Letzter Eintrag: Beschneidung, ein Nachtrag

Vielleicht habe ich unlängst nicht deutlich genug gemacht, was die Geschichte der Beschneidung im antiken Judentum für die aktuelle Debatte nun ‘positiv’ bedeuten könnte. Eines sollte aber deutlich geworden sein: Eine simple Gegenüberstellung von Innen und Außen, Widerstand und Druck, die Juden und die Umwelt verfehlt die Komplexität der Dinge. Denn auch innerjüdisch gab es eben stark differierende Positionen und gab es zugleich Dynamiken, die von „außen” stark beeinflußt waren – nach dem Makkabäeraufstand und der Bar-Kochbah-Katastrophe in die Richtung eines Festhaltens an der Säuglingsbeschneidung als einem Kern der Gesetzesobservanz und des Bundesgedankens. Es erscheint mir allerdings nicht geboten, von außen in einem solchen innerreligiösen und innerkulturellen Disput Partei zu ergreifen und etwa zu sagen, es sei besser, wenn sich eine bestimmte Richtung durchsetze, die zum Beispiel die Beschneidung aus der Perspektive einer kritischen Historisierung für nicht-essenziell hält – ein Argument, das sich bekanntlich auch gegen das Zölibat in der Katholischen Kirche oder gegen viele dominierende Ansichten im gegenwärtigen Islam in Anspruch nehmen ließe. Nietzsche hat in Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben das Argument treffend zugespitzt (wenn auch wohl nicht in erster Linie mit Blick auf Religionen):

„Mit­unter aber verlangt eben dasselbe Leben, das die Vergessenheit braucht, die zeit­weilige Ver­nich­tung dieser Vergessenheit; dann soll es eben gerade klar werden, wie ungerecht die Existenz irgend eines Dinges, eines Privile­giums, einer Kaste, einer Dynastie zum Beispiel ist, wie sehr dieses Ding den Untergang ver­dient. Dann wird seine Vergangenheit kritisch betrachtet, dann greift man mit dem Messer an seine Wurzeln, dann schreitet man grausam über alle Pietäten hinweg. (…) (Aber) da wir nun einmal die Resul­tate früherer Geschlechter sind, sind wir auch die Resultate ihrer Verir­rungen, Leiden­schaften und Irrthümer, ja Ver­brechen; es ist nicht mög­lich sich ganz von dieser Kette zu lösen. Wenn wir jene Verirrun­gen verurtheilen und uns ihrer für enthoben erachten, so ist die Thatsache nicht beseitigt, dass wir aus ihnen herstammen. Wir bringen es im besten Falle zu einem Wider­streite der ererbten, angestammten Natur und unserer Erkenntniss, auch wohl zu einem Kampfe einer neuen strengen Zucht gegen das von Alters her Angezogne und Angeborne, wir pflanzen eine neue Gewöhnung, einen neuen Instinct, eine zweite Natur an, so dass die erste Natur abdorrt.

[...]

Quelle: http://blogs.faz.net/antike/2012/11/20/beschneidung-ein-nachtrag/

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Deutsche Geschichte in Dokumenten und Bildern


Das 2002 begonnene Großprojekt „Deutsche Geschichte in Dokumenten und Bildern / German History in Documents and Images“ (DGDB/GHDI) ist abgeschlossen. Bei DGDB handelt es sich um eine digitale Quellensammlung zur Geschichte Deutschlands von 1500 bis zur Gegenwart. Das zweisprachige Projekt umfasst etwa 1.700 Primärtexte (im deutschen Original und englischer Übersetzung) und 2.400 Bildquellen, die von namhaften Fachvertretern zusammengestellt wurden.

Das Projekt ist unterteilt in zehn Zeitabschnitte und bietet neben einer Einführung in die zentralen Entwicklungen der deutschen Sozial-, Politik- und Kulturgeschichte des betreffenden Zeitabschnittes, ausgewählte Quellen – sowohl in englischer als auch in deutscher Sprache –, ausgewählte Bildquellen der Zeit und solche, die sich auf diese beziehen, und ausgewähltes Kartenmaterial.

Die Dokumente und Bildquellen wurden in Kategorien eingeteilt und sind so durch Stichwort- und Autorensuche leicht zugänglich. Gerade außerhalb Deutschlands bietet DGDB ein Angebot, Dokumente, die sonst kaum verfügbar sind, zu nutzen. Zudem wurden alle deutschsprachigen Dokumente der Quellensammlung für das Projekt ins Englische übersetzt.

2010 erhielt DGDB den James Harvey Robinson Prize der American Historical Association für das beste Lehrmittel im Bereich Geschichte. Die Webseite wird mittlerweile täglich von ca. 10.000 Benutzern aus aller Welt aufgerufen. Ermöglicht wurde das Projekt durch die Unterstützung der Max Kade Stiftung, der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius und den Friends of the GHI Washington.

Das Angebot ist unter www.germanhistorydocs.ghi-dc.org abrufbar.

Quelle: http://mws.hypotheses.org/1175

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Ö1-Sendung zur Buchwissenschaft

Übermorgen in den Ö1-Dimensionen (Do 22.11.2012, 19:05-19:30):

Gedruckt und gebunden. Einblicke in die Buchwissenschaft.
Gestaltung: Nicole Dietrich

Bücher lesen bedeutet Gedanken lesen. Seit bald 500 Jahren werden Gedanken (von Toten), Rezepte und Handlungsanweisungen gefasst und sind für mehr als eine Handvoll Schriftgelehrter zugänglich. Doch es mutet anachronistisch an, im Zeitalter des e-publishing und der e-books das Analogmedium Buch - gedruckte Schrift auf gebundenem Papier - zu erforschen.
Welche Fragen treiben die Buchwissenschafter/innen der Gegenwart an? Das Schreiben, Verlegen, Handeln und Vermarkten von Büchern gestaltet seit Gutenberg das geistige Fundament von Gesellschaften, ähnlich wie heute die "Krake" der sozialen Netzwerke Kommunikation und Identität revolutioniert. Der älteste Lehrstuhl für Buchwissenschaft im deutschsprachigen Raum hat sich vor 65 Jahren in Mainz etabliert. Hier wird die Zeitachse in beide Richtungen gespannt: in die Vergangenheit und die Zukunft.

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/219022443/

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Stellenausschreibung: eCodicology – Algorithmen zum automatischen Tagging mittelalterlicher Handschriften

Im Fachbereich II – Sprach-, Literatur- und Medienwissenschaften der Universität Trier ist zum 1. Februar 2013 eine Stelle befristet zu besetzen als

Wissenschaftliche(r) Mitarbeiter(in)
(Entgeltgruppe 13 TV-L, 50%)

im Projekt „eCodicology – Algorithmen zum automatischen Tagging mittelalterlicher Handschriften“ am Trier Center for Digital Humanities.

Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt „eCodicology“ nutzt den Fundus des digitalisierten und bereits mit Metadaten erschlossenen mittelalterlichen Bestandes von rund 500 Handschriften aus der Benediktinerabtei St. Matthias in Trier. Ziel des Projekts ist es, neue informationstechnologische Algorithmen zu entwickeln, zu erproben und zu optimieren, die makro- und mikrostrukturelle Elemente der Handschriftenseiten automatisch erkennen und in den Metadaten ablegen. Unter anderem sollen metrische Daten wie Blattgröße, Schriftraumgröße, Zeilenzahl, Bildfelder, Überschriften, Register, Paratexte, Marginalien, Randzeichnungen, Verhältnis von Bildraum und Textraum erhoben sowie statistisch und qualitativ ausgewertet werden. Umgesetzt wird das Projekt von der Technischen Universität Darmstadt, dem Karlsruher Institut für Technologie, der Universität Trier sowie Stadtbibliothek und Stadtarchiv Trier.

Aufgaben:

  1. Koordination und Durchführung des Arbeitspaketes „Data Ingest und Metadatenmanagement“ mit den Zielen (i) der vollständigen Einspeisung von Digitalisaten und Metadaten in das TextGrid Repository sowie (ii) der Grundlegung eines Workflows in DARIAH zur automatischen Replizierung und Auswertung von Digitalisaten und Metadaten
  2. Öffentlichkeitsarbeit und Organisation einer Ausstellung mit Exponaten der Stadtbibliothek Trier

Anforderungen:

  1. Hochschulabschluss in einem geisteswissenschaftlichen Fach gemäß § 56 des Hochschulgesetzes des Landes Rheinland-Pfalz mit einem Schwerpunkt in der Handschriftenforschung und Erfahrungen im Bereich der Digital Humanities
  2. Kenntnisse in SQL/PHP
  3. Kenntnisse in XML und XSLT
  4. Kenntnisse im Umgang mit Metadaten
  5. Möglichst Erfahrungen mit der Planung von Ausstellungen

Schwerbehinderte Bewerber/innen werden bei entsprechender Eignung bevorzugt berücksichtigt. Die Einstellung erfolgt vorbehaltlich der Zuweisung der Mittel zunächst für 18 Monate und kann um weitere 18 Monate verlängert werden. Bitte senden Sie Ihre Bewerbungsunterlagen bis zum 15. Dezember 2012 an

Prof. Dr. Claudine Moulin
Universität Trier
FB II Germanistik
Universitätsring 15
D-54286 Trier

Wir bitten die Bewerbungsunterlagen nicht in Mappen oder Hüllen und nur als unbeglaubigte Kopien einzureichen, da die Unterlagen nicht zurückgesandt werden.

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=1089

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BGH-Urteil zu illegalem Filesharing im Internet: Eltern haften nach Belehrung nicht für ihre Kinder

http://www.sueddeutsche.de/digital/1.1524424 Der Bundesgerichtshof hat in einem Urteil entschieden, dass Eltern für illegale File-Sharing-Aktivitäten nicht haften, wenn Sie ihre Sorgfaltspflichten erfüllt haben. Als solche sehen die Richter eine ausreichende Belehrung der Kinder. Ein Urteil, welches nicht nur dem Verfolgungswahn der Musikindustrie gewisse Grenzen setzt, sondern auch ein Klima des Misstrauens innerhalb von Familien verhindert.

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2012/11/3598/

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GcjZ: 60 Jahre in Hamburg

von Carina Seebur - 

Die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit (GCJZ) in Hamburg feiert in diesem Jahr ihr 60-jähriges Bestehen. Aus diesem Anlass findet vom 13. bis 24. November eine kostenlose Ausstellung in der Rathausdiele des Hamburger Rathauses statt. Die Ausstellung „60 Jahre in Hamburg – Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit“ wurde von Studierenden der Universität Hamburg entwickelt und realisiert. Im Zuge dieses Ausstellungsprojekts entstand eine enge Zusammenarbeit mit der Landeszentrale für politische Bildung und der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg. Weitere Unterstützer der Ausstellung sind das Erzbistum Hamburg, die jüdische Gemeinde Hamburg, die Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland, die Evangelisch-Reformierte Kirche in Hamburg, die Liberale Jüdische Gemeinde sowie der Lions-Club Hamburg-Walddörfer.

Ein Blick in die Ausstellung „60 Jahre in Hamburg – Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit“ in der Rathausdiele
des Hamburger Rathauses / Foto: Carina Seeburg
 
 

In mehreren Monaten der Vorbereitung erarbeiteten die Studierenden alle Bereiche der Ausstellung – von der Recherche über die Konzeption bis hin zur Gestaltung. Alle Texte wurden zudem auch  ins Englische und ins Russische übertragen. Die Ausstellung begleitende Audioguides wurden ebenfalls in drei Sprachen eingesprochen.

Das Arbeitsergebnis ist eine 42 Tafeln umfassende Ausstellung, die seit Dienstag zu besichtigen ist. Der Senat der Stadt Hamburg würdigte die Eröffnung der Ausstellung mit einem Empfang im Bürgermeistersaal des Rathauses. Dabei wurden mehrere Reden und Ansprachen gehalten.

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Der Erste Bürgermeister Olaf Scholz hielt anlässlich der Ausstellungseröffnung eine Rede vor den rund 150 geladenen
Gästen / Foto: Carina Seeburg
 
 

Bürgermeister Olaf Scholz betonte: „Was sich so schnörkellos christlich-jüdische Zusammenarbeit nennt, bezeichnet einen Grundgedanken, dessen gesellschaftlicher Wert nicht hoch genug einzuschätzen ist: das Zusammenwirken von Angehörigen beider Religionen im Geist des Respekts und der Toleranz. […] Trotzdem ist der Alltag der jüdischen Gemeinden in Deutschland noch längst kein ganz normaler – solange unsere Synagogen Polizeischutz und Videokameras brauchen. Dessen sollten sich alle hier Lebenden stets bewusst sein und, wo immer es angebracht ist, aufstehen gegen den rechten Ungeist.“ Weiter erinnerte Olaf Scholz daran, die gegenseitige Toleranz nicht nur auf die christliche und die jüdische Religion zu beziehen: „Mehr als hundert Religionsgemeinschaften gibt es in Hamburg. Wir tolerieren es nicht, wenn unter dem Deckmantel politischer oder religiöser Bekenntnisse Hass geschürt wird – weder gegen Juden noch gegen Christen oder Andersgläubige.“ Die Ausstellung – 60 Jahre in Hamburg – zeige, dass eine tolerante Gesellschaft nicht von alleine entstehe, sondern erarbeitet werden wolle: „durch Dialog und Aufklärung, den unverstellten Blick auf die gemeinsame Geschichte, durch die Bereitschaft zum offenen aufeinander Zugehen.“

Grußworte des Projektteams an die Gäste

Neben Olaf Scholz richteten auch zwei Studenten des Projektteams, Daniela Göbel und Jonas Stier, im Namen der Studierenden ein Grußwort an die geladenen Gäste und gaben den Anwesenden einen Einblick in den Arbeitsprozess der vergangenen Monate: „Zu Beginn des Projekts herrschte bei uns große Unklarheit darüber, was von uns verlangt werden würde. Was sollte gezeigt werden? Welchen Umfang würden wir liefern? Wie würde das Projekt finanziert? Welches sind unsere eigenen Erwartungen und welche Erwartungen würden an uns gestellt werden? […] Nach einem ersten Treffen mit dem Projektausschuss der GCJZ wurden unsere Fragen in soweit geklärt, als dass wir keine Einschränkungen zu erwarten hatten. […] Der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit möchten wir daher dafür danken, dass sie uns in unserer wissenschaftlichen Arbeit nicht nur freie Hand gelassen, sondern vielmehr dazu ermutigt hat, sowohl eigene inhaltliche als auch gestalterische Schwerpunkte zu setzen.“

„Dieses Projekt sprengte den durchstrukturierten Stundenplan von uns Bachelorstudierenden […] nun sind wir sehr stolz, dass wir Ihnen ein so umfangreiches Projekt präsentieren können“, so Daniela Göbel in ihrer Ansprache.

Rien van der Vegt, geschäftsführender Vorsitzender der GCJZ, beschrieb das Arbeitsergebnis des studentischen Projektteams mit den Worten: „Das ist eine sehr schöne Ausstellung geworden, zu einem wichtigen Thema Hamburger Zeitgeschichte. Alle, denen das Zusammenleben verschiedener Menschen in Hamburg wichtig ist, lade ich herzlich ein, sich diese Ausstellung anzuschauen.“

GCJZ – 60 Jahre in Hamburg aktiv für gegenseitigen Respekt und Toleranz

Ausstellungslogo

Am 12. Mai 1952 wurde die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit (GCJZ) in Hamburg gegründet. Von Beginn an machte es sich die Hamburger GCJZ zur Aufgabe, „Christen und Juden im Dialog zusammenzuführen und sich aktiv und entschieden gegen Antisemitismus, Rassismus und jegliche Art der Diskriminierung zu positionieren.“

Seither kommen in der GCJZ und in von ihr initiierten Veranstaltungen regelmäßig Menschen jüdischen und christlichen Glaubens zusammen. Die Arbeit der GCJZ reicht von zahlreichen Veranstaltungen wie Tagungen, Reisen, Gesprächsrunden und Debatten bis hin zur aktiven Integrationsarbeit jüdischer Zuwanderer.

Die Ausstellung „60 Jahre in Hamburg – Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit“ blickt auf sechs Jahrzehnte GCJZ in Hamburg zurück. Die Geschichte der Hamburger GCJZ wurde in der Arbeit des Projektteams aufmerksam und kritisch betrachtet.

Begleitet wird die Ausstellung von einem Rahmenprogramm, das eine Synagogenbesichtigung sowie den Vortrag „Der bedrohte Friede – Nach 60 Jahren der Annäherung von Christen und Juden“ von Dr. Siegfried von Kortzfleisch, mit einschließt.

Projektteam: v.l. oben: Patrick Grabowski, Marcel Anders, Matis Schick, Josephine Lesniak, Amelie Berking, Annika Linsner,
Maximilian Thinnes, Lisbeth Dorothee Cordes, Miriam Braun, Jonas Stier. V.l. unten: Anna Krystyna Kienitz, Carina Seeburg,
Anna Baade, Daniela Göbel, Filiz Kaba, Kathrin Klein
 

AUSSTELLUNG

60 Jahre in Hamburg – Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit

13. bis 24. November 2012

Rathausdiele, Rathausmarkt 1, 20095 Hamburg

Mo.-Fr. 7 – 19 Uhr, Sa. 10-17 Uhr

Nähere Informationen sowie mp3-Dateien der Audioguides zur Ausstellung finden Sie unter:

www.zusammen-in-hamburg.de

Ausstellungsplakat

 

Quelle: http://www.hh-geschichten.uni-hamburg.de/?p=533

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Digital Classicist Seminar Berlin: Treebanking in the World of Thucydides.

Der dritte Vortrag im Rahmen des neuen “Digital Classicist Seminar Berlin” wird morgen stattfinden.
Jede/r ist herzlich zur Teilnahme an dieser und/oder den folgenden Seminarsitzungen eingeladen. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.
Dieser Vortrag wird über ein Projekt berichten, in dem das DAI unmittelbar beteiligt ist.

ZEIT
Di. 20. November 2012,17:00-18:30 Uhr

ORT
TOPOI-Haus Dahlem
Hittorfstr. 18
14195 Berlin

VORTRAGENDER
Francesco Mambrini (DAI Berlin / Center for Hellenic Studies, Harvard University, Washington DC, USA)

TITEL
Treebanking in the World of Thucydides. Linguistic annotation for the Hellespont Project

ABSTRACT
What contribution can digital collections give to research in Ancient History? In order to answer this question, digital historians have rightly concentrated on the problem of how to structure the different documents (such as texts, surviving artifacts, geographical locations and related published works), so that the relevant materials can be retrieved with meaningful content-oriented queries. Among the projects that are pursuing this goal, the Hellespont Project (DAI, Perseus Project) focuses on the history of Athens in the years 479-431 BCE, as narrated in the text of Thucydides’ Histories (I, 89-118).
Yet, written sources for Ancient History (such as the works of Ancient historians) are especially complex. In order to get access to their content, they need structuring at a far more advanced level than current digital editions can provide. We propose to use the methods of current computational linguistics to address this issue. In particular we will explore how, in the Hellespont Project, we are taking advantage of the available annotated syntactic corpora and upgrading their model with supplementary annotation. Our goal is to enrich the text of Thucydides with with word-by-word linguistic annotation on morphology, syntax, valency frame and other discursive features such as semantic roles, verbal aspect, anaphora resolution and topic-focus articulation. Semi-automatic linguistic annotation is also the foundation for a data-driven event extraction from an ancient text. Moreover, a fine-grained linguistic analysis is not only useful for digital representation. A text annotated with syntactic and semantic information can allow for a multitude of linguistic and literary studies that can help us understanding Thucydides’ work.

WEITERE INFORMATIONEN
http://de.digitalclassicist.org/berlin/2012/11/12/Mambrini

Das vollständige Programm des Seminars:
http://de.digitalclassicist.org/berlin/seminar2012

KONTAKT/ORGANISATIONSTEAM
http://de.digitalclassicist.org/berlin/about

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=1081

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Trancribe Bentham in a Panopticon: verspätete Berichterstattung zum Vortrag von Philipp Schofield im Rahmen der Darmstädter Ringvorlesung am 8.11.

Text von Jörg Lehning, TU Darmstadt

Im Rahmen der Ringvorlesung “Digital Humanities” war Philip Schofield, Leiter des Bentham-Projektes und General Editor der Gesammelten Werke Jeremy Benthams zu Gast und erfreute die interessierten Hörerinnen und Hörer mit seinem Vortrag “Transcribe Bentham – An experiment in scholarly crowdsourching”.

Das (im Übrigen preisgekrönte) interdisziplinäre Bentham-Projekt ist ein großartiges Beispiel für ein wissenschaftliches Projekt, das mit den neuen Technologien zusammenwächst. Das “scholarly crowdsourcing”, was man vielleicht mit “wissenschaftliche Bearbeitung durch unwissenschaftliche Mengen” etwas wenig elegant umschreiben könnte, ist hierbei ein elementarer Baustein des Projekts.

Wie Schofield ausführte, sei es auch in diesem Projekt zunächst wichtig, Ziele zu definieren. In diesem Fall sei das die Erstellung einer neuen gedruckten Edition gewesen, ein weiteres, dass diese kostengünstig sein sollte.

Bentham, so Schofield, hätte den technologischen Fortschritt mit offenen Armen begrüßt, und das nicht nur, weil er zeitlebens Technik zur Vereinfachung von Arbeitsabläufen erfunden hatte, sondern auch, weil er mit ihr seine Ideen wesentlich besser hätte umsetzen können.

Das Computerzeitalter wäre mitunter auch hilfreich, veraltete oder nicht hilfreiche Strukturen zu überwinden, meinte Schofield mit Blick auf diverse alte Regularien (Oxford Standard of storage rules), etwas was auch in den Debatten um die Definition der Digital Humanities eine Rolle spielt.

Die Bentham Dokument Datenbank, die von 2003-2006 bearbeitete Dokumente bereitstellt, ist eine zentrale Quelle für Metadaten, die von Editoren und Forschern genutzt werden kann.
Die Technik hat jedoch nicht nur Vorteile: im Rahmen des Arbeitsablaufs wird durch einen wissenschaftlichen Mitarbeiter die Qualität der fertig bearbeiteten Dokumente geprüft, bevor sie hochgeladen werden können. Die Erfahrung zeigt hier, dass händisches XML/TEI-Tagging zu steigender Fehlerzahl und somit auch zu steigendem Zeitverbrauch führen kann. Aber: Die Probleme mit der Technik können mitunter auch durch die Technik behoben werden, so z.B. durch das Interface, das die Text-XML-TEI-Erstellung erleichtert und somit die menschlichen Fehlerquellen in diesem Fall umgeht.

Mitarbeiter werden bei Wunsch genannt und bekommen auch Rückmeldung zu ihrer Arbeit. Von den Transkripten werden 95% von sogenannten “super-transcribers” bearbeitet. Bemerkenswert ist, dass viele der “User”, die an dem Projekt arbeiten, gar nicht unbedingt an Bentham interessiert waren und sind, sondern vor allem die Art der Arbeit im Rahmen des Projekts interessant fanden. Auch die digitale Komponente schien zu reizen.

Projekte wie dieses haben als limitierende Faktoren oft Zeit und Komplexität. Wirtschaftliche Argumente für diese Projekte sind wichtig, wenn es darum geht, sie überhaupt in die Tat umzusetzen. Die ökonomische Rechtfertigung kann hier darin bestehen, dass die Methode des “scholarly crowdsourcing” kosteneffizient ist, z.B. im Vergleich zu bezahlten Forschern.

Abschließend stellte sich Schofield Fragen nach der Berechtigung und dem Erfolg des Projekts und kam zu dem Schluss, dass es ein Erfolg sei, weil Bedarf daran besteht und es wissenschaftlich fundiert sei. Die digitalen Geisteswissenschaften indes würden das Projekt dazu zwingen, die Funde auch mit neuen Methoden aufzubereiten und zu präsentieren.

Fragen hinsichtlich der Existenzberechtigung des Projektes beinhalten die Überprüfung der Zielsetzung Druck im Hinblick auf Ideen und Modelle der “freien Information”. So taucht zum Beispiel die Frage auf, ob nicht nur noch eine editierte Fassung online stehen soll, die die gedruckte Ausgabe ersetzt. Hier stehen sich die Punkte Kosteneffektivität und beständige, gesicherte Referenz durch physikalische Permanenz gegenüber.

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Am 22.11.2012 ist Martin Wynne (Oxford University) zu Gast: “Corpus and Text Analysis for Research in the Humanities”; 18.00 Uhr s.t., Schloss, Raum 36. Gäste sind herzlich willkommen.

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=1077

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Was war die Provisorische Zentralgewalt und warum sollten ihre Akten ediert werden?

Protokoll der 180. Sitzung des Gesamtreichsministeriums
Von Revolutionen bleibt meist dasjenige in Erinnerung, was sich am sichtbarsten aus dem politischen Alltag abhebt: Straßenkämpfe und Barrikaden. So verhält es sich auch mit den Revolutionen von 1848/49 im heutigen kollektiven Gedächtnis der deutschen Öffentlichkeit. Dass die Revolution schließlich zur Wahl einer Nationalversammlung führte, blieb auch noch im Bewusstsein. Anders verhält es sich hingegen mit der Einsetzung einer provisorischen Regierung für das noch nicht als Einheit existierende Reich. Eine Erinnerung an die erste parlamentarische, wenn auch provisorische Zentralgewalt für ganz Deutschland ist kaum vorhanden. Wem ist heute noch bekannt, dass ein österreichischer Erzherzog für rund eineinhalb Jahre als so genannter „Reichsverweser“ dieser Provisorischen Zentralgewalt vorstand und somit als erstes von einem Parlament gewähltes Regierungsoberhaupt über Deutschland fungierte?

Die Provisorische Zentralgewalt war die Exekutive der deutschen verfassunggebenden Nationalversammlung in der Revolution. Mit ihrer Gründung im Juni 1848 hat die im Frankfurter Parlament bereits institutionalisierte Revolutionsbewegung besonders gegenüber den staatlichen Gewalten in den Bundesstaaten ihren politischen Führungsanspruch mit Berufung auf die Volkssouveränität untermauert. Die Zentralgewalt bestand neben dem Reichsverweser Erzherzog Johann aus einem „Gesamt-Reichsministerium“ mit einem Ministerpräsidenten, Ressortministern und Unterstaatssekretären, hatte damit eine an das Vorbild der Ministerialregierungen der größeren deutschen Staaten angelehnte Form und versuchte auch ähnliche Aufgaben und Tätigkeiten wahrzunehmen. Insbesondere sorgte sie für die Publikation der von der Nationalversammlung beschlossenen „Reichsgesetze“ und versuchte deren Durchsetzung in den Einzelstaaten zu erreichen; beanspruchte die Führung gemeinsamer militärischer Operationen, namentlich im Krieg gegen Dänemark um den Status Schleswig-Holsteins; griff durch die Entsendung von „Reichskommissaren“ und fallweise auch den Einsatz von Truppen an den Schauplätzen revolutionärer Erhebungen ein; übernahm die Organisation der ersten deutschen Kriegsmarine, an deren Aufbau sich anfangs verbreitete nationale Begeisterung knüpfte; und versuchte zwischen Nationalversammlung und einzelstaatlichen Regierungen in der Frage der Annahme der von der Ersteren beschlossenen Verfassung zu vermitteln. Allerdings stieß sie wegen ihrer fehlenden beziehungsweise erst im Aufbau befindlichen Ministerialverwaltung, ihrer begrenzten realen machtpolitischen Möglichkeiten gegenüber den entscheidenden Mächten Preußen und Österreich sowie der ausbleibenden diplomatischen Anerkennung durch die außerdeutschen Staaten immer wieder an Grenzen ihrer Wirksamkeit. Nach der sukzessiven Auflösung der Frankfurter Nationalversammlung im Frühjahr 1849 bestand die Provisorische Zentralgewalt noch bis zum Jahresende fort und spielte trotz ihrer beschränkten Mittel eine mitentscheidende Rolle im Machtkampf zwischen Preußen, Österreich und den deutschen Mittelstaaten um die künftige Ausgestaltung des deutschen Nationalstaats.

Sowohl die Kanzlei des Gesamtministeriums als auch die einzelnen Ressorts – auswärtige Angelegenheiten, Inneres, Justiz, Krieg, Finanzen, Handel und Marine – entwickelten rasch eine geordnete Aktenführung und richteten Registraturen ein. Die von ihnen angelegten Akten wurden nach Auflösung der Provisorischen Zentralgewalt im Dezember 1849 von deren Nachfolgerin, der Bundeszentralkommission, übernommen. In der Folge gelangten sie in das Archiv des Bundestags (des Entscheidungsgremiums des Deutschen Bundes) und wurden nach dessen Auflösung 1866 von der Stadtbibliothek Frankfurt am Main verwahrt, bis 1925 eine eigene Außenstelle Frankfurt des Reichsarchivs (später des Bundesarchivs) errichtet wurde. Als diese nach der Wiedervereinigung aufgelassen wurde, gelangten die Bestände zunächst in das Bundesarchiv Koblenz und 2010 schließlich in das Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde. Der Bestand im Ausmaß von insgesamt etwa 25 Laufmetern Archivgut wurde nach dem Zweiten Weltkrieg in aufwendigen Arbeiten nach dem ursprünglichen Registratursystem der Ministerien geordnet; er ist heute durch detaillierte Findbücher gut erschlossen und wurde vor einigen Jahren vollständig verfilmt.

Diese Quellenbestände sind von der Forschung erst nach dem Zweiten Weltkrieg in nennenswertem Umfang herangezogen worden, ihr Potential ist aber bei weitem nicht ausgeschöpft; insbesondere hat eine Edition der Ministerialprotokolle, wie sie für die Regierungen der größten deutschen Staaten seit längerem betrieben wird, bisher nicht stattgefunden. Die von unserem Projekt angestrebte Fondsedition wird nicht nur den Anteil einer bisher unterschätzten Kraft am Revolutionsgeschehen erhellen, sondern zugleich unter politikwissenschaftlicher Fragestellung Aufschluss über das Funktionieren der ersten parlamentarischen Regierung in Deutschland geben. Immerhin musste die Zentralgewalt aus dem Nichts heraus die Infrastruktur für ihr Regieren schaffen durch die Errichtung von Behörden, die Rekrutierung von Personal und die Sicherstellung der Finanzen – ein bisher kaum beachteter Umstand von besonderem verfassungs- und verwaltungsgeschichtlichem Reiz.

Ziel unseres Unternehmens ist es, die Protokolle der insgesamt 185 Sitzungen des Gesamtministeriums, die einen „roten Faden“ zur Tätigkeit der Zentralgewalt liefern, vollständig im Wortlaut zu edieren; die umfangreichen Aktenbeilagen zu den Protokollen sowie ausgewählte weitere Aktenstücke aus den Registraturen der Ministerien sollen in Regestenform präsentiert werden. Da jedoch amtliches Schriftgut in der Regel nur teilweise den politischen Gehalt von Entscheidungen offenbart und selten Atmosphärisches spiegelt, sollen ergänzend auch die Publikationen und handschriftlichen Nachlässe der Mitglieder des Reichsministeriums ausgewertet werden. Die gesamte Edition wird durch detaillierte Register erschlossen. In Form eines (voraussichtlich mehrbändigen) Lesebuchs zur Organisation und Tätigkeit der Provisorischen Zentralgewalt sollen der Geschichtswissenschaft wertvolle Materialien vor allem im Hinblick auf die folgenden vier Fragenkomplexe leicht verfügbar gemacht werden:

1. Aufarbeitung von Einfluss und machtpolitischen Möglichkeiten der Provisorischen Zentralgewalt gegenüber der Nationalversammlung und den Regierungen der Bundesstaaten.

2. Erschließung der verfassungsgeschichtlichen Funktion und Praxis des im Juni 1848 errichteten Systems als Versuch einer Symbiose des parlamentarischen Regierens mit dem traditionellen Konstitutionalismus.

3. Eine institutionen- wie verwaltungsgeschichtliche Erforschung der politischen Probleme wie praktischen Herausforderungen des Aufbaus einer Regierung aus dem Nichts.

4. Ein mentalitäts- wie kulturgeschichtlicher Ansatz, um das Selbstverständnis der Mitglieder der ersten parlamentarischen Regierung in Deutschland, deren Motive, Formen der Entscheidungsfindung, Perzeption der Handlungsmöglichkeiten wie Außendarstellung offenzulegen.

Text von Karsten Ruppert und Thomas Stockinger

 

Quelle: http://achtundvierzig.hypotheses.org/37

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Gerhard Richter – Das Prinzip des Seriellen

In seinem Artikel »The Serial Attitude« von 1967 betont der amerikanische Künstler Mel Bochner: »Serial order is a method, not a style.«[1] Die Anwendung serieller Prinzipien ist für ihn demnach kein stilistisches Phänomen, das einer bestimmten Ästhetik entspricht, sondern die Manifestation einer spezifischen künstlerischen Praxis und Haltung. Im Gegensatz zu einem intuitiven oder gar expressiven Vorgehen spricht Bochner von einer systematischen Methode, für die ein vorher festgelegtes Konzept kennzeichnend ist. Grundsätzlich basiert eine Serie auf dem Prinzip der Wiederholung des Gleichen oder zumindest Ähnlichen. Sie besteht, wie es Uwe M. Schneede definiert hat, »aus gleichwertigen Elementen mit vorherrschenden Motiv- und Formkonstanten, in deren Rahmen Varianten durchgespielt werden.«[2] Das Arbeiten in Serien ist zweifellos eine der zentralen Methoden der zeitgenössischen Kunst, so vor allem in der Minimal Art und Conceptual Art der 1960er- und 1970er-Jahre. In der Kunst des 20. Jahrhunderts lassen sich serielle Ordnungen aber über fast alle Bewegungen und Stile hinweg finden.

In der wissenschaftlichen Literatur zu Gerhard Richters Kunst ist dieses Thema erstaunlicherweise bis heute nicht grundlegend untersucht worden, obwohl in seinem Œuvre zahlreiche Beispiele für das Prinzip des Seriellen zu entdecken sind. Die umfangreichste Arbeit ist der 1969 begonnene und bis heute fortgeführte Atlas der Fotos, Collagen und Skizzen in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus in München. Dieses streng strukturierte, mittlerweile aus fast achthundert Tafeln bestehende Motivrepertoire ist für den Künstler ein zentrales Instrument inhaltlicher und formaler Reflexionen. Eines der frühesten Gemälde, in dem die Serie als innerbildliches Prinzip auftaucht, ist das Portrait Schmela (WV-Nr. 37-1) von 1964 in Privatbesitz, das aus sechs leicht variierten Einzelportraits besteht. Berühmte Beispiele für aus mehreren Bildern bestehende Serien sind die Zehn großen Farbtafeln (WV-Nr. 144) von 1966 in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf, die 48 Portraits (WV-Nr. 324/1-48) von 1971/1972 im Museum Ludwig in Köln, die acht monochromen Gemälde Grau (WV-Nr. 367/1-8) von 1975 im Städtischen Museum Abteiberg in Mönchengladbach, die emaillierten Glastafeln Acht Grau (WV-Nr. 878/1–8) von 2002 im Guggenheim Museum in Bilbao und die sechs vielfarbig abstrakten Cage-Gemälde (WV-Nr. 897/1–6) von 2006 in der Tate Modern in London.

Auf noch vielfältigere Weise zeigt sich die Serialität in Gerhard Richters Editionen[3], da ihm diese originalen, in Auflage produzierten Arbeiten ermöglichen, innerhalb eines festgelegten Konzepts einen weiten Spielraum für Veränderungen und Variationen auszuloten. In Druckgrafiken kann sich das Serielle durch die innerbildliche Wiederholung gleichförmiger Elemente zeigen und in Gemäldeeditionen durch die Variierung eines immer gleichen Produktionsprinzips. Das heißt, dass sich das Prinzip des Seriellen in Richters Editionen sowohl in Form einer bildimmanenten Gestaltung finden lässt als auch in Form einer gleichen, aber die Exemplare variierenden Herstellungsweise.

 

I.

Ein bedeutendes Beispiel im Medium der Druckgrafik in Form einer bildimmanenten seriellen Gestaltung ist die Mappe 128 Fotos von einem Bild (Halifax 1978) II (WV-Nr. 99), die vom Kaiser Wilhelm Museum in Krefeld herausgegeben wurde. Richter fotografierte 1978 die Oberfläche seines farbigen, abstrakten Ölgemäldes Halifax (WV-Nr. 432-5). Die Aufnahmen zeigen Ausschnitte des Bildes in höchst unterschiedlichen Blickwinkeln und Entfernungen und bei wechselnden Lichtverhältnissen. Die insgesamt 128 Fotografien wurden in acht Bildtafeln zu je 16 Motiven zusammengefasst, wobei die einzelnen Aufnahmen durch schmale, weiße Stege voneinander getrennt sind. 1998 bildete diese Fotoarbeit die Grundlage für die gleichnamige Edition mit acht Offsetdrucken. Als Ganzes ergeben die Motive eine serielle Rasterstruktur, die jedoch keine Vorstellung von dem abgebildeten Gemälde als einer homogenen Fläche erlaubt. Denn die Fotografien bleiben Fragmente, die nicht logisch zusammenhängen und keine einheitliche Perspektive aufweisen. Die Erwartung, man könne mit seinen Augen in dem Bild umherwandern, wird hier zum Erlebnis eines visuell verwirrenden Labyrinths, das Gerhard Richters Diktum von 1982 entspricht: Bilder sind »um so besser, je schöner, klüger, irrsinniger und extremer, je anschaulicher und unverständlicher sie im Gleichnis die [...] unbegreifliche Wirklichkeit schildern.«[4] Obwohl es sich um realistische Fotografien handelt, bleibt der Zusammenhang der seriell strukturierten Aufnahmen ähnlich wie in einem kubistischen Bild demonstrativ uneindeutig und die ästhetische Erfahrung somit betont unabschließbar.

Eine ähnlich aus Einzelelementen bestehende, aber nicht auf Fotografien basierende Serialität in Form einer Rasterstruktur zeigt sich in der Mappe Farbfelder. 6 Anordnungen von 1260 Farben (WV-Nr. 51). Herausgeber war 1974 die Galerie Heiner Friedrich in München. Die sechs Offsetdrucke zeigen jeweils 1260 kleine Rechtecke in unterschiedlichsten Farben, die orthogonal über die gesamte Blattfläche verteilt sind, sodass sich eine All-over-Struktur ergibt. Insgesamt führt diese serielle Ordnung der Elemente auf der Bildfläche zu einem klassischen Raster. Deshalb kann hier nicht mehr von einer bildnerischen Geschlossenheit im Sinne einer sich selbst eingrenzenden Gestaltung gesprochen werden. Vielmehr erlauben die Grafiken die Vorstellung einer möglichen Weiterführung der Struktur über die faktisch begrenzenden Bildränder hinaus. Somit erscheint auch der Begriff der Komposition unangebracht. Denn dieser Terminus korrespondiert mit der relationalen Ästhetik eines Bildgefüges, das aus meist ungleichen und spannungsvoll ausbalancierten Teilen aufgebaut ist. Bei der nicht relationalen Ästhetik der Farbfelder-Blätter wird hingegen diese hierarchische Unterordnung vermieden zugunsten eines egalitären Verhältnisses der Rechtecke, denn jene sind nicht nur gleichförmig, sondern auch völlig gleichwertig. Das Prinzip des Seriellen, das bei diesen Druckgrafiken selbst zum Motiv geworden ist, konstituiert sich hier auf doppelte Weise: Jedes einzelne Blatt besteht in sich aus einer seriellen Struktur in Form eines Rasters, und alle sechs Blätter bilden nebeneinander ebenfalls eine Serie, da jedes Exemplar die gleiche formale Ordnung wiederholt bei allerdings unterschiedlicher Farbgebung.

Während die Rechtecke durch das Raster ein Höchstmaß an Ordnung zeigen, vermittelt sich die Verteilung der Farben als auffällige Unordnung. Gerhard Richters strategisches Mittel der Bilderzeugung ist hier der Zufall gewesen, zumal die Farbverteilung von ihm ausgelost wurde. Er hat jeden einzelnen Farbton durch das Los ermittelt, was ein bewusst organisiertes Chaos im Sinne eines Zustands höchster Unordnung erzeugte. Richter hat damit ein Musterbeispiel für eine hierarchielose und antiautoritäre Sprache der Kunst entstehen lassen. Eine solche Bildstruktur verwehrt zwangsläufig die Möglichkeit der Erfassung des Bildganzen in seiner koloristischen Bestimmtheit. In dem Versuch einer visuellen Aneignung werden die Grafiken als Manifestationen einer sprachlich nicht einholbaren Fülle erlebt, was eine bewusste Überforderung des Betrachters bedeutet – ähnlich wie der visuelle Irrgarten der Edition 128 Fotos von einem Bild, der mit seiner seriell angelegten Polyperspektivität ebenfalls das Adaptionsvermögen des Auges übersteigt.

 

II.

Bei einer Gemäldeedition wie den Quattro Colori von 2008 (WV-Nr. 138), herausgegeben von der Serpentine Gallery in London, negiert Gerhard Richter die Idee oder Erwartung vom auratischen Kunstwerk als einmaliger Setzung zugunsten einer seriellen Produktion. Alle 80 Exemplare der Edition basieren auf dem gleichen Konzept, doch ihre sehr individuelle Farbgebung verleiht ihnen jeweils einen unikathaften Charakter. Aus 25 Farbtönen wurden für jedes Gemälde nach dem Zufallsprinzip vier Farben ermittelt, die im Bild in Form von vier monochromen Quadraten erscheinen, die als Ganzes wiederum ein quadratisches Bildgeviert ergeben. Dabei handelt es sich um Lackfarben auf Alu-Dibond, auf Holz montiert. – Das erste Beispiel für ein aus nur vier Farben bestehendes geometrisches Gemälde entstand in Richters Œuvre bereits 1974 unter dem lapidaren Titel 4 Farben (WV-Nr. 353-1).[5] – Die farbige Einzigartigkeit jedes Exemplars der Edition wird gerade in der Serie deutlich, da die Unterschiede umso deutlicher hervortreten, wenn man mehrere Bilder nebeneinander hängt. Deshalb erscheint es nicht verwunderlich, wenn manche Sammler bemüht sind, mehrere Exemplare dieser Edition zu erwerben. Denn erst der Kontext der Serie erklärt die Besonderheit jedes einzelnen Exemplars und die Vielfalt der Differenzen.

Eine ähnlich strenge geometrische Struktur, die jedoch nicht auf dem Zufallsprinzip basiert, ist bei der Gemäldeedition Schwarz, Rot, Gold II von 1998 zu finden (WV-Nr. 108), die als Kunstharzfarbe hinter Glas realisiert und von der Münchener Galerie Fred Jahn verlegt wurde. Aus einer vorher festgelegten Auswahl von vier Schwarztönen, vier Rottönen und vier Goldtönen wurden 64 verschiedene Farbkombinationen zusammengestellt. Welche der jeweils vier Farbtöne in einer Arbeit enthalten ist, wird durch die dreistellige Zahl auf der Rückseite angegeben. Beispielsweise bedeutet »342«, dass der dritte Schwarzton, der vierte Rotton und der zweite Goldton verwendet wurden. So weist jedes Exemplar dieser seriellen Edition eine individuelle Farbigkeit auf.

In seinen »Paragraphs on Conceptual Art« hob Sol LeWitt 1967 hervor: »When an artist uses a conceptual form of art, it means that all of the planning and decisions are made beforehand and the execution is a perfunctory affair. The idea becomes a machine that makes the art.«[6] Diese Definition trifft auch auf Gerhard Richters beschriebene Gemäldeedition Schwarz, Rot, Gold II zu, denn allen Exemplaren liegt ein strenges Konzept zugrunde, das die Erscheinung der Bilder im Vorhinein festgelegt hat. Somit ist ebenfalls die Anzahl der Bildtafeln kein Zufall, sondern ergibt sich aus den vier mal drei Farbtönen, die nach dem seriellen Prinzip der Permutation kombiniert wurden. Die Methode der Permutation bezeichnet ein geschlossenes System, das weder ein Hinzufügen noch ein Weglassen eines Elements erlaubt. Jede Farbkombination, die innerhalb der gesetzten Parameter möglich ist, wurde ausgeführt, was zwangsläufig zu der Anzahl von 64 Exemplaren führte. Dieses mathematische Kalkül verhindert jede Zufälligkeit, jede emotionale Expressivität sowie jede künstlerische Subjektivität. Die Farben Schwarz, Rot, Gold erinnern dabei zweifellos an die Farben der Flagge der Bundesrepublik Deutschland. Historisch betrachtet gelten diese Farben seit dem frühen 19. Jahrhundert als Symbol der nationalen Einheit Deutschlands unter demokratischen Vorzeichen. Aufgrund der nicht horizontalen, sondern vertikalen Anordnung der Farben in Richters Edition changieren die Bilder jedoch zwischen der suggestiven Assoziation an die deutsche Flagge und der Wahrnehmung als rein abstrakte Farbfeldmalerei jenseits aller Symbolik.

 

III.

In den seriellen, abstrakten Gemäldeeditionen Rot–Blau–Gelb (WV-Nr. 50), Souvenir und Minatures wurde hingegen wieder das Prinzip des Zufalls angewendet, allerdings auf ganz andere Weise als bei den bereits vorgestellten Quattro Colori. 1973 hängte Gerhard Richter bei der Produktion von Rot–Blau–Gelb 100 kleine Leinwände auf Keilrahmen unmittelbar nebeneinander zu einem rechtwinkligen Block an die Atelierwand und übermalte die gesamte Fläche mit einem breiten Pinsel in den drei Primärfarben Rot, Blau und Gelb. Die scheinbar endlosen Farbbahnen des Pinsels sind unauflösbar ineinander verflochten. Die Bewegungen scheinen keinen Anfang und kein Ende zu haben, sie gehorchen keinem nachvollziehbaren Rhythmus und bilden kein koloristisches System, sondern lassen vielmehr den dynamischen Prozess der Bildentstehung sichtbar werden. Auch wenn diese Dynamik an bestimmte Produktionsformen des Abstrakten Expressionismus und des Informel erinnert, ist Richters Gemäldeedition jede Konnotation einer individuellen Schöpferkraft oder genialischen Inspiration demonstrativ ausgetrieben. Ein gängiger interpretatorischer Topos abstrakter Malerei der 1950er-Jahre sah in der spontanen und bewegten Gestik des Farbauftrags ein aus dem Unbewussten kommendes Psychogramm seelischer Erregungszustände. Die Verklärung der Malerei zum dramatischen subjektiven Ausdruck jenseits aller Vernunftkontrolle wurde zu dieser Zeit besonders anhand des Action Painting von Jackson Pollock zelebriert. So schrieb etwa Harold Rosenberg: »The act-painting is of the same metaphysical substance as the artist’s existence.«[7] Doch auch noch im Jahr 2001 meinte Hubert Damisch, dass die sichtbaren Spuren des Pinsels grundsätzlich als die »indexikalische Komponente der Malerei« gelesen werden könnten, da man im Pinselstrich »das Sinnbild der Subjektivität auszumachen vermag, zeigt sich doch in ihm die Präsenz des Malers selbst [...].«[8]

Gerhard Richters Edition Rot–Blau–Gelb negiert all diese hochtrabenden und mystifizierenden Bedeutungen. Seine Haltung erinnert an John Cage, den er als Musiker und Künstler äußerst schätzt und dessen Offenheit, Ideologieferne und vom Zen-Buddhismus inspirierte Bejahung des Nichts er bewundert. Cage äußerte 1958 über sein eigenes Werk: »I don’t want it to mean anything. I want it to be[9] Gerhard Richters Edition wurde nach der Fertigstellung zerteilt, indem die 100 kleinen Leinwände von der Galerie Seriaal in Amsterdam einzeln verkauft wurden, was die Vorstellung von abstrakter Malerei als harmonisch austarierter Komposition oder als explizit subjektiven Ausdruck demonstrativ ad absurdum führt. Denn für den Betrachter könnte nur das ganze Bild, nicht aber ein zufälliges Fragment solche traditionellen Bedeutungsdimensionen entstehen lassen.

Eine ähnliche Strategie, die in ihrer Umsetzung noch etwas radikaler erscheint, lässt sich bei den Gemäldeeditionen Souvenir (WV-Nr. 84) und Miniatures (WV-Nr. 85) von 1995 und 1996 entdecken. Die Arbeiten, die von der Anthony d’Offay Gallery in London und der Marian Goodman Gallery in New York verlegt wurden, basieren auf zwei abstrakten Gemälden mit gerakelter Ölfarbe auf Leinwand, die für die Editionen in jeweils 64 kleine Teile zerschnitten wurden. Diese Teilstücke wurden dann auf Karton montiert, gerahmt und einzeln verkauft, was ebenfalls wieder dem Prinzip des Seriellen entspricht. Damit negiert der Künstler die traditionelle Vorstellung vom Bild als einer abgeschlossenen Einheit. Trotz der etwas rabiaten Zerteilung der Leinwandflächen ist jedes einzelne Gemäldefragment für Richter ein ästhetisch gültiges Bild, das mit seinem jeweils zufälligen Ausschnitt der überlagerten Farbschichten einen individuellen und hochgradig ästhetischen Charakter aufweist, was sich auch in den beiden Titeln der Editionen andeutet.

 

IV.

Als Beispiele für jene abstrakten Gemäldeeditionen, in denen die Serialität nicht in Form einer Teilung von Bildern erreicht wurde, sondern sich von vornherein in Einzelbildern vermittelt, denen jeweils das gleiche Produktionsprinzip zugrunde liegt, lassen sich Grün–Blau–Rot, Fuji, Goldberg-Variationen und War Cut II anführen. Die 115 Exemplare der 1993 von der Kunstzeitschrift Parkett herausgegebenen Edition Grün–Blau–Rot (WV-Nr. 229) basieren in Format, Bildträger, Farbauswahl und Farbauftrag alle auf dem gleichen Konzept, und doch erscheint jedes Exemplar durch seine unterschiedlichen Bildstrukturen als Unikat. Der lapidare Titel gibt die drei verwendeten Farbtöne und die Reihenfolge an, in der sie auf die einzelnen kleinen Leinwände aufgetragen wurden. Dabei heben sich die Farbflächen teils scharf kontrastierend voneinander ab, teils gehen sie ineinander über. Für den Untergrund wurde flächendeckend ein kräftiges Grün verwendet, dann mit einer Rakel ein dunkles Blau aufgetragen und abschließend ein leuchtendes Rot appliziert. Die Rakel ist eine lange, schmale Leiste aus Kunststoff, mit der die Farbmaterie über die Leinwand gezogen wird. Sie kann sowohl dünne als auch pastose Schichten hinterlassen, die nichts mehr mit einem individuellen, subjektzentrierten Pinselduktus zu tun haben. Dieses Malinstrument findet sich in Richters Œuvre seit 1979; es ermöglicht vielfältige und je nach Anzahl der Schichten äußerst komplexe Überlagerungen der Farben, so dass Robert Storr die dadurch erzielten Bildstrukturen treffend als »geological«[10] bezeichnet hat.

Ein wichtiger Aspekt bei dieser Produktionsform ist das bildkonstituierende Prinzip des Zufalls, das letztendlich bei allen gerakelten Gemälden eine Rolle spielt. Die schlierenhafte und fleckige Struktur der Ölfarbe lässt sich nicht genau vorhersehen. Denn wo und wie die Farben an den anderen Farbschichten hängen bleiben, sich überlagern, sich vermischen oder wieder aufreißen, ist nur bedingt steuerbar und somit zu einem großen Teil zufällig. Dies ist ganz im Sinne des Künstlers, denn auf jene Weise wird er von der Notwendigkeit einer bewussten Gestaltung oder Komposition befreit und kann etwas Unvorhersehbares entstehen lassen, das seinen eigenen Erwartungshorizont übersteigt. In einem Interview von 1990 äußerte Gerhard Richter zur Bedeutung des Zufalls bei seinen abstrakten Gemälden: »Ich habe eben nicht ein ganz bestimmtes Bild vor Augen, sondern möchte am Ende ein Bild erhalten, das ich gar nicht geplant hatte. Also, diese Arbeitsmethode mit Willkür, Zufall, Einfall und Zerstörung lässt zwar einen bestimmten Bildtypus entstehen, aber nie ein vorherbestimmtes Bild. [...] Ich möchte ja gern etwas Interessanteres erhalten als das, was ich mir ausdenken kann.«[11]

Eine weitaus komplexere Bildstruktur als bei Grün–Blau–Rot weist die ebenfalls seriell angelegte Gemäldeedition Fuji von 1996 auf (WV-Nr. 89). Richter verwendete für die 110 Exemplare, die von der Städtischen Galerie im Lenbachhaus in München herausgegeben wurden, keine Leinwand mehr, sondern jeweils eine Verbundplatte – sogenanntes Alucobond – aus Aluminium und Kunststoff. Dieses Material besitzt eine sehr glatte Oberfläche, sodass mit der Rakel eine extrem feine, sehr differenzierte Verteilung der Ölfarbe erreicht werden kann. Als Grundstruktur dienen bei der vorliegenden Edition drei waagerechte, monochrome Streifen in Karminrot, Kadmiumgelb und Chromoxydgrün. Auf die noch feuchten Farben setzte der Künstler eine Rakel, an der weiße Ölfarbe haftete, und zog das Malinstrument sehr langsam über den mittleren und unteren Farbstreifen. Dann setzte er die Rakel erneut an, aber diesmal an der Oberkante des Bildes, und zog sie über die gesamte Fläche von oben nach unten. Die weiße Farbe vermischte sich bei diesem Vorgehen mit den Farben des Untergrunds, wobei die Rakel gleichzeitig das Rot, Gelb und Grün von dem glatten Bildträger teilweise wieder abschabte und mit dem zweiten Aufsetzen über die gesamte Fläche verteilte. So entstand mit einfachsten Mitteln eine äußerst subtile, komplexe Bildstruktur, die bei manchen Exemplaren eine große malerische Delikatheit aufweist. Bei allen Exemplaren der Edition wiederholte Richter das immer gleiche Prozedere, doch da die Ölfarben und vor allem die Rakel höchst eigensinnige Produktionsmittel sind, sieht jedes Bild letztendlich anders aus.

Von Grün–Blau–Rot und Fuji unterscheiden sich die Gemäldeeditionen Goldberg-Variationen von 1984 und War Cut II von 2004 vor allem durch die Malgründe beziehungsweise Bildträger. War Cut II (WV-Nr. 125) ist die im Kölner Verlag der Buchhandlung Walther König erschieneneVorzugsausgabe des Künstlerbuches War Cut I (WV-Nr. 124). Der Künstler hat sich in diesem Buch mit dem Beginn des Irakkrieges auseinandergesetzt, indem er Presseberichte aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit fotografischen Detailaufnahmen eines abstrakten Gemäldes zum Protokoll eines fernen Krieges kombinierte. Jeder Deckel der 50 Buchexemplare wurde von Richter mit Ölfarbe überrakelt, wobei die rote Farbe des Leinenbezugs meist deutlich sichtbar blieb. Obwohl der Künstler die Edition in einer Kassette aus Karton präsentierte, haben manche Galeristen und Händler das bemalte Buch im Nachhinein so gerahmt, als wenn es ein flaches Leinwandgemälde wäre. In unserem Zusammenhang entscheidend ist, dass auch hier wieder der immer gleiche Produktionsprozess seriell wiederholt und variiert wird.

Letzteres trifft auch auf die 100 Exemplare der vom Museumsverein Mönchengladbach herausgegebenen Goldberg-Variationen zu (WV-Nr. 60), allerdings mit dem Unterschied, dass bei dieser Gemäldeedition dem Bildträger ein besonderer Status zukommt. Es handelt sich um die Schallplatte mit dem gleichnamigen Klavierstück von Johann Sebastian Bach in der Einspielung von Glenn Gould von 1982. Gerhard Richter bemerkte 1984 in einer privaten Notiz: »Glenn Gould, Goldbergvariationen. Seit einem, seit zwei Jahren höre ich fast nichts anderes. Was mich zu ärgern anfängt, ist die Vollkommenheit.«[12] Seine Bewunderung für die Musik und ihren Interpreten schlug nach allzu intensivem Hörgenuss offensichtlich in Ablehnung um, indem er im selben Jahr mit einer Rakel und einem Pinsel die Schallplatte überarbeitete. Er trug gelbe, rote, blaue und weiße Ölfarbe auf den runden Tonträger auf und machte ihn auf diese Weise zu seinem Bildträger. Allerdings hat er damit bewusst auch die Möglichkeit des weiteren Abspielens der Schallplatte verhindert. Der serielle Farbauftrag nimmt hier auf explizite Weise einen inhaltlichen Bezug auf den Malgrund. Denn jener ist keine neutrale Leinwand, sondern selbst Träger eines künstlerischen Produkts, gegen das Richter destruktiv vorgeht, obwohl es gleichzeitig auch wie eine Hommage wirkt, wenn der Künstler seine eigene Arbeit mit der von Bach und Gould verbindet.

 

V.

Eine der seltenen Zeichnungseditionen, bei der die serielle Methode ebenfalls konstitutiv ist, bildet die Vorzugsausgabe des Buches Gerhard Richter. Text. Schriften und Interviews, die 1993 im Kölner Verlag der Buchhandlung Walther König erschien (WV-Nr. 82). In jedem der 100 Exemplare der Publikation findet sich auf der ersten Seite eine eigenhändige Bleistiftzeichnung, die ein Selbstportrait des Künstlers im Profil zeigt. Auf der Rückseite dieser Zeichnung erscheint ein schwarzweißes Fotoportrait Richters aus den 1960er-Jahren. Die dunkle Aufnahme scheint leicht durch die dünne Buchseite hindurch, sodass das Fotomotiv als unmittelbare Vorlage genutzt werden konnte. Der Umriss des hochformatigen Rechtecks der Fotografie bildet auf der Vorderseite den mit einer Linie angedeuteten Rahmen der Zeichnung. Bei den meisten Exemplaren hat der Künstler das Profil seines Kopfes mit einer durchgehenden Bleistiftlinie nachgezogen und das Gesicht dann durch ein gestisches, unruhiges Liniengeflecht oder durch gleichmäßige Schraffuren hervorgehoben. Auge und Ohr sind meist nur durch wenige kürzelhafte Striche wiedergegeben. Bei anderen Exemplaren hat Richter auf die Profillinie verzichtet, den Kopf als fast reine Negativform ausgespart und nur durch ihn umgebende Schraffuren angedeutet. Wiederum andere Zeichnungen zeigen ein Profil, das auch oder vor allem mit wellen- und schleifenförmigen Linien umrissen ist. All diese Selbstportraits weisen einen jeweils unterschiedlichen Abstraktionsgrad auf, sodass die Person des Künstlers mal mehr, mal weniger erkennbar ist. Teils ist das Profil deutlich herausgearbeitet, teils ist es durch sich überschneidende Linien eher verunklärt. Die Abhängigkeit der Zeichnung von der Fotografie auf der Rückseite des Blattes implizierte in der Produktion also kein genaues Durchpausen, keine realistische Nachahmung der Vorlage, sondern vielmehr ein sehr lebendiges zeichnerisches Umkreisen des vorgegebenen Motivs.

Obwohl Gerhard Richter mit dieser Vorzugsausgabe seines Buches 100 Selbstportraits angefertigt hat, kann nur sehr bedingt von einer eingehenden Beschäftigung mit dem eigenen Ich gesprochen werden. Weder die gesellschaftliche Stellung noch das Selbstverständnis des Künstlers noch ein psychologisch analysierendes Interesse kommen hier zum Ausdruck. Die Portraits sind eher ein höchst konzentriertes und seriell angelegtes Exerzitium der verschiedenen zeichnerischen Darstellungsmöglichkeiten. Die Bandbreite reicht von der durchaus erkennbaren Wiedergabe des Richter’schen Profils bis hin zur weitgehenden Auflösung seiner Form. Richter reflektiert in dieser Serie die unterschiedlichen grafischen Mittel zur Repräsentation seines Abbilds, ohne das Motiv selbst zu deuten. Dass er mit den Zeichnungen trotzdem auch seine eigene Person fragend umkreist und reflektiert hat, mag durchaus sein, doch erkennbar ist dies in den Bildern nicht.

 

VI.

Die Editionen Kerze II, Park, Firenze und Wald II zeigen eine Form von Serialität, die sich von den bisher beschriebenen Praktiken unterscheidet. Obwohl diese Arbeiten wie manche Ölbildeditionen ein immer gleiches Produktionsprinzip seriell variieren, werden hier jeweils zwei völlig verschiedene Medien miteinander verbunden, was beispielhaft an Kerze II aufgezeigt werden kann (WV-Nr. 66). Gerhard Richter malte 1982 nach einer selbst angefertigten Fotografie ein Ölbild mit dem lapidaren Titel Kerze, das sich in Privatbesitz befindet.[13] 1989 fotografierte er dieses Gemälde und reproduzierte die Aufnahme in 50 Exemplaren eines farbigen Offsetdrucks unter dem Titel Kerze II. Anschließend überrakelte der Künstler sowohl das bildnerische Motiv als auch den breiten, weißen Rand des Blattes mit schwarzer Ölfarbe, sodass die Bildfläche mit einer fleckenartigen, abstrakten Struktur überzogen ist, die bei jedem Exemplar anders erscheint, was an der bereits beschriebenen Eigensinnigkeit des Malinstruments liegt.

Bei dieser Edition, die von der Achenbach Art Edition in Düsseldorf verlegt wurde, wird auf relativ realistische Weise ein gegenständliches Motiv dargestellt, während gleichzeitig eine abstrakte, stark selbstbezügliche Farbmaterie präsentiert wird. Diese beiden simultanen Wirklichkeitsebenen konstituieren in den Bildern paradoxerweise eine enge Verbindung: Sie erscheinen als eine ineinander verzahnte Einheit, deren Spannung aus dem deutlichen Gegensatz der verschiedenen Produktionsformen herrührt. Obwohl die Edition auf einem fotografischen Motiv basiert, ist dessen realistische Darstellung doch »nur« illusionistisch und somit nicht greifbar. Hingegen besitzt die Ölfarbe eine deutlich materielle, greifbare Realität, gerade weil sie sich als eine pastose und weitgehend eigenständige Struktur vermittelt. Somit ist die schwarze Farbmaterie abstrakt und real zugleich, und die Darstellung der Kerze ist sowohl realistisch als auch scheinhaft.

Besonders raffiniert erscheint diese Ambivalenz von Gegenständlichkeit und Ungegenständlichkeit, von Schein und Wirklichkeit in der Edition FAZ-Übermalung, die 2002 vom Künstler selbst herausgegeben wurde (WV-Nr. 122). Der Offsetdruck entstand nach einer Fotografie, die eine Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom Februar 2001 zeigt. Richter hatte die Zeitung vorher mit grauer, weißer, roter und oranger Ölfarbe übermalt. Die im Druck auf der rechten Seite sichtbare Hand ist die des Künstlers, der die Zeitung hält. Nach der Reproduktion wurden die 32 Offsetdrucke mit grauer Ölfarbe überrakelt. Nur bei einer Betrachtung aus nächster Nähe ist zu erkennen, welche Farbe im Druck reproduziert und welche real auf den Halbkarton aufgetragen wurde. Die serielle Produktionsform der FAZ-Übermalung ermöglicht dem Künstler eine strukturelle Variation des gleichen Bildes als ein Durchspielen des identischen Konzepts beziehungsweise des prinzipiell gleichen Produktionsvorgangs.

Dies gilt ebenso für die Edition Park, die 1990 von der Anthony d’Offay Gallery in London verlegt wurde (WV-Nr. 72). Dabei handelt es sich um zwölf farbige Offsetdrucke, die Gerhard Richter mit überwiegend grüner Ölfarbe überrakelt hat. Die Druckgrafik basiert auf einer Fotografie, die der Künstler im selben Jahr in einem Park in Köln aufgenommen hatte. Um zwei weitere Beispiele zu nennen: Die aus 99 Exemplaren bestehende Edition Firenze wurde im Jahr 2000 von dem italienischen Orchester Contempoartensemble in Prato herausgegeben (WV-Nr. 110). Es handelt sich um die Vorzugsausgabe des Buches Gerhard Richter. City Life, die jeweils eine von drei verschiedenen Fotografien zeigt, die 1999 in Florenz entstanden waren. Gerhard Richter hat diese Fotos in einem Abklatschverfahren und teilweise auch mit einem Malermesser mit unterschiedlichen Ölfarben überarbeitet, wobei sehr differenzierte, kleinteilige Strukturen entstanden sind, die wieder ein gegensätzliches Miteinander von abstrakter Farbmaterie und realistischem Fotomotiv ergeben. Und Wald II (WV-Nr. 136), erschienen im Kölner Verlag der Buchhandlung Walther König, ist die Vorzugsausgabe des Künstlerbuches Wald I (WV-Nr. 135), deren 80 Exemplare jeweils ein eigenes Fotomotiv zeigen. Richter hatte die Aufnahmen 2008 im Hahnwald und in der Umgebung von Köln angefertigt. Die Fotos wurden anschließend mit sehr flüssiger, grauer Lackfarbe überrakelt, sodass die Farbe über dem Motiv wie ein dunkler Schleier liegt, der in manchen Partien leicht durchsichtig wirkt und in anderen Bereichen undurchdringlich erscheint. In Wald II sieht jedes Exemplar aufgrund des Rakelprozesses und des je eigenen Fotomotivs unterschiedlich aus, was die serielle Variationsbreite dieser Edition noch erhöht.

Die in dieser Hinsicht komplexeste Edition stellt Snow-White (WV-Nr. 132) dar, die 2005 als Vorzugsausgabe des japanischen Ausstellungskatalogs Gerhard Richter bei der Galerie Wako Works of Art in Tokyo erschien. Die 100 Offsetdrucke reproduzieren jeweils ein von zwei fotografischen Details des Ölgemäldes Abstraktes Bild (WV-Nr. 890-5) von 2004. Die Druckgrafik wurde mit monochrom weißer Acrylfarbe überrakelt und anschließend mit einer zarten, abstrakten Bleistiftzeichnung überarbeitet. Das Ineinandergreifen unterschiedlichster Medien – Ölbild, Fotografie, Acrylbild und Bleistiftzeichnung – ist in seiner Komplexität außerordentlich hoch. Die Vielschichtigkeit in der Übereinanderlagerung der Materialien, Produktionsformen und Wirklichkeitsebenen ist in dieser Form in Richters Œuvre einzigartig, wobei jedes Exemplar innerhalb der Serie wieder seinen eigenen Charakter aufweist.

 

VII.

Abschließend soll eine der neuesten Editionen Gerhard Richters angeführt werden, deren Exemplare in aller Deutlichkeit ebenfalls eine unikathafte Erscheinung zeigen, obwohl es sich um Druckgrafiken handeln. Die 72 Exemplare der Edition Strip, die Joe Hage in London herausgegeben hat, wurden 2011 als vielfarbige, digitale Tintenstrahldrucke produziert (WV-Nr. 148). Die abstrakte Bildstruktur besteht aus unterschiedlich schmalen, parallel übereinander angeordneten Farbstreifen. Jedes Bild zeigt eine andere Farbigkeit, obwohl alle Exemplare auf denselben Ursprung zurückgehen. Das Motiv des gerakelten Abstrakten Bildes (WV-Nr. 724-4) von 1990 aus einer Privatsammlung wurde am Computer in 4064 äußerst schmale vertikale Streifen zerlegt, die jeweils der Höhe des Bildes entsprechen. Die Nummer auf der Rückseite der jeweiligen Druckgrafik gibt an, welches dieser vorgegebenen Segmente von Richter ausgewählt wurde, um in unzähligen Spiegelungen vervielfältigt zu werden, bis sich daraus ein geometrischer Rapport von langen, horizontalen Streifen ergab.

Wie schon bei den sechs erwähnten Farbfelder-Blättern von 1974 erlauben die Strip-Exemplare ebenfalls die Vorstellung einer möglichen Weiterführung der Struktur über die faktisch begrenzenden Bildränder hinaus. Auch wenn bei dieser Edition nicht das Bild einer Landschaft evoziert wird, entsteht aufgrund des betonten Querformats und der strengen Horizontalität der Streifen der Eindruck von landschaftlicher Weite und bildräumlicher Tiefe. Die Vielfalt der kontrastreichen farbigen Intervalle und die dadurch erzeugte komplexe Rhythmisierung der Streifen verleihen der Bildfläche eine intensive Dynamik, die das Auge in der Nahsicht nicht zur Ruhe kommen lässt. Nur aus größerer Entfernung stellt sich ein Empfinden von visueller Entspannung und Gleichmaß ein.

Das Prinzip des Seriellen, das bei diesen Druckgrafiken selbst zum Motiv geworden ist, konstituiert sich hier auf dreifache Weise: Jedes einzelne Blatt besteht in sich aus einer seriellen Struktur in Form der streng parallel übereinander gelagerten Farbstreifen. Diese sind wiederum selbst durch die zahllosen Spiegelungen des jeweiligen vertikalen Segments, auf denen die Farbstreifen basieren, auf serielle Weise entstanden. Darüber hinaus bildet die gesamte Edition mit ihren 72 Exemplaren eine variantenreiche Serie, die vor allem in der individuellen Farbigkeit ihrer Exemplare differiert. Die Serialität zeigt sich hier in ein und derselben Edition also sowohl durch die innerbildliche Wiederholung ähnlicher beziehungsweise gleichförmiger Elemente als auch durch die Variierung eines immer gleichen Formprinzips in unterschiedlichen Farben.

Das Prinzip des Seriellen kann Gerhard Richter grundsätzlich als Vertiefung der geistigen und formalen Auseinandersetzung mit einem vorher festgelegten Konzept dienen und ihm dadurch die Möglichkeit einer variantenreichen Bildproduktion geben. Im Spektrum dieser Möglichkeiten einer Edition kann der Betrachter das konzeptuell Verbindende und gleichzeitig das formalästhetisch Unterscheidende entdecken. Dies zeigt, wie sehr Richters künstlerische Praxis dem anfangs erwähnten theoretischen Grundgedanken seines amerikanischen Kollegen Mel Bochner entspricht, selbst wenn dessen Kunst einer eher streng minimalistischen und konzeptuellen Ästhetik[14] verpflichtet ist: »Serial order is a method, not a style.«[15]

 

Quellennachweis: Hubertus Butin (2012): Gerhard Richter – Das Prinzip des Seriellen. In: gra.hypotheses.org, 2012/11/26. Abrufbar unter URL: http://gra.hypotheses.org/383.

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[1] Mel Bochner, »The Serial Attitude«, in: Artforum International, Nr. 4, Dezember 1967, S. 28. [2] Uwe M. Schneede, »Vorwort«, in: Monets Vermächtnis. Serie – Ordnung und Obsession, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle, Ostfildern-Ruit 2001, S. 6. [3] Abbildungen der meisten in diesem Text angesprochen Editionen finden sich in folgendem Buch: Gerhard Richter. Editonen 1965–2004, hrsg. von Hubertus Butin und Stefan Gronert, Ostfildern-Ruit 2004. [4] Gerhard Richter, Ohne Titel, in: documenta 7, Ausst.-Kat. Museum Fridericianum u. a., Kassel 1982, Band I, S. 85. [5] Siehe: Gerhard Richter. Bilder. Paintings 1962–1985, Ausst.-Kat. Städtische Kunsthalle Düsseldorf u. a., hrsg. von Jürgen Harten, Köln 1986, S. 175. [6] Sol LeWitt, »Paragraphs on Conceptual Art«, in: Artforum International, Nr. 10, Sommer 1967, S. 80. [7] Harold Rosenberg, »The American action painters«, in: Art News, Nr. 8, Dezember 1952, S. 23. [8] Hubert Damisch, Fixe Dynamik. Dimensionen des Photographischen (Paris 2001), übersetzt von Till Bardoux, Berlin 2004, S. 38. [9] John Cage, zitiert nach David Revill, The Roaring Silence. John Cage: A Life, New York 1992, S. 115. [10] Robert Storr, Gerhard Richter. The Cage Paintings, London 2011, S. 69. [11] Gerhard Richter, zitiert nach Sabine Schütz, »Interview« (1990), in: Gerhard Richter. Text 1961 bis 2007. Schriften, Interviews, Briefe, hrsg. von Dietmar Elger und Hans-Ulrich Obrist, Köln 2008, S. 262. [12] Gerhard Richter, »Notizen 1984«, in: Richter 2008 (siehe Anm. 11), S. 134. [13] Hinsichtlich der gegenständlichen Darstellung erzeugt die Arbeit fast reflexartig den Gedanken an die Kerze als altmeisterliches Vanitas-Symbol, das moralisierend an die Vergänglichkeit und Endlichkeit alles Irdischen erinnern soll. Doch in Stillleben etwa des 17. Jahrhunderts ist das Motiv immer in einen mehr oder weniger komplexen ikonografischen Zusammenhang eingebettet, der durch andere Gegenstände und Attribute wie etwa einen Totenschädel und eine Sanduhr sinnbildlich erzeugt wird. Richter hingegen vermeidet jede Symbolik und konzentriert sich ausschließlich auf das zwar äußerst stimmungsvolle, aber semantisch entleerte und motivisch isolierte Kerzenmotiv. Dadurch umgeht er die Gefahr einer barocken und somit anachronistischen Bildsprache und kann die Bildgattung des Stilllebens in einer inhaltlich reduzierten Form reflektieren und weiterführen. [14] Siehe z. B. Mel Bochner: Thought Made Visible 1966–1973, hrsg. von Richard S. Field, Ausst.-Kat. Yale University Art Gallery, New Haven, Palais des Beaux-Arts, Brüssel, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, New Haven 1995. [15] Bochner 1967 (siehe Anm. 1), S. 28.

Quelle: http://gra.hypotheses.org/383

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