Urkunden auf Monasterium.net
Wer heutzutage Urkunden für Forschungen heranziehen möchte, weiß natürlich von der herausragenden Bedeutung von Monasterium.net, dem „virtuellen Urkundenarchiv Europas“, und den vielfältigen Arbeitserleichterungen, die diese Plattform seit ihrem Entstehen vor über zehn Jahren mit sich gebracht hat. Mit Stand September 2014 sind über 400.000 Urkunden aus 133 Archiven in 13 europäischen Staaten dort recherchierbar.1
Was viele jedoch nicht mehr wissen, ist, dass dieses Projekt ursprünglich nur die Digitalisierung der Urkunden der niederösterreichischen Stifte und Klöster zum Ziel hatte (daher auch der Name). Als ehemaliges niederösterreichisches Stift ist somit auch das Schottenstift schon seit dieser Anfangszeit im kollaborativen Archiv von Monasterium.net vertreten.
Bei der Verwendung der Urkunden des Schottenstifts auf Monasterium.net sollte man jedoch ein paar Dinge beachten:
- Nur jene Urkunden, zu denen es auch ein Regest gibt (de facto von Ernest Hauswirth oder Cölestin Wolfsgruber), sind mit einer Abbildung versehen. Urkunden ohne Regest finden sich lediglich mit Datum am Ende der Monasterium-Liste, es lässt sich daher online meist nicht nachvollziehen, worum es sich bei ihnen handelt.
- Digitalisate – egal ob veröffentlicht oder unveröffentlicht – wurden nur von jenen Urkunden angefertigt, die sich zum Zeitpunkt der Digitalisierung in der chronologischen Urkundenreihe befanden. Somit sind jene Urkunden, die erst im Zuge der vor kurzem durchgeführten Neuverpackung und Neuverzeichnung in die Urkundenreihe eingegliedert wurden, weder digitalisiert noch zumindest mit Datum in der Monasterium-Liste aufgeführt. Gleichfalls wurden die allermeisten frühneuzeitlichen Urkunden in der Monasterium-Liste, die sich deshalb dort wiederfinden, weil es zu ihnen zum Teil Regesten gab, nicht digitalisiert, da sie sich nicht in der Urkundenreihe befinden.
- Monasterium.net verwendet die zum Zeitpunkt der Digitalisierung vom Schottenstift vorgegebenen Signaturen, die auf die Zusammenstellung der Urkundenreihe in den 1950er-Jahren zurückgehen. Diese waren als reine Datumssignaturen aber leider nicht immer eindeutig und mit ihren römischen Zahlzeichen an der Monatsstelle auch nicht für die digitale Verarbeitung geeignet. Zudem gab es bei ihnen viele Inkonsequenzen, so etwa bei vidimierten Urkunden, bei denen manchmal das Datum der Kopie, manchmal aber das Datum des ursprünglichen Stücks verwendet wurde. Aus diesem Grund hat das Archiv des Schottenstifts im Zuge der Neuverpackung und Neuverzeichnung (in weitestgehender Anlehnung an die alten Signaturen) neue, eindeutige Signaturen vergeben – diese finden sich aber noch nicht auf Monasterium.net. (Ein Beispiel: Die drei Urkunden, die früher die Signatur „1161 IV 22“ hatten, sind nun als „Urk 1161-04-22.1“, „Urk 1161-04-22.2“ und „Urk 1161-04-22.3“ verzeichnet.)
- Zu den geringeren Problemen zählt, dass manche Abbildungen den Urkunden falsch zugeordnet wurden. Aus dem Zusammenhang erkennt man dies jedoch meist rasch.
All diese Probleme sind bereits bekannt, und an ihrer baldigen Behebung werden ICARus, der Trägerverein von Monasterium.net, und das Archiv des Schottenstifts in Zukunft gemeinsam arbeiten. Schnelle Änderungen wären hier aber nicht sinnvoll, da auch auf die für unseren Bestand bereits sorgfälltig vorgenommene Indexierung Rücksicht genommen werden muss. Einstweilen bleibt daher der Hinweis, dass es in jedem Fall ratsam ist, sich durch eine kurze schriftliche Nachfrage bei uns im Archiv abzusichern.
> > > Die Urkunden des Schottenstifts auf Monasterium.net
- Quelle: http://www.mom-ca.uni-koeln.de/mom/home (4.9.2014)
Aus den Untiefen der Bildarchive: Das Internet Archive und die Commons bei Flickr
Am 16. Januar 2008 startete die Fotoplattform Flickr gemeinsam mit der amerikanischen Library of Congress das Commons-Projekt. In einem Pilotprojekt stellte die Bibliothek zunächst 1.500 Fotos für Flickr zur Verfügung und lud die Nutzer der Fotocommunity dazu ein, die Bilder mit Schlagworten zu versehen. Ziel war es, ein organisches Informationssystem auf Grundlage individuell hinzugefügter Tags und Beschreibungen aufzubauen. Aufgrund des großen Erfolgs des Pilotprojekts wird das Commons-Projekt weiter fortgesetzt. Am 29. August 2014 wurde nun im Flickr Blog bekanntgegeben, dass auch Daten aus The […]
Deir el Medine Online. Nichtliterarische Ostraka aus Medine
Mediävistik auf dem Ameisenpfad oder: Mit der ANT das Königreich der Himmel stürzen

„Ich muss Sie leider warnen: Ich bin nur ein einfacher Doktorand“ – „die anderen Studenten haben mich gewarnt, ich solle das ANT-Zeug nur mit der Pinzette anfangen“.[1] So lauten zwei Fragmente eines fiktiven Dialogs, der ins Büro eines renommierten Gastprofessors an der London School of Economics führt. Der Autor des Textes, der französische Soziologe Bruno Latour, gefällt sich darin in der Rolle des unbequemen Dozenten, der das Welt- und Wissenschaftsverständnis seines Besuchers gründlich durcheinanderwirbelt. Ob der enigmatischen Einlassung seines Gesprächspartners, der das Theoriegerüst der Dissertation genüsslich zerpflückt und doch kein gleichwertiges Gegenmodell zu präsentieren vermag, wendet sich der Nachwuchswissenschaftler schließlich ernüchtert ab: Er werde es lieber mit Niklas Luhmann versuchen und künftig die Finger von der Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) lassen.
Forscherinnen und Forschern der mediävistischen Fachdisziplinen ein derartiges Frustrationserlebnis zu ersparen, ist das erklärte Ziel dieses Beitrages. Er bezweckt in dieser Hinsicht dreierlei: Zunächst soll er eine knappe Einführung in das Theoriedesign der ANT bieten.[2] Auf der Sachebene zeichnet er sodann ein konkretes Netzwerk nach. Exemplarisch soll auf diesem Weg schließlich die Frage beantwortet werden, inwieweit die Quellendichte des Mittelalters es überhaupt gestattet, sich des methodischen Instrumentariums moderner Sozialwissenschaften zu bedienen. Ist die ANT dazu geschaffen, „Luxusprobleme“[3] zu bearbeiten, die im Überlieferungshorizont der Epoche keine geeignete Materialgrundlage finden? Oder gestattet sie es im Gegenteil, über bislang wenig beachtete Zeugnisse einen neuen Zugang zur Geschichte des Mittelalters zu gewinnen?
Die Akteur-Netzwerk-Theorie im Aufriss
Enttäuschung mag sich vornehmlich dann einstellen, wenn man von der ANT einen elaborierten Erklärungsansatz, einen festen Theorierahmen oder gar ein Makromodell sozialer Strukturzusammenhänge erwartet. Sie selbst versteht sich in erster Linie als ein heuristischer Erfassungs- und Beschreibungsmodus des empirisch Gegebenen. Als solcher lenkt sie den Blick auf ein hybrides Gefüge aus menschlichen und materiellen Entitäten, geschaffen und zusammengehalten durch reziproke und multilaterale Assoziationen. Metaphorisch ließe sich dieses Gebilde mit einem Fischernetz vergleichen, dessen Knoten die jeweiligen Akteure repräsentieren.[4] Jeder von ihnen wird nur durch die Verknüpfung mit anderen Knotenpunkten in seiner Position gehalten, ausgerichtet und ggf. verschoben. Als flexible Verbindungsstränge dienen Performanzen, das Netzwerk wird prozesshaft auf der Handlungsebene konstituiert. Als Knoten bzw. Akteure zu verstehen sind folglich allein jene „Entitäten, die Dinge tun“[5] und zugleich „von vielen anderen zum Handeln gebracht“[6] werden. Dies schließt explizit nicht-humane Elemente mit ein, sofern sie von anderen Mitwirkenden mit Handlungspotential versehen werden. Die Dinge geraten dadurch, erlöst aus ihrem Schlummer als museale Schaustücke und befreit von den Banden unverrückbar ‚objektiver’ Existenz, ins Zentrum wissenschaftlicher Vergangenheitsrekonstruktion.
Der veränderte Blickwinkel erweist sich indes als voraussetzungsvoll. Bruno Latour bezeichnet die ANT zu Recht als „negatives Argument“: Sie hegt eine grundlegende Aversion gegen konstruktivistische Zugriffsweisen, die auf das Apriori abstrakter Modellbildung, den alles durchdringenden „Äther des Sozialen“, angewiesen sind.[7] Daher meidet sie Begriffe wie ‚Gesellschaft’, ‚Struktur’ oder ‚System’ und verweigert sich den Dichotomien von Mikro und Makro, Kultur und Natur. Der virulenten ‚Metasprache der Soziologie’ sucht sie durch eine ‚Infrasprache’ beizukommen, deren Begriffsinstrumentarium einen vorurteilslosen Zugang zu allen Akteuren gestattet. Zur ANT-Terminologie – deren „lächerliche Armut“ wohl allein ihr Schöpfer selbst zu preisen vermag[8] – zählen Assoziationen, Allianzen und Aktanten (performativ mit Handlungsmacht ausgestattete Entitäten), Blackboxes, Symmetrien (gleichwertige Einbeziehung von Menschen und Dingen) und Übersetzungen (das Aufbauen und Aushandeln von Assoziationen, verbunden mit einer Modifikation von Interessen und Identitäten). Es ist der forcierte Gestus des Gegenaufklärers, sein sperrig-kapriziöser Schreibstil, mit dem Bruno Latour mehr als seine ANT-Mitstreiter akademische Abwehrreflexe ausgelöst hat. Es waren und sind seine ‚kleinen’ Essays und konkreten Fallstudien, durch die er den nicht-initiierten Leser zu gewinnen vermag. Insofern möchte ich mich im Folgenden mit der Sprache und Sichtweise der ANT einem einzelnen ausgewählten ‚Gegenstand’ der mittelalterlichen Geschichte zuwenden: Der Lichterscheinung in der Grabeskirche zu Jerusalem am 21. April 1101.[9]

Alte Allianzen und neue Konstellationen
Mit den Augen der ANT betrachtet blickt man auf eine Allianz, deren Geschichte sich seit dem 9. Jahrhundert gut nachzeichnen lässt: Sie verbindet Gott und die christlichen Kirchen, lässt sich in einem konkreten Kirchbau lokalisieren und assoziiert Akteure unterschiedlicher Art. Bereits der knappe Report des fränkischen Mönches Bernard enthüllt um 870 eine Bündniskonstellation, die ohne materielle Mittler in Form von Klängen, Lampen und transzendenten Effekten historisch niemals wirksam geworden wäre: „Nach Abschluss der Messe wird das Kyrie eleison angestimmt, bis durch das Eintreffen eines Engels das Licht in den Lampen aufleuchtet, die über dem genannten Grab hängen. Von diesem spendet der Patriarch den Bischöfen und dem übrigen Volk, damit jeder von ihnen das eigene Heim beleuchte.“[10] In diesem Miteinander von Menschen und Dingen ‚übersetzten’ sich die beteiligten Entitäten wechselseitig: Mit der Aura des Heiligen versehen, verwandeln die Gebete und brennenden Lampen die versammelte Menge in wahre Gläubige, welche die Evidenz des Wunders wiederum effektiv bezeugen. Der Pakt beruhte demnach auf einem erfolgreichen ‚Enrolement’, das die Vertragspartner durch attraktive Identitätsangebote zu gewinnen verstanden. Innerhalb dieser ‚Heiligen Allianz’ agiert der Klerus mit dem Patriarchen an der Spitze als anerkannter Regisseur: Er orchestriert die Rollenzuweisung und definiert den ‚obligatorischen Passagepunkt’, den alle Mitwirkenden zur Erfüllung ihrer Ziele durchschreiten müssen.[11] Die liturgischen Handlungen markieren zugleich die Distanz zum Kollektiv der ‚Ungläubigen’, die sich der Assoziation von Wunderzeichen und Heilsgewissheit ostentativ verweigern. Lateinische, griechische und selbst arabische Textzeugnisse weisen muslimischen Protagonisten einhellig die Rolle von Störern zu.[12] All ihr Bemühen, das Bündnis durch alternative Deutungsangebote zu sprengen, ist freilich zum Scheitern verurteilt: Die Manipulation des Materiellen – durch kupferne Dochte etwa oder Diebstahl der Kerzen – und eine waffenstarrende Drohkulisse entfalten letztlich nur affirmative Wirkung.[13] Gleichwohl waren die Muslime keineswegs vom Mirakelereignis ausgeschlossen: Vor der Eroberung Jerusalems 1099 und erneut nach dem Ende der Kreuzfahrerherrschaft fungierten sie als scheinbar interessenlose Garanten für die Authentizität des Wundergeschehens. Für diese Rolle ließen sie sich nicht zuletzt deshalb rekrutieren, weil das Heilige Feuer einen weiteren materiellen Akteur zu mobilisieren vermochte: „Entweder ist dem Fürsten der Geldbetrag lieber, der dir aus dieser Quelle zufließt, oder die Aufklärung darüber“, so fasst der arabische Gelehrte al-Dschaubari im 13. Jahrhundert diese wirkmächtige Verbindung prägnant zusammen.[14]
Die Wende zum 12. Jahrhundert bezeichnet in mehrfacher Hinsicht den Bruch etablierter Bündnisstrukturen. Kurz nach der Ankunft der Kreuzfahrer zeigten sich erste Friktionen im Kollektiv der christlichen Glaubensbrüder, das sich alljährlich am Grab des Herrn versammelt hatte. Der amtierende Patriarch von Jerusalem, Daimbert von Pisa, war durch die abendländische Eroberung an die Spitze der lokalen Hierarchie getragen worden. Als Repräsentant der römischen Kirchenreform suchte er den lateinischen Ritus in der Heiligen Stadt rigoros durchzusetzen.[15] Die ecclesia orientalis, zu deren Befreiung die Kreuzfahrer einst ausgezogen waren, war im Verlauf des Unternehmens sukzessive unter Häresieverdacht geraten und hatte in der Gründungsphase des Königreichs Jerusalem allenthalben an Boden verloren. Während die syrisch-orthodoxe Geistlichkeit die Stadt bereits vor ihrer Einnahme zeitweilig geräumt hatte[16], büßte der griechische Klerus unter Federführung Daimberts u.a. seine Pfründen an der Grabeskirche ein: „Die Franken gingen so weit, alle Armenier, Griechen, Syrer und Georgier aus ihren Klöstern zu vertreiben“, so resümiert der armenische Chronist Matthäus von Edessa.[17] Gleichwohl war auch die Stellung des lateinischen Patriarchen keineswegs gefestigt: Nur fünf Tage vor dem Osterfest des Jahres 1101 war sein Zerwürfnis mit Balduin I. offen zu Tage getreten, als der König Daimbert formell der Veruntreuung und des Verrats bezichtigte. Balduin selbst rang im ersten Jahr seiner Regierung um die politische und militärische Kontrolle seines von zahlreichen Seiten bedrohten Königreiches. Das bevorstehende Hochfest eröffnete ihm die Gelegenheit, die Befehlshaber eines genuesischen Flottenverbandes für seine Ziele zu gewinnen. Unter diesen Vorzeichen avancierte das Heilige Feuer zum allseits begehrten Bündnispartner. Den Akteuren in und um die Grabeskirche bot es die Möglichkeit, sich in der Allianz zwischen Gott und den Menschen selbst als Mittler zu verankern und die eigene prekäre Position durch den erneuerten Pakt mit den himmlischen Mächten sichtbar und dauerhaft zu stabilisieren.
Doppelte Übersetzungen
Noch zu Ostern 1100, dem ersten Jahr nach der Eroberung, schien die Situation hinreichend kontingent, um die alten Allianzen abermals zu reaktivieren: In der Nacht zum 1. April jedenfalls ging die Feier der gaudia Paschalia in der Grabeskirche solemnis – also wohl störungsfrei – vonstatten.[18] Für das Folgejahr jedoch weiß die Chronik Fulchers von Chartres konsterniert zu berichten: „Alle wurden in Verwirrung gestürzt wegen des Feuers, das wir am Samstag im Grab des Herrn nicht empfingen“.[19] Das Ausbleiben des Lichtwunders stieß bei den zeitgenössischen Berichterstattern auf breite Resonanz, der Ablauf der Ereignisse lässt sich dadurch erstaunlich präzise rekonstruieren:[20] Unter der Leitung Daimberts begann man um die dritte Stunde mit der Messfeier. Die Perikopen wurden dabei abwechselnd in lateinischer und in griechischer Sprache gelesen. Zumal die wundersame Entzündung des Feuers traditionell in den frühen Nachmittagsstunden erfolgte, dauerte das Hochamt annähernd bis zur Non an und wurde abrupt unterbrochen, als griechische Geistliche erstmals das Kyrie eleison anstimmten: „Ich Fulcher aber, der solche Klänge niemals vernommen hatte, und viele andere (…) sprangen mit zerknirschten Herzen, die Augen zum Himmel gewandt vom Boden auf und erwarteten bereits das Erscheinen des gnadenbringenden Lichts irgendwo in der Kirche“.[21]
Diese Hoffnung wurde enttäuscht, die Lesungen wiederaufgenommen und schließlich wieder und wieder flehentlich das Erbarmen des Herrn herbeigerufen. Irritiert öffnete der Patriarch die Pforten der Grabeskapelle um dort persönlich nach dem Heiligen Feuer zu suchen. Vergebens, die alten Allianzen verweigerten sich der neuen Kräftekonstellation. Die Kreuzfahrer hatten das etablierte Netzwerk zerrissen, erwiesen sich selbst gegenüber Gott und seinen Geschenken aber als nicht koalitionsfähig. Von einem Augenblick zum anderen schienen sie von Befreiern in Zerstörer des Heiligen Grabes ‚übersetzt’.
In der Forschungslogik Bruno Latours bildet „jedes Ding, das eine gegebene Situation verändert, indem es Unterschiede macht“, einen Akteur.[22] Diese Definition schließt das Heilige Feuer zweifellos mit ein: Es war kein bloßer Gegenstand der Geschichte, kein passives Objekt diskursiver Sinnzuschreibung, sondern besitzt unübersehbar „phänomenologische Gewalt“[23] über andere Akteure. Seine schiere physische Präsenz – oder eben Absenz – schuf Verbindungen und Verbindlichkeiten, stiftete eine relationale Ordnung zwischen den Anwesenden und verlieh damit dem Osterfest seine spezifische Dramaturgie. Die Protagonisten des Jahres 1101 adaptierten das veränderte Drehbuch und akzeptierten scheinbar demütig ihre ‚Übersetzung’ in reuige Büßer. Der Patriarch zog gleichwohl alle Register, um aus seiner gewandelten Rolle heraus neuerlich Bündnisverhandlungen mit dem Spender des Heiligen Feuers anzuknüpfen. Er legte ein ausführliches Sündenbekenntnis ab, gab den Bischofsstab zugleich mit dem geistlichen Hirtenamt aus der Hand, warf sich unter Tränen flehentlich zu Boden und forderte die Anwesenden auf, es ihm gleich zu tun.[24] Doch alle Demutsgesten genügten nicht, um Gehör bei Gott zu erlangen. Daimbert sah sich daher genötigt, dem zunehmend riskanten Aushandlungsprozess ein abruptes Ende zu setzen. Der versammelten Menge stellte er in öffentlicher Predigt vor Augen, dass gerade mit der Gewinnung Jerusalems für die Christenheit jeglicher Anlass für göttliche Gnadenzeichen entfallen sei: „Solange sich diese heilige Stadt in der Gewalt der Heiden befand, war es gut und gerecht, dass Gott durch seine Wunderwerke die Ungläubigen zum Glauben führte“.[25] Diese gedankliche Kapriole eröffnete die Aussicht, den lateinischen Eroberern ihre Identität als Befreier des Heiligen Grabes zurückzugeben. Allein, nur die sapientiores unter den Zuhörern zeigten sich geneigt, das veränderte Deutungsangebot anzunehmen.[26] Daimbert entschloss sich daher, den Schauplatz zu wechseln und auf diese Weise einen neuen materiellen Akteur zu rekrutieren. Barfüßig führte er eine Bittprozession zum Tempel Salomons, der aus biblischer Tradition heraus als geeigneter Ort erschien, in Zwiesprache mit dem Allerhöchsten zu treten. Griechen und Syrer hingegen blieben in der hereinbrechenden Dämmerung betend und klagend vor den verschlossenen Pforten der Grabeskirche zurück.[27] Dieses Neuarrangement führte endlich zum Erfolg: In den ersten Morgenstunden des Ostertages wurde vermeldet, dass zwei Leuchter im Kircheninneren durch göttliche Einwirkung entflammt seien. Der Patriarch eilte mit den Schlüsseln schleunigst zum Heiligen Grab zurück und zündete dort die erste Wachskerze an. Jubel erhob sich, Glöckchen wurden in der ganzen Stadt geläutet und der Chronist Fulcher ließ gemeinsam mit anderen das Kyrie eleison erschallen. Die Klänge der griechischsprachigen Liturgie etablierten sich damit erneut als Mittler, der die einheimischen Christen als Rechtgläubige rehabilitierte.[29] Kaum hatten die Lateiner die Kirche verlassen, wiederholte sich das Lichtwunder während der Messe der Syrer und bis zur Vesper hatten sich 16 Lampen scheinbar ohne menschliches Zutun entzündet.[28] „Wie sehr wir auch zuvor gelitten hatten, so sehr frohlockten wir nunmehr angesichts des Wunders“, so resümiert Fulcher von Chartres den Ausgang des Geschehens.[30] Durch die Reintegration des materiellen Akteurs wurden die menschlichen Mitwirkenden erneut ‚übersetzt’.
Tatsächlich wandelte sich mit der Wiederkehr des Wunders die Kräftekonstellation des Kreuzfahrerkönigreiches grundlegend. Daimbert von Pisa wurde „von allen nach übereinstimmendem Willen und Zuspruch wiedergewählt“[31] – konnte seine Position also vorübergehend stabilisieren. Sein Nachfolger Ebremar beeilte sich am Jahreswechsel 1102/3, den ritus anteriorum in der Grabeskirche wieder einzuführen, verbunden vermutlich mit einer Pfründenrestitution zugunsten des einheimischen Klerus.[32] Der Kirchenbau avancierte in der Folge zum multirituellen Ort, der von Lateinern, Griechen, Syrern, Armeniern und Kopten simultan genutzt wurde.[33] Zumindest in den Augen des Armeniers Matthias von Edessa markierte das Ausbleiben des Lichtwunders den historischen Wendepunkt: „Als also die Franken dieses furchterregenden Fingerzeigs gewahr wurden, der eine göttliche Ermahnung darstellte, da (…) stellten sie jede Gemeinschaft wieder an ihren angestammten Platz.“[34] König Balduin I. schließlich gelangte zu einem günstigen Vertragsabschluss mit den Genuesen, deren Flotte ihm wenige Wochen später die Einnahme der Küstenstadt Arsuf ermöglichte. Er trat als Garant religiöser Pluralität in die Fußstapfen der muslimischen Emire und etablierte sich als Zentralfigur des Zeremonialgeschehens, der unter anderem die erste am Heiligen Feuer entzündete Kerze zustand.[35] Die neue Allianz präsentierte sich damit als Aktualisierung altbewährter Assoziationen.
Menschen und Dinge zusammendenken
Das Heilige Feuer des Jahres 1101 scheint mit jenem Tageslichtprojektor vergleichbar, dessen Ausfall Bruno Latour exemplarisch schildert: Erst das Eintreten der Funktionsstörung macht die Existenz des Gerätes vollends bewusst und enthüllt das Netzwerk aus Ersatzteilen, Lieferanten und Monteuren, die mit ihm verbunden sind: „Wir konzentrieren uns nicht länger auf das Objekt, sondern sehen eine Gruppe von Menschen um dieses Objekt“. Der Moment der Krise vermag die Vielfalt der Verbindungen in einer ‚Blackbox’ sichtbar zu machen, die sonst „vollkommen unsichtbar im Hauptprogramm unseres Handelns“, dem großen Gang der Geschichte, verschwindet.[36] Das Ausbleiben des Lichtwunders leistet Ähnliches: Es lenkt den Blick auf Assoziationen, die gewöhnlich unter dem Berichthorizont unserer Quellen bleiben. Es offenbart, wie sich der Lauf der Geschichte durch das Dazwischentreten materieller Handlungsträger, eines widerständigen Netzwerkknotens, performativ veränderte.
Vollständig aufschlüsseln lässt sich der Inhalt der ‚Blackbox’ indes nicht mehr, das Mirakelereignis entfaltet seine Mobilisierungseffekte nur als inenarrabile mysterium.[37] Allein einige arabische Autoren suchen mit Hilfe vermeintlich „rational technische[r] Erklärungen“ und in unverkennbar polemischer Absicht zum Kern des Geschehens vorzudringen.[38] Die Lampen würden vermittels eines Auslösemechanismus über ein balsamgetränktes Seil artifiziell ‚ferngezündet’.[39] Als Drahtzieher glaubt die moderne Forschung überwiegend die griechisch-orthodoxe Geistlichkeit ausgemacht zu haben, deren „fromm gemeinte[n] Feuerwerkszauber (…) um 1100 von den Kreuzfahrern noch nicht durchschaut wurde“.[40] Sie hätte ihren Wissensvorsprung in manipulativer Weise zur Diskreditierung des lateinischen Patriarchen ausgespielt.
Konstruiert wird unter der Prämisse naturwissenschaftlicher Faktizität mithin eine einfache Kausalkette, die dem komplexen Geflecht von Interessen und Identitäten kaum gerecht werden kann. Die ANT schließt hingegen mit dem Prinzip eines ‚allgemeinen Agnostizismus’[41] die Privilegierung scheinbar objektiv-technischer Lesarten aus. Ihr Credo, einfach ‚den Akteuren zu folgen’, führt hinter die Kulissen monokausaler Konspirationshypothesen und holt sämtliche Handlungsträger auf die Bühne historischer Interpretation. Dort treten sie nicht als autonom agierende Virtuosen, sondern als Gesamtensemble in Erscheinung. Sie autorisieren und befähigen sich wechselseitig dazu, Handlungsmacht über andere auszuüben: Nicht ‚die Orthodoxen’ oder ‚der Zündmechanismus’ machten am 2. April 1101 Geschichte. Erst das Zusammenspiel aller Kräfte gestaltete das Drama jenes denkwürdigen Osterfestes.
In Szene gesetzt wurde das Stück demnach weder durch einen individuellen Akteur noch durch eine überwölbende Idee. Sein Skript lässt sich schwerlich aus dem Ideal christlicher caritas oder gar einem kategorischen Imperativ ableiten. Die ANT hilft dabei, das ‚Königreich der Himmel’ zu stürzen: Die Notwenigkeit zur friedlichen Koexistenz, die „Kreuzfahrerstaaten als multikulturelle Gesellschaft“[42], bildet nicht das moralische Apriori der Ereigniskette. Sie beschreibt allenfalls das zeitweilig stabile Ergebnis erfolgreicher Netzwerkbildung. Der Geist weht, anders als im Herrenwort, in der Geschichte eben nicht, wo er will:[43] Er ist gebunden an menschliche und materielle Mittler, an konkrete Handlungen und ihre Settings. Mit ihrem Slogan „schaut nach unten“ ermahnt die ANT dazu, fleißig den unmittelbar fassbaren Spuren und Details zu folgen statt als Erklärungsrahmen jenes abstrakte „Gesamtbild“ zu bemühen, „das die Soziologen gern mit einer typischen Geste begleiten, indem sie mit den Händen einen Umriß in der Größe eines Kürbis in die Luft zeichnen.“[44] Eine solche Sichtweise korrespondiert erstaunlich eng mit dem sorgsam gehegten Selbstbild einer empirieorientierten Mittelalterforschung.
Sollte sich die Mediävistik demnach auf den Ameisenpfad begeben? Untersuchungsobjekte jedenfalls gäbe es genug. Bedenkt man, dass Bruno Latour bislang scheinbar banale Alltagsdinge wie Hotelschlüssel, Türschließer oder Sicherheitsgurte zum Ausgangspunkt seiner Analyse gemacht und sogar Comicstrips als Quellenbasis verwendet hat, besteht hinsichtlich der Materialgrundlage kaum ein Mangel. Im Gegenteil: Indem die ANT materielle Artefakte als Mitwirkende begreift, erweitert sie den Quellenfundus historischen Arbeitens beträchtlich. Bleibt der bisweilen schwer erträgliche theoretische und terminologische Ballast, der die Bündnisangebote Latours begleitet. Die Frage der Anschlussfähigkeit entscheidet sich letztlich innerhalb des wissenschaftlichen Netzwerkes, das ohne materielle Mittler in Form von Büchern und Blogbeiträgen mithin kaum funktionsfähig sein dürfte.
Bemerkung zur Zitation: Die Publikationsform als Blogbeitrag ermöglicht es, durch Hyperlinks direkt auf Online-Ressourcen zu verweisen. Dies ist hier überall dort geschehen, wo weniger prominente Ausgaben und Aufsätze referenziert wurden, während die Benutzung von google-books, dmgh etc. ins Belieben des Lesers gestellt wird. Alle Links wurden am 26.08.2014 letztmals abgerufen.
[1] Bruno Latour, Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie. Aus dem Englischen von Gustav Roßler. Frankfurt a. M. 2007, S. 244, 254.
[2] Unter den zahlreichen verfügbaren Einführungen empfehle ich Ingo Schulz-Schaeffer, Akteur-Netzwerk-Theorie. Zur Koevolution von Gesellschaft, Natur und Technik, in: Johannes Weyer (Hrsg.), Soziale Netzwerke. Konzepte und Methoden der sozialwissenschaftlichen Netzwerkforschung. München 2000, S. 187–210 (https://www.uni-due.de/imperia/md/content/soziologie/akteurnetzwerktheorie.pdf) und Andréa Belliger/David J. Krieger, Netzwerke von Dingen, in: Stefanie Samida/Manfred K.H. Eggert/Hans Peter Hahn (Hrsg.), Materielle Kultur. Bedeutungen, Konzepte, Disziplinen. Stuttgart 2014, S. 89–96. Einen instruktiven Lektüreblog, der als erklärender Kommentar fungieren kann, bietet http://peter.baumgartner.name/2009/10/18/gemeinsam-latour-lesen-gll/
[3] Christian Schwaderer, Mauern, Maschinen und Menschen. Das Bewusstsein von Technik, materieller Veränderung und Innovation zwischen 500 und 1200. Tübingen 2013, S. 39 (http://tobias-lib.uni-tuebingen.de/volltexte/2013/7014/). Der vorliegende Text ist teils als Reaktion auf die Forendiskussionen auf http://mittelalter.hypotheses.org/, teils auf Diskussionsbeiträge der Tagung „Reassembling the Past?! Akteur-Netzwerk-Theorie und Geschichtswissenschaft“, Göttingen 3.–5. Juli 2014 entstanden. Die Frage, ob Mediävisten ANT-fähig sind, wird sich letztlich in der Forschungspraxis erweisen müssen.
[4] Vgl. Latour, Eine neue Soziologie (wie Anm. 1), S. 229.
[5] Jim Johnson (alias Bruno Latour), Die Vermischung von Menschen und Nicht-Menschen: Die Soziologie eines Türschließers, in: Andréa Belliger/David J. Krieger (Hrsg.), ANThology. Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie. Bielefeld 2006, S. 237–258, S. 247.
[6] Latour, Eine neue Soziologie (wie Anm. 1), S. 81.
[7] Latour, Eine neue Soziologie (wie Anm. 1), S. 245, 82.
[8] Bruno Latour, Über den Rückruf der ANT, in: Andréa Belliger/David J. Krieger (Hrsg.), ANThology. Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie. Bielefeld 2006, S. 561–572, S. 566. Diesen „Rückruf“ revidiert Latour, Eine neue Soziologie (wie Anm.1), S. 14, Anm. 24, übrigens erneut.
[9] Vgl. zum Geschehen und Quellenlage Otto Meinardus, The Ceremony of the Holy Fire in the Middle Ages and To-Day, in: Bulletin de la societe d’archeologie copte 16, 1961/62, S. 243–252; Christopher MacEvitt, The Crusades and the Christian World of the East. Rough Tolerance. Philadelphia 2008, S. 115–120; Camille Rouxpetel, Trois récits occidentaux de la descente du feu sacré au Saint-Sépulcre (Pâques 1101): polyphonie chrétienne et stratégies discursives, in: Mélanges de l’École française de Rome – Moyen Âge 126-1/2014 (http://mefrm.revues.org/1932). Unter der älteren Literatur seien hervorgehoben mit ausführlicher Rezeptionsgeschichte: Titus Tobler, Golgatha. Seine Kirchen und Klöster. Nach Quellen und Anschau. St. Gallen/Bern 1851, S. 460–483 (http://books.google.de/books?id=G4tAAAAAcAAJ&hl); sowie Gustav Klameth, Das Karsamstagsfeuerwunder der heiligen Grabeskirche. Wien 1913 (http://www.mgh-bibliothek.de/dokumente/a/a137177.pdf); Bernhard Schmidt, Die Feier des heiligen Feuers in der Grabeskirche, in: Palästinajahrbuch des Deutschen Evangelischen Instituts für Altertumswissenschaft des heiligen Landes zu Jerusalem 11, 1915, S. 85–118 (https://archive.org/details/palstinajahrbu1915dalm).
[10] Josef Ackermann, Das ‚Itinerarium Bernardi Monachi’. Edition – Übersetzung – Kommentar (MGH Studien und Texte 50). Hannover 2010, S. 115–127, c. 11, S. 121.
[11] Begriffe ‚Enrolement’, ‚Heilige Allianz’ und ‚obligatorischer Passagepunkt’ erläutert bei Michel Callon, Einige Elemente einer Soziologie der Übersetzung: Die Domestikation der Kammmuscheln und der Fischer der St. Brieuc-Bucht, in: Andréa Belliger/David J. Krieger (Hrsg.), ANThology. Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie. Bielefeld 2006, S. 135–174, S. 150.
[12] Vgl. zur Frühphase Thomas Pratsch, Der Platz der Grabeskirche in der christlichen Verehrung im Osten, in: Ders. (Hrsg.), Konflikt und Bewältigung. Die Zerstörung der Grabeskirche zu Jerusalem (Millennium-Studien zu Kultur und Geschichte des ersten Jahrtausends n. Chr. 32). Berlin/Boston 2011, S. 57–66, hier S. 62–65.
[13] Vgl. Paul E. D. Riant, Lettre du clerc Nicétas à Constantin VII Porpphyrogénète sur le Feu sacré (avril 947), in: Archives de l’Orient latin 1, 1881, S. 376–382 (https://archive.org/details/archivesdelorie01parigoog); Gotthard Strohmaier, Al-Birunis Bericht über das Osterfeuer und den Grabfelsen in Jerusalem, in: Ders. (Hrsg.), Hellas im Islam. Interdisziplinäre Studien zur Ikonographie, Wissenschaft und Religionsgeschichte (Diskurse der Arabistik 6). Wiesbaden 2003, S. 186 f, S. 187; Chronicon Hugonis monachi Virdunensis et Divionensis, hrsg. von Georg Heinrich Pertz (MGH SS 8). Hannover 1848, S. 280–503, hier S. 396; Rodulfus Glaber, Historiarum Libri Quinque, hrsg. von Neithard Bulst/John France. Oxford 1989, IV 19, S. 202. Interessanterweise befürchtet Niketas den Waffeneinsatz der Muslime für den Fall, dass das Feuer erscheint, Hugo von Flavigny hingegen im umgekehrten Fall.
[14] Übers. nach Richard Hartmann, Arabische Berichte über das Wunder des heiligen Feuers, in: Palästinajahrbuch des Deutschen Evangelischen Instituts für Altertumswissenschaft des heiligen Landes zu Jerusalem 12, 1916, S. 76–94, S. 82 f. Siehe auch: Eilhard Wiedemann, Beiträge zur Geschichte der Naturwissenschaft XII, in: Sitzungsbericht der physikalisch-medizinischen Sozietät zu Erlangen 89, 1907, S. 200—225, S. 200–225, S. 205 f. (https://archive.org/details/sitzungsbericht00erlagoog) Ähnlich argumentieren nach Riant, Lettre du clerc Nicétas (wie Anm. 13), S. 377 auch die Schreiber des lokalen Emirs gegenüber dem Kalifen.
[15] Vgl. Michael Matzke, Daibert von Pisa. Zwischen Pisa, Papst und erstem Kreuzzug (Vorträge und Forschungen. Sonderband 44). Sigmaringen 1998, bes. S. 178–187; Klaus-Peter Kirstein, Die lateinischen Patriarchen von Jerusalem. Von der Eroberung der Heiligen Stadt durch die Kreuzfahrer 1099 bis zum Ende der Kreuzfahrerstaaten 1291 (Berliner Historische Studien 35). Berlin 2002, hier S. 62, 486 f.
[16] Vgl. Johannes Pahlitzsch, St. Maria Magdalena, St. Thomas und St. Markus. Tradition und Geschichte dreier syrisch-orthodoxer Kirchen in Jerusalem, in: Oriens christianus 81, 1997, S. 82–106, S. 85.
[17] Übers. folgt: Ara Edmond Dostourian (Hrsg.), Armenia and the Crusades. Tenth to Twelfth Centuries: The Chronicle of Matthew of Edessa. Lanham/New York/London 1993, S. 179 sowie knapper: Edouard Dulaurier (Hrsg.), Chronique de Matthieu d’Edesse (Bibliothèque historique arménienne). Paris 1858, S. 1–322, S. 234. Zum Häresieverdacht generell vgl. MacEvitt, Crusades (wie Anm. 9), S. 100-106.
[18] Historia belli sacri/Tudebodus imitatus et continuatus, in: Recueil des historiens des croisades. Historiens occidentaux, Bd. 3. Paris 1866, S. 165–229, S. 226 f. Hingegen berichtet Guibert von Nogent, wohl ex post, von Schwierigkeiten, siehe Heinrich Hagenmeyer (Hrsg.), Fulcheri Carnotensis Historia Hierosolymitana. Heidelberg 1913, S. 836 (https://archive.org/details/historiahierosol00foucuoft).
[19] Ebd., S. 395. Dieser Satz findet sich in allen Fassungen der Chronik, die Handschrift L enthält jedoch einen weitaus ausführlicheren Text, der bei Hagenmeyer gemeinsam mit weiteren Berichten zum Ereignis auf S. 831-–837 wiedergegeben ist.
[20] Neben den hier verwendeten, bei Hagenmeyer abgedruckten Versionen Fulchers (S. 831–834), Bartolfs de Nagis (S. 834–836) und Guiberts von Nogent (S. 836 f.) berichten ausführlich: Cafari Annales Ianuenses, hrsg. von Georg Heinrich Pertz (MGH SS 18). Hannover 1863, S. 1–39, S. 12 f. und Ekkehard von Aura, Chronik, hrsg. von Franz-Josef Schmale/Irene Schmale-Ott (Ausgewählte Quellen zur Deutschen Geschichte des Mittelalters 15). Darmstadt 1972, Rec. I, S. 123–209, hier S. 176–178.
[21] Fulcheri Carnotensis Historia (wie Anm. 18), S. 831.
[22] Latour, Eine neue Soziologie (wie Anm. 1), S. 123.
[23] Lars Frers, Zum begrifflichen Instrumentarium – Dinge und Materialität, Praxis und Performativität (http://userpage.fu-berlin.de/frers/begriffe.html).
[24] Die Stabniederlegung nur bei Bartolfs de Nagis, S. 834 f.
[25] Cafari Annales Ianuenses (wie Anm. 20), S. 12: Donec civitas ista sancta in potestate infidelium erat, bonum et equum fuit, ut Deus miracula faciendo, incredulos ad fidem reduceret.
[26] Fulcheri Carnotensis Historia (wie Anm. 18), S. 832.
[27] Bartolf (wie Anm. 18/20), S. 835, ergänzt als einziger Augenzeuge die Armenier, die auch an einer Stelle durch Guibert von Nogent (wie Anm. 18), S. 837, erwähnt werden.
[28] Zum Stellenwert von Klang und Raum vgl. eindrucksvoll ROUXPETEL, Trois récits occidentaux (wie Anm. 9).
[29] So Ekkehard von Aura, Chronik (wie Anm. 20), S. 178, der hier einen Brief des Priesters und Augenzeugen Hermann zitiert. Auch Fulcher (wie Anm. 18/20), S. 833, berichtet, dass zu einem späteren Zeitpunkt zwei Lampen entflammt seien.
[30] Fulcheri Carnotensis Historia (wie Anm. 18), S. 833.
[31] Bartolf (wie Anm. 18/20), S. 836.
[32] Matzke, Daibert von Pisa (wie Anm. 15), S. 184; Kirstein, Die lateinischen Patriarchen (wie Anm. 15), S. 162, beide mit Verweis auf Geneviève Bresc-Bautier, Le cartulaire du Chapitre du Saint-Sépulcre de Jérusalem (Documents relatifs à l’histoire des croisades 15). Paris 1984, Nr. 19, S. 72 ff.
[33] Eindrucksvoll bei Theodericus, Libellus de locis sanctis, hrsg. von Robert B. C. Huygens, in: Peregrinationes tres: Saewulf, John of Würzburg, Theodericus (Corpus Christianorum. Continuatio mediaevalis, 139). Turnhout 1994, S. 143–197, hier S. 152: Hee sunt professiones sive secte que in ecclesia Iherosolimitana divina peragunt officia, scilicet Latini, Suriani, Armenii, Greci, Iacobini, Nubiani. Hii omnes in conversatione quam in divinis ofiiciis suas quisque habet differentias. Das Ringen um die Bündnisstruktur war damit freilich noch nicht zu Ende. Der russische Abt Daniel, der 1107 dem Lichtwunder beiwohnte, berichtet, dass allein die Lampen des orthodoxen Klerus, die direkt auf dem Grab standen sich wie von selbst entzündet hätten, während die Hängelampen der Lateiner nicht am Wundergeschehen teilgehabt hätten. Übers. August Leskien, Die Pilgerfahrt des russischen Abtes Daniel ins heilige Land 1113–1115, in: Zeitschrift des Deutschen Palästina-Vereins 7, 1884, S. 17–64, hier 57–61 (https://archive.org/details/zeitschriftdesde07deut).
[34] Wie Anm. 17.
[35] Der liturgische Ablauf des 12. Jahrhunderts ist wiedergegeben im sog. Rituale von Barletta: Charles Kohler, Un Rituel et un Breviaire du Saint sepulchre de Jerusalem, in: Revue de l’Orient latin 8, 1900/1901, S. 383–500, hier S. 421: Deinde patriarcha regi, si presens fuerit, et ceteris omnibus obtalum ignem déferre vel mittere festinat. Vgl. dazu Iris Shagrir, The Visitatio Sepulchri in the Latin Church of the Holy Sepulchre in Jerusalem, in: Al-Masaq 22,1, 2010, S. 57–77, S. 58 ff. (http://www.openu.ac.il/Personal_sites/iris-shagrir/download/ShagrirAlMasaq.pdf).
[36] Bruno Latour, Über technische Vermittlung: Philosophie, Soziologie und Genealogie, in: Andréa Belliger/David J. Krieger (Hrsg.), ANThology. Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie. Bielefeld 2006, S. 483–528, hier S. 492.
[38] Dietrich Lohrmann, Östliche Mechanik auf dem Weg nach Europa zur Zeit der Kreuzzüge, in: Hans-Jürgen Kotzur (Hrsg.), Die Kreuzzüge: kein Krieg ist heilig. Mainz 2004, S. 286–295, hier S. 288.
[39] Vgl. Hartmann, Arabische Berichte (wie Anm. 14). Derartige Aussagen lassen sich aus Sicht der ANT als ‚Gegenprogramme’ beschreiben: Sie bemühen sich um eine ‚Übersetzung’ des Wundergeschehens, indem sie ein vermutlich rein virtuelles Seil als Mittler in das Setting einzubringen versuchen und so die Zuordnung der Akteure verändern. Gott wird auf diese Weise aus dem Netzwerk ausgeschlossen.
[40] So Matzke, Daibert von Pisa (wie Anm. 15), S. 185.
[41] Callon, Einige Elemente (wie Anm. 11), S. 167.
[42] So der programmatische Titel: Hans Eberhard Meyer (Hrsg.), Die Kreuzfahrerstaaten als multikulturelle Gesellschaft. Einwanderer und Minderheiten im 12. und 13. Jahrhundert (Schriften des Historischen Kollegs 37). München 1997.
[43] „Der Wind weht, wo er will; du hörst sein Brausen, weißt aber nicht, woher er kommt und wohin er geht.“ (Joh. 3,8 nach der Einheitsübersetzung). Dies mag für das Numinose zutreffen, kaum aber für irdische Interaktionen.
[44] Bruno Latour, Gabriel Tarde und das Ende des Sozialen, in: Soziale Welt 52,3, 2001, S. 361–376, hier S. 368.
Empfohlene Zitierweise:
Jan Keupp: Mediävistik auf dem Ameisenpfad, oder: Mit der ANT das Königreich der Himmel stürzen, in: Mittelalter. Interdisziplinäre Forschung und Rezeptionsgeschichte, 04. September 2014, http://mittelalter.hypotheses.org/4237 (ISSN 2197-6120).
Treffen der Bloggenden von de.hypotheses beim ThatCamp und beim Historikertag 2014 #dehypo14
Vom Digitalen zurück ins Analoge – wir drehen den Trend! Wer schon immer mal Lust hatte, Bloggerin und Blogger XY kennen zu lernen, mit Mitgliedern der Redaktion von de.hypotheses einen Kaffee zu trinken oder das Community Management zu befragen, wie man das mit dem verdammten Einbinden des Autorenbilds hinkriegt: Bald ist dazu DIE Gelegenheit!
Denn wie hier im Blog bereits angekündigt, findet am 22./23.9.2014 in Göttingen ein ThatCamp und vom 23.-26.9.2014 der 50. Deutsche Historikertag statt. Im Rahmen des ThatCamps werden wir von de.hypotheses eine Sektion zum Wissenschaftsbloggen anbieten und freuen uns über Mitstreiter/innen aus der Community. Mit dabei sind von unserer Seite Klaus Graf, Tobias Wulf, Charlotte Jahnz, Lisa Bolz und Sascha Foerster. Bei Interesse einfach hier im Blog, per Twitter oder vor Ort melden.
Außerdem planen wir eine Sektion zu „Open History“ im ThatCamp, im Rahmen des FOSTER Programms. Der Call zur Teilnahme findet sich im Blog Digital Humanities am DHIP.
Sowohl ThatCamp als auch Historikertag sind eine gute Gelegenheit, die immer größer werdende de.hypotheses-Community kennenzulernen, sich zu vernetzen, Gastautoren zu gewinnen sowie Fragen und Anregungen an das Community Management loszuwerden.
Wir schlagen ein erstes Treffen vor, am Dienstagnachmittag, den 23.9.2014, gegen 16h00 im Anschluss an das ThatCamp und vor der Eröffnungsveranstaltung des Historikertags. Außerdem können wir vor Ort weitere, auch individuelle Treffen vereinbaren. Die Max Weber Stiftung ist mit einem Stand auf dem Historikertag vertreten, wo immer jemand ansprechbar ist. Als Hashtag für die Treffen während des Historikertags bitte #dehypo14 verwenden.
Abbildung: ‘Empty chairs 5‘ von Bjørn Giesenbauer, CC-BY-SA 2.0.
Audiovision(s)! “TV makes History“
English
It is a well-known fact that from the second half of the 20th century mass media have been influencing our perception of past and present. However, what consequences does this manipulative capacity of the media have for the construction of teaching material? In fact, audiovisual sources have turned into an economic good of media society. This means that history teaching at school often sticks to textbooks and worksheets whereas public service broadcasters are able to present fascinating multimedia history portals.
Watching and experiencing history
Audiovisual storytelling on TV makes use of various means of interacting with (historical) reality by utilizing different modes of cinematic narration. For example, the TV station “Mitteldeutscher Rundfunk” made the “Battle of Leipzig” (1813) come alive in 2013 with the help of ticker and live broadcast.[1] The “ARD”, on the other hand, released a brilliant docudrama on the First World War this year, depicting transnational war experiences from various perspectives on the basis of diary entries and private letters in “14 Tagebücher des Ersten Weltkriegs”[2]. It is neither the completely new production nor the reconstruction of history on TV but the televisual repetition of the experienced past which characterizes the Approach of TV stations to contemporary history. They compile pictures of historical news reports drawn from their own archives to create collective albums of memory[3] and thereby satisfy the audience’s desire for a memory influenced, sometimes even created by TV.[4] In the digital age, prime time documentaries are not only shown once just to vanish in the stations’ archives ever after. Instead, they remain publicly available in the medium term. Thus, TV stations present themselves at once as audiovisual archives and as producers of multimedia history textbooks when they offer texts with historical background information, personal documents, interviews with contemporary witnesses and making-of videos of their documentaries on the Internet. It goes without saying that these portals are produced within the conventions of topic selection and the mode of presentation of the mass media. However, a change in trend can be perceived. The “WDR” has just started to archive the audiovisual heritage of its audience – not least hoping to get its hands on new pictures for the station’s use. One can watch the growth of this so-called “archive of the analog everyday life” online and thereby observe its representation of audiovisual components of everyday and cultural history and of a history of mentality beyond the usual mass media conventions.[5]
Euphoria – towards a multimedia learning environment
Along with this trend towards visualization and medialization, the ways history is archived, represented, and taught probably change as well. Therefore, the effects of this trend on the production of teaching material and on teaching and learning history in general should be discussed. At first glance, euphoric reactions seem more appropriate than a scholarly disapproval of a new media trend. Gone are the days when teachers had to compensate the lack of audiovisual sources in the history classroom with the help of self-made recordings of TV programs. Instead, an inexhaustible reservoir of historical sources is at hand on the Internet and seems to mark the starting point towards the creation of multimedia learning environments as envisioned by Waldemar Grosch and others.[6] However, these audiovisual sources often fulfill merely illustrating functions, thereby blurring the boundaries between historical past and history constructed by the media. An analytical approach towards these media histories is therefore hard to achieve and an eclectic usage of the film material might be promoted. Surprisingly, didactically well-planned learning portals, which invite the user to make an interactive analysis and interpretation of these audiovisual narrations, are almost inexistent…[7]
Disillusion – the hardships of producing multimedia learning environments
There are various (audio)visions for the creation of multimedia learning portals, which praise the inexhaustible opportunities of the Internet for research, learning, and presentation on historical topics. Theoretical approaches are available as well: historic(al) pictures can be analyzed through the eyes of “Visual History”,[8] and media history can be reconstructed with the help of pictures of historical news reports. It is also quite easy to imagine strategies of film analysis when sitting in front of the TV: deconstructing film narratives by adding new sound-tracks to the film; producing new interpretations of history with the help of drag and drop of film clips – with a certain amount of time and knowhow at hand, virtually everything seems to be possible. From a legal and a financial point of view, however, the possibilities are limited dramatically. At least, these are the experiences one has to make when trying to produce a multimedia learning environment.[9] What is didactically desirable and technically feasible is in fact put into strict boundaries by copyright law. Thus, the value of a film source is determined by the TV stations or the production companies. The temporarily limited usage rights for a DVD still seem to be affordable, but for an Internet application prices already reduplicate. Copyright law does not allow for didactically changing a film source by adding a new sound-track or new film clips to the original material. As a consequence, the medialization of public history turns into a didactic problem and audiovisual sources become a highly competitive resource within media society.
Hidden paths towards multimedia learning environments
Thus, despite these sea changes in the media landscape, learning about contemporary history is still dominated by written sources and worksheets. Nevertheless, there are some hidden paths to avoid the predicaments of multimedia learning environments. For example, the “Geschichtslehrerverband” (Germany’s national association of history teachers) supports the TV station “ZDF” with the preparation of its history documentaries for school usage by developing worksheets for the station’s media portal. Another approach is to navigate through various media libraries via WebQuest. Secretly, one can encourage teachers to move within legal grey areas and motivate their students to use their media skills for the creation of new historical film material with the help of remixes. In everyday School life, however, these efforts are met with a limited amount of time available for history teachers as for history lessons in general. There hardly seems to be an alternative to going to law for the free usage of the audiovisual heritage for the purpose of teaching and learning history at school. Otherwise, Christoph Classen’s dystopia of a “contemporary history without picture and sound”[10] seems to turn into reality not only for the science of history but also for the history classroom.
References
- Leif Kramp, Gedächtnismaschine Fernsehen. 2 vols. Berlin 2011.
- Saskia Handro, “Fernsehen. Plädoyer für die Neuentdeckung einer Institution der Geschichtskultur,” in Michele Barricelli, Axel Becker, and Christian Heuer (eds.), Jede Gegenwart hat ihre Gründe. Geschichtsbewusstsein, historische Lebenswelt und Zukunftserwartung im frühen 21. Jahrhundert: Festschrift für Hans-Jürgen Pandel (Schwalbach/Ts: 2011), pp. 88–105.
External Links
- http://www.mdr.de/damals/eure-geschichte/index.html (last accessed 18.08.2014).
- http://momente.zdf.de/#/videos/all/timeline (last accessed 18.08.2014).
- Christoph Classen, Thomas Großmann, and Leif Kramp, “Zeitgeschichte ohne Bild und Ton? Probleme der Rundfunk-Überlieferung und die Initiative ‘Audiovisuelles Erbe,’” Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Edition, 8 (2011), No. 1. http://www.zeithistorische-forschungen.de/16126041-Classen-Grossmann-Kramp-1-2011 (last accessed 18.08.2014).
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[1] See “Völkerschlacht erleben. Geschichte live im MDR,” http://www.mdr.de/voelkerschlacht/index.html (last accessed 18.08.2014).
[2] “14. Tagebücher des Ersten Weltkriegs,” http://www.14-tagebuecher.de/ (last accessed 18.08.2014).
[3] See, among others, “Momente der Geschichte,” http://momente.zdf.de/#/videos/all/timeline (last accessed 18.08.2014).
[4] See Thomas Lindenberger, “Vergangenes Hören und Sehen. Zeitgeschichte und ihre Herausforderung durch die audiovisuellen Medien,” Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Edition, 1 (2004), No.1, http://www.zeithistorische-forschungen.de/16126041-Lindenberger-1-2004 (last accessed 18.08.2014).
[5]“Digit. Archiv des analogen Alltags,” http://digit.wdr.de/ (last accessed 18.08.2014).
[6] See Waldemar Grosch, “Das Schulbuch der Zukunft,” in Hans-Jürgen Pandel and Gerhard Schneider (eds.), Wie weiter? Zur Zukunft des Geschichtsunterrichts (Schwalbach/Ts: 2001), pp. 136–155.
[7] The best-known example is a project of the “MDR” and the “Geschichtslehrerverband” called “Damals im Osten. Eure Geschichte,“ http://www.mdr.de/damals/eure-geschichte/index.html(last accessed 18.08.2014).
[8] See, among others, Gerhard Paul, “Visual History und Geschichtsdidaktik. Grundsätzliche Überlegungen,” in Markus Bernhardt (ed.), Visual History (= Zeitschrift für Geschichtsdidaktik 12/2013), pp. 9–26; Ibid.., “Visual History, Version: 2.0,” http://docupedia.de/zg/Visual_History_Version_2.0_Gerhard_Paul?oldid=88772 (last accessed 18.08.2014).
[9] Here I refer to my own experiences with the production of the multimedia learning environment “Fernsehen macht Geschichte. 60XDeutschland. Die Jahresschau” (available August 2014) in cooperation with the “Bundeszentrale für politische Bildung” and the “Rundfunk Berlin Brandenburg.” Further information online: http://werkstatt.bpb.de/2013/07/ausprobiert-60x-deutschland/ (last accessed 18.08.2014).
[10] Christoph Classen, Thomas Großmann, and Leif Kramp, “Zeitgeschichte ohne Bild und Ton? Probleme der Rundfunk-Überlieferung und die Initiative ‘Audiovisuelles Erbe,’” Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Edition, 8 (2011), No. 1. http://www.zeithistorische-forschungen.de/16126041-Classen-Grossmann-Kramp-1-2011 (last accessed 18.08.2014).
Image credits
© Saskia Handro, 2014.
Recommended citation
Handro, Saskia: Audiovision(s)! „TV makes History“. In: Public History Weekly 2 (2014) 29, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2014-2437.
Copyright (c) 2014 by De Gruyter Oldenbourg and the author, all rights reserved. This work may be copied and redistributed for non-commercial, educational purposes, if permission is granted by the author and usage right holders. For permission please contact: julia.schreiner (at) degruyter.com.
Deutsch
Dass Massenmedien seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit ihren Bewegtbildern Wahrnehmungen von Gegenwart und Deutungen von Vergangenheit beeinflussen, ist nicht neu. Doch welche Konsequenzen hat die vielbeschworene „Medien-Macht“ für die Konstruktion von Lehr- und Lernmitteln? Audiovisuelle Quellen werden in der Mediengesellschaft zur ökonomischen Ressource. Daher bleibt der Geschichtsunterricht dem Schulbuch und Arbeitsblatt verbunden, während öffentlich-rechtliche Fernsehsender mit multimedialen Geschichtsportalen begeistern.
Mitsehen und Miterleben
Audiovisuelles Erzählen im Fernsehformat ist ein Spiel mit dem Authentischen, bei dem technische Möglichkeiten und vielfältige Modi filmischen Erzählens erprobt werden. So holte der MDR mit Live-Berichterstattung und Live-Ticker anno 2013 die Leipziger Völkerschlacht ins Wohnzimmer.[1] Mit dem achtteiligen Dokudrama „14 Tagebücher des Ersten Weltkriegs“ brillierte die ARD-Sendegruppe im polyperspektivischen Erzählen und vergegenwärtigte auf der Basis von Tagebüchern und Briefen eine transnationale Erfahrungsgeschichte des 1. Weltkrieges.[2] Nicht Neudreh, nicht televisuelle Rekonstruktion von Geschichte, sondern das Ritual televisueller Wiederholung „erlebter“ Vergangenheit kennzeichnet den Umgang mit der jüngeren Zeitgeschichte. So kompilieren Sender historische Nachrichtenbilder aus ihren Senderarchiven zu kollektiven Erinnerungsalben[3] und befriedigen durch permanente Reproduktion des medialen Blicks die televisuell geprägten Erinnerungsbedürfnisse der Zuschauer.[4] Im digitalen Zeitalter werden Prime-Time-Dokumentationen nicht nur einmalig ausgestrahlt und verschwinden dann in den Senderarchiven. Sie sind in den Mediatheken mittelfristig verfügbar. Hier profilieren sich die Sender gleichrangig als audiovisuelle Archive und Produzenten multimedialer Geschichtsbücher: mit historischen Infotexten, Ego-Dokumenten, Zeitzeugeninterviews sowie Links zum Making-Of der Dokumentationen. Diese Portale folgen natürlich massenmedialen Selektionskriterien und Darstellungsstrategien. Derzeit zeichnet sich aber auch eine Trendwende ab. Nicht zuletzt auf der Suche nach neuen Bildern beginnt der WDR das audiovisuelle Erbe seiner Zuschauer zu archivieren. Die Entstehung des „Archivs des analogen Alltags“ kann online verfolgt werden und es repräsentiert audiovisuelle Bausteine einer Alltags-, Kultur- und Mentalitätsgeschichte jenseits medialer Aufmerksamkeitsstrukturen.[5]
Euphorie oder der Aufbruch in multimediale Lernwelten
Mit dem skizzierten Trend zur Visualisierung und Medialisierung ändern sich möglicherweise die Strukturen der Archivierung, Repräsentation und Vermittlung von Geschichte. Die Konsequenzen dieser Entwicklung für historisches Lernen und vor allem für die Konzeption historischer Lehr- und Lernmittel sollten daher diskutiert werden. Klassische Medienschelte ist nicht angebracht. Zunächst scheint Euphorie angemessen. Vorbei die Zeiten, in denen man mit Videomitschnitten den Mangel an audiovisuellen Quellen im Geschichtsunterricht kompensierte. Bilder bewegter Vergangenheit sind nur noch einen Mausklick weit entfernt. Ein unerschöpfliches Reservoir audiovisueller Quellen und Darstellungen steht online zur Verfügung und verheißt den u. a. von Waldemar Grosch schon mehrfach angemahnten Aufbruch in multimediale Lernwelten.[6] Doch häufig kommt diesen audiovisuellen Quellen oder Darstellungen eine Illustrationsfunktion zu, die den Eindruck authentischer Geschichte verstärkt. Ein kritischer Umgang mit den repräsentierten Mediengeschichten wird so erschwert bzw. ein eklektischer Umgang mit Filmquellen gefördert. Didaktisch strukturierte Lernportale, die eine interaktive Analyse und Interpretation audiovisueller Narrationen ermöglichen, sind dagegen rar.[7]
Ernüchterung oder die Mühen der Ebene
(Audio)Visionen zur Umsetzung multimedialer Lernportale gibt es viele. Sie weisen ins Internet und schwärmen von unbegrenzten Recherche-, Lern- und Präsentationsmöglichkeiten. Es fehlt auch nicht an theoretischem Rüstzeug: Geschichts-Bildern kann man mit den Analyseinstrumenten der Visual History[8] begegnen; Mediengeschichte entlang historischer Nachrichtenbilder rekonstruieren. Und es ist nicht schwer, bereits auf der Fernsehcouch interaktive Strategien der Filmanalyse zu denken; die Wirkung filmischer Narrationen wird durch neue Tonspuren entzaubert. Mit Drag & Drop von Filmausschnitten lässt sich die Produktion von Geschichte am Schneidetisch reinszenieren. Sicher, die Umsetzung theoretischer Audiovisionen erfordert Zeit und Knowhow. Technisch ist alles möglich, doch rechtlich und finanziell wenig. Dies sind Erfahrungen, die man bei der Konstruktion multimedialer Lernumgebungen sammeln kann.[9] Dem didaktisch Wünschenswerten und technisch Möglichen setzt das Urheberrecht enge Grenzen. Den Wert der Filmquelle als Ware bestimmen die Produktionsfirmen. Die zeitlich begrenzten Nutzungsrechte für eine DVD sind vielleicht bezahlbar. Bei einer Internetanwendung verdoppeln sich die Kosten. Eine Didaktisierung der Filmquellen durch neue Tonspuren oder andere Filmausschnitte wird durch das Urheberrecht unmöglich. Daher werden die Medialisierung der Geschichtskultur zu einem didaktischen Problem und audiovisuelle Quellen zu einer umkämpften ökonomischen Ressource der Mediengesellschaft.
Schleichwege in multimediale Lernwelten
Allen Medienumbrüchen zum Trotz bleibt so gerade zeithistorisches Lernen der Textquelle und dem Arbeitsblatt treu. Natürlich gibt es Schleichwege aus dem Dilemma. Der Geschichtslehrerverband engagiert sich insbesondere bei großen Produktionen der ZDF-Geschichtsredaktion und nutzt die Chance der Post-Didaktisierung von Medienportalen durch Arbeitsblätter. Andere navigieren per WebQuest durch die Mediatheken der Sender. Hinter vorgehaltener Hand kann man zum Unterricht in rechtlichen Grauzonen aufrufen und die Generation Remix zu einem produktiven Umgang mit filmischen Quellen und Darstellungen ermutigen. Doch in der Praxis stößt man zwangsläufig an begrenzte zeitliche Ressourcen des Geschichtsunterrichts und der Lehrpersonen. Langfristig scheint daher ein Weg durch die Instanzen unumgänglich, um einen freien Zugang zum audiovisuellen Erbe für Lehr- und Lernzwecke zu erstreiten. Ansonsten beschreibt die Dystopie einer „Zeitgeschichte ohne Bild und Ton“[10], die Christoph Classen u. a. für das Feld der historischen Forschung entworfen hat, die Zukunft des Geschichtsunterrichts.
Literatur
- Kramp, Leif: Gedächtnismaschine Fernsehen. 2 Bde. Berlin 2011.
- Handro, Saskia: Fernsehen. Plädoyer für die Neuentdeckung einer Institution der Geschichtskultur. In: Barricelli, Michele / Becker, Axel / Heuer, Christian (Hrsg.): Jede Gegenwart hat ihre Gründe. Geschichtsbewusstsein, historische Lebenswelt und Zukunftserwartung im frühen 21. Jahrhundert. Festschrift für Hans-Jürgen Pandel. Schwalbach/Ts. 2011, S. 88-105.
Externe Links
- http://www.mdr.de/damals/eure-geschichte/index.html (zuletzt am 18.08.2014).
- http://momente.zdf.de/#/videos/all/timeline (zuletzt am 18.08.2014).
- Christoph Classen / Thomas Großmann / Leif Kramp: Zeitgeschichte ohne Bild und Ton? Probleme der Rundfunk-Überlieferung und die Initiative “Audiovisuelles Erbe”. In: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 8 (2011), H. 1. http://www.zeithistorische-forschungen.de/16126041-Classen-Grossmann-Kramp-1-2011 (zuletzt am 18.08.2014).
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1 Vgl. Völkerschlacht erleben. Geschichte live im MDR. http://www.mdr.de/voelkerschlacht/index.html (zuletzt am 18.08.2014).
2 14. Tagebücher des Ersten Weltkriegs. http://www.14-tagebuecher.de/ (zuletzt am 18.08.2014).
3 Vgl. u.a. Momente der Geschichte. http://momente.zdf.de/#/videos/all/timeline (zuletzt am 18.08.2014).
4 Vgl. Lindenberger, Thomas: Vergangenes Hören und Sehen. Zeitgeschichte und ihre Herausforderung durch die audiovisuellen Medien. In: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 1 (2004), H. 1, http://www.zeithistorische-forschungen.de/16126041-Lindenberger-1-2004 (zuletzt am 18.08.2014).
5 Digit. Archiv des analogen Alltags. http://digit.wdr.de/ (zuletzt am 18.08.2014).
6 Vgl. Grosch, Waldemar: Das Schulbuch der Zukunft. In: Pandel, Hans-Jürgen / Schneider, Gerhard (Hrsg.): Wie weiter? Zur Zukunft des Geschichtsunterrichts. Schwalbach/Ts. 2001, S. 136-155.
7 Am bekanntesten ist das 2010 veröffentlichte Kooperationsprojekt zwischen MDR und Geschichtslehrerverband „Damals im Osten. Eure Geschichte“. http://www.mdr.de/damals/eure-geschichte/index.html (zuletzt am 18.08.2014).
8 Vgl. u. a. Paul, Gerhard: Visual History und Geschichtsdidaktik. Grundsätzliche Überlegungen. In: Bernhardt, Markus (Hrsg.): Visual history. (Zeitschrift für Geschichtsdidaktik 12/2013), S. 9-26; Ders.: Visual History, Version: 2.0. http://docupedia.de/zg/Visual_History_Version_2.0_Gerhard_Paul?oldid=88772 (zuletzt am 18.08.2014).
9 Hier beziehe ich mich auf Erfahrungen bei der Konzeption und Entwicklung der multimedialen Lernumgebung “Fernsehen macht Geschichte. 60XDeutschland. Die Jahresschau” (erscheint August 2014) in Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung und dem Rundfunk Berlin Brandenburg. Vorankündigung abzurufen unter: http://werkstatt.bpb.de/2013/07/ausprobiert-60x-deutschland/ (zuletzt am 18.08.2014).
10 Classen, Christoph / Großmann, Thomas / Kramp, Leif: Zeitgeschichte ohne Bild und Ton? Probleme der Rundfunk-Überlieferung und die Initiative „Audiovisuelles Erbe“, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 8 (2011), H. 1. http://www.zeithistorische-forschungen.de/16126041-Classen-Grossmann-Kramp-1-2011 (zuletzt am 18.08.2014).
Abbildungsnachweis
© Saskia Handro, 2014.
Empfohlene Zitierweise
Handro, Saskia: Audiovision(s)! „TV makes History“. In: Public History Weekly 2 (2014) 29, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2014-2437.
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Wie ARTigo-Spieler Farbe taggen: Eine abstrakte Betrachtung der Farbtags
12,5% der Begriffe, die die ARTigo-Spieler taggen, sind Adjektive. Davon sind die meisten Farbtags. In ARTigo haben wir also seeehr viele Farbtags. Da die Tags letztlich der Suche nach Bildern dienen sollen, fragt man sich, was man mit soviel Farbbegriffen machen soll. Zur Verbesserung der Suche scheinen sie zunächst nicht besonders wertvoll. Aber man muss mit dem leben was man hat und deshalb gehe ich diesen Farbtags auf den Grund. Ein paar Erklärungen zur Grundlage dieser Analysen hatte ich bereits hier gegeben.
Wichtig zu erwähnen ist, dass die Farbtags immer auf den Wahrnehmungen der Spieler basieren. Wenn also die Bilder eines Künstlers besonders viele Rot-Tags haben, heißt das zunächst nur, dass die roten Farbbereiche von den Spielern als solche wahrgenommen und getaggt werden.
Ich habe die Farbtags von verschiedenen Künstlern extrahiert und in den folgenden Grafiken dargestellt. Auf der y-Achse ist der prozentuale Anteil der Farbtags von der Gesamtzahl der Tags eines Künstlers aufgetragen. Den Berechnungen liegen nur farbige Abbildungen der jeweiligen Künstler zugrunde. Durch Klicken können Sie die Grafiken vergrößern.
Bei den Farbtags der Bilder von Cézanne kann man eine doch relativ ausgewogene Verteilung von Farbtags feststellen. Die Mengenunterschiede der einzelnen Farbtags sind hier nicht so groß, wie bei den folgenden Künstlern.
Der Anteil der Blau-Tags bei den Bildern von Claude Monet beträgt etwa 20%. Auffällig ist, dass die Werte für die Schwarz- und Weiß-Tags – die zu den Top 10 Tags in der ARTigo-Datenbank gehören – hier doch sehr unterschiedlich stark vorhanden sind. Natürlich taggen die Spieler auch deshalb Farbe, weil sie dafür Punkte bekommen. Und das sind leichte Punkte. Für diese Analysen ist das aber kein Gegenargument sondern ein erfreulicher Umstand, denn ich gehe davon aus, dass die Spieler das taggen, was sie sehen. Dass sie also „rot“ taggen, wenn sie auch mindestens eine rote Farbfläche in dem Bild sehen.
Die folgende Grafik zeigt die Farbtags der Bilder von Édouard Manet, dem bewunderten Freund Monets. Die Anzahl der Farbtags bei Manet sind insgesamt ausgewogener, zumindest in Bezug auf Rot, Blau, Grün und Braun. Auch erhielten – wie bei Monet – die Bilder Manets mehr Weiß- als Schwarz-Tags, allerdings ist die Differenz zwischen beiden Farben nicht so stark ausgeprägt.
Auch bei Alfred Sisley lässt sich eine Häufung von Blau-Tags, ähnlich wie bei Claude Monet beobachten.Hier ist aber der Anteil der Braun- und Grün-Tags im Gegensatz zu Monet höher.
Bei Paul Signac wurden vorwiegend die Farben Blau, Gelb und Rot getaggt:
Verwunderlich ist nicht, dass seine pointillistischen Werke als am buntesten wahrgenommen wurden. „Bunt“ ist keine Farbe, die als solche im Bild vorhanden ist. Hier handelt es sich um einen Eindruck, den die Bilder auf die Spieler gemacht haben.
Die Bilder von Franz Marc, Vertreter des Expressionismus, wurden mit 6% Bunt-Tags versehen. Auch nicht verwunderlich ist, dass die Bilder Édouard Manets mit nur 1% als am wenigsten bunt wahrgenommen wurden.
Den weiteren Grafiken liegen noch einmal dieselben Daten zugrunde. Was hier gezeigt wird ist wieder der prozentuale Anteil der entsprechenden Farbtags am Gesamtwerk eines Künstlers, wobei hier mehrere Künstler hinsichtlich einer Farbe miteinander verglichen werden. Achten Sie bitte darauf, dass die Skalierung bei den folgenden Grafiken auf der y-Achse jeweils verschieden ist.
Bei dieser Art der Darstellung wird besser deutlich, dass Manet, dessen Bilder die wenigsten Bunt-Tags erhielten, bei den dunklen Farben wie Schwarz, Grau und Violett weit vorne liegen. Das ist durchaus schlüssig.
Worauf deuten viele gleiche Farbtags hin?
Es kann durchaus sein, dass in Bildern mit z.B. vielen Rot-Tags die rote Farbe vorherrscht. Genauso kann es aber sein, dass die Farbe salient ist, d.h. sie wurde so auffällig eingesetzt, dass sie den Spielern ins Auge springt. Und das kann auch eine kleine Farbfläche sein. Im Anschluss würde ich gerne die farbigen Pixel der Bilder zählen und mit den Wahrnehmungen der Spieler vergleichen. Folgende Fragen könnten vielleicht beantwortet werden: Wie ist das Verhältnis zwischen tatsächlicher Farbfläche auf den Bildern und der wahrgenommenen Farbe? Bei welchen Farben und Künstlern gibt es eine große, bei welchen eine kleine Differenz? Welches Ergebnis bringt ein Vergleich dieser Differenzen zwischen verschiedenen Malern? Die Betrachtungen kann man auch auf eine Epoche beziehen. Ziel wäre es, bei verschiedenen Stilen von Künstlern oder Epochen die Verwendung von Farbe in einer bestimmten Art und Weise als charakteristischen Bestandteil zu bestimmen, um so etwas wie ein Farbprofil eines Künstlers oder einer Epoche erstellen zu können. Das Ergebnis würde auf den Wahrnehmungen von vielen Spielern – also Menschen, die Kunstwerke betrachten, beruhen.
Bildquelle:
Lovis Corinth: Selbstporträt im Atelier, Bayerische Staatsgemäldesammlung, 1914
Quelle: http://games.hypotheses.org/1718
Linkdossier 2: „Im Gedenkjahr nichts Neues?“ Der Erste Weltkrieg und die Zukunft Europas
Aus der Vielzahl der Beiträge zum Gedenkjahr haben wir hier erneut eine Auswahl getroffen um Ihnen einige Denkanstöße für unsere Veranstalltung “Im Gedenkjahr nichts Neues?” Der Erste Weltkrieg und die Zukunft Europas zu geben.
All Quiet on the French Front: France Remembers World War I
Sylvie Kauffmann, Chefredakteurin und Kollumnistin der Le Monde, vergleicht in ihrem Kommentar in der New York Times das Erinnerungsjahr in Frankreich, Deutschand und Großbritannien:
What is more perplexing is that, for a country so prompt to disagree on almost everything, the surge of interest in the war hasn’t set off any new debate. Even the historians agree: This is a very consensual centennial. We don’t feel like looking beyond our attics and official databanks. While our German and British neighbors have been passionately debating theories about the origins of the war or its utility, all is quiet on the French front.
Erster Weltkrieg: Anderes Land, anderer Krieg
Auch in diesem Artikel der Zeit wird die Erinnerung an den Krieg aus transregionaler Perspektive erläutert und dabei Bezug auf die heutige gesellschaftliche und politische Situation genommen: In Frankreich beschweren sich Rechtsextreme, dass die Gegner des Algerienkrieges bei der Militärparade am Nationalfeiertag teilnehmen, in Algerien fordert man derweil eine Entschuldigung für die Verbrechen der Kolonialzeit. Für Indien spielt der Krieg eine vollkommen andere Rolle und wird oft als erster Schritt in Richtung Unabhängigkeit von den Briten gesehen – diese wiederum inszenieren die Kriegserinnerung möglichst emotional und gerne auch in der Popkultur.
Der Erste Weltkrieg in bewegten Bildern
In Zusammenarbeit mit dem Guardian präsentiert die Süddeutsche Zeitung eine interaktive Grafik mit Filmmaterial aus dem Ersten Weltkrieg. Historiker aus mehreren Ländern geben dabei Analysen und Hintergrundinformationen zu dem Kriegsgeschehen. Die Beiträge sind in englischer Sprache mit deutschen Untertiteln.
1914: What Historians Don’t Know about the Causes of the First World War
Hören Sie sich hier die Aufzeichnung der Diskussion “1914: What Historians Don’t Know about the Causes of the First World War” vom 18. Juni an. Im DHI London diskutieren Margaret MacMillan, Annika Mombauer, Sönke Neitzel und John Röhl unter der Leitung von Mark Hewitson über den Grund des Kriegsausbruchs. Obwohl Andreas Gestrich, Direktor des DHIs, treffend feststellt, dass “jeden Tag ein Buch über den Ersten Weltkrieg erscheint und wahrscheinlich jede Sekunde eine Veranstaltung stattfindet – zumindest in London” geht die Meinung der Historiker bezüglich der Gründe des Krieges, und somit auch der Schuldfrage, stark auseinander.
Quelle: http://gid.hypotheses.org/1129
Tipp: Schlager von 1914 oder Hip-Hop von 2014?
Was auf den ersten Blick aussieht wie zwei Musikrichtungen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, ist gar nicht so leicht auseinander zu halten. Könnte nicht folgender Text aus einem Berliner Lied aus dem 19. Jahrhundert auch von Rapper Bushido sein?
Mutter, der Mann mit dem Koks ist da.
Junge, halts Maul, ich weiß es ja
Hab ich denn Geld? Hast du denn Geld?
Wer hat denn den Mann mit dem Koks bestellt?
Machen Sie selbst den Test: Wie gut können Sie Songtexte der Gassenhauer von 1914 von kontemporärem deutschen Hip-Hop unterscheiden?
Quelle: http://wwc.hypotheses.org/397