Die unwahrscheinlichen Weltkriege

Von Stefan Sasse

Hitler in Paris, 1940
Aus der Retrospektive betrachtet wirkt es häufig so, als ob die zwei Weltkriege, die im 20. Jahrhundert von Deutschland ausgingen, unvermeidbar und gewissermaßen in vorbestimmt gewesen waren. Diese Sicht täuscht jedoch. Weder der erste noch der zweite Weltkrieg waren unvermeidliche Ereignisse, nicht einmal bis kurz vor (oder nach) ihrem jeweiligen Beginn. Dies mag zuerst etwas merkwürdig erscheinen. Es soll hier auch kein Revisionismus betrieben werden; vielmehr geht es darum, einige Mythen zu entzaubern, die einem unverstellten Blick auf die Geschehnisse entgegenstehen. Zu diesem Zweck sollen im Folgenden beide Weltkriege auf die Wahrscheinlichkeit hin untersucht werden, dass sie sich zu der Katastrophe entwickeln, die sie schlussendlich darstellten.


Der Erste Weltkrieg entstand letztlich aus der Kette von Ereignissen, die sich nach dem Attentat auf den habsburgischen Thronfolger in Sarajevo herausbildete. Die untereinander verbundenen Großmächte und entstehenden Zwänge sind hinreichend bekannt und brauchen hier nicht wiederholt werden; Furcht vor dem Verlust der Initiative, dem Verlust der strategischen Lage (etwa durch Statusverlust gegenüber Bündnispartnern oder Bruch eines Bündnisses) und die Unmöglichkeit, die gegnerischen Intentionen akkurat einzuschätzen sorgten bis zum August für den Beginn eines blutigen Reigens, der vier Jahre lang andauern sollte. Oftmals hört man auch heute noch, dass die waffenstarrenden, stets kriegsbereiten Bündnisse einen Konflikt zu irgendeinem Zeitpunkt praktisch unvermeidlich machten. Dass dies nicht zutreffend ist, habe ich bereits an anderer Stelle im Essay "Blick in den Abgrund" deutlich gemacht.

Alfred von Schlieffen
Die Reaktionen der verschiedenen Diplomaten und Außenpolitiker während der Juli-Krise besitzen selbst keinen Automatismus. Bis zu den Mobilmachungen und den mit ihnen verbundenen Kriegserklärungen gab es zahlreiche Möglichkeiten, die Krise zu entschärfen. Aber was, wenn die Julikrise gar nicht erst ausgebrochen wäre, etwa weil Franz Ferdinand nicht noch ins Krankenhaus fährt? Wäre dann schlicht irgendwann später ein Ereignis eingetreten, das den Waffengang doch unvermeidlich gemacht hätte? An dieser Stelle lohnt es sich, die Fixierung besonders der deutschen Militärs auf die sich strategisch verschlechternde Lage Deutschlands einzugehen. Die russische Armee steigerte zwischen 1913 und (dem 1914 noch hypothetischen) 1916 ihre Kampfbereitschaft deutlich, sowohl durch technische Modernisierungen als auch durch mit französischem Kapital gebaute strategische Eisenbahnlinien. Die offensive deutsche Kriegsplanung aber sah vor, wegen der praktischen Unmöglichkeit einen Abnutzungskrieg gegen die Entente zu gewinnen einen schnellen Schlag vor der russischen Mobilmachung gegen Frankreich zu führen. Die die Militärs nicht müde wurden zu betonen wäre diese Strategie ab 1916 nicht mehr möglich gewesen, ja, hätte sich hier das Zeitfenster für jeden ernsthaften Offensivplan geschlossen. 

Angenommen, es hätte nun bis 1916 (oder, um das Argument sogar noch deutlicher zu machen, 1920) keinen bewaffneten Konflikt gegeben. Für Deutschland konnte die Konsequenz nur sein, den Krieg nicht mehr als Option zu betrachten, so wie es in den 1920er Jahren praktisch alle Großmächte auch taten. Wenn aber Krieg keine Option mehr ist, muss dem eine diplomatische Umgewichtung entgegenstehen. Abrüstungsinitiativen wie etwa die amerikanischen zu Beginn der 1920er Jahre (wie ich sie in "Aufstieg und Fall der liberalen Weltordnung" beschrieben habe) wären hier eine Möglichkeit. Das Szenario ist nicht so absurd, wie es auf den ersten Blick scheint. In der Haager Konferenz, aus der schließlich die Haager Landkriegsordnung von 1907 hervorging, hatte Russland ähnliche Vorschläge gemacht, weil es sich damals in einer ähnlich unterlegenen Position sah wie Deutschland zehn Jahre später. Der Unterschied aber wäre, dass der Rüstungswettlauf gerade in den Jahren zwischen 1900 und 1914 immer gewaltigere Kosten verursachte, die kaum mehr zu stemmen waren, was die Anreize für alle Beteiligten gegenüber 1907 erhöhte. 

Abzeichen der französischen Maginot-Besatzung
Gleichzeitig ist es denkbar, dass sich die Einsicht durchgesetzt hätte, dass die Unmöglichkeit eines Offensivkriegs eine Defensivstrategie notwendig macht. Wenn auf allen Seiten die korrekte Analyse gezogen worden wäre, dass mit dem damals aktuellen Waffenarsenal die Defensive die Oberhand über die Offensive hatte (eine Lektion, die 1915 erst blutig gelernt werden musste) wäre ein weiterer Anreiz für das Suchen nichtmilitärischer Lösungen gefunden gewesen. Der Erste Weltkrieg erscheint unter diesem Gesichtspunkt als ein Unfall, eine Anomalie, und nicht als ein unabwendbares Ereignis. Dies sollte gerade im Hinblick auf Krisen der heutigen Zeit hoffnungsvoll stimmen und uns eine bessere Performance von unseren eigenen Außenpolitikern erwarten lassen. 

Mit dem Zweiten Weltkrieg ist die Sache anders gelagert. Wenn ich sage, dass der Zweite Weltkrieg ein unwahrscheinliches Ereignis war, so will ich nicht den rechtsradikalen Revisionisten das Wort reden die glauben, dass Hitler eigentlich Frieden wollte und nur durch ein kriegslüsternes Albion auf den Kriegspfad getrieben wurde. Ab 1934 war ein deutscher Krieg in Europa unvermeidlich, solange Hitler die Macht in Händen hielt. Er arbeitete auf ihn hin, er wollte ihn von Anfang an und er ließ sich von Realitäten und Fakten nicht abhalten. 

Ebenso möglich wie Pearl Harbor: ein Rückzug aus China
Unwahrscheinlich ist vielmehr etwas anderes: dass Hitlers Krieg sich zu dem mörderischen Weltkrieg ausweitet, der er denn dann wurde. An mindestens fünf Punkten bis 1941 alleine wäre für Nazideutschland ein ziemlich schnelles und unvorteilhaftes Kriegsende das wesentlich wahrscheinlichere Ergebnis gewesen, und der japanische Angriff auf Pearl Harbor, der den Krieg überhaupt erst zum Weltkrieg machte, indem er die Kriegsschauplätze über die Klammer der mächtigen USA verband, war keine feste, sondern vielmehr gegenüber anderen Szenarien unwahrscheinlichere Entwicklung, wie Eri Hotta in seinem Buch "Japan 1941: Countdown to Infamy" dargelegt hat. 

Hätte Hitler seinen Willen bekommen, hätte die Wehrmacht bereits 1938 die Tschechoslowakei angegriffen, ein Unternehmen, dessen Ausgang selbst gegen die Tschechen alleine keineswegs sicher war und das aller Wahrscheinlichkeit nach die Alliierten zur Internvention gebracht hätte - sofern die deutschen Generäle nicht ohnehin die Courage besessen hätten, aus ihren Plänen Ernst zu machen und Hitler in diesem Falle zu putschen. Mit dem Angriff auf Polen 1939 exponierte Deutschland seine Westflanke ungeheuer. Hätten die Franzosen damals nicht den "Sitzkrieg" geführt ohne Deutschland ernsthaft anzugreifen sondern wären, notfalls mit improvisierten Plänen und unzureichender Ausrüstung, mit ihrer Million Mann im deutschen Südwesten einmarschiert, hätte das Dritte Reich einen Überlebenskampf führen müssen, dessen Chancen kaum vorteilhaft waren, besonders wenn man zunehmende Unterstützung durch Großbritannien hinzunimmt. Ein solcher Kriegsverlauf hätte vielleicht sogar Stalin zum Bruch des Pakts bewogen, so dass Polen ein wesentlich größerer militärischer Faktor gewesen wäre. 

Der "Sitzkrieg" im Westen gab Deutschland Zeit
Als Hitler dann 1940 den Angriff auf den Westen befahl, standen die Chancen eigentlich völlig gegen ihn. Die deutsche Armee war den Westmächten zahlenmäßig gerade ebenbürtig. Die Alliierten hatten wesentlich mehr Panzer, Flugzeuge und Artillerie als die Deutschen, besaßen extrem starke Festungsanlagen und eine leistungsfähigere Wirtschaft. Wie Adam Tooze in seiner Betrachtung der deutschen Wirtschaft im Dritten Reich "Wages of Destruction" nahelegt erlaubte der Stand der damaligen deutschen Kriegswirtschaft kaum, den Krieg länger als ein Dreivierteljahr zu führen bevor der Nachschub vor allem an Munition zur Neige ging. Die alliierte Strategie, sich an der französischen Grenze auf die Maginotlinie und das undurchdringliche, schlecht erschlossene Terrain der Ardennen zu verlassen und die deutschen Truppen bei ihrem unvermeidlichen Vormarsch durch Belgien und die Niederlande aufzufangen ist sehr solide. Sie hielten viele Reserven zurück, die nach Bestimmung der deutschen Stoßrichtung analog zu 1914 den Vormarsch zum Halt bringen konnten und entweder sofort das Rückgrat der technisch unterlegenene Wehrmacht brechen oder den dann entstehenden Abnutzungskrieg klar gewinnen würden. 

Und ohne einen absurden Zufall wäre es vermutlich auch so gekommen; nicht umsonst waren die deutschen Generäle sehr pessimistisch was ihre Chancen gegen die Westalliierten anging, die von der ungleich besseren deutschen Armee des Ersten Weltkriegs schon nicht hatten geschlagen werden können. Der deutsche Angriffsplan sah im Wesentlichen so aus wie die Alliierten ihn vorhersahen. Die Wahrscheinlichkeit, dass "Fall Rot" in einem Desaster geendet und der Krieg 1940 mit einer Niederlage Hitlers geendet hätte war hoch. Der absurde Zufall jedoch änderte die Gleichung: ein deutscher Offizier verflog sich im Nebel, landete in Belgien, wurde verhaftet und hatte in seiner Tasche die deutschen Angriffspläne. Dies zwang die Deutschen zu einer hastigen Änderung der Pläne und zu einem gewaltigen Risiko: einem Angriff durch die Ardennen. Die Idee war deswegen so unglaubwürdig für die Alliierten, weil auf den wenigen Straßen durch die Ardennen Panzerkolonnen zwangsläufig zum "größten Verkehrsstau der Geschichte" aufstauen würden und leichte Beute für die überlegene alliierte Luftwaffe wären. Der Krieg wäre in diesem Fall in zwei Wochen entschieden gewesen. Zum gewaltigsten Verkehrsstau aller Zeiten kam es. Zu einer Entdeckung durch die alliierte Luftaufklärung nicht. Der Rest ist Geschichte. 

Deutsche Soldaten im Winter 1941
Noch einmal begann Deutschland einen Feldzug mit einem ähnlichen Glücksspiel: das "Unternehmen Barbarossa", der Angriff auf die Sowjetunion, basierte auf halsbrecherisch optimistischen Annahmen. Ohne die aktive Mitwirkung von Hitlers bestem Verbündeten, Stalin, hätten wesentlich größere Teile der Roten Armee den Kesselschlachten von 1941 entkommen und eine wesentlich frühere Verteidigungsstellung als Moskau aufbauen können, die den Krieg deutlich verkürzt hätte. Noch wesentlich bedeutsamer aber ist die Schlacht von Moskau im Winter 1941/42 selbst, in der die Wehrmacht nur äußerst knapp einem sowjetischen Durchbruch und der Vernichtung der Heeresgruppe Mitte entkam (ein Ereignis, das so bis Juni 1944 auf sich warten lassen sollte). In all diesen fünf Situationen wäre ein rascher militärischer Zusammenbruch des Dritten Reichs oder zumindest seine Einhegung in Zentraleuropa ein nicht unwahrscheinliches Ergebnis gewesen, das gegenüber dem tatsächlichen, weltumspannenden Gemetzel um ein vielfaches kleiner ausgefallen wäre. Und in keinem dieser Szenarien kommt das Deutsche Reich auch nur annähernd in die Situation, den Holocaust durchführen zu können. 

Was aber sind die Schlüsse, die wir heute aus diesen Geschehnissen ziehen können? Es ist wichtig, nicht den Propagandamythen des Dritten Reichs auf den Leim zu gehen. Die deutsche Wehrmacht war keine unüberwindbare Super-Armee, sondern profitierte extrem von Zufall, massiven Fehlern ihrer Gegner und deren schlechter Moral. Als dem Dritten Reich in USA und Sowjetunion ab 1943/44 ernsthafte Gegner erwuchsen, war sein Zusammenbruch ein nicht mehr aufzuhaltendes Faktum. Wir sollten uns daher nicht vom scheinbaren Determinismus der Ereignisse mitreißen lassen. Die Frage, ob Deutschland den Krieg nicht hätte doch gewinnen können oder wo der entscheidende Fehler lag, die man so oft hört, ist falsch gestellt. Vernünftigerweise müsste man fragen, welche Aneinanderreihung von Faktoren notwendig war, um es überhaupt so weit kommen zu lassen.

Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2015/04/die-unwahrscheinlichen-weltkriege.html

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Zwei Jahre MusErMeKu, Oder: Wie interpretiert man Blog-Statistiken?

Jeder Blogger kennt die Massen an Statistiken, die im Backend lauern – Zahlen über Zahlen, Monat für Monat. Bei MusErMeKu begegnen uns diese Zahlen nun seit genau 2 Jahren, denn am 22. April 2013 ging der erste Blogbeitrag online und das bedeutet: Wir haben nun schon unseren 2. Bloggeburtstag gefeiert! Anlässlich unseres 1. Geburtstags haben wir die Gelegenheit genutzt, die Entwicklung des Blogs Revue passieren zu lassen. In diesem Jahr wollen wir nun einen Einblick in unsere Statistiken gewähren und erklären, was dahinter steckt. Aber vorweg: … Zwei Jahre MusErMeKu, Oder: Wie interpretiert man Blog-Statistiken? weiterlesen

Quelle: http://musermeku.hypotheses.org/3203

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Sowjetische Kriegsgräberstätten in Deutschland

Seit dem 24. April 2015 ist die Datenbank „Sowjetische Kriegsgräberstätten in Deutschland“ online unter http://www.sowjetische-memoriale.de/. Die Dokumentation des Deutsch-Russischen Museums Berlin-Karlshorst, gemeinsam mit dem Büro für Kriegsgräberfürsorge und Gedenkarbeit der Russischen Botschaft und mit Unterstützung vieler Menschen erarbeitet, bietet ein bundesweites Verzeichnis der Standorte, an denen Gräber sowjetischer Kriegsopfer des Zweiten Weltkriegs und ihnen gewidmete Denkmale existieren. Auch die Gräberorte der russischen Kriegsgefangenen des Ersten Weltkriegs werden erfasst. Trotz unserer Bemühungen um eine möglichst genaue und vollständige Erfassung aller entsprechenden Standorte können wir keinen … Sowjetische Kriegsgräberstätten in Deutschland weiterlesen

Quelle: http://speyermemo.hypotheses.org/2559

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Der Kampf der Erinnerungen war gestern, oder wie sich Erinnerungskultur gegen den Strich denken lässt

Das englische Adjektiv „multidirectional“ ist ein ziemlich technischer Begriff. Auf gut Deutsch bedeutet er „Mehrrichtungs-“ oder „Mehrwegs-“ und als erstes kommt einem da die Mehrwegflasche in den Sinn. Der amerikanische Literaturwissenschaftler Michael Rothberg hat „multidirectional“ trotzdem auf Kultur angewandt. „Multidirectional Memory“ ist ein Versuch, Erinnerungskultur in mehrere Richtungen, sozusagen gegen den Strich, zu denken. Damit stellt „Multidirectional Memory“ ein Modell vor, das eine interdisziplinäre und transnationale Untersuchung von Erinnerungskultur stützt.

Erinnerungskultur, oder „memory“ – wie man im Englischen sagt, verarbeitet individuelle Erfahrungen kulturell zu Sinn und macht sie dadurch verständlich und bedeutsam (Kantsteiner 2002:189). Rothberg verwendet „memory” als Begriff für die soziale Praxis des Erinnerns. Es geht ihm um den Prozess des Wachrufens und Verdrängens, des Aktivierens und Blockierens von Erfahrungen.

Heute wird Erinnerungskultur häufig in den Kategorien „Opfer“ und „Täter“ gedacht (Vgl. Buruma 1999; Jureit / Schneider 2010; Schulze Wessel / Franzen 2012). „Opfer“ und „Täter“ sind dabei zu kollektiven und identitätsstiftenden Zuschreibungen geworden.

Rothbergs Ausgangsfrage lautete: Wie lässt sich die Beziehung zwischen verschiedenen Opfergeschichten neu erörtern?

Auf die Gedenkjubiläen im Jahr 2015 bezogen, könnte die Frage lauten: Welche Rolle spielt die Erinnerung an den Holocaust heute für die Erinnerung an den Genozid an den Armeniern? Oder welche Rolle spielt die aktuelle Verfolgung und Vernichtung der Jesiden aus dem Irak für die Erinnerung an den Genozid in Bosnien vor 20 Jahren?

Rothberg hat theoretische und literarische Arbeiten seit den 50er und 60er Jahren analysiert, die sowohl die Vernichtung der europäischen Juden als auch die Verbrechen während der Entkolonialisierung gleichzeitig verhandeln. Er kam zu dem Ergebnis, dass die Annahme eines Wettbewerbs zwischen verschiedenen Opfergeschichten analytisch wenig gewinnbringend sei: “Against the framework that understands collective memory as competitive memory – as a zero-sum struggle over scarce resources – I suggest that we consider memory as multidirectional: as subject to ongoing negotiation, cross-referencing, and borrowing; as productive and not private.” (Rothberg 2009:3).

Die Annahme also, dass es einen Kampf der Erinnerungen gäbe, die um öffentliche Dominanz ringen, sollte hinterfragt werden. Denn dieser Annahme liegt die Überzeugung zugrunde, dass eine bestimmte Gruppe eine einzigartige Geschichte, Kultur und Identität habe. Nimmt man jedoch die Parallelen, Bezüge und Ähnlichkeiten zwischen unterschiedlichen kollektiven Opfergeschichten in den Blick, so wird deutlich, dass ein exklusives Verständnis von kultureller Identität schwer haltbar ist. Mit einer derartigen Betonung der Interaktionen zwischen den Erinnerungsprozessen divergierender Gruppen trägt Rothberg dem Denken Rechnung, dass Gedächtnis und Identität keine klar umrissenen Gegebenheiten sind, sondern sich wandelnde, komplexe und immer wieder auch in Frage zu stellende kulturelle Phänomene bedeuten.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Rothberg verneint nicht die Existenz von Opferkonkurrenzen, sondern er weist auf die Notwendigkeit hin diese zu hinterfragen. Dafür entwickelt er ein dem Konkurrenzdenken gegenläufiges Modell: nämlich die Gemeinsamkeiten und Bezugnahmen zwischen verschiedenen kollektiven Opfergeschichten zu untersuchen.

Rothberg schlägt vor, die weltweite Erinnerung an den Holocaust als etwas zu verstehen, das andere Opfergeschichten nicht blockiert, sondern ihrer Artikulation dient. Dabei funktioniere die Bezugnahme der Geschichten jenseits ihrer zeitlichen und räumlichen Verortung – „multidirectional“. Ereignisse, die vor dem Holocaust stattgefunden haben, wie beispielsweise der Genozid an den Armeniern, oder auch danach, wie der Genozid in Bosnien und Herzegowina, werden mit Referenz aufeinander öffentlich erinnert.

Dabei geht es nicht darum, historische Ausmaße, Kontexte und Folgen in ihrer Faktizität zu vergleichen, sondern um den Akt der gegenwärtigen öffentlichen Artikulation. Es geht darum, dass etwas sagbar wird und zwar öffentlich, also kollektiv mitteilbar. Letztlich zielt diese öffentliche Artikulation der Opfergeschichten auf die kollektive Anerkennung des Leidens. Durch die Bezugnahme auf andere Opfergeschichten kann die Artikulation gestärkt werden.

Mit „multidirectional“ meint Rothberg aber auch, die Verbindungen zwischen der Benennung gegenwärtig stattfindender Missetaten und historischer Verbrechen zu reflektieren. Dies veranschaulicht er, indem er die Gleichzeitigkeit der Entkolonialisierung mit dem Aufkommen einer öffentlichen Holocaust-Erinnerung in den Blick nimmt. Während der Eichmann-Prozess 1961 in Jerusalem stattfand und die öffentliche Artikulation der Geschichten von Holocaust-Überlebenden förderte, tobte in Algerien der Unabhängigkeitskrieg mit der französischen Kolonialmacht. Rothberg setzt sich mit verschiedenen Beispielen auseinander, die zu jener Zeit Folter, Staatsterror und Vernichtung in Bezug auf den Zweiten Weltkrieg und während des Algerienkriegs behandeln. Die gerade stattfindende Gewalt und der Rassismus beeinflusste, insbesondere in Frankreich, die aufkommende öffentliche Erinnerung an vergangene extreme Gewalt und Ausgrenzung (Rothberg 2009:192).

Dass bei Rothberg die Entkolonialisierung im Zusammenhang mit der öffentlichen Thematisierung des Holocausts gedeutet wird, muss hier deswegen betont werden, weil etwa Aleida Assmann bereits in ihrer Auseinandersetzung mit Levy / Snayder 2007 vorgeschlagen hatte, die Holocaust-Erinnerung als ein Paradigma zu begreifen, auf welches sich andere Genozide und Traumata beziehen (Assmann 2007:14). Die umgekehrte Denkrichtung jedoch, also dass auch andere Verbrechen die Artikulation des Holocaust beeinflussen können, macht diesen Vorgang erst „multidirectional”.

Eine weitere Dimension der „Mehrseitigkeit“ von Erinnerungsprozessen unterfüttert Rothberg theoretisch, indem er sich auf Sigmund Freuds psychoanalytischen Begriff der „Deckerinnerung“ bezieht (Freud 1907). Freuds „Deckerinnerung“ beschreibt einen Vorgang, bei dem etwas Banales, Alltägliches im Detail erinnert wird und zwar um etwas Singuläres, Schwerwiegendes zu überdecken. Es geht darum, wie Erinnerung auch dazu verwendet werden kann, um etwas anderes zu verdrängen. Erinnern um zu vergessen, könnte man salopp formulieren.

Obwohl Rothberg kritisiert, dass Freuds Erkenntnisse aus der Individualpsychologie schwer auf Kollektive zu übertragen sind, gebraucht er „Deckerinnerung“, um auf die Mehrdeutigkeit von kollektiven Erinnerungsprozessen zu verweisen. Beispielsweise nennt er die weitreichende Beschäftigung mit dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust in den USA eine „Deckerinnerung“, welche die unangenehmen Erinnerungen an die Sklaverei und den Genozid an den eingeborenen Völkern abdämpfe (Rothberg 2009:195). Die englische Übersetzung von „Deckerinnerung“ als „screen memory“ weist aber über das bloße Überdecken und Filtern von Erinnerungen hinaus und schließt ein Projizieren und Raum-Geben mit ein.

Was bringt nun dieser Blick für das Gemeinsame verschiedener kollektiver Opfergeschichten?

Die Untersuchung der Verbindungen zwischen verschiedenen Opferartikulationen zeigt, dass es bei allen um die Erfahrung des Andersseins geht. Zweitens steht das Ringen um öffentliche Anerkennung der Anderen im Mittelpunkt. Drittens beschreibt Rothberg das Zeugnis-Ablegen als die wirkmächtigste Form um Gewalt aufzudecken. Der Umgang mit Differenz und die Beteiligung von marginalisierten Gruppen an dem, was öffentlich über die Vergangenheit eines Gemeinwesens verhandelt wird, sind folglich zwei Aspekte, die bei der Untersuchung von Erinnerungskultur aus transnationaler Perspektive eine wesentliche Rolle spielen.

Dabei besteht die Möglichkeit, dass sich Opfergeschichten und Opfergruppen gegenseitig unterstützen und nicht bekämpfen. So wurde die öffentliche Kundgebung zur Anerkennung des Genozids an den Armeniern am 24. April 2015 in Istanbul von Kurden, Griechen und Assyrern breit unterstützt. Und in Bosnien und Herzegowina hat beispielsweise die Opferorganisation “Izvor” aus Prijedor zum Gedenken an den armenischen Genozid aufgerufen. “If memory is as susceptible as any other human faculty to abuse […] this study seeks to emphasize how memory is at least as often a spur to unexpected acts of empathy and solidarity; indeed multidirectional memory is often the very grounds on which people construct and act upon visions of justice.” (Rothberg 2009:19)

Rothbergs französische Version von „multidirectional memory“ lautet „nœuds de mémoires“ (Rothberg, Sanyal and Silverman 2010). Darin klingen phonetisch Pierre Noras „lieux de mémoires“ an, ins Deutsche übersetzt hieße „nœuds de mémoires“ so viel wie „Erinnerungsknoten“ oder verflochtene Erinnerungen.

Meines Erachtens geht es aber um mehr als um Verflechtungen. Es geht darum, Erinnerungskultur anders zu verstehen. Denkt man europäische Geschichte von ihren Zivilisationsbrüchen aus, so sollte neben dem Holocaust auch dem Kolonialismus Aufmerksamkeit zuteilwerden. Rothbergs „Multidirectional Memory“ veranschaulicht, wie sich dann unser Verständnis von Erinnerungskultur verändert. Durch die Betonung des Zeugnis-Ablegens als wirkmächtigste Form der Artikulation erfahrener Gewalt rückt er ins Zentrum, dass in einem derart komplexen Kontext die individuelle Erinnerung mehr Gewicht erhält. Erst eine öffentliche Artikulation des Zeugnisses jedoch macht es kollektiv wirksam. So erfolgt eine Pluralisierung von Erinnerungskultur und ihre Privatisierung wird verhindert. Das Zusammenfügen der individuellen Geschichten zu einem Narrativ aber ist dann nicht mehr das Ziel, sondern das Ziel wird die Betrachtung ihrer gegenseitigen Bezüge, „multidirectional“ eben.

Literatur

Assmann, Aleida. 2007. “Europe: A Community of Memory?” German Historical Institute Bulletin:11–25.

Buruma, Ian. 1999. The Joys and Perils of Victimhood.

Freud, Sigmund. 1907. Zur Psychopathologie des Alltagslebens. Über Vergessen, Versprechen, Vergreifen, Aberglaube u. Irrtum, Berlin: Karger.

Jureit, Ulrike, and Christian Schneider, Hgs. 2010. Gefühlte Opfer. Illusionen der Vergangenheitsbewältigung, Stuttgart: Klett-Cotta.

Kantsteiner. 2002. “Finding Meaning in Memory. A Methodological Critique of Collective Memory Studies” History and Theory. 41:179–197.

Levy, Daniel and Natan Snayder. 2007. Erinnerung im globalen Zeitalter: der Holocaust. 3870 : Suhrkamp Globalisierung, Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Rothberg, Michael. 2009. Multidirectional Memory. Remembering the Holocaust in the Age of Decolonization, Stanford: Stanford University Press.

Rothberg, Michael, Debarati Sanyal, and Maxim Silverman, Hgs. 2010. Yale French studies, no. 118 & 119, Noeuds de mémoire. Multidirectional memory in postwar French and francophone culture, New Haven, Conn.: Yale University Press.

Schulze Wessel, Martin, and K. E. Franzen, Hgs. 2012. Schriften des Europäischen Netzwerks Erinnerung und Solidarität, Bd. 5, Opfernarrative. Konkurrenzen und Deutungskämpfe in Deutschland und im östlichen Europa nach dem Zweiten Weltkrieg, München, Oldenbourg: Oldenbourg Verlag.

Quelle: http://erinnerung.hypotheses.org/55

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Digitale Geschichtswissenschaft ist keine Wahl, sondern Realität

digiwIm Lektürekurs und im Proseminar beschäftigt uns ein einleitender Aufsatz über digitale Geschichtswissenschaft besonders intensiv: Der Beitrag von Gerben Zaagsma „On digital history“, erschienen 2013 in den BMGN und online hier zugänglich1. Ich halte diesen Beitrag für die derzeit beste Einführung in die Materie auf knappem Raum. Nach einem kurzen Überblick über die Geschichte der Digital Humanities2, erläutert er die Entwicklung in den Niederlanden sowie exemplarisch zwei Bereiche, in denen sich die Geschichtswissenschaft durch den digital turn besonders gewandelt hat und weiterhin wandelt. Dabei unterstreicht Zaagsma, das derzeit in den Debatten zu sehr auf Werkzeuge und Daten geachtet wird und zu wenig darauf, wie sich „Geschichte machen“ durch den digital turn ändert. Methodologische und epistemologische Überlegungen müssten mit Blick auf die neue digitale Praxis stärker in den Mittelpunkt rücken3.

Hybridity is the new normal

Die Hauptthese von Zaagsma lautet, dass Digitalität in der Geschichtswissenschaft keine Wahl mehr ist, sondern längst Realität: „going digital is not a choice“4. Dies ist so richtig wie auf den ersten Blick unspektakulär, hat aber tatsächlich weitreichende Konsequenzen. Doch zunächst zur Bestandsaufnahme: Die Praktiken der historischen Forschung haben sich längst verändert. Eine hybride Herangehensweise ist unter Historikerinnen und Historikern mittlerweile normal. „Hybridity is the new normal“, formuliert Zaagsma5. Wobei dies, das müsste man aus meiner Sicht einschränkend dazu sagen, in erster Linie auf die Online-Recherche und schon deutlich weniger auf die Verbreitung/Publikation von Forschungsergebnissen zutrifft. Fast gar nicht trifft es auf die Interpretation zu, denn es ist nach wie vor eher ungewöhnlich, wenn Forschende neben einer qualitativ-hermeneutischen Herangehensweise auch Datenmodellierung wie z.B. Textmining, oder Visualisierungstechniken anwenden. In der Verbindung und Integration der beiden Herangehensweisen, z.B. „close und distant reading“-Methoden zur Auswertung von Quellen, liegt die eigentliche Herausforderung für die zukünftige Geschichtswissenschaft6. Für alle, die Französisch können, sei der Blogbeitrag von Frédéric Clavert nahegelegt, der über die parallele Verwendung dieser Methoden in seinem Blog nachgedacht hat7 – für die deutschsprachigen Leserinnen und Leser bleibt der Kommentar von Peter Haber bei histnet, um einen Eindruck zu erhalten.

Folglich plädiert Zaagsma dafür, digitale Geschichte nicht gegen nicht-digitale Geschichte in Stellung zu bringen. Das sehen auch Teile unserer Community so, wie eine Twitterumfrage vor gut einem Jahr an den Tag brachte8. In diesen von Jan Hecker-Stampehl initiierten (Massen-)Interviews sollte man den Satz ergänzen „Digitale Geschichtswissenschaft ist für mich…“. Die lesenswerten Antworten sind in einem Storify gespeichert. Sie spiegeln in unterschiedlichem Maße zwar, aber doch deutlich wider, dass digitale Geschichtswissenschaft nicht von der analogen zu trennen ist.

@digigw nichts anderes als das Nutzen unserer heutigen Mitteln, um Antworten zu finden auf alte & neue Fragen, die Historiker sich stellen”.

— Franziska Heimburger (@FHeimburger) 14. März 2014

Oder noch deutlicher:

 

@digigw Geschichtswissenschaft. Wir müssen mal von diesen exotischen Diskussionen wegkommen….

— Gudrun Gersmann (@GGersmann) 10. März 2014

 

Es ist also an der Zeit, die ohnehin zumeist künstliche Dichotomie zwischen quantitativer und qualitativer Geschichte, zwischen analoger und digitaler Geschichte ad acta zu legen (ein frommer Wunsch, ich weiß). Schon jetzt gibt es keine nicht-digitale Geschichtswissenschaft mehr, und damit ist nicht gemeint, dass alle Historikerinnen und Historiker mittlerweile halbwegs autonom Mail- und Textverarbeitungsprogramme anwenden können. Alle arbeiten bereits digital, auch diejenigen, die sich nicht zu den digitalen Vorreitern zählen und digitale Geschichtswissenschaften ablehnen oder für vernachlässigbar halten.

Mangelnde Reflektion als Gefahr

Die eigentliche Gefahr liegt in dieser indifferenten Haltung, unterbleibt doch so die notwendige Auseinandersetzung mit den Konsequenzen des digital turns für die Geschichtswissenschaft. Um in der digitalen Welt zu forschen, werden bestimmte Techniken und Kenntnisse benötigt für die Suche in Katalogen, Datenbanken, Volltextplattformen, Suchmaschinen (oftmals sind nicht mal die Unterschiede bekannt), für die Prozessierung der so gefundenen Information, Literatur und Daten, für ein wissenschaftliches Monitoring wie auch für die Kommunikation über und die Publikation der Forschungsergebnisse, die sich längst nicht mehr auf traditionelle Formen beschränkt. Die meisten Historikerinnen und Historiker tun all dies, d.h. sie recherchieren online, sie verwenden digitale Quellen, wenden digitale Tools an etc., doch ohne dass dies ausreichend reflektiert würde.

Wie man sucht und welche Suchergebnisse man erhält, beispielsweise, wirkt sich aber auf die eigene Forschung aus und ist daher wichtig, wenn nicht zentral9. Wie ist damit umzugehen, dass innerhalb von wenigen Sekunden riesige Datenmengen zur Verfügung stehen? Auch wenn die Ergebnismenge durch dringend zu lernende Suchoptimierung eingeschränkt werden kann: Vollständigkeit kann keine Prämisse der historischen Arbeit mehr sein.

Und damit sind wir bei der Frage,  wie sich Geschichtswissenschaft im digitalen Zeitalter verändert. Zaagsma macht dies an zwei Beispielen fest: zum einen an der Digitalisierung von Quellen und Archivmaterialien, zum anderen am Umgang und der Interpretation dieser digitalen Ressourcen.

Änderungen der Geschichtswissenschaft im digitalen Zeitalter

Zunächst zur Digitalisierung: Zaagsma hebt hervor, dass Digitalisierung immer eine Auswahl beinhaltet und somit eine „Politik der Digitalisierung“ ist. Wenn bestimmte Quellen oder Archivalien digitalisiert werden, bedeutet das gleichzeitig, dass andere nicht digitalisiert werden. Historikerinnen und Historiker sollten sich daher aus seiner Sicht stärker für die Frage interessieren, wieso bestimmte Bestände online zugänglich sind und andere nicht. Digitalisierung wird von staatlichen Institutionen vorangetrieben und ist vielfach eine nationale Angelegenheit. Das schlägt sich auf die Auswahl der digitalisierten Quellen nieder. Als Beispiel nennt er die Digitalisierungsprojekte in Osteuropa, in denen sich “nationaler Stolz und die Unabhängigkeit der post-kommunistischen Ära spiegele”10. Ähnliches ließe sich über Westeuropa auch sagen, man denke nur an Gallica, die Online-Plattform der französischen Nationalbibliothek. Und wie Zaagsma richtig erwähnt, ist auch die Europeana lediglich die Addition der nationalen Digitalisierungsprojekte und kein Projekt mit genuiner europäischer Blickrichtung.

Genauso wenig wie digitale Werkzeuge neutral sind, da sie Vorannahmen und Urteile enthalten, sind Digitalisierungsprojekte neutral. Die derzeitige Digitalisierungspraxis wird die Themen der Historikerinnen und Historiker von morgen vorgeben, da bevorzugt über das geforscht wird, was leicht zugänglich, d.h. online zu finden ist. Derzeit erlebt die nationale Geschichte über die Digitalisierungspraxis der einzelnen Länder ein Comeback, während Marginales weiter marginalisiert wird. Nicht vergessen werden darf darüber hinaus, dass ein Großteil des Archivmaterials nicht digitalisiert ist und auch nie sein wird.

Digitale historische Analyse

Ebenso wichtig ist es aus der Sicht von Zaagsma, dass sich Historikerinnen und Historiker stärker mit der Frage befassen, wie die Arbeit mit digitalisierten Quellen unsere Quellenkritik und Quellenarbeit beeinflusst. Die Arbeit mit Online-Quellen bringt zum einen den Verlust des Kontextes mit sich. So werden in Online-Portalen etwa tausende Zeitungsartikel auf bestimmte Suchwörter durchsucht und die Ergebnisse in einer Liste angezeigt. Die Ansicht der ganzen Seite einer Tageszeitung oder ihrer ganzen Ausgabe geht dabei verloren, wenn man nicht explizit diese erneut aufruft. Zum anderen gehen bestimmte haptische Erfahrungen der Arbeit mit Online-Quellen verloren, und auch deren Materialität (Geruch). Zaagsma plädiert daher für eine neue digitale Quellenkritik, mit der man sich bisher noch zu wenig beschäftigt hat. Wirkliche Antworten, das hatten wir andernorts bereits festgestellt, gibt es darauf noch nicht.

Zentral ist darüber hinaus – das sei abschließend erwähnt – die Ausbildung der Studierenden, die neben wichtigen Online-Kenntnissen wie Recherche, Auswertung und Publikation auch in kritischer Reflexion der digitalen Praktiken geschult werden sollten.

  1. Zaagsma, Gerben, On Digital History, in: BMGN – Low Countries Historical Review, 128-4 (2013) S. 3-29. URN:NBN:NL:UI:10-1-110020
  2. Zaagsma gibt übrigens ebenso wie Peter Haber als erste DH-Konferenz das internationale Kolloquium „The Use of Computers in Anthropology“ 1962 in Burg Wartenstein (ibid., S. 7) an, was uns Österreicher freut, aber auch Anlass gibt, dieser Darstellung einmal nachzugehen und zu fragen, ob das die anglo-amerikanischen Digital Humanists ebenfalls so sehen. Das wird in Kürze in einem eigenen Blogbeitrag geschehen.
  3. Ibid., S. 24.
  4. Ibid. S. 14.
  5. Ibid, S. 17.
  6. Vgl. ibid., S. 24.
  7. Vgl. Frédéric Clavert, Lecture des sources historiennes à l’ère numérique, in: L’histoire contemporaine à l’ère numérique, 14.11.2012, http://histnum.hypotheses.org/1061. Siehe auch den Kommentar von Peter Haber bei histnet: http://weblog.hist.net/archives/6563.
  8. Vgl. Jan Hecker Stampehl, Dokumentation der Twitter-Umfrage “Digitale Geschichtswissenschaft ist für mich…”, in: Digitale Geschichtswissenschaft, 5.4.2014, http://digigw.hypotheses.org/697.
  9. Vgl. ibid., S. 25.
  10. Vgl. ibid, S. 20.

Quelle: http://dguw.hypotheses.org/161

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Einladung zum 9. Berliner DH-Rundgang am 13. Mai 2015

Der Interdisziplinäre Forschungsverbund Digital Humanities in Berlin (ifDHb) lädt zum 9. Berliner DH-Rundgang ein:

Termin: Mittwoch, 13. Mai 2015, 10:00(s.t.)-11:30 Uhr.
Institut: Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft.
Ort: Oberwallstraße 9, 10117 Berlin, 6. OG.

Zur Anmeldung zum 9. Berliner DH-Rundgang.

via Larissa Wunderlich:

Das Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft erforscht die dynamische Beziehung von Internet und Gesellschaft aus verschiedenen disziplinären und interdisziplinären Perspektiven. Die Forschungsagenda des Instituts unterstreicht die zunehmende Verflechtung digitaler Infrastrukturen mit dem alltäglichen Leben. Unser gemeinsames Ziel ist es, die fortwährende Veränderung des Internets und seiner Dienste zu betrachten. Den Schwerpunkt setzen wir dabei auf kritische Momente und strukturelle Verschiebungen. Wir verstehen uns als Plattform für Forscher im Bereich Internet und Gesellschaft und fördern die kooperative Entwicklung von Projekten, Anwendungen und Forschungsnetzwerken. Durch unterschiedliche Formate teilen wir unsere wissenschaftliche Arbeit mit der interessierten Öffentlichkeit, einschließlich politischer Akteure, Zivilgesellschaft und Wirtschaft.

Die Digital Humanities stellen die Verknüpfung geisteswissenschaftlicher Fragestellungen mit Instrumenten aus der Informatik dar. Durch Verfahren wie Textmining, Netzwerkanalyse und Maschinenlernverfahren können klassische Forschungsgegenstände der Geisteswissenschaften auf neue Art und Weise und unter Berücksichtigung großer digitaler Datenmengen systematisch untersucht werden. Digitale Archive und Museen machen Kulturgüter zunehmend mit innovativen Techniken digital zugänglich und eröffnen so neue Möglichkeiten für Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Das Internet spielt hierbei eine entscheidende Rolle.

Durch das Internet ergeben sich neue Möglichkeiten der Interaktionen mit digitalen Kulturgegenständen jeglicher Art (etwa in der sog. “virtual citizen science”), für Wissenschaftler und interessierte Laien gleichermaßen. Zudem erweitert sich aber auch das Verständnis dessen, was digitale Kulturdaten sind, durch das Internet entscheidend. Zu Digitalisaten kommen die Texte, Bilder, Videos und Websites hinzu, die in den sozialen Medien generiert werden und die Aufschluss darüber geben, wie Menschen online kommunizieren, Informationen weitergeben und sich kreativ darstellen. Es ergeben sich methodisch zum Teil starke Konvergenzen mit den Sozialwissenschaften, etwa bei Verfahren wie dem Textmining, welches politische Haltungen in der Gegenwartskommunikation ebenso einfangen kann, wie Themen in historischen Korpora. Medieninhalte, die heute in den sozialen Medien generiert werden, sind für die Digital Humanities ebenso relevant wie digitalisierte Kulturgüter, schon allein deshalb, weil sie Darstellungsformen nutzen, mit denen die Geisteswissenschaften sehr vertraut sind (Sprache, Bilder, Ton).

Folgende Fragen werden uns inhaltlich bei diesem Berliner DH-Rundgang leiten:

  1. Welche technischen und rechtlichen Rahmenbedingungen spielen im Umgang mit digitalen Kulturgütern eine Rolle?
  2. Wie kann das Internet für die Interaktion mit digitalen Kulturgütern in Archiven und Museen eingesetzt werden?
  3. Welche Bedeutung hat das Internet für die Bürgerwissenschaft (“virtual citizen science”)?
  4. Wie lassen sich innovative computergestützte Verfahren effektiver in der geistes- und sozialwissenschaftlichen Forschung einsetzen?

Programm

  • 10:00 Uhr: Begrüßung (Prof. Dr. Jeanette Hofmann, Direktorin des HIIG)
  • 10:15 Uhr: Was haben Internet und Gesellschaft mit den Digital Humanities zu tun? (Dr. Cornelius Puschmann)
  • 10:35 Uhr: Open Science und die Humanities (Benedikt Fecher)
  • 10:45 Uhr: Internet Policy Review (Frédéric Dubois)
  • Im Anschluss: Rundgang durch das Haus

Zum Vormerken:
Gastgeber des 10. Berliner DH-Rundgangs am 29. Juni 2015, von 16:30-18:00 Uhr, ist das Institut für Informatik / AG Netzbasierte Informationssysteme an der Freien Universität Berlin.

Sie wollen Ihre Institution bei einem Berliner DH-Rundgang vorstellen? Dann schreiben Sie uns bitte eine kurze E-Mail an info@ifdhberlin.de oder nehmen Sie telefonisch Kontakt zu uns auf.

Alle Termine des Berliner DH-Rundgangs finden Sie auf der Website: www.ifdhberlin.de/arbeitsfelder/dh-rundgang.

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=4987

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Einladung zum 9. Berliner DH-Rundgang am 13. Mai 2015

Der Interdisziplinäre Forschungsverbund Digital Humanities in Berlin (ifDHb) lädt zum 9. Berliner DH-Rundgang ein:

Termin: Mittwoch, 13. Mai 2015, 10:00(s.t.)-11:30 Uhr.
Institut: Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft.
Ort: Oberwallstraße 9, 10117 Berlin, 6. OG.

Zur Anmeldung zum 9. Berliner DH-Rundgang.

via Larissa Wunderlich:

Das Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft erforscht die dynamische Beziehung von Internet und Gesellschaft aus verschiedenen disziplinären und interdisziplinären Perspektiven. Die Forschungsagenda des Instituts unterstreicht die zunehmende Verflechtung digitaler Infrastrukturen mit dem alltäglichen Leben. Unser gemeinsames Ziel ist es, die fortwährende Veränderung des Internets und seiner Dienste zu betrachten. Den Schwerpunkt setzen wir dabei auf kritische Momente und strukturelle Verschiebungen. Wir verstehen uns als Plattform für Forscher im Bereich Internet und Gesellschaft und fördern die kooperative Entwicklung von Projekten, Anwendungen und Forschungsnetzwerken. Durch unterschiedliche Formate teilen wir unsere wissenschaftliche Arbeit mit der interessierten Öffentlichkeit, einschließlich politischer Akteure, Zivilgesellschaft und Wirtschaft.

Die Digital Humanities stellen die Verknüpfung geisteswissenschaftlicher Fragestellungen mit Instrumenten aus der Informatik dar. Durch Verfahren wie Textmining, Netzwerkanalyse und Maschinenlernverfahren können klassische Forschungsgegenstände der Geisteswissenschaften auf neue Art und Weise und unter Berücksichtigung großer digitaler Datenmengen systematisch untersucht werden. Digitale Archive und Museen machen Kulturgüter zunehmend mit innovativen Techniken digital zugänglich und eröffnen so neue Möglichkeiten für Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Das Internet spielt hierbei eine entscheidende Rolle.

Durch das Internet ergeben sich neue Möglichkeiten der Interaktionen mit digitalen Kulturgegenständen jeglicher Art (etwa in der sog. “virtual citizen science”), für Wissenschaftler und interessierte Laien gleichermaßen. Zudem erweitert sich aber auch das Verständnis dessen, was digitale Kulturdaten sind, durch das Internet entscheidend. Zu Digitalisaten kommen die Texte, Bilder, Videos und Websites hinzu, die in den sozialen Medien generiert werden und die Aufschluss darüber geben, wie Menschen online kommunizieren, Informationen weitergeben und sich kreativ darstellen. Es ergeben sich methodisch zum Teil starke Konvergenzen mit den Sozialwissenschaften, etwa bei Verfahren wie dem Textmining, welches politische Haltungen in der Gegenwartskommunikation ebenso einfangen kann, wie Themen in historischen Korpora. Medieninhalte, die heute in den sozialen Medien generiert werden, sind für die Digital Humanities ebenso relevant wie digitalisierte Kulturgüter, schon allein deshalb, weil sie Darstellungsformen nutzen, mit denen die Geisteswissenschaften sehr vertraut sind (Sprache, Bilder, Ton).

Folgende Fragen werden uns inhaltlich bei diesem Berliner DH-Rundgang leiten:

  1. Welche technischen und rechtlichen Rahmenbedingungen spielen im Umgang mit digitalen Kulturgütern eine Rolle?
  2. Wie kann das Internet für die Interaktion mit digitalen Kulturgütern in Archiven und Museen eingesetzt werden?
  3. Welche Bedeutung hat das Internet für die Bürgerwissenschaft (“virtual citizen science”)?
  4. Wie lassen sich innovative computergestützte Verfahren effektiver in der geistes- und sozialwissenschaftlichen Forschung einsetzen?

Programm

  • 10:00 Uhr: Begrüßung (Prof. Dr. Jeanette Hofmann, Direktorin des HIIG)
  • 10:15 Uhr: Was haben Internet und Gesellschaft mit den Digital Humanities zu tun? (Dr. Cornelius Puschmann)
  • 10:35 Uhr: Open Science und die Humanities (Benedikt Fecher)
  • 10:45 Uhr: Internet Policy Review (Frédéric Dubois)
  • Im Anschluss: Rundgang durch das Haus

Zum Vormerken:
Gastgeber des 10. Berliner DH-Rundgangs am 29. Juni 2015, von 16:30-18:00 Uhr, ist das Institut für Informatik / AG Netzbasierte Informationssysteme an der Freien Universität Berlin.

Sie wollen Ihre Institution bei einem Berliner DH-Rundgang vorstellen? Dann schreiben Sie uns bitte eine kurze E-Mail an info@ifdhberlin.de oder nehmen Sie telefonisch Kontakt zu uns auf.

Alle Termine des Berliner DH-Rundgangs finden Sie auf der Website: www.ifdhberlin.de/arbeitsfelder/dh-rundgang.

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=4987

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Lesebuch zu linker Geschichtspolitik und kritischer Wissenschaft erschienen

history-is-unwritten_webJetzt ist der formidable Band auch bei mir eingelangt:

AutorInnenkollektiv Loukanikos (Hg.): History is unwritten. Linke Geschichtspolitik und kritische Wissenschaft. Ein Lesebuch. Münster: Edition Assemblage, 2015.
Weblog zum Buch: https://historyisunwritten.wordpress.com
Verlags-Info: http://www.edition-assemblage.de/history-is-unwritten/

Mein Beitrag darin (S.224-235) beschäftigt sich mit: "Europa bauen als kritische Geschichtswissenschaft? Zu zwei Büchern von Josep Fontana und Luciano Canfora".

Kurzinfo:
In History is unwritten diskutieren historisch Forschende, Autor*innen, Künstler*innen und politische Initiativen in 25 Wortmeldungen, wie ein emanzipatorischer Umgang mit Geschichte heute aussehen könnte.
Ob Kolonialismus im Kasten oder Tränen in der Wissenschaft, ob Rosa Luxemburg oder Subcomandante Marcos, ob Ausgraben und Erinnern oder Kämpfen und Zweifeln – zusammen ergeben die Beiträge einen vielfältigen Eindruck von einer Linken, die sich um die Vergangenheit scheren muss, wenn sie etwas von der Zukunft will.
Die Publikation ist die erweiterte Dokumentation der gleichnamigen Konferenz in Berlin im Dezember 2013.


Inhaltsverzeichnis (PDF)

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/1022424316/

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Minutes of WS “Computer-based analysis of drama” now online

Am 12. und 13. März 2015 hat in München der Workshop Computer-based analysis of drama and its uses for literary criticism and historiography. Die computergestützte Analyse von Dramen ist ein gerade entstehendes Feld, das nur zum Teil an die quantitative Dramenanalyse des 20. Jahrhunderts (Solomon Marcus, Manfred Pfister) anschließt. Digitalisierte Korpora, neue Verfahren des Text Mining und die Verknüpfung von quantitativen Ergebnissen mit Fragen der Literaturgeschichtsschreibung (vgl. Matthew Jockers, Franco Moretti, Stephen Ramsay) haben in den letzten Jahren dafür gesorgt, dass neue Forschung zu Dramen entstanden ist, die hier erstmals gebündelt wurde. Lesen Sie den Konferenzbericht in voller Länge hier. Der Blog soll in Zukunft auch eine Bibliographie und eine Liste von Projekten zur computer-gestützten Dramenanalyse bieten. Hinweise sind erwünscht.

 

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=4880

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