Piraterie: Der Mythos Klaus Störtebeker

Die Legende des furchtlosen Seeräubers, des Schreckens der Hanse und ihrer Pfeffersäcke ist wohl die beliebteste und bekannteste Geschichte der deutschen Piraterie. Ihr Ende soll sie in Hamburg gefunden haben. Betrachten wir das Legendengespinst einmal genauer, sieben wir Fiktion und dramaturgische Zusätze heraus – was bleibt übrig von der norddeutschen Heldengestalt Klaus Störtebeker?

von Dennis Störtebecker

Der historische Kontext

Klaus, Nicolaus oder Clawes Störtebeker hat als historische Figur eine Präsenz in unserer Gesellschaft, welche auf eine reichhaltige Quellenlage hindeutet. Betrachten wir die tatsächlich vorhandenen Dokumente über ihn, wird schnell klar: Die Gestalt des Piraten, wie wir sie heute kennen, ist historisch nicht fassbar. Zu wenige Quellen überliefern Informationen zur Person Klaus Störtebeker. Die jüngere Forschung zu seiner Biografie ist eng mit dem Wandel im Forschungsfeld der Piraterie verbunden. Sie konzentriert sich auf die Sozialgeschichte; auf das soziale Elend, das Piraterie hervorbringt und ihre Auswirklungen. Das vorrangige Problem, welches sich dem Historiker daher stellt, ist das Herausfiltern der wenigen Fakten über Störtebeker, von denen mit größtmöglicher Sicherheit gesagt werden kann, dass sie wahrscheinlich sind. Die konkrete Aufgabe lautet nun, die Sagengestalt des Klaus Störtebeker mit Hilfe der historischen Quellen zu entwirren und die wahre Person (soweit möglich) zu rekonstruieren. Die Trennung von Legende und historischer Person fällt nach über 600 Jahren Zeitspanne schwer, auch durch den Einfluss des Bildes von Störtebeker, welches sich (unabhängig von der Quellenlage) schon in der Gesellschaft verfestigt hat.

Wo und wann Störtebeker genau geboren wurde, ob er als einfacher Sohn eines Landarbeiters oder als Erbe eines Adelsgeschlechtes das Licht der Welt erblickte, wurde uns nicht überliefert. Seine Existenz kann erstmalig auf das Jahr 1380 datiert werden, in der Stadt Wismar, welche vermutlich seine Geburtsstadt war (wobei noch um die 20 weitere Städte dieses von sich behaupten).  Im liber proscriptorum1 der Stadt, dem Verfestigungsbuch, taucht der Name Nicolao Störtebeker als Opfer einer Schlägerei auf. Die Schläger werden aus der Stadt verbannt; mehr sagt uns die Quelle nicht. Bei einem Abgleich derartiger Überlieferungen mit dem angeblichen Wissen, welches wir heute über Störtebeker besitzen, zeigt sich eine tiefe Kluft.

Die Entstehung der Vitalienbrüder

Viele Jahre lang deutet nichts auf eine Karriere Störtebekers als Freibeuter hin, bis 1389 Königin Margarete von Dänemark zunächst Norwegen ihrem Reich zufügt und dann Schweden erobert, den schwedischen König gefangen nimmt und Stockholm belagert, welches sich der dänischen Belagerung allerdings widersetzen kann. In dem durch Familienbande mit dem König von Schweden verbundenen Mecklenburg, in den Städten Wismar und Rostock, werden alle Leute willkommen geheißen, die der Dänenkönigin schaden wollen und können, so auch „omnes malefici, omnes profugi, sive proscripti“. Zwielichtigen Seeleuten, Übeltätern und Geächteten wird eine sichere Zuflucht und Reichtum versprochen. Der versprochene Reichtum und die Aussicht auf einen sicheren Aufenthaltsort lockt große Gruppe von Menschen an, die sich einen Vorteil aus dem laufenden Konflikt versprechen. Sie sollen das belagerte Stockholm mit Lebensmitteln versorgen und werden mit herzöglichen Kaperbriefen ausgestattet, um Seeraub zu betreiben. Ausgerufenes Ziel der Piraterie waren dänische Schiffe und jene, die mit Margarete verbündet sind. Die Seeräuber lassen diese feine Unterscheidung jedoch schon bald über Bord gehen und rauben, plündern und entern jedes Schiff, das ihnen auf der Ostsee in die Hände fällt, ungeachtet der Herkunft und Nationalität.

Diese Gruppe von Seemännern wird schon bald unter dem Namen „Vitalienbrüder“ (die Lebensmittelbeschaffer) bekannt und mit ihr einer ihrer Hauptmänner, Klaus Störtebeker. Klaus Störtebeker selbst wird, wie bereits beschrieben, nur in wenigen Quellen direkt erwähnt. Informationen über die so genannten Vitalienbrüder, jene Söldner- und Kapergruppe, die im 14. Jahrhundert die Nord-und Ostsee unsicher machte, finden sich in Dokumenten, Verträgen und Briefen dagegen vielfach.

In einem Auszug aus der Lübecker Stadtchronik, der sogenannten Detmar-Chronik, ist die Gründung der Vitalienbrüder beschrieben: „In deme sulven iare warp sik tosamende en sturlos volk…unde heten sik vitalienbroder. Se spreken, se wolden tenn up de koninghinnen van Denemarken to hulpe deme koninghe von Sweden…” (In dem Jahr bildete sich eine nicht kontrollierbare Gruppe von Menschen… diese nannten sich Vitalienbrüder. Sie sagten, sie wollen wollten Krieg führen gegen die Königin von Dänemark, um dem König von Schweden zu helfen…).2

Das organisierte Treiben der Vitalienbrüder und der rege Schiffsverkehr auf der Ostsee machte sie, besonders aus dem Blickwinkel der Hanse, zur größeren Gefahr als der Krieg selbst. Ein Zoll wird von den Hansestädten erhoben, um Frieden erzwingende Schiffe auszurüsten, die sogenannten Vredeschepen. Auch lassen die Herren der Hanse verkünden, dass jeder, der den Seeräubern in irgendeiner Weise helfen sollte, das – beinhaltet die Ausrüstung mit Lebensmitteln, Waffen, Unterkünften oder auch einfach den Handel mit ihnen – mit Strafen bis hin zum Tode rechnen müsse.

Beutezug in der Nordsee

Eine weitere Nennung Störtebekers können wir auf den 15. August 1400 datieren, da sein Name in einem Vertrag zwischen dem Herzog von Holland und den Vitalienbrüdern genannt wird. Der Herzog befindet sich im Streit mit der Hanse, und die Vitalienbrüder sollen diesen Streit für ihn ausfechten. Der Herzog heuert die Vitalienbrüder als Söldner an, um die Hanse an ihrer fundamentalsten Stelle zu schädigen, dem Handel. In dem Vertrag werden Störtebeker und weitere Hauptleute erwähnt: „…dat wii een voerwarde ende gemacct heben mit…Stortebeker…van hore gemeenre vitaelgebroedere wegen tot honderte ende 114 manne toe“3 (…das wir einen Vertrag gemacht habenmit…Störtebeker…wegen der gemeinen Vitalienbrüder genannt, insgesamt 114 Mann…)

 

Mittelalterliche Karte des Nord- und Ostseeraums / Grafik: University of Texas Libraries

Mittelalterliche Karte von Nord- und Ostsee – Störtebeker war auf beiden Meeren zuhause / Grafik: University of Texas Libraries
 
 
 

Im Gegenzug für das Plündern der Schiffe der Hanse bietet der Herzog den Vitalienbrüdern einen Rückzugsorts und sichere Häfen an, in welchen sie ihr Beutegut verkaufen können. Die Vitalienbrüder sind wie elf Jahre zuvor mit herzoglichen Kaperbriefen und einem sicheren Rückzugsgebiet ausgestattet und bedrohen die Hanse erneut: „dat wii se tot onser vriensscap nehmen ende gheven him ludden goet, vry, vaste ende zeker geleide…”4 (Wir sie in unser Freundschaft aufnehmen und ihren Leuten ein gutes freies Geleit geben).

Die Aktionen der Vitalienbrüder ab dem Jahr 1400 führen auf Seiten der Hanse, insbesondere der Englandfahrer, welche von den Machenschaften der Seeräuber besonders schwer getroffen werden, zu der Entscheidung, eine Flotte auszurüsten, welche das Treiben der Piraten endgültig beenden soll. Auf Helgoland enden die Aktivitäten der Vitalienbrüder – und damit Störtebekers – mit der Niederlage gegen die hanseatische Flotte. Ob wirklich Klaus Störtebeker gefangen genommen wurde, kann nicht mit historisch genauer Sicherheit gesagt werden, aber da den Historikern aus der nachfolgenden Zeit keine größeren Piratenaktivitäten überliefert sind, können wir annehmen, dass wir das Ende des Seeräubers Störtebeker und den Beginn der Legendenbildung erreicht haben.

Historie und Legendenbildung

Im Verlauf des 14. und 15. Jahrhunderts erfuhr die Legende (beziehungsweise war es zu jener Zeit noch eine Erzählung oder Geschichte) relativ wenig Veränderung; der historische Störtebeker und die Vitalienbrüder dürften noch im allgemeinen Bewusstsein der Bevölkerung verblieben sein. Ab dem 16. Jahrhundert verfestigten sich jedoch die Geschichten, die sich mehr oder weniger von realen Geschehnissen unterschieden und sich mit den Ausschmückungen der Erzähler und deren Phantasie vermischten. Die Legende unterlag einer Um- und Überarbeitung, welche die Erfindung neuer und angeblich wahrer Tatsachen zur Folge hatte, die oft von aktuellen, zeitgenössischen Ereignissen beeinflusst wurden. Da die karge Quellenlage viel Interpretationsspielraum gelassen hatte (und immer noch lässt), konnte die Geschichte des Freibeuters immer so angepasst und umgedichtet werden, dass sie auf zeitgenössische Ereignisse anwendbar war.

Störtebeker wurde im Laufe der Zeit zum Ideal der einfachen Leute stilisiert, seine Piratenbande zu einer Gruppe von Sympathieträgern erhoben, welche den reichen Pfeffersäcken der Hanse zusetzten. Störtebeker wurde als Heldengestalt wahrgenommen, so wie es mit Piraten oft geschieht. Das Freibeutertum besitzt ein leicht als heldenhaft zu klassifizierendes Attribut: Freiheit. Piraten erscheinen uns als freiheitsliebende Romantiker, den Kampf gegen die Mächtigen suchend und niemandem als sich selbst verpflichtet. Dieses Attribut prägt das Bild Störtebekers noch im 21. Jahrhundert.

Historisch gesehen wurde der Seehandel durch die Piraterie Störtebekers und seiner Kumpane stark beeinträchtigt. Im Jahr 1392 stellte ein Beschluss auf dem Hansetag den gesamten Schonenverkehr der westlichen Ostsee für drei Jahre ein. Chroniken aus jener Zeit sowie Überlieferungen der Hanse berichten von enormen Preissteigerungen in Bezug auf die Güter, welche per Seeweg gehandelt wurden. Auch Lebensmittel, wie etwa Hering, wurden teurer. Sogar zu Hungersnöten soll das Treiben der Vitalienbrüder geführt haben. Aus einem Eintrag der Magdeburger Schöppenchronik wird die Situation deutlich: „…starben viele Leute und vor allem ungezählte Kinder. In diesen vier Jahren gab es einen großen Mangel an Korn, Nahrung, an Heringen und vielen Arten von Waren…“5 Als Held dürfte Störtebeker somit nicht auf alle seiner Zeitgenossen gewirkt haben.

Wer nach Bildern von Störtebeker sucht, trifft in der Regel auf einen Irrtum, welcher sich fest in der Geschichte Störtebekers verankert hat.

Anders als lange vermutet, stellt es nicht den berühmten Seeräuber dar, sondern Kunz von der Rosen, einen Berater des deutschen Kaisers Maximilian I. Dennoch zeigt die Abbildung das Bild Störtebekers, das die Menschen lange Zeit von ihm gehabt haben mögen: Ein wilder, zugleich edler Kumpane – natürlich mit verwegenem Barte.

Störtebekers Ende?

Besonders um die letzten Ereignisse im Leben des berühmten Seeräubers hat sich der legendenhafte Aspekt der Geschichte Störtebekers gerankt. Die Legende berichtet von einem heimtückischen Akt der Feinde Störtebekers, welche flüssiges Blei in die Ruderösen seines Schiffes gossen und die Seeräuber somit hilflos den hanseatischen Feinden auslieferten. Die historisch korrekte Version klingt allemal nüchterner: Störtebeker lag vor Helgoland im Schutz der Bucht (damals bestand noch eine Verbindung zwischen dem Inselfelsen und der östlich gelegenen Düne, welche einen nur von Nordwesten befahrbaren Naturhafen bildete) und ein starker Ostwind machte es seinem Schiff schlicht unmöglich, vor der aus Hamburg heraneilenden Flotte der Hanse zu fliehen. Dass Klaus Störtebeker wirklich am 22. April bei Helgoland von der Hanse gefangen wurde, wird durch einen Auszug aus der Chronik des Rufus (die Chronik der Hansestadt Lübeck im 12. und 13. Jahrhundert) bekräftigt, in dem es heißt : „Desser vytalien vovetlude weren genomet Wichman unde Clawes Störtebeker.“6 (Die Hauptleute der Vitalienbrüder Wichman und Klaus Störtebeker wurden gefangen genommen.) Dafür spricht zudem, dass der Name Klaus Störtebeker nach diesem Datum nicht mehr in den Berichten über Piraterie zu finden ist.

Auf dem Grasbrook im Süden Hamburgs sollen Störtebeker und seine Kumpanen schließlich ihr Ende gefunden haben. Und auch hier ist die Legendenbildung zu erahnen. Um seine Mannschaft vor dem Henker zu retten, schlägt Störtebeker einen Handel vor: Jeder seiner Leute, an welchen er nach seiner Enthauptung noch vorbeischreiten kann, soll begnadigt werden. Somit findet sich in nahezu jeder Geschichte über Störtebeker – sei es in Büchern, bei Festspielen oder in Filmen – die augenscheinliche Bestätigung dafür, dass der Geköpfte an elf seiner Kumpanen vorbeigeschritten sei und so ihr Leben gerettet hätte, wenn die anwesenden Offiziellen der Hanse die Abmachung nicht gebrochen hätten und daher alle Vitalienbrüder hinrichten ließen.

Eine historische Quelle, die dieses belegt, gibt es nicht. Von der Hinrichtung Störtebekers wissen wir nicht viel, nicht einmal, ob sie tatsächlich auf dem Grasbrook stattfand. Als 1887 auf dem Grasbrook zwei Schädel gefunden wurden, war schnell klar, dass einer der Schädel von Störtebeker sein müsse und man entschied sich, dass es der besser erhaltende von beiden sei.

Im Museum für Hamburgische Geschichte ist eine Rekonstruktion zu besichtigen, die nach diesem Schädel angefertigt wurde; eine wissenschaftliche Zusicherung, dass es sich bei dem erschaffenen Abbild wirklich um den Schädel des Piraten handelt, gibt es nicht.

Dem Quellenmangel zum Trotze

Das Interesse an der Geschichte des verwegenen Piraten führte über die Jahrhunderte dazu, dass die Lücken und leeren Seiten der Geschichte Störtebekers von den Menschen gefüllt wurden. Der Mythos hat ein Eigenleben entwickelt. Wir wissen heute so gut wie nichts über Störtebeker. Wer er wirklich war, ist nicht belegbar. Die Quellen schweigen beharrlich, oder sie sind uns nicht erhalten geblieben. Doch gerade das lückenhafte Wissen und das Verlangen der Menschen, der Geschichte ein Gesicht zu geben, beflügelt die Fantasie seit Jahrhunderten. Die wenigen Daten und Fakten, die wir aus dem Umfeld Störtebekers haben, werden dabei fest in die Legende eingebunden. Gut verdeutlichen lässt sich dies am Beispiel des Schiffes Bunte Kuh: Mal taucht es als das Schiff Störtebekers auf, mal als hanseatisches Schiff, auf welchem Störtebeker nach Hamburg gebracht wurde. Ein anderes Mal wird es zum Flaggschiff der hanseatischen Flotte, die gegen die Vitalienbrüder kämpft. Dabei wissen wir lediglich, dass die Bunte Kuh ein Schiff ist, das an der Aktion gegen die Vitalienbrüder teilgenommen hat. Allein der Name wurde, dank einer Rechnung über die Reparatur von Kampfschäden, in diesem Zusammenhang überliefert. Weder wurde es von Störtebeker kommandiert, noch war es das Schiff von Simon von Utrecht, dem Ratsherren, welchem fälschlicherweise der Sieg über die Vitalienbrüder zugesprochen wurde.

Betrachten wir diese Art der Legendenbildung, liegt der Schluss nahe, dass Klaus Störtebeker – der Quellenlage zum Trotze – nicht aus den Köpfen der Menschen verschwinden wird. Der Pirat, der Vitalienbruder, der einfache Mann Klaus Störtebeker mag uns zwar nicht überliefert sein, doch die Legende um die norddeutsche Heldengestalt wird nichts von ihrer Bedeutung einbüßen, denn ihre Hauptfigur, der Seeräuber Störtebeker, verkörpert das Streben nach Freiheit und Gerechtigkeit.

 

Quellen:

1 Wismarisches Verfestigungsbuch, Wismar, 1380.

2 MUB (Mecklenburgisches Urkundenbuch)XXII12442, Anm.

3+4HR (Hanserezesse) I 4, 605, Vertrag Herzog Albrecht –Vitalienbrüder.

5 Magdeburger Schöppenchronik, Magdeburg 1350.

6 Chronik des franciscaner Lesemeisters Detmar.

Literatur:

  • Bents, Harms: Störtebeker. Dichtung und Wahrheit. Norden, 2003.
  • Puhle, Matthias: Die Vitalienbrüder. Klaus Störtebeker und die Seeräuber der Hansezeit. Frankfurt a. M., 1992.

Quelle: http://www.hh-geschichten.uni-hamburg.de/?p=1147

Weiterlesen

Die Technisierung des Todes

von Norbert Fischer – Die Einführung der Feuerbestattung im späten 19. Jahrhundert veränderte den Umgang mit Trauer und Tod grundlegend. An der Schnittstelle von Trauerfeier und Technik prallten die Vorstellungen der Befürworter auf die konservative Haltung ihrer Gegner – sowohl sinnbildlich als auch architektonisch. Somit war auch der Bau des ersten Krematoriums in Hamburg lange umstritten, bis äußere Umstände die Stadt zum Handeln zwangen.

Die Einführung der modernen Feuerbestattung und der Bau der ersten Krematorien technisierten den Umgang mit den Toten und veränderten die Bestattungskultur grundlegend. Sie vollzog sich im Kontext einer Epoche, die sich mit Stichwörtern wie Hochindustrialisierung, Urbanisierung, Technisierung und Verwissenschaftlichung kennzeichnen lässt. Mit der Feuerbestattung war eine mechanistisch-materialistische Vorstellung vom Körper verbunden, der zufolge dieser als bloße Zusammensetzung einzelner Teile galt. Parallel zur bürgerlichen „Feier“ des Todes im Gesamtkunstwerk des landschaftlichen Parkfriedhofes schritt die Entzauberung von Sterben und Tod voran. Der Tod erschien nun immer mehr in seiner bloßen technischen Materialität. Für den Umgang mit Tod und Trauer wurden praktisch-rationale Aspekte wie Hygiene und Technik entscheidend. Die Einführung der modernen Feuerbestattung und der Bau des ersten Hamburger Krematoriums 1892 zeigen schlaglichtartig, wie sich der Wandel der Bestattungskultur in steter Wechselwirkung zu sozialen, wirtschaftlichen, technischen und politischen Veränderungen vollzog.

Die Einführung der modernen Feuerbestattung im späten 19. Jahrhundert

Die im späten 19. Jahrhundert eingeführte moderne, durch industrielle Technik geprägte Feuerbestattung wurde zur grundlegenden Reform im Bestattungswesen. Hamburg zählte dabei zu den Zentren der frühen Feuerbestattungsbewegung. Das 1892 eingeweihte erste Hamburger Krematorium war (nach Gotha 1878 und Heidelberg 1892) das dritte seiner Art in Deutschland. Als Ursachen für die Einführung der modernen Feuerbestattungen gelten allgemein jene Entwicklungen, die im Zusammenhang mit Hochindustrialisierung und Urbanisierung standen: rasches Bevölkerungswachstum und zunehmender Platzmangel auf städtischen Friedhöfen, wachsendes Hygienebewusstsein, Technisierung von Gesellschaft und Kultur, der schrittweise Bedeutungsverlust christlicher Traditionen und die allgemeine Verwissenschaftlichung der Gesellschaft.[1]

Insgesamt entwickelte sich die Regelung der rechtlichen Voraussetzungen für die Feuerbestattung und den Bau von Krematorien in den einzelnen deutschen Teilstaaten uneinheitlich. Preußen schuf erst 1911 eine entsprechende gesetzliche Basis. In Hamburg wurden die gesetzlichen Bestimmungen zur Feuerbestattung nach langwierigen Streitigkeiten zwischen Bürgerschaft und Senat unter dem Druck der schweren Cholera-Epidemie von 1892 erlassen. Auch musste die Anlage hier, im Gegensatz zu den öffentlichen Friedhöfen von Gotha und Heidelberg, auf Druck des Senats auf einem Privatgrundstück errichtet werden (das immerhin nahe des Ohlsdorfer Friedhofs an der heutigen Alsterdorfer Straße lag). Der Hamburger Senat wollte zudem die Benutzung des geplanten Krematoriums auf die ortsansässige Bevölkerung beschränken, um keine diplomatischen Konflikte mit Preußen aufkommen zu lassen – und preußisch waren damals bekanntlich auch die direkten Nachbarstädte Altona, Wandsbek und Harburg. Neben politischem und gesellschaftlichem Konservativismus bildeten vor allem die christlichen Kirchen den Hauptgegner der Feuerbestattung, weil die Einäscherung der christlichen Tradition zutiefst zu widersprechen schien.

Trotz aller Widrigkeiten setzte sich die moderne Feuerbestattung schrittweise durch. Es waren vor allem Vertreter des aufgeklärt-gebildeten, vor allem auch protestantischen Bürgertums, die sich in der Frühzeit der Feuerbestattung einäschern ließen: Akademiker bzw. Freiberufler, Kaufleute, höhere Beamte. Speziell in Hamburg betrug der Anteil kaufmännischer Berufe, freier Akademiker und Beamter unter den Eingeäscherten zwischen 1892 und 1895 fast zwei Drittel, unter den Beerdigten des Ohlsdorfer Zentralfriedhofs hingegen nur ein gutes Fünftel.[2] Die Anhänger der Feuerbestattung organisierten sich in Vereinen, um den Bau von Krematorien durchzusetzen. Der erste Vorstand des 1883 begründeten Hamburger Feuerbestattungsvereins verzeichnete drei Ärzte, drei Kaufleute, je einen Rechtsanwalt, Beamten, Chemiker, Ingenieur und Buchdruckereibesitzer.[3] Bei den Anhängern der Feuerbestattung handelte es sich um einen spezifischen Kreis innerhalb des gebildeten Bürgertums, der offensiv auf die gesellschaftlichen und technischen Entwicklungen reagierte und die sich nun entfaltenden (den neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen zu verdankenden) Potentiale entsprechend nutzte. Insbesondere Mediziner engagierten sich weiterhin für den Bau von Krematorien; nicht zufällig sprachen sich die internationalen medizinischen Kongresse 1869 in Florenz und 1871 in London für die Einführung der Feuerbestattung aus. Im Deutschen Reich waren es nicht zuletzt Vertreter der öffentlichen Gesundheitspflege, die auf die Bedeutung der Einäscherung für das Bestattungswesen vor allem der Großstädte hinwiesen. Nachdem Hygieniker und Ärzte für eine Ausbreitung hygienischer Gedanken in der Medizin gesorgt hatten, begannen sie nun in Zusammenarbeit mit Kommunalpolitikern, die öffentliche Gesundheitspflege in den Städten zu propagieren. Ärzte, kommunale Beamte, Architekten und Ingenieure wurden zu Trägern und Repräsentanten der neuen Hygienebewegung in den Städten. Dabei war das jeweilige Interesse und Engagement für die Feuerbestattung keineswegs rein ideeller Natur. Architekten erwuchsen neue Bauaufgaben, Rechtsanwälten winkte aufgrund der noch immer unsicheren Rechtslage ein weiteres Betätigungsfeld (zahlreiche Prozesse, etwa um Aschenbeisetzungen auf kirchlichen Friedhöfen, zeugen davon). Sich immer weiter professionalisierende Berufe wie Ärzte und Ingenieure konnten mit dem technischen Ausbau hygienerelevanter Einrichtungen ihre eigenen beruflichen Chancen ebenso steigern wie ihr gesellschaftliches Prestige. Jedenfalls gelang es den Feuerbestattungsvereinen bald in einigen deutschen Städten, eine hochtechnisierte Bestattungsart in einem stark von Traditionen geprägten Bereich wie Tod und Bestattung einzuführen, und dieser allmählich soziale Akzeptanz zu verschaffen.

Architektur an der Schnittstelle von Technik und Trauerfeier

Solange die nackte Technik aus Rücksicht auf herrschende Pietätsvorstellungen verborgen bleiben sollte, standen die Architekten vor einem Dilemma. Einen besonders aufschlussreichen Fall stellt hier das Hamburger Krematorium dar.[4] Errichtet nach Entwürfen des Architekten Ernst Paul Dorn, gilt es in seiner Synthese barocker, romanischer und byzantinischer Elemente als Beispiel für sehr späte Formen des Historismus.[5] Auf den ersten Blick fällt die Gestaltung des Schornsteins auf: Er wird an der Spitze von einem Zinnenkranz umgeben, seine Höhe von rund 25 Meter war baupolizeilich vorgeschrieben. Daneben prägen unterschiedliche Dachformen, wie Zeltdach und stumpfwinkliges Satteldach, den äußeren Eindruck. Zur architektonischen Gliederung des Gebäudes verwendete Dorn rote Verblendziegel und in geringem Maß Formsteine; Wandflächen setzte er teilweise durch einfachen Zementputz ab.[6]

Der Verarbeitung von Verblendsteinen maß der Architekt dabei besondere Bedeutung zu. Kunsthistorisch wird diese Gestaltungsweise als Ausdruck einer „fortschrittlichen und technisch modernen ‘Materialwahrheit’“ interpretiert; im zeitgenössischen Hamburg wurde sie bezeichnenderweise sowohl bei Industriebauten angewendet als auch in der sakralen Baukunst.[7] Ernst Paul Dorn selbst hatte noch kurz vor Fertigstellung des Krematoriums eine als Musterbeispiel technischen Bauens gerühmte Maschinenhalle für die Hamburger Industrie- und Gewerbeausstellung von 1889 errichtet.[8] Immerhin bildete die offensichtliche Nähe des Hamburger Krematoriums zur Fabrikarchitektur einen deutlichen Fingerzeig auf den technisch-industriellen Hintergrund der Feuerbestattung.

Bei der inneren Gestaltung verwirklichte Dorn die Idee eines Zentralraumes.[9] Mit ihrer achteckigen Grundform bot diese Halle bei Trauerfeiern Platz für rund 100 Personen; eine kleine Vorhalle beherbergte die Empore mit einem Harmonium. Eine gegenüber dem Haupteingang gelegene Nische markierte den Platz für die Aufbahrung des Sarges, die auf einem entsprechend geschmückten Katafalk erfolgte; hier fanden auch Ansprachen statt.[10] Dies versinnbildlicht den heikelsten Punkt der Feuerbestattung: die Schnittstelle von Technik und Trauerfeier.[11] Da die technischen Anlagen aus Rücksicht auf die Pietät in aller Regel in das Untergeschoss verbannt wurden, musste eine Verbindung zur Trauerhalle hergestellt werden. Dies geschah normalerweise durch eine Hebevorrichtung, die an ihrem oberen Ende in einen Katafalk mündete. Auf letzterem blieb der Sarg während der Trauerfeier aufgebahrt und glitt anschließend hinunter; die entstehende, den Blick auf die technische Anlage freigebende Öffnung wurde rasch wieder geschlossen (in Hamburg durch eine Rolljalousie). Im 1901 eröffneten Mannheimer Krematorium wurde der Katafalk zusätzlich mit einem von vier schlanken Säulen getragenen Dach versehen, das bei der Versenkung mit hinunterglitt und die Öffnung verschloss. Dass dieser Moment in der Öffentlichkeit als heikel empfunden wurde, zeigt folgender Pressekommentar zur Mannheimer Lösung: „Da das kaum mannshohe Dach leicht mit Kränzen und losen Blumen zu schmücken ist, so würde die Gruft wie mit diesen gedeckt und geschlossen erscheinen, und es ist wohl denkbar, daß ein solcher Abschluß der Trauerfeier von ästhetisch noch wohlthuenderer Wirkung wäre, als es in jenen Crematorien [Gotha und Hamburg] der Fall ist.“[12]

Traditionelle Atmosphäre: Trauerfeiern im Krematorium

Nach wie vor unter gesellschaftlichem Legitimationsdruck stehend, zeigten sich die Anhänger der Feuerbestattung bei der Gestaltung von Trauerfeiern in besonderem Maß bestrebt, traditionelle Pietätsvorstellungen nicht zu verletzen. Für derartige Rücksichten waren nicht zuletzt auch finanzielle Erwägungen ausschlaggebend: Nur eine genügende Auslastung der privat vorfinanzierten Krematorien konnte für einen kostendeckenden Einäscherungsbetrieb sorgen, und schon aus diesem Grund bemühten sich die Vereine natürlich um möglichst große Akzeptanz in der Bevölkerung. So verband die Feuerbestattungsbewegung die vorgegebenen Abläufe des Krematoriumbetriebes mit bekannten Versatzstücken der bei Beerdigungen üblichen Zeremonien. Die Zäsur, die der Einsatz moderner Technik bedeutete, wurde durch vertraute Muster der Sepulkralkultur übertüncht. Selbst wenn die Gestaltung der Zeremonien theoretisch den Angehörigen überlassen blieb, versuchte der Hamburger Feuerbestattungsverein über entsprechende Vorschläge immer wieder der Vorstellung entgegenzuwirken, dass mit der Einäscherung eine Absage an bisherige Traditionen verbunden sei.[13] Zu den wichtigsten (da sichtbaren) Arrangements zählte die Dekoration der Halle und des aufgebahrten Sarges mit Kränzen, Pflanzen und Blumen.[14] Verwendet wurden Arten, die als typische Zeichen der Anteilnahme galten (Palmen, Lorbeer, Immergrün, Rosen). Stimmungsvolle Gemälde und die im zweiten Jahr nach der Eröffnung angebrachten Bronzekandelaber sollten eine feierliche Atmosphäre im traditionellem Sinn erzeugen. Außerdem sorgte der Hamburger Feuerbestattungsverein gegen entsprechende Gebühren für Trauermusik und Trauergesang. Geistliche Traueransprachen fanden zwar häufig, aber keineswegs immer statt. Obwohl ab 1896 ein regelmäßig auf dem nahen Friedhof Ohlsdorf anwesender protestantischer Geistlicher auf Initiative des Vereins auch dem Krematorium zur Verfügung stand.[15]

Ein prominentes und daher gut dokumentiertes Beispiel, die Einäscherung des Pianisten und Dirigenten Hans von Bülow am 29. März 1894,[16] gibt detaillierteren Aufschluss über die sich bei den frühen Feuerbestattungen entfaltenden sepulkralen Muster und über die Einstellung der Beteiligten. Die Einäscherung Bülows, der sich 1887 in Hamburg niedergelassen hatte, geschah auf eigenen testamentarischen Wunsch. Bemerkenswert angesichts der Geschichte der Feuerbestattung erscheint zunächst, dass der Trauerzeremonie im Krematorium eine Feier in einer Hamburger Kirche vorausging. Nach der Kirchenfeier wurde der Sarg mit Bülows Leichnam zum Krematorium gefahren. Die dortige Trauerfeier war von Trauergesang und -musik geprägt (am Harmonium spielte Gustav Mahler) und mündete in einen weltlichen Nachruf. Schließlich glitt, untermalt von Gesang, der reichlich mit Blumen geschmückte Sarg mittels der hydraulischen Anlage in die Tiefe. Vor der Einäscherung entfernten Angestellte des Krematoriums den Trauerschmuck vom Sarg und übergaben ihn den Angehörigen; in Ausnahmefällen durften einzelne Blumen mit in die Verbrennungskammer gegeben werden – „gewissermaßen ein sinnlicher Ausdruck dafür, daß treue Liebe über den Tod hinausgeht“, wie der Vorsitzende des Hamburger Feuerbestattungsvereins, Eduard Brackenhoeft, in einer Broschüre vermerkt.[17] Zum darauf folgenden technischen Einäscherungsvorgang stand die Feier in keinerlei Verbindung.  Wie andere Vereine achtete auch der Hamburger Feuerbestattungsverein auf eine strikte Trennung zwischen Trauerfeier und Einäscherung, um die vielfach kritisierte Übergabe des Leichnams an die Technik zu kaschieren. Während sich die Trauerfeier im Krematorium in der Regel so eng als möglich an die auf Friedhöfen übliche Beisetzung anlehnte, wurde die Einäscherung und damit das eigentlich Neue unter Ausschluss der Öffentlichkeit vollzogen. Der Hamburger Vereinsvorsitzende Brackenhoeft hatte in seinen verschiedenen Publikationen zur Feuerbestattung in besonderem Maß die erforderliche Rücksichtnahme auf bestehende Traditionen betont: „Jeder neue Brauch wird am leichtesten dann volkstümlich und hat am ehesten dann Aussicht auf Verallgemeinerung, wenn er sich möglichst dem Hergebrachten anschließt. Ist doch die Abweichung von der Sitte oft einer der Hauptvorwürfe, die man den Freunden der Feuerbestattung macht.“[18]

Die Kommunalisierung der Feuerbestattung

Für die Feuerbestattung sollte es von großer Bedeutung sein, dass sie auch in breiten Arbeiterkreisen Fuß fassen konnte. Dies geschah im wesentlichen nach dem Ersten Weltkrieg, also in der Zeit der Weimarer Republik. Nun erwies sich die Feuerbestattung als ein entscheidender Baustein der Rationalisierung im kommunalen Bestattungswesen. Immer mehr Krematorien – auch das Hamburger – waren inzwischen, zum Teil auf gesetzlichen Druck, in kommunale Hände übergegangen, und die Einäscherungspraxis konnte gezielt in städtische Rationalisierungskonzepte einbezogen werden: „Die Friedhofsverwaltungen [besonders in Großstädten] haben ein lebhaftes Interesse daran, sie zu fördern, weil sie erhebliche Ersparnisse an Friedhofsgelände bringt. Dieses finanzielle Interesse, das sich naturgemäß auch auf die Kosten der Feuerbestattung selbst auswirkt, zwingt aber auch dazu, den Minderbemittelten Aschengrabplätze zur Verfügung zu stellen, die nicht mehr Raum in Anspruch nehmen, als für die Unterbringung der Aschenreste notwendig ist,“[19] hieß es von offizieller Seite. Die bessere Auslastung der Anlagen und effizientere Nutzung der Friedhofsfläche waren willkommene Folgewirkungen. Neue, pragmatische Formen der Aschenbeisetzung wurden nun entwickelt, die schließlich in den Formen anonymer Beisetzung münden sollten. Durch gezielte Gebührensenkungen gelang es den Kommunen, die Einäscherungszahlen deutlich zu steigern. Signifikant ist die Entwicklung vor allem in den Großstädten: In Hamburg beispielsweise, dessen erstes Krematorium 1915 kommunalisiert wurde, wuchs der Anteil der Einäscherungen an den Gesamtbestattungen stetig an. 1933 schließlich wurde auf Grund der steigenden Nachfrage auf dem Ohlsdorfer Friedhof das zweite, von Fritz Schumacher entworfene Hamburger Krematorium eingeweiht – letztes Bauwerk des von den Nationalsozialisten aus dem Amt getriebenen Oberbaudirektors. Insgesamt darf zumindest für die Städte behauptet werden, dass die Feuerbestattung in der Zeit der Weimarer Republik ihren „exotischen” Charakter verlor. Das bedeutete allerdings nicht, dass der Umgang mit ihr generell etwas Selbstverständliches wurde. Die katholische Kirche etwa erlaubte die Feuerbestattung erst seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil in den frühen 1960er Jahren. Gegenwärtig liegt der Anteil der Feuerbestattungen an den Gesamtbestattungen im deutschlandweiten Durchschnitt bei über 50 %, in einigen Städten und Regionen – darunter auch Hamburg – jedoch weit höher.



[1] Zur Geschichte der Feuerbestattung siehe Norbert Fischer: Zwischen Trauer und Technik. Eine Kulturgeschichte. Berlin 2002; siehe auch Axel Heike-Gmelin: Kremation und Kirche. Die evangelische Resonanz auf die Einführung der Feuerbestattung im 19. Jahrhundert. Berlin 2013.

[2] Eigene Auswertung folgender Unterlagen der Friedhofsverwaltung Hamburg: Sargregister 1892-1895; Feuerbestattungsregister 1892-1895 (Feuerbestattungen: n = 73; Beerdigungen: n = 76). Siehe auch Fischer: Umgang, 1986, S. 46.

[3] Eduard Brackenhoeft: Das Crematorium in Hamburg. Eine übersichtliche Darstellung der Entstehung, Einrichtungen und Betriebsvorschriften des Crematoriums in Hamburg. Hamburg 1896, S. 1, Fußnote.

[4] Für Beschreibung und Interpretation des Hamburger Krematoriums greife ich unter anderem auf folgenden Aktenbestand zurück: Denkmalschutzamt Hamburg: Akte Altes Krematorium Alsterdorfer Str. DA 39-407.301. Band 1-5. – Zur Geschichte der Krematoriumsarchitektur siehe Henning Winter: Die Architektur der Krematorien im Deutschen Reich 1878-1918. Dettelbach 2001.

[5] Hermann Hipp: Gutachten betr. Ehemaliges Krematorium Hamburg-Alsterdorf. 1976, S. 7. In: Denkmalschutzamt Hamburg, Akte Altes Krematorium.

[6] Brackenhoeft: Crematorium (wie Anm. 19), S. 10; Ernst Paul Dorn: Das Hamburger Crematorium. In: Deutsche Bauzeitung 26, 1892, S. 97.

[7] Hipp (wie Anm. 21), S. 7-8.

[8] Roland Jaeger: Hoch Hammonia! Gewerbe- und Industrieausstellung von 1889. In: Volker Plagemann (Hg.): Industriekultur in Hamburg. Des Deutschen Reiches Tor zur Welt. München 1984, S. 84-86, hier S. 85.

[9] Hipp (wie Anm. 21), S. 7.

[10] Brackenhoeft: Crematorium (wie Anm. 19), S. 12-13.

[11] Ernst Beutinger: Handbuch der Feuerbestattung. Leipzig 1911, S. 129.

[12] Illustrirte Zeitung Nr. 3010, 7.3.1901, S. 365.

[13] Eduard Brackenhoeft: Feuerbestattung und Pietät. Wien 1909, S. 4.

[14] Hierzu und der folgenden Beschreibung siehe Brackenhoeft: Crematorium (wie Anm. 19), S. 13.

[15] Ebd. S. 13 und S. 29-30.

[16] Bernhard Stockmann: „Ruht wohl, ihr teuren Gebeine“. Die Trauerfeiern für Hans von Bülow. In: Harald Weigel (Hg.): Festschrift für Horst Gronemeyer zum 60. Geburtstag. Herzberg 1993, S. 461-477.

[17] Diese Beschreibungen und das Zitat nach Brackenhoeft: Crematorium, 1986, S. 13-17 und S. 29-30.

[18] Eduard Brackenhoeft: Die Beisetzung der Aschen-Überreste Feuerbestatteter. Ihre Berechtigung und Gestaltung. Ein Beitrag zur Theorie und Praxis der Feuerbestattung. Hamburg 1904, S. 34.

[19] Frank/[Otto] Linne (Friedhofsverwaltung Hamburg): Aschengrabmale für den Ohlsdorfer Friedhof. Hamburg 1924, S. 6-8.

 

Quelle: http://www.hh-geschichten.uni-hamburg.de/?p=1226

Weiterlesen

Luise F. Pusch 70

Die feministische Sprachwissenschaftlerin Luise F. Pusch wird heute 70, der gestern dazu in der FAZ von Dietmar Dath verfasste Beitrag ist leider (noch?) nicht frei verfügbar, dafür gibt es in literaturkritik.de zwei Hinweise auf Neuerscheinungen:

Pusch, Luise F.: Gerecht und Geschlecht. Neue sprachkritische Glossen. Göttingen: Wallstein, 2014.
http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=18781

Die Sprachwandlerin - Luise F. Pusch. Zurufe und Einwürfe von Freundinnen und Weggefährtinnen. Göttingen: Wallstein, 2014.
http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=18782

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/603125209/

Weiterlesen

Bildpraxis der wissenschaftlichen Fotografie zwischen 1880 und 1920

Otto Lehmann: Sieben Aufnahmen zur Tropfenbildung von Flüssigkristallen, aufgenommen mit einem Projektions-Kristallisationsmikroskop, 29 x 21 cm, Silbergelatine, um 1904.

 

Im Zuge des Promotionsprojekts soll, um dem Begriff „Bildpraxis“ gerecht zu werden, sowohl nach den Eigenschaften des wissenschaftlichen Lichtbilds und dessen Verhältnis zum abgelichteten Gegenstand gefragt werden als auch nach den Entstehungsbedingungen der Aufnahmen und dem Umgang mit diesen.

Die Kategorie der wissenschaftlichen Fotografie umschreibt einen Bereich, der sich nicht zuletzt durch die Vielzahl an wissenschaftlichen Disziplinen und den dort herrschenden Methoden als ein sehr heterogener präsentiert. Daher galt es in einem ersten Schritt, den Bereich nicht nur zeitlich, sondern auch thematisch einzugrenzen. Dabei wäre eine Reduzierung auf eine wissenschaftliche Disziplin möglich gewesen wie auch auf ein übergreifendes Thema. Ausgehend von den Beständen im Archiv des Deutschen Museums, die die Grundlage für die Arbeit bilden, wurde bisher eine Fokussierung auf den Bereich der Mikrofotografie verfolgt.

Otto Lehmann: Sieben Aufnahmen zur Tropfenbildung von Flüssigkristallen, aufgenommen mit einem Projektions-Kristallisationsmikroskop, 29 x 21 cm, Silbergelatine, um 1904.



[...]

Quelle: https://www.visual-history.de/2013/12/10/dissertationsprojekt-bildpraxis-der-wissenschaftlichen-fotografie-zwischen-1880-und-1920/

Weiterlesen

Psychologie als SozialWissenschaft – wie Psychologen Erkenntnisse gewinnen

Jedes Fach hat seine Stereotype. Und auch wenn ich als Psychologe versucht bin darauf hinzuweisen, dass die Unterschiedlichkeit innerhalb von Gruppen im Vergleich zur Unterschiedlichkeit zwischen Gruppen in vielen Fällen größer ist als man meint, so ist es doch kaum bestreitbar, dass sich mir beim Betreten der Juristen-Mensa ein anderes Bild darbietet als beim Betreten der Philosophen-Mensa. Jedoch werden mir wohl viele PsychologInnen darin zustimmen, dass es kaum einen anderen (angestrebten) Berufsstand gibt, dessen Nennung von Anderen als derart intrusiv, als so unter die Haut gehend empfunden wird wie unserer. Der Satz “Ich bin Psychologe” scheint oft eine Art mentaler Nacktheit hervorzurufen; Menschen fühlen sich bis ins Innerste durchschaut und fangen an, ihr Verhalten doppelt und dreifach zu hinterfragen. Es hilft dabei nicht, wenn in Filmen eine gründliche psychologische Untersuchung ausreicht, um das Verhalten eines Menschen in belastenden Situationen punktgenau vorherzusagen (wie z. B. in ‘The Game’).

Psychologie ist die Lehre vom Erleben und Verhalten. Sie beschäftigt sich mit innerpsychischen Vorgängen. Dazu gehören körperliche, geistige und emotionale Prozesse. Sie untersucht Unterschiede zwischen Menschen auf jeder dieser Ebenen. Und sie erforscht die Wechselwirkungen von Individuum und Umgebung – Beziehungen, Gruppenprozesse, Mensch-Maschine-Interaktion und vieles mehr. Die zeitliche und räumliche Auflösung rangiert dabei von internationalen Langzeitstudien über die gesamte Lebensspanne bis hin zu im Labor dokumentierten biologischen Ereignissen, die nur winzige Sekundenbruchteile in Anspruch nehmen. So breitgefächert das Fach ist, so vielfältig sind auch die psychologischen Berufe. Psychologen sind in Beratungsstellen und Kliniken, in der Uni und im Labor, vor dem PC mit einem Statistikproblem, in der Schule als Fortbildungsleiter, in der Wirtschaft als Personalmanager, in der Marktforschung und als Werbefachmann, im Gerichtssaal und im Maßregelvollzug sowie als Testentwickler und -anwender tätig. Gemeinsam ist all diesen Menschen nur eins: das Studium der Psychologie.

Und durch diese akademische Ausbildung zieht sich der rote Faden der Wissenschaftlichkeit. Mit derselben rigorosen Methodik, die Physiker auf die Erforschung von Naturphänomenen anwenden, erkunden Psychologen alles Menschliche. Ob der Forschungsgegenstand die Liebe ist, das lebenslange Lernen oder der Wertewandel nach der Einführung von Smartphones – grundlegend ist die Fähigkeit, auf interessante Fragen sinnvolle Antworten zu finden. Da die Welt voller wundersamer Komplexität ist und wir Menschen vor Neugier nur so überquellen, gibt es interessante Fragen wie Sand am Meer. Bei der Entscheidung, welche Antworten sinnvoll sind und welche nicht, legen Psychologen die Kriterien an, die in der wissenschaftlichen Methode beschrieben sind. Diese Kriterien unterscheiden sich kaum von denen, die wir auch im Alltag verwenden, wenn wir etwas herausfinden wollen, mit einer Ausnahme: Im Alltag sind wir nicht nur darauf bedacht, die Welt so gut wie möglich zu verstehen, sondern wir wollen uns auch gut fühlen und unser Selbstbild bewahren. Und manchmal triumphiert unser Bedürfnis nach Selbstwert über unsere Neugier und wir behalten auch im Angesicht guter Hinweise für eine schlüssigere Alternative eine überholte, aber bequemere Sicht der Dinge bei. Wissenschaft lässt sich verstehen als der gesellschaftliche Zweig, der sich der Neugier verschrieben hat und ‘um jeden Preis’ rauskriegen will, wie die Welt tatsächlich beschaffen ist.

Als sinnvoll betrachten Wissenschaftler solche Aussagen über die Welt, die Ergebnis eines Prozesses sind, der auf den Prinzipien der Logik, der Systematik und der Falsifikation beruht. Kurze Randnotiz: Ungeachtet der Prinzipien und ihrer Bedeutung ist es allein schon eine kulturelle Errungenschaft, sich bei der Beurteilung von Aussagen den dahinterstehenden Prozess anzusehen. Der Schritt von der Frage “Wer hat das gesagt?” hin zu der Frage “Wie kommt dieser Jemand dazu, das zu sagen?” ist ein Schritt weg von Autoritätshörigkeit und hin zu einer differenzierteren Weltsicht. Dieser Perspektivwechsel hat in der Aussagepsychologie bspw. dazu geführt, dass heute nicht mehr wie früher die Glaubwürdigkeit eines Zeugen, sondern die Glaubhaftigkeit einzelner Aussagen untersucht wird. Die Worte eines Arztes oder Polizisten haben somit vor Gericht nicht von vornherein ein größeres Gewicht als die Worte eines heroinabhängigen Obdachlosen.

Logik

Logik beschäftigt sich mit Schlussfolgerungen. Beispiel:

Wenn es regnet, ist die Straße nass.
Die Straße ist nass.
Kann ich daraus schließen, dass es regnet?

Nein, denn es kann ja auch sein, dass die Kinder von nebenan mit dem Gartenschlauch spielen oder dass es gestern geschneit hat und heute wieder wärmer ist oder dass eine Kuhherde sich auf der Straße erleichtert hat. Aber was ist mit der nächsten Schlussfolgerung:

Nur dann, wenn es regnet, ist die Straße nass.
Die Straße ist nass.
Kann ich nun schließen, dass es regnet?

Ja. Ich weiß zwar immer noch, dass Straßennässe auch andere Ursachen haben kann als Regen, aber für die Beurteilung der Schlossfolgerung brauche ich ausschließlich die beiden Sätze und kein inhaltliches Hintergrundwissen zu Regen, Nässe und Straßen. Tatsächlich ist es ebendieses Hintergrundwissen, diese assoziative Fülle von Begrifflichkeiten, die eine Beschäftigung mit der formalen Logik erst notwendig macht. Hier noch ein drittes Beispiel, das die Entkoppelung vom Inhalt noch deutlicher macht:

Einige Frauen sind Männer.
Einige Männer haben Milchdrüsen.
Kann ich schlussfolgern, dass einige Frauen Milchdrüsen haben?

Die Antwort ist nein. Und der springende Punkt ist, dass wir es gewohnt sind, neben einem gewissen Maß an logischer Stimmigkeit auch unser alltägliches Hintergrundwissen bei der Beurteilung von Aussagen mit hineinspielen zu lassen. Und dieses Hintergrundwissen besteht nicht nur aus gut begründeten, empirisch prüfbaren Fakten, sondern auch aus unreflektierten dogmatischen Weltanschauungen. Dies trifft in besonderem Maße auf die Psychologie zu, weil jeder Mensch eine über das Leben gewachsene Meinung dazu hat, wie seine eigene Psyche funktioniert, welche Gesetzmäßigkeiten das soziale Miteinander ausmachen und wie andere Menschen ticken. Als Forscher darf ich jedoch nur den Teil meines Hintergrundwissens verwenden, den jeder Interessierte überprüfen kann. Somit erfordert der wissenschaftliche Erkenntnisgewinnungsprozess bei jedem gedanklichen Schritt erneut eine Überwindung meiner egozentrischen Perspektive und eine Rückbesinnung darauf, was die Realität tatsächlich hergibt und was ich daraus mit Sicherheit schließen kann.

Systematik

Systematik meint im Gegensatz zu wildem Rumstochern das gezielte Beobachten. Wenn ich bspw. mein Handy verloren habe, suche ich nicht wahllos die ganze Stadt ab, sondern überlege, wann ich es zuletzt in der Hand hatte und wo ich seitdem gewesen bin. Ich grenze die Suche stark ein, so dass ich am Ende ganz gezielt zuerst einen Freund anrufe und frage, ob er mal auf der rechten Hälfte seiner Wohnzimmercouch nachsehen kann und, falls er nichts entdeckt, das Fundbüro der Bibliothek kontaktiere. Systematisch vorzugehen bedeutet außerdem, alle Alternativerklärungen im Blick zu haben. Eine Zeugenaussage z. B. kann nicht nur entweder wahr oder gelogen sein. Sie kann auch durch Autosuggestion (sich selbst etwas einreden) oder Fremdsuggestion (z. B. Suggestivfragen) entstanden sein.

Falsifikation

Falsifikation ist dasjenige der drei Prinzipien, das einen stetigen Kontakt zur Realität gebietet. Es kann auch solche Gedankengebilde/Theorien geben, die in sich logisch und systematisch aufgebaut sind und die gleichzeitig jedoch keinerlei Bezug zu einer Wirklichkeit haben, an der mehrere Menschen teilhaben können. Solchen Luftschlössern wohnt eine Eigenschaft inne, die allen Theorien fehlt, mit denen Wissenschaftler sich beschäftigen: Sie können nicht widerlegt werden. Die Abbildung unten zeigt ein erfundenes Beispiel für eine schlechte Theorie, in der jede Kindheitserfahrung zu einer Neurose führen kann, die sich wiederum in ganz unterschiedlichen Formen manifestieren kann. Wenn alles mit allem erklärt werden kann, hat man nichts gewonnen. Gute Theorien unterstellen (“Hypothese” wörtlich) der Wirklichkeit konkrete Funktionsweisen oder Zusammenhänge. Je präziser die Vorhersagen sind, die sich aus ihr ableiten lassen, umso brauchbarer ist die Theorie, denn präzise Prognosen lassen sich leicht überprüfen.

schlechte TheorieFalsifikation bedeutet nun, dass Wissenschaftler stets auf der Suche nach Hinweisen sind, die Modelle von der Welt als falsch entlarven. Sie schauen sich eine Theorie genau an und sagen dann: “Ok. Wenn es stimmt, dass Raben schwarz sind, dann müsste ich ja, wenn ich in der Stadt einem Raben begegne, sehen können, dass er schwarz ist.” Wenn eine theoriegeleitete, gezielte Beobachtung nicht mit der Vorhersage übereinstimmt, wird die Theorie verworfen. Wenn das Vorhergesagte sich tatsächlich beobachten lässt, ist die Theorie jedoch noch immer nicht ‘wahr’. Wahr wäre die Raben-sind-schwarz-Hypothese nur dann, wenn wir alle Raben im gesamten Universum beobachten würden und sie allesamt schwarz wären. Das ist leider wenig praktikabel. Statt dessen führt die Suche nach Beweisen dafür, dass Theorien falsch sind, zu einem Prozess des Aussiebens, in dem schlechte Theorien ausgesondert werden und in dem diejenigen Modelle übrig bleiben, die zwar auch nicht ‘richtig’, aber dennoch so nah an der Realität sind wie heute möglich. Diese der Überprüfung standhaltenden Modelle beschreiben die Welt dann in der Regel so zutreffend, dass wir sie benutzen können, um uns das Leben zu erleichtern, z. B. in Form neuer Technologien oder effizienterer Heilmethoden.

Fazit

Psychologen – fernab jeder gedankenlesenden oder sonstigen übernatürlichen menschenkennenden Unternehmung – beschäftigen sich mit dem Erleben und Verhalten von Lebewesen. Neue Erkenntnisse über die psychische Welt erlangen sie auf wissenschaftliche Art und Weise, d. h. sie stellen schlüssige Vermutungen über Gesetzmäßigkeiten an und unterziehen diese dann einer Reihe von systematischen Realitäts-Checks.

Quelle: http://psych.hypotheses.org/96

Weiterlesen

Frühneuzeit-Info 2013 erschienen, Rezensionen auf recensio.net

Die neue Ausgabe der Frühneuzeit-Info ist Papier geworden und enthält die folgenden Beiträge; die Rezensionen sind bei recensio.net abrufbar (Links jeweils angeführt):

Aufsätze

Gernot Barnreiter & Beatrix Emperer-Raab
Dr. Johann Carl Seyringer. Ein Rechtsgelehrter in der Frühen Neuzeit

Ulrike Krampl
Bildungsgeschichte jenseits von Schule. Soziale Situationen von Sprachvermittlung im Paris des 18. Jahrhunderts

Stefan Albl
Poussins Freunde: Pietro Testa und Karel Philips Spierincks

Susanne Beiweis
Der Talisman: Das Brechen bestehender Analogien. Zur Rezeption antiker Magie bei Marsilio Ficino

Pelin Tünaydın
Pawing through the History of Bear Dancing in Europe

Renate Schreiber
Ein „neuer Seneca“. Elias Schiller, Praeceptor der Söhne von Kaiser Ferdinand II.

Projektberichte

Nikolaus Schobesberger
Räume und Einzugsgebiete der Wiener Fuggerzeitungen. Die Geographie eines frühneuzeitlichen Nachrichtenmediums

Linn Holmberg
The Unknown Rival of the Encyclopédie. The Maurists’ Abandoned Dictionary of Arts, Crafts and Sciences

Pavel Himl
Becoming a Citizen through Identification and Police Control? Bohemia 1770–1820

Nacim Ghanbari
Patronage und deutsche Literatur im 18. Jahrhundert

Literaturberichte

Stephan Steiner
Ulrich Friedrich Opfermann: „Seye kein Ziegeuner, sondern kayserlicher Cornet“.
Sinti im 17. und 18. Jahrhundert / Vera Kallenberg: Von „liederlichen Land-Läuffern“
zum „asiatischen Volk“. Die Repräsentation der ‚Zigeuner‘ in deutschsprachigen Lexika
und Enzyklopädien zwischen 1700 und 1850 / Norbert Mappes-Niediek: Arme Roma,
böse Zigeuner. Was an den Vorurteilen über die Zuwanderer stimmt
http://www.recensio.net/rezensionen/zeitschriften/fruhneuzeit-info/24-2013/ReviewMonograph316827994

Steffen Leins: Das Prager Münzkonsortium 1622/23. Ein Kapitalgeschäft im Dreißigjährigen Krieg am Rand der Katastrophe (Thomas Winkelbauer)
http://www.recensio.net/rezensionen/zeitschriften/fruhneuzeit-info/24-2013/ReviewMonograph316827996
Guillaume Garner/Matthias Middell (Hg.): Aufbruch in die Weltwirtschaft. Braudel wiedergelesen (Paulus Ebner)
http://www.recensio.net/rezensionen/zeitschriften/fruhneuzeit-info/24-2013/ReviewMonograph316827997
Sigrid Jahns: Das Reichskammergericht und seine Richter. Verfassung und Sozialstruktur eines höchsten Gerichts im Alten Reich, Teil I: Darstellung (Peter Rauscher)
http://www.recensio.net/rezensionen/zeitschriften/fruhneuzeit-info/24-2013/ReviewMonograph316827998
Michaela Schmölz-Häberlein: Kleinstadtgesellschaft(en). Weibliche und männliche Lebenswelten im Emmendingen des 18. Jahrhunderts (Peter Rauscher)
http://www.recensio.net/rezensionen/zeitschriften/fruhneuzeit-info/24-2013/ReviewMonograph316827999
Tyge Krogh: A Lutheran Plague. Murdering to Die in the Eighteenth Century
http://www.recensio.net/rezensionen/zeitschriften/fruhneuzeit-info/24-2013/ReviewMonograph335006576 (Evelyne Luef)
Daniel Bellingradt: Flugpublizistik und Öffentlichkeit um 1700. Dynamiken, Akteure und Strukturen im urbanen Raum des Alten Reiches (Stefan Seitschek)
http://www.recensio.net/rezensionen/zeitschriften/fruhneuzeit-info/24-2013/ReviewMonograph335006577
Martin Wrede: Ohne Furcht und Tadel. Für König und Vaterland. Frühneuzeitlicher Hochadel zwischen Familienehre, Ritterideal und Fürstendienst (Stefan Seitschek)
http://www.recensio.net/rezensionen/zeitschriften/fruhneuzeit-info/24-2013/ReviewMonograph335006578
Elena Taddei/Michael Müller/Robert Rebitsch (Hg.): Migration und Reisen. Mobilität in der Neuzeit (Renate Schreiber)
http://www.recensio.net/rezensionen/zeitschriften/fruhneuzeit-info/24-2013/ReviewMonograph335006579
Alena Jakubcová/Matthias J. Pernerstorfer (Hg.): Theater in Böhmen, Mähren und Schlesien (Renate Schreiber)
http://www.recensio.net/rezensionen/zeitschriften/fruhneuzeit-info/24-2013/ReviewMonograph335006580
Herbert Karner (Hg.): Andrea Pozzo (1642–1709). Der Maler-Architekt und die Räume der Jesuiten (Renate Schreiber)
http://www.recensio.net/rezensionen/zeitschriften/fruhneuzeit-info/24-2013/ReviewMonograph335006581
Raymond Heitz/York-Gothard Mix/Jean Mondot/Nina Birkner (Hg.): Gallophilie und Gallophobie in der Literatur und den Medien in Deutschland und in Italien im 18. Jahrhundert (Friedrich Polleross)
http://www.recensio.net/rezensionen/zeitschriften/fruhneuzeit-info/24-2013/ReviewMonograph335006582
Heinrich Bosse: Bildungsrevolution 1770–1830, hrsg. mit einem Gespräch von Nacim Ghanbari (Anton Tantner)
http://www.recensio.net/rezensionen/zeitschriften/fruhneuzeit-info/24-2013/ReviewMonograph335006583

Michael Wenzel
Medici, Habsburg und Bourbonen um 1600. Porträtkultur – Residenzkultur – weibliche Rollenbilder in Politik und Mäzenatentum.

Blaise Ducos: Frans Pourbus le Jeune 1569–1622. Le portrait d’apparat à l’aube du Grand Siècle entre Habsbourg, Médicis et Bourbons / Ilaria Hoppe: Die Räume der Regentin. Die Villa Poggio Imperiale zu Florenz / Christina Strunck (Hg.): Die Frauen des Hauses Medici: Politik, Mäzenatentum, Rollenbilder (1512–1743) / Christina Strunck (Hg.): Medici Women as Cultural Mediators (1533–1743)
http://www.recensio.net/rezensionen/zeitschriften/fruhneuzeit-info/24-2013/ReviewMonograph335006584

Veranstaltungen

Gernot Mayer & Nina Stainer
Internationaler Wissenschaftskongress „Barocke Kunst und Kultur im Donauraum“
Passau und Linz, 9.–13. April 2013

Maike Priesterjahn & Thomas Schwitter
Französische Historiographie um 1500. Im Spannungsfeld zwischen Markt und Hof, Berlin, 16. Mai 2012

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/534900644/

Weiterlesen

Die Qual der Wahl im Kampf um Kultur- und Wissenschaftpolitik

Würden Platons Philosophen die Wahl gewinnen..?!

Und wenn Platons Philosophen die Wahl gewinnen würden..?!

Kultur- und Wissenschaftspolitik spielten im Wahlkampf 2013 kaum eine Rolle und das obwohl alle Parteien nicht müde werden, die hohe Bedeutung beider Aspekte zu betonen. Dies mag daran liegen, dass Bildung, Hochschule und Kultur auf Länderebene angesiedelt sind und im Wahlkampf aus diesem Grund nur bedingt Versprechungen gemacht werden können – inwieweit diese dann eingehalten werden, ist nochmal eine andere Frage. Zumindest gibt es aber im Wahlprogramm aller großen Parteien Darlegungen zu diesen Themen, die sich durchaus mit übergreifenden Aspekten wie Finanzierung, Digitalisierung und Urheberrecht oder den Aufgaben von Kultur und (Geistes)Wissenschaft in der Gesellschaft beschäftigen. Die Herangehensweise der Parteien ist hierbei naturgemäß sehr unterschiedlich. Insgesamt ist aber wenig überraschend festzustellen, dass CDU und FDP mehrheitlich ähnliche Pläne verfolgen, die bestehendes schützen und sich an Neuerungen herantasten wollen. Die SPD zeigt sich bereits sehr offen für neue Tendenzen. Die Programme der Grünen und Piraten weisen vielfache Übereinstimmungen auf und treten stärker für Änderungen ein, gerade in puncto Open Access und digitaler Wandel. Die Linke ist zwischen ihnen und der SPD anzusiedeln.

I. Rang und Einordnung von Kulturpolitik im Parteiprogramm

Das Thema Kulturpolitik fassen CDU, FDP und auch SPD mit der Medienpolitik in einem Punkt zusammen. Keines der drei Wahlprogramme erklärt diese anscheinend selbstverständliche Zuordnung jedoch. Auch sind alle drei Stanpunkte zur Kultur recht kompakt, greifen jedoch angrenzende Bereiche in anderen Abschnitten auf, so die Arbeitsbedingungen im Kulturbereich, das Urheberrecht oder gesellschaftliche, mit Kultur verknüpfte Bildungsinhalte. Interessant sind die Oberpunkte, denen Kultur und Medien jeweils zugeordnet werden. Sie weisen in dieselbe Richtung wie das entsprechende Programm. Bei der FDP ist dies „Vielfalt und freie Wahl“, bei der CDU „Heimat schützen“ und bei der SPD „Bildung und Gleichberechtigung“. Die SPD ordnet unter den selben Programmpunkt auch Wissenschaft und Bildung. Bei der CDU und der FDP ist Forschung unter „Fortschritt“ angesiedelt. Die FDP greift zudem das Urheberrecht im Punkt „Freiheit“ noch einmal extra auf.

Etwas anders ist die Aufteilung bei der Linken, den Grünen und den Piraten. Im Wahlprogramm der Linken finden sich Bildungs- und Kulturpolitik unter dem Punkt „Solidarität neu erfinden“, wobei die Kultur- und Kreativwirtschaft einen eigenen Unterpunkt hat. Bei den Piraten ist Kultur ein Hauptpunkt, der, entsprechend den zentralen Anliegen der Partei, getrennt von Medienpolitik behandelt wird. Wissenschaft ordnen sie zu „Bildung und Forschung“. Das Parteiprogramm der Grünen zum Thema Kultur ist am umfangreichsten und umfasst unter dem Oberpunkt „Kunst und Kultur beflügeln“ sechs Unterpunkte. Auch die Medienpolitik wird unter „Freies Netz und unabhängige Medien für alle“ bei den Grünen, wie bei den Piraten, getrennt behandelt. Gleiches gilt für Forschung und Wissenschaft, die zu „Teilhaben an guter Bildung“ gehören.

II. Besonders betonte Inhalte des kulturpolitischen Programms

Die Mehrheit der Wahlprogramme bezeichnet Kultur und Forschung als einen zentralen Aspekt der Gesellschaft, der bei der Lösung sozialer Probleme helfen, moralische Werte aufrecht erhalten und Identität stiften kann. Aus diesem Grund wird betont, dass an den wert von Kultur nicht wirtschaftliche Gesichtspunkte, sondern ein eigenes Bemessungssystem angelegt werden muss. Zudem wird die Bedeutung von Kultur, Kreativwirtschaft, Bildung und Wissenschaft für den Arbeitsmarkt, Fortschritt und Wirtschaft hervorgehoben. Wegen dieser Vielzahl an Aspekten möchten alle Parteien die Bedeutung von Kultur und (Geistes)Wissenschaft im öffentlichen Ansehen erhöhen. Dabei haben sie weitgefasste Auffassungen davon, was Kultur beinhaltet. Sie schließen Hochkultur ebenso ein wie Alltagskultur, Subkultur, Freizeitmöglichkeiten und Kreativität im Allgemeinen. Aufgrund der Trennung der gesetzlichen Verantwortlichkeiten für Kultur, Bildung und Wissenschaft gibt es zwar Schnittmengen, im Allgemeinen werden aber die Geistes- und Kulturwissenschaften dem Kulturbereich nur bedingt zugeordnet.

Die zentralen Themen der Kulturpolitik, die für die Mehrheit der Parteien Reformen bedürfen, sind die Kreativwirtschaft, kulturelle Bildung, Teilhabe und Vielfalt. Das historisch-archäologisch wichtige Thema Kulturelles Erbe wird vor allem im Kontext mit der Verarbeitung der deutschen Diktaturen behandelt – die Grünen heben auch die Wiedergutmachung deutscher Kolonialgeschichte hervor. Die Baudenkmalpflege wird zudem u.a. von der Linken und auch der CDU besonders betont, die den Schwerpunkt des kulturpolitischen Programmes entsprechend ihres Mottos „Heimat schützen“ auf Bestand ausgelegt hat. Die Bodendenkmalpflege wird hingegen nur bei der SPD explizit als wichtige Aufgabe von Bund, Ländern und Kommunen erwähnt. Die starke Kritik von Seiten der Medien und Bürger an den Kürzungsplänen der SPD-Landesregierung in NRW im Frühjahr scheint sich die Partei zu Herzen genommen zu haben.

Inhalte, die sich nur bei einigen der Parteien finden, sind der Deutsche Filmförderfonds (DFFF) bei der SPD, das Programm „InvestOst“ bei der CDU, die stärkere Verknüpfung von Kultur und Tourismus zugunsten der Wirtschaft bei CDU und FDP und zugunsten des Kulturgüterschutzes bei der Linken. Grün macht zudem auch Sport als Aspekt des sozialen Zusammenhalts, privaten Engagements und Austausches zum Kulturthema.

Die Grünen und die Piraten möchten im Besonderen die Herausforderungen des Digitalen Wandels für Kultur und Wissenschaft thematisieren. Bei den Piraten sind die Inhalte ihres kulturpolitischen Programms naturgemäß eng an den Programmschwerpunkt Medienpolitik gebunden. Aber auch die Grünen betonen, dass eine bessere Nutzung der technischen Möglichkeiten und pluralistischen, partizipativen Kulturgüter weiter vorangetrieben werden soll. Dazu gehören für beide Parteien mehr Förderung für Digitalisierungs- und Archivierungsprojekte nicht nur im historischen Bereich und daran geknüpft transparentere Mittelvergabeverfahren. Zu diesen muss es auch gehören, die Freiheit zu haben, Neues auszuprobieren. Um die geforderten Freiräume zu schaffen, ist gerade für die Piraten ein größerer Einfluss der Kulturmacher in Politik und Gremien wichtig.

III. Verantwortlichkeit für und Finanzierung von Kultur zwischen Staat und Ländern

Die Mehrheit der Parteien – die SPD, die Linken, Grünen und Piraten ­– wollen Kultur als Staatsziel ins Grundgesetz aufnehmen und das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern aufheben. Dies hätte Auswirkungen auf den Kultur-, Bildungs- und Hochschulbereich, die verschiedentlich angegangen werden sollen. Insgesamt soll der Bedarf an Kultur besser mit den Angeboten in Übereinstimmung gebracht und vorhandene Infrastrukturen geprüft, verbessert und gestärkt werden. Auch sollen Kulturprogramme mit regionalem Bezug in den Händen der besser auszustattenden Kommunen verbleiben, wo die Expertise dafür angesiedelt ist. Bei größeren Aufgaben soll es dem Bund möglich sein, Koordinierungsmöglichkeiten zu schaffen, gute Ideen zu übernehmen und Defizite abzubauen. Dass hierfür eine Neustrukturierungen der finanziellen Verteilung und Fördermöglichkeiten notwendig ist, sehen auch die Parteien. Gerade die Aufgabe eines Bundeskulturministeriums soll es bei einem solchen kooperativen Föderalismus sein, neben der Kulturstiftung auch kleine Projekte, den Kulturschutz und die Vermehrung des zugänglichen Wissens zu stärken. Gerade für die SPD sind dies alles Aspekte auch für Stadtentwicklungsplanung, Sozialpolitik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft von Bedeutung.

Die CDU und die FDP sehen in einer Aufhebung des Kooperationsverbotes keine Lösung. Sie möchten stattdessen an der Finanzkraft der Kommunen und an einem Bildungspakt arbeiten, um die örtliche Daseinsvorsorge zu sichern. Die FDP würde hierbei eine Föderalismuskommission begründen und das Konnexitätsprinzip fest verankern, um die Bewältigung kultureller Aufgaben durch die Kommunen finanziell abzusichern. Daneben soll die Kulturförderung durch den Bund auch weiterhin als Vorbild für Länder und Kommunen dienen und die Rahmenbedingungen für Künstler, Kulturmacher und Wissenschaftler sowie die Zusammenarbeit mit den Bürgern als Konsumenten und Mitgestalter von Kultur sichern. Damit wird für die beiden Parteien ein Bundeskulturministerium überflüssig.

IV. Kulturpolitik und gesellschaftliche Kontexte

In Bezug auf die Verbindung zwischen Kultur, Geistesweissenschaften und Gesellschaft sind bei allen Parteien ähnliche Schwerpunkte, Gemeinsamkeiten und Unterschiede wie bei den besonders betonten Inhalten festzustellen. Einen Ausbau der kulturellen Bildung, Vielfalt und Teilhabe streben alle an, um mit ihnen Austausch, Integration und Toleranz herzustellen, soziale Spaltungen und den demographischen Wandel anzugehen und das Interesse an der Demokratie wieder zu stärken. Forschungen in diesem Bereich spielen jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Besonders neue Formate der Breiten- und Subkultur der vielen verschiedenen in Deutschland lebenden Gruppen sollen zu einem offeneren Umgang beitragen. Die Grünen fordern, Kultur dafür immer wieder an neue Gegebenheiten anzupassen und Neues auszuprobieren. Die Ideen können durch einen Ausbau privaten Engagements, z.B. in der Vereins- und Verbandskultur, geschehen, wie es CDU und FDP anstreben, oder durch eine stärkere Fokussierung auf kulturelle Bildung im schulischen und lebenslangen Lernen, wofür neben der CDU auch die SPD und die Grünen plädieren. FDP, CDU, die Grünen und die Piraten möchten sich zudem für die Stärkung der Medienkompetenz einsetzen. Von diesen Ideen weichen auch die Piraten kaum ab und stellen, passend zu ihrem Wahlprogramm, Transparenz und eine bessere Zugänglichkeit zu immateriellen Kulturgütern ins Zentrum ihrer Pläne.

In einen ähnlichen Bereich gehört die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik. Auch hierbei wollen alle Parteien Neugier, Kommunikation und Gleichberechtigung wecken und vermitteln. Ein spezieller Punkt ist dabei die Weiterentwicklung der europäischen Kulturpolitik, den die CDU in engem Zusammenhang mit der Wirtschaftspolitik sieht, während die Linke internationale Projekte in den Mittelpunkt stellen möchte.

V. Medien-/Internetpolitik, Urheberrecht und Kultur

Mit Entwicklungen wie Digitalisierungsprojekten, E-Learning-Möglichkeiten und Problemen mit dem Urheberrecht wird die Verknüpfung von Kultur-, Medien- und Netzpolitik immer enger. Aus diesem Grund greifen alle Parteien diese Themen in ihrem Wahlprogramm auf, zeigen sich dabei aber unterschiedlich innovativ. Einig sind sie sich darüber, dass ein reformiertes Urheberrecht ebenso notwendig ist wie flächendeckender Zugang zum Breitbandinternet. Während die Linke diese in öffentliches Gemeingut umwandeln möchte, sieht die FDP im freien Wettbewerb zwischen den Anbietern den richtigen Weg.Auch beim Urheberrecht herrscht kaum Einigkeit. Alle Parteien möchten die Urheber gerade im Internet besser schützen und zugleich die Möglichkeiten der Um- und Weiternutzung geschützter Inhalte weiterentwickeln. Für die CDU ist es dabei zentral, Urheber, Rechteinhaber, Verbraucher und Verwerter unter einem angepassten Urheberrecht zusammenbringen. Explizite Ideen für die dafür notwendigen Regelungen hat die Partei aber noch nicht entwickelt. Die SPD möchte neue wirtschaftliche Möglichkeiten der Kulturbranche im Internet fördern, wobei Künstler und Kreative zugleich Urheber und Weiternutzer geschützter Güter sein können. Auch möchte sie ein neues Urheberrecht bildungs- und wissenschaftsfreundlicher gestalten, Zweitpublikation vereinfachen und eine bessere Nutzung entsprechender Inhalte in Schulen und Hochschulen ermöglichen. Ebenso liegt es der FDP nahe Urhebern, Rechteinhabern und Nutzern gerecht zu werden. Der Schwerpunkt soll für sie jedoch weiterhin in der analogen Welt liegen. Für beide Welten möchte die FDP unterschiedliche Lizenzmodelle etablieren, ohne dabei auf bereits bekannte Modelle einzugehen, und die Freiheit der Urheber ausweiten, ihre Werke nach ihren Wünschen zu vermarkten. Das Programm der Linken beschäftigt sich schon intensiver mit den Möglichkeiten, die bereits zur Verfügung stehen. So wollen sie, wie auch die Grünen, die Verwertungs- und Nutzungsrechte unter Einbeziehung neuer Lizenz- und Vergütungsmodelle wie Creative Commons oder Crowdfunding reformieren. Zudem spricht sich die Linke für die Kulturwertmark als auf einer Kulturflatrate basierende Verwertungsgesellschaft aus. Die Piraten gehen noch einen Schritt weiter. Sie möchten die Urheber vor allem gegenüber den Rechteinhabern stärken, Zweitverwertungsrechte einräumen, undefinierte Nutzungen verhindern und ausschließliche Nutzungsrechte beschränken. Auch soll die Geltungsdauer des Urheberrechts gesenkt bzw. an die Bedürfnisse der Sparten und Nutzer angepasst werden. Alternativen Bezahl- und Finanzierungsmodellen gehören für sie selbstverständlich dazu. Auch ist es ein Anliegen der Grünen, für kommerzielle Nutzungen eine zentrale Anlaufstelle zum Erwerb von Bearbeitungsrechten einrichten. Für sie ist auch eine vereinfachte nichtkommerzielle (Weiter)Gestaltung von geschützten Werken zentral, die den Urhebern ein Mitbestimmungsrecht einräumt.

Sehr unterschiedlich sind die Meinungen der Parteien auch in Bezug auf Open Access. Die SPD will die Zugänglichkeit für Kultur, Wissenschaft und Bildung erweitern. Auch die Linke unterstützt dieses Prinzip. Sie möchte zusätzlich auch Open-Source-Softwares, E-Learning-Modelle und Digitalisierungsprojekte fördern, wenn sie hierzu beitragen. Hierfür sollen es zu einem Grundprinzip werden, dass öffentlich finanzierte Inhalte dauerhaft frei zur Verfügung stehen. Auch die Piraten und die Grünen stehen für die Nutzung von Open Educational Resources, für erweiterte urheberrechtsfreie Zugänge zu Kulturgütern für Bildungs- und Forschungseinrichtungen und mehr finanzielle Möglichkeiten für Digitalisierungsprojekte. Außerdem möchten die Grünen die Publikation von Forschungsergebnissen unter dem Open-Access-Prinzip im Allgemeinen ausweiten, die Piraten öffentliche geförderte Ergebnisse sofort, andere nach einem halben Jahr für alle zugänglich machen. CDU und FDP sind zurückhaltender bezüglich solcher Optionen. Zwar setzt sich auch die CDU für die Nutzung von Daten und Wissen für die Wissenschaft und die Zugänglichkeit zu Erkenntnissen in, allerdings nicht prinzipiell, sondern nach einer angemessenen Zeitspanne, die nicht näher definiert wird. Die FDP möchte das Open-Access-Prinzip für wissenschaftliche Ergebnisse nicht bedingungslos vorantreiben, sondern in jedem Fall der Zustimmung der Wissenschaftler überlassen.

VI. Bildungs- und Hochschulpolitik

Um die Wissenschaftslandschaft in Deutschland voranzubringen, sehen alle Parteien die Notwendigkeit von Reformen für diesen Sektor als notwendig an. Gerade für die CDU scheint der Schwerpunkt hierbei allerdings vor allem bei den Natur- und Ingenieurswissenschaften zu liegen, da sie stets den Kontext von Forschung und Technik betont. SPD, Piraten, Grüne und Linke hingegen stellen den Bezug von Forschung, gesellschaftlichen Fragen und sozialen Problemen in den Mittelpunkt und sehen hier eine enge Verknüpfung zu den Geistes- und Kulturwissenschaften.

Um die häufig prekären Situationen gerade von Nachwuchswissenschaftlern und dem akademischen Mittelbau zu verbessern, möchte die CDU ein Förderprogramm einführen. Wie genau dieses aussehen sollen, lässt sie offen. Im Gebiet Forschung ist es das Anliegen, die Exzellenzinitiative und den Pakt für Forschung und Innovation zu verlängern sowie herausragende Forschung in der Spitze und in der Breite mehr zu unterstützen. Um dies zu ermöglichen, möchte die CDU in diesem Bereich, im Gegensatz zur Kulturpolitik, die Zusammenarbeit von Bund und Ländern stärken, damit der Bund mehr Impulse vor allem für technologische Innovationen geben kann. Anliegen der SPD ist es, sachgrundlose Befristungen abzuschaffen und neue verlässliche Berufsperspektiven zu entwickeln. Für die Linke kommen Mindestlöhne im Wissenschaftssektor hinzu. Ihr Ziel ist es zudem, die finanzielle Grundausstattung des Wissenschaftssystems zu erhöhen. Dafür soll eine Neustrukturierung der Förderungsvergabe erfolgen, die auch Geistes- und Kulturwissenschaften stärker unterstützt. Auch Grüne und Piraten möchten durch höhere Haushalte Langfristigkeit und eine möglichst breite Aufstellung der Wissenschaftslandschaft – und hierbei auch eine strukturelle Stärkung der kleinen Fächer – in den Mittelpunkt stellen. Hierfür soll die Exzellenzinitiative auslaufen, die Breitenforschung anstatt nur spezifischer Wissenschaftszweige unterstützt und die Projektförderung transparenter und gleichberechtigter gestaltet werden. Als reformwürdig erachten beide Parteien das Wissenschaftszeitvertragsgesetz und hier vor allem die grundlose Befristung von Stellen. Für die Grünen ist auch in diesem Bereich ein kooperativer Bildungsföderalismus zwischen Bund, Ländern und Kommunen unerlässlich, um den Bund für Planung und Finanzierung der Hochschulen miteinbeziehen zu können. Die FDP möchte andere Wege gehen, die mit der Hochschulpolitik als Ländersache vereinbar sind. Mit einem flächendeckenden Wissenschaftstarifvertrag will sie die Personalstrukturen flexibler halten, attraktivere Arbeitsbedingungen für den Mittelbau schaffen und wissenschaftliche Laufbahnen sicherer machen. Forschung soll nach der FDP von den Studentenzahlen der Fächer mit freiwilliger Landesunterstützung sowie von Investitionen in „strategisch notwendige Forschungs- und Wachstumsfelder“ und der Exzellenzinitiative abhängen, womit die Geistes- und Kulturwissenschaften wohl mit weiteren Einbrüchen zu rechnen hätten.

VII. Personalpolitik im Kulturbereich und Künstlersozialkasse

Darüber, dass Kulturbranche und Kreativwirtschaft einen wichtigen Beitrag zur Wirtschaftskraft in Deutschland leisten, dafür jedoch zu wenig zurückbekommen, sind sich die Parteien einig. Die Einkommen und Absicherungen sollen verbessert und das Innovations- und Wachstumspotenzial dieser Bereiche gefördert werden. Hierzu gehören für alle Parteien eine Stärkung der Künstlersozialkasse mit Beachtung der besonderen Arbeitsumstände und neuen Tätigkeitsbereiche der Kreativen. Die Grünen möchten dies in ihre Bürgerversicherung integrieren. Die Urheberrechtsreformen sollen ebenfalls nach Meinung aller den z.T. schwierigen Arbeitssituationen Abhilfe schaffen und neue Vergütungsmöglichkeiten mit sich bringen. Die SPD, die Grünen und die Linke möchten zudem Mindestlöhne – Linke und Grüne auch Ausstellungsvergütungen, Honoraruntergrenzen und Gewinnbeteiligungen für Künstler – und neue Regelungen in der Arbeitslosen- oder Rentenversicherung für Kultur und Kreativwirtschaft einführen. Für die Piraten ist auch eine dauerhafte, nicht nur projektgebundene Absicherung der Künstler unabdingbar. Sie wollen, wie die anderen, auch Selbstständige besser unterstützen. Zudem soll nach der Linken der Unterfinanzierung von Kultureinrichtungen und Privatisierungen entgegengetreten werden. Die CDU sieht Lösungsansätze in der Fortführung der „Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft“, in engerer Zusammenarbeit von Kultur und Tourismus sowie in der Weiterentwicklung der Existenzgründer-Branche durch neue Gründungsfinanzierungen und Rahmenbedingungen für Crowdfunding. Auch hier scheint es jedoch, dass primär Jungunternehmen im Bereich Technik unterstützt werden sollen. Für die FDP ist ein Neuanfang der richtige Weg. Dafür sollen der Innovationsbeitrag der Kultur- und Kreativwirtschaft geprüft werden. Zudem kann für die FDP der Absatzmarkt von Kultur und Kreativen durch besseren Zugang zu Fremdkapital und ausländischen Märkten erweitert werden. Auch die Piraten und die Grünen möchten neue Wege gehen. Nach den Piraten soll ein größerer Teil des Kulturetats den Künstlern und ein Investitionspaket für Kultur den Kultureinrichtungen zugewiesen werden. Die Grünen sehen Möglichkeiten in der besseren Unterstützung der kleinen und mittelständischen Unternehmen in mehr Darlehen und Mikrokrediten und besseren Beratungsmöglichkeiten. Kunstförderung möchten sie besser an die schnellen Zyklen und kurzfristigen Entscheidungen dieser Branche anpassen. Außerdem ist es den Grünen wichtig, die Zukunftsfähigkeit von Kunst und Kultur durch mehr Möglichkeiten für neue Tätigkeitsbereiche, zunehmend auch im Netz, voran zu bringen. Mit einer stärkeren Unterstützung von Sozio- und Nischenkultur, der Aufhebung des Doppelfinanzierungsverbots und einem KfW-Sonderprogramm Kulturförderung möchten sie Kunst und Kultur zu einer sichereren Lebensgrundlage machen.

Weitere Infos zu Open Access in den Wahlprogrammen auf dem Science-Blog Frischer Wind gibt es von hier.
Einen schönen Vergleich der netzpolitischen Programme bietet t3n hier.
Eine ausführliche Darstellung der kulturpolitischen Planungen der einzelnen Parteien findet sich unter dem Schlagwort “Wahlkultur” auf kulturmanagement.net.

Quelle: http://kristinoswald.hypotheses.org/1066

Weiterlesen

Ein grüner Faden durch die Netzbiographie. Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck und die Botanik

Sein Name begegnet bereits in der Schule, wenn auch nicht im Geschichtsunterricht. Dafür jedoch beim Mikroskopieren dickblättriger Pflanzenteile, beim Pippettieren krautig riechender Säfte und natürlich in den unausweichlich folgenden Fragen der Biologielehrerin nach den bevorzugten Standorten von Salmia, Dyckia oder Reifferscheidia… . Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck ist in aller erster Linie bekannt als großer Pflanzenkundler, als begnadetes Talent und umtriebiger Wissenschaftspionier auf dem Feld der Botanik. Etliche Pflanzengattungen wurden nach ihm benannt, durch ihn erstmalig bestimmt. Insbesondere seine Abhandlungen zur Systematik der Kakteengewächse wie allgemein zu den Sukkulenten und natürlich sein Hortus Dyckensis, in dem er die zahlreichen, in seinem Dycker Schlosspark versammelten und kultivierten seltenen Pflanzenarten dokumentiert, brachten ihm eine entsprechende Reputation ein. Seine botanische Bibliothek (nach ihrer Versteigerung heute leider in alle Winde zerstreut) gehörte wohl zu den bestsortiertesten seiner Zeit. Der malerische Landschaftsgarten lockt demgegenüber noch immer viele Besucher nach Dyck.

All jenen Aspekten seines botanischen Wirkens sind in der multiperspektivischen Netzbiographie zu seiner Person einzelne Beiträge gewidmet. Darüber hinaus wird man in den zahlreichen weiteren, um ganz unterschiedliche Handlungsräume des Protagonisten kreisenden Artikeln immer wieder auf das Thema Botanik stoßen. Bereits während seiner Kavalierstour und insbesondere im Jardin du Roi zu Paris wurde der junge Graf in der Pflanzenkunde unterwiesen. Hier wurde seine Leidenschaft offenbar geweckt. Seine sozialen Netzwerke durch ganz Europa spannten sich primär längs der botanischen Wissenschaft, seine Ämterkarriere unter Napoleon I. ließ sich immer wieder vorteilhaft mit ihr verbinden. In preußischer Zeit hüteten livrierte Parkwächter seine kostbarsten Pflanzenschätze, und repräsentierten zugleich seinen standesherrlichen Anspruch. Selbst mancher Brief des Landwehrmajors handelt zuvorderst von – Kakteen… .

Die Botanik stellt eine tragende, ja vielleicht die zentrale Achse im Leben Josephs zu Salm-Reifferscheidt-Dyck dar. Dabei wird die Prominenz dieses Aktions- und Denkfeldes erst in der Fokussierung anderer Tätigkeitsbereiche durch ein Kollektiv spezialisierter Autoren, durch intensive Verlinkungen, gezielte Verschlagwortung (Tag Cloud) und innovative Visualisierung (Itinerar) wirklich deutlich. So entsteht Schritt für Schritt, trotz aller bisherigen Bekanntheit des “Botanikerfürsten”, ein neues, ein präziseres Bild Josephs zu Salm-Reifferscheidt-Dyck in seiner Zeit. Das ist so sicher wie der grüne Daumen!

Florian Schönfuß

Quelle: http://rhad.hypotheses.org/242

Weiterlesen