Was ist eine Randtypen-Tafel?

Die Frage schlug mir entgegen, als ich erzählte, was ich denn gerade so treibe. Unter Archäologen werden die verschiedensten Begriffe verwendet, die selbstverständlich erscheinen, aber nur für Archäologen selbstverständlich sind. Das betrifft manchmal auch Zusammensetzungen, die nur aus gebräuchlichen Wörtern bestehen, wie z. B.: Randtypen-Tafel.

Zunächst, was heißt hier Tafel? Tafeln werden für die Abgabe-Version bzw. für die Drucklegung einer archäologischen Arbeit angefertigt und sind ganzseitige Übersichten. In diesem Fall also eine ganzseitige grafische Übersicht von Randtypen. Das heißt, man erstellt eine typologische Übersicht von Rändern, in diesem Fall Ränder von Keramikgefäßen, die auf der Ausgrabung geborgen worden sind.

Typologische Übersicht bedeutet, dass das Fundgut nach bestimmten formalen Eigenschaften klassifiziert worden ist. Das ist die Voraussetzung für eine spätere Einordnung, Datierung etc.

Das ganze klappt bei Keramik besonders gut. Keramik gehört zu den am häufigsten geborgenen Materialien, weil sie zum Ersten sehr häufig hergestellt und benutzt wurde, zum Zweiten, weil sie sich unter fast allen Bedingungen im Boden erhält und zum Dritten, weil sie sehr schnell kaputt geht und nur bedingt reparierbar ist. 

Im Mittelalter sind Keramiken als Massenware von spezialisierten Handwerkern hergestellt worden und die Handwerker hatten ein bestimmtes Formen-Repertoire, das sich am Nutzen und am Zeitgeschmack orientiert.

Der Clou ist jetzt aber, dass diese Gefäße, wenn sie ausgegraben werden, in der Regel kaputt sind. Das heißt, in einem großen Haufen Keramik, der vor mir auf dem Tisch liegt, liegen Ränder, Böden, Henkel oder Tüllen einzeln und ohne Zusammenhang herum.

Foto: Maxi Platz

 

Deswegen muss ich mir einen Überblick verschaffen, welche Ränder oder Böden im Fundgut vorhanden sind. Da Archäologie eine Wissenschaft ist, muss ich den Nachweis darüber führen, also bilde ich sie ab.  Das reicht aber noch nicht, ich muss die Kriterien meiner Klassifikation erläutern, in dem ich den Scherben als Typ beschreibe.

Die Einordnung des Keramik-Spektrums erfolgt zu allererst in sogenannte Warenarten. (Dazu habe ich schon mal einen Post veröffentlicht.) Dann erfolgt eine Typologisierung der Randscherben, der Bodenscherben und der Angarnierungen (z.B. Henkel, Tüllen). Diese Beschreibung sollte einer gewissen Norm entsprechen, damit auch jede/r FachkollegIn etwas damit anfangen kann. Eine solche Richtschnur gibt unter anderem der „Leitfaden zur Keramik-Beschreibung“[1], ein Werk, das jede/r MittelalterarchäologIn kennt, benutzt (und nicht mit in den Urlaub nimmt).

Bei einer Ausgrabung, wie den Untersuchungen im Umfeld der Elisabethkirche, wurden Funde aus unterschiedlichen Zeitepochen geborgen. Die Vorlage der Keramik-Typologie dient zum einen dazu, Schichten, Befunde usw. zu datieren und einzuordnen, aber auch bisherige lokale Typologien zu ergänzen und/oder zu verifizieren. Bestimmt werden also zum Ersten die Warenarten, zum Zweiten die Randtypen, die Bodentypen, Angarnierungen, Deckel usw., zum Dritten das zu rekonstruierende Gefäßformenspektrum, also z. B. Töpfe, Schüsseln, Kannen, Becher oder Ofenkacheln.

Das wichtige ist jetzt aber, welche Typen kommen in welcher Zeitphase vor? Und was kann man daraus ableiten?

Zur Veranschaulichung: Ein paar Randtypen aus Marburg

 

Randtyp 1a        

Ausbiegender, leicht verdickter Rand mit leicht gerundeter nach außen geneigter Randleiste.

 Randtyp 1b                

Ausbiegender verdickter Rand mit gerundeter einwärts geneigter Randleiste und Innenkehle. Die Innenkehle kann dabei sehr deutlich ausgeprägt sein.

Randtyp 2a                

Ausbiegender leicht verdickter Rand mit leicht gekehlter einwärts geneigter Randleiste mit Innenkehle.

Randyp 3b                  

Steiler, nach außen leicht trichterförmig ausgezogener Rand mit gekehlter Mündung. (Becherkachel)

Umsetzung: Maxi Platz

Typen-Tafeln sind also grafisch aufgearbeitete Übersichten von Ergebnissen der Kleinfundauswertung. Sie veranschaulichen, dienen zur Beweisführung, aber auch als Vorlage für weitere archäologische Untersuchungen in der näheren Umgebung.

[1] I. Bauer/ W. Endres/ B. Kerkhoff-Hader/ R. Koch /H.-G. Stephan, Leitfaden zur Keramikbeschreibung (Mittelalter-Neuzeit). Terminolgie-Typologie-Technologien (Kallmünz/Opf. 1987)

Quelle: http://minuseinsebene.hypotheses.org/724

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Fünf Fragen an… Élodie Lecuppre-Desjardin (Lille III)

Élodie Lecuppre-Desjardin im Studenteninterview

Élodie Lecuppre-Desjardin im Studenteninterview (Foto: T. Hiltmann)

Frau Lecuppre-Desjardin, herzlichen Dank, dass Sie sich im Rahmen dieser Veranstaltungsreihe Zeit für ein Interview nehmen. Wir würden Ihnen gerne einige mehr oder weniger persönliche Fragen bezüglich ihrer Erfahrungen als in Frankreich arbeitende Historikerin sowie zum Inhalt Ihrer Präsentation stellen.

Viele französische Absolventen der Geisteswissenschaften gehen nach dem Studium in den Schuldienst. Warum haben Sie sich für eine akademische Laufbahn entschieden?

Zunächst einmal schätze ich mich sehr glücklich, Beruf und Leidenschaft miteinander vereinen zu können. Ich kann mir jedoch auch Forschung nicht ohne Lehre vorstellen. Es wäre egoistisch, sich mit seiner wissenschaftlichen Arbeit zu isolieren und aus dem Erkenntnisgewinn nur eine persönliche Befriedigung zu ziehen. Der wichtigste Aspekt meines Berufs ist wohl die intellektuelle Herausforderung. Ich bin von Natur aus neugierig und als Historikerin vor allem fasziniert von der facettenreichen Gesellschaft des 14. und 15. Jahrhunderts, die oft als Übergangsgesellschaft verstanden wird. Vielleicht auch, weil ich zu den Menschen des ausgehenden Mittelalters eine professionelle Distanz habe. Zu dieser intellektuellen Herausforderung gehört aber auch der Austausch mit Studierenden, der mir für meine Forschung neue Perspektiven eröffnet. Es liegt in der Natur wissenschaftlicher Arbeit, sich in Details zu vertiefen. Erst die Konfrontation mit meinen Studenten zwingt mich, meine Ergebnisse auf verständliche Weise zu vermitteln. Auch wenn es sich paradox anhört, hilft mir dieser Vereinfachungsprozess persönlich weiter. Die Lehre ist mir also besonders wichtig. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Letztendlich habe ich mich ganz einfach aus meiner Leidenschaft für Geschichte für eine wissenschaftliche Karriere entschieden.

Sie sind Maître de conférences für mittelalterliche Geschichte in Lille. Lässt sich die Arbeit als Forscherin mit sehr hoher Lehrverpflichtung mit Privat- und Familienleben vereinbaren?

In Frankreich hat man als Maître de conférences sehr viel Sicherheit und auch Freiheit, da man verbeamtet ist und keiner direkten Kontrolle unterliegt. Trotzdem investiere ich extrem viel Zeit in die Erneuerung und Verbesserung meiner Lehrveranstaltungen. Zudem hat man als Wissenschaftlerin nie wirklich Feierabend, es gibt immer ein neues Werk oder einen wissenschaftlichen Artikel zu lesen. Man hört ja nie mit dem Denken auf. Ich habe das Glück, mit einem Mediävisten verheiratet zu sein, der das Wesen meiner Arbeit kennt und versteht. Wir haben zwei kleine Kinder und wenn ich um 17 Uhr nach Hause komme, bin ich bis abends natürlich ausschließlich für sie da, ab 21 Uhr sitze ich aber wieder am Schreibtisch. Hätte mein Mann nicht zufällig den gleichen Beruf und das damit verbundene Verständnis für meine Forschung, wäre das alles sicher unmöglich.

Wie sind Sie zu Ihrem Forschungsthema gekommen? Worauf beruht Ihre Faszination für Burgund?

Für mich ist Burgund ein interessantes „Labor“ politischer Erfahrungen, die Konzentration aller politischen Spielräume und Möglichkeiten der Menschen des 15. Jahrhunderts. Die Geschichte der Herzöge von Burgund zeigt, wie ich in meinem Vortrag erläutert habe, wie angreifbar die Idee des modernen Staates in Bezug auf das Mittelalter ist. An Burgund kann man das Durchspielen ganz verschiedener Modelle beobachten – das französischen Modell, das imperiale, das Modell des italienischen Stadtstaates und so weiter. Das Faszinierendste an Burgund sind für mich die vielen Brüche und Widersprüche und die Kultur, in der die politischen Kommunikation eine zentrale Rolle spielt. Anhand dieses einen Untersuchungsgegenstandes kann man den Machtapparat einer ganzen Epoche verstehen und nachvollziehen, wie Hof, Stadt oder auch Justiz in dieser Zeit funktionierten. Nicht zuletzt lässt sich die Problematik des Falls Burgund auch auf die heutige Zeit übertragen: Das Beispiel der EU zeigt, wie es Jürgen Habermas kürzlich angesprochen hat, wie schwierig vor dem Hintergrund der verschiedenen Sprachen, Kulturen und Geschichten noch immer die Konstruktion eines überregionalen Staatsgebildes ist.

Ziel Ihres Projektes ist die Habilitation. Welche Besonderheiten gibt es beim französischen Habilitationsprozess im Unterschied zum deutschen? In Frankreich bleibt man ja während seiner gesamten akademischen Karriere mehr oder weniger beim gleichen Thema. Das ist im deutschen Hochschulsystem ja nicht der Fall.

Voraussetzung für die französische Habilitation ist wie für die deutsche erst einmal die Promotion. In Frankreich muss man für die Habilitation dann aber insgesamt drei Werke präsentieren: eine Sammlung aufeinander aufbauender wissenschaftlicher Artikel, ein neuartiges Forschungsprojekt und zuletzt eine so genannte Égo-histoire, bei der man auf etwa hundert Seiten erläutert, wie und warum man Geschichte schreibt, was man unter Geschichtswissenschaft versteht und wie man sich seinen zukünftigen Beruf vorstellt. Eine Art Karriereplan also. Ich selbst forsche ja am Beispiel Burgunds vor allem zur politischen Kommunikation. Es machte Sinn, nach meiner Dissertation mit diesem Thema und im selben Stil weiterzuarbeiten. Es stimmt nämlich, dass man in Frankreich bei seinem thematischen Schwerpunkt bleibt, denn wenn man sich einmal für Wirtschaftsgeschichte, Kulturgeschichte oder Rechtsgeschichte entschieden hat, ist es schwierig, das noch einmal zu ändern. Trotzdem gibt es genug Abwechslung. So beschäftige ich mich ja am Beispiel Burgund zugleich mit urbaner Geschichte und der Geschichte von Staatlichkeit.

Können Sie abschließend erklären, warum die Idee des Staates in der französischen Mediävistik eine so große Rolle spielt?

Historiker erforschen ja immer auch ihre eigenen Wurzeln. In Frankreich hat das Nachdenken über den Zusammenhang zwischen Staat, Land, Nation und Region eine lange Tradition. Bei meiner Habilitation habe ich oft einen Satz zu Ende geschrieben und dann gedacht: „Nein, das geht nicht. Das ist zu teleologisch, zu französisch.“ Als französische Forscherin ist es besonders schwer, sich von dieser Denktradition der starken Staatsidee zu lösen. Dabei beschäftige ich mich ja auch mit Vergleichender Geschichte, bei der es außerordentlich wichtig ist, sein Untersuchungsobjekt kritisch zu reflektieren. Ebendiese Reflexion hilft dabei, sich vor Enthusiasmus, vor jeder überhöhten Emotionalität gegenüber seinem Untersuchungsgegenstand schützen.

Frau Lecuppre-Desjardin, wir bedanken uns für das Gespräch. 

Gespräch und Redaktion: Helena Kaschel
Unter Mitwirkung von Laura-Marie Krampe, Yannis Krone, Jan Pieper, Jörg Schlarb und Simon Siegemeyer.

Das Interview entstand im Rahmen der Lehrveranstaltung “Einführung in die französischsprachige Geschichtsforschung – aktuelle Tendenzen (Lektüre, Übersetzung, Diskussion mit französischen Gästen)”, welche die Vortragsreihe begleitet.

Informationen zu Élodie Lecuppre-Desjardin: hier
zur deutschsprachigen Zusammenfassung des Vortrags: hier

Quelle: http://jeunegen.hypotheses.org/840

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Zwischen Sammelband und Wikipedia? Die ‘Netzbiographie’ als innovatives Wissenschaftsformat

Reichsunmittelbarer Altgraf und Landesherr, sodann französischer Citoyen, Comte d’Empire Napoleons, Fürst von Preußens Gnaden, verhinderter Standesherr, Wissenschaftspionier, liberaler Regionalpolitiker, virtuoser Gesellschaftsnetzwerker, Freimaurer, Major der Landwehr, Gatte einer zelebrierten französischen Salonière und Schriftstellerin, Maire, passionierter Jäger, kunstsinniger Mäzen, Großgrundbesitzer, lokaler Patron, hochkommunikatives ‘Wunderkind’ und noch vieles mehr… . Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck entzieht sich ob des enormen Facettenreichtums seiner Person, der Vielzahl ganz unterschiedlicher Handlungsräume und Arenen, die er bespielte, letztlich jedem Versuch einer monographischen Biographie. Eine solche ist notgedrungen immer auch subjektive Interpretation und Wertung, retrospektive Schwerpunktsetzung, Ausfluss des ganz persönlichen ‘Sehepunkts’ des jeweiligen Biographen. Die klassischen historischen Biographien (man denke nur etwa an die große Bismarckbiographie Lothar Galls, Golo Manns Wallenstein, oder, oder, oder…), in all ihrer Würde, sie zeugen hiervon, ja ließen das Genre in der wissenschaftlichen Community zuletzt etwas ‘alt aussehen’.

Das ist nicht ganz unbedenklich. Denn Geschichtswissenschaft, und insbesondere die Adelsforschung, braucht den biographischen Zugriff durchaus, braucht Lebensbilder weitbekannter wie auch unscheinbarer historischer Persönlichkeiten als ‘Messlatten’, detaillierte Vergleichsfolien im breiteren sozialen Kontext, und sicher auch ein Stück weit als ‘Magnete’ der außeruniversitären Aufmerksamkeit. Angesichts eines immer breiter gestreuten Fachwissens, nicht nur zu solch schillernden, multiaktiven Figuren wie Salm-Dyck, sind heute allerdings neue, integrative und über den Rahmen der universitären Forschung hinausreichende Formate der Wissensakquise und -vermittlung vonnöten, um diesen Anspruch einlösen zu können. Es braucht mehr Interdisziplinarität und einen barrierefreien Zugang zu jenem nicht mehr wegzuleugnenden wisdom of the crowd. Korporativ verfasste, breit rezipierte und ‘lebendige’ Online-Enzyklopädien geben dabei die Richtung vor. Neben der genannten interdisziplinären Expertise bieten jene webbasierten Formate die große Chance zu einer multiplen Perspektive, zu mehr Ergebnisoffenheit, zu einem differenzierteren Blick – zum Beispiel auf adlige ‘Gewinner und Verlierer’ der Sattelzeit.

Eine Netz-Biographie (wobei das Wort ‘Netz’ hier gleich eine ganze Reihe von Implikationen aufweist) erscheint vor diesem Hintergrund nicht nur als mögliche Reaktion, denn vielmehr als vielleicht  wegweisende Innovation. Als dezidiert multiperspektivisch reüssiert dieses neuartige Format über vergleichsweise zahlreiche, thematisch stark konzentrierte, den einzelnen ‘Spezialgebieten’ im Wirken Salm-Dycks gewidmete, eng miteinander verlinkte Kurzbeiträge (small narrative units), erarbeitet von einem interdisziplinären Autorenkollektiv, das koordiniert von der Redaktion in stetem Kontakt zueinander steht und die Beiträge nicht ‘nebeneinander her’, sondern ‘aufeinander zu’ schreibt. Dies vermeidet nicht allein Redundanzen, sondern blendet verschiedene Forschungsansätze und Überlieferungsstränge (etwa private Adels- und Staatsarchive) fruchtbringend ineinander. Die Netzbiographie versteht sich ferner als modular, denn sie ermöglicht unterschiedlichste Zugriffe auf Beiträge, Verzeichnisse und ergänzende Materialien und visualisiert dieserart Synergien und Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Handlungsräumen (vgl. Blogbeitrag vom 7.5.2013). Dass die Netzbiographie online publiziert wird, versteht sich dabei im Grunde von selbst. Ubiquitäre Sicht- und Verfügbarkeit, rasches Erscheinen und die Verpflichtung gegenüber dem Open-Access-Prinzip sind hierzu nur die wichtigsten Triebfedern. Die gewählte Online-Publikationsplattform (historicum.net – E-Studies) deutet dem Namen nach bereits ein weiteres Anliegen an – die Einbindung der präsentierten Forschungsergebnisse und Quellenmaterialien ins universitäre E-Learning.

Selbstredend verbleibt das Format – weniger trotz als gerade wegen seiner Platzierung im Web vollends wissenschaftlich. Hierfür garantieren die den Beiträgen immanenten Anmerkungsapparate, Zitierhinweise und Metadatenkerne, die Registrierung/Auffindbarkeit der Netzbiographie in den Web-OPACS der akademischen Bibliotheken, ihre Langzeitarchivierung. Dass Digitalisate und Transkriptionen zitierter Quellenstücke die Netzbiographie ergänzen, ist auch in diesem Zusammenhang als Demonstration der Stärken des Publikationsmediums Internet zu verstehen. Darüber hinaus ist auch dieses Feature Teil des integrativen Konzepts. Denn Adressaten der Netzbiographie sind nicht allein die Wissenschaftskreise. Ein bewusst dokumentarisch gehaltener Schreibstil, eine (verlinkte) Zeitleiste, ein Glossar zur kurzen Erläuterung speziellerer Phänomene und Institutionen sollen die volle Wertschöpfung aus der Publikation auch für historisch interessierte ‘Laien’, Studierende, Lehrer, Heimatforscher etc. ermöglichen. Schöpfen, anzapfen, aufgreifen und integrieren möchte die Netzbiographie ja gerade auch deren Fachwissen, Ideen und Anregungen. Sie ist dialogisch, gerade insofern, als sämtliche Beiträge von vornherein als aktualisierbar (Time Stamps) und kommentierbar (Front End) konzipiert sind – von universitär angebundenen wissenschaftlichen Redakteuren kontrolliert und koordiniert. Dies schließt das Einstellen komplett neuer Artikel zu weiteren Themenfeldern genauso mit ein wie die Diskussion der jeweiligen Ansätze und Befunde ‘en Blog’. Von der fortdauernden ‘Lebendigkeit’ der Online-Biographie kann also in gleich mehrfacher Hinsicht ausgegangen werden. ‘Ins Netz’ geht hier weit mehr als nur ein Fürst!

 Florian Schönfuß

Quelle: http://rhad.hypotheses.org/155

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Die Generalstaaten im Dreißigjährigen Krieg: eine vergessene Geschichte

Die Geschichtsschreibung ist an der Stelle sehr entschieden: Krieg führten der Kaiser und seine Verbündeten gegen die Pfälzer, Dänen, Schweden, Franzosen. Nur mit den Generalstaaten (in den Quellen meist „Staaten“ oder wie heut noch einfach und fälschlich „Holländer“ genannt) gab es so gut wie keine Berührungspunkte. So weit, so falsch. Denn es gibt immer wieder Hinweise darauf, daß niederländische Soldaten in großer Anzahl und keineswegs ‘zufällig’ im Reich agierten.

Gerade am Niederrhein gab es zahlreiche Basen für niederländische Einheiten, und diese Region war ohnehin der Bereich, in dem sich der Achtzigjährige und der Dreißigjährige Krieg überlappten. Die Operationen „staatischer“ Einheiten richteten sich aber nicht nur gegen spanische Stützpunkte, sondern griffen weit ins Reichsgebiet aus – ein Umstand, den die Forschung bislang vernachlässigt hat. Dabei ist durchaus bekannt, daß viele Reichsfürsten, zumal die katholischen, sich sehr davor scheuten, in das „niederländische Wesen“ verstrickt zu werden: Der Krieg im Reich sollte sich auf keinen Fall mit dem Kampf der Generalstaaten gegen die Spanier vermischen. Diese politische Doktrin ist in der Forschung weithin bekannt und mag ein wichtiger Grund dafür sein, daß dieses Thema bislang nicht in entsprechender Weise gewürdigt worden ist.

Ich selbst habe vor einigen Jahren dieses Thema von kurkölnischer Warte aus berührt (Der Krieg in der „Wetterecke der europäischen Politik“: Kurköln und die Kriegführung der Liga unter dem Feldherrn Tilly (1621-1630), in: Zeitschrift des Bergischen Geschichtsvereins 98 (1997/98), S. 29-66). Mittlerweile aber sehe ich die Dimension generalstaatischer Aktivitäten differenzierter und auch deutlich vielfältiger als zunächst angenommen. Nun strebe ich gar nicht an, die Generalstaaten gleichsam als offizielle Kriegspartei in diesen Konflikt einzuführen. Aber es gab deutliche Verstrickungen. Nur hat man deswegen kein großes Aufheben darum gemacht; gerade die betroffenen Landesobrigkeiten hielten es offenbar für nicht opportun, dieses Thema oben auf die Agenda zu setzen. Dasselbe gilt auch für die Generalstaaten selbst.

Und so wurde diese Problematik auch in der Aktenüberlieferung zwar nicht verschwiegen, doch deutlich zurückgedrängt. Nun ist es, wie ich finde, an der Zeit, diese vergessene Geschichte prononcierter, als bislang geschehen, zu bearbeiten. Im September findet in Bonn eine Tagung zum Thema „Krieg und Kriegserfahrung am Rhein. Der Westen des Reiches im langen 17. Jahrhundert (1568-1714)“ statt, auf der ich mich zum Thema Generalstaaten äußern werde. Erschöpft ist dieser Themenkomplex damit jedoch noch lange nicht. Weiteren Aspekten werde ich mich auch künftig verstärkt zuwenden.

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/229

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Ostdeutschland: Blockierter Umbruch? – Von Benjamin Köhler

Nach unseren ersten Beiträgen zu Kriminalität und Migration werde ich im Folgenden ein eher regionalsoziologisches Thema in den Vordergrund rücken, das sich mit den Umbrüchen in Ostdeutschland beschäftigt. Dazu möchte ich einführend auf die Filme Nicht mehr – noch nicht und … Weiterlesen

Quelle: http://soziologieblog.hypotheses.org/5266

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Der Augustiner-Chorherr Augustin Frick, Beichtvater in Inzigkofen, und die Passionspredigten über den geistlichen Lebkuchen

Werner Fechter hat in seinen beeindruckenden Studien zu den deutschen Handschriften aus dem Augustinerchorfrauenstift Inzigkofen als Nr. 46.47 die Handschrift der Erzabtei Beuron 8° MS 13 vorgestellt. [1]  Die nach dem 29. August 1512 niedergeschriebene Handschrift im Umfang von etwa 290 Blättern überliefert 42 Passionspredigten, den zweiten Teil eines 91 Nummern umfassenden Predigtwerks ‘Geistlicher Lebzelten’. Es sind “Predigten über Christi Leiden unter dem Bild eines in 89 Partikel  geteilten Lebkuchens” (Fechter S. 147). Die Predigten hielt der Indersdorfer Chorherr Augustin Frick, Beichtvater der Chorfrauen [...]

Quelle: http://ordensgeschichte.hypotheses.org/5027

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Archivale des Monats – Juli 2013

Stimmenmaterial zur Landemesse von Franz Xaver Gruber

Stimmenmaterial zur Landemesse von Franz Xaver Gruber

Franz Xaver Gruber (1787–1863), Deutsche Landmesse, C-Dur (GWV deest) Erste Singstimme und Orgel; AES, Provenienz: Wagrain, o. Sign.

Im Frühjahr 2012 konnte in einem Salzburger Antiquariat ein Stoß von Kirchenmusik aus der Pfarre Wagrain für das Archiv der Erzdiözese erworben werden. Bei näherer Durchsicht stellte sich heraus, dass sich in diesem Stoß neben zahlreichen Kirchenmusikalien aus der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts drei Autographen von Franz Xaver Gruber (1787–1863), die dem Vernehmen nach aus dem Besitz von Joseph Mohr stammen sollen, und weitere Abschriften seiner Werke befanden, und demnach höchst interessantes Notenmaterial erworben worden war. Während zwei der autograph überlieferten Werke im Gruber-Werkverzeichnis bereits nachgewiesen sind, stellt die vorliegende Deutsche Landmesse einen Neufund dar.

Bei den Autographen Franz Xaver Grubers handelt es sich durchwegs um Stimmen. Es findet sich das Deutsche Requiem in F-Dur „Um unsre Freunde weinen wir“ (GWV[1] 49) von dem 2 Singstimmen und Orgel erhalten sind, die Deutsche Vesper in D-Dur „Kommt, ihr Christen! Gott zu preisen” (GWV 80), bei der zwei Singstimmen, Orgel und erstes Horn  überliefert sind und eine Deutsche Landmesse in C-Dur “Vor deiner höchsten Majestät” für zwei Singstimmen, Orgel, von der sich eine Sopran- und die Orgelstimme erhalten haben und die im Werkverzeichnis bisher nicht verzeichnet ist. Alle diese Stimmen sind auf dem gleichen Papier geschrieben, was eine zeitlich nahe Entstehung wahrscheinlich macht.

Die Entstehungsdaten der Musikstücke sprechen nicht gegen die mündliche Überlieferung, Joseph Mohr sei der erste Besitzer dieser Abschriften Franz Xaver Grubers gewesen. Zumindest zwei der Stücke – das Deutsche Requiem ist vor 1835 entstanden, während das bisher bekannte Partiturautograph der  deutschen Vesper (GWV 80) mit Februar 1843 datiert ist – sind nachweislich noch in der Lebenszeit Joseph Mohrs (1792–1848) komponiert worden und zeugen so von der Freundschaft der beiden.

(Eva Neumayr, RISM Arbeitsgruppe Salzburg)

[1] Thomas Hochradner, Franz Xaver Gruber (1787–1863). Thematisch-systematisches Verzeichnis der musikalischen Werke, Bad Reichenhall: Comes-Verlag, 1989. Alle Angaben beziehen sich auf dieses Verzeichnis, für das in der Folge das Kürzel „GWV“ verwendet wird.

Quelle: http://aes.hypotheses.org/204

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Der Gelbe Fluss

Die Bedeutung des Huanghe 黃河 (i. e. Gelber Fluss) für Kultur und Geschichte Chinas ist offensichtlich. Mit dem niedrigen Wasserstand dieses und anderer Flüsse wurde in der Tradition auch das Schicksal von Dynastien verbunden: “Als der Yi und der Luo austrockneten, gingen die Xia unter, als der He [i.e. der Huanghe, siehe dazu auch unten] austrocknete, gingen die Shang unter.”[1]

Im Gegensatz dazu wurde es äußerst positiv bewertet, wenn der Gelbe Fluss klar wurde [2]. Dies war nach der traditionellen Auffassung jedoch nur einmal in tausend Jahren der Fall (Huanghe qiannian yi qing 黃河千年一清). Der Ausdruck “wenn der Gelbe Fluss klar ist” (he qing 河清) bezeichnet daher eine überaus seltene Gelegenheit und wird auch in der Bedeutung “für eine unbestimmt lange Zeit” verwendet.

Der Name des Flusses leitet sich von den großen Mengen an Schwemmpartikeln her, die der Fluss vor allem während des Sommerhochwassers aus dem Lößplateau mit sich führt. Ein geflügeltes Wort spielt auf die großen Mengen Schlamm an: “Wer einmal in den Gelben Fluss gefallen ist [...] wird nie wieder sauber.”[3]

Ursprünglich nur als “(der) Fluss” (he 河) bezeichnet, erhielt er zur Zeit des Ersten Kaisers (221-210 v. Chr.) den Namen Deshui 德水 (d. i. “Tugendstrom”). Seit der Han-Dynastie wird er als Gelber Fluss (Huang He 黃河), aber auch als Großer Fluss (Da He 大河) bezeichnet.

Die Angaben zur Länge des Gelben Flusses variieren in der Literatur beträchtlich – zwischen 4800 und 5464 Kilometern.[4]

Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Fluss in den letzten zweieinhalb Jahrtausenden seinen Lauf wiederholt großräumig verlagerte.[5], was ihm spätestens im 19. Jahrhundert die Bezeichnung als “Kummer Chinas” oder auch “Chinas Sorge” beschert hat.[6]

Von den vielen “natürlichen” Verlagerungen abgesehen, hatten zumindest zweimal – 1642 und 1938 – kriegerische Ereignisse wesentlich zur Verlagerung des Unterlaufs beigetragen. Vor allem die Region zwischen Kaifeng 開封 und Zhengzhou 鄭州 war häufig von riesigen Überschwemmungen betroffen. Allein durch die Überschwemmungen des Frühjahrs 1938 sollen 12 Millionen Menschen zu Tode gekommen sein.[7]

 

  1. Zitiert nach Kai Vogelsang: Geschichte Chinas (Stuttgart 2012) 239.
  2. Wolfram Eberhard: Lexikon chinesischer Symbole. Die Bildsprache der Chinesen (München, 5. Aufl. 1996) 90 (“Fluss”).
  3. Vogelsang: Geschichte Chinas, 239
  4. Zu ersterem Wert vgl. etwa Wolfgang Franke (Hg.) China-Handbuch (1974) Sp. 518 (“Huang Ho (Gelber Fluss)”, J. Küchler), zu letzterem Brunhild Staiger, Stefan Friedrich, Hans-Wilm Schütte (Hg.) Das große China-Lexikon (2003), 240 f. (“Gelber Fluss”, Eduard B. Vermeer)
  5. Vgl. Iwo Amelung: Der Gelbe Fluß in Shandong, 6 (Karte und Tabelle zu den Verlagerungen des Unterlaufes) sowie Vogelsang: Geschichte Chinas, 240: “In den letzten 2000 Jahren ist der Huanghe rund 1600mal über die Ufer getreten, 26mal hat er seinen Kurs im Unterlauf gewechselt, wobei seine Mündung sich bisweilen um mehrere hundert Kilometer verlagerte.”
  6. Nach Herbert A. Giles: A Glossary of Reference on Subjects Connected with the Far East (Hongkong 1878) 24 (“China’s Sorrow”) hatte der Daoguang 道光-Kaiser (reg. 1821-1850) den Fluss so genannt.
  7. Die Zahl folgt Franke (Hg.) China-Handbuch, Sp. 499 (“Honan”, P. Trolliet).

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/594

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Workshop: Orden in der Krise. Möglichkeiten und Grenzen religiöser Lebenswelten in der Vormoderne

Krisen haben Konjunktur. Die Einordnung unserer Gegenwart als Zeit der Krise(n) scheint allgegenwärtig. Auch die Geschichtswissenschaft wendet sich – vielfach anknüpfend an Debatten der Sozial- und Kulturwissenschaften – vermehrt der Krise zu. Krise ist als eine prä-katastrophale, höchst kontingente, existenziell bedrohliche Situation zu verstehen, die Akteuren zwar Handlungsoptionen offen lässt, zugleich jedoch so einschneidend wirkt, dass sie das Fortdauern von eingeübten Routinen und Praktiken in Frage stellt. Sie erzeugt Kommunikations-, Handlungs- und Entscheidungsdruck. Angesichts einer diagnostizierten Krise erscheint das „Nichts tun“ als undenkbar, als [...]

Quelle: http://ordensgeschichte.hypotheses.org/4948

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Die Ausgrenzung Jugendlicher maghrebinischer Herkunft im urbanen Raum Frankreichs – Von Von Nadja Boufeljah

Die Entstehung sozialer Ungleichheit durch die Urbanisierung ist exemplarisch beobachtbar, wenn die Geographie und Sozialstruktur der Großstädte Frankreichs im 21. Jahrhundert betrachtet wird. Seit den Jugendrevolten in den Großstädten Frankreichs im November 2005 rückt deshalb auch die soziale Benachteiligung der … Weiterlesen

Quelle: http://soziologieblog.hypotheses.org/5240

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