Die Nöte des Kölner Kurfürsten

21. Januar 1645: Kurfürst Ferdinand von Köln schreibt von seiner Bonner Residenz aus an den kaiserlichen Feldmarschall Hatzfeldt, der derzeit in Böhmen operiert. Dieser zieht dort seine Truppen zusammen und sucht eine Entscheidung gegen die vorrückenden Schweden. Dazu wünscht der Kurfürst dem Feldmarschall guten Erfolg und verbindet damit auch die Hoffnung, daß Gott Graf Hatzfeld „solche gluckhliche Progress wieder den Feindt verleihen werde, damit Vnß dießer Orths in kurtzem waß Lufft gemacht werden möge“. In dem Zusammenhang weist Kurfürst Ferdinand auf die sich verschlechternde militärische Lage im Rheinland hin: Nachdem die niederrheinisch-westfälischen Kreistruppen unter Graf Geleen ins Westfälische abgezogen seien, stehe das Rheinland weitestgehend ungeschützt da. Nur noch wenige Kräfte seien an der Mosel verblieben, auf die allerdings kein Verlaß sei. Erst kurz zuvor hätten französische Einheiten die Stadt Oberwesel eingenommen (am Mittelrhein, zwischen Boppard und Bingen gelegen), nun sei auch Koblenz bedroht. Die Lage sei kritisch, und dem Feind Widerstand zu leisten, sei man „so gahr nit gefast“. (Schönstein, Fürstlich Hatzfeldt-Wildenburgsches Archiv, Kriegsarchiv Melchior von Hatzfeldt Nr. 236 unfol. Ausf.)

Der Brief liest sich wie eines der üblichen Schreiben, in dem ein mit dem Kaiser verbündeter Reichsfürst um militärische Hilfe bittet. Tatsächlich waren derartige Anforderungen um militärische Verstärkungen üblich in einem Koalitionskrieg, eine Konstellation, wie sie sich im Dreißigjährigen Krieg immer wieder ergab. Vor dem Hintergrund ist der Brief ein weitgehend standardisiertes Schreiben, wie er in den Kanzleien dieser Zeit üblich war. Die besondere Note erhält das Schreiben aber durch die Nachschrift, die der Kurfürst eigenhändig an Graf Hatzfeldt anfügte.

In acht weiteren Zeilen, ungefähr einer drittel Seite, greift Kurfürst Ferdinand noch einmal das Anliegen auf und wiederholt die Gefährdung, die für die Rheinlande bestehen: Es bedürfe keiner weiteren Ausführung, wie wichtig das „Hauptwesen“ sei (also der Hauptkriegsschauplatz in Böhmen). Doch auch dem „edlen Rheinstrom“ und ebenso der Mosel komme eine große Bedeutung zu, wie Hatzfeldt zuletzt selbst noch in einem früheren Schreiben dargelegt habe. So hoffe er, Ferdinand, daß man „uns arme verlassene Rheinländer“ nicht im Stich lassen, sondern nach dem „glücklichen Success“ in Böhmen wirkliche helfen werde, „ehe aus Frankreich ein neuer Tempestas entstehe, der uns zugrunde richte“.

Es ist dieses Postscriptum, das in besonderer Eindringlichkeit die Not vorstellt, die der Kölner Kurfürst empfand. Für Ferdinand, der schon seit 1612 das Kurfürstentum regierte und den Krieg von Anfang an miterlebt hatte, sind zahlreiche eigenhändige Nachschriften überliefert, die vielfach seine Ansichten und Sorgen erkennen ließen. Mag also ein Postskriptum für Ferdinand nicht unüblich gewesen sein, so stellt es in diesem Fall eine immense Verstärkung des eigentlichen Briefinhalts dar: Nicht allein das Kanzleischreiben transportiert das Anliegen, sondern der Kurfürst selbst greift eigenhändig diese Nöte auf und personalisiert die geäußerten Befürchtungen.

Über diesen einen Fall hinausgehend stellen eigenhändige Notizen eines regierenden Fürsten eine besondere Form der Überlieferung dar. Sie machen seine Persönlichkeit viel unmittelbarer faßbar als die im regulären Kanzleibetrieb verfertigten Schriftstücke. Eben weil die Fürsten damals durch einen wachsenden Apparat von Bediensteten umgeben sind, bleibt oftmals schemenhaft, in welchem Maße die Korrespondenzen jeweils die Meinung des Fürsten oder nicht eher die seiner Räte widerspiegeln. Eigenhändige Marginalien und Ergänzungen in diesen Briefschaften sind daher rare Schlaglichter auf die Gedanken des Fürsten selbst. ‑

Nachschrift:
Am 6. März 1645 trafen bei Jankau in Böhmen das kaiserliche und das schwedische Heer aufeinander. Bekanntermaßen verlor Hatzfeldt die Schlacht und fast die gesamte Armee – Kurfürst Ferdinand mußte also seine Hoffnung aufgeben, daß bald schon kaiserliche Truppen die Lage am Rhein zum Besseren wenden würden.

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/74

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Die Flugschriftensammlung der bayerischen Landstände

Flugschriften und Flugblätter stellen gerade für den Dreißigjährigen Krieg einen Quellenfundus von besonderer Bedeutung dar, eben weil die mediale Aufbereitung vieler Ereignisse neue Dimensionen erreichte: Es gibt kaum etwas, worauf die zeitgenössische Publizistik nicht reagierte, angefangen vom Pfalzgrafen in Böhmen bis hin zu den Friedensschlüssen in Westfalen. Für die Forschung ist dies nichts Neues, und großartige Verzeichnisprojekte wie das VD17 zeigen, wie reichhaltig die Überlieferung in diesen Jahren fließt. Auf einen besonderen Flugschriftenbestand hat jetzt Gabriele Greindl aufmerksam gemacht: die Sammlung der Druckpublizistik in der Bibliothek der bayerischen Landstände. In ihrem ausführlichen Beitrag geht sie auf die Geschichte der landständischen Bibliothek und speziell des Flugschriftenbestandes ein, dessen Aufbau und Struktur sie beschreibt und dessen inhaltliche Schwerpunkte sie skizziert. (Gabriele Greindl, Flugschriften aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges in der Bibliothek der bayerischen Landstände. Eine neue Quelle zur Geschichte der Ständeversammlung, in: Festgabe für Andreas Kraus zum 90. Geburtstag, S. 283-338.)

Nicht nur die bayerischen Herzöge und Kurfürsten haben eine prachtvolle Bibliothek aufgebaut; auch die bayerischen Stände sammelten in großem Stil Druckwerke. Ihre Bibliothek, die neben rund 6.000 Bänden auch zahlreiche Periodika, Handschriften und ungebundene Werke umfaßte, wurde nach der Mediatisierung wie die Buchbestände der säkularisierten Klöster Anfang des 19. Jahrhunderts der Bibliothek des bayerischen Landesherrn einverleibt. Dies betraf auch die Flugschriften, die sich in der landständischen Bibliothek befanden. Während ein Teil dieser publizistischen Werke offenbar verloren gegangen ist, sind viele Titel noch heute in den Beständen der Bayerischen Staatsbibliothek nachgewiesen. Greindl hat in ihrem Aufsatz einen Abgleich der BSB-Exemplare mit den im VD17 verzeichneten Titeln vorgenommen. Fast alle Flugschriften sind, wie sich zeigt, auch andernorts nachgewiesen; nur einige wenige sind offenbar allein in der landständischen Sammlung überliefert.

Auch wenn nur wenige Flugschriften exklusiv der landständischen Provenienz entstammen, darf dies nicht zum Schluß verleiten, daß diese Sammlung wenig spektakulär ist. Vielmehr ist sie überaus bedeutsam, allein weil sie – wie G. Greindl ausführt – das Informationsbedürfnis der Landstände veranschaulicht, die ein ausgesprochen reges Interesse eben auch an den aktuellen Ereignissen außerhalb der Landesgrenzen besaßen. Und dies nicht nur, weil ihr Landesherr in diesen Händeln stark engagiert war, sondern offenbar auch, weil die Stände sehr aufmerksam verfolgten, wie in anderen Territorien und auf Reichsebene Konflikte moderiert und bestimmte Argumentationsmuster angewandt wurden. Letztlich verknüpft Greindl zwei Forschungsthemen, die bislang viel zu selten zusammengeführt wurden: zum einen die Beschäftigung mit den Ereignissen des Dreißigjährigen Kriegs, zum anderen die Erforschung landständischer Phänomene. In beiden thematischen Segmenten bleibt noch viel zu tun, wobei sich manchmal auch Überschneidungen ergeben. Auf das Potential hingewiesen zu haben, das die Beschäftigung mit den Beständen der landständischen Bibliothek sowohl für die Erforschung des Dreißigjährigen Kriegs wie auch für die politische Kultur der bayerischen Landstände bietet, ist das große Verdienst dieses Beitrags.

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/66

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Neujahrsgruß für 1632

„Wunsche hiemit Ew. Kay. Mayt. in tieffster reuerenz ein vnd viel mehr hernachfolgendes gluckseliges, Frid: vnd Freudenreich Newes Jahr, vnd thue deroselben zu beharrlichen kay: milten gnaden mich allervnderthenigst empfehlen …“
Dies ist der Schlußpassus der Relation, die der Reichshofrat Hermann von Questenberg an Ferdinand II. über den Ligatag in Ingolstadt schickte (Ingolstadt 1. Januar 1632, Wien HHStA RHKz RTA 100b unfol. Ausf., ganz eigenhändig). Der Ligatag fand erst am 4. Januar seinen Abschluß, doch der kaiserliche Gesandte hatte offenbar schon zum Jahreswechsel genug mitbekommen. (Siehe dazu meine Dissertation S. 498 ff.)

Die Lage war nach der Niederlage Tillys gegen Gustav Adolf im September 1631 katastrophal; nach einem höchst erfolgreichen Kriegsjahrzehnt schienen alle Erfolge der 1620er Jahre wie weggewischt, ja der Kaiser und seine Verbündeten sahen sich einer nie dagewesenen Bedrohung gegenüber. Zu den militärischen Problemen kamen Spannungen unter den Verbündeten. Besonders die kurbayerischen Bemühungen, über eine französische Vermittlung einen Neutralitätsstatus im schwedischen Krieg zu erreichen und sich damit vom Kaiser zu distanzieren, belasteten die Beziehungen zwischen Wien und München. Hoffnung machte man sich am Kaiserhof allein wegen der Neuberufung Wallensteins, dessen sog. Zweites Generalat nun begann. Vor diesem Hintergrund erhalten die Wünsche Questenbergs für ein „glückseliges, fried- und freudenreiches Neues Jahr“, so formelhaft sie auch sein mochten, eine andere, tiefere Dringlichkeit.

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/59

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Jeremy Black und der Dreißigjährige Krieg

Das Konzept der Militärischen Revolution ist längst in die Jahre gekommen. Zudem hat es eine thematische Überdehnung erfahren, die es vom ursprünglichen Ansatz weit weg geführt hat. Jeremy Black hat an dieser Entwicklung in den vergangenen Jahren kräftig mitgewirkt. In seinem zuletzt erschienenen Buch versucht er nun auch, das Konzept auf eine neue Ebene zu transformieren; vgl. dazu meine Rezension in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 12 [15.12.2012], URL: http://www.sehepunkte.de/2012/12/20612.html.

Abseits von dieser Thematik bestechen die Publikationen von Black durch ihren breiten, weltweiten Horizont. Er vergleicht eben nicht nur englische mit der deutschen und russischen Geschichte, nimmt nicht nur osmanische Beispiele hinzu, sondern springt einfach weiter auf den indischen Subkontinent sowie nach Zentral- und Ostasien und vergißt dabei nicht, daß es auch eine afrikanische Geschichte gibt, die zu seiner Thematik etwas beizutragen hat. Natürlich fordert ein solcher welthistorischer Parforce-Ritt immer den Kritikaster heraus, der im Detail Unebenheiten und Unausgewogenes zu monieren findet. Aber das ist nicht der Punkt.

Vielmehr hat es einen ganz speziellen Verfremdungseffekt, den Dreißigjährigen Krieg nicht nur entsprechend reduziert (S. 59-71), sondern auch in ganz ungewohnten Vergleichskategorien vorzufinden. Ich gestehe, daß es mich durchaus irritiert, wenn binnen weniger Zeilen der Sprung von den Mandschu in China zum Dreißigjährigen Krieg und Englischen Bürgerkrieg vollzogen wird, um die allgemein bedeutsame Rolle der Kavallerie herauszustreichen (S. 53). Und mir ist im ersten Augenblick auch nicht wohl dabei, wenn dem Phänomen der schwindenden Rekrutenzahlen im Dreißigjährigen Krieg die zeitgleiche Tendenz der islamischen Reiche gegenübergestellt wird, „slave troops“ ins Feld zu führen (S. 67).

Aber genau damit ist ja schon etwas gewonnen: Wer jahraus, jahrein Wallenstein über die Schulter blickt, wie er seine Riesenarmeen zusammenstellt, und Gustav Adolf seine schwedischen Brigaden befehligen sieht, kann auch mal einen schrägen Blick auf Wohlvertrautes vertragen. Zumindest sollte man sich die Offenheit bewahren, solche ungewohnten Sichtweisen zuzulassen. Die Herangehensweise von Jeremy Black hilft dabei sehr. –

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/55

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