Der Einsendeschluss für unsere nächste Ausgabe zum Thema „Krisen und Umbrüche. Wie wandeln sich Gesellschaften?” ist abgelaufen – habt’ für die vielseitigen und interessanten Einreichungen vielen Dank! Im Dezember werden wir nun im Redaktionsteam eure anonymisierten Beiträge diskutieren und darüber abstimmen, welche Artikel wir … Continue reading
Psychologie als SozialWissenschaft – die Instrumente der Psychologie
Psychologen messen gerne. Ob bei der Evaluation einer Unternehmensstrategie, bei einem Vorstellungsgespräch oder in der Therapie, eine Frage stellen Psychologen gerne: Wie meinen Sie das genau? Was genau meinen Sie mit Kundenzufriedenheit, woran könnte ich einen zufriedenen Kunden erkennen? Was genau meinen Sie, wenn Sie sagen, dass Sie flexibel sind, können Sie mir Beispiele für flexibles Handeln in Ihrem Leben nennen? Was genau meinen Sie mit Schlafproblemen, bei welcher Schlafmenge und -qualität würden Sie von gesundem Schlaf sprechen? Mit solchen Anstößen zur Konkretisierung versuchen Psychologen die Verbindung herzustellen zwischen dem eher allgemeinen Abstraktionsniveau, auf dem sich alltägliche Gespräche und Gedanken oft bewegen, und der Sphäre des für jedermann Beobachtbaren.
Fragen wie diese können zu einer gewissen Genervtheit führen, weil sie in den Bereich dringen, der für uns selbstverständlich ist (“Ja, Herr Psychologe, Albträume find’ ich nicht so toll…”). Und auch wenn es stimmt, dass in vielen Fällen das für uns Selbstverständliche ebenso für Mitmenschen gilt, so unterschätzen wir aus unserer egozentrischen Sicht doch oft, wie anders die Anderen tatsächlich sind. Es gibt z. B. Studien zur Wahrnehmung von Wahrscheinlichkeits-/Häufigkeitsbegriffen wie ‘wahrscheinlich’, ‘vielleicht’, ‘oft’ und ‘selten’, die zeigen, dass die mit den Begriffen verbundenen Zahlen sowohl zwischen verschiedenen Menschen als auch zwischen verschiedenen Situationen massiv schwanken. “Ich komme wahrscheinlich” kann in Bezug auf ein Vorstandstreffen etwas anderes bedeuten als wenn eine Party gemeint ist und kann von Sabine anders verstanden werden als von Ahmad. Wissenschaft hat aber den Anspruch, erstens für jeden Menschen gleichermaßen wiederholbar zu sein und zweitens konkrete Ergebnisse zu liefern. Darum darf nur das objektiv Selbstverständliche auch für selbstverständlich genommen werden.
Psychologen messen so ziemlich alles. Von der Intelligenz bis zur Fluktuationsrate im Unternehmen, von der Rückfallwahrscheinlichkeit eines Straftäters bis zur Flow-Intensität beim Kochen – alles wird unter die metaphorische Lupe genommen und quantifiziert, d. h. in Zahlen verwandelt. Das Ziel dieser Psychodiagnostik ist dabei immer, zukünftiges Verhalten und Erleben vorherzusagen und Entscheidungshilfen anzubieten. Bei der Berufsberatung bspw. wird versucht, überdauernde Fähigkeiten und Neigungen zu identifizieren und diese mit dem Eigenschaftenprofil verschiedener Berufsgruppen abzugleichen. Der Unterschied zum Ratschlag eines Freundes ist der weitere Horizont der gängigen psychologischen Tests. Standardisierte Persönlichkeits-, Eignugs- und Kompetenztests wurden und werden von so vielen Menschen bearbeitet, dass die Datenbasis weit über die Meinung eines einzelnen Menschen hinausgeht. Die Tests wissen sozusagen besser, wie gut sich jemand konzentrieren kann und wie ausgeprägt die Offenheit für neue Erfahrungen im Vergleich zu Abertausenden von anderen Menschen ist. Sie ermöglichen einen unverstellten Blick auf das eigene Innenleben.
Andererseits kann keine Testbatterie die Einzigartigkeit irgendeines Lebens erfassen und punktgenaue Vorhersagen machen. Es ist ebenso unsinnig, einem einzelnen Testwert sehr viel Gewicht beizumessen wie es kurzsichtig ist, ihm jegliche Relevanz abzusprechen. Die Schwierigkeiten bei der Übersetzung von menschlichem Leben in Zahlen sind niemandem so bewusst wie Psychologen, die, unabhängig von ihrem Spezialgebiet, im Studium zu Experten in Sachen Tests und Untersuchungsdesigns ausgebildet werden. Der diagnostische Blick bleibt nicht auf den Output eines einzelnen Instrumentes beschränkt. Im Gegenteil ist Psychologen daran gelegen, ein möglichst umfassendes Bild von einem Menschen zu bekommen, so dass z. B. Selbstauskünfte (“Ich bin schlau”) sowohl mit Testergebnissen (IQ-Test) als auch mit Verhaltensbeobachtungen (Schachspielen, Sprachgebrauch, …) abgeglichen werden.
Die bunten Fragen konstituieren zwei Screeningfragebögen, von denen einer international bewährt und der andere frei erfunden ist. Augenscheinlich sind sie sich ziemlich ähnlich. Wodurch wird eine Reihe von Fragen zu einem nützlichen psychologischen Instrument? Was unterscheidet psychologische von Dr. Sommer-Diagnostik?
Objektivität
Ein psychologisches Testergebnis sollte so unabhängig von den Umständen der Testung sein wie möglich. Darum entwerfen Psychologen strikte Richtlinien zu Durchführung, Auswertung und Interpretation. Die Reihenfolge der Aufgaben oder Fragen wird festgelegt, die Darbietungsform ist immer die gleiche und sogar die exakten Worte, die der Versuchsleiter bei jedem Schritt sagt, sind im Testmanual nachzulesen. Ebenso werden die Rechenschritte vom ‘Item’ (Fachbegriff für die kleinste Testeinheit, meistens eine Frage im Fragebogen oder eine Aufgabe im Test) bis zum Gesamtergebnis beschrieben. Und zu guter letzt werden auch die konkreten Begriffe vorgeschrieben, mit denen das Ergebnis beschrieben werden soll. Ein IQ von 104 Punkten bspw. wird ’durchschnittlich’, ein IQ von 116 Punkten wird ‘überdurchschnittlich’ genannt. Diese rigorose Standardisierungsunternehmung schafft zwar ein eher kühles und gekünsteltes Ambiente und findet ihre Erfüllung in der Übergabe der Versuchsleitung an einen Computer, doch liegt gerade darin auch die Stärke der Psychodiagnostik: Durch die Entkoppelung des Testergebnisses von zwischenmenschlichen Faktoren lassen sich Entscheidungen fernab von Sympathie und Vetternwirtschaft treffen. Auch wenn Frau Dr. Psycho mich nicht mag, mir etwas Böses will oder mich für extrem dumm hält, kann ich sicher sein, dass sich dies nicht in meinem Testergebnis niederschlagen wird.
Reliabilität
Ein Testergebnis sollte so genau und verlässlich sein wie möglich. Wenn mein IQ gestern 93 war und heute bei 121 liegt, ohne dass ich gestern völlig neben mir stand oder heute geschummelt habe, ist der Test unbrauchbar. Meistens versuchen Psychologen, die Ausprägung relativ stabiler Charakterzüge in Erfahrung zu bringen. Wenn ein Test nun von einem Tag auf den anderen stark schwankt, ist er auf jeden Fall nicht geeignet, etwas Stabiles zu erfassen, sondern misst irgendwelche mysteriösen Zufallsfaktoren, deren Einfluss auf das Testergebnis Psychologen unter dem Begriff ‘Messfehler’ zusammenfassen. Reliabilität ist Unabhängigkeit vom Messfehler und kommt außer in der gerade angesprochenen heute-morgen-Reliabilität (fachsprachlich Retest-Reliabilität) noch in einigen anderen Gewändern daher. Unter anderem umfasst Reliabilität auch das Ausmaß, in dem verschiedene Items dieselbe Eigenschaft messen. Z. B. könnten die Fragen “Mögen Sie Äpfel?”, “Mögen Sie Bananen?” und “Mögen Sie Birnen?” alle die Eigenschaft der Fruchtliebhaberei messen. Aber ob die Fragen “Mögen Sie gebackene Bananen?” und “Mögen Sie Bratäpfel?” denselben Geschmacksvorliebenbereich abdecken, ist fraglich.
Validität
Das Ziel, das psychologische Instrumentenbauer verfolgen, ist letztlich ein einfaches: Sie wollen, dass das Instrument genau das misst, was es messen soll. Wenn ein Test oder Fragebogen dies leistet, nennt man ihn valide und freut sich. Auf dem Weg zur Validität muss man jedoch zunächst die Hürden der Objektivität und der Reliabilität nehmen. Ein Test, der nach Annas Auswertung ein anderes Ergebnis hervorbringt als nach Julians Auswertung, kann nicht zuverlässig und genau sein. Und wenn ein Test nicht zuverlässig und genau ist, wenn er also stark messfehlerbehaftet ist, kann er nicht gut das messen, was er messen soll. Objektivität ist eine Voraussetzung für Reliabilität ist eine Voraussetzung für Validität.
Die Frage, was psychologische Instrumente messen, ist ganz und gar nicht trivial. Führen wir uns noch einmal vor Augen, wie viele gedankliche Schritte zwischen einem praktischen Anliegen wie der Entscheidung, ob ich Selin oder Klaus die attraktive und gut bezahlte Führungsposition anbiete, und einer Aufgabe wie der hier abgebildeten liegen. Einer dieser Schritte ist der zu dem Konstrukt, das wir ‘Intelligenz’ nennen und dem wir als Persönlichkeitseigenschaft eine gewisse, meist nicht allzu geringe Bedeutung beimessen. Aber was ist Intelligenz denn nun eigentlich? Als Laie meine ich, dass Intelligenz etwas mit schnellem Denken zu tun hat und mit dem Erkennen von Mustern und Zusammenhängen – allgemeine geistige Fähigkeiten. Und wenn ich mehr erfahren möchte, komme ich nicht umhin, mir einen Intelligenztest anzusehen. Messinstrumente sind die konkreten Ausformungen eines abstrakten Konstruktes und definieren dieses rückwirkend mit.
Das grundlegende Problem ist, dass es keine absolute Autorität gibt, die ein für alle Mal die Bedeutung von Begriffen festlegt. Die Entscheidung, ob ein Instrument Intelligenz misst oder Kreativität oder Purzelbaumaffinität, treffen Experten auf dem jeweiligen Fachgebiet mit keinem anderen Kriterium als ihrem gesunden Menschenverstand und ihrer einschlägigen Erfahrung. Wer sagt, dass die Experten tatsächlich Experten sind? Der Rest der Gesellschaft, wir alle gestehen ihnen diesen Status und damit auch die Autorität zu, solche Entscheidungen zu treffen. Die menschlichen Eigenschaften, mit denen forschende Psychologen sich beschäftigen, sind durch und durch sozial konstruiert und stehen für Kritik und Revision weit offen. Wenn wir uns heute alle gemeinsam dazu durchringen würden, einen anderen Haufen Leute als Experten zu betrachten als bisher, würde das den gängigen psychologischen Fragebögen und Tests ihrer Basis berauben. Der Wert jedes psychodiagnostischen Instrumentes ist es, Expertenwissen breitflächig verfügbar zu machen.
Fazit
Psychologen sind Messer. Sie quantifizieren stabile Persönlichkeitseigenschaften mit dem Ziel, Entscheidungshilfen vor einem gesamtgesellschaftlichen Horizont anzubieten. Ihre Messinstrumente sollten so objektiv und genau wie möglich messen und dienen dazu, Expertenwissen breitflächig nutzbar zu machen.
Verwendete Bilder:
NICO looks at himself by Georgia Pinaud, PD, http://en.wikipedia.org/wiki/File:NICO_looks_at_himself.jpg
Empty Wine bottle by Patrick Heusser, CC-BY-SA Unported 3.0, http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Empty_Wine_bottle.jpg
Raven-Matrices a11 by Widescreen, PD, http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Raven-Matrices_a11.jpg
Quelle: http://psych.hypotheses.org/107
Vom Essen und vom Trinken in China (I): Allgemeine Bemerkungen
Die Entwicklung von Ess- und Trinkgewohnheiten nimmt auch in der Kulturgeschichte Chinas einen wichtigen Stellenwert ein. Das Spektrum dabei reicht von den so genannten “sieben Notwendigkeiten des Lebens” (kaimen qi jian shi 開門七件事), die alle direkt oder indirekt mit Nahrung beziehungsweise mit deren Zubereitung zu tun haben (neben dem zum Kochen unerläßlichen Brennmaterial sind dies Reis, Öl, Salz, Soja, Essig und Tee), bis hin zu jenen exquisiten Speisen, die bei opulenten kaiserlichen Banketten gereicht wurden[1].

Das auf dem Schälchen zu sehende Schriftzeichen shou 壽 bedeutet “langes Leben” – Foto: Monika Lehner
„Inhaltlich setzt sich Eßkultur aus Objekten, Handlungen, sozialen Beziehungen und Wertsystemen zusammen, die das menschliche Selbstverständnis berühren, Emotionen zum Ausdruck bringen und Chancen bieten, den alltäglichen wie ungewöhnlichen Lebenserfahrungen eine Bedeutung zu verleihen.“[2]
In diesem Sinne wird sich “De rebus sinicis” in loser Folge inzelnen Aspekten des hier skizzierten Rahmens widmen. Obwohl schon der Titel der hiermit beginnenden Serie verrät, dass dabei weniger die Küche und das Kochen sondern vielmehr das Essen und das Trinken im Mittelpunkt stehen werden, sei zunächst auf die unterschiedlichen Kochtraditionen im Gebiet des heutigen China verweisen.[3] Diese unterschiedlichen Traditionen werden im Westen unter dem vereinfachenden Begriff “chinesische Küche” zusammengefasst. Gelegentlich ist von acht Hauptrichtungen die Rede. Diese Hauptrichtungen werden mit einzelnen Regionen beziehungsweise Provinzen verbunden (Beijing, Shandong, Jiangsu, Anhui, Guangdong, Fujian, Sichuan und Hunan). In anderen Darstellungen werden vier Großregionen unterschieden.[4]:
- Norden (Beijing, Hebei, Henan, Shandong, Shanxi und Shaanxi) – Geschmacksrichtung: salzig – häufige Verwendung von Knoblauch – Spezialitäten: mongolischer Feuertopf, Peking-Ente
- Osten (Jiangsu, Zhejiang, Anhui, Jiangxi, Hubei (ohne die südwestlichste Region), lokale Traditionen in den Städten Shanghai, Hangzhou, Suzhou und Wuxi – Geschmacksrichtung: sauer – gilt als “schwer” und “dekorativ”, u.a. bekannt für die Technik des “Rotkochens”, worunter man das langsame Köcheln in dunkler Sojasauce versteht, die mit Reiswein angereichert wurde
- Süden (Fujian, Guangdong und Guangxi) – Geschmacksrichtung: süß – die verschiedenen natürlichen Aromen werden harmonisch kombiniert, Gewürze eher sparsam verwendet – als südchinesische Spezialität gilt Dim Sum (dianxin 點心[5])
- Westen (Sichuan, Hunan, Guizhou, Yunnan und die südwestlichste Region von Hubei) – Geschmacksrichtung: scharf, auch mit ausgiebiger Verwendung von Gewürzen – ein typisches Gericht ist etwa die sauer-scharfe Suppe
- Einen kurzen Überblick über die Geschichte chinesischer Tafelfreuden bietet Kai Vogelsang: Geschichte Chinas (Stuttgart 2012) 342-344.
- Hans-Jürgen Teuteberg: „Homo edens. Reflexionen zu einer neuen Kulturgeschichte des Essens.“ Historische Zeitschrift 265 (1997) 6.
- Vgl. etwa Solomon H. Katz, William Woys Weaver (Hg.): Encyclopedia of Food and Culture (Scribner Library of Daily Life), 3 Bde. (New York 2003) [Bd. 1], S. 379-399 („China“, mit Abschnitten zur Küche des dynastischen China (S. 379-384) sowie zu den Regionalküchen von Beijing (S. 384-388, Eugene N. Anderson), Fujian (S. 388-390, Jacqueline M. Newman), Guangzhou (390-393), Sichuan (393-396), Zhejiang (S. 396-398, Eugene N. Anderson).
- Die Einteilung folgt Vgl. Yan-kit So: Chinesische Küche (Werl, o. J. [ca. 1990]) 7-10 (Karte auf S. 7), Piero Antolini, The Lian Tjo: Das große Buch der chinesischen Küche (Köln [1990]) 11 (Karte).
- Erläuterungen zur Begriffsgeschichte und anschauliche Bilder bietet das Ostasienlexikon der Hochschule Ludwigshafen, Art. “Dim Sum”
Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/899
Juli 1620: Kriegssteuern gegen die Exstirpation der Religion
Im Juli 1620 hatte der Feldzug gegen die aufständischen Böhmen noch gar nicht begonnen, als schon Probleme mit der Kriegsfinanzierung aufkamen. Maximilian von Bayern wünschte, daß die rheinischen Ligastände (also vor allem die drei geistlichen Kurfürsten) ihre Beiträge zur Kriegskasse erhöhten. Prompt organisierte Kurmainz ein Treffen, um über dieses Ansinnen beraten zu lassen. Maximilian ahnte, was kommen würde, und legte daraufhin Ferdinand von Köln seine Sicht der Dinge nahe (Herzog Maximilian von Bayern an Kurfürst Ferdinand von Köln, München 16.6.1620, Bay HStA Kasten schwarz 934 fol. 229-231 Konzept).
Dieser hatte kurz zuvor über die Schwierigkeiten berichtet, die erforderlichen Gelder aufzubringen. Maximilian muß über die Klagen seines Bruders Ferdinand enttäuscht, wenn nicht verärgert gewesen sein. Doch er ließ sich nichts anmerken, äußerte zunächst vielmehr Bedauern und versicherte, daß ihm die „difficulteten, beschwerden vnd verhinderungen“, von denen Ferdinand berichtet hatte, „ganz vnlieb“ seien. Daran knüpfte der bayerische Herzog aber die Hoffnung, daß sein Bruder doch noch „vff eisseriste mitl vnd weeg“ gedenken werde, um die erforderlichen Kriegssteuern für die Ligaarmee leisten zu können. Im Weiteren konnte er sich dann nicht die Bemerkung verkneifen, daß gerade er, Maximilian, als Bundesoberst der Liga die meisten Mühen zu ertragen und die größten finanziellen Lasten zu schultern habe. Entsprechend brach sich dann am Ende auch die Erwartung Bahn, daß sein Bruder Ferdinand als Kurfürst von Köln bei den anstehenden Beratungen ganz im Sinne Maximilians agieren und für die zügige Aufbringung der nötigen Gelder votieren werde.
Auffällig ist in diesem Schreiben Maximilians die überdeutlich konfessionell geprägte Argumentation. So fehlte nicht der Hinweis auf die höchste Not „des gemainen Cathollischen weßens […], darauff ainmal salus vel interitus religionis stehet“. Im Falle einer unzureichenden Finanzierung der Ligaarmee drohten nicht nur Spott, Schimpf und Nachteile, sondern vor allem ein „vnwiderbringlicher schaden der Cathollischen Religion vnd allen dessen zugewandten Stenden“. Gleichzeitig bekomme der Gegner die „erwinschte gelegenheit zu seinem schedlichen intent vnd extirpation der Religion“.
Das wirkt auf den ersten Blick deutlich alarmistisch und wohl auch etwas übertrieben. Ging es wirklich um Sein oder Nichtsein im Konfessionenstreit? Und meinte Maximilian dies wirklich so, wie er schrieb, oder skizzierte er nur ein Szenario, von dem er wußte, daß es bei den geistlichen Kurfürsten den gewünschten Effekt erzielen würde? Der bayerische Herzog war sicher ein kühl kalkulierender Fürst, der seine Argumente wohl abwog, auch in internen ligistischen Debatten. Doch sollte man nicht ausblenden, daß sich im Reich eine hochnervöse Spannung aufgebaut hatte, in der religiöse Existenzängste bei allen Konfessionsparteien nicht unbekannt waren. Axel Gotthard hat einmal von einem „Bedrohungssyndrom“ gesprochen, das er vor allem den geistlichen Kurfürsten attestierte. Es spricht einiges dafür, daß auch Maximilian von Bayern nicht frei von solchen Ängsten war. Und sie haben ohne Zweifel zumindest in dieser Phase auch die Politik maßgeblich mitbestimmt.
Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/358
Archive im digitalen Nutzerkontakt. Virtuelle Lesesäle, soziale Medien und mentale Veränderungszwänge
In der aktuellen Ausgabe des Archivar (66/2013) findet sich auf den Seiten 406 bis 415 der Artikel “Archive im digitalen Nutzerkontakt. Virtuelle Lesesäle, soziale Medien und mentale Veränderungszwänge”. Wie dort angekündigt, soll hier in diesem Blog die Möglichkeit geschaffen werden, seine Inhalte und Thesen zu diskutieren. Für alle Anmerkungen, Meinungen, Rückfragen – natürlich gerne auch kritischer Art – ist der Autor dankbar.
Hier ist der Artikel auch online lesbar: Archive im virtuellen Nutzerkontakt
Für die unkomplizierte Bereitstellung des Artikels hier auf Archive 2.0 sei der Redaktion des Archivar gedankt.
Die “gute Butter” und das Schweigen: Eindrücke aus Gesprächen über die Nachkriegskinder-Studie
Häufig, wenn ich über die Nachkriegskinder-Studie erzähle, fangen meine Gesprächspartner an von ihren Eltern (oder Großeltern) zu erzählen. Die Geschichten dieser “zweiten Generation” sind nicht immer gleich, doch einige Themen tauchen öfter auf, wenn ich den Geschichten von früher und heute zuhöre.
„Gute Butter“, dieser Begriff gehört für mich zu der Generation, die den Krieg und die Zeit kurz danach selbst erlebt hat. Mir wurde erzählt, dass die Eltern/Großeltern als Kinder oder Jugendliche Kartoffelschalen ausgekocht haben, damit sie etwas zu Essen hatten. Manches Mal mussten sie lange suchen und bei Bauernhöfen betteln oder hungrig schlafen gehen. Der Hunger gehörte für sie dazu.
In späteren Wohlstandszeiten konnte dann dick gute Butter und Leberwurst auf das dünn geschnittene Brot geschmiert werden, so dick, dass die zweite Generation das Verhalten ihrer Eltern kaum nachvollziehen konnte. Wenn Besuch kam, wurde diesen trotzdem reichlich Essen aufgetischt, auch wenn die Gäste bereits satt waren, wurde mir erzählt. Widerrede war da zwecklos.
Ein weiteres Thema, dass in den Erzählungen immer wieder auftaucht, ist das Schweigen über die Vergangenheit. Kriegsgeschichten oder Flüchtlingserlebnisse, nach solchen Geschichten zu fragen sei für die nachfolgende Generation wie ein Tabu gewesen. Manche Kriegs- und Nachkriegskinder öffnen sich erst im hohen Alter, wenn sie überhaupt jemals darüber sprechen. Und wer hört schon gerne von Bombennächten, Fliegeralarm und Flucht, von Überlebensangst, Erschießungen, Vergewaltigungen, dem Tod des Vaters oder der Mutter und all den Schrecken, die der Zweite Weltkrieg mit sich brachte. Wenn ich nur Teile solche Geschichten höre und sie vergleiche mit den Sorgen, die Eltern heute um ihre Kinder haben, wenn ihnen im Vergleich eine Kleinigkeit zustößt, merkt man schnell, dass bei diesen Vergleichen Welten dazwischen liegen. Aber wieso sollten die Kinder von damals stärker oder unempfindlicher sein als die heutigen Kinder?
Besonders schwierig empfinde ich bei diesem Thema das Spannungsfeld zwischen Deutschen als Tätern und Deutschen als Opfern. Ich denke es ist einfach zu sagen, dass Kinder, die in der Kriegszeit und in der Nachkriegszeit geboren wurden, auch zu den Opfern des Nationalsozialismus gehören. Viele von Ihnen sind in einer Welt voller Zerstörung aufgewachsen, sowohl materieller, als auch ideeller Zerstörung. Fern liegt es mir jedoch, die deutschen Kriegs- und Nachkriegskinder so darzustellen, dass sich die tatsächlichen Täter mit Ihnen als Opfer identifizieren können. Kein Opfer des Nationalsozialismus darf vergessen werden. Manchmal ist das Schweigen der zweiten Generation bei diesem Thema auch Ausdruck des Unbehagens über das, was ihre Eltern getan haben, vermute ich.
Ein Arzt beschrieb mir die Generation, die den Krieg als Kinder und Jugendliche erlebt hatte, oft als sehr bescheiden, wenn sie zu ihm in die Praxis kommen. Sie möchten nicht gerne zum Arzt gehen, reden ihre Leiden und Schmerzen klein und nehmen sich selbst zurück. Sie wünschten sich, dass es ihren Kindern einmal besser ginge, wofür sie oft wenig Rücksicht auf sich selbst genommen haben. Viele von Ihnen haben lange über ihre Vergangenheit geschwiegen, weil es ja allen schlecht ging, weil die Eltern beschäftigt waren, wegen dem Wiederaufbau und ihren seelischen Trümmern und wo für die kleinen Sorgen vielleicht kein Platz war. Jetzt im Alter, wo die Stärke und Selbstständigkeit schwindet, wo die eigene Hilflosigkeit immer deutlicher wird, bahnen sich die Erinnerungen ihren Weg. Und so sprechen diese Menschen plötzlich mit ihren Arzt in 10 Minuten über Dinge, über die sie mehr als 60 Jahre geschwiegen haben.
Die Reaktivierung der Nachkriegskinder-Stichprobe, ist für mich also nicht nur ein wissenschaftliches Projekt bei dem Forschungsfragen beantwortet werden sollen, sondern es soll auch ein Angebot zum Dialog der Generationen sein, bevor die Kriegskinder und die Nachkriegskinder ihre Geschichten nicht mehr selbst erzählen können.
Kulturgut versus menschliches Leid?
In seinem absolut empfehlenswerten Wissenschaftsblog Archaeologik geht Rainer Schreg immer wieder auf bedrohtes Kulturgut ein. Ein aktueller Schwerpunkt ist der syrische Bürgerkrieg, der auch immense Kulturgutverluste brachte. Der jüngste Beitrag zitiert einen Kommentar in der WELT: “Es fällt schwer, bei all dem menschlichen Leid an Kulturgüter zu denken. Doch viele Experten sind davon überzeugt, dass deren Erhalt beinahe so wichtig ist wie die Rettung von Menschenleben. Das kulturelle Erbe sei untrennbar mit den Menschen verbunden, heißt es bei der Unesco. “Wenn Kulturgut in einem vom Krieg betroffenen Land Schaden nimmt, kann das bedeutende Auswirkungen auf das kollektive Gedächtnis der gesamten Bevölkerung haben”, sagt auch Museumsratspräsident Hans-Martin Hinz. Der Erhalt des Erbes sei ein entscheidender Faktor, um den kulturellen Wohlstand eines Landes zu schützen, seine Offenheit gegenüber der Welt zu wahren und um den Tourismus zu fördern. “Und der ist unerlässlich für den potenziellen Wiederaufbau.””
Das ist auch meine Auffassung. Es ist töricht, Kulturgutschutz und humanitäre Hilfe gegeneinander auszuspielen. Niemand dürfte bestreiten, dass die primäre Unterstützung den Menschen gelten muss. Doch in Kulturgütern verkörperte kulturelle Traditionen sind wichtige Bestandteile der menschlichen Lebenswelt, die ebenso Schutz verdienen wie unsere Umwelt. Werden Kulturgüter vernichtet oder beschädigt, nimmt auch die kulturelle Identität der betroffenen Länder Schaden. Menschen brauchen Kultur.
Ich wünsche uns einen schönen Advent 2013. Wenn Sie etwas spenden möchten, gibt es unzählige Möglichkeiten. Beispielsweise für die Menschen auf den Philippinen, die Opfer des Taifuns geworden sind (der übrigens auch im Denkmalbestand gewütet hat, siehe Bild). Oder in Deutschland für die Stiftung Stadtgedächtnis, die sich um die Archivalien des 2009 eingestürzten Kölner Stadtarchivs kümmert.
Mehr Europa wagen? Willy Brandt, die Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ) und der Nahe Osten
Spätestens seit den Ereignissen in der arabischen Welt in den vergangenen Jahren wird der Ruf nach einem gemeinsamen Auftreten der Europäischen Union in internationalen Angelegenheiten immer lauter, auch wenn er nicht neu ist: Mit der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ) etablierten … Continue reading
Adventskalender 2013 – 1. Türchen
Poloreiterflasche um 1300 Herkunft (Allgemein): Ägypten (Land) Herkunft (Allgemein): Syrien (Land) honigfarbenes Glas mit rot konturierter roter, weißer, gelber, grüner, hell- und dunkelblauer Email- und Goldmalerei Höhe: 28,5 cm Durchmesser: 19 cm Durchmesser: 4,3 cm (Hals) Wandungsstärke: 0,5 cm Im … Continue reading →
Quelle: http://jameel.hypotheses.org/289
Psychologie als SozialWissenschaft – wie Psychologen Erkenntnisse gewinnen
Jedes Fach hat seine Stereotype. Und auch wenn ich als Psychologe versucht bin darauf hinzuweisen, dass die Unterschiedlichkeit innerhalb von Gruppen im Vergleich zur Unterschiedlichkeit zwischen Gruppen in vielen Fällen größer ist als man meint, so ist es doch kaum bestreitbar, dass sich mir beim Betreten der Juristen-Mensa ein anderes Bild darbietet als beim Betreten der Philosophen-Mensa. Jedoch werden mir wohl viele PsychologInnen darin zustimmen, dass es kaum einen anderen (angestrebten) Berufsstand gibt, dessen Nennung von Anderen als derart intrusiv, als so unter die Haut gehend empfunden wird wie unserer. Der Satz “Ich bin Psychologe” scheint oft eine Art mentaler Nacktheit hervorzurufen; Menschen fühlen sich bis ins Innerste durchschaut und fangen an, ihr Verhalten doppelt und dreifach zu hinterfragen. Es hilft dabei nicht, wenn in Filmen eine gründliche psychologische Untersuchung ausreicht, um das Verhalten eines Menschen in belastenden Situationen punktgenau vorherzusagen (wie z. B. in ‘The Game’).
Psychologie ist die Lehre vom Erleben und Verhalten. Sie beschäftigt sich mit innerpsychischen Vorgängen. Dazu gehören körperliche, geistige und emotionale Prozesse. Sie untersucht Unterschiede zwischen Menschen auf jeder dieser Ebenen. Und sie erforscht die Wechselwirkungen von Individuum und Umgebung – Beziehungen, Gruppenprozesse, Mensch-Maschine-Interaktion und vieles mehr. Die zeitliche und räumliche Auflösung rangiert dabei von internationalen Langzeitstudien über die gesamte Lebensspanne bis hin zu im Labor dokumentierten biologischen Ereignissen, die nur winzige Sekundenbruchteile in Anspruch nehmen. So breitgefächert das Fach ist, so vielfältig sind auch die psychologischen Berufe. Psychologen sind in Beratungsstellen und Kliniken, in der Uni und im Labor, vor dem PC mit einem Statistikproblem, in der Schule als Fortbildungsleiter, in der Wirtschaft als Personalmanager, in der Marktforschung und als Werbefachmann, im Gerichtssaal und im Maßregelvollzug sowie als Testentwickler und -anwender tätig. Gemeinsam ist all diesen Menschen nur eins: das Studium der Psychologie.
Und durch diese akademische Ausbildung zieht sich der rote Faden der Wissenschaftlichkeit. Mit derselben rigorosen Methodik, die Physiker auf die Erforschung von Naturphänomenen anwenden, erkunden Psychologen alles Menschliche. Ob der Forschungsgegenstand die Liebe ist, das lebenslange Lernen oder der Wertewandel nach der Einführung von Smartphones – grundlegend ist die Fähigkeit, auf interessante Fragen sinnvolle Antworten zu finden. Da die Welt voller wundersamer Komplexität ist und wir Menschen vor Neugier nur so überquellen, gibt es interessante Fragen wie Sand am Meer. Bei der Entscheidung, welche Antworten sinnvoll sind und welche nicht, legen Psychologen die Kriterien an, die in der wissenschaftlichen Methode beschrieben sind. Diese Kriterien unterscheiden sich kaum von denen, die wir auch im Alltag verwenden, wenn wir etwas herausfinden wollen, mit einer Ausnahme: Im Alltag sind wir nicht nur darauf bedacht, die Welt so gut wie möglich zu verstehen, sondern wir wollen uns auch gut fühlen und unser Selbstbild bewahren. Und manchmal triumphiert unser Bedürfnis nach Selbstwert über unsere Neugier und wir behalten auch im Angesicht guter Hinweise für eine schlüssigere Alternative eine überholte, aber bequemere Sicht der Dinge bei. Wissenschaft lässt sich verstehen als der gesellschaftliche Zweig, der sich der Neugier verschrieben hat und ‘um jeden Preis’ rauskriegen will, wie die Welt tatsächlich beschaffen ist.
Als sinnvoll betrachten Wissenschaftler solche Aussagen über die Welt, die Ergebnis eines Prozesses sind, der auf den Prinzipien der Logik, der Systematik und der Falsifikation beruht. Kurze Randnotiz: Ungeachtet der Prinzipien und ihrer Bedeutung ist es allein schon eine kulturelle Errungenschaft, sich bei der Beurteilung von Aussagen den dahinterstehenden Prozess anzusehen. Der Schritt von der Frage “Wer hat das gesagt?” hin zu der Frage “Wie kommt dieser Jemand dazu, das zu sagen?” ist ein Schritt weg von Autoritätshörigkeit und hin zu einer differenzierteren Weltsicht. Dieser Perspektivwechsel hat in der Aussagepsychologie bspw. dazu geführt, dass heute nicht mehr wie früher die Glaubwürdigkeit eines Zeugen, sondern die Glaubhaftigkeit einzelner Aussagen untersucht wird. Die Worte eines Arztes oder Polizisten haben somit vor Gericht nicht von vornherein ein größeres Gewicht als die Worte eines heroinabhängigen Obdachlosen.
Logik
Logik beschäftigt sich mit Schlussfolgerungen. Beispiel:
Wenn es regnet, ist die Straße nass.
Die Straße ist nass.
Kann ich daraus schließen, dass es regnet?
Nein, denn es kann ja auch sein, dass die Kinder von nebenan mit dem Gartenschlauch spielen oder dass es gestern geschneit hat und heute wieder wärmer ist oder dass eine Kuhherde sich auf der Straße erleichtert hat. Aber was ist mit der nächsten Schlussfolgerung:
Nur dann, wenn es regnet, ist die Straße nass.
Die Straße ist nass.
Kann ich nun schließen, dass es regnet?
Ja. Ich weiß zwar immer noch, dass Straßennässe auch andere Ursachen haben kann als Regen, aber für die Beurteilung der Schlossfolgerung brauche ich ausschließlich die beiden Sätze und kein inhaltliches Hintergrundwissen zu Regen, Nässe und Straßen. Tatsächlich ist es ebendieses Hintergrundwissen, diese assoziative Fülle von Begrifflichkeiten, die eine Beschäftigung mit der formalen Logik erst notwendig macht. Hier noch ein drittes Beispiel, das die Entkoppelung vom Inhalt noch deutlicher macht:
Einige Frauen sind Männer.
Einige Männer haben Milchdrüsen.
Kann ich schlussfolgern, dass einige Frauen Milchdrüsen haben?
Die Antwort ist nein. Und der springende Punkt ist, dass wir es gewohnt sind, neben einem gewissen Maß an logischer Stimmigkeit auch unser alltägliches Hintergrundwissen bei der Beurteilung von Aussagen mit hineinspielen zu lassen. Und dieses Hintergrundwissen besteht nicht nur aus gut begründeten, empirisch prüfbaren Fakten, sondern auch aus unreflektierten dogmatischen Weltanschauungen. Dies trifft in besonderem Maße auf die Psychologie zu, weil jeder Mensch eine über das Leben gewachsene Meinung dazu hat, wie seine eigene Psyche funktioniert, welche Gesetzmäßigkeiten das soziale Miteinander ausmachen und wie andere Menschen ticken. Als Forscher darf ich jedoch nur den Teil meines Hintergrundwissens verwenden, den jeder Interessierte überprüfen kann. Somit erfordert der wissenschaftliche Erkenntnisgewinnungsprozess bei jedem gedanklichen Schritt erneut eine Überwindung meiner egozentrischen Perspektive und eine Rückbesinnung darauf, was die Realität tatsächlich hergibt und was ich daraus mit Sicherheit schließen kann.
Systematik
Systematik meint im Gegensatz zu wildem Rumstochern das gezielte Beobachten. Wenn ich bspw. mein Handy verloren habe, suche ich nicht wahllos die ganze Stadt ab, sondern überlege, wann ich es zuletzt in der Hand hatte und wo ich seitdem gewesen bin. Ich grenze die Suche stark ein, so dass ich am Ende ganz gezielt zuerst einen Freund anrufe und frage, ob er mal auf der rechten Hälfte seiner Wohnzimmercouch nachsehen kann und, falls er nichts entdeckt, das Fundbüro der Bibliothek kontaktiere. Systematisch vorzugehen bedeutet außerdem, alle Alternativerklärungen im Blick zu haben. Eine Zeugenaussage z. B. kann nicht nur entweder wahr oder gelogen sein. Sie kann auch durch Autosuggestion (sich selbst etwas einreden) oder Fremdsuggestion (z. B. Suggestivfragen) entstanden sein.
Falsifikation
Falsifikation ist dasjenige der drei Prinzipien, das einen stetigen Kontakt zur Realität gebietet. Es kann auch solche Gedankengebilde/Theorien geben, die in sich logisch und systematisch aufgebaut sind und die gleichzeitig jedoch keinerlei Bezug zu einer Wirklichkeit haben, an der mehrere Menschen teilhaben können. Solchen Luftschlössern wohnt eine Eigenschaft inne, die allen Theorien fehlt, mit denen Wissenschaftler sich beschäftigen: Sie können nicht widerlegt werden. Die Abbildung unten zeigt ein erfundenes Beispiel für eine schlechte Theorie, in der jede Kindheitserfahrung zu einer Neurose führen kann, die sich wiederum in ganz unterschiedlichen Formen manifestieren kann. Wenn alles mit allem erklärt werden kann, hat man nichts gewonnen. Gute Theorien unterstellen (“Hypothese” wörtlich) der Wirklichkeit konkrete Funktionsweisen oder Zusammenhänge. Je präziser die Vorhersagen sind, die sich aus ihr ableiten lassen, umso brauchbarer ist die Theorie, denn präzise Prognosen lassen sich leicht überprüfen.
Falsifikation bedeutet nun, dass Wissenschaftler stets auf der Suche nach Hinweisen sind, die Modelle von der Welt als falsch entlarven. Sie schauen sich eine Theorie genau an und sagen dann: “Ok. Wenn es stimmt, dass Raben schwarz sind, dann müsste ich ja, wenn ich in der Stadt einem Raben begegne, sehen können, dass er schwarz ist.” Wenn eine theoriegeleitete, gezielte Beobachtung nicht mit der Vorhersage übereinstimmt, wird die Theorie verworfen. Wenn das Vorhergesagte sich tatsächlich beobachten lässt, ist die Theorie jedoch noch immer nicht ‘wahr’. Wahr wäre die Raben-sind-schwarz-Hypothese nur dann, wenn wir alle Raben im gesamten Universum beobachten würden und sie allesamt schwarz wären. Das ist leider wenig praktikabel. Statt dessen führt die Suche nach Beweisen dafür, dass Theorien falsch sind, zu einem Prozess des Aussiebens, in dem schlechte Theorien ausgesondert werden und in dem diejenigen Modelle übrig bleiben, die zwar auch nicht ‘richtig’, aber dennoch so nah an der Realität sind wie heute möglich. Diese der Überprüfung standhaltenden Modelle beschreiben die Welt dann in der Regel so zutreffend, dass wir sie benutzen können, um uns das Leben zu erleichtern, z. B. in Form neuer Technologien oder effizienterer Heilmethoden.
Fazit
Psychologen – fernab jeder gedankenlesenden oder sonstigen übernatürlichen menschenkennenden Unternehmung – beschäftigen sich mit dem Erleben und Verhalten von Lebewesen. Neue Erkenntnisse über die psychische Welt erlangen sie auf wissenschaftliche Art und Weise, d. h. sie stellen schlüssige Vermutungen über Gesetzmäßigkeiten an und unterziehen diese dann einer Reihe von systematischen Realitäts-Checks.
Quelle: http://psych.hypotheses.org/96