998. S. 2 u. 12 ; McGinn, Bernard: The Changing Shape of Late Medieval Mysticism. In: Church History, Vol. 65, No. 2 (Jun., 1996). S. 198.
  7. Langer 2004, S. 131ff..
  8. McGinn 1996, S. 197.
  9. Haas 1979, S. 259 ; McGinn 1996, S. 198.
  10. McGinn 1996, S. 198 ; Langer 2004, S. 211-218.
  11. McGinn 1998, S. 3 ; Langer 2004, S. 152.
  12. McGinn 1998, S. 19.
  13. McGinn 1998, S. 22ff. ; Haas 1979, S. 258f..
  14. Langer 2004, S. 227 ; Dinzelbacher 1994, S. 194.
  15. McGinn 1998, S. 21 ; Haas 1979, S. 255.
  16. McGinn 1998, S. 15 ; Haas 1979, S. 260.
  17. Haas 1979, S. 258.
  18. Haas 1979, S. 255.

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Quelle: http://jbshistoryblog.de/2012/08/die-ursprunge-der-mystik-eine-einfuhrung/

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„Ehre und Honneur sind nicht das gleiche“

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) veröffentlichte am 25.7.2012 einen Artikel von Axel Dröber über die Bilanztagung des Forschungsseminars „Les mots de l’histoire“ am 15.6.2012 in den Räumlichkeiten des DHI Paris. „Ehre und Honneur sind nicht das gleiche“ – eine Zusammenfassung :

Nach nunmehr achtjähriger Laufzeit ging die Veranstaltungsreihe der „Mots de l’histoire – historiens allemands et français face à leurs concepts et leurs outils“ im Juni mit einer bilanzierenden Tagung zu Ende. Die von den Organisatoren der „Mots“ vorgestellten Ergebnisse werden in dem FAZ-Artikel, der in der Rubrik Geisteswissenschaften erschienen ist, zusammengefasst und dargestellt.

Am Anfang der „Mots“ stand demnach die Einsicht in die Verschiedenartigkeiten der Geschichtsschreibung in Frankreich und Deutschland. Hatte schon der Annales-Mitbegründer Marc Bloch 1928 darauf hingewiesen, wie problematisch die unverbundene Koexistenz verschiedener geschichtswissenschaftlicher Methoden und Ansätze sei, bemühte sich die auf Initiative des Pariser CIERA ins Leben gerufene Veranstaltungsreihe der „Mots“, eine Diskussion im deutsch-französischen Rahmen über die Arbeitsweise und die historiographischen Prämissen von Historikern und Sozialwissenschaftlern beiderseits des Rheins anzuregen. Grundlage der monatlich stattfindenden Seminare der „Mots“ waren wissenschaftliche Konzepte wie die „Sattelzeit“, historiographische Trends wie die Weltgeschichte oder Begriffe wie „Diskurs“ und „Discours“ oder „Gedächtnis“ und „Mémoire“. Das die Veranstaltungsreihe überwölbende Thema bestand in einer binationalen vergleichenden historischen Semantik, in deren Rahmen  namhafte Vertreter der deutschen und französischen Sozial- und Geisteswissenschaften zu jeweils über 120 Themen zusammenkamen.

Als Konstante der Seminare der „Mots“ wurden der Ablauf der Veranstaltungen selbst und die kontrastive Präsentation der Begriffe hervorgehoben, die so in ein besonderes Spannungsverhältnis traten, mit dem ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede besonders deutlich zum Vorschein kamen. Begriffe wurden so nicht allein als Ausdruck einer sozialen Realität, sondern auch als Produkt und Phänomen der Geschichtsschreibung beider Länder erkennbar. Dazu trug auch die Seminarform der Veranstaltungen wesentlich bei: den Präsentationen eines Begriffs folgte jedes Mal ein Kommentar, in dem die Ergebnisse noch einmal pointiert gegenübergestellt wurden. Dass auch komplexe Themen so offen und in einem breiten Forum diskutiert werden konnten, zog nicht zuletzt auch ein sehr junges Publikum an. Tatsächlich entwickelten sich die „Mots“ zu einem zentralen Ort des Austauschs und Kontakts auch junger Wissenschaftler aus Deutschland und Frankreich.

Was sowohl bei den Organisatoren als auch bei den Teilnehmern der „Mots de l’histoire“ zurückbleibt, ist die Erkenntnis, dass die Standortgebundenheit des Historikers sowohl nahezu unüberwindlich erscheint, zugleich aber auch in einem hohen Maße fruchtbar sein kann. Nirgendwo wird dies deutlicher als an der Sprache, mit der der Wissenschaftler sich seinem Untersuchungsgegenstand nähert. In der Konfrontation von deutschen und französischen Begriffen werden erst die Konventionen deutlich und hinterfragbar, die die historische Betrachtungsweise von Beginn an prägen.

Die einzelnen Beiträge der Abschlusstagung sind auf der Website des DHI Paris als Podcast verfügbar.

Quelle: http://trivium.hypotheses.org/477

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Hierarchie meets Netz meets Wissenschaft

Web 2.0-Formate in der Wissenschaft leiden an einem chronischen Mangel an Kommentaren, das ist ein offenes Geheimnis. Alle fragen sich, wann wohl die Generation Y – oder nennen wir sie Generation Facebook – in der Sphäre höherer wissenschaftlicher Weihen angekommen sein und sich somit berechtigt fühlen wird, etwa an Rezensionsprozessen im Kommentarformat teilzunehmen, wie sie recensio.net anbietet.

Vielleicht aber gibt es noch ganz andere Hürden: Könnte ein wichtiger Grund für die Web 2.0-Skepsis in den Geisteswissenschaften nicht auch darin liegen, dass gerade im deutschsprachigen Bereich die Hierarchie im Wissenschaftsbetrieb, die sich an Titeln, Meriten und Positionen festmacht, eine traditionell viel wichtigere Rolle spielt als im europäischen Ausland, etwa in Frankreich? Dass in der Professorenschaft die Bereitschaft, sich ohne Würdigung ihrer Stellung gewissermaßen „auf Augenhöhe“ mit Studierenden, Nachwuchswissenschaftler oder Laien auszutauschen, eher gering ist? Und könnte es sogar sein, dass der Nachwuchs dieses Hierarchiebewusstsein frühzeitig erbt und damit die Offenheit im Meinungsaustausch, die wir auf privaten Plattformen boomen sehen, in der Welt der Wissenschaft unter sehr erschwerten Bedingungen und womöglich viel später einen Durchbruch erleben wird, als wir das ahnen?

Letzte Woche publizierte der Spiegel einen Artikel darüber, wie die Generation Y Unternehmenskulturen verändert:

Alles das, was eine hierarchische Organisation ausmacht, wird auf den Prüfstand kommen: Herrschaftswissen, Kontrolle, zentrale Steuerung, Machtspielchen. Stattdessen werden offenes Wissensmanagement, flache Organisationen, gelebte Work-Life-Balance, gute Fehlerkultur, hierarchielose Kommunikation und Vertrauen wichtiger – für Führungskräfte und für Mitarbeiter. Heute gibt es Mitarbeiterbeurteilungen – künftig wird es auch Chefbeurteilungen geben.

Vielleicht sollten wir uns alle darauf einstellen, dass ein fundamentaler Wandel begonnen hat hinsichtlich der Rolle des „Experten“, ob es nun der Chef, der Professor oder der Rezensent ist. Die Aura des „Unantastbaren“, die seine Meinungsäußerung umgibt, bröckelt zunehmend und wird schrittweise abgelöst durch dynamische Meinungsbildungsprozesse, die sich im Netz in der Regel in Kommentarspalten abspielen. Sicher wird dieser Wandel in der Wissenschaft stark verzögert vollzogen werden, aber sollten wir uns nicht darauf vorbereiten? Überlegen und erproben, wie unter den neuen Bedingungen wirksame wissenschaftliche Qualitätssicherung stattfinden kann?

Ob das Angebot von recensio.net als ein solcher Schritt betrachtet werden kann, wollen wir in Sektion 1 der RKB-Tagung besprechen, deren genaue Zusammensetzung in Kürze feststehen wird.

Quelle: http://rkb.hypotheses.org/194

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Ein Uni-Lektoren-Krimi: Martin Mucha – Seelenschacher

muchaKann ich nur empfehlen: Martin Muchas hardboiled Krimi Seelenschacher, dessen Hauptprotagonist ein prekär beschäftigter Lehrbeauftragter der Uni Wien ist, der sich mühelos zwischen akademischem Milieu und Wiener Zuhälter/Halbkriminellenszene bewegt:

WIENER SEELEN Den schlecht bezahlten Wiener Universitätslektor Arno Linder plagen einmal mehr die Geldsorgen. Da kommt es ihm gerade recht, dass ihn ein alter Bekannter um einen Gefallen bittet. Bruder Erich, der Sekretär und Vertraute des Wiener Kardinals Gutbrunn, hat ein seltsames Anliegen: Ein kleines privates Kreditbüro akzeptiert die Seelen seiner Kunden als Sicherheit. Mutter Kirche ist natürlich beunruhigt und will sich informieren. Die Aussicht auf ein Nebeneinkommen und die eigene Neugier drängen Arno dazu, den Auftrag anzunehmen. Nicht ahnend, dass er damit schon bald knietief in neuen Schwierigkeiten steckt …

Mucha, Martin: Seelenschacher. Kriminalroman. Meßkirch: Gmeiner, 2011. [Verlags-Info]

Ebenfalls von Martin Mucha in dieser Reihe erschienen: Die Krimis Papierkrieg und Beziehungskiller.

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/129658946/

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Geschichtstourismus in Schweden – die Mittelalterwoche auf Gotland


Das Mittelalter als bzw. im Spiegel unserer Zeit...Flickr, CC-BY-NC-SA arkland_swe

Jedes Jahr im August, immer in der Kalenderwoche 32, machen sich zehntausende von Besuchern auf den Weg zur schwedischen Insel Gotland und – ins Mittelalter. Ein regelrechter Mittelalterwahn:  Hier treffen sich Eskapismus und Geschichtsverklärung, weidlich ausgeschlachtet von der Tourismusbranche.

Letzte Woche war es wieder soweit, und Tausende hatten sich wieder vor allem in der Inselhauptstadt Visby eingefunden, um sich inmitten der historischen Kulisse, welche die in weiten Teilen erhaltene Altstadt samt ihrer mittelalterlichen Stadtmauer bietet, dieser historischen Inszenierung hinzugeben. Von ihren bescheidenen Anfängen 1984 ist diese Veranstaltung zu einem Massenspektakel und Besuchermagnet mit an die 40.000 Besuchern jährlich geworden. Das in großen Teilen erhaltene mittelalterliche Stadtbild ist das eine, das für viele obligatorische Einkleiden in mittelalterlich anmutende Kleidung (oder was man dafür hält) ist das andere. Die Mittelalterwoche ähnelt in ihrem Programm und den angebotenen Aktivitäten vielem, was man in deutschen Breiten auf entsprechenden Veranstaltungen wiederfindet: angefangen beim Turnier über einen Markt mit Handwerk und Speisen bis hin zu diversen Theater- und Musikaufführungen – ein facettenreiches Enactment-Event und Geschichtsspektakel, und das eine ganze Woche lang, von Sonntag bis Sonntag.

Carl Gustaf Hellquist: Valdemar Atterdag brandskattar Visby (1882)Quelle: Wikimedia Commons

Den historischen Hintergrund bildet die Eroberung der Insel durch den dänischen König Valdemar Atterdag 1361 und die anschließende Brandschatzung Visbys – in gewisser Weise ein Kuriosum, da man sich auf eine für die Insel eher unerfreuliche Begebenheit bezieht. Dieses Ereignis ist für viele Schweden in Form des der Historienmalerei des 19. Jahrhunderts zuzuordnenden Bildes von Carl Gustaf Hellquist durchaus präsent. Das nachfolgende Filmchen auf Vimeo zeigt eine Amateuraufnahme von 2009 vom alljährlich nachgestellten Einzug Atterdags in die Stadt. Kleine Bemerkung am Rande: Kurios ist das Bemühen, die Aufnahme durch die Nachbearbeitung als historisch anmutenden Schwarzweißfilm aus der Frühzeit des Kinos daherkommen zu lassen, sozusagen um “noch mehr historische Authentizität” zu erreichen.

“Jung und alt begeben sich 1000 Jahre in der Zeit zurück und leben während einer Woche auf Gotland im Mittelalter. Ist das Interesse für diese entlegene Zeit wirklich seriös oder haben wir einen Wunsch, für eine Weile aus unserer eigenen Zeit zu flüchten, uns als jemand Fremdes und Anderes zu verkleiden? Eine andere Person werden zu können und in der Fantasie nachspüren, wie sich das Dasein für Menschen in unterschiedlichen Situationen, Tätigkeiten und sozialen Zusammenhängen gestalten könnte.”

So schreiben die Organisatoren auf der Homepage der Mittelalterwoche und lassen erkennen, dass auch für sie die Inszenierung, die sie betreiben, ihre Grenzen hat. Während des Ereignisses ist man jedenfalls in vielerlei Hinsicht sehr bemüht, eine Illusion von Mittelalter zu kreieren – soweit das in der heutigen Zeit natürlich überhaupt möglich ist. Es gibt ein weitgehendes Autoverbot in der Visbyer Innenstadt, man versucht, Verkehrsschilder und andere moderne Symbole zu verdecken und es werden detaillierte Anweisungen an die mitwirkenden Akteure ausgegeben.

Frauen bitte mit Kopfbedeckung!Flickr, CC-BY-NC-SA jonas_evertsson

So werden für den Markt, den die Organisatoren als Herzstück der Mittelalterwoche begreifen, klare Regeln vorgegeben: Es sollen mittelaltertypische Waren und Mahlzeiten angeboten werden, die Marktstände müssen aus Holz und mittelalterlicher  Bauart  sein. Moderne Ausstattungs- und Gebrauchsgegenstände sollen vermieden oder camoufliert werden. Schilder mit Text sind weniger erwünscht als Symbole, Zunftabzeichen und das mündliche Anpreisen der Waren. Moderne Auszeichnungen der Waren werden vom Organisationsteam nicht zugelassen. Natürlich sind auch hinsichtlich der Kleidung Vorgaben zu beachten: “Verkäufer und andere, die sich am Stand aufhalten, sollen mittelalterlich gekleidet sein. Denk auch an die Schuhe. Ein Sack oder eine Tunika über moderner Kleidung sehen nicht gut aus. Frauen sollen eine Kopfbedeckung tragen. Mädchen dürfen jedoch das Haar offen tragen.”

Die Gesamtheit eines Marktstandes (Verkaufspersonal, Stand und Waren) soll dabei helfen, die Illusion eines mittelalterlichen Marktes zu erwecken. Mit der Unterschrift auf dem Pachtvertrag verpflichtet man sich als Markthändler, die Regeln der Organisatoren verbindlich einzuhalten. Alle Waren und Angebote müssen vom Organisationskomitee genehmigt werden: “Die Mittelalterwoche akzeptiert Produkte und Material, das es im Mittelalter gegeben haben kann, d.h. Produkte, die entweder mittelalterlichen Charakters und Eindrucks sind oder vom Mittelalter inspiriert sind oder aus Material, dass es im Mittelalter gab oder mit mittelalterlicher Technik hergestellt sind.” Auf dem Markt herrscht nicht nur Rauch-, sondern auch Kaffee-, Softdrink- und Mobiltelefonverbot. Wem das alles noch nicht genug ist, der kann sich noch in eines der Mittelalterlager begeben, in dem man seine Reise in die Vergangenheit rund um die Uhr betreiben kann. Sehr aktiv ist dabei eine sog. Gesellschaft für kreativen Anachronismus (das Organisationskomitee sollte vielleicht anfragen, ob man diesen Namen nicht übernehmen könnte…). Man kann also, wenn man möchte, mit Haut und Haaren, mit allen Sinnen in eine andere Zeit eintauchen. “Bei allem geht es natürlich darum, zu versuchen, lebendig zu machen, wie Menschen im Mittelalter lebten. Das beinhaltet alles, angefangen dabei, wie man sich kleidete, was man aß, was die Kinder spielten, wie man Dinge herstellte, welche Berufe man hatte, wie man hieß, bis hin wie man redete. Das ist es, worum es bei der Mittelalterwoche geht. Sowie Spaß zu haben!”

Mittelalterliche Stadtmauer von Visby (gemeinfrei)Quelle: Wikimedia Commons

Darüber hinaus geht es bei der Mittelalterwoche noch um handfeste wirtschaftliche Interessen. Gotland ist eine strukturschwache Region, deren Haupterwerbszweige der Tourismus und die Landwirtschaft darstellen. Von den Zeiten früherer Größe als Knotenpunkt im Ostseehandel und als Hansestadt ist wirtschaftlich gesehen nichts mehr übrig. Immerhin kann Schwedens “Sonneninsel” im Sommer beachtliche Zahlen an Touristen empfangen, primär aus Schweden selbst, aber auch aus anderen Ländern. Der Zeitpunkt Anfang August wurde bewusst gewählt, weil das Mittelalterspektakel so einen saisonverlängernden Effekt hat und Touristen auf der Insel hält oder zu einem Zeitpunkt auf die Insel bringt, wenn das Sommergeschäft sich langsam schon dem Ende zuneigt. Die Wahl des Themas ist auch recht vielsagend, fiel die Eroberung durch Valdemar doch in eine Zeit, in der Gotland nur schwache Bindungen an das schwedische Königreich besaß und eher eine Art Inselrepublik darstellte, die allerdings mit der zunehmenden Expansion der dänischen und schwedischen Herrschaftsbereiche und mit den Entwicklungen in der Seefahrt bereits dabei war, an wirtschaftlicher Bedeutung zu verlieren. Jedenfalls verweisen die Begebenheiten von 1361 auf eine Zeit, in der Gotland noch stärkere Distanz zu Schweden hatte – und das passt angesichts der gerne gepflegten regionalen Identität sehr gut.

Das Geschichtsevent trägt allerdings auch zu einer Engführung des gotländischen Geschichtsbildes auf das Mittelalter bei, eine Fixierung, die ohnehin schon stark ist. Über Gotlands Bedeutung als “Horchposten der NATO” in der Ostsee im Kalten Krieg und als strategischer Punkt in militärischen Planungen in den Konflikten und Kriegen des 19. und 20. Jahrhunderts etwas zu erfahren, ist ungleich schwerer, als über Gotlands Blüte in der Hansezeit. Zu Recht ist man auf die Stellung der Visbyer Altstadt als Teil des UNESCO-Welterbes stolz und bezeichnet sich auch als “Hansestadt Visby” [Hansestaden Visby]. Doch steht vieles andere im Schatten, das hat sich mir auch vor gut einem Jahr in Zusammenhang mit einer Lehrveranstaltung (die mit einer einwöchigen Exkursion nach Gotland verbunden war) gezeigt: Die Forschungsliteratur zu Hansezeit und Mittelalter Gotlands ist ungleich reichhaltiger als zu anderen Epochen.

Es gibt mittlerweile eine Reihe von wissenschaftlichen Untersuchungen, welche die Medeltidsveckan als geschichtskulturelles Phänomen unter die Lupe genommen haben. Im Zentrum stehen dabei Fragen der Aneignung von Geschichte und Geschichtsbildern, die Authentizität der mittelalterlichen Inszenierung in den Augen der Besucher und ihre Bedeutung als Flucht vor und zugleich Spiegel der Gegenwart. Hinsichtlich der Erwartungen an den authentischen Charakter der Mittelalterwoche – angesichts des weiter oben beschriebenen Aufwandes, der für die Inszenierung betrieben wird – verweist Sandström darauf, dass gerade Besucher mit guter historischer Vorbildung um Brüche und Unzulänglichkeiten in der Inszenierung nur zu gut wissen, sich aber dennoch auf das Spiel mit der Vergangenheit einlassen. Intellekt und Gefühl gingen eben nicht immer Hand in Hand: “Wir sind nicht dort, um mittelalterlich korrekt zu sein, wir sind dort, um Spaß zu haben.” sagen Besucher der Mittelalterwoche. Genau darum gehe es nämlich, auch der Titel des Buchs von Gustafsson verweist auf Spiele mit Zeit, Raum und Identität.

Man könnte gar die These aufstellen, dass man desto weniger im Mittelalter leben möchte, je mehr Wissen man sich über diese Zeit aneignet. Eine Kapitelüberschrift bei Sandström lautet “Das Mittelalter war eine Zeit ohne Zahnpasta”, und es wird anhand Befragungen von Besuchern der Mittelalterwoche deren oft sehr hoher Grad an Bewusstsein darüber aufgezeigt, dass sie sich immer nur in einem Ausschnitt oder in einer bestimmten Vorstellung von Mittelalter bewegen. Abends legt man sich ins Hotelbett oder in eine der Wohnungen, welche die Einwohner Visbys für teures Geld während der Woche vermieten, morgens ist man sein modernes Frühstück und schlüpft dann in die weichgespülte Version von Mittelalter ohne Unrat in den Straßen, ohne Dreck und Krankheiten. Aber kann man den begeisterten Besuchern deswegen Vorwürfe machen? Ist es nicht zu begrüßen, dass sich die Menschen wie bei kaum einer anderen Epoche mit Alltagsgeschichte und dem Leben der einfachen Leute auseinandersetzen? Was nämlich bei aller Kritik an Geschichtskonstruktionen und Eskapismus hinzukommt: Die Mittelalterwoche wird durch zahlreiche Bildungsangebote wie Stadtrundgänge, Vorträge und Museumsführungen bereichert und siedelt diesen Charakter als durch wissenschaftliche Erkenntnisse fundierte Bildungsveranstaltung relativ hoch an. So kann man das eigene “Nachleben” von Geschichte um fachlich kompetenten Input bereichern und das Ganze auch eher als Bildungsreise in die Vergangenheit mit verschiedenen Facetten auffassen. Von daher wird für einen nicht zu unterschätzenden Anteil der Besucherschar von den Living-History-Anteilen und dem Reenactment-Charakter der Veranstaltung eine Brücke hin zu historischer Bildung gebaut. Zumindest möchte ich mit der leisen Hoffnung, das dem so ist, diesen Beitrag beschließen.

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/138

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