Filmbesprechung: Fury (Herz aus Stahl) – Orks in SS-Uniformen

April 1945. Deutschland steht kurz vor der Niederlage. Für die Besatzung des Sherman-Panzers "Fury" unter ihrem Kommandaten "Wardaddy" (Brad Pitt) ist oberste Priorität, den Krieg zu überleben, doch die überlegene Technik der deutschen Panzer macht jedes Gefecht zum Himmelfahrtskommando. Als der Hilfsfahrer getötet wird, braucht die Besatzung Ersatz. Die Besatzung grüßt den Neuling, Norman (Logan Lerman) nicht gerade mit großem Enthusiasmus. Sie befürchtet, dass er sie auf die letzten Tage noch alle umbringen wird...

Es gibt nicht gerade eine große Menge Kriegsfilme über Panzerbesatzungen; allein das macht "Fury" (deutsch: Herz aus Stahl) zu einer Besonderheit. Und was man von Anfang an loben muss: Brad Pitts verdreckte Panzercrew macht uns die Enge in dem Stahlgefährt deutlich und erinnert teilweise an "Das Boot". Hier enden die Parallelen zwischen dem gelobten Anti-Kriegsfilm der 1980er Jahre und "Fury" allerdings schon. Denn obwohl die Produktionswerte des Films wenig zu wünschen übrig lassen und die Kämpfe spektakulär in Szene gesetzt sind, ist die Geschichte selbst zwischen "fragwürdig" und "völlig lächerlich" gefangen, mit einigen starken Szenen zwischendrin. 

Erschöpfte Fury-Besatzung
Der Film öffnet mit einer grau-in-grau-Stimmung einer erschöpften Armee. Die amerikanischen Truppen die wir hier zu sehen bekommen sind verroht, zynisch und völlig verbraucht und wollen eigentlich nur noch, dass der Krieg endet. Sie haben weder Empathie für ihre Kameraden noch für Zivilisten mehr übrig. Der Umgangston der Fury-Besatzung untereinander - trotz aller Kameradschaft - ist rau und aggressiv. Trotzdem fühlt sich das Setting so eher deplatziert an. Diese US-Army scheint eher die Wehrmacht von 1945 zu sein, während ihre Kontrahenten der US-Army ähneln. Die Amerikaner haben zu wenig Material und zu wenig Soldaten, so dass sie sogar den Sekretär als Panzerfahrer rekrutieren müssen. Dieses Szenario wäre vielleicht für "Market Garden" zu verkaufen gewesen, aber im April 1945 ist es schwerlich als Gesamtbeschreibung der alliierten Armee vorstellbar, wird aber als solche verkauft. 

Wir begleiten die Fury-Crew dann zu einem Einsatz gegen Hitler-Jungen und Volkssturmsoldaten. Hier stimmt der Ton eher - die Hitlerjugend legt einen selbstmörderischen Hinterhalt mit Panzerfäusten, und das Zögern des unerfahrenen Neulings kostet einen Panzer samt Besatzung. Entlang der Straße finden die Amerikaner später gehängte Deutsche mit Schildern um den Hals, etwa "Ich wollte meine Kinder nicht für Deutschland kämpfen lasssen" oder "Feigling" und Ähnliches. Auch diese Stimmung passt, und die Verrohung der Soldaten, deren einzige Reaktion ist, den Kampf Deutscher gegen Deutsche als Erleichterung ihrer Arbeit zu begrüßen, ist durchaus glaubhaft. Gleichzeitig wird hier aber bereits die Grundlage für spätere Probleme gelegt: verantwortlich für die Massaker ist die SS, die uns als die richtig bösen, harten Elitetruppen vorgestellt werden. 

The Greatest Generation in action
Zuerst einmal aber verüben die Amerikaner nun Kriegsverbrechen an der überrannten Feindstellung. Panzerkommandant Wardaddy zwingt Norman, der unfähig ist auf die deutschen Soldaten zu schießen, einen Gefangenen zu ermorden, der verzweifelt versucht, mit Bildern seiner Familie Mitleid zu erwecken, was bei keinem einzigen anwesenden GI gelingt. Soweit erinnert die Szenerie an die Kriegsverbrechen der alliierten Landung in der Normandie aus "Der Soldat James Ryan", aber genau wie dort verlaufen sie als Hintergrundrauschen im Sande, zeigen nur die Verrohung und Brutalität des Krieges ohne die Frage aufzuwerfen, was eigentlich Recht und Unrecht im Kriege noch für eine Bedeutung haben. Schlimmer noch: Das Kalkül des Kommandten, den Neuling quasi im Schnelldurchlauf zum Soldaten zu machen, geht auf. Ab sofort bedient er das MG, wie er es sollte, und passend zum Erkenntnisgewinn laufen ihm ab sofort keine Volkssturmmänner und Jugendliche mehr vor die Flinte, sondern die böse Waffen-SS. Der Film rutscht auf dem eigenen moralischen Morast aus und sinkt. 

Mit eine der stärksten Szenen erlebt der Film nach der Einnahme einer kleinen Stadt (und der Ermordung eines gefangenen SS-Offiziers, für dessen Verbrechen gegenüber der deutschen Bevölkerung sich die Amerikaner plözlich doch interessieren). Während die Soldaten überall mehr oder weniger freiwillige Frauen prostituieren, quartiert sich der Kommandant mit dem Neuling bei zwei schönen Damen (Emma und Irmgard) ein, um sich zu waschen und einige Spiegeleier zu essen. Erneut halb freiwillig lässt er dann Norman und Emma miteinander schlafen. Die Situation eskaliert jedoch, als die anderen Panzerfahrer kommen und aus unklaren Gründen versuchen, die halbwegs zivilisierte Situation zu zerstören. Dass im ganzen Film völlig unklar bleibt, warum die Männer sich benehmen wie sie sich benehmen ist keine Schwäche, sondern eine Stärke. Die Besatzung bleibt uns fremd, ihre Traumatisierung durch den Krieg macht sie unberechenbar, unangenehm und gefährlich, gerade auch für Norman, der die Identifikationsfigur des Publikums bildet.

Sherman gegen Tiger
Nach einem deutschen Artillerieüberfall auf die Stadt stirbt Emma, und die Besatzung zieht weiter. Mit fünf weiteren Shermanpanzern laufen sie in einen Tiger-Kampfpanzer, und ein verzweifeltes Gefecht entbrennt, in dessen Verlauf es "Fury" gelingt, den Tiger auszuschalten - alle anderen Panzer werden aber abgeschossen. Während die Überlegenheit des Tiger gegenüber dem Sherman zu den wohl bestbekanntesten technischen Fakten des Zweiten Weltkriegs gehört, stellt die Szene den stimmungsmäßigen Problemfall des Films erneut stark heraus: die Vorstellung, dass eine technologisch und taktisch überlegen deutsche Armee die wenigen Amerikaner vor gewaltige Herausforderungen stellt gibt gutes Heldenkino her, gewiss. 

Gleichzeitig ist sie aber furchtbar ahistorisch. 1945 waren an der Ostfront insgesamt 12 Tiger im Einsatz, die zudem bereits technisch veraltete waren. Die allgegenwärtige Furcht der Amerikaner, in einen solche hineinzurennen, ist ebenso unrealistisch wie eine Elitearmee der Waffen-SS, die noch voll einsatzfähig ist. Stattdessen sind gerade die Waffen, die am ehesten eine Bedrohung darstellen - Pak, Panzerfäuste und Minen - merkwürdig harmlos. Insgesamt ist diese Schlacht aber spannend gefilmt und inszeniert, und am Ende sind die erschöpften Soldaten viele ihrer Kameraden los. Eigentlich sollte mit der Niederlage des Tigers der Weg nun frei sein. Würde der Film nun enden, wäre er trotz der Probleme mit dem Finden des richtigen Tons insgesamt noch ein passabler Anti-Kriegsfilm, der die Traumatisierung, Erschöpfung und Verrohung der Truppen aufzuzeigen weiß. Leider fängt an dieser Stelle ein komplett neuer Film an, und der wirkt eher so, als ob der Sherman nun nach Helms Klamm teleportiert worden wäre und dort Horden von angreifenden Orks - für Rohan! - abwehren muss. Zur besseren Freund-Feind-Erkennung tragen die Orks hier SS-Uniformen. 

Angriff auf Helms Klamm
Fury läuft auf eine Mine und bleibt liegen. Eine Reparatur erscheint möglich, aber Norman (der plötzlich über die Fähigkeit der Raum-Zeit-Verzerrung verfügt, die feindliche Truppen genau so schnell marschieren lässt wie nötig um eine Rede zu halten) erspäht eine Abteilung SS-Soldaten, die genau auf sie zukommt, um die 100 oder 200 Mann, mechanisiert. Die Soldaten tragen alle brandneue Uniformen, sind ausgerüstet als ob immer noch Juni 1941 wäre und marschieren singend die Straße entlang. Der Liedtext? "SS marschiert", vorgetragen in einer Tonlage, die Verwechslung mit den Kriegsschreien der Orks aus dem "Herr der Ringe" problemlos ermöglicht. Der Film ist jetzt solide in lächerlichem Territorium. "Wardaddy", der bislang den Film damit verbrachte zu erklären, dass es "mein Job ist, die Jungs sicher nach Hause zu bringen" beschließt nun aus heiterem Himmel "dieser Panzer ist mein zuhause" und den liegengebliebenen Sherman gegen die Masse der Waffen-SS zu verteidigen. Natürlich beschließen die anderen, mit ihm für die Blechbüchse zu sterben. Dieser Wandel passt so wenig zu allem was vorher kam und ist so wenig erklärt, dass es ein völlig misstönender Effekt ist. 

Was dann folgt ist eine rund zwanzigminütige Schlacht gegen eine mehr als fünfzigfache Übermacht in einem bewegungsunfähigen Panzer. Die amerikanischen Soldaten tragen plötzlich Plotrüstung, und die tausenden von Kugeln, die in ihre Richtung abgeschossen werden, treffen schlicht nicht, während sie die SS-Orks im Dutzend billiger töten. Wenn dann die Panzerbesatzung doch langsam Mann für Mann erledigt wird (meist nachdem die jeweilige Waffe keine Munition mehr hat), braucht es mehrere Treffer in Zeitlupe mit epischen Todesszenen. Allein Brad Pitt wird mehrfach getroffen, tötet noch mehrere Männer und wird zusammen mit einem Kamerad und Norman im Panzer eingeschlossen. Eine Handgranate, die in den Panzer geworfen wird explodiert nicht, bis Wardaddy sich von Norman verabschiedet, die soldatische Männlichkeit attestiert und ihn durch eine Bodenklappe in den Matsch unter dem Panzer entlassen hat. Dort wird Norman von einem SS-Soldaten gesehen, der ihn aber leben lässt - ein bemerkenswerter Kontrast zu dem Mord an dem Kriegsgefangenen zu Beginn, an den sich aber irgendwie niemand mehr zu erinnern scheint. 

Wenig Ehre, aber umso mehr Glory und War
Gereift und als echter Soldat kann Norman dann, einsamer Überlebender, am nächsten Tag von der US-Army aufgelesen werden. Die fünf Mann Besatzung des Sherman-Panzers hat mit einem bewegungsunfähigen Gerät sicherlich 150 Elitesoldaten getötet, die in Welle um Welle den Panzer angriffen, als wollte man den sowjetischen Angriff in Stalingrad aus "Duell - Enemy at the Gates" nachstellen. Die ganze Szenerie ist so absurd, dass man lachen und schreien zugleich mag. 

"Fury" kann daher nur als gescheitert betrachtet werden. Der Tonfall bleibt völlig dissonant, interessante moralische Ambivalenzen werden einfach fallengelassen und verkommen zu einem Hintergrundrauschen. Eine Entscheidung darüber, ob man einen Kriegsfilm oder Anti-Kriegsfilm machen will trifft man einfach nicht und macht stattdessen beides auf einmal. Historisch genau ist der Film auch nicht; dazu wird wesentlich zu freizügig mit bekannten Bildern gearbeitet, um diese in den Dienst des verworrenen Narrativs zu stellen. Es gibt daher besseres, was man mit seiner Zeit anfangen kann. 



Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2015/04/filmbesprechung-fury-herz-aus-stahl.html

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16. Humor im wissenschaftsaffinen Philosophieblog? Ein Unding;

Wissen Sie, was ich mich frage? Mein Blog hat einen humoristischen Charakter, aber darf ich wirklich lustig über philosophische Themen schreiben? Ich weiß, dass es bei uns so ist, falls jemand fragt, ob er etwas dürfe, reflexartig “natürlich” geantwortet wird. “Wer kann mir das schon verbieten?” Wir leben irgendwie in einem voluntaristischen Zeitalter. Aber das ist nicht, was ich meine. Was ich meine, ist etwas ganz anderes: Ich möchte wissen, ob es angemessen ist, so zu schreiben. Die Angemessenheit einer Sache interessiert mich, wissen Sie? Ob es würdig genug ist, so zu schreiben. Schließlich ist Philosophie die Auseinandersetzung mit den wichtigsten Dingen überhaupt. Aber diese Dinge sind eben nicht lustig. Nun hat Aristoteles vor Kurzem über die lustige Komödie Folgendes geschrieben:

“Die Komödie ist, wie wir sagten, Nachahmung von schlechteren Menschen, aber nicht im Hinblick auf jede Art von Schlechtigkeit, sondern nur insoweit, als das Lächerliche am Hässlichen teilhat. Das Lächerliche ist nämlich ein mit Hässlichkeit verbundener Fehler, der indes keinen Schmerz und kein Verderben verursacht, wie ja auch die lächerliche Maske hässlich und verzerrt ist, jedoch ohne den Ausdruck von Schmerz.” (Aristoteles’ Poetik 5, Übers. Manfred Fuhrmann)

Offenbar ist das Lustige in der Komödie auf eine eigentümliche Weise mit der Hässlichkeit und der Schlechtigkeit verbunden. Könnte es auch in diesem Blog der Fall sein? Mein Blog-Humor beschränkt sich einerseits auf lustige Beispiele (Ethik als Buffet) und Redewendungen (das Glück einer Gurke), unerwartete Gedankensprünge (laberrhabarber), dann darauf dass ich antike Philosophen zu modernen Fragestellungen so befrage, dass es zumindest nicht unwahrscheinlich ist, dass sie so abgebrüht etwas darüber sagen könnten (Platon über das Internet). Und schließlich hat man immer Freue daran, unwichtige Attribute der Protagonisten herauszuheben (Bärte, polierte Schienbeinschoner, eben alles, was zählt). Aber ist es angemessen, so über philosophische Fragen zu schreiben? Während Aristoteles eher die Ernsthaftigkeit in der Philosophie in den Vordergrund stellt – schließlich nennt er den Menschen mit gutem Charakter Spoudaios (übersetzt heißt das etwa: jemand, der etwas mit Ernst betreibt (vgl. z. B. Schottländer 1980: Der aristotelische Spoudaios)) – kennen wir die berühmte sokratische Ironie in Platons Dialogen (vgl. Vlastos 1987: Socratic irony), die offenbar das Gegenteil verfolgt. So regt sich beispielsweise Trasymachos, der Gesprächspartner des Sokrates, in der Politeia (337a) auf, weil Sokrates ihn mit seiner Art zu fragen und zu antworten nervt:

„Der lachte auf diese Worte hin lauthals und recht höhnisch heraus und sagte: ‘Bei Herakles, da ist sie, jene für Sokrates typische Ironie; ich wusste es ja und hatte es denen da gleich gesagt, dass du nicht antworten wolltest, sondern ironisch würdest und alles andere eher machtest als zu antworten, wenn dich einer etwas fragt.’” (Übers. Gottwein)

Bemerkenswert ist aber, dass Sokrates nur mit schlechten Gesprächspartnern trickreich umgeht. Wirklich lustig ist er, weil er mit seiner penetranten Art jeden zur Weißglut bringt, besonders bei Gorgias, Protagoras und auch mit dem genannten Trasymachos. Er scheint ein Talent dafür zu haben, die stolzen, aufgeblasenen Charaktere so zu reizen, dass sie zuerst platzen und dann anfangen nachzudenken. Aber im Gespräch mit der klugen Priesterin Diotima, mit dem begabten und interessierten Theaitetos oder mit dem viel älteren und weisen Parmenides suchen wir seine Ironie vergeblich. Er scheint sich also seinen Gesprächspartnern und den Situationen anzupassen.

Und nun? Welche Lehre ziehe ich daraus? Ist es unwürdig, so über Philosophie zu schreiben? Wenn das die einzige Annäherung wäre und es meinerseits kein Motiv gäbe, meine Leserinnen und Leser dazu zu bewegen, sich vielleicht in einem unerwarteten Moment an die eine oder andere Zeile hieraus zu erinnern und ohne die humoristische Komponente weiterzumachen, dann wäre es unwürdig. Ich aber glaube, ich kann wegen meiner guten Intention so weitermachen. Denn wenn ich nicht unterhaltsam schreiben würde, würde niemand mehr Lust haben, sich mit diesen philosophischen Inhalten auseinanderzusetzen. Diejenigen, die es ernst haben wollen und Zeit haben, sich intensiver mit der Philosophie auseinanderzusetzen, sind schließlich herzlich willkommen, die Ironie abzulegen und die Sache wirklich ernst zu betreiben, den Gedanken auf den Grund zu gehen, die Wahrheitsfindung zum eigenen Antrieb zu machen. In diesem Sinne und bis dahin aber hier ein Tipp für ein Buch, das Ihnen die Tränen in die Augen treiben könnte, falls Sie es möchten: Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Phänomenologie des Geistes.

Herzliche Grüße

D.

@philophiso

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/506

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Historisches Stichwort: Deutsche Reichsbahn (1945-1993)

www.dbmuseum.de/museum_de/ausstellungen_fahrzeuge/geschichte_der_eisenbahn www.hfv-dresden.de/dp_dr.php#2 Der Name “Deutsche Reichsbahn” bezeichnet seit Beginn der Weimarer Republik das öffentliche Eisenbahnwesen. Die genaue Firmierung war 1924 bis 1937 “Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft” sowie von 1937 bis Kriegsende “Deutsche Reichsbahn”. Danach wurde die Benennung in West-Berlin und der SBZ/DDR beibehalten. Warum verwendete gerade der kommunistische Teil Deutschlands diesen sehr nationalkonservativ anmutenden Namen weiter? Mit […]

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2015/04/5814/

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24. April 1915 – 24. April 2015: Gedenken an den Genozid an den Armeniern

Viele fragen sich, ob der Streit um die Begriffe – Genozid, Massaker, und andere – nicht den Blick auf das Leiden und Sterben von wahrscheinlich eineinhalbmillionen Armeniern und ca. dreihunderttausend Assyro-Chaldäern und Syriaken 1915 verdecke und vom Gedenken daran ablenke. Denn gäbe es ein gemeinsames Totengedenken, so stünde dies zum Jahrestag im Vordergrund.

Quelle: http://wolfgangschmale.eu/gedenken-an-den-genozid-an-den-armeniern/

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Europa als Kultur

Napoleon hoch zu Ross, dynamisch, ein Sieger eben, die Alpen am St. Bernhard überquerend, es Hannibal und anderen gleichtuend, links am Boden Inschriftentafeln mit den Namen von Karl dem Großen, Hannibal sowie Bonaparte in aufsteigender Reihenfolge – wer kennt dieses Gemälde von Jacques-Louis David von 1801 nicht? Oder Jean-Baptistes Isabeys „Der Wiener Kongress“ (1815), der in einer fiktiven Runde die Hauptakteure des Kongresses porträtiert – wer kennt nicht den sogenannten Kongress-Stich? Diese und andere zu Ikonen gewordenen Visualisierungen von Akteuren und Ereignissen der Napoleonischen Epoche und des Wiener Kongresses zeigt die von Sabine Grabner und Werner Telesko kuratierte Ausstellung ebenso wie selten reproduzierte Stücke wie die Lithografie und Satire „Die Theaterliebhaber“ von Josef Lanzedelli d. Ä. (1820, Privatbesitz). Die Ausstellung bereitet Begegnungen mit Bekanntem und Überraschendem, so wie es sich gehört.

Quelle: http://wolfgangschmale.eu/europa-als-kultur/

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Digital Humanities und differente Sinnstrukturen

Die Universität Wien gehört mit 92.000 Studierenden zu den größten europäischen Universitäten. Sie wurde 1365 gegründet, ist damit die älteste mitteleuropäische Universität, und begeht 2015 ihre 650-Jahrfeier. Nun kann ihre Geschichte online in einer sehr gelungenen Website nachvollzogen werden.

Quelle: http://wolfgangschmale.eu/digital-humanities-und-differente-sinnstrukturen/

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aussichten. Perspektivierung von Geschichte, April 25, 2015

Neueste Beiträge in ‘aussichten’ „Was wurde eigentlich aus der Petition zur Rettung des Alten Bahnhofs Schleißheim?“ Ein Bericht über den Stand der Dinge Kaiserbiographien: Trebonianus Gallus / Gaius Vibius Volusianus (251 – 253 n. Chr.) Cyberarchäologie im Widerstand gegen IS, Beitrag von Rainer Schreg (14.03.2015) aventinum Nr. 89 [19.04.2015]: Armarium. Buchkultur in Oberpfälzer Klöstern, am […]

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2015/04/5816/

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Logbuch “Schizophrene Ökologien” 2: Gedankliche Diskontinuitäten und Arno Schmidts “Die Gelehrtenrepublik”

Das Gespräch fand im Postdoc-Büro um 14 Uhr nach einem gemeinsamen Mittagessen mit weiteren Kollegen statt. Die Dauer des Gesprächs war 17:33 min. Das Gespräch ist als Audiodatei am Ende des Eintrags zugänglich. Der Logbucheintrag wurde ungefähr 30 Minuten nach dem Gespräch begonnen und weitere 60 Minuten beendet. Bereits am Tag zuvor fand eine Chat-Unterhaltung über die möglichen Traktanden des Gesprächs statt und Arno Schmidt war auch Thema in der Mittagspause.

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Die Bestandesaufnahme zeigte, dass wir uns zunächst nur an eine unseren beiden Hauptthesen des letzten Gesprächs erinnerten und nur nach einigem Nachdenken und Reden die zweite These formulieren konnten. Diesen zähen Einstieg führten wir auf den Semesterbeginn und andere Aufgaben wie Aufsätze und Tagungen zurück, die in den letzten beiden Wochen anstanden. Weder Martin Bartelmus noch Sergej Rickenbacher hatten sich auf das Gespräch extra vorbereitet. Die zwei Hauptthesen, so wie wir sie erinnerten, lauteten:

Erstens findet die Assoziierung von menschlichen und nicht-menschlichen Wesen in Arno Schmidts „Schwarze Spiegel“ durch die Umwandlung von gegenständlichen Substantiven in Verben statt und zweitens wird vom letzten Menschen nur dann assoziiert, wenn kein menschliches Gegenüber vorhanden ist.

Auf Vorschlag von Sergej Rickenbacher begannen wir mit der Diskussion des Textes „Die Gelehrtenrepublik. Kurzroman aus den Roßbreiten“ von Arno Schmidt. Die Textkenntnisse sind unterschiedlich, da nur Martin Bartelmus den Roman vor einer Weile bereits ganz gelesen hat. Wir setzten das Gespräch von der Mittagspause fort, das sich vor allem um die Topographie bzw. die Kartographie des Romans drehte. Die Räume in “Die Gelehrtenrepublik“ scheinen Heterotopien zu sein, in denen neue Versammlungen von Menschen, Zentauren oder Never-Nevers stattfinden. Der Status der Gelehrtenrepublik als klassischer U-topos müsste dahingehend genauer analysiert werden. Weiter verfolgt werden muss der Hinweis von Arne Leopold, ehemaligen Stipendiaten des GRK1678, nach dem Mittagessen, dass die hybriden Wesen in mittelalterlichen Karten immer am Rande angesiedelt waren, was bis zu einem gewissen Grad mit dem Roman übereinstimmt.

“Die Gelehrtenrepublik“ kann angesichts seiner Konstruktion von Umwelt als ein typischer Text – noch eindeutiger als “Schwarze Spiegel“ – als schizophrene Ökologien bezeichnet werden, der die Versammlungen nach einem Tag X verhandelt. Stellt “Schwarze Spiegel“ eine Individualgeschichte dar, so hebt “Die Gelehrtenrepublik“ das Geschehen auf eine globale Ebene, was mit Latours Forderung nach einer Verschränkung von Globalem und Lokalem entspricht.

Diese Differenz zeigt sich auch in der Erzählanordnung. Es handelt sich um eine Reportage eines amerikanischen Journalisten über die zwei Welten. Entscheidend ist aber auch, dass diese Reportage zu einem späteren Zeitpunkt von einem Übersetzer ins Deutsche übertragen wird und dass dieser Übersetzer einen signifikant kleineren Wortschatz als der Protagonist besitzt. Zum einen haben wir es also mit einer schizophrenen Erzählerstimme zu tun, zum anderen existieren Übertragungsdefizite (Nachträgliche Anmerkung: Die Schizophrenie in der Stimme offenbart sich dank dieser Übertragungsdefizite).

Die defizitäre Übersetzung kann im Sinne Latours und dem risky account verstanden werden. Geschehen, Übersetzung in den Bericht und Übersetzung des Berichts für ein Publikum erzeugen Reibung. Erfolgsversprechend wäre für die Frage der Übersetzung wohl auch die Gegenüberstellung von Benjamins poetisch-sprachphilosophischen Übersetzungsbegriff und Latours soziologischem Verständnis. Zunächst stellt sich die Frage der Emergenzen, die wohl beide Begriffe in anderer Weise besitzen. Eine Differenz ist Latours Vorstellung, dass bei der Übersetzung immer alle Akteure mitgenommen werden (“Wir fahren alle zusammen mit dem Bus und müssen einen Fahrschein losen“).

Ausgehend von Latours “Parlament der Dinge“ könnte der Protagonist als Wissenschaftler, jedoch nicht als Diplomat bezeichnet werden. Ist das Buch der Diplomat? Oder wir als Leser? Ist Fiktion zu komplex für die Theorie in “Das Parlament der Dinge“, weil es sich nicht um Sphären sondern Verschachtelungen handelt und der Diplomat zum Parlament, das Parlament zur Ökologie werden kann? „Die Gelehrtenrepublik“ ist bereits in der Topographie, in der Erzählstimme, bei den Wesen schizophren sind, und schließt daher eher an Existenzweisen.

Zuletzt setzten wir uns zwei Ziele für das nächste Gespräch: Erstens eine Durchsicht der Forschungsliteratur zu “Schwarze Spiegel“ und “Die Gelehrtenrepublik“, zweitens ein Inventar an Hybriden und schizophrenen Ökologien (Nachtrag: Zusätzlich müsste die tatsächliche, metaphorische, vielleicht sogar poetologische Bedeutung der Kernschmelze bzw. der Radioaktivität auf die Schizophrenie diskutiert werden).

Per Münzwurf wurde entschieden, wer die Aufnahme ins Logbuch übersetzen muss. Martin Bartelmus wählte Zahl und gewann, d.h. Sergej Rickenbacher verfasste diesen Logbucheintrag.

Quelle: http://grk1678.hypotheses.org/569

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Vom Jagen und Sammeln. Die Sammlung Edlis/Neeson im Art Institute of Chicago

„Was passiert mit meiner Sammlung, wenn ich nicht mehr bin?“ fragte sich Stefan Edlis. Werden Anwälte entscheiden, was mit der über viele Jahre gesammelten Kunst passieren soll? Wird die Sammlung aufgeteilt und damit ihr besonderer Charakter zerstört? Nein, dachte sich der ambitionierte Sammler gemeinsam mit seiner Frau Gael Neeson und schenkte einen Teil der Kunstsammlung nun der Stadt, in der er seit 1951 lebt: Chicago.

Stefan Edlis und Gael Neeson haben eine der wohl wertvollsten Privatsammlungen zeitgenössischer Kunst zusammengetragen. Frühzeitig begannen sie dem Museum of Contemporary Art Chicago, dem Whitney Museum of American Art oder auch dem Solomon R. Guggenheim Museum in New York einzelne Kunstwerke zu schenken. Edlis störte es aber, dass diese Werke nach kurzer Zeit in den Depots der Museen verschwanden.

Mit dem Art Institute of Chicago haben Edlis und Neeson jetzt eine Vereinbarung getroffen, die dem Sammlerehepaar sowie dem Museum zugutekommt. Edlis umschrieb es als win-win-Situation für ihn, das Museum und die Stadt Chicago. Denn während das Art Institute of Chicago den beiden Kunstsammlern vertraglich zusichert, ihre Werke für fünfzig Jahre dauerhaft zu präsentieren, schenkt das Ehepaar im Gegenzug 42 Bilder und Skulpturen. Es ist die qualitativ wie quantitativ wertvollste Schenkung seit dem 136jährigen Bestehen des Hauses, denn die Kunstwerke schließen die Lücken der Sammlung, so James Rondeau, Kurator für Zeitgenössische Kunst am Art Institute of Chicago gegenüber der amerikanischen Presse.

Die meisten Werke stammen aus dem Bereich der Pop Art, darunter Bilder von Roy Lichtenstein und Andy Warhol. Mit den Arbeiten von Jasper Johns, Robert Rauschenberg, Cy Twombly, Brice Marden, Eric Fischl, Jeff Koons, Damien Hirst, Charles Ray, Takashi Murakami, Katharina Fritsch, Cindy Sherman, Richard Prince und John Currin erweitert das Museum seine Sammlung bis in die unmittelbare Gegenwart hinein.

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Gerhard Richter, Jagdgesellschaft (121), 1966 (c) Gerhard Richter

Ab Januar 2016 werden im Art Institute of Chicago aber auch vier Bilder des deutschen Malers Gerhard Richters zu sehen sein, darunter die „Jagdgesellschaft“ aus dem Jahr 1966.[1] Das Ölgemälde malte Richter nach einer Fotografie, die am 3. April 1966 im Magazin der stern abgedruckt worden war. Hier wird Belgien als Reiseziel wie folgt beworben: „Belgien hat vier Geräusche: Glockenspiel, Wind, Brandung und im Herbst – den Schall der Jagdhörner …“[2]. Entsprechend der Geräusche wurden die Bilder ausgewählt, darunter eine große Gesellschaft von Jägern mit ihren Hunden. Richter schnitt das schwarz-weiße Foto der Jagdgesellschaft aus, verkleinerte den Bildausschnitt und übertrug das Motiv mit dem Episkop auf eine 160 x 180 cm große, weiß grundierte Leinwand.[3]

Die „Jagdgesellschaft“ hat die Werknummer 121 und ist eines von acht Gruppenbildern, die Richter zwischen 1964 und 1966 nach Pressefotos anfertigte.[4] Allen gemein sind das große Format, welches an niederländische Gruppenportraits des 16. Jahrhunderts erinnert, sowie die Monochromie welche dem Schwarz-Weiß der Pressefotografie folgt.[5] Richter benennt diese Bilder neutral nach dem abgebildeten Sujets: „Matrosen“, „Krankenschwestern“ oder „Tänzerinnen“. Obwohl die Dargestellten in einigen der Werke namentlich benannt werden könnten, ist dies für den Künstler zweitrangig. Er möchte kein Portrait schaffen, sondern eine Gemeinschaft zeigen, die durch ihr Handeln, ihre Kleidung oder ihre Hautfarbe eine soziale sowie optische Einheit bildet: „Wissen Sie, was prima war?” so der junge Gerhard Richter Zu merken, dass solch eine blödsinnige, absurde Sache wie das simple Abmalen einer Postkarte ein Bild ergeben kann. Und dann die Freiheit, malen zu können, was Spaß macht. Hirsche, Flugzeuge, Könige, Sekretärinnen. Nichts mehr erfinden zu müssen, alles vergessen, was man unter Malerei versteht, Farbe, Komposition, Räumlichkeit, und was man so alles wusste und dachte. Das war plötzlich nicht mehr Voraussetzung für Kunst.“[6]

Als Gerhard Richter 1972 den Deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig gestaltete, präsentierte er die „Jagdgesellschaft“ gemeinsam mit dem Bild „Hirsch II (129)“[7]. In beiden Bilder greift der Maler auf “typisch deutsche” Themen zurück: „Natürlich hat der Hirsch – speziell für uns Deutsche mit unserer ausgeprägten Beziehung zum Wald – auch Symbolcharakter. Ich selbst wollte Förster werden in meiner Jugend, und ich war damals ganz begeistert, als ich einen richtigen Hirsch entdeckte und photographieren konnte, im Wald. Später malte ich ihn, und das Bild war dann etwas weniger romantisch als mein Jugendphoto.“[8] Seit der Romantik gehören der Hirsch und der Wald zum zentralen Thema der deutschen Dichtung, Musik und Bildenden Kunst. Im Märchen stilisiert als Schwellenraum zwischen Diesseits und Jenseits, als Ort von Geistern und Göttern avanciert der Wald in der Landschaftsmalerei der Romantik zu einem mystisch-sakralen Naturraum, in dem die Tiere des Waldes miteinander leben. Im ausgehenden 19. Jahrhundert zum Klischee geworden, gehören das Waldstück und der röhrende Hirsch über das Sofa einer gutbürgerlichen Stube.[9] Im Atlas von Gerhard Richter findet sich die enge Bindung der beiden Motive ebenfalls wieder. Auf der 11. Atlastafel montierte Richter die Vorlage für die “Jagdgesellschaft” neben die Bildvorlage für „Hirsch II”“.[10]

Selten war Richters „Jagdgesellschaft“ öffentlich zu sehen. Genau fünfzig Jahre nach der Entstehung des Bildes, ab Januar 2016, wird es mit dem “Schall der Jagdhörner” im Art Institute of Chicago einziehen und dauerhaft zu sehen sein.

 

 

[1] Vgl. Dietmar Elger: Gerhard Richter. Catalogue raisonné 1962-1968, Vol. 1, hg. vom Gerhard Richter Archiv, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Ostfildern 2011, S. 252.

[2] In: stern, 3.4.1966, S. 110; vgl. auch Gerhard Richter Atlas, hg. von Helmut Friedel, Städtische Galerie im Lenbachhaus München, 2. Aufl., Köln 2011, Tafel 11 Zeitungsfotos 1963-1966.

[3] Zur Malweise vgl. In der Werkstatt: Gerhard Richter, 1969, Dokumentarfilm von Hannes Reinhardt, Orbis Film Hannes Reinhardt, 1969, auf: Gerhard Richter. Das Kölner Domfenster. Ein Film von Corinna Belz (DVD), zero one film 2008 (Schriften des Gerhard Richter Archiv Band 2).

[4] Vgl. Neger (Nuba) (45), 1964, 145 x 200 cm; Personengruppe (83), 1965, 170 x 200 cm; Schwimmerinnen (90), 1965, 200 x 160 cm; Krankenschwestern (93), 1965, 48 x 60 cm; Versammlung (119), 1966, 160 x 115 cm; Tänzerinnen (123), 1966, 160 x 200 cm; Matrosen (126), 1966, 150 x 200 cm.

[5] Eine Ausnahme macht das Bild „Schwimmerinnen (90), 1965, 200 x 160 cm. Die Vorlagen stammt aus einem amerikanischen Magazin und ist eine schwarz-weiß Aufnahme. Sie zeigt acht Schwimmerinnen, die für die USA an der Olympiade in Tokio 1964 teilnahmen. Richter färbt sein Bild rosa ein.

[6] Gerhard Richter, in: Notizen 1964-1965, in: Gerhard Richter. Text 1961 bis 2007. Schriften, Interviews, Briefe, hg. von Dietmar Elger und Hans Ulrich Obrist, Köln 2008, S. 31.

[7] Vgl. auch Hirsch (7), 1963, 150 x 200 cm; Hirsch II (129), 1966, 130 x 150 cm.

[8] Gerhard Richter über „ Hirsch (7)“, 1963, in: Interview mit Sabine Schütz, in: Gerhard Richter. Text (wie Anm. 6), S. 258-259.

[9] Vgl. Silke Krohn: Der Hirsch. Popularisierung und Individualisierung eines Motivs, Weimar 2008; Ute Jung-Kaiser (Hg.): Der Wald als romantischer Topos. Eine Einführung, in: Dies. (Hg.): Der Wald als romantischer Topos 5. Interdisziplinäres Symposion der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main 2007, Bern 2008, S. 13-35.

[10] Vgl. Anm. 2.

 

 

Quelle: http://gra.hypotheses.org/1822

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