Bilderkrieger, oder: Wer fotografiert den Krieg?

Bilderkrieger Cover

 

„Mein Arbeitsplatz ist sicher, denn diese Typen – sie werden niemals aufhören zu kämpfen. Ich würde aufhören, wenn das nur ein Job wäre. Aber es ist eine Art zu leben.“

 

Michael Kamber, Bilderkrieger. Von jenen, die ausziehen, uns die Augen zu öffnen. Kriegsfotografen erzählen, Ankerherz Verlag 2013

Michael Kamber, Bilderkrieger. Von jenen, die ausziehen, uns die Augen zu öffnen. Kriegsfotografen erzählen, Ankerherz Verlag 2013

Was der französische Kriegsfotograf Patrick Chauvel hier zum Ausdruck bringt, würden viele seiner Kollegen sicher unterschreiben. Wer einmal angefangen hat, Krieg zu fotografieren, kommt davon oft nicht mehr los – so zumindest berichten es viele der in diesem Band vertretenen Fotografinnen und Fotografen. Der von Michael Kamber zusammengestellte Band enthält 21 Gespräche mit 15 Männern und fünf Frauen, die in Kriegen von Vietnam bis Afghanistan fotografierten (Joao Silva ist mit zwei Gesprächen vertreten).

Eingeteilt sind die Gespräche in die Komplexe „Mission“, „Krieg“ und „Narben“. Überwiegend handelt es sich dabei um bereinigte Transkriptionen von Interviews, in zwei Fällen (Francesco Zizola und Don McCullin) um Erinnerungsprotokolle von Gesprächen, die nicht aufgezeichnet wurden. Die hier besprochene Ausgabe ist eine Übersetzung des bei University of Texas Press ebenfalls 2013 erschienenen Buches  Photojournalists on War – The Untold Stories from Iraq. Die einzelnen Beiträge sind zwischen 5 und 12 Seiten lang und schließen jeweils mit einer einzelnen doppelseitigen Abbildung aus dem Werk des Fotografen. Am Ende findet sich zudem ein visueller Epilog, der aus neun Fotografien von Personen besteht, die im Interviewteil nicht vertreten sind.

Aus den Interviews geht hervor, wie unterschiedlich die einzelnen Kriegsfotografen arbeiteten und noch arbeiten. Gleichwohl bilden sich auch bestimmte Muster heraus, die immer wiederkehren und so dazu beitragen, einen „idealtypischen“ Kriegsfotografen entstehen zu lassen, den man etwa so beschreiben könnte: Am Anfang steht zwar keine Ausbildung, aber die Überzeugung, dass es eine moralische Verpflichtung gibt, das vom Krieg verursachte Leid zu dokumentieren und der Weltöffentlichkeit zu zeigen, und zwar unabhängig davon, ob sich die Weltöffentlichkeit dafür auch interessiert oder nicht – letzteres sei nämlich häufig der Fall. Partei ergreifen die Fotografen selten für einen Krieg führenden Staat oder eine Gruppe im Bürgerkrieg; Partei ergreifen sie aber sehr wohl für die leidende Zivilbevölkerung. Dass sie selbst sich dabei in Lebensgefahr begeben, nehmen sie billigend in Kauf. Angst empfinden sie, fühlen sich jedoch entweder verpflichtet, diese in den Griff zu bekommen, oder genießen auch den Adrenalinkick, den die Gefahrensituation auslöst. Sie sind extrem genügsam, untereinander gut vernetzt und haben entweder keine Familie oder sind geschieden.

So weit bestätigen sie frühere Aussagen von Kriegsfotografen, die es in großer Zahl gibt und die stets um die gleichen Themen kreisen. Dennoch sind die Interviews spannend zu lesen und da besonders eindrücklich, wo die Protagonisten ihre eigene Verstrickung in das Geschehen beschreiben: Manche leiden, wie Soldaten, unter posttraumatischem Stresssyndrom, manche haben Schuldgefühle, weil sie Mitmenschen in Gefahr bringen oder befürchten, dass die Präsenz der Kamera Gewalttaten auch auslösen (statt verhindern) kann.

Zudem kommen auch einige Fotografen zu Wort, die nicht den Krieg selbst, sondern seine Folgen dokumentieren, sei es im Zusammenhang mit der Benachrichtigung der Angehörigen von gefallenen Soldaten, sei es im Kontext der Rehabilitation Schwerverletzter, die von der Öffentlichkeit gern vergessen werden. Diese Fotografen bilden ein gutes Gegengewicht zum Typ Gefahrensucher, als der die meisten Kriegsfotografen erscheinen – mitunter allerdings wohl auch zu Unrecht. Schließlich erklären alle hier vertretenen Fotografen, dass Vorsicht, Erfahrung, vernünftiges Abwägen von Risiken und eine gute Vernetzung ausschlaggebender für den Erfolg seien als blindes Draufgängertum.

Eine historische Einordnung der Kriegsfotografie in die Geschichte des 20. Jahrhunderts nimmt der Herausgeber nicht vor – und das ist auch gut so, gibt es doch schon reichlich Literatur zum Thema. Besonders beeindruckend ist indes die Auswahl der im Band abgedruckten Fotografien, die zum Teil schon durch die Medien gingen, darunter Anja Niedringhaus’ Foto eines U.S. Marine im Irak, der eine GI Joe Figur – also eine Art militärischen Ken – im Rucksack trägt; dieses Bild gewann als Teil einer Serie einen Pulitzer-Preis für Fotografie. (Anja Niedringhaus wurde am 4. April 2014 – weniger als ein Jahr nach Erscheinen des Buches – bei der Ausübung ihrer journalistischen Tätigkeit in Afghanistan erschossen; eine kanadische Kollegin überlebte schwer verletzt.) Andere Fotografien – wie das von Ashley Gilbertson aus einem Hubschrauber aufgenommene Bild des Camp Lima im Irak, in dem polnische Soldaten eben ein Sonnenbad nehmen, sind vielfach unbekannt. Angesichts der Tatsache, dass im Textteil eher wiederholt eine Inflation der Bilder als ein Mangel an Bildern beklagt wird, ist die Zurückhaltung bei der Bildauswahl und die Beschränkung auf einige herausragende Aufnahmen ebenso konsequent wie überzeugend. Das Buch ist mit Fadenheftung, Lesebändchen und guter Druckqualität handwerklich sehr schön gemacht. Aktuell wird es wohl noch lange bleiben.

Michael Kamber, Bilderkrieger. Von jenen, die ausziehen, uns die Augen zu öffnen. Kriegsfotografen erzählen, Hollenstedt: Ankerherz 2013, 287 Seiten mit zum Teil farbigen Abbildungen, ISBN 978-3-940138-44-6, € 29,90 (D); € 30,70 (A); CHF 45,00

Quelle: http://www.visual-history.de/2014/06/30/bilderkrieger-oder-wer-fotografiert-den-krieg/

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Luftbildfotografie im Ersten Weltkrieg

Fotokammer der bayerischen Fliegerabteilung 296, 1916

 

Die „Maschinengewehrkamera“ wurde im Ersten Weltkrieg von Oskar Messter (1866-1943) entwickelt und von der Firma Ernemann in Dresden gebaut. Vorbild war das reale Maschinengewehr MG 08. Die Handgriffe des Abzugs waren identisch, ebenso die Visiereinrichtung. Statt eines Patronengürtels enthielt die Kamera einen Filmstreifen.

Die „Maschinengewehrkamera“ wurde im Ersten Weltkrieg von Oskar Messter (1866-1943) entwickelt und von der Firma Ernemann in Dresden gebaut. Vorbild war das reale Maschinengewehr MG 08. Die Handgriffe des Abzugs waren identisch, ebenso die Visiereinrichtung. Statt eines Patronengürtels enthielt die Kamera einen Filmstreifen.

Der Erste Weltkrieg ist auch ein Krieg der Bilder, genauer: ein Krieg, in dem erstmals das Medium der Fotografie massenhaft eingesetzt wurde. Schon der „begeisterte“ Abmarsch der deutschen Truppen Anfang August 1914[1] wurde in unzähligen Aufnahmen dokumentiert. Dabei war die Bildberichterstattung stark der Zensur unterworfen. Alle Kriegsparteien hatten zu Beginn oder während des Kriegs eigene Presse- oder Propagandabüros eingerichtet. Die Kriegsberichte und die Fotografien wurden extrem für propagandistische Zwecke eingesetzt; viele Bilder von der angeblichen Front waren zudem gefälscht bzw. in der Heimat nachgestellt worden. Der Krieg war also auch zu einem Medienkrieg geworden. Andererseits blieben die Kriegsaufnahmen nicht mehr auf Bildjournalisten, Fotografen und Propagandaabteilungen beschränkt. Einige Soldaten besaßen inzwischen Kleinbildkameras und dokumentierten ihre Kriegserlebnisse mit eigenen Fotoapparaten.

Der Erste Weltkrieg war die erste militärische Auseinandersetzung, in der größere Luftstreitkräfte zum Einsatz kamen. Ihre Aufgaben waren die Feindaufklärung aus der Luft, die Erkundung feindlicher Ziele, die Schussbeobachtung der Artillerie und die Bekämpfung von gegnerischen Luft- und Bodenstreitkräften. Eingesetzt wurden Ballone, Luftschiffe und Flugzeuge. Und erstmals wurden zu unterschiedlichen Zwecken Luftbilder aufgenommen.

Die frühesten Luftaufnahmen stammen von dem französischen Fotografen Nadar (eigentlich: Gaspard-Félix Tournachon, 1820-1910), der im Jahr 1858 Fotografien aus einem Fesselballon anfertigte. Noch vor der Jahrhundertwende testeten die neu geschaffenen Luftschiffer-Abteilungen in Preußen oder in Bayern Kameras auf ihre militärische Tauglichkeit.[2] Zunehmend wurden dabei verschiedene Aufnahmetechniken entwickelt: die Schrägaufnahme, die Senkrechtaufnahme, das Reihenbild und das Raumbild aus Stereoaufnahmen. Die Fotografien hatten dabei häufig eine erstaunliche Brillanz, bedenkt man, wie empfindlich und schwer die Glasnegative waren, die von Formaten von 9 x 12 cm bis 18 x 24 cm reichten.

Im Archiv des Deutschen Museums[3] finden sich aus der Zeit des Ersten Weltkriegs zahlreiche Fotografien. Häufige Motive sind Gruppenaufnahmen vor dem eigenen Flugzeug oder abgeschossene bzw. abgestürzte Flugzeuge. Breit abgelichtet wurden die am Krieg beteiligten Flugzeuge und ihre Besatzungen. Neben den eher militärischen Aufnahmen sind aber auch private Szenen des Soldatenlebens festgehalten. Ein interessantes Album stammt aus dem Besitz des als „Fliegerdichter“ bezeichneten Schriftstellers Peter Supf (1886-1961), dessen umfangreicher Nachlass sich heute im Archiv des Deutschen Museums befindet. Supf war Jagdflieger im Ersten Weltkrieg. Viele Aufnahmen zeigen dementsprechend die Flugzeuge und Bewaffnung seiner Einheit, Flugplätze und abgeschossene Flugzeuge. Das Album hält darüber hinaus zahlreiche Eindrücke aus dem Ersten Weltkrieg fest, wobei Fotografien von privaten Feiern, Kegelabenden und Weihnachtsfeiern dominieren.

 

Erfrierungen während eines Aufklärungsflugs: Leutnant Föhles kurz nach der Landung, 1916

Erfrierungen während eines Aufklärungsflugs: Leutnant Föhles kurz nach der Landung, 1916

Bemerkenswert ist, dass sich darin auch eher ungewöhnliche Aufnahmen finden. So sind verschiedene Luftbildaufnahmen erhalten. In der Regel wurden diese aus einer Höhe zwischen 1000 und 2000 Metern angefertigt. Nur selten kam es vor, dass Aufklärungsflüge in große Höhen führten. Ein Beispiel ist der Flug des Piloten Leutnant Schöller und seines Beobachters Leutnant Föhles, die beide zur Abteilung Supfs gehörten. Dabei handelte es sich um die bayerische Fliegerabteilung 286, die im dritten Kriegsjahr 1916 auf dem Flughafen von Condé-lès-Herpy nördlich von Reims stationiert war.

Die abgebildete Aufnahme stammt vom Dezember 1916, als beide Flieger schwere Gesichtserfrierungen erlitten, nachdem sie aus einer Höhe von 5000 Metern Aufnahmen geschossen hatten. Das Foto zeigt den Beobachter Föhles kurz nach der Landung. Deutlich zu erkennen sind die Erfrierungen derjenigen Gesichtspartien, die nicht von der Fliegerbrille und dem Fliegerhelm an der Stirn und am Kinn geschützt waren.

Fotokammer der bayerischen Fliegerabteilung 296, 1916

Fotokammer der bayerischen Fliegerabteilung 296, 1916

Im Album von Peter Supf ist auch das Fotolabor abgebildet, in dem die Fliegerabteilung ihre Luftaufnahmen entwickelte. Dies lenkt den Blick auf die technische Ausstattung, die der Luftaufklärung der Mittelmächte im Ersten Weltkrieg zur Verfügung stand. Zum Einsatz kamen Fliegerkameras unterschiedlicher Hersteller. In der Regel handelte es sich um Apparate mit einer Glasplattengröße von 13 x 18 cm. Die Wechselkassetten enthielten fast durchgängig sechs Platten. In den Anfängen der militärischen Luftbildfotografie hatte man sich mit Formaten 9 x 13 und Brennweiten von 15 und 18 cm begnügt. Nachdem aber insbesondere die Abwehrfeuer der feindlichen Artillerie Flughöhen über 2000 Meter erforderten, musste man die Apparate auf 25 und 30 cm Brennweite und größere Glasplattenformate umstellen. Für die Handhabung der Kameras war keine fotografische Ausbildung notwendig. Das Entwickeln der Platten übernahmen professionelle Fotografen.

 

Titelblatt von Alfred Thiel: Lehrbehelf für Photographie aus dem Flugzeuge für Beobachter-Offiziere, Wien 1916

Titelblatt von Alfred Thiel: Lehrbehelf für Photographie aus dem Flugzeuge für Beobachter-Offiziere, Wien 1916

Tafel zu „Orthochromatische Platten“, aus: Alfred Thiel, Lehrbehelf für Photographie aus dem Flugzeuge für Beobachter-Offiziere, Wien 1916

Tafel zu „Orthochromatische Platten“, aus: Alfred Thiel, Lehrbehelf für Photographie aus dem Flugzeuge für Beobachter-Offiziere, Wien 1916

 

In einem „Lehrbehelf“ stellte der österreichisch-ungarische Oberleutnant der Reserve Alfred Thiel die wichtigsten Fliegerkameras vor, die in Deutschland und Österreich eingesetzt wurden.[4] Behandelt werden im Einzelnen:

1. Lechner-Fliegerkamera (13 x 18 cm)

2. Goldmann-Fliegerkamera (13 x 18 cm)

3. Ica-Fliegerkamera (9 x 12 cm und 13 x 18 cm)

4. Zeiss-Fliegerkamera (9 x 12 cm und 13 x 18 cm)

5. Goerz-Kamera (9 x 12 cm und 13 x 18 cm)

6. Ernemann-Fliegerkameras (13 x 18 cm)

7. Voigtländer-Fliegerkameras (13 x 18 cm)

8. Reihenbilder der Firma Messter, Berlin

9. Stereo-Herzig-Kameras

In die Informationsschrift Thiels sind auch Tafeln mit eingeklebten Originalfotografien zu „Orthochromatischen Platten“ und zu „Lichthoffreien Platten“[5] eingefügt. Interessant ist die Tafel III mit Vorgaben für Aufnahmen aus Flugzeugen.

 

Große militärische Bedeutung hatten Luftaufnahmen der gegnerischen Stellungen. Das Beispiel zeigt ein Luftbild vom 20. Oktober 1916. Es findet sich eingeklebt in einem Album im Archiv des Deutschen Museums.[6] Erhalten sind Fotografien der deutschen Westfront aus der Gegend um Thiaumont, Douamont, Bras sur Meuse und Vacherauville, also von einem Gebiet nördlich von Verdun. Sie wurden von der Fliegerabteilung 44 aufgenommen. Deutlich zu sehen ist auf einem Bild die vorgeschobene Befestigungsanlage in der Mitte. Dahinter ist eine doppelte Festungslinie erkennbar. Vermutlich wurde die Aufnahme in Zusammenhang mit der Beschießung durch die deutsche Artillerie angefertigt, um den Erfolg der Bombardierung zu messen. Auf dem Foto sind Hunderte von Bombentrichtern zu sehen.

Luftaufklärung: Französische Stellungen im Gebiet nördlich von Verdun, 1916

Luftaufklärung: Französische Stellungen im Gebiet nördlich von Verdun, 1916

Die Luftbildfotografie hat über den militärischen Aspekt hinaus bleibenden Wert. Besondere Bedeutung haben die Luftaufnahmen, welche von der bayerischen Fliegerabteilung 304 stammen.[7] Die Einheit wurde 1917 von Schleißheim bei München nach Palästina verlegt. Von ihrer Tätigkeit sind noch heute 2526 Luftaufnahmen erhalten. Sie sind für die Alltags- und Verkehrsgeschichte und für die Archäologie der Region wichtig. So sind auf den Fotografien Umrisse von Ruinen alter Kreuzfahrerburgen oder auch Orte zu identifizieren, die aus der Antike bekannt sind. Die Aufnahmen sind online im Netz verfügbar.[8]

 


[1] Zur Thematik der angeblichen „Kriegsbegeisterung“ vgl. Jean-Jacques Becker, Comment les Français sont entrés dans la guerre. Contribution à l’étude de l’opinion publique printemps-été 1914, Paris 1977; Jeffrey Verhey, The Spirit of 1914: Militarism, Myth and Mobilization in Germany, Cambridge 2000; Wolfgang Kruse, Kriegsbegeisterung? Zur Massenstimmung bei Kriegsbeginn, in: ders. (Hrsg.), Eine Welt von Feinden. Der große Krieg 1914-1918, Frankfurt a.M. 1997, S. 159-166; Oliver Janz, Der Krieg als Opfergang und Katharsis. Gefallenenbriefe aus dem Ersten Weltkrieg, in: Rüdiger Hohls/Iris Schröder/Hannes Siegrist (Hrsg.), Europa und die Europäer. Quellen und Essays zur modernen europäischen Geschichte, Wiesbaden 2005, S. 397-402.

[2] Vgl. Rainer Braun, Übungsflüge und Übungsluftaufnahmen über Bayern 1912-1918. Die bayerischen Flieger-Beobachter, ihre Ausbildung in Schleißheim und ihr Bildbestand, in: Oberbayerisches Archiv 117/118 (1993/1994), S. 131-154.

[4] Alfred Thiel, Lehrbehelf für Photographie aus dem Flugzeuge für Beobachter-Offiziere, Wien 1916; Deutsches Museum, München, Archiv, LR 00387. Eine ähnliche Einweisung in die Luftbildfotografie publizierte Leutnant Wecker, Die Erkundung aus Fliegerbildern, Wahn o.J. [ca. 1916; mit zahlreichen eingeklebten Fotografien].

[5] Farbempfindliche oder orthochromatische und lichthoffreie Platten nennt man solche Fotoplatten, die für einige Farben besonders empfindlich sind. Erst seit ca. 1884 gelang es, Fotoplatten entsprechend zu beschichten. Für Höhenaufnahmen kamen nur orthochromatische Platten in Frage, da bei diesen die notwendige Rotempfindlichkeit gegeben war. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs waren Platten der Firma Hauff und von AGFA im Einsatz. Bei einer Aufnahme gegen einen grell beleuchteten Gegenstand entstand auf der Platte ein weißer Fleck, den man „Lichthof“ nannte. Die Erklärung lag in der Reflexion von Lichtstrahlen begründet, die durch die Fotoplatten hindurchgingen. Durch spezielle Beschichtungen konnten lichthoffreie Platten produziert werden. Diese basierten auf Forschungen von Adolf Miethe und Adolf Traube in Berlin um 1900.

[6] Deutsches Museum, München, Archiv, LR 02118/1.

[7] Vgl. Bayerisches Hauptstaatsarchiv (Hrsg.), Bayern und seine Armee. Eine Ausstellung des Bayerischen Hauptstaatsarchivs aus den Beständen des Kriegsarchivs, München 1987, S. 82f.

[8] Bayerisches Hauptstaatsarchiv: Bildsammlung Palästina.

Quelle: http://www.visual-history.de/2014/03/11/luftbildfotografie-im-ersten-weltkrieg/

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Luftbildfotografie im Ersten Weltkrieg

Fotokammer der bayerischen Fliegerabteilung 296, 1916

 

Die „Maschinengewehrkamera“ wurde im Ersten Weltkrieg von Oskar Messter (1866-1943) entwickelt und von der Firma Ernemann in Dresden gebaut. Vorbild war das reale Maschinengewehr MG 08. Die Handgriffe des Abzugs waren identisch, ebenso die Visiereinrichtung. Statt eines Patronengürtels enthielt die Kamera einen Filmstreifen.

Die „Maschinengewehrkamera“ wurde im Ersten Weltkrieg von Oskar Messter (1866-1943) entwickelt und von der Firma Ernemann in Dresden gebaut. Vorbild war das reale Maschinengewehr MG 08. Die Handgriffe des Abzugs waren identisch, ebenso die Visiereinrichtung. Statt eines Patronengürtels enthielt die Kamera einen Filmstreifen.

Der Erste Weltkrieg ist auch ein Krieg der Bilder, genauer: ein Krieg, in dem erstmals das Medium der Fotografie massenhaft eingesetzt wurde. Schon der „begeisterte“ Abmarsch der deutschen Truppen Anfang August 1914[1] wurde in unzähligen Aufnahmen dokumentiert. Dabei war die Bildberichterstattung stark der Zensur unterworfen. Alle Kriegsparteien hatten zu Beginn oder während des Kriegs eigene Presse- oder Propagandabüros eingerichtet. Die Kriegsberichte und die Fotografien wurden extrem für propagandistische Zwecke eingesetzt; viele Bilder von der angeblichen Front waren zudem gefälscht bzw. in der Heimat nachgestellt worden. Der Krieg war also auch zu einem Medienkrieg geworden. Andererseits blieben die Kriegsaufnahmen nicht mehr auf Bildjournalisten, Fotografen und Propagandaabteilungen beschränkt. Einige Soldaten besaßen inzwischen Kleinbildkameras und dokumentierten ihre Kriegserlebnisse mit eigenen Fotoapparaten.

Der Erste Weltkrieg war die erste militärische Auseinandersetzung, in der größere Luftstreitkräfte zum Einsatz kamen. Ihre Aufgaben waren die Feindaufklärung aus der Luft, die Erkundung feindlicher Ziele, die Schussbeobachtung der Artillerie und die Bekämpfung von gegnerischen Luft- und Bodenstreitkräften. Eingesetzt wurden Ballone, Luftschiffe und Flugzeuge. Und erstmals wurden zu unterschiedlichen Zwecken Luftbilder aufgenommen.

Die frühesten Luftaufnahmen stammen von dem französischen Fotografen Nadar (eigentlich: Gaspard-Félix Tournachon, 1820-1910), der im Jahr 1858 Fotografien aus einem Fesselballon anfertigte. Noch vor der Jahrhundertwende testeten die neu geschaffenen Luftschiffer-Abteilungen in Preußen oder in Bayern Kameras auf ihre militärische Tauglichkeit.[2] Zunehmend wurden dabei verschiedene Aufnahmetechniken entwickelt: die Schrägaufnahme, die Senkrechtaufnahme, das Reihenbild und das Raumbild aus Stereoaufnahmen. Die Fotografien hatten dabei häufig eine erstaunliche Brillanz, bedenkt man, wie empfindlich und schwer die Glasnegative waren, die von Formaten von 9 x 12 cm bis 18 x 24 cm reichten.

Im Archiv des Deutschen Museums[3] finden sich aus der Zeit des Ersten Weltkriegs zahlreiche Fotografien. Häufige Motive sind Gruppenaufnahmen vor dem eigenen Flugzeug oder abgeschossene bzw. abgestürzte Flugzeuge. Breit abgelichtet wurden die am Krieg beteiligten Flugzeuge und ihre Besatzungen. Neben den eher militärischen Aufnahmen sind aber auch private Szenen des Soldatenlebens festgehalten. Ein interessantes Album stammt aus dem Besitz des als „Fliegerdichters“ bezeichneten Schriftstellers Peter Supf (1886-1961), dessen umfangreicher Nachlass sich heute im Archiv des Deutschen Museums befindet. Supf war Jagdflieger im Ersten Weltkrieg. Viele Aufnahmen zeigen dementsprechend die Flugzeuge und Bewaffnung seiner Einheit, Flugplätze und abgeschossene Flugzeuge. Das Album hält darüber hinaus zahlreiche Eindrücke aus dem Ersten Weltkrieg fest, wobei Fotografien von privaten Feiern, Kegelabenden und Weihnachtsfeiern dominieren.

 

Erfrierungen während eines Aufklärungsflugs: Leutnant Föhles kurz nach der Landung, 1916

Erfrierungen während eines Aufklärungsflugs: Leutnant Föhles kurz nach der Landung, 1916

Bemerkenswert ist, dass sich darin auch eher ungewöhnliche Aufnahmen finden. So sind verschiedene Luftbildaufnahmen erhalten. In der Regel wurden diese aus einer Höhe zwischen 1000 und 2000 Metern angefertigt. Nur selten kam es vor, dass Aufklärungsflüge in große Höhen führten. Ein Beispiel ist der Flug des Piloten Leutnant Schöller und seines Beobachters Leutnant Föhles, die beide zur Abteilung Supfs gehörten. Dabei handelte es sich um die bayerische Fliegerabteilung 286, die im dritten Kriegsjahr 1916 auf dem Flughafen von Condé-lès-Herpy nördlich von Reims stationiert war.

Die abgebildete Aufnahme stammt vom Dezember 1916, als beide Flieger schwere Gesichtserfrierungen erlitten, nachdem sie aus einer Höhe von 5000 Metern Aufnahmen geschossen hatten. Das Foto zeigt den Beobachter Föhles kurz nach der Landung. Deutlich zu erkennen sind die Erfrierungen derjenigen Gesichtspartien, die nicht von der Fliegerbrille und dem Fliegerhelm an der Stirn und am Kinn geschützt waren.

Fotokammer der bayerischen Fliegerabteilung 296, 1916

Fotokammer der bayerischen Fliegerabteilung 296, 1916

Im Album von Peter Supf ist auch das Fotolabor abgebildet, in der die Fliegerabteilung ihre Luftaufnahmen entwickelte. Dies lenkt den Blick auf die technische Ausstattung, die der Luftaufklärung der Mittelmächte im Ersten Weltkrieg zur Verfügung stand. Zum Einsatz kamen Fliegerkameras unterschiedlicher Hersteller. In der Regel handelte es sich um Apparate mit einer Glasplattengröße von 13 x 18 cm. Die Wechselkassetten enthielten fast durchgängig sechs Platten. In den Anfängen der militärischen Luftbildfotografie hatte man sich mit Formaten 9 x 13 und Brennweiten von 15 und 18 cm begnügt. Nachdem aber insbesondere die Abwehrfeuer der feindlichen Artillerie Flughöhen über 2000 Meter erforderten, musste man die Apparate auf 25 und 30 cm Brennweite und größere Glasplattenformate umstellen. Für die Handhabung der Kameras war keine fotografische Ausbildung notwendig. Das Entwickeln der Platten übernahmen professionelle Fotografen.

 

Titelblatt von Alfred Thiel: Lehrbehelf für Photographie aus dem Flugzeuge für Beobachter-Offiziere, Wien 1916

Titelblatt von Alfred Thiel: Lehrbehelf für Photographie aus dem Flugzeuge für Beobachter-Offiziere, Wien 1916

Tafel zu „Orthochromatische Platten“, aus: Alfred Thiel, Lehrbehelf für Photographie aus dem Flugzeuge für Beobachter-Offiziere, Wien 1916

Tafel zu „Orthochromatische Platten“, aus: Alfred Thiel, Lehrbehelf für Photographie aus dem Flugzeuge für Beobachter-Offiziere, Wien 1916

 

In einem „Lehrbehelf“ stellte der österreichisch-ungarische Oberleutnant der Reserve Alfred Thiel die wichtigsten Fliegerkameras vor, die in Deutschland und Österreich eingesetzt wurden.[4] Behandelt werden im Einzelnen:

1. Lechner-Fliegerkamera (13 x 18 cm)

2. Goldmann-Fliegerkamera (13 x 18 cm)

3. Ica-Fliegerkamera (9 x 12 cm und 13 x 18 cm)

4. Zeiss-Fliegerkamera (9 x 12 cm und 13 x 18 cm)

5. Goerz-Kamera (9 x 12 cm und 13 x 18 cm)

6. Ernemann-Fliegerkameras (13 x 18 cm)

7. Voigtländer-Fliegerkameras (13 x 18 cm)

8. Reihenbilder der Firma Messter, Berlin

9. Stereo-Herzig-Kameras

In die Informationsschrift Thiels sind auch Tafeln mit eingeklebten Originalfotografien zu „Orthochromatischen Platten“ und zu „Lichthoffreien Platten“[5] eingefügt. Interessant ist die Tafel III mit Vorgaben für Aufnahmen aus Flugzeugen.

 

Große militärische Bedeutung hatten Luftaufnahmen der gegnerischen Stellungen. Das Beispiel zeigt ein Luftbild vom 20. Oktober 1916. Es findet sich eingeklebt in einem Album im Archiv des Deutschen Museums.[6] Erhalten sind Fotografien der deutschen Westfront aus der Gegend um Thiaumont, Douamont, Bras sur Meuse und Vacherauville, also von einem Gebiet nördlich von Verdun. Sie wurden von der Fliegerabteilung 44 aufgenommen. Deutlich zu sehen ist auf einem Bild die vorgeschobene Befestigungsanlage in der Mitte. Dahinter ist eine doppelte Festungslinie erkennbar. Vermutlich wurde die Aufnahme in Zusammenhang mit der Beschießung durch die deutsche Artillerie angefertigt, um den Erfolg der Bombardierung zu messen. Auf dem Foto sind Hunderte von Bombentrichtern zu sehen.

Luftaufklärung: Französische Stellungen im Gebiet nördlich von Verdun, 1916

Luftaufklärung: Französische Stellungen im Gebiet nördlich von Verdun, 1916

Die Luftbildfotografie hat über den militärischen Aspekt hinaus bleibenden Wert. Besondere Bedeutung haben die Luftaufnahmen, welche von der bayerischen Fliegerabteilung 304 stammen.[7] Die Einheit wurde 1917 von Schleißheim bei München nach Palästina verlegt. Von ihrer Tätigkeit sind noch heute 2526 Luftaufnahmen erhalten. Sie sind für die Alltags- und Verkehrsgeschichte und für die Archäologie der Region wichtig. So sind auf den Fotografien Umrisse von Ruinen alter Kreuzfahrerburgen oder auch Orte zu identifizieren, die aus der Antike bekannt sind. Die Aufnahmen sind online im Netz verfügbar.[8]

 


[1] Zur Thematik der angeblichen „Kriegsbegeisterung“ vgl. Jean-Jacques Becker, Comment les Français sont entrés dans la guerre. Contribution à l’étude de l’opinion publique printemps-été 1914, Paris 1977; Jeffrey Verhey, The Spirit of 1914: Militarism, Myth and Mobilization in Germany, Cambridge 2000; Wolfgang Kruse, Kriegsbegeisterung? Zur Massenstimmung bei Kriegsbeginn, in: ders. (Hrsg.), Eine Welt von Feinden. Der große Krieg 1914-1918, Frankfurt a.M. 1997, S. 159-166; Oliver Janz, Der Krieg als Opfergang und Katharsis. Gefallenenbriefe aus dem Ersten Weltkrieg, in: Rüdiger Hohls/Iris Schröder/Hannes Siegrist (Hrsg.), Europa und die Europäer. Quellen und Essays zur modernen europäischen Geschichte, Wiesbaden 2005, S. 397-402.

[2] Vgl. Rainer Braun, Übungsflüge und Übungsluftaufnahmen über Bayern 1912-1918. Die bayerischen Flieger-Beobachter, ihre Ausbildung in Schleißheim und ihr Bildbestand, in: Oberbayerisches Archiv 117/118 (1993/1994), S. 131-154.

[4] Alfred Thiel, Lehrbehelf für Photographie aus dem Flugzeuge für Beobachter-Offiziere, Wien 1916; Deutsches Museum, München, Archiv, LR 00387. Eine ähnliche Einweisung in die Luftbildfotografie publizierte Leutnant Wecker, Die Erkundung aus Fliegerbildern, Wahn o.J. [ca. 1916; mit zahlreichen eingeklebten Fotografien].

[5] Farbempfindliche oder orthochromatische und lichthoffreie Platten nennt man solche Fotoplatten, die für einige Farben besonders empfindlich sind. Erst seit ca. 1884 gelang es, Fotoplatten entsprechend zu beschichten. Für Höhenaufnahmen kamen nur orthochromatische Platten in Frage, da bei diesen die notwendige Rotempfindlichkeit gegeben war. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs waren Platten der Firma Hauff und von AGFA im Einsatz. Bei einer Aufnahme gegen einen grell beleuchteten Gegenstand entstand auf der Platte ein weißer Fleck, den man „Lichthof“ nannte. Die Erklärung lag in der Reflexion von Lichtstrahlen begründet, die durch die Fotoplatten hindurchgingen. Durch spezielle Beschichtungen konnten lichthoffreie Platten produziert werden. Diese basierten auf Forschungen von Adolf Miethe und Adolf Traube in Berlin um 1900.

[6] Deutsches Museum, München, Archiv, LR 02118/1.

[7] Vgl. Bayerisches Hauptstaatsarchiv (Hrsg.), Bayern und seine Armee. Eine Ausstellung des Bayerischen Hauptstaatsarchivs aus den Beständen des Kriegsarchivs, München 1987, S. 82f.

[8] Bayerisches Hauptstaatsarchiv: Bildsammlung Palästina.

Quelle: http://www.visual-history.de/?p=2347

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Der Weltkrieg der Bilder

Cover_Fotogeschichte, Heft 130

 

Fotogeschichte, Heft 130, Titel " L´Illustration" vom 11. November 1916

Fotogeschichte, Heft 130, Titel „ L´Illustration“ vom 11. November 1916

 

In ihrer aktuellen Ausgabe widmet sich die Zeitschrift Fotogeschichte thematisch dem „Weltkrieg der Bilder“. Der Erste Weltkrieg setzte medienhistorisch, was die propagandistische und illustrative Nutzung von Bildern betraf, neue Maßstäbe. Die illustrierte Presse war zwischen 1914 und 1918 eines der wichtigsten Bildmassenmedien überhaupt und spielte dementsprechend auch für die Kriegspropaganda eine zentrale Rolle.

Bisher beschäftigte sich die Bild- bzw. Fotoforschung primär mit einzelnen Abbildungen, ohne den ursprünglichen Entstehungs- und Veröffentlichungskontext gebührend zu berücksichtigen. Dieser Forschungslücke hat sich nun der renommierte Fotohistoriker Ulrich Keller angenommen und mit seiner aktuellen Untersuchung einen wichtigen Beitrag zur Analyse von Presse und Propaganda im Ersten Weltkrieg geleistet. Keller hat in jahrelanger Recherchearbeit die Geschichte, Produktion und Funktionsweise der illustrierten Presse während der Kriegszeit analysiert und den bisherigen Referenzrahmen damit entscheidend erweitert. Die Ergebnisse seiner Arbeit stellt er nun in Fotogeschichte erstmals vor.

Zunächst stellt der Autor den „Weltkrieg der Bilder“ vor und beschreibt die „Organisation, Zensur und Ästhetik der Bildreportagen“. Am Beispiel der Schlacht von Verdun 1916 veranschaulicht er zudem, wie Bilder propagandistisch benutzt wurden und wie dies im internationalen Vergleich aussah. Das Neue an Ulrich Kellers Ansatz ist, dass er einen größeren Kontext schafft und wichtige Bezüge und Beziehungen herstellt und analysiert. Die Intention für die Produktion bestimmter Bilder ist dabei genauso evident wie deren Rezeption durch die Zeitgenossen. Keller greift dabei nicht nur auf die Fotoberichte zurück, sondern betrachtet vielmehr das gesamte Spektrum an Bildern sowie deren Berührungspunkte zum Beispiel mit den Bereichen Zeichnung und Grafik.

Fotogeschichte, Heft 130, Titel "BIZ" vom 3. Juni 1917

„Fotogeschichte“, Heft 130, Titel „BIZ“ vom 3. Juni 1917

Der Fotohistoriker konzentriert sich neben dem Einzelbild insbesondere auf die Bildreportagen, also die Anreihung mehrerer Bilder und deren textliche Einbettung. Zusätzlich dazu wählt Keller einen konsequent internationalen Ansatz und vergleicht die Bildberichterstattung bzw. den Umgang mit dem Medium in den am Krieg teilnehmenden Ländern.

Ulrich Keller stellt seine Untersuchung in Form von zwei Aufsätzen vor, die den Großteil des aktuellen Hefts ausmachen. Fotogeschichte gesteht Ulrich Kellers Arbeit eine auffällige Bedeutung zu, sodass die Zeitschrift ihm und seinen Forschungsergebnissen einen ungewöhnlich großen Raum einräumt.

Quelle: http://www.visual-history.de/2014/02/27/der-weltkrieg-der-bilder/

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Propaganda- und Privatfotografie im Zweiten Weltkrieg

Ein finnisches PK-Foto von PK-Fotograf Manninen, aufgenommen in der Nähe von Sortavala im August 1941. Laut Bildunterschrift zeigt das Bild sowjetische Gefangene. Vorne sind zwei Soldatinnen zu erkennen, die nicht dem deutschen Feindbild von blutrünstigen „Flintenweibern“ entsprachen. Das Bild ist, womöglich wegen der Unschärfe von der Zensur als "nicht zu veröffentlichen" klassifiziert. Quelle: Finnish Wartime Photograph Archive (CC)

Olli Kleemola promoviert am Institut für Zeitgeschichte der Universität Turku (Finnland) zum Thema „Das Feindbild an der Ostfront anhand von deutschen und finnischen Fotobeständen aus dem Zweiten Weltkrieg“.
Lucia Halder (Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung) sprach mit dem Fotohistoriker über seine Arbeit.

 

Lucia Halder: Bereits der Erste Weltkrieg ist durch eine Vielzahl visueller Erzeugnisse dokumentiert. Welche Rolle spielte deiner Ansicht nach das Medium Fotografie im Zweiten Weltkrieg?

Olli Kleemola: Der Zweite Weltkrieg kann durchaus als erster wirklicher „Fotokrieg“ bezeichnet werden, da die Fotografie erst während dieses Krieges in den Propaganda-Apparaten der kriegsführenden Länder zunehmend an Bedeutung gewonnen hat. Diese Entwicklung spiegelt sich unter anderem darin, dass im Zweiten Weltkrieg die Fotopropaganda zunehmend in die Hände von staatlich und militärisch gelenkten Profis geriet: NS-Deutschland hatte seine Propagandakompanien, Finnland seine Informationskompanien, wie die Propagandaeinheiten dort genannt wurden. Während des Zweiten Weltkriegs waren überdies die Chancen eines „normalen Frontsoldaten“ zu fotografieren größer, da die technische Entwicklung die Kameras im Vergleich zu den Zeiten des Ersten Weltkriegs erschwinglicher gemacht hatte.

Heeresfilmstelle. Bildarchiv, 341.321.7 356.255.2 Deutschland, März 1940 Bildberichter der P.K. bei der Auswertung ihrer im Labor der P.K. entwickelten Aufnahmen. Bildberichter: Schröter. P.B.z. Neg.Nr. P.K. 104/1

Heeresfilmstelle. Bildarchiv, 341.321.7 356.255.2
Deutschland, März 1940
Bildberichter der P.K. bei der Auswertung ihrer im Labor der P.K. entwickelten Aufnahmen.
Bildberichter: Schröter. P.B.z., Neg.Nr. P.K. 104/1
Quelle: Bundesarchiv
CC-BY-SA

Lucia Halder: In den „Anweisungen für Kriegs-Photographen und Kinematographen“ des deutschen Generalstabs vom Dezember 1914 war streng geregelt, was veröffentlicht werden durfte und sollte und was nicht. Gab es solche Steuerungsbestrebungen auch im Zweiten Weltkrieg?

Olli Kleemola: Durchaus, in NS-Deutschland gab es etwa in Form „halboffizieller Kompanie-Fotografen“ viele Versuche, die knipsenden Soldaten gewissermaßen in den Dienst der NS-Propaganda zu stellen. In Finnland  versuchte man währenddessen, ein Monopol der Kriegsfotografie zu schaffen, indem die Fotografie an der Front neben den Propagandaeinheiten nur denjenigen gestattet war, die über eine besondere Lizenz verfügten. In der Lizenz stand festgeschrieben, dass die aufgenommenen Fotos beim Vorgesetzten vorzuzeigen waren und dass bestimmte Motive wie Gefallene nicht fotografiert werden durften. Dieser Versuch war natürlich von Anfang an zum Scheitern verurteilt.

Neben dem Knipsen wurde natürlich auch die Arbeit der offiziellen Propagandafotografen streng geregelt. In finnischen Archiven habe ich die Übersetzung einer Liste von verbotenen Motiven für deutsche Propagandafotografen gefunden, die meines Wissens in deutschen Archiven nicht überliefert ist. Die an finnische Propagandafotografen gerichteten Anweisungen sind in Finnland komplett überliefert und bilden eine wichtige Grundlage meiner Arbeit. Allein die Richtlinien für Fotozensur fehlen in beiden Ländern – sollte jemand diesbezüglich einen Hinweis für mich haben, wäre ich natürlich sehr dankbar!

Lucia Halder: Soldaten in Kriegshandlungen stehen im Einflussbereich von Streitkräften, Regierung, Gesellschaft und auch des internationalen Umfelds. Der Kriegsberichterstatter  Phillip Knightley bezeichnete Angehörige seines Berufsstands gleichermaßen als „Hero, Propagandist, and Myth-Maker“. Spiegelt sich diese Ambivalenz auch in den von dir analysierten Aufnahmen wider?

Olli Kleemola: Ja und nein. Anhand der deutschen Propagandafotos kann man erkennen, dass die Fotografen dazu geschult worden sind, propagandistische Fotos zu machen. In Deutschland mussten die Angehörigen der Propagandakompanien an einem Kurs teilnehmen, in welchem ihnen die Grundlagen der Propaganda beigebracht wurden. Die Inhalte dieser Kurse sind meines Wissens nicht genau überliefert, doch ist es mir gelungen, eine Übersichtsdarstellung zu finden. In Finnland gab es solche Kurse nicht, und anhand der Fotos von finnischen Propagandaeinheiten kann man auch leicht erkennen, dass die finnische Propagandafotografie weitaus realitätsnaher und weniger propagandistisch aufgeladen war.

Lucia Halder: Was  verraten uns die Fotografien aus dem Zweiten Weltkrieg im Gegensatz zu den Presseberichten?

Olli Kleemola: Interessant ist vor allem das, was die Fotos nicht zeigen, obwohl sie es angeblich tun. Ein Beispiel sind  deutsche Propagandafotos, die laut Begleittext „Flintenweiber“ zeigten, die „ihre Weiblichkeit abgelegt und mit Kind und Kegel in den Krieg gezogen sind“. Auf den Fotos waren jedoch oft sehr junge, erschrockene Frauen zu sehen, die von den Deutschen gefangengenommen worden sind. In solchen Fällen kann man leicht erkennen, wie die Propagandisten in Erklärungsnot geraten sind. In dem besagten Fall kam es zu einer Anweisung des Reichspropagandaleiters, dass jene Fotos in der deutschen Presse nicht mehr veröffentlicht werden durften, weil sie mehr Mitleid als Hass erzeugen könnten. In dem Sinne sind Fotos vielleicht ein wenig wahrheitsgetreuer, denn Textberichte können ja beliebig umgeschrieben werden.

Ein finnisches PK-Foto von PK-Fotograf Manninen, aufgenommen in der Nähe von Sortavala im August 1941. Laut Bildunterschrift zeigt das Bild sowjetische Gefangene. Vorne sind zwei Soldatinnen zu erkennen, die nicht dem deutschen Feindbild von blutrünstigen „Flintenweibern“ entsprachen. Das Bild ist, vielleicht auch wegen der Unschärfe, von der Zensur als "nicht zu veröffentlichen" klassifiziert. Quelle: Finnish Wartime Photograph Archive (CC)

Ein finnisches PK-Foto von PK-Fotograf Manninen, aufgenommen in der Nähe von Sortavala im August 1941. Laut Bildunterschrift zeigt das Bild sowjetische Gefangene. Vorne sind zwei Soldatinnen zu erkennen, die nicht dem deutschen Feindbild von blutrünstigen „Flintenweibern“ entsprachen. Das Bild ist, vielleicht auch wegen der Unschärfe, von der Zensur als “nicht zu veröffentlichen” klassifiziert.
Quelle: Finnish Wartime Photograph Archive (CC)

Lucia Halder: In deiner Dissertation analysierst du aber nicht nur Bilder von ausgebildeten Fotografen, sondern auch private Fotografien. Wie unterscheiden sich die sogenannten Knipserbilder von den offiziellen Bildern?

Olli Kleemola: Obwohl manche Knipserfotos auch den jeweiligen Tenor der Propaganda scheinbar nur wiederholen, gibt es durchaus auch Fotos, die ein anderes Bild des Krieges vermitteln – etwa Fotos, die geschändete Leichen des Gegners zeigen.

Lucia Halder: Viele dieser privaten Bilder verschwanden nach Kriegsende in privaten Schränken. Wie hast du sie aufgestöbert?

Olli Kleemola: Was die finnischen Privatbilder angeht, habe ich – angeregt durch Erzählungen meines Großvaters, der selbst Kriegsteilnehmer war –  bereits mit elf Jahren begonnen, Privatfotos von finnischen Soldaten zu sammeln. Die Sammlung, die mittlerweile etwa 11.000 Fotos umfasst, stellt eine bedeutende Grundlage meiner Arbeit dar, obwohl natürlich auch Bestände zahlreicher Museen ergänzend mit einbezogen werden.

Was die deutschen Privatfotos angeht, konnte ich zum Glück auf Bestände verschiedener Museen und Privatarchive zurückgreifen. Vor allem die Bestände im Deutsch-Russischen Museum in Berlin und im Hamburger Institut für Sozialforschung sind für meine Arbeit von großer Bedeutung.

Lucia Halder: Ein sehr bekanntes Bild hat ein deutscher Soldat 1942 während des sogenannten Russlandfeldzugs aufgenommen. Das Bild zeigt ein auf den ersten Blick nahezu idyllisches Motiv: Eine Frau watet mit geschürztem Rock durch eine Furt. Erst die Beschriftung auf der Rückseite des Fotos verdeutlicht das tatsächliche Motiv: „Die Minenprobe“ steht dort geschrieben.[1] Die Frau wurde als Minensucherin missbraucht und hätte zum Zeitpunkt der Aufnahme jeden Moment einem Sprengsatz zum Opfer fallen können. Oft sind Fotografien aber ohne Begleittexte überliefert. Wie kannst du den Entstehungskontext dieser Bilder ermitteln?

Olli Kleemola: Eine sehr gute Frage. Es ist ohne Weiteres klar, dass ich die Fotos anders anschaue als zum Beispiel ein Soldat der deutschen Wehrmacht oder der finnischen Armee in den 1940er-Jahren. Um die Denk- und Handlungsorientierungen der Soldaten zu rekonstruieren, greife ich auf neuere Forschungen etwa von Felix Römer oder Sönke Neitzel und Harald Welzer zurück.

Ich habe aber auch nicht vor, jedes einzelne Bild als solches zu analysieren. In den Bildmassen suche ich Tendenzen, allgemeine Entwicklungslinien, und versuche diese dann zu deuten. Oftmals entwickeln sich dabei viele verschiedene Deutungsmöglichkeiten.

Lucia Halder: Du vergleichst in deiner Arbeit finnische und deutsche Fotografien. Was sind die frappierendsten Unterschiede und Ähnlichkeiten, die du bislang feststellen konntest?

Olli Kleemola: Jedes kriegführende Land hat sicher seine eigenen Fotos gehabt, die das eigene Volk von der „Bestialität“ der Gegner überzeugen sollten. Ähnliche Muster in der Propaganda sind also durchaus vorhanden.

Eine teils entkleidete Sowjetsoldatin, Mitglied eines sowjetischen Spähtrupps, von finnischen Soldaten getötet. Dieses Foto war in Fotoalben finnischer Soldaten weit verbreitet.

Eine teils entkleidete Sowjetsoldatin, Mitglied eines sowjetischen Spähtrupps, von finnischen Soldaten getötet. Dieses Foto war in Fotoalben finnischer Soldaten weit verbreitet.

Ein prägnantes Distinktionsmerkmal ist zunächst das Rassentheorem, das in der deutschen Propaganda im Vergleich zur finnischen eine sehr große Rolle spielte. Aber der vielleicht interessanteste bisher feststellbare Unterschied besteht darin, dass die finnischen Soldaten relativ oft tote, teils entkleidete sowjetische Soldatinnen fotografiert haben, die anhand ihrer Bekleidung als solche zu erkennen sind. In deutschen Fotobeständen finden sich ähnliche Privatfotos, doch beim genaueren Betrachten konnte ich feststellen, dass die Frauen auf den deutschen Fotos tote Zivilistinnen sind, die wiederum in den finnischen Fotobeständen nicht zu finden sind. Aus irgendeinem Grund gibt es hier also keine Übereinstimmungen zwischen den Fotobeständen beider Länder. Diesen Grund gilt es nun zu eruieren.

Lucia Halder: Olli Kleemola, herzlichen Dank für das Gespräch.

 

[1] Das Bild wurde in der Ausstellung Fremde im Visier – Fotoalben aus dem Zweiten Weltkrieg gezeigt (20.10.2012 bis 1.9.2013 im Universalmuseum Joanneum in Graz).

 

Institution: Institut für Zeitgeschichte der Universität Turku, Finnland
Kontakt: owklee@utu.fi

Quelle: http://www.visual-history.de/2014/02/03/propaganda-und-privatfotografie-im-zweiten-weltkrieg/

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Helden im Nationalmuseum

Bethlen, Petőfi und Capa: die aktuellen Ausstellungen des Ungarischen Nationalmuseums im Dezember 2013.

Auf den ersten Blick ist die Kombination der Werbebanner am imposanten Eingang des Ungarischen Nationalmuseums recht überraschend. Die Plakate machen auf die drei aktuellen Ausstellungen des Museums, die jeweils einen “Helden“ in den Mittelpunkt stellen, aufmerksam: Siebenbürgen-Fürst Gábor Bethlen, Nationaldichter Sándor Petőfi sowie Kriegsfotograf Robert Capa.

 

Bethlen, Petőfi und Capa: die aktuellen Ausstellungen des Ungarischen Nationalmuseums im Dezember 2013.

Die Verbindung zwischen Capa und Budapest, seinem Lebenswerk und seiner Geburtsstadt scheint hergestellt. Aber Capa als der ungarische Nationalheld, als Teil des nationalen Erbes? Glücklicherweise gibt die Ausstellung keine oberflächliche und simple Antwort auf diese Frage. Im Gegenteil: Die Schau, konzipiert durch Èva Fisli, konzentriert sich vielmehr auf einzelne Kategorien, die die Figur “Robert Capa“ und sein Lebenswerk ausmachen.

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Quelle: https://www.visual-history.de/2013/12/19/helden-im-nationalmuseum/

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