Bericht vom Panel 4 der Tagung „Areas and Disciplines“ in Berlin, 19. Oktober 2013
Von Luise Neubauer und Katrin Kaptain / Forum Transregionale Studien
Teilnehmer/innen:
- Hannah Baader, Kunsthistorisches Institut Florenz / ART HISTORIES AND AESTHETIC PRACTICES
- Mohamed Kamal Elshahed, New York University / EUME Fellow 2013-14
- Monica Juneja, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
- Viola König, Ethnologisches Museum Berlin
Moderation: Andreas Beyer, Deutsches Forum für Kunstgeschichte Paris
Abstract
The participants of the fourth panel “Art between History and Practice” concordantly agreed that art history as a discipline and the practice of the European museums have been shaped by the notion of nation ever since their institutional establishment in the nineteenth century. This founding moment and its specific context seemed to be a topic that most of the discussed disciplines shared at the conference “Areas and Disciplines”. Nevertheless, visual studies generally have to deal with transregional processes – since the artifacts and objects examined were travelling and often obtained by conquests or exchange. With the opening up to new global perspectives, calls for a renewal of the discipline repeatedly emerged over the last couple of years. The panel participants discussed these demands not only in methodological terms but even more specific – in terms of the study and preservation of objects and archival materials that often were untended or neglected, sometimes forgotten due to political developments. Several times participants emphasized the urge for close collaborations between museums and university institutions, despite the problems and traps of these co-operations, that the participants were equally aware of.
Zusammenfassung
Die Teilnehmerinnen1 des Panels 4 „Art between History and Practice“ konstatierten einstimmig, dass die Disziplin Kunstgeschichte und die Praxis der europäischen Museen seit ihrer institutionellen Etablierung im 19 Jh. grundständig national geprägt sind – ein Entstehungskontext, mit dem sich fast alle auf der Tagung „Areas and Disciplines“ vertretenen Disziplinen auseinandersetzen müssen. Gleichwohl widmen sich visuelle Studien im Allgemeinen solchen Gegenständen und Artefakten, die durch Reisen, Eroberungen und Austausch von jeher als transregional zu definierten sind. Die im Zuge der Öffnung auf globale Perspektiven in den vergangenen Jahren wiederholt geforderte Erneuerung des Fachs Kunstgeschichte wurde von den Teilnehmerinnen nicht nur im Bereich der Methodik verortet, sondern im Speziellen auch in der Erschließung und Bewahrung von Objekten und Archivmaterial, denen bislang keine oder nicht genügend Beachtung geschenkt worden ist, oder die aus politischen Gründen ins Vergessen geraten sollen. Die Zusammenarbeit von Museen und universitären Einrichtungen wurde mehrfach und nachdrücklich gefordert, obwohl die Teilnehmerinnen zugleich von verschieden gelagerten Problemen und auch Fallstricken dieser Kooperationen zu berichten wissen.
Nationale Kunstgeschichtsschreibung vs. Transregionalität der Kunst
Alle vier Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Panels 4 „Art between History and Practice“ waren sich in einer Frage einig: Sowohl die Disziplin Kunstgeschichte als auch die museale Praxis in Europa sind seit ihrer institutionellen Etablierung im 19 Jh. grundständig national geprägt und haben sich dementsprechend vornehmlich Objekten unter der Fragestellung der eigenen nationalen Identität gewidmet. Die Objekte selbst, mit denen sich beide Bereiche befassen, sind freilich schon immer transregional gewesen: Nicht nur Goldschmiedearbeiten, Grafiken, Skulpturen oder illuminierte Bücher wurden zwischen unterschiedlichsten Orten und Kulturen zirkuliert, auch Künstlerinnen sind immer schon gereist, haben sich Techniken angeeignet und Wissen weitergegeben. Die den Artefakten eigene Mobilität hat sich ebenso in Architekturen niedergeschlagen, wie von den Panelistinnen an mehreren Beispielen anschaulich gezeigt wurde. Wie jedoch mit dem nicht selten hoch politisch aufgeladenen Konflikt umzugehen ist, der sich zwischen den historisch gewachsenen Methoden einer Disziplin bzw. staatlichen Institution und ihrem zu untersuchenden Gegenstand auffächert, hat an diesem Tag unterschiedliche Antworten, vor allem aber offene Fragen hervorgebracht. Die im Zuge der Öffnung auf globale Perspektiven in den vergangenen Jahren vielfach geforderte Erneuerung des Fachs Kunstgeschichte wurde von den Teilnehmerinnen dabei nicht nur im Bereich der Methodik verortet, sondern im Speziellen auch in der Erschließung und Bewahrung von Objekten und Archivmaterial.
Der Moderator Andreas Beyer vom Deutschen Forum für Kunstgeschichte Paris beurteilte eingangs die Situation der Kunstgeschichte im Vergleich zu anderen geisteswissenschaftlichen Fächern durch die Einrichtung neuer Lehrstühle zu unterschiedlichen Themenbereichen als gut und inhaltlich breit aufgestellt. Was Andreas Beyer jedoch unerwähnt ließt, war der Umstand, dass bei Kürzungen in der Regel zuerst die kleinen „Orchideenfächer“ dem Rotstift zum Opfer fallen, wie jüngst die Südasiatische Kunstgeschichte an der FU Berlin. Das Beispiel zeigt, dass der Erforschung einer als „europäisch“ definierten Kunst in Deutschland nach wie vor die unhinterfragte Vorrangstellung zukommt.
Absage an Universalmuseen als Aneignung von Welt
Hannah Baader, Kunsthistorisches Institut Florenz, Max-Planck-Institut, und wissenschaftliche Leiterin des Forschungsprogramms Art Histories and Aesthetic Practices am Forum Transregionale Studien, erkannte einen deutlichen Wandel der Disziplin Kunstgeschichte. In ihren Augen sind die größten Herausforderungen die wissenschaftlichen und museologischen Methoden, die verändert und angepasst werden müssen. Dies könne nur auf der Basis der Erschließung, Erhaltung und Zugänglichkeit von Objekten sowie historischen Quellen erfolgen, ohne dabei der Gefahr eines „neuen Kolonialismus“ anheim zu fallen. Dabei mag vor allem das grundlegende Handwerk der Kunsthistorikerin, die genaue und dichte Beschreibung der formalen Aspekte von Objekten, also ihrer Qualität im Sinne einer Materialität sowie der Herstellungsweise, vor allzu vorschnellen Interpretationen und Zuweisungen schützen.
Wie eng dabei allerdings die Arbeit der Kunsthistorikerinnen mit ihren Objekten verknüpft ist, zeigte der kleine wissenschaftsgeschichtliche Exkurs Baaders in die Zeit der Entstehung der wissenschaftlichen Objektivität im 19. Jahrhundert. Wie Lorrain Daston und Elisabeth Lunbeck in ihrem Buch „Histories of Scientific Observation“ aufgezeigt haben, spielten vor allem künstlerische Praktiken der Beobachtung eine zentrale Rolle bei der Wissensgenerierung der modernen Disziplinen. Diese Form der Betrachtung und Beobachtung wurde nicht nur prägend für das Selbstverständnis von Kunsthistorikerinnen. Aus dem Verfahren der Analyse von Objekten, der Herauslösung aus dem Kontext und schließlich der Neuanordnung in Glasvitrinen, ging die Idee des Universalmuseums hervor. Diese Form der Aneignung der Welt war immer auch eine Manifestation ungleicher Machtverhältnisse, dessen Erbe heute Kuratorinnen und Wissenschaftlerinnen vor enorme kulturelle und moralische Konflikte stellt. Zur Lösung muss, laut Baader, vor allem die Lücke zwischen Universitäten und Museen geschlossen werden, wie dies beispielsweise durch das Kooperationsprojekt des KHI Florenz – Max-Planck-Institut mit den Staatlichen Museen zu Berlin „Connecting Art Histories in the Museum“ bereits mit dem dritten Jahrgang an Doktorandinnen und Postdoktorandinnen erfolgreich realisiert wurde.
Plädoyer für die gemeinsame Arbeit vor Ort
Anhand eines Fallbeispiel aus dem vorangegangenen Fellowprogramm „Art, Space and Mobility“, eine Kooperation zwischen der Getty Foundation und dem KHI Florenz, zeigte Baader das enge Beziehungsgeflecht auf, das zwischen Raum, Geschichte und Architektur besteht, ebenso wie neue Herangehensweisen einer „Global Art History“. Eine Exkursion führte die Gruppe von Doktorandinnen und Postdoktorandinnen in die Geisterstadt Ani, die an der stark umkämpften Grenze zwischen der Türkei und Armenien liegt. Der Bauschmuck der noch heute erhaltenen Ruinen zeugt von der wechselhaften religiösen und politischen Geschichte Anis, die im 10. Jahrhundert als Hauptstadt des muslimischen Königreichs Armenien gegründet, in Folge vom christlich-orthodoxen Georgischen Königreich wiederholt erobert und wieder verloren, bis sie schließlich 1319 durch ein Erdbeben zerstört und verlassen wurde. Beispielsweise schließen islamische Muqarnas die Zwickel an der Kirche Tigran Honents ab, in der die orthodoxe Liturgie nach gregorianischer Tradition gefeiert wurde. Die kulturellen Verflechtungen, die sich an diesem Ort verdichteten, ebenso wie das noch heute starke politische Interesse an Geschichte und Tradition dieses Ortes (der Armenischen Bevölkerung wird der Zugang zu ihrer alten Hauptstadt auf türkischem Staatsgebiet verweigert), ließen sich kaum durch eine Expertin allein erfassen. Hingegen eröffnet die Auseinandersetzung einer Gruppe von Wissenschaftlerinnen mit unterschiedlichem regionalem und kulturellem Hintergrund vor Ort eine Dimensionsvielfalt, die der Komplexität des Ortes Rechnung trägt.
Eine weitere Problematik, die von Baader ebenso wie später von Elshahed angesprochen wurde, ist die Auffindbarkeit, Zugänglichkeit und Verfügbarkeit von Kunstwerken sowie von Archivalien. Der Fall des Nationalmuseums in Sarajewo mache deutlich, dass dessen Schließung auf unbestimmte Zeit und die damit entstandene Unzugänglichkeit der Objekte immer auch im Zusammenhang mit politischen Interessen steht und substantielle Auswirkungen auf das nationales Gedächtnis hat. In Anlehnung an Gayatri Spivak, Mitbegründerin der postkolonialen Theorie, stellte Baader abschließend fest, dass die Notwendigkeit einer ästhetischen Sensibilisierung und Bildung die Grundvoraussetzung für die Idee einer globalen Gerechtigkeit und einer internationalen Demokratie ist.
“Hybridität” als wissenschaftliche Zwangsjacke
Monica Juneja (Cluster of Excellence “Asia and Europe in a Global Context”, Universität Heidelberg) stellte die im Zusammenhang des „global turn“ durchaus kontroverse und – wie es scheint – an alle Konferenzteilnehmerinnen gerichtete Frage, inwieweit das Bestreben, verschiedene Regionen in einen gemeinsamen Rahmen einzupassen, mit der Gefahr verbunden ist, die Diversität dieser Regionen zu verflachen. Sie zweifelte daran, ob etablierte Begriffe des Postkolonialismus wie „blurred boundaries“, „Hybridität“, „Kreolisierung“ oder „fuzzieness“ auch heute noch erklärende Funktion haben können. Vielmehr scheinen diese in den vergangenen Jahren zu einer Art Zwangsjacke bzw. wissenschaftlichen Orthodoxie geworden zu sein. Indem sie eine Fülle von ganz unterschiedlichen Erfahrungen als kommensurabel behandeln, folgen sie der Logik einer „Herstellung von Vergleichbarkeit“. Juneja plädierte daher dafür, immer auch die Möglichkeit von Unvergleichbarkeit zuzulassen.
Dieses Problem sah Juneja besonders in Hinblick auf distinkte kulturelle Praktiken, allen voran Praktiken des Sehens und der Visualität. In vielen Kulturen ist das Sehen nicht isoliert zu verstehen, sondern als synästhetische Erfahrung stets mit anderen Sinnen verbunden, wie beispielsweise dem gleichzeitigen Betrachten eines Manuskripts und der oralen Rezitation, sodass das Hören und Sehen in einem performativen Akt miteinander korrespondieren. Ein rein europäisches Verständnis von Sehen nivelliere hingegen derartige Verhandlungsprozesse. Ein gelungenes Beispiel sich derartigen Fragen interaktiver Dynamiken und kultureller Alteritäten zu widmen, sah sie in der Forschergruppe der Freien Universität „Transkulturelle Verhandlungsräume von Kunst“ verwirklicht.
Ähnlich wie für Baader stellte auch für Juneja die Zusammenarbeit von Museen und universitären Einrichtungen eine dringende Notwendigkeit dar, um die kolonialen Voraussetzungen der heutigen Existenz von Objekten in den europäischen Museen zu unterminieren und aufzuzeigen. Wie schwer sich dieser Anspruch jedoch realisieren lässt und wie tief die historischen Klassifizierungen im europäischen Verständnis verankert sind, zeigte Juneja am Fall des Musée du quai Branly in Paris. Im Neubau wird seit 2006 die nationale Sammlung kolonialer Artefakte in einem Display präsentiert, das den Anspruch hat, die Objekte aus Afrika, Asien, Ozeanien, Süd- und Nordamerika nicht als ethnologische Funde zu behandeln, sondern sie in ihrer formalen Gestaltung als Kunstobjekte zu privilegieren. Juneja hegte jedoch begründeten Zweifel, inwieweit hier wiederum die alten kolonialen Weltanschauungen – quasi „durch die Hintertür“ – Eingang finden, indem die als „primitiv“ konnotierten Objekte erst durch die Allianz mit der modernen Abstraktion (Europas) in den Rang des Kunstwürdigen gehoben werden. In Anspielung auf das geplante Humboldtforum in Berlin, merkte Juneja ebenso kritisch an, dass der Versuch der Universalmuseen, die Welt unter einem Dach bzw. hinter einer Schlossfassade zu vereinen, dem Zweck dienen könnte, ein kosmopolitisches Image eines Nationalstaats zu kreieren.
Der Fall des Musée du quai Branly, Paris
Die dringenden Fragestellungen einer transregional ausgerichteten Kunstgeschichte waren für Juneja daher, unter welchen Aspekten der Westen die Welt in institutionellen Räumen assimiliert und was genau die Bedingungen des visuellen Displays im Sinne eines kuratorischen Framings sind. An die links neben ihr sitzende Leiterin des Ethnologischen Museums, Viola König, adressierte sie daher die durchaus ernst gemeinte Frage, wieviel historischen Kontext ein Museumsdisplay integrieren solle. Dabei kam es ihr augenscheinlich nicht darauf an, dass zwingend immer alle Geschichten erzählt werden müssen, die die Museumsobjekte während ihrer Reisen durch die ganze Welt und verschiedene Kulturen „erlebt“ haben. Viel wichtiger wäre es für Juneja, die Bedeutung dieser Reisen und Geschichten für diese Kulturen hervorzuheben.
Eine ähnliche Kritik an der gegenwärtigen Ausstellungspraxis zweier der renommiertesten westlichen Museen – des Louvre in Paris und des Metropolitan Museums in New York – übte eingangs auch Mohamed Elshahed, Fellow des Programms Europa im Nahen Osten – Der Nahe Osten in Europa und Herausgeber des „Cairo Observers“. Als selbsterklärter Modernist sei er schockiert gewesen, dass die beiden jüngst umgestalteten Abteilungen für Islamische Kunst äußerlich zwar einen neuen Anstrich bekommen hätten, aber die Displays nach wie vor denselben Narrativen folgten.
An seinem Curriculum zeigen sich einige der auf der Tagung adressierten Probleme von „Areas and Disciplines“: Elshahed hat zuerst Architektur in Kairo studiert und ist in Folge zu den Middle East Studies gewechselt, um über Architektur der 50er und 60er Jahre zu arbeiten. Er musste jedoch feststellen, dass die Area Studies zum Mittleren Osten nicht an architektonischen Fragestellungen dieses Zeitraums interessiert waren, sodass er als Nachwuchswissenschaftler stets mit dem Problem konfrontiert ist, mit seinen Fallstudien zu moderner Architektur Kairos in keines der Fächer zu „passen“. Die Geringachtung der eigenen architektonischen Hervorbringungen der 50er und 60er in Ägypten sah er nun aber darin begründet, dass im Mittleren Osten die Moderne per se als zweifach illegitim angesehen werde: Entweder sei sie dem westlichen Vorbild zu ähnlich und damit irrelevant oder aber sie versuche sich so sehr vom beherrschenden westlichen Vorbild abzusetzen, dass sie nur scheitern könne.
Wertschätzung der Moderne in Ägypten
Über die meisten seiner Forschungsgegenstände gibt es nahezu keine Informationen oder Archivalien. Viele der sich elegant mit geschwungenen oder kantigen Formen in den städtebaulichen Kontext einfügenden Villen, Bürogebäude, Strandpromenaden oder Hochhäuser existieren nicht mehr, allein ihre fotografischen schwarz/weiß-Reproduktion in alten Magazinen und Zeitschriften zeugen von ihrer früheren Existenz, in den meisten Fällen aber ohne Angaben zum Erbauungszeitpunkt, Auftraggeber oder Architekten. Elshahed muss, in Ermangelung entsprechender Archive für moderne Architektur im Mittleren Osten, Grundlagenarbeit mit der Erschließung von Ressourcen betreiben. Dabei erschien es ihm paradox, dass der Forschung über das 15. und 16. Jahrhundert sehr viel mehr Archivmaterial zur Verfügung steht als seiner Arbeit über Gebäude, die vor nicht mal 60 Jahren entstanden sind.
Die Frage von Archiven, deren Unzugänglichkeiten und geschlossenen Museen brachte ihn, wie Baader, zu der übergeordneten Frage, wie wir als Wissenschaftlerinnen generell mit dem – bisweilen kriegsbedingten – Verschwinden von visueller Evidenz umgehen sollten und welche Auswirkungen diese Dynamiken auf das gesellschaftliche Gedächtnis haben. Im Gegensatz zu Europa und Nordamerika existieren in Ägypten jedoch generell keine Nationalmuseen der Moderne oder Museen für Photographie, Film oder Architektur. Elshahed erklärte, dass die ägyptische Bevölkerung keinen Zugang zu wichtigen Momenten ihres eigenen kulturellen Erbes hat.
Im Kontext der auf dieser Tagung diskutierten Fragen der globalen Öffnung der europäischen Wissenschaften war es mehr als unglücklich, dem ägyptischen Nachwuchswissenschaftler Elshahed als einzigem Redner das Wort vor dem Ende seiner Ausführungen abzuschneiden.
Wer hat das Recht, die materielle Kultur von anderen zu besitzen und zu präsentieren?
Die aufgefächerte Breite der Perspektiven des Fachs Kunstgeschichte wurde mit dem Beitrag der Direktorin des Ethnologischen Museums in Berlin, Viola König, abgerundet. Zusammen mit ihren Mitarbeiterinnen steht sie vor der aktuellen Herausforderung, die rund 500.000 Objekte umfassende Sammlung des Ethnologischen Museums bis 2019 in das Konzept des Humboldt-Forums zu integrieren. Dabei muss sie sich mit der kritischen Frage auseinandersetzen, die beständig an ethnographische Sammlungen gerichtet wird: Wer hat das Recht, die materielle Kultur von anderen zu besitzen und zu präsentieren? König fragte dementsprechend, wie das Berliner Museum dem Dilemma entgehen könne: entweder die altbewährte Ausstellungspraxis und damit die Formen der kolonialen Aneignung sowie europäischer Machtansprüche fortzuführen oder aber – als anderes Extrem – alle Objekte zurück zu geben und das Museum zu schließen, wie vom Soziologen Tony Bennett gefordert.
Dabei sah sie das derzeit in den Museen Dahlem installierte Künstlerlabor „Humboldt Lab Dahlem“ nicht unkritisch. Die im Lab installierte „Probebühne“ experimentiert mit neuen Formen der Ausstellungspraxis „nicht-europäischer“ Objekte, um die Möglichkeiten eines modernen ethnologischen Museums auszuloten. Auf den ersten Blick erscheint die Einbeziehung zeitgenössischer Künstlerinnen aus den Herkunftsländern der Objekte vielversprechend, um eine durch den europäischen Aneignungsprozess verlorengegangene Bedeutungsebene zurückzugewinnen und um den kulturellen Diskurs auf eine neue Ebene zu heben. Zugleich sah König jedoch die Schwierigkeiten einer dadurch entstehenden Involvierung in aktuelle politische Interessen. Die im Lab entwickelten Projekte eröffnen neue Möglichkeiten, Fragen wie die des Perspektivismus neu zu verhandeln. Jedoch stand für die Direktorin fest, dass es nicht Aufgabe zeitgenössischer Künstlerinnen und deren Installationen sein könne, den „historischen Wert“ der Museumsobjekte darzulegen. Zwar seien die Grenzen der Geschichte beweglich, aber man müsse, um die Gegenwart zu begreifen, zuerst die Vergangenheit verstehen.
Forschen und Präsentieren
In einer nicht ganz unproblematischen Verallgemeinerung forderte König, dass dementsprechend zuallererst die gemeinsame Anstrengung unternommen werden müsste, die „historischen Codes zu entschlüsseln“. Wie sie selbst als Ethnologin auf ihren vielfachen Feldstudien festgestellt habe, fänden sich die Schlüssel nicht selten auch im lebendigen Gedächtnis der Bevölkerung. Eine solche Unternehmung entspringe letztendlich einer zutiefst menschlichen Neugier, die grundlegenden Prinzipien künstlerischer und ästhetischer Praktiken zu verstehen. Ihre derart umrissene Vorstellung eines universellen, jedem Menschen auf der Welt innewohnenden Forscherdrangs sollte hinterfragt werden – zumal wenn König aus der Perspektive einer europäischen Ethnologin von einem „wir“ spricht, das die erkenntnisgetriebene Erforschung der „ursprünglichen Kulturen“ unternehmen müsse. Die von Juneja geäußerte Vorsicht hinsichtlich allgemeiner Vergleichbarkeiten im Sinne anthropologischer Grundkonstanten könnte an dieser Stelle angebracht sein.
Abschließend berichtete König von einer Kooperation mit der zeitgenössischen mexikanischen Künstlerin Mariana Castillo Deball (im Rahmen des Exzellenzclusters „Topoi“), die 2013 den Preis der Nationalgalerie für Junge Kunst für eine raumgreifende Installation einer prekolumbianischen Karte von Tenōchtitlan im Hamburger Bahnhof verliehen bekommen hatte. Mit ihrer eigenen, historisch ausgerichteten Arbeit der Dekodierung dieser Karte, die von Hernán Cortés an Kaiser Karl V. gesandt wurde, konnte König einen entscheidenden Beitrag leisten, die historische Weltanschauung dieser Karte zu verstehen – eine Aufgabe, die die zeitgenössische Künstlerin, laut König, nicht auch noch hätte leisten können. Es war Königs erklärtes Anliegen, eine Lanze dafür zu brechen, dass auf dem Feld transregionaler Studien nur mit der Entschlüsselung von kulturellen und historischen Coes die „wahre“ Forschung betrieben werden könne.
Disziplinäres Re-Framing oder nationale Selbstversicherung?
Trotz aller Einigkeit hinsichtlich der notwendigen Öffnung der Kunstgeschichte auf globale Fragestellungen hat das Panel „Art between History and Practice“ gezeigt, wie schwierig sich besonders die geforderte institutionelle Zusammenarbeit von akademischer Forschung und musealer Praxis gestaltet, um eigene, ganz neue Lösungen für den adäquaten Umgang mit dem kolonialen Erbe zu finden. Im Veranstaltungstext des Panels wurde ein „methodologisches re-framing“ gefordert, damit sich die Kunstgeschichte über die eigenen „Grenzen ihrer traditionellen Perspektiven“ hinwegsetzen kann. Die Lösung sollte jedoch nicht darin liegen, mit einer allgemeinen Theorie von Wechselbeziehungen eine neue Deutungshoheit über globale Prozesse zu generieren. Schwieriger erscheint im postkolonialen Kontext vielmehr eine selbstkritische Reflexion der eigenen Ziele: Vor allem die oft geäußerte Absicht, über die „eigenen“ Grenzen hinaus zu gehen und das „Andere“ zu erforschen. Denn beinhaltet nicht bereits der Akt, das „Andere“ als „anders“ bzw. als „nicht – europäisch“ zu bezeichnen, eine durch koloniales Denken bestimmte europäische Selbstversicherung und dient allem voran der Stabilisierung von Differenz?
Vergleichbare Fragen muss sich die Disziplin Kunstgeschichte im Kontext der interdisziplinär ausgerichteten Tagung „Areas and Disciplines“ stellen. Bereits im ersten, wissenschaftssoziologisch ausgerichteten Panel „Thinking Transregional Studies“ identifizierte Engseng Ho, Duke University Durham, die westliche Theorie- und Wissensproduktion generell als Resultat des Konzepts von Nation und Staat: „A powerful internal-constitutionalist sociology which has kept us thinking along national lines and has banished the external.“ Diese „mächtige Soziologie“ scheint sich im Umgang mit Artefakten in besonderer Weise niederzuschlagen: Zu- und Abschreibungen, Klärung von Besitzverhältnissen und Ansprüchen auf kritische Objekte gehören noch immer zu den Kernkompetenz der Kunstgeschichte, welche ihr anschauliches Gegenüber in der musealen Praxis der „Aus-Stellung“ staatseigener und staatsfremder Artefakte in eigens errichteten, aber getrennten Häusern hat. So wird beispielsweise das Berliner Schloss sowohl als architektonischer Neubau als auch als konzeptuelles Museum „nicht-europäischer“ Kulturen der Museumsinsel gegenüberstehen, die vorwiegend europäische Kunst beheimatet. In diesem Zusammenhang gewann Hos Aufruf, zukünftige transregional ausgerichtete Forschungen mit einer integrativen Gesellschaftsvision zu vereinbaren, eine dringende Aktualität. Der ambitionierte Ruf des Anthropologen und Historikers nach grenzüberschreitenden Konzepten wie „Mobilität“ mag im Falle kunsthistorischer Artefakte vielleicht nicht neu sein, freilich aber mit Blick auf die disziplinär-strukturellen und damit wissensgenerativen Prozesse der Kunstgeschichte selbst. Dominic Sachenmaier, Jacobs Universität Bremen, machte im selben Panel wie Ho auf das zentrale Problem der westlichen Zitations-Indices aufmerksam, die zwar im westlichen Kontext eines der wichtigen Werkzeuge zur Diskursivierung darstellen. Zugleich werden durch dieses System aber Wissenschaftlerinnen, die außerhalb dieses Systems publizieren, durch Geringbeachtung nahezu ausgeschlossen – abgesehen von den in westlichen Institutionen ansässigen „intellektuellen Migranten“.
Der von allen Teilnehmerinnen des kunsthistorischen Panels konstatierten Mobilität visueller Artefakte steht die eigene Unbeweglichkeit der auf den Westen konzentrierten Kunstgeschichte und Museen gegenüber. Zugleich hat das Panel „Art between History and Practice” aber auch gezeigt, dass sich hier und da Bewegungsversuche des recht schwerfälligen kunsthistorischen Körpers regen.
- Im Tagungsbericht wird das generische Femininum für allgemeine Personenbezeichnungen verwendet.
Quelle: http://trafo.hypotheses.org/1113