Wohin mit den Gefangenen?

Im Frühsommer 1623 hatte Christian von Braunschweig, bekannt vor allem als „toller Halberstädter“, mit seinen Truppen in der Nähe Göttingens, also im Territorium seines älteren Bruders Herzog Friedrich Ulrich, Quartier genommen. In Scharmützeln mit Einheiten der Armee der Liga, die damals im Hessischen operierte, hatte er einige Gefangene gemacht. Was sollte nun mit diesen geschehen? Am 1. Juli a.St. wies er die Stadt Göttingen an, die gefangenen Kriegsknechte nicht freizulassen; vielmehr sollte die Stadt sie weiterhin „mit nottürfftigem vnterhalt“ versorgen, bis andere Anweisungen kämen. Genau das geschah wenige Tage später: Am 7. Juli a.St. erteilte Christian seinem Generalgewaltiger (d.h. der frühmodernen Militärpolizei) den Befehl, daß er „noch heutt vor der Sonnen vntergangk, viertzig dero zu Göttingen entthaltenen gefangenen Soldaten vom feinde, den Lieutenantt vnd Officiers außsgenommen, Laße auffhencken“. Um den Ernst der Anweisung zu unterstreichen, fügte er hinzu, daß dies „bei vermeidung vnser hochsten vngnad“ geschehen solle. Der Generalgewaltiger präsentierte daraufhin der Stadt Göttingen diesen Befehl; bei der dort überlieferten Abschrift findet sich auf der Rückseite die Notiz vom Folgetag: „Vff diesen Schein seindt dem Gewalthiger 20 Gefangene vff sein darneben mundtlich andeuten ausgevolgtt worden.“ Der Vollzug fand also offenbar doch nicht mehr am 7. Juli, am Tag der Ausfertigung des Befehls, statt. Aber es besteht kaum ein Zweifel, daß zwanzig Kriegsgefangene mit dem Strang hingerichtet wurden. (StA Göttingen, Altes Aktenarchiv, Nr. 5774 fol. 2 Kopie; der Befehl an die Stadt Göttingen vom 1.7.1623 a.St. ebd. fol. 32 Ausf.)

Auf den ersten Blick mag diese Episode wie ein weiterer Beleg für die als zeittypisch angenommene Grausamkeit, vielleicht auch als Indiz für die damalige Rechtlosigkeit gelten. Allerdings gab es keine verbindlichen Regularien im Umgang mit Kriegsgefangenen; deren Tötung war durchaus möglich. Üblich war eine solche Maßnahme aber keineswegs, vielmehr widersprach sie den gängigen Handlungsmustern. Verwunderlich ist in diesem Fall, daß Christian von Braunschweig offenbar gar nicht erwogen hat, die gefangenen Kriegsknechte einfach „unterzustecken“, d.h. in die eigenen Truppen einzureihen. Diese Praxis war eigentlich in allen Armeen des Krieges verbreitet. Sie funktionierte auch deswegen so gut, weil sie beiden Seiten zugute kam: Die gefangenen Söldner fanden einen neuen Arbeitsplatz, und die eigene Armee erhielt Verstärkung. Die Alternative, nämlich die Gefangenen einfach freizulassen, auch mit der Auflage, daß diese nicht mehr in die Kämpfe eingriffen, widersprach den Gesetzen des Söldnermarktes: Solange die Möglichkeit bestand, daß eine Kriegspartei bereit war, weitere Söldner anzuwerben, war ein solches Verbot kaum durchsetzbar. Der Militärdienst war Broterwerb, und Faktoren wie Loyalität zu einem Herrscherhaus, dem Reich oder die Zugehörigkeit zu einer Konfession sollten nicht überschätzt werden.

Eine Erklärung für das Verhalten Christians läßt sich aus dem historischen Kontext ableiten. Der Söldnerführer befand sich damals in einer geradezu aussichtslosen Lage: Die Armee der Katholischen Liga unter Tilly stand bereit, um gegen ihn vorzurücken, während die Stände des Niedersächsischen Reichskreises massiv unter den Druck des Kaisers gerieten, jede weitere Unterstützung für Christian einzustellen oder gleich direkt gemeinsam mit Tilly gegen ihn zu kämpfen. Aus dieser Situation resultierte für die Armee des „Halberstädters“ eine nur geringe Attraktivität: Welcher Soldat würde bei einem Söldnerführer Kriegsdienste annehmen, dessen Sache nicht mehr viel Erfolg versprach? Die Kriegsknechte hatten ein ausgeprägtes Sensorium, um den Stellenwert eines Arbeitsplatzes einschätzen zu können – diese Form von Marktbeobachtung gehörte für jemanden, der im Krieg sein Glück machen wollte, dazu. Und Christian war sich offenbar darüber im Klaren, wie kritisch seine eigenen Erfolgsaussichten eingeschätzt wurden. Entsprechend harsch, aber auch konsequent war sein Handeln: Da die Gefangenen kaum in seiner eigenen Armee willig Dienst tun würden, sondern vielmehr bei nächster Gelegenheit „ausreißen“, also desertieren würden, kam ein Unterstecken nicht in Frage. Eine Freilassung auch nicht, da sie dann zum Heer des Gegners zurückgehen würden, der sich eindeutig im Aufwind befand.

Der Befehl, einige Gefangene hinrichten zu lassen, zeugt von Christians Verbitterung. Es mochte auch ein Signal an die eigenen Soldaten sein, mit dem er ihnen klar machen wollte, daß es nun keine armeenübergreifende Solidarität unter Kriegsknechten mehr gab. Christian zerstörte mit dem Tötungsbefehl die prinzipielle Annahme, daß auf beiden Seiten „ehrliche Kriegsleute“ standen, die in den Soldaten auf der anderen Seite nicht unbedingt einen Feind erkannten, sondern einen Standesgenossen auf derselben soziale Ebene. Genaueres können wir nicht sagen, da die Zeugnisse keine Auskunft über die Motivation und das Kalkül Christians geben. Aber vielleicht wollte der Söldnerführer auf diese Weise auch die Kohärenz der eigenen Armee stärken.

Nötig wäre es gewesen, denn am 11./21. Juli 1623 brach Christian mit seinen Truppen auf und strebte nach Westen, um das Reichsgebiet zu verlassen und sich auf das Territorium der Generalstaaten zu retten. Eine Entscheidung im Feld hat er wohlweislich vermeiden wollen. Allerdings stellte ihn das nachrückende Heer der Katholischen Liga unter Tilly knapp vor der Grenze bei Stadtlohn zur Schlacht, die am 6. August 1623 zu einem Debakel für den „Halberstädter“ geriet. Was aus den Gefangenen wurde, die in Göttingen verblieben waren, geht aus diesem Quellenbestand nicht hervor. Wir können plausibel annehmen, daß die Stadt sie spätestens nach der Schlachtentscheidung freigelassen hat. Gut möglich, daß viele von ihnen dann versucht haben, sich der siegreichen Armee der Liga wieder anzuschließen. Denn der Krieg und das Leben gingen weiter.

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/108

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Natürlich, eine alte Handschrift

“IV Kloster Lorch, Hort geheimnisumwitterter Handschriften Alte Klosterbibliotheken eigneten sich vorzüglich, wenn es galt alte Manuskripte zu fingieren (und zwar schon lange vor Umberto Ecos “Name der Rose”). So wurden in der Chronik der Truchsessen von Waldburg zwei erfundene frühmittelalterliche Adelslisten auf eine alte Chronik in St. Emmeram zu Regensburg und ein altes Messbuch im Kloster Murrhardt zurückgeführt. Bei der Aufarbeitung der Staufer-Überlieferungen des Klosters Lorch bei Schwäbisch Gmünd konnte ich feststellen, dass historische Traditionsbildung und der Bewertungsprozess der Kulturgutbewahrung eng korreliert waren. Und [...]

Quelle: http://ordensgeschichte.hypotheses.org/3518

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Besuch im Kloster Reisach im Inntal

Angeregt von einem Hinweis von Klaus Graf besuchte ich am Ostermontag, 1. April 2013, das Karmeliterkloster Reisach im bayerischen Inntal bei Oberaudorf. Den Komplex hat sicherlich jeder Italienurlauber bereits gesehen, der auf dem Weg von München zum Brenner war, da er in unmittelbarer Nähe der Autobahn liegt (vor der Ausfahrt Oberaudorf). Reisach war die letzte Klostergründung im Bistum Freising vor der Säkularisation. Es entstand 1731 als Gründung des geadelten Hofkammerrats Johann Georg von Messerer, Hofmarksherr im unmittelbar benachbarten Urfahrn (in Sicht- und Rufweite des [...]

Quelle: http://ordensgeschichte.hypotheses.org/3482

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Die Ergebnisse angewandter Selbstkontrolle der Computerspielewirtschaft

Die c’t behandelt in ihrer Ausgabe vom 25.3.2013 die Problematik der Umsonst-Spiele, die zurzeit besonders auf dem Smartphone kräftig boomen. Kennzeichen dieser Spiele ist, dass sie zunächst gratis gespielt werden können und erst nach einer Weile den Einsatz von Geld verlangen. Der Zeitraum “nach einer Weile” ist hier entscheidend, weil viel Erfahrung und Wissen in die Festlegung des richtigen Zeitraums fließen. Er darf weder zu kurz noch zu lang sein, weil sonst der Spieler vorschnell abspringt. Man merke, dass das nichts mit Spielspaß zu tun hat, sondern mit knallharter Kalkulation. Spieler können gewiss sein: Ihre Klicks finden die entsprechende Beachtung des jeweiligen Spieleherstellers.

Ist ein Spieler bereit, für das Weiterspielen zu bezahlen, sind das immer Kleinbeträge, die sich aber schließlich summieren. Diese Spiele sind bewusst so gestaltet, dass der Überblick über die bezahlten Beträge leicht verloren geht. Billiger sind die anfänglichen Gratisspiele gegenüber gekauften Spielen nicht. Die Möglichkeit der Kostenkontrolle über den Einsatz von Kredit- und Prepaid-Karten wird von den Spieleanbietern dadurch ausgehebelt, dass sie die Beträge von der Telefonrechnung abbuchen. Diese Bezahlvariante kann ganz leicht aktiviert werden, indem der Kunde eine Telefonnummer wählt oder eine SMS verschickt. Das ist so leicht, das können auch Kinder.

Da wundert es nicht, dass bald auf dem Smartphone oder Tablet auch um richtiges Geld gespielt werden wird. Als Beispiel nennt die c’t das Spiel Farmville in Großbritannien. Außerdem haben namhafte Spieleanbieter bereits Glücksspiellizenzen erworben. Bingo!

Wird uns das in Deutschland auch betreffen, wo wir doch die USK haben, die freiwillige Selbstkontrolle der Computerspielewirtschaft? Nicht nur, dass es sich hier um eine Selbstkontrolle handelt (ha, ha), auch ist die USK in ihren Leitkriterien der Auffassung, es sei umstritten, dass Spiele über Merkmale verfügten, die ein “pathologisches, als süchtig zu kennzeichnendes Spieleverhalten” fördern sollen (sh. Fußnote Nr. 5 in diesem Dokument). Ich empfehle der USK mal bei Mark Griffiths nachzulesen. Griffiths ist Psychologe und forscht über das Spielen.

Von einer unabhängigen Aufsicht könnte man eine verantwortungsvollere Haltung zu Spielen erwarten, aber von einer freiwilligen Selbstkontrolle? Da lachen ja die Hühner! Würde dieses Prinzip funktionieren, bräuchten wir keine Kontrollorgane wie Polizei, Steuerfahnder, Lebensmittel- und Fahrscheinkontrolleure.

Schade ist, dass Spiele und insbesondere Computerspiele auf diese Weise immer weiter in Verruf geraten. Oder was assoziieren Sie, wenn Ihnen jemand erzählt, sie/er würde auf dem Computer spielen, womöglich noch regelmäßig? Auf jeden Fall sollten Sie nicht zur freiwilligen Selbstkontrolle raten, es sei denn, sie wollen einen Witz machen.

Feibel, Thomas: Zum Zocken verführt, in: c’t 8 (25.03.2013), S. 82-89

Quelle: http://games.hypotheses.org/992

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Multiples vies paratextuelles: Vitruve, De Architectura

Un exemple de culture écrite tout à fait spectaculaire nous montrant l’importance de l’annotation est le cas de Vitruve ou plus précisément la tradition de son texte pivot sur l’architecture (“De Architectura”), le traité central pour notre connaissance des techniques architecturales de l’Antiquité classique. L’histoire de la tradition de ce texte est longue et paradigmatique, elle retrace la transmission d’une œuvre écrite sur plus de 2000 ans. La recherche contemporaine est riche en ce qui concerne la documentation de la filiation des témoins textuels (manuscrits et imprimés). Entretemps, certains outils numériques facilitent l’accès à ces sources, même si il manque encore un portail regroupant la recherche vitruvienne et l’ensemble de ses sources primaires. En outre, sur les sites existants, pas tous les exemplaires digitaux sont de bonne qualité et donc appropriés aux sortes de questions qui préoccupent une philologue et historienne du livre.

Vitruve, De architectura, BL London Harley 2767, fol. 16v

Vitruve, De architectura, BL London Harley 2767, fol. 16v

Sous cette approche, l’aspect fondamental de la transmission médiale et matérielle de ce texte mérite l’attention, elle dévoile, ce que j’aimerais appeler, des multiples vies. Bien sûr, nous ne possédons pas l’original du texte, et ce manque semble aussi être une chance inouïe. A travers l’histoire complexe des filiations textuelles, nous voyons les nombreuses copies et éditions essayant d’établir une sorte de dialogue avec un texte source virtuel et en quelque sorte aussi le transcender. Par exemple, nous savons grâce au texte retransmis que le traité contenait des illustrations (dont une, une rose des vents semble s’être perpétuée), mais celles-ci restent perdues … et ces images fantômes, alliées au texte existant, engendreront la fantaisie et l’impulsion créatrice de générations ultérieures de scribes et lecteurs, savants comme hommes du métier, les architectes.

Oxford BL, Auct. F.5.7 (Exemplaire de Pétrarque)

Oxford BL, Auct. F.5.7 (Exemplaire de Pétrarque)

Nous notons la transformation matérielle à travers les temps. Ecrit sur des rouleaux de papyrus vers les années 33 à 22 av. J.C., nous retrouvons le traité de Vitruve à l’époque carolingienne sur parchemin dans le fameux manuscrit MS Harleianus 2767, probablement commandité par Charlemagne et qui représente la plus ancienne copie existante de notre texte. Le traité n’est donc pas tout à fait inconnu au Moyen Âge. Il sera surtout mis en mire de façon plus intensive par les humanistes italiens, notamment Boccace et Pétrarque. De ce dernier nous avons un manuscrit annoté de sa propre main (vers 1350), aujourd’hui conservé à la Bodleian Library à Oxford. Une réception profonde du texte débuta avec l’humaniste florentin Poggio Bracciolini, qui découvrit en 1416 un exemplaire du texte dans la fameuse bibliothèque de St. Galle, en Suisse.  Et, bien-sûr, ce sera l’époque de la Renaissance où le texte jouera un rôle éminent, notamment en Italie aux 15e et 16e siècles, et aussi encore plus tard au 17e (par exemple sous Louis XIV avec la grande édition illustrée et traduction de Claude Perrault en 1673). En Italie, tous les grands noms de l’architecture se retrouvèrent en contact avec et autour de ce texte canonique, donnant un accès à l’art de construire de l’antiquité classique et apportant beaucoup d’énigmes aussi: Alberti, Bramante, Cesare Cesariano, Raphael, Antonio da Sangallo le jeune et Leonardo da Vinci pour en nommer que quelques-uns. Plusieurs d’entre eux essayèrent de traduire le texte ou de le faire traduire en italien (et l’illustrer), comme Cesariano, Raphael ou Antonio da Sangallo.

Vitruve, édition de Giovanni Sulpizio da Veroli, Rome: s.a. [ca. 1486],

Vitruve, édition de Giovanni Sulpizio da Veroli, Rome: s.a. [ca. 1486],

Avec l’apparition de l’imprimerie vers le milieu du 15e siècle une autre forme de matérialité de la transmission du savoir et de la diffusion des idées émergera, avec un autre support (le papier), une nouvelle vélocité et moins onéreuse que le parchemin écrit à la main. Il ne surprend donc pas que le texte de Vitruve soit lui aussi rapidement arrivé dans les officines, et cela peu après le début de cette invention. Comme avec beaucoup d’autres écrits, une comparaison avec la Bible ne serait pas exagérée, c’est grâce à l’imprimerie que les Dix livres d’architecture vitruviens vont pouvoir se répandre comme un feu à travers l’Europe, ouvrant ainsi le texte pour des couches de lecteurs diversifiées, dont aussi les architectes, loin du monde plutôt fermé des savants et hommes de lettres.

Une première édition sera éditée par Giovanni Sulpizio da Veroli et publiée à Rome vers 1486 (l’identité de l’imprimeur est incertaine). Cette édition est un point charnière en ce qui concerne l’histoire de la transmission du texte de Vitruve dans le cadre du changement médiatique et aussi pour l’étude paratextuelle: je la qualifierai de seuil, un objet délibérément non clos, faisant une offre, une proposition à ses lecteurs et dont l’éditeur est conscient des limites et des fautes. La mise en page est toute dans la tradition du livre médiéval, laissant de larges marges – et ceci délibérément comme le révèle Sulpizio dans sa lettre au lecteur. Il explique qu’il a laissé de larges marges et de la place libre pour que des lecteurs plus compétents que lui puissent y faire leurs ajouts et corrections et bien sûr aussi y ajouter les illustrations lorsqu’il y en aura. Voici donc un support où texte et paratextes sont conçus comme compléments, et les lecteurs sont appelés à se joindre à un effort collaboratif de la reconstruction du texte original et aussi à en faire son exégèse.

Vitruve, édition de Giovanni Sulpizio da Veroli, Rome: s.a. [ca. 1486], Ms Corsini 50. F.1, (Exemplaire de Giovanni Battista da Sangallo)

Vitruve, édition de Giovanni Sulpizio da Veroli, Rome: s.a. [ca. 1486], Ms Corsini 50. F.1, (Exemplaire de Giovanni Battista da Sangallo)

Une des copies de ce texte tombera sur un sol propice: dans les mains de Giovanni Battista da Sangallo, dit il Gobbo ‘le bossu’ (1496–1548), qui en fera un usage intensif, étalé sur plus de vingt ans d’utilisation – Sangallo y introduira des feuillets supplémentaires destinés à recueillir ses notes et dessins. Je ne peux ici aller dans les détails, mais nous y trouvons toutes sortes de variantes paratextuelles : l’ajout des titres des livres pour s’y retrouver dans cette incunable non paginée, des corrections de textes, des traces du travail de décodage du texte entrepris par un lecteur ne maitrisant pas vraiment le latin classique, des essais de traduction et bien sur des dessins, beaucoup de dessins – nous y trouvons des gloses textuelles et figuratives, et aussi parfois des mésinterprétations, ainsi que des remarques du lecteur sur ses propres annotations et dessins (“non sta bene”, “questo mi piace”). piace”). Malheureusement ce codex n’est pas (encore) accessible en ligne, mais seulement sous forme d’un facsimile imprimé.

Sans les notes de ce lecteur attentif – et sans les notes et traces dans les autres manuscrits et imprimés vitruviens de l’époque– nous saurions beaucoup moins sur la conception de l’architecture de l’Antiquité par les artistes et architectes de la Renaissance, une conception qui va aussi influencer leur façon de bâtir et concevoir l’architecture. L’impact vitruvien est tangible non seulement à travers l’histoire de transmission de son texte, mais aussi dans le travail concret des architectes de l’époque. Vitruve y laisse ses traces, par exemple aussi dans les croquis des artistes et architectes et les paratextes qu’ils y insèrent. Ainsi, un autre Sangallo, Antonio da Sangallo le jeune (le frère de Giovanni Battista), note à côté d’une de ses ébauches pour un portail ionique: “Non sta bene fu delle prime io facesse / non avea anchora inteso vitruvio / bene” (“Ce n’est pas bien, c’était un des premiers que j’ai faits; je n’avais pas encore bien compris Vitruve”).[i]
En fait ce serait un très beau projet de recherche interdisciplinaire d’étudier la réception de l’architecture à la Renaissance et à l’époque baroque bar le biais des inscriptions paratextuelles et autres traces laissés par les lecteurs dans les traités et dessins d’architecture, une idée que j’aimerais approfondir lors de ma conférence ce soir à Paris à l’EPHE/INHA.

Littérature (un petit choix)

Frédérique Lemerle – Yves Pauwels, Portail Architectura. Architecture, Textes, Images. XVIe et XVIIe siècles, Centre d’études supérieures de la Renaissance, Tours (http://architectura.cesr.univ-tours.fr/)

Claudine Moulin, Fascinating Margins. Towards a Cultural History of Annotation (02/2013, http://annotatio.hypotheses.org/93)

Vitruvius Pollio, Ten Books on Architecture: The Corsini Incunabulum with the annotations and autograph drawings of Giovanni Battista da Sangallo. Edited, with an introductory essay, by Ingrid D. Rowland , Rome: Edizioni dell’Elefante, 2003 (avec une introduction qui donne un aperçu sur les contextes historiques et une courte édtion des annotations)

et … merci à Georg Schelbert (@schelbertgeorg) et à sa profonde connaissance de l’oeuvre de la famille Sangallo.

[i] Il s’agit d’un dessin datant environ de 1527 qu’Antonio avait érigé dans les années 1510 (Florence, Gabinetto dei Disegni e Stampe dei Uffizi 989 recto); le portail ionique est décrit chez Vitruve dans le quatrième livre (IV, 6, 3–4).

Quelle: http://annotatio.hypotheses.org/222

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Tagungsbericht: Neue Forschungen zu sächsischen Klöstern. Ergebnisse und Perspektiven, Pirna, 26.-27.10.2012

Am 26. und 27. Oktober 2012 fand in Pirna (Sachsen) die Tagung – oder vielmehr ein Workshop – „Neue Forschungen zu sächsischen Klöstern. Ergebnisse und Perspektiven“ statt. Organisiert wurde die Veranstaltung, die viele, sehr verschiedene Aspekte der Geschichte von Klöstern abdeckte, vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde e.V. (ISGV) Dresden, insbesondere von Enno Bünz (TU Dresden/Universität Leipzig) und einigen seiner Doktoranden, vor allem Sabine Zinsmeyer und Dirk Martin Mütze. Bünz, der durch seine Studien zu Klöstern bekannt ist, hat diese Tagung als Begleitung, [...]

Quelle: http://ordensgeschichte.hypotheses.org/3356

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#gld13 | Reaktionen und Feedback zum Format “interaktive Netztagung”


Bild: L.I.S.A. | Das Wissenschaftsportal der Gerda-Henkel-Stiftung
 

Das Format von #gld13 | Geschichte Lernen digital als interaktive Netztagung – also eine wissenschaftliche Konferenz mit zwanzig Teilnehmern via Stream live ins Netz zu übertragen und die Reaktionen aus dem Netz via Twitter in Echtzeit einzubeziehen – war für alle Teilnehmer und Kooperationspartner ein Experiment. Auf der Seite von L.I.S.A. berichten die Veranstalter Marko Demantowsky und Christoph Pallaske von ihren Eindrücken. Übrigens: Einzelne Video-Mitschnitte der Vorträge werden ab dem 26. April 2013 wöchentlich auf L.I.S.A. veröffentlicht. Auch die Teilnehmer der Tagung wurden gebeten, zu einigen Punkten Ihr Feedback zu geben. Der folgende Überblick ist eine (anonymisierte) Auswahl verschiedener Kommentare zu vier Punkten:

1 | Konzept und Anspruch einer interaktiven Netztagung 
2 | Livestream und Video-Mitschnitt
3 | Twitterwall und Zuschauer-Beteiligung
4 | Diskussionen
 

1 | Konzept und Anspruch einer interaktiven Netztagung

  • Ist eingelöst worden. Mehr Zuschauer als meinerseits erwartet haben sich über Twitter und Forum auf LISA-Seite eingeschaltet mit Fragen und Kommentaren.
  • Der Anspruch, durch eine entsprechend strukturierte Moderation der Gesamttagung eine wirkliche online-Teilnahme zu ermöglichen, scheint nach den Reaktionen und vorläufigen Zugriffszahlen „von außen“ aufgegangen zu sein. Die Möglichkeiten, einen von der Fachzunft ja zumeist interne Diskussion durch die Öffnung nach außen zu Interessierten und ‚professionelle Laien‘ und Praktikern weniger hierarchisch zu führen, ist ebenfalls erkennbar gewesen. Das Internet hat demokratisierende Effekte.
  • Ich fand es toll, dass mit Livestream und Twitterwall die Möglichkeit genutzt wurde, sich an einer Tagung zu beteiligen, an der man als Lehrer irgendwo in der deutschsprachigen Pampa sonst hätte gar nicht teilnehmen können.
  • Überaus sinnvoll: Eindämmung des „Tagungstourismus“, gezielte & zeitsparende Teilnahme an einzelnen Vorträgen möglich, Veranstaltung vor Ort bleibt „schlank“.

2 | Livestream und Video-Mitschnitt

  • Videomitschnitte sind inzwischen schon Normalität geworden im wissenschaftlichen Tagungsalltag, und das zu Recht. Allein schon die Langzeitverfügbarkeit der Vorträge und der damit verbundene „long tail“ der Wahrnehmung rechtfertigt den Aufwand für Veranstalter und Redner.
  • Klappte toll, sicherlich an und zu sinnvoll, aber nicht immer, weil die starke Disziplinierung durch Zeit und Sicherung für die Ewigkeit doch einiges hemmte.
  • Ungewohnt, aber reizvoll. Wo der eine die unbekannte „Masse“ vor den Bildschirmen als bedrohlich empfindet, fand ich die Sache eher spannend.
  • Strikte Zeitdisziplin hatte wohltuende Auswirkungen auf den Ablauf, Kameras waren ungewohnt, aber nicht allzu irritierend (zumindest für Nicht-Referenten).
  • Als Referent fand ich das nicht beeinträchtigend. Die Kommentare der Teilnehmer außerhalb des Raums sprechen dafür. Es haben einige Interessierte, die nicht vor Ort waren, davon profitieren können.
  • Spannendes Experiment mit Interaktivität, aber nicht eingeschränkt immer zu wiederholen.

3 |  Twitterwall und Beteiligung der Zuschauer

  • Must-have bei jeder Konferenz. Wie schon gesagt wurde: Getwittert wird ohnehin, es gibt eben heutzutage zwei Ebenen bei Konferenzen. Offene Sichtbarkeit der Tweets für alle, auch den Redner, ist ein unbedingter Vorteil.
  • Halte ich nicht für erstrebenswert, weil es ablenkt und doch kaum auf die Tweets eingegangen wird; zudem sollte überprüft werden, ob wirkliche alle Tweets auf der Wall erscheinen; wenn es Auswahl ist, zählt Argumentation der Transparenz nicht.
  • Moderatoren und Referenten willens und in der Lage, online-Kommentare an passender Stelle aufzugreifen und zu beantworten.
  • Viele Fragen, die man nicht in 140 Zeichen packen kann – gerade zu diesem Thema. Ob Twitter für wissenschaftliche Kommentare und Fragen das richtige Format ist, bleibt fraglich.
  • Die Partizipation hat nicht zuletzt wegen kluger Moderation prima funktioniert und war sogar als Re-Entry äußerst lehrreich für die Akteure in der „ersten Reihe“ vor Ort. Von „Akteuren“ einerseits und „Zuschauern“ andererseits kann man dabei inzwischen ebensowenig mehr sprechen, wie von „Empfangsgeräten“. Ich denke da an die Radiotheorie von Brecht, der sich einen interaktiven Rundfunk gewünscht hatte. Jetzt haben wir ihn, und nicht nur als Rundfunk.

4 |  Diskussionen

  • Sind mir zu kurz gekommen. Die Bindung an das Mikrofon war hier sehr spontanitätshemmend. Kombination von live-gestreamten Vorträgen mit Fragerunde direkt zu den Vorträgen und Offline-Diskussionsrunde der Teilnehmer vor Ort wäre vielleicht eine Alternative.
  •  „Schere im Kopf“ bei manchen Teilnehmern?
  • Es wurde auch in formellem Design viel mehr diskutiert als auf klassischen Tagungen, und die Diskussionen hatten sofort Öffentlichkeit in die Fachcommunity hinein. Das hat Zukunft, denn: „It’s not the isolated brain, it‘s the community, stupid!“ (Stephen Downes).
  • Gehemmte Gruppendynamik im Tagungssaal wg. Warten aufs Mikro.
  • Gut gelaufen, lebendig, anregend.
  • Die Art der Diskussion mit dem Mikro reichen hat mich sehr gestört, unspontan, zu steif, zu wenig diskursiv; unbedingt mit Raum-Mikro arbeiten, wenn überhaupt; allerdings könnte ich mir auch Format mit Livestream ohne Aufnahme der Diskussion vorstellen, also manche Beiträge der Tagung öffnen, andere nicht.

Quelle: http://gelerndig.hypotheses.org/425

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Fachzeitschriftenartikel zum Fall “Stadtarchiv Stralsund”

 

Sehr geehrte Leser_Innen,

ein Fachzeitschriftenartikel zum Fall “Stadtarchiv Stralsund”.

Der Ausverkauf der Gymnasialbibliothek im Stadtarchiv Stralsund

Von Philipp Maaß unter Mitarbeit von Klaus Graf

Erschienen in: BuB : Forum Bibliothek und Information ; Fachzeitschrift des BIB, Berufsverband Information Bibliothek e.V Vol. 65, No. 2 (2013), p. 84-86

 

Am 5. Juni 2012 hat die Hansestadt Stralsund per Beschluss im nichtöffentlichen Teil des Hauptausschusses 5926 Bände der historischen Bibliothek des Stadtarchivs, nämlich den Teilbestand Gymnasialbibliothek, an den Antiquar Peter Hassold aus Dinkelscherben verkauft. Wir wollen in diesem Artikel eine kurze Chronologie der Ereignisse (Stand: 20. Dezember 2012) zeichnen und auch aufzeigen, wie derlei Kulturgutverlusten in Zukunft begegnet werden kann. Noch kann von einer umfassenden Aufklärung des Geschehens keine Rede sein. Das folgende ist also eher eine Zwischenbilanz als eine abschließende Bewertung der Affäre.

“Kulturgut ist unveräußerlich” (Satzung des Stadtarchivs Stralsund 2002)

“1984 – 2009 [...] war ich hier beschäftigt und kann mit ganz großer Ruhe sagen, in dieser Zeit ist kein Buch ein einziges Mal einem Benutzer vorgelegt worden, weil kein Benutzer danach verlangt hat. Hans-Joachim Hacker” (Ehemaliger Leiter des Stadtarchivs)

Eigentlich weiß man gar nicht so genau ,wo man anfangen soll: Bei den befremdlichen Äußerungen eines langjährigen Archivchefs einer Weltkulturerbe-Stadt zur mangelnden Nachfrage nach Büchern der Gymnasialbibliothek Stralsund? Beim Oberbürgermeister der Stadt Stralsund, der sich 2004 von seinem Stadtarchivar Hacker für sein Empfangszimmer 1090 historische Bände, unter anderem eine in plattdeutsch gedruckte Bibel von 1588, als dekorativen Raumschmuck bereitstellen ließ? Oder vielleicht beim Antiquar Peter Hassold, der einerseits ständig in den Medien die Rechtmäßigkeit seiner Geschäfte betont, andererseits bereit war, dem Stadtarchiv eine Honorarkraft zu finanzieren, um sich dann aus den Sammlungen bedienen zu dürfen?

Für die Fachwelt begann alles mit einem Kommentar von Falk Eisermann, Leiter des “Gesamtkatalogs der Wiegendrucke” an der Staatsbibliothek Berlin,  in dem Blog “Archivalia” am 22. Oktober 2012. Er war in einer Pressemeldung der Stadt Stralsund auf die Erwähnung der “Veräußerung eines Teilbestandes der ehemaligen Gymnasialbibliothek” aufmerksam geworden.  Eigentlich ging es im Beitrag nur um die Schließung des Archivs wegen Schimmelbefalls. Klaus Graf, der das Blog Archivalia betreibt und sich seit vielen Jahren mit Kulturgutverlusten beschäftigt, ging daraufhin der Sache auf den Grund und hakte bei der Stadt Stralsund nach. Der Pressesprecher der Stadt bestätigte am 30. Oktober den Verkauf der gesamten Gymnasialbibliothek an “einen Antiquar”. Mehr dürfe  er nicht preisgeben, da es sich um “schutzwürdige Interessen” handele.

Mittlerweile tauchten auch in den einschlägigen Portalen (Abebooks, ZVAB, Ebay usw.) erstaunlich viele Bände mit dem Besitzstempel des Stralsunder Stadtarchivs auf. Dabei handelte es sich teilweise um Pomeranica mit keinerlei (zumindest elektronischem) Nachweis in Deutschland und sogar um Bücher aus der bedeutenden Löwen’schen Sammlung. In der bibliothekarischen Mailingliste “Inetbib” machte Graf auf die unglaublichen Vorgänge aufmerksam. Ich kontaktierte ihn daraufhin, um eine Petition zu verfassen, die den Protest bündeln sollte. Es folgten eine Reihe von Protestnoten anerkannter Wissenschaftler und Pressemitteilungen von Berufsverbänden (u.a. VdA , VDB – BIB äußerte sich leider nicht) sowie nicht zuletzt zahlreiche Unterschriften unter die Petition. In den nächsten Tagen war in  überregionalen Tageszeitungen (u.a. FAZ, Süddeutsche Zeitung: “Vergessen, Verschimmelt, Verscherbelt”) vom “Stralsunder Bücherausverkauf” zu lesen. Die Stadt versprach daraufhin Aufklärung und setzte zwei renommierte Germanisten, Nigel Palmer und Jürgen Wolf, als externe Gutachterkommission ein, die zu dem Ergebnis kam, dass es sich bei dem Buchverkauf wohl doch nicht um einen “wertlosen Bestand” (Hacker) handele. Gerade als Ensemble, als geschlossenes Ganzes sei sie von großer Bedeutung für die Stadt- und Regionalgeschichte und eine wichtige Quelle der Bildungsgeschichte.

Die Stadt legte den Rückwärtsgang ein und versprach, den Verkauf umgehend rückgängig zu machen. Hassold zeigte sich generös und gab die noch nicht verkauften 5.278 Bände an die Stadt Stralsund zurück, wo sie momentan in “Thermo-Containern” aufbewahrt werden. Einen Teil hat der Antiquar als unverkäuflich vernichtet.

Ein von uns vermitteltes Angebot der Universitätsbibliothek Greifswald, den Rückkauf treuhänderisch zu verwalten und die Bände elektronisch zu erfassen sowie eine Erstrestaurierung durchzuführen, wurde aus uns nicht bekannten Gründen von der Stadt abgelehnt.

Die Archivleiterin Frau Nehmzow, die den Verkauf fachlich verantwortet hatte, wurde  fristlos entlassen. Man erfuhr, der Verkauf von angeblichen “Dubletten” sei seit den 1990er Jahren gängige Praxis gewesen, um damit die “historischen Buchsammlungen erhalten zu können” da von der Stadt keine finanziellen Mittel zu bekommen waren. Auch Förderanträge  an das Land seien mit der Begründung, es seien keine Bestände mit landesweiter Bedeutung, abgelehnt worden.

Mittlerweile hat die Stadt Strafannzeige gegen Frau Nehmzow gestellt: Im März diesen Jahres verkaufte sie für 20.000 € rund 1000 Bücher aus dem Stadtarchiv ohne Genehmigung. Der Vize-Oberbürgermeister der Stadt, Holger Albrecht, wurde von Frau Nehmzow beschuldigt, von den Verkäufen gewusst zu haben. Er wies die Vorwurfe zurück, was von Teilen der Stralsunder Bürgerschaft bezweifelt wird. Am 13. Dezember 2012 wurde laut Ostsee-Zeitung bekannt, dass der Antiquar Hassold eine Honorarkraft im Archiv bezahlte, ohne dass die Stelle von der Stadt genehmigt worden sei. Hassold habe sich dafür im März diesen Jahres 151 Bände aus dem wertvollen Pomeranica-Bestand des Stadtarchivs aussuchen dürfen.

Die maßgebliche Initiative der “Kampagne” zum Erhalt der Gymnasialbibliothek kam von Klaus Graf. Eine sehr heterogene kleine Gruppe Interessierter fand sich zuerst in einem Mail-Verteiler  zusammen. Es entstand eine Facebookseite, die zusammen mit anderen Social Media den Druck auf die Stadt erhöhten und als Austausch- und Kommunikationsplattform diente. Die Presseartikel zur Thematik wurden von uns gesammelt, und die Angebote der Antiquare zur späteren Identifizierung der Bände systematisch abgespeichert. Zwei Wikipedianer legten Artikel in der Wikipedia an, z.B. zum Stralsunder Gymnasium. Es war eine Kulturgutschutz-Kampagne, die nicht zuletzt mit Hilfe der Social Media erfolgreich war.

Damit die so geschaffene Infrastruktur auch bei künftigen Aktionen, mit denen man im Kulturgutbereich ja rechnen muss, zur Verfügung steht, haben wir beschlossen, uns als “Arbeitsgemeinschaft Kulturgut bewahren” zu organisieren.

Auch wenn der Ausgang der “Causa Stralsund” ein deutliches Warnsignal an alle Stadtkämmerer aussendet, die mit dem Gedanken spielen, kommunale Kulturgüter zu verkaufen, bleibt noch viel zu tun.

Bei allen, auch den kleinen Altbestands-Sammlungen muss sich die Überzeugung durchsetzen, dass es vor 1850 eigentlich keine “Dubletten” gibt, weil durch individuelle Provenienzmerkmale oder Druckvarianten keine Doppelstücke vorliegen. Hier muss die Position der “Schriftliches Kulturgut erhalten” in ihrer Denkschrift von 2009 immer wieder in Erinnerung gerufen werden. Wie wenig man auf die Durchsetzung buchhistorischer Binsenweisenheiten in der bibliothekarischen Praxis vertrauen darf, zeigt die Rechtfertigung der skandalösen Eichstätter Verkäufe frühneuzeitlicher Drucke aus Kapuzinerbibliotheken durch die Bayerische Staatsbibliothek in einem Untersuchungsbericht. Im November 2006 fand das Salzburger Benediktinerstift St. Peter nichts dabei, sogenannte Dubletten von Drucken seit dem 16. Jahrhundert zu versteigern.

In die Stralsunder Petition haben wir bewusst auch allgemeine Forderungen aufgenommen:

“Wir rufen die politischen Entscheidungsträger in Mecklenburg-Vorpommern, Landtag und Verwaltung, dazu auf, dringend rechtliche Regelungen in Kraft zu setzen, die solche Veräußerungen beweglicher Kulturgüter in Archiven, Bibliotheken und Museen wirksam verhindern können.

Alle schützenswerten Sammlungen im Land sind in das Verzeichnis national wertvollen Kulturguts (bzw. national wertvoller Archive), das derzeit noch leer ist, aufzunehmen und in die Denkmalliste als bewegliche Denkmäler einzutragen.

Das Denkmalschutzgesetz, das Archive vom Denkmalschutz ausschließt, ist zu ändern, damit denkmalschutzrechtliche Rettungsmaßnahmen (§ 20 Abs. 2 DSchG M-V) auch bei Archiven greifen können.

Die im Land Mecklenburg-Vorpommern bestehenden Archivbibliotheken sind als wichtige wissenschaftliche Spezialbibliotheken stärker zu fördern und besser für die Nutzung zu erschließen (insbesondere durch elektronische Bibliothekskataloge).”

Die Ziele unserer Arbeitsgemeinschaft haben wir so formuliert: “Was in den amtlichen Denkmal- und Kulturgutverzeichnissen steht, ist leider nur ein Teil des schützenswerten Bestandes an Geschichtsquellen und kulturellen Zeugnissen, an deren Erhalt ein öffentliches Interesse besteht. Adelsbibliotheken wie die Donaueschinger Hofbibliothek, Kirchenbibliotheken wie die in Eichstätt zusammengetragenen Kapuzinerbibliotheken oder 2012 die im Stadtarchiv Stralsund verwahrte (und nur mit schmerzlichen Verlusten dank unseres Einsatzes zurückgeholte) Gymnasialbibliothek samt weiteren wertvollen Büchern wurden in den letzten Jahren in den Handel gegeben und zerstreut. Immer wieder werden bemerkenswerte Schlossausstattungen auf Auktionen angeboten. Solche historischen Provenienzen (Herkunftsgemeinschaften) verdienen Schutz und Respekt, haben aber bisher – anders als archäologische und Baudenkmale – keine organisierte Lobby.”

Auch künftig wollen wir uns stark auf Social Media stützen und in einem Weblog kulturgut.hypotheses.org unsere Positionen zum Kulturgutschutz vertreten.

Internetquellen:

http://www.stralsund.de/hst01/content1.nsf/docname/Webseite_B8D598E4238E4E09C1257ABF00448714?OpenDocument Chronologie der Ereignisse (Stadt Stralsund)

https://abuveliki.wordpress.com/2012/12/08/causa-stralsund-sellout-of-an-archive/ (Chronologie, englisch)

http://archiv.twoday.net/search?q=stralsund (Berichterstattung im Weblog Archivalia)

Klaus Graf: Causa Stralsund. Darf eine Stadt ihr Kulturerbe in den Handel geben?

http://www.lisa.gerda-henkel-stiftung.de/content.php?nav_id=4101

 

 

 

 

Quelle: http://kulturgut.hypotheses.org/126

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CfP: Making and Breaking the Rules: Discussions, Implementation and Consequences of Dominican Legislation

Recent scholarship has started to address underexplored questions concerning the regulative and organisational structures of religious orders in the Middle Ages. Volumes have been dedicated, for instance, to the orders’ economic thought and organisation as well as questions of obedience. While a great amount of research has been dedicated to the Franciscans, the Cistercians and the Cluniacs, the Order of Preachers has been sidelined, despite the wealth of material that is available. This conference will focus exclusively on the Order of Preachers and seeks [...]

Quelle: http://ordensgeschichte.hypotheses.org/3351

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Kulturgeschichtliches zu den Himmelsrichtungen (V): die Mitte

Die Himmelsrichtungen hatten in der Kulturgeschichte Chinas ihren festen Platz in den – in ihren einzelnen Zuschreibungen zum Teil höchst unterschiedlichen – kosmologischen Systemen. (vgl. auch (I) der Norden, (II) der Osten, (III) der Süden und (IV) der Westen.

Zum Abschluss dieser Serie folgt die letzte der “fünf Himmelsrichtungen” (wu fang 五方) , nämlich die Mitte (zhong 中). Das Schriftzeichen “stellt eine von einem Pfeil in die Mitte getroffene Zielscheibe dar und bedeutet als Verb ‘in die Mitte treffen’.” [1]

Im Westen hat die Bezeichnung Chinas als “Reich der Mitte” das Ende des Kaiserreiches (1911/1912) überdauert (vgl. “Middle Kingdom”, “Empire du Milieu”, “Regno di Mezzo”, etc.) – so unrichtig diese Übersetzungen – historisch betrachtet – auch sein mögen: Ursprünglich stand der Begriff (Zhongguo 中國) für die “mittleren Staaten”, die Region entlang des Gelben Flusses (Huanghe 黃河),die von den vier Barbaren – den di 狄 im Norden, den yi 夷 im Osten, den man 蠻 im Süden und den rong 戎 im Westen umgeben war. [2] Seine Herausbildung im modernen Sinne erlebte der Begriff Zhongguo mit der Qing-Dynastie (1644-1912), die ihn auf das gesamte unter ihrer Herrschaft stehende Gebiet bezog. Neben dem chinesischen Kernland (Zhongguo benbu 中國本部, im Deutschen meist als “das eigentliche China” oder das “China der 18 Provinzen” und im Englischen als “China proper” bezeichnet) fielen auch das Herkunftsgebiet der ethnisch mandschurischen Dynastie sowie die Gebiete der Mongolen darunter. Chinesische Gelehrte des 19. Jahrhunderte beschränkten den Begriff auf die oben erwähnten 18 Provinzen. [3]

Derartige Zentrumsvorstellungen fanden sich jedoch keineswegs ausschließlich in China. Von Kulturen, die das Zentrum der Welt in ihrem Bereich vermuteten und bisweilen auch durch eine entsprechende Symbolik repräsentierten, sind neben den altorientalischen Reichen (Babylonier, Perser) und den Kulturen des klassischen Altertums auch indische und präkolumbische Kulturen zu erwähnen [4]. Allein in China dürfte dieses Konzept schließlich auch für den Landesnamen gebraucht worden sein. [5]  Der Umstand dass man in China entsprechende Vorstellungen hatte, hatte spätestens im 18. Jahrhundert Eingang ins europäische Allgemeinwissen gefunden. Im Zusammenhang mit den verschiedenen Vorstellungen über die Gestalt der Erde liest man in der Deutschen Encyclopädie:

“Aus diesen irrigen Vorstellungen folgten andere, z. B. daß man sich eine Stadt, eine Gegend, als die Mitte der Oberfläche der Erde dachte, dergleichen sich die Griechen von Delphi, welches daher ὀμφαλός, orbis umbilicus hies, die Juden von Jerusalem und noch heutzutage die Chinesen von Peking einbilden.” [6]

Nachdem Beijing erst im 15. Jahrhundert zur Hauptstadt des Reiches wurde, hatte man in der chinesischen Antike – zur Zeit der Han-Dynastie (3. Jh. v.- 3. Jh. n. Chr.) oder auch schon früher – das “Zentrum der Welt” (dizhong 地中) weiter südlich – etwa 80 Kilometer nordwestlich der damaligen Hauptstadt Luoyang 洛陽 (in der heutigen Provinz Henan) lokalisiert. Dieses “Zentrum der Welt” lag beim Songshan 嵩山, der traditionell als “heiliger Berg der Mitte” bezeichnet wurde.  [7] Die dortigen historischen Stätten wurden im Jahr 2010 auf die Weltkulturerbe-Liste der UNESCO gesetzt. [8]

[1] Wolfram Eberhard: Lexikon chinesischer Symbole. Die Bildsprache der Chinesen (München, 5. Aufl., 1996) 195 (“Mitte”). [nach oben]

[2] Grand Dictionnaire Ricci de la langue chinoise, Bd. 2, S. 248 (Nr. 2719, ‘中國’). [nach oben]

[3] Vgl. dazu Kai Vogelsang: Geschichte Chinas (Stuttgart 2012) 421 f. [nach oben]

[4] Manfred Lurker: Wörterbuch der Symbolik (Stuttgart, 5. Aufl. 1991) 852 f. (“Zentrumssymbolik”). Vgl. auch Alvin P. Cohen: Introduction to Research in Chinese Source Materials (New Haven: Yale University Press, 2000) 537. Endymion Wilkinson: Chinese History. A Manual. Revised and enlarged (Cambridge, Mass. 2000) 132 (Box 2: Zhongguo 中國). – Zur Zentrumssymbolik im alten Orient vgl. die Hinweise bei Friedhelm Hartenstein: “Kosmologische Implikationen des biblischen Monotheismus” In: Christoph Markschies, Johannes Zachhuber (Hg.): Die Welt als Bild. Interdisziplinäre Beiträge zur Visualität von Weltbildern  (Berlin 2008) 22 Anm. 22. [nach oben]

[5] Wilkinson: Chinese History, 132. [nach oben]

[6] Deutsche Encyclopädie, Bd. 8 (Frankfurt 1782) S. 691 (“Erde”). [nach oben]

[7] Cohen: Introduction, 537. [nach oben]

[8] “Historic Monuments of Dengfeng in “The Centre of Heaven and Earth” (http://whc.unesco.org/en/list/1305). [nach oben]

 

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/323

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