Neuerscheinung: Linn Holmberg, „The Forgotten Encyclopedia“

Sie gilt als Leitmedium, manchen sogar als Inbegriff des Denkens der „Aufklärung“: die von Denis Diderot und Jean Le Rond d’Alembert herausgegebene Encyclopédie von 1751–1772. Sie hat auch als eines der am besten erforschten Nachschlagewerke aller Zeiten zu gelten, über das etliche ganze Bücher veröffentlicht worden sind und das heute auch (gleich mehrfach) als suchbare Online-Version aufbereitet wird.

Weitestgehend unbekannt ist dagegen geblieben, dass nahezu zeitgleich mit dem Beginn der Encyclopédie in der französischen Benediktinerkongregation von Saint-Maur ein Werk ähnlichen Zuschnitts, ein Lexikon der Künste und Wissenschaften, unter der Leitung von Dom Antoine-Joseph Pernety in Angriff genommen wurde. Die Mauriner hatten seit dem späten 17. Jahrhundert eine angesehene Stellung in der Gelehrtenwelt erlangt, die vor allem auf ihrer Fähigkeit beruhte, eine Reihe von historisch-philologischen Großprojekten zu betreiben und teilweise auch zum erfolgreichen Abschluss zu bringen: Editionen der Werke der Kirchenväter, eine monumentale Ordensgeschichte, im 18. Jahrhundert aber auch zunehmend Arbeiten von nicht primär kirchlichem Interesse wie quellengesättigte Geschichten französischer Provinzen oder Bernard de Montfaucons Antiquité expliquée, ein antiquarisches Grundlagen- und zugleich Prachtwerk, das große Verkaufserfolge erzielt hatte.

Als Versuch, diese Stellung inmitten einer sich wandelnden öffentlichen Diskussion und Nachfrage nach Wissen zu wahren, ist wohl das benediktinische Enzyklopädieprojekt zu werten, das freilich im Sand verlief: Nach zehnjähriger Arbeit wurden die umfangreichen Materialsammlungen beiseite gelegt, die Arbeit an den Manuskripten abgebrochen, und das Vorhaben fiel der Vergessenheit anheim. Selbst in Darstellungen der maurinischen Gelehrsamkeit kommt es kaum zur Sprache. Dies ändert sich nun durch die an der Universität Umeå abgeschlossene Dissertation von Linn Holmberg mit dem Titel „The Forgotten Encyclopedia“, die seit kurzem als eBook frei zugänglich ist.

Quelle: http://ordensgeschichte.hypotheses.org/7704

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„The questions google can’t answer“ – Perspektiven zur Forschung in Museen

Tagungsbericht von Katharina Hoins (SKD) und Felicitas von Mallinckrodt (TUD)

Tagung “Die Zukunft der Forschung in Museen”
VolkswagenStiftung, Hannover
11. - 12.06.2014

Zuerst erschienen bei H-ArtHist

Über die Zukunft der Forschung in Museen zu debattieren, dazu hatte die VolkswagenStiftung aufgerufen und eine illustre Runde an Referenten und Teilnehmern für zwei Tage in das Tagungszentrum Schloss Herrenhausen in Hannover eingeladen. Wilhelm Krull eröffnete als Generalsekretär der VolkswagenStiftung die Tagung und erläuterte ihren Anlass: Seit 2008 fördert die Stiftung im Rahmen ihres Programms Forschung in Museen, bisher sind 46 Projekte mit einem Gesamtvolumen von 15 Millionen Euro unterstützt worden. Nachdem die Initiative unter der Leitung des Generaldirektors der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen München, Klaus Schrenk, jüngst positiv evaluiert worden ist und die Stiftung das Programm leicht modifiziert mit zwei Ausschreibungen auch in 2014 und 2015 fortsetzt, bot die Tagung Gelegenheit zu Bilanz und Ausblick. Einen zentralen Aspekt, der in der Diskussion und in den Beiträgen immer wieder anklang, formulierte Krull gleich in seiner Begrüßung: Das Alleinstellungsmerkmal der Museen gegenüber Universitäten und Hochschulen sei ihr Kontakt zu den Besuchern über das Medium der Ausstellung, mithin die Vermittlung und Kommunikation von Forschung an ein größeres Publikum. Dieser Aspekt sei in der sammlungsbezogenen Forschung an Museen untrennbar mitzudenken, gleichzeitig sei Ausstellen ohne Forschung nicht möglich. Was bedeutet das für das Verständnis und die Definition von Forschung, was umfasst sie? Welche Schlussfolgerungen ziehen die Museen daraus für ihr Selbstverständnis als forschende Einrichtungen? Und wie kann daraus ein produktiver Dialog zwischen Forschung an den Universitäten und an den Museen entstehen? Wie reagieren die öffentliche Hand und die wissenschaftsfördernden Einrichtungen von BMBF über DFG bis zu den Stiftungen darauf? Verändern sich hier bisher vorrangig an universitärer Forschung orientierte Förderprogramme und -kriterien?

Klare Prioritäten zu setzen, Forschung als Kernaufgabe zu begreifen und manche Aufgabe etwa im „Edutainment“ getrost den Privaten zu überlassen, schlug Bremens Kulturstaatsrätin Carmen Emigholz in einem ersten Kurzstatement vor. Forschungsdesiderate aus den Sammlungen heraus zu identifizieren und gerade auch an kleineren Häusern in Forschungskonzeptionen zu formulieren, so dass sie auch für externe Wissenschaftler sicht- und bearbeitbar werden, sei dabei eine wichtige Strategie, ergänzte Annette Schwandner vom Ministerium für Wissenschaft und Kultur Niedersachsen. Explizit erläuterte dann Goslars Oberbürgermeister Oliver Junk noch einmal die schwierige finanzielle Situation und den Rechtfertigungsdruck, unter dem die Kulturpolitik stehe. Besucherzahlen könnten aber nicht der alleinige Gradmesser sein für die Qualität und den Erfolg von Kultur („Goslar ist Welterbe, kein Disney-Land“).

Dennoch: Die sagenhafte Zahl von rund 5,5 Millionen Besuchern der Londoner Tate Modern lässt auch Direktor Chris Dercon nicht unbeeindruckt. Statt der umfangreichen Forschungen der Tate zu ihren Beständen moderner und zeitgenössischer Kunst stellte Dercon in Hannover vor, was sein Haus in der Besucherforschung (audience research) unternimmt – nicht als Marketinginstrument, sondern als eine Art Leitdisziplin in der strategischen Gesamtausrichtung des Museums. Die wichtigsten Ergebnisse der Forschungen der Tate: Ihre Besucher kommen nicht vorrangig der Objekte wegen, nicht um die Originale zu erleben, sondern der Prozesse wegen, die ihrer Präsentation vorangehen. Warum und von wem werden die Werke ausgewählt, warum werden bestimmte Werke in Ausstellungen gegenübergestellt, in Beziehung gesetzt? Besucher seien an der Konstitution von Öffentlichkeit interessiert – als Beobachter der Institution Museum und als Akteure, die den öffentlichen Raum selbst zunehmend für sich und ihre Interessen reklamierten. Die Tate Modern zieht daraus Konsequenzen bis hin zur Gestaltung ihres Erweiterungsbaus – die Backsteinarchitektur von Herzog und de Meuron ist weniger als Ausstellungsfläche denn als Begegnungsraum für unterschiedliche Formate konzipiert. Dercon sieht das Museum als Ort, an dem Öffentlichkeit durch die Besucher vor Ort ganz real performativ verhandelt wird; die Grenzen zwischen Produzenten und Rezipienten verschwimmen. Die Nutzer gestalten unweigerlich wesentlich mit – das Museum ist Vorreiter bei dieser Perspektivverschiebung. So hätte die Besucherforschung nicht zuletzt auch Konsequenzen für die sammlungsbezogene Forschung des Museums: Zur Deutung der Fachwissenschaftler treten die Interessen, Fragen, Perspektiven der Besucher, getreu Dercons Ideal für die Zukunft seines Museums: „People who know something meet people who know something else.“ Im Zentrum der Debatten am Museum stünden komplexe, gesellschaftlich relevante Fragestellungen, zugespitzt: „The questions google can’t answer!“

Wie die Museen ihren Part dieser Vereinbarung einlösen können, der darin besteht, durch Forschung Wissen zu generieren und dieses für eine öffentliche Diskussion verfügbar zu machen, zeigte nach dieser Keynote die erste Session. Dafür hatte die VolkswagenStiftung vier beispielhafte Projekte ausgewählt. Das Spektrum der Museen reichte vom Archäologischen Landesmuseum Schloss Gottorf über das Deutsche Hygiene-Museum Dresden und das Ludwig Forum Aachen bis hin zum Museum für Naturkunde Chemnitz. Deutlich wurden die positiven Effekte von Kooperationen mit anderen Museen wie mit Universitäten hervorgehoben. Häufig noch schließt klassische Forschungsförderung die Finanzierung von Ausstellungen nicht mit ein – für Museen wird dadurch eine Trennung zwischen Forschungs- und Ausstellungsprojekt gezogen, die für die Institution meist eine künstliche ist, artikuliert sich Forschung doch am Museum auch in der Präsentation im Raum. Projektförderung kann, das wurde an verschiedenen Beispielen deutlich, die Forschung gerade an kleineren Museen so befördern und Netzwerke etablieren helfen, dass sich daraus Folgeprojekte entwickeln, die sich auch in der kompetitiven Forschung durchsetzen. Paradox allerdings die Situation, die sich für die Häuser daraus ergeben kann: Die Projektstellen für Forscher könnten über Drittmittel eingeworben werden, allein, die dazu notwendigen Eigenleistungen und Vorarbeiten des Museums werden durch die Grundausstattung der öffentlichen Hand nicht finanziert und das Projekt scheitert.

Das teilweise problematische Verhältnis von Grundausstattung und Drittmittelfinanzierung stand auch im Zentrum der zweiten Session, die sich unter dem Titel „Museen in Not. Infrastrukturen an Museen“ der Frage widmete, unter welchen strukturellen Bedingungen Forschung in deutschen Museen stattfindet. In drei Vorträgen wurde Forschungsarbeit an unterschiedlichen Museen vorgestellt und die jeweiligen Problemlagen skizziert.
Regine Schulz, Direktorin des Roemer- und Pelizaeus-Museums in Hildesheim, machte in ihrem Vortrag insbesondere auf die knapp bemessene finanzielle Grundausstattung ihres Hauses aufmerksam. Fördermittel und internationale Kooperationen seien essentiell, Kreativität, etwa bei der Ausleihe von Objekten gegen die Ermöglichung wissenschaftlicher Bearbeitung unabdingbar. Michael Schmitz, Direktor des Naturhistorischen Museums Mainz stellte die Neuausrichtung seines Hauses vor, für das langfristig angelegte Forschung und die Vermittlung im Museum als Lernort in im Zentrum stehen. Steigende Besucherzahlen seien Ausweis für den Erfolg dieser Strategie.

Im Rahmen eines dritten Beitrags stellten Eckhard Bolenz und Dagmar Hänel als Vertreter des Landschaftsverbands Rheinland das DFG-geförderte Projekt „Digitales Portal Alltagskulturen“ vor. Das Projekt steht exemplarisch für das Bestreben vieler Museen, die Forschung an Sammlungsbeständen durch digitale Aufbereitung öffentlich, möglichst frei und interaktiv zugänglich zu machen.

Nach dieser Präsentation einzelner Positionen nahmen in der folgenden Sektion der Philosoph und Ausstellungsmacher Daniel Tyradellis und die Journalisten Julia Voss (Frankfurter Allgemeine Zeitung) und Hanno Rauterberg (Die Zeit) wiederum eine grundsätzlichere Perspektive ein. Ausgehend von seiner jüngsten Publikation „Müde Museen“ [1] formulierte Tyradellis mit seinem Vortrag „Ausstellen als Forschen – wovon, für wen und warum?“ den Anspruch an Museen, über das Medium Ausstellung mit gängigen gesellschaftlichen Erwartungen zu brechen, sie zu hinterfragen und dem Besucher so eine kritische Auseinandersetzung mit eigenen Erwartungshaltungen zu ermöglichen. Für Tyradellis sind Ausstellungen Zwischenräume; sie vermitteln zwischen einer forschungsorientierten Innenwelt und einer öffentlichen Außenwelt. Dabei sind sie mehr als „begehbare Bücher“, nicht nur reine Präsentation von Forschungsergebnissen. Ausstellungen sollen vielmehr den Besucher zum Denken bringen, indem sie Distanz zu den jeweils mitgebrachten Evidenzen schaffen und so eine eigene kritische Reflexion in Hinblick auf tradierte Erwartungen provozieren. Der Besuch einer Ausstellung ist für Tyradellis demnach ein Prozess des „Denkens im Raum“, der „Forschung in actu“, in dem Gegenstand und Vermittlung einander gleichgestellt sind. Die präsentierten Artefakte seien dabei in einer Ausstellung nicht per se sinnstiftend, sie erhielten ihre Bedeutung vielmehr erst aus dem wechselseitigen Verweis und ihrer Positionierung in einem Gesamtkontext. Die gesellschaftliche Relevanz des jeweiligen Themas dürfe dabei nicht ausgeblendet werden. Es sei demnach eine gewisse Distanz zum jeweiligen Forschungsgegenstand notwendig, um einen Ausgleich zwischen wissenschaftlicher Expertise und gesellschaftlichem Anspruch zu erreichen. Im Idealfall ist eine Ausstellung für Tyradellis daher eine eigene Form der Forschung, die disziplinäre Grenzen überwindet und das Museum zu einem Ort eines auf Selbsthinterfragung basierenden gesellschaftlichen Diskurses macht.

Im Unterschied zu diesen gattungsübergreifenden Überlegungen bezog sich Julia Voss in ihrem Beitrag „Museen am Rande des Nervenzusammenbruchs“ vornehmlich auf Kunstmuseen. Diese stehen in ihren Augen vor dem Problem, einerseits als Orte größter kultureller Strahlkraft, andererseits als behäbige Verhinderer kreativer Innovationen zu gelten. Sie identifizierte drei Felder, die für Kunstmuseen zukünftig im Fokus der Arbeit stehen sollten: Provenienzforschung, Erforschung der eigenen Sammlungen und eine damit verbundene Infragestellung des Kanons sowie eine Steigerung der Möglichkeiten zur Partizipation durch die Nutzung moderner Medien. Kritisch hingegen bewertet sie zu enge Verbindungen zwischen Museum und Kunstmarkt.

Hanno Rauterberg nahm in seinem Statement „Zeit für Selbsterforschung. Warum das Museum sich zum Objekt der wissenschaftlichen Neugier machen muss“ wiederum eine globalere Perspektive ein und knüpfte damit an Tyradellis an. Auch für ihn sollen Ausstellungen das Abrücken von Selbstverständlichkeiten ermöglichen. Im Zentrum steht für ihn dabei das „Staunen als Erfahrung der postmaterialistischen Bereicherung“. Rauterberg schlug vor, statt von „Besuchern“ von „Besitzern“ der Objekte in öffentlichen Sammlungen zu sprechen. Dieser Begriffswechsel ermöglicht für ihn sowohl ein neues Verhältnis zwischen Ausstellungsmachern und ihren Zielgruppen als auch ein verändertes Selbstverständnis der Museen. Museen sollten darüber hinaus weniger danach streben, durch Neubauten Ausstellungsfläche hinzuzugewinnen, sondern vielmehr aus den eigenen Beständen heraus flexible, stärker performativ ausgerichtete Ausstellungen entwickeln, die durch die Nähe zum Objekt eine Unmittelbarkeit herstellen, die beispielsweise das Internet nicht zu schaffen in der Lage ist. Die Zukunft des Museums sieht Rauterberg – ebenso wie seine Vorredner Tyradellis und Dercon – in einer Entwicklung hin zu einem Selbstverständnis als Raum intellektueller Erfahrung und gesellschaftlicher Diskussion. Rauterberg plädiert dabei für eine höhere intellektuelle und emotionale Risikobereitschaft der Museumsmacher.

Den Abschluss der Tagung bildete eine Podiumsdiskussion, an der – moderiert von Wilhelm Krull (Volkswagenstiftung) – Raimund Batella (Deutscher Städtetag), Britta Kaiser-Schuster (Kulturstiftung der Länder), Volker Rodekamp (Stadtgeschichtliches Museum Leipzig), Oliver Scheytt (Kulturpolitische Gesellschaft) und Regine Schulz (Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim) teilnahmen. Auch hier wurde eine mangelhafte finanzielle Grundausstattung als größtes, nicht kompensierbares Hindernis der Forschung an Museen identifiziert. Da institutionelle Förderung nur durch die jeweiligen Träger gewährleistet werden könne, müssten die Museen ihre gesellschaftliche Relevanz sowohl gegenüber politischen Entscheidungsträgern als auch gegenüber der Öffentlichkeit noch deutlicher machen.

Die Zukunft des Museums könnte, so ließe sich aus den Impulsen der Tagung schlussfolgern, darin liegen, verstärkt die eigenen Sammlungsbestände zu erforschen, um auf dieser Grundlage komplexe Erfahrungsräume zu schaffen, in denen gesellschaftliche Diskurse angestoßen und verhandelt werden. Darin, die Wechselwirkungen zwischen Sammlung und Gesellschaft produktiv zu machen, könnte das Potenzial von Forschung in Museen liegen.

Anmerkung:
[1] Daniel Tyradellis: Müde Museen. Oder: Wie Ausstellungen unser Denken verändern können, Hamburg 2014.

Quelle: http://dss.hypotheses.org/1357

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Gedanken zu “Archivum Rhenanum”

Nach allem, was ich bislang zu diesem Projekt gelesen habe, kann man die Initiative nur begrüßen. Denn die französisch-deutsche Verständigung und Zusammenarbeit sind auf der Ebene der nationalen Parlamente, Regierungen und Ministerien sowie des Deutsch-Französischen Jugendwerkes, vieler Städtepartnerschaften und ähnlicher Zusammenschlüsse erfreulich weit gediehen. Gleichzeitig aber ist seit Kriegsende der Graben zwischen Baden und dem Elsass tiefer geworden, trotz vieler Rheinbrücken und gutgemeinter Projekte. Von Tag zu Tag gibt es weniger wirklich zweisprachige Elsässer; von den dort nach 1970 Geborenen sprechen nur wenige Deutsch. Und in Baden ist die Zahl derer, die das Französische beherrschen, besorgniserregend klein. ‚Man‘ ist deshalb oft genötigt, sich mehr schlecht als recht auf Englisch zu verständigen.

Das Archivum Rhenanum kann Brücken bauen zwischen Deutschen, Franzosen und Eidgenossen insofern, als es Jungen und weniger Jungen Hilfen anbietet, sich wertvolle Teile des reichen gemeinsamen kulturellen Erbes anzueignen und damit zu bewahren. Das Internet bietet phantastische Möglichkeiten; so können sich Interessierte in Toulouse oder Aachen schon daheim kundig machen und vorbereiten ­– ohne Reise- und Hotelkosten.

Dreierlei Hilfen scheinen mir für den Anfang sinnvoll zu sein:

1) Einführung in die Sprache. Vorzügliche Vorarbeiten haben elsässische Archivare und Historiker geleistet (s.u.). Mit wenig Aufwand ließen sie sich aktualisieren und auf die Bedürfnisse heutiger Schüler, Studenten und anderer Interessierter ausrichten.

2) Einführung in Schriften, als Ergänzung zur Sprache. Eidgenossen, Deutsche und Franzosen lassen sich oft schon durch Druck in Frakturschrift abschrecken, erst recht durch Sütterlin und andere Schreibschriften. Abbildungen mit Transkriptionen liegen schon vor; sie müssten ins Internet gestellt und um das gesprochene Wort ergänzt werden, was das Internet ebenfalls erlaubt.

3) Einführungen in die praktische Arbeit durch Archivare, Historiker, Lehrer … im Elsass etwa in Städten der Dekapolis: An Wochenenden, über das Jahr gestreut, in Kaysersberg im Januar, in Schlettstadt im Februar, in Weissenburg im März usf. Ähnlich in Baden und in der Pfalz: Breisach, Kehl, Landau … Zu bevorzugen wären Zeiten, in denen eine preiswerte Unterbringung möglich ist, also außerhalb örtlicher Festivitäten, Messen u.ä. Man könnte sich kennenlernen, Hemmschwellen abbauen und dafür sorgen, dass Teilnehmerinnen und Teilnehmer von der ersten Stunde an Erfolge erleben.

Erg. zu 1), Einführungen in die Sprache: Viele Editionen von Quellen zur Geschichte, Verwaltung, Wirtschaft des Elsass enthalten deutsch-französische Glossare oder ähnliche Hilfen; vgl. Norbert Ohler: Auswahlbibliographie zur Landeskunde des Elsaß, vornehmlich zur Geschichte. In: Das Elsaß. Bilder aus Wirtschaft, Kultur und Geschichte. Hrg. von Jean-Marie Gall und Wolf-Dieter Sick (= Alemannisches Jahrbuch, 1987/88), Bühl 1991, S. 427-462, Nr. 402-488a.

Norbert Ohler, Horben, Juli 2014

Quelle: http://archives.hypotheses.org/747

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Thekla Kluttig: Das Leben von Menschen bereichern. Bericht über die Tagung „Offene Archive 2.1 (…)


Das Leben von Menschen bereichern. Bericht über die Tagung „Offene Archive 2.1 – Social media im deutschen Sprachraum und im internationalen Kontext“ 

Vorbemerkung: Der vorliegende Konferenzbericht (Autorin: Dr. Thekla Kluttig) ist im Druck erschienen in: “Archivar. Zeitschrift für Archivwesen” Heft 3 (2014), 298-301. [PDF-Version des Jahrgangs 2014 abrufbar unter diesem Link]

 

Nachdem die Speyerer Tagung “Offene Archive? Archive 2.0 im deutschen Sprachraum (und im europäischen Kontext)” im November 2012 sehr positiv aufgenommen worden war, fand am 3./4. April 2014 die Folgetagung in Stuttgart statt.[1] Abstracts und weitgehend auch Videoaufzeichnungen der 25 Vorträge sind im Blog “Archive 2.0. Social media im deutschen Archivwesen” verfügbar, das auch auf die bereits online erschienenen Tagungsberichte verweist.[2] Der folgende Bericht kann sich daher auf einzelne Vorträge konzentrieren, die pars pro toto für das Spektrum der Beiträge stehen sollen.

Die Vorträge lassen sich im Wesentlichen drei inhaltlichen Schwerpunkten zuordnen: a) Überblicksdarstellungen über die Nutzung verschiedener sozialer Medien durch einzelne Institutionen, b) die Nutzung spezifischer Medien wie Blogs, Facebook, Twitter etc. und c) die Planung und Durchführung von Crowdsourcing-Projekten.[3] Eingeleitet wurde die Tagung durch eine Keynote der amerikanischen Archivarin Kate Theimer, die gleich im Titel den entscheidenden Akzent setzte: “The Future of Archives is Participatory: Archives as Platform, or A New Mission for Archives”.[4] Da der englischsprachige Vortrag grundlegende Überlegungen zur Rolle von Archiven in der modernen Informations- und Unterhaltungsgesellschaft enthält, soll er im Folgenden ausführlicher referiert werden. Theimer stellte zunächst fest, dass in der “alten Welt” die Archive mit den historischen Quellen eine rare Ressource verwahrten, die von den Forschern mangels Alternativen vor Ort genutzt wurde. Auch heute noch verwahrten die Archive rare Ressourcen, aber die Forscher wären angesichts der Fülle von zugänglichen Informationen nicht mehr mit einem Mangel, sondern einer Überfülle an Quellen konfrontiert. Archive seien nicht mehr die zentralen Anbieter historischer Quellen und ein einfacher Zugang werde immer mehr zu einem wichtigen Kriterium. Zwar stimme der Spruch nicht “was nicht online ist, existiert nicht”, aber immer häufiger begegne – auch angesichts sinkender Budgets für Reisekosten – die Haltung von Forschern: “wenn es nicht online ist, schreibe ich über etwas anderes”. In jener alten Welt habe die allgemeine Öffentlichkeit in der Regel keinen Zugang zu dem Archivgut gehabt, sondern Einblicke in die historischen Quellen über die Publikation von Forschungsarbeiten erhalten. Heute gebe es eine ganz andere Situation: Jedermann könne jederzeit im Internet Material zu diversen Themen finden, darunter digitalisierte Sammlungen und Quellen verschiedener Herkunft. Das Archivgut eines bestimmten Archivs werde in der Regel nicht gesucht und auch nicht gebraucht, um die Bedürfnisse vieler Menschen nach Material zu den sie interessierenden Themen zu befriedigen. Damit ergebe sich die zusätzliche Herausforderung für die Archive, auf dem Markt der Informationsanbieter sichtbar zu bleiben.

Vor dem Hintergrund dieser faktischen Veränderungen müsse der Auftrag (“mission”) der Archive überdacht werden. Im traditionellen Selbstverständnis bestehe er in der Sammlung und Bewahrung von Unterlagen mit bleibendem Wert sowie in der Ermöglichung des Zugangs zu diesen Unterlagen. Zugang zu ermöglichen sei aber ein passives Konzept. Es gehe darum, ein größeres Ziel, einen neuen Auftrag für die Archive zu setzen. Viele Bibliotheken hätten ein solches übergeordnetes Ziel, wie das Statement des Bibliothekars R. David Lankes verdeutliche: “The mission of librarians is to improve society through facilitating knowledge creation in their communities.” Theimer schlug als neuen Auftrag von Archiven vor: “Archives add value to people’s lives by increasing their understanding and appreciation of the past”, sinngemäß: “Archive bereichern das Leben von Menschen, in dem sie ihr Verständnis von und ihren Sinn für die Vergangenheit erhöhen”. Dieser Ansatz stelle die Menschen und nicht die Quellen in den Mittelpunkt und bedeute damit eine wesentliche Wendung im archivischen Selbstverständnis. Wenn die Archive diese Wendung nicht vollzögen, gefährdeten sie mittelfristig ihre Existenz, so Theimer.[5]

Die Orientierung an diesem neuen Auftrag bedeute nicht, dass man traditionelle Aufgaben oder Werte aufgebe, es bedeute aber, dass man das aktive Herausgehen (“outreach”) von einer nachrangigen zu einer vorrangigen Aufgabe erhebe. Archive sollten schon aus grundsätzlichen Erwägungen Benutzer-orientiert sein, nebenbei könne diese Orientierung aber auch die Einwerbung von Mitteln erleichtern.

In ihren folgenden Ausführungen stellte Theimer dem auch in den USA verbreiteten Stereotyp von Archiven als verstaubten, verschlossenen Einrichtungen mit altmodischem Personal das Bild “partizipatorischer” Archive entgegen, Archiven, die es Menschen ermöglichen, aktiv teilzuhaben. Theimer unterschied zwischen verschiedenen Ebenen, beginnend von Aktivitäten für flüchtige, eher oberflächlich interessierte Nutzer (z. B. durch Angebote wie das “Dokument des Tages” der U.S. National Archives) über die Mitarbeit von Menschen ohne spezielle Vorkenntnisse (z. B. in Projekten zur Transkription maschinenschriftlicher, oft listenförmiger Quellen) bis hin zur gezielten Einbeziehung von Menschen mit spezifischen Kenntnissen und Erfahrungen (z. B. zur Mithilfe bei der Identifizierung von Fotografien). Die Einbeziehung von Freiwilligen ist für Archive nicht neu und findet schon seit langem statt. Theimer wies aber zu Recht darauf hin, dass das Internet die Möglichkeiten und die Reichweite dieser freiwilligen Mitarbeit enorm vergrößert hat. Die Öffnung der Archive unter Nutzung moderner Informationstechnik biete auch die Chance, den überkommenen negativen Stereotypen etwas entgegen zu setzen und eine positive Haltung zu Archiven zu fördern. Archive sollten als Orte wahrgenommen werden, an denen Menschen willkommen sind und positive Dinge passieren. Darüber hinaus: Archive könnten Menschen helfen, sich mit etwas zu verbinden, das größer ist als sie selbst: mit den archivischen Quellen, die Geschichte dokumentieren, und mit der Geschichte selbst, die sich in diesen Dokumenten widerspiegelt.

Instrumente für ein aktiveres Zugehen auf die Nutzer sind soziale Medien wie z. B. Blogs, die mittlerweile auch für wissenschaftliche und archivische Zwecke vielfach genutzt werden und auf der Tagung in zwei Beiträgen thematisiert wurden. Maria Rottler stellte mit de.hypotheses.org das zentrale Blogportal für die deutschsprachigen Geistes- und Sozialwissenschaften vor. Auch wenn viele Geisteswissenschaftler noch zurückhaltend seien, sei hier einiges in Bewegung gekommen. So gebe es bei de.hypotheses.org derzeit schon über hundert wissenschaftliche Blogs verschiedenen Zuschnitts: Institutionenblogs, Gemeinschaftsblogs, Projektblogs etc. Zu ihrem Aufbau seien keine IT-Kenntnisse nötig, „wer Textverarbeitung beherrscht, kann auch bloggen“. Blogs bei de.hypotheses.org können auch von Archiven oder einzelnen Archivaren beantragt und unkompliziert eingerichtet werden, hiervon zeugt z. B. das Aktenkunde-Blog.[6]

Unter den sozialen Medien wird an führender Stelle stets auch Facebook genannt, das ebenfalls Thema von zwei Beiträgen war. So stellte Bastian Gillner unter dem Titel „Startbahn, Spielwiese oder Sackgasse?“ den Facebook-Auftritt des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen vor. Facebook werde als Instrument des Informationsmanagements gesehen, es biete die Möglichkeit der Vermittlung des eigenen „Markenkerns“ und der Darstellung der Arbeit des Archivs. Daran interessierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter könnten sich für die Erstellung von Inhalten freischalten lassen, die Federführung liege beim Dezernat Öffentlichkeitsarbeit, das die Beiträge auch freigebe. Derzeit seien rund 20 Mitarbeiter freigeschaltet, von denen fünf regelmäßig Beiträge lieferten. Dies führe zu mehreren „Posts“ in der Woche, die aber inhaltlich und hinsichtlich der vertretenen Abteilungen ungleichgewichtig verteilt seien. Gillner sieht verschiedene Gründe für die noch verbreitete Zurückhaltung, darunter an erster Stelle die innere Einstellung von Kolleginnen und Kollegen.

Ein inhaltlicher Schwerpunkt lag am zweiten Tagungstag auf der Vorstellung verschiedener Projekte, die dem Crowdsourcing zugerechnet werden können – der Auslagerung von Aufgaben aus dem Archiv an eine Gruppe von Internetnutzern, deren Mitarbeit freiwillig und unentgeltlich erfolgt. Positiv und im Sinne von Theimer formuliert: Vorgestellt wurden Projekte von Mitmach-Archiven, die die aktive Teilhabe von Menschen ermöglichen. Einen guten Einstieg in das Thema bot die Vorstellung von “Überlegungen zu einem Crowdsourcing-Konzept des Landesarchivs Baden-Württemberg” durch Esther Howell. Im Rahmen des DFG-Produktivpiloten “Digitalisierung von archivalischen Quellen” entwickelt das Landesarchiv Baden-Württemberg auch ein Konzept für die Durchführung von Crowdsourcing-Projekten, das für alle Archive von Nutzen sein und Teil archivischer Web 2.0-Strategien sein soll. Der noch im Entwurf vorliegende Katalog umfasst 15 Kriterien für ein erfolgreiches Crowdsourcing: 1. Strategie, 2. Projektbetreuung / Ressourcen, 3. Definition von Projektzielen, 4. Beständeauswahl, 5. Rechtsfragen, 6. Definition der zu generierenden Inhalte, 7. Definition der Zielgruppe (geschlossene oder offene Gruppe?), 8. Entscheidung für eine Plattform (eigenes System, Fremdsystem?), 9. Datentransfer (v. a. bei Nutzung eines Fremdsystems), 10. Definition von Qualitätsstandards, 11. Definition der qualitätssichernden Maßnahmen, 12. Entscheidung über Registrierung, 13. Definition eines Redaktionsworkflows, 14. Entscheidung über Anreizsystem, 15. Öffentlichkeitsarbeit.[7]

Das Landesarchiv Baden-Württemberg belässt es aber nicht bei Konzepten, sondern sammelt erste Erfahrungen mit dem Projekt “Kriegsgräberlisten im Landesarchiv Baden-Württemberg”.[8] Ab den 1950er Jahren erstellten die baden-württembergischen Kommunen Listen, in denen Informationen über knapp 78.000 Kriegsgräber auf mehr als 2.000 Friedhöfen sind. Das Landesarchiv hatte die Digitalisate dieser Kriegsgräberlisten bereits über die eigene Webseite zugänglich gemacht, startete aber im März 2014 ein Projekt zur elektronischen Erfassung der Listen in Zusammenarbeit mit dem größten genealogischen Verein in Deutschland, dem Verein für Computergenealogie e. V. (CompGen). Mittels des von CompGen entwickelten Daten-Erfassungs-Systems (DES) können die freiwilligen Bearbeiter die Daten direkt “auf der Quelle” in eine Datenbank eingeben; die Daten sollen nach Abschluss des Projekts auch im Online-Findmittelsystem des Landesarchivs verfügbar sein. Zum Zeitpunkt der Tagung – rund vier Wochen nach Start des Projektes – waren 11% der Listen bereits durch etwa 40 Nutzer erfasst worden.

Diese wenigen Beispiele illustrieren bereits, dass die Tagung ein vielfältiges Programm bot. Allerdings gab es verhältnismäßig wenig Zeit für Diskussionen. So wurden Hindernisse für eine weitergehende Öffnung der Archive zwar benannt, z. B. dass kleine Archive von den übergeordneten Behörden oft nur als Dienstleister für diese Verwaltungen wahrgenommen werden. Vielen Mitarbeitern in Archiven sind (dienstlich) die Hände gebunden, weil Vorgesetzte die Nutzung von Web 2.0-Anwendungen nicht fördern oder freigeben. Strategien zur Lösung dieser Probleme wurden aber nicht diskutiert.

Wiederholt wurde angesprochen, dass social-media-Aktivitäten Teil einer digitalen Gesamtstrategie sein müssten. Leider wurde dieses Thema in keinem Vortrag ausgeführt, obwohl es angesichts der weit verbreiteten Unterfinanzierung öffentlicher Archive besonders wichtig ist. Sinkende personelle und finanzielle Ressourcen bei steigenden Aufgaben (wachsende Bestände, Archivierung elektronischer Unterlagen, Probleme der Bestandserhaltung der Originale, oft schwierige Position zwischen Ansprüchen des Trägers und Ansprüchen einer offenen Bürgergesellschaft) erzwingen die Einbindung der digitalen Strategie in eine Gesamtstrategie des Archivs. Es bleibt zu wünschen, dass dieses Thema bei der Programmplanung für die nächste Tagung zu “Offenen Archiven” stärker in den Blick genommen wird.

Mario Glauert stellte in seinem Schlusswort fest, dass man mit dem Blick zurück auf die Tagung “Offene Archive 2.0″ im November 2012 wohl sagen könne, dass das Thema nun endgültig in der Community angekommen sei. Die Berichterstatterin teilt diese Einschätzung nicht. Vielen Archivarinnen und Archivaren ist die Welt des Web 2.0 noch sehr fern, und sie stehen den Entwicklungen abwartend bis ablehnend gegenüber. In Stuttgart konnte man sich vielmehr erinnert fühlen an die Stimmung auf den Tagungen des Arbeitskreises “Archivierung von Unterlagen aus digitalen Systemen” vor etwa 15 Jahren.[9] Auch dort sah man sich – zu Recht – als Avantgarde, die drängende Themen anpackte, denen viele etablierte Kollegen noch auswichen. Die Zeit hat erwiesen, dass die Archivierung elektronischer Unterlagen eine Aufgabe ist, der sich alle Archive stellen müssen. So wird es auch beim Web 2.0 sein.

 

Thekla Kluttig, Leipzig

[1] Dem Organisationsteam gehörten Andreas Neuburger, Christina Wolf, Joachim Kemper, Elisabeth Steiger sowie Thomas Wolf an. Die Tagung konnte parallel über einen Livestream verfolgt werden, der eingerichtete Twitter-Hashtag wurde rege genutzt. Zur Tagung von 2012 siehe auch den Tagungsbericht von Meinolf Woste: Offene Archive?, in: Archivar 2/2013, S. 197-200.

[2] Siehe http://archive20.hypotheses.org/ (letzter Aufruf 15.04.2014).

[3] Nur einige Vorträge fielen aus diesem Rahmen. Dies gilt u. a. für den Beitrag von Silke Jagodzinski über “Linked Open Data im Archivportal Europa”, von Ingmar Koch über „E-Government 2.0 und Soziale Netzwerke in den Niederlanden“, der auf die Entstehung auch archivwürdiger Unterlagen (staatlicher Einrichtungen) bei Facebook und Twitter einging, sowie für den Beitrag von Karsten Kühnel zu “Partizipation durch Standardisierung? Erschließung vor dem Hintergrund fortgeschrittener Nutzeremanzipation”.

[4] Der Einführungsvortrag musste wegen des Streiks der Lufthansa in Form eine Telefefoninterviews gehalten werden. Der Text ist im Blog “ArchivesNext” veröffentlicht, siehe http://www.archivesnext.com/?p=3700 (letzter Aufruf: 09.04.2014).

[5] “While the collecting, preserving, and processing of materials will always be central to the work of any archives, it seems that today merely saying that an organization preserves valuable records is not enough to necessarily justify its continued funding level, or almost its very existence, as we’ve seen in the U.S. Proving the relevance of archives today – not for a distant future – is needed. Because really, for all but the biggest collections, at any given moment, relatively few people actually need access to what you have. Rather, we must make people want access to what we have, and to do that we must figure out what uses they want to make of the collections”, siehe http://www.archivesnext.com/?p=3700 (letzter Aufruf: 09.04.2014).

[6] Das Blog wird von dem Archivar Holger Berwinkel unter der URL http://aktenkunde.hypotheses.org/163 betrieben. Sein Beitrag “Die ‘Kanzlerakte’: eine offensichtliche Aktenfälschung” wurde von der Redaktion von de.hypotheses als “best-of”-Beitrag für die Einstiegsseite ausgewählt und ist ein sehr gutes Beispiel für die Vermittlung des Nutzens von Aktenkunde auch in eine breitere Öffentlichkeit.

[7] Ein beeindruckendes Beispiel für Crowdsourcing war das von Nicole Graf vorgestellte Swissair-Projekt. Das Bildarchiv der ehemaligen schweizerischen Fluggesellschaft befindet sich mit einem Umfang von rd. 200.000 Bildern in der Bibliothek der ETH Zürich. Durch die Werbung für das Projekt bei früheren Swissair-Mitarbeitern konnten rund 130 Freiwillige gewonnen werden, von denen etwa 40 regelmäßig am Projekt mitarbeiteten. Genauere Informationen über das Projekt finden sich auf der Website der ETH Bibliothek. Zur Presseberichterstattung über das Projekt siehe http://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/gemeinden/Der-Geist-der-guten-alten-Swissair/story/15303435 (letzter Aufruf: 15.04.2014).

[8] Aufgrund einer kurzfristigen Verhinderung des Referenten Claudius Kienzle wurde seine Präsentation von Esther Howell vorgetragen, die an der Vorbereitung des Projektes beteiligt war. Siehe zu dem Projekt auch http://www.landesarchiv-bw.de/web/56361 (letzter Aufruf: 15.04.2014).

[9] Informationen zum Arbeitskreis stehen online unter http://www.staatsarchiv.sg.ch/home/auds.html (letzter Aufruf: 15.04.2014).

 

Quelle: http://archive20.hypotheses.org/1947

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Kurt Schwitters Society – KSUK

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Liebe Leserinnen und Leser, diesmal hat es länger gedauert, nennen wir es vorsichtshalber Sommerpause.

Inzwischen gab es viele schönen Sachen, doch die vielleicht spannendste davon ist -

Ich bin zu einem vollwertigen Mitglied von Kurt Schwitters Society (UK) geworden. Was hat es an sich mit dieser Gesellschaft? Im Jahre 2010 gegründet, beschäftigt sich KSUK (Kurt Schwitters United Kingdom) damit, die Schwitters-Forscher weltweit zu vernetzen. Zu den weitreichenden Tätigkeiten der Gesellschaft gehören u.a.

  • eine permanente Benachrichtigung über alle Erwähnungen von Kurt Schwitters in den Medien (da wird man nichts, aber wirklich nichts verpassen)
  • ein KSUK-Newsletter, in welchem über die aktuelle Veranstaltungen / Ausstellungen etc. berichtet wird, ausserdem gibt es wissenschaftliche Essays
  • eine jährliche Zeitschrift “Sch…” mit vielen interessanten Berichten und wissenschaftlich zitierbaren Sekundärtexten, geschrieben von einer breiten Palette von Schwitters Forschern.

Wenn man bereits die Mitglieder-Liste sich anschaut, da möchte man nur ausrufen: “Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein!” – Schwittersforscherin und Biografin Dr. Gwendolen Webster (Präsidentin und Gründerin der Gesellschaft), die Chefin des Schwitters-Archives in Hannover Dr. Isabel Schulz, Leiterin der Grafischen Sammlung an Sprengel Musem Dr. Karin Orchard… Also alles in allem die Primär-Ansprechpartner, wenn es um Schwitters geht.

Die Webseite der Gesellschaft ist überfüllt mit allen möglichen Nachrichten über Schwitters, sei es eine Forschungs- und Dissertationsliste, Schwitters’ Ausstellungen und Performancen oder seine mediale Präsenz. Kurzum, die Zentrale für alle, die sich mit Schwitters wissenschaftlich oder privat auseinandersetzen (es gibt sogar Verweise auf die Versteigerungen von Schwitters’ Werken).

Natürlich, in Social Networks lässt sich die Gesellschaft ebenso vernetzen: in Facebook, aber auch in Twitter mit dem Hash “#ksuk“. Ich freue mich schon jetzt auf regen Wissensaustausch, denn das ist eigentlich eine der wichtigsten Sachen für einen Wissenschaffenden.

 

Quelle: http://merzdadaco.hypotheses.org/145

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Drei Stellenausschreibungen an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften

Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften sucht drei wissenschaftliche Mitarbeiter mit Erfahrungen in den Digital Humanities!

Weitere Informationen finden Sie in den jeweiligen Ausschreibungstexten:

1. TELOTA (The electronic life of the academy) – Vollzeit, befristet bis zum 31.12.2015

2. Personendaten-Repositorium –  im Umfang von 50% der regulären Arbeitszeit, zunächst befristet für ein Jahr

3. Music Migrations in the Early Modern Age – im Umfang von 32% der regulären Arbeitszeit, befristet bis zum 31.08.2016

 

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=3870

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Kölner Waffen für Wallenstein

Köln hatte Glück im Dreißigjährigen Krieg: Die Stadt blieb von Einquartierungen und Kriegszerstörungen verschont. Vielmehr verdiente die Metropole noch stark am Krieg, indem sie sich am florierenden Handel mit Kriegsgütern aller Art beteiligte. Im Begleitband zur Ausstellung „Köln in unheiligen Zeiten“ habe ich einen Beitrag zur Kölner Kriegswirtschaft beigesteuert. Gemäß dem Konzept des Bandes ist der Aufsatz knapp gehalten, und doch muß ich ehrlicherweise hinzufügen, daß sich so sehr viel mehr derzeit auch kaum sagen läßt. Das Thema wurde bislang nicht wirklich intensiv beforscht, und so habe ich die Befunde, die mir aus der Literatur und den verfügbaren Quellenbeständen bekannt waren, zusammengetragen.

Die Kölner Archivsituation läßt derzeit nicht so viel Hoffnung, daß sich an dieser deplorablen Forschungslage rasch etwas verbessern ließe. Doch können manche Aspekte zum Thema der Kölner Kriegswirtschaft auch jetzt schon weiter vertieft werden – so etwa die Geschäftsbeziehungen Wallensteins zu Köln. Die Literatur zu diesem Feldherrn und Kriegsunternehmer ist bekanntermaßen uferlos, doch sind die (kriegs-)wirtschaftlichen Beiträge auch in seinem Fall überschaubar. Klassisch sind die Studien, die Anton Ernstberger vorgelegt hat, insbesondere die Studie zu „Wallenstein als Volkswirt im Herzogtum Friedland“ von 1929. Hier gibt es eine Reihe von Hinweisen, die die wirtschaftlichen Verbindungen des kaiserlichen Heerwesens zur Stadt Köln illustrieren.

Besonders die Materialien im Anhang der Studie bieten einen guten Überblick (S. 137-145), so etwa die Tabelle zu gekauften Waffen für das kaiserliche Heer, die nicht erst für Wallenstein (also ab 1625), sondern bereits ab 1620 die kaiserlichen Einkäufe verzeichnet. Neben den süddeutschen Reichsstädten wie Ulm, Nürnberg und Augsburg sowie der thüringischen Waffenschmiede Suhl taucht auch Köln immer wieder mal auf (auch allgemein das Rheinland); bezeichnenderweise fehlen hier im Gegensatz zu anderen Einträgen  exakte Zahlen. So ist meist nur von „allerlei“ oder „etliche[n]“ (sc. Rüstungen o.Kürasse) die Rede, doch für den 14.2.1626 sind 1.000 Kürasse, für den 17.4.1626 noch einmal 800-1.000 Kürasse und für den 24.3.1628 wiederum 1.100 Kürasse und 400 Bandelierrohe angegeben. Ähnlich sind die Angaben für die erhandelten Lunten, Pulver und Salpeter: Köln taucht erneut neben den anderen Rüstungszentren auf, aber wiederum meist nur mit pauschalen Angaben.

So wichtig diese Hinweise sind, werfen sie doch nur neue Fragen auf, die auf Weiteres erst einmal unbeantwortet bleiben. So erfahren wir keine weiteren Details über die Waffengeschäfte und deren Finanzierung, nicht einmal die Namen, mit denen auf Kölner Seite verhandelt wurde. Gerade dies wäre allerdings wichtig zu erfahren, um entsprechende Netzwerke im Bereich der Rüstungsgeschäfte zu rekonstruieren. Immerhin taucht in einem anderen Dokument, das über weitreichende Rüstungspläne Wallensteins im Oktober 1628 reflektiert, der Name des in Köln agierenden Großverlegers Anton Frey Aldenhoven auf (S. 130-133). Insgesamt können diese Angaben nicht mehr als eine erste Orientierung bieten; zumindest wird hieran deutlich, daß Köln nicht nur für die in den westlichen Regionen des Reiches operierenden Truppen von kriegswirtschaftlicher Bedeutung war, sondern seine Waffengeschäfte augenscheinlich reichsweit betrieb.

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/502

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Erstes Treffen des DARIAH-DE Stakeholdergremiums “Wissenschaftliche Sammlungen” in Göttingen

Am 23.07.2014 fand an der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen das erste Treffen des Stakeholdergremiums „Wissenschaftliche Sammlungen“ statt. Das Expertengremium wird als regelmäßiges Plenum des Austausches zwischen Geistes- und KulturwissenschaftlerInnen, BibliothekarInnen, ArchivarInnen und InformationswissenschaftlerInnen dienen, um fachwissenschaftliche Anforderungen an digitale wissenschaftliche Sammlungen zu artikulieren. Ziel des Gremiums ist es, Erfahrungen im Umgang sowie potentielle Nutzungsszenarien von wissenschaftlichen Sammlungen zur Sprache zu bringen, die von DARIAH-DE entwickelten Konzepte und Nutzungsszenarien in Bezug auf wissenschaftliche Sammlungen kritisch zu evaluieren, entsprechende Empfehlungen und Konzepte zu erarbeiten und für ihre Dissemination Sorge zu tragen sowie weitere relevante Fragen im Bereich zu identifizieren und zu diskutieren.

Mehr Informationen hier.

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=3867

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Geteilte Vergangenheiten, teilende Erinnerung: Wie der Ausbruch des Ersten Weltkriegs in Serbien und Bosnien-Herzegowina gedacht wird

 

von Ulf Brunnbauer (Universität Regensburg, Institut für Ost- und Südosteuropaforschung)

Am 28. Juni dieses Jahres wurde die Nationalbibliothek Bosnien-Herzegowinas in Sarajevo nach langjähriger Rekonstruktion wiedereröffnet. Sie war im August 1992 von den serbischen Belagerern in Brand geschossen worden, wobei das Gebäude schwer beschädigt und ein großer Teil der unikalen Sammlung orientalischer Schriften vernichtet wurden. Nach dem Ende des Bosnienkriegs stand die Ruine der Nationalbibliothek jahrelang hinter einem Bauzaun als unwillentliches Mahnmal für den Wahnsinn des Kriegs und der in ihm begangenen Verbrechen, bis endlich der Wiederaufbau in Angriff genommen und heuer zu einem guten Ende gebracht wurde.

Dieses gute Ende erfuhr allerdings am 28. Juni 2014 eine Eintrübung: An der Wiedereröffnungszeremonie hätten der Staatspräsident der Republik Serbien, Tomislav Nikolić, sowie der serbische Ministerpräsident, Aleksandar Vučić, teilnehmen sollen – im Sinne einer Versöhnungsgeste. Es blieb beim Konjunktiv, denn die beiden wichtigsten Politiker Serbiens sagten kurzfristig ab. Sie stießen sich an einer Aufschrift am Eingang zur Bibliothek, die besagt, dass dieses Gebäude von „serbischen Verbrechern“ in Brand gesetzt worden sei. Die serbische Regierungsspitze phantasierte allerdings von einem Wortlaut, der Begriffe wie „faschistische serbische Aggressoren“ und „Tschetniks“ beinhalten würde. Vor einem solchen Angriff auf die Würde der serbischen Nation könnten sie sich unmöglich sehen lassen.1 Anstelle nach Sarajevo reisten die beiden, Nikolić und Vučić, in das in der Republika Srpska gelegene, vom Regisseur Emir Kusturica errichtete Disney-Land-artige Kunstdorf Andrićgrad. Diese soll nominell den berühmten Schriftsteller Ivo Andrić ehren, der sich gegen diese Art von nationalistischer Vereinnahmung und kitschiger Huldigung nicht mehr wehren kann. In Andrićgrad inszenierte Kusturica am 28. Juni eine Nachstellung des Attentats auf Erzherzog Franz Ferdinand. Gavrilo Princip und seine Mitverschwörer wurden ausgiebig lobgepriesen. Mit ihrem Besuch dieses ethnonationalistischen Historienspektakel unter der Ägide einer politischen Entität, die ihre Genese aus einem Genozid bis heute leugnet, lieferte die serbische politische Elite jedenfalls all jenen Argumente, die ihr in den letzten Jahren ostentativ geäußertes Bekenntnis zu Europa für wenig glaubwürdig halten.

In Sarajevo wiederum glänzten Vertreter Serbiens und der Republika Srpska durch Abwesenheit. Auch die internationale Staatenwelt war kaum vertreten – mit Ausnahme der Österreicher: Die Wiener Philharmoniker spielten auf, der österreichische Bundespräsident Fischer nahm an der Eröffnungszeremonie teil. Diese österreichische Note war kein Zufall: Das Gebäude, das die Nationalbibliothek beherbergt, ist unter österreichisch-ungarischer Herrschaft errichtet worden und hat viele Jahre hindurch als Rathaus der Stadt Sarajevo gedient; daher auch ihre umgangssprachliche Bezeichnung als Vijećnica. Österreich hat sich beim Wiederaufbau engagiert und ist generell in Sarajevo stark präsent; zudem breitet sich unter den bosnischen Muslimen eine ausgesprochene Nostalgie für die Zeit der habsburgischen Herrschaft aus.

Was zeigen die beiden parallelen Episoden in Bezug auf die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg in Serbien und Bosnien-Herzegowina und allgemeiner hinsichtlich der vorherrschenden Geschichtspolitik? Für Serbien lässt sich konstatieren, dass das offiziell propagierte und vom Großteil der Gesellschaft akzeptierte Geschichtsbild noch nicht im „post-heroischen“ Zeitalter angekommen ist. Gavrilo Princip wird weiterhin als Befreiungsheld erinnert, ihm werden sogar neue Denkmäler gewidmet, wie das kürzlich in Istočno Sarajevo (der in der Republika Srpska gelegene Stadtteil Sarajevos) feierlich enthüllte; dessen realsozialistische Ästhetik eröffnet eine weitere Ebene der mnemotechnischen Kontinuität. Diese Denkmäler, ebenso wie die Inszenierung des Attentats vom 28. Juni 1914 sind eine Reaktion auf die in Serbien herrschende Wahrnehmung, Kräfte im Ausland wollten die Geschichte des Ersten Weltkriegs umschreiben und Serbien vom Opfer zum Täter machen. Entsprechend heftig fielen in Serbien die Reaktionen auf Christopher Clarks Buch „Sleepwalkers“ aus (vielfach ohne Lektüre des Buches, das noch nicht in serbischer Übersetzung vorliegt).2 Ebenso von Politik, nationalen Historikern und Medien heftig kritisiert wurde eine große internationale Tagung zum Ersten Weltkrieg, die im Juni 2014 in Sarajevo stattfand, da dort – so die in Serbien medial breit getretene, gleichwohl falsche Ansicht – Gavrilo Princip vom Helden zum Terroristen umgedeutet werden sollte.3

Geschichte, zumal wenn es sich um Stützpfeiler der nationalen Meistererzählung handelt, wird von den zentralen geschichtspolitischen Akteuren in Serbien noch immer als Ding betrachtet, das es zu verteidigen gilt gegen alle jene Kräfte, die es schon immer mit Serbien schlecht meinten. Diese wollen „uns“ nun auch noch die Geschichte rauben, nachdem sie Serbien in den letzten Jahrzehnten bereits so ungerecht behandelt haben; eine solche Angst vor Identitätsverlust wird von patriotischen Intellektuellen, Politikern und ihren medialen Sprachrohen häufig artikuliert. Es ist bezeichnend, dass die größte Tagung zum Ersten Weltkrieg in Belgrad von den Trutzburgen des ethnonationalen Geschichtsbewusstseins ausgerichtet wurde – unter der unvermeidlichen Schutzherrschaft des Patriarchen Serbiens: Die Serbische Akademie der Wissenschaften und Künste, die Akademie der Wissenschaften und Künste der Republika Srpska und die Matica Srpska luden zu einer Konferenz zum Thema „Die Serben und der Erste Weltkrieg“.4

Andererseits war die Terminierung der Wiedereröffnung der bosnischen Nationalbibliothek auf den 28. Juni kein Akt der politischen Klugheit. Denn dadurch wurde fast zwangsläufig das Gedenken an den Krieg der 1990er Jahre mit jener an den Ersten Weltkrieg in Verbindung gebracht, obwohl diese beiden Kriege – außer in der patriotisch verzerrten Wahrnehmung lokaler Akteure – nichts miteinander zu tun haben. Damit ist weder der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg gedient noch der bosniakisch-serbischen Versöhnung. Hier ist sogar der Klage der „Politika“, die nahe am Puls der serbischen Regierung publiziert, zuzustimmen, dass der Erste Weltkrieg in den Ländern des ehemaligen Jugoslawien immer öfter mit den Krieg der jüngsten Vergangenheit in Verbindung gebracht werde – wobei es die „Politika“ nicht unterlassen kann, dahinter dunkle Mächte zu vermuten.5 Dunkle Mächte waren es nicht, sondern vor allem die von Frankreich initiierte und der EU finanzierte Stiftung „Sarajevo – Herz Europas“, die das Gedenken an den Ersten Weltkrieg unglücklicherweise mit den politischen Realitäten Bosnien-Herzegowinas in Zusammenhang brachte. Die Stiftung führt im Jahr 2014 eine Reihe von kulturellen Aktivitäten in Sarajevo durch, mit folgendem hehren Ziel: „The aim of the Foundation is in no way to take a historical stance on the past but rather to promote peace, dialogue and solidarity for a future free from strife.“6 Sarajevo solle erneut im Zentrum der Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit stehen, dieses Mal aber als Ort, von dem eine Friedensbotschaft ausgehe.

Die Initiatoren des Unterfangens waren schlecht beraten: In einem Land, wo sich die ethnisch segregierten Parteien nicht einmal auf elementarste Verwaltungsvorschriften einigen, geschweige denn irgendeine gemeinsame Vision für das Land entwickeln können, gleicht eine derart moralisch aufgeladene Mission einer Überforderung der politischen Akteure. Schließlich können deren Sichtweisen auf die Vergangenheit unterschiedlicher nicht sein; dabei bricht sich die Interpretation des Ersten, ebenso wie des Zweiten Weltkriegs, an dem noch lebendigen Gedächtnis des Bosnienkrieges der 1990er, dessen Aufarbeitung innerhalb des Landes in den ethnonationalen Denkschablonen stecken geblieben ist. Kaum eine politische Frage wird in Bosnien-Herzegowina nicht mit dem Krieg und dessen Resultaten in Verbindung gebracht – angesichts radikal divergenter Erfahrungen führt das zu ebensolchen Wahrnehmungen und Erwartungen. Das gilt nicht nur für in die Zukunft gerichtete politische Projekte, sondern auch – und gerade – die Geschichtspolitik. Dabei legen die politischen Akteure und ihre Vorfeld-Intellektuellen große Kreativität an den Tag, auch vermeintlich unbestrittene Ereignisse zum Gegenstand konfligierender, an den aktuellen Interessen orientierter Interpretationen zu machen. Auf ein so epochales Ereignis wie das Attentat von Sarajevo trifft dies umso mehr zu: Ziehen viele Serben Bosniens eine Kontinuitätslinie von der österreichisch-ungarischen „Fremdherrschaft“ bis zum heutigen ungeliebten bosnisch-herzegowinischen Gesamtstaat, so sehen Bosniaken eine Verbindung von Gavrilo Princip bis Srebrenica.

Die Praktiken des Erinnerns des Ersten Weltkriegs in Serbien und Bosnien-Herzegowina im Gedenkjahr 2014 illustrieren die Reproduktionsmechanismen nationaler, ja nationalistischer Geschichtsnarrative. Auch nach einer Unzahl von international großzügig geförderten Projekten zur Schaffung eines Bewusstseins für die Gemeinsamkeit der Geschichte, um Empathie für die Sichtweise der jeweils anderen zu generieren, dominiert ein mythisches Geschichtsbild, das Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in eine untrennbare Verbindung bringt und die Nation als Akteur und Organ der Geschichte begreift. Hauptgrund dafür ist die politische Instrumentalisierung von Geschichte: Politische Akteure geben bei den als für die eigene Nation schicksalhaft postulierten Ereignissen die Interpretationen vor; die zentralen Institutionen der historiographischen Produktion – gerade in Serbien, aber nicht nur dort – sind fest in der Hand von Vertretern einer patriotischen Geschichtsschreibung. Internationale Versöhnungsinitiativen können sich in einer solchen Konstellation als kontraproduktiv erweisen, wenn sie historische Fragen mit aktuellen politischen Debatten verbinden. Damit provozieren sie nicht nur Verteidigungshaltungen, sondern leisten genau jener Vergegenwärtlichung und Politisierung von Geschichte Vorschub, die einer nüchternen Sicht der Dinge entgegensteht.

  1. Adelheid Wölfl: „Kein gemeinsames Gedenken in Sarajevo“, Der Standard, 17.6.2014.
  2. Christopher Clark. The Sleepwalkers. How Europe Went to War in 1914. London 2014.
  3. Zum Programm der Tagung, die vom IOS mitorganisiert wurde, siehe: http://konferencija2014.com.ba/.
  4. Für das Programm siehe: http://www.sanu.ac.rs/Projekti/Skupovi/2014WWI-1.pdf.
  5. „Revizija prošlosti u režiji velikih sila“, Politika, 27.6.2014.
  6. http://www.sarajevosrceeurope.org/purpose.html.

 

 

Quelle: http://ostblog.hypotheses.org/221

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August 1914, von Jean-Jacques Becker und Gerd Krumeich (Artikel des dt.-fr. Albums des Ersten Weltkrieges, Mission du Centenaire / DHIP)

 

Das Deutsche Historische Institut Paris und die Mission du centenaire bieten seit November 2013 gemeinsam ein „deutsch-französisches Album über den Ersten Weltkrieg“ an1. Alle 14 Tage werden zwei Dokumente zum Ersten Weltkrieg publiziert, die von einem deutschen und einem französischen Historiker in ihrem jeweiligen Kontext in den beiden Sprachen dargestellt werden. Im August veröffentlichen wir die Dokumente und deren Erläuterungen hier im Blog “La Grande Guerre”.

Titelseite der "Berliner Morgenpost" am 4. August 1914 : "Frankreich greift an !", DHM, DG 90/6403.14 / Titelseite der "Matin" am 4. August 1914 : "L'Allemagne déclare la guerre à la France", BNF Titelseite der “Berliner Morgenpost” am 4. August 1914 : “Frankreich greift an !”, DHM, DG 90/6403.14 / Titelseite der “Matin” am 4. August 1914 : “L’Allemagne déclare la guerre à la France”, BNF

 

Le Matin vom 3. August 1914, von Jean-Jacques Becker

„Deutschland erklärt Frankreich den Krieg”. In Großbuchstaben zog sich diese Überschrift über die gesamte Titelseite der Le Matin, einer der größten französischen Zeitungen der damaligen Epoche. Das Blatt berichtete, dass der deutsche Botschafter Paris um 10.10 Uhr am Abend verlassen hatte (damals sprach man, anders als heute, noch nicht von 22.10 Uhr). Die Zeitung erzählte vom letzten Treffen des französischen Ratspräsidenten, René Viviani, und des deutschen Botschafters, Wilhelm von Schoen. Letzterer hatte die deutsche Kriegserklärung übergeben nachdem französische Flugzeuge deutsche und belgische Gebiete bombardiert hatten. Dies war in Wirklichkeit frei erfunden. Für den Ausbruch des Krieges zwischen Deutschland und Frankreich gab es ganz andere Gründe. So trug ein anonymer Leitartikel in der ersten Spalte beispielsweise den Titel: „Der heilige Krieg der Zivilisation gegen die Barbarei”.

Die in Großbuchstaben geschrieben Ankündigung der Kriegserklärung war allerdings keineswegs überdimensioniert. Ganz im Gegenteil: Die Buchstaben waren verhältnismäßig klein, was auch dafür spricht, dass die deutsche Kriegserklärung niemanden wirklich überraschte. Seit einigen Tagen – und wirklich erst seit einigen Tagen – war man sich sicher, dass der europäische Krieg Wirklichkeit werden würde.

Wie konnte es soweit kommen? Seit Beginn des 20. Jahrhunderts hatte es immer wieder Spannungen auf der internationalen Bühne gegeben. Vor allem zwischen Deutschland und Frankreich, insbesondere im Bezug auf Marokko. Frankreichs Bedürfnis, sich dieses Gebiet anzueignen, und Deutschlands Wille, sich einen Teil davon für sich selbst zu sichern, hatten zwei schwere Krisen ausgelöst: Eine erste im Jahre 1905, eine zweite 1911, die auch als Panthersprung nach Agadir bekannt wurde, und damals bereits in einen Krieg zu münden drohte. Für zusätzliche Spannungen sorgten darüber hinaus die „Balkankriege”, in denen zwar weder Deutschland noch Frankreich Hauptakteure waren, die aber unmittelbare Auswirkungen auf ihre Verbündeten – Österreich-Ungarn und Russland – hatten.

Darüber hinaus wuchsen die Spannungen 1913 im Rahmen der französischen Diskussionen um das Gesetz, das die Dauer des Wehrdienstes auf drei Jahre ausweiten sollte. Ziel war es, auf die Stärkung der aktiven militärischen Kräfte Deutschlands zu reagieren. Dies geschah übrigens im Kontext der Balkankriege und nicht im Hinblick auf Frankreich!

Insgesamt betrachtet gab es zwei Gruppen von Staaten, die sich einander gegenüberstanden: Auf der einen Seite der Dreibund – Deutschland, Österreich-Ungarn und Italien. Auf der anderen Seite die Triple Entente – Frankreich, Russland und Großbritannien. Doch trotz dieser zwei entgegengesetzten Bündnisse – deren Zusammenhalt im Übrigen nicht immer unproblematisch war – ließ sich Anfang des Jahres 1914 eine gewisse Entspannung der internationalen Beziehungen beobachten. Dafür spricht beispielsweise, dass im Januar 1914 erstmals seit 1871 wieder einmal ein französischer Staatspräsident – Raymond Poincaré –  an einem Empfang in der deutschen Botschaft teilnahm. Gewiss darf man dies nicht überbewerten, aber es handelte sich dennoch um ein deutliches Zeichen.

Dann aber sollte sich der „Unfall” ereignen. Am 28. Juni 1914 gelang es einer Gruppe junger nationalistischer Serben, den Erben der österreich-ungarischen Krone – Erzherzog Franz Ferdinand –, und seine Gattin, die Herzogin von Hohenberg, in Sarajevo während eines offiziellen Besuches zu ermorden. Aufgrund einer Streckenänderung ist dies fast als Zufall zu werten. In Bosnien-Herzegowina, dessen Hauptstadt Sarajewo war, lebten hauptsächlich Slawen, Serben, Kroaten… Seit 1878 aber hatte Österreich-Ungarn es besetzt, und wenige Jahre vor dem Mordanschlag – 1908 – annektiert.

Serbien hatte mit diesem Attentat im Grunde gar nichts zu tun, auch wenn die Verschwörer dort helfende Hände gefunden hatten. Vielmehr wollte Österreich-Ungarn endlich einmal ein Land bezwingen, das sich ihm gegenüber ganz bewusst aggressiv zeigte. Dem aber hatte sich Deutschland – der mächtige Bündnispartner Österreich-Ungarns – stets widersetzt. Nach dem Attentat ließ Deutschland dann aber einfach geschehen, was geschehen sollte. Genau das mündete in einen verheerenden Teufelskreis, der sich nicht nur zu einer „lokalen” Auseinandersetzung entwickelte, wie es sich die Hauptakteure vorgestellt hatten, sondern zu einem europäischen, und in gewisser Weise auch einem weltweiten Krieg, zumal sich die Kampfhandlungen ausweiteten, je mehr der Krieg auch die unterschiedlichen Kolonialreiche der europäischen Großmächte mobilisierte.

Die einzelnen Schritte auf dem Weg zum Krieg lassen sich recht einfach nachvollziehen: Das slawische und orthodoxe Russland eilte dem kleinen und ebenfalls slawischen und orthodoxen Serbien zu Hilfe. Angesichts der von Russland ausgehenden Gefahr konnte Deutschland Österreich-Ungarn nicht im Stich lassen und leitete den Schlieffen-Plan ein. Für den Fall eines Krieges gegen den russischen „Riesen” sah dieser vor, dass man erst einmal Russlands Bündnispartner – Frankreich – besiegen müsse. Darüber hinaus wusste man, dass der Einmarsch deutscher Truppen in Belgien den Kriegseintritt Großbritanniens nach sich ziehen würde. Zwischen dem Ultimatum, das Österreich-Ungarn Serbien am 23. Juli stellte, und dem Kriegseintritt Großbritanniens am 4. August vergingen 14 Tage (!). In diesen zwei Wochen hatte Österreich am 28. Juli Serbien den Krieg erklärt, Russland seine allgemeine Mobilmachung am 30. Juli, und Deutschland und Frankreich am 1. August verkündet – mit nur wenigen Minuten Zeitunterschied…

Unter den politischen Führungsspitzen in Europa gab es eigentlich niemanden, der sich diesen Krieg wirklich gewünscht hatte, zumindest nicht dieses Ausmaß. Einige bemühten sich sogar darum, den Frieden aufrechtzuerhalten. Beispiele hierfür sind der Telegramm-Wechsel zwischen dem russischen Zar Nikolaus II. und dem deutschen Kaiser Wilhelm II, aber auch die langanhaltenden Bemühungen von Niklaus II., die russische Mobilmachung zu verhindern. Diesbezüglich ist auch daran zu erinnern, dass Wilhelm II seinen Generalstab fragte, warum man Frankreich angreifen müsse, obwohl es doch von diesen Balkan-Angelegenheiten gar nicht direkt betroffen wäre…

Der Druck, der von den Militärkreisen der unterschiedlichen Länder ausgeübt wurde, war sicherlich entscheidend. Die Generalstäbe waren der Überzeugung, dass ein möglicher Krieg angesichts der ganz besonders modernen Waffen schlicht und einfach von kurzer Dauer sein und jede Verzögerung bei der Mobilisierung und der Aufstellung der Armeen äußerst verheerende Folgen haben würde. Bei mindestens drei Kriegsteilnehmern aber spielte auch der von den Öffentlichkeiten ausgeübte Druck eine wichtige Rolle, darunter Serbien, Österreich-Ungarn und Russland. In Bezug auf Russland betraf dies vor allem die Stadtbevölkerung, nicht die unzähligen Bauern.

Letzten Endes aber darf vor allem Folgendes nicht vergessen werden: Zum damaligen Zeitpunkt gab es in keinem einzigen der betroffenen Länder einen oder mehrere Staatsmänner, die in der Lage gewesen wären, einen Weg zu finden, um diesem Teufelskreis Einhalt zu gebieten, der in einen Krieg mündete, der in gewisser Weise tatsächlich zufällig ausbrach.

Jean-Jacques Becker, Emeritierter Professor für Zeitgeschichte an der Universität Paris Ouest Nanterre La Défense.

Aus dem Französischen übersetzt

Berliner Morgenpost vom 4. August 1914, von Gerd Krumeich

Der Tag des 4. August 1914 steht für den Beginn eines weltweiten Krieges. Russland und Deutschland befanden sich bereits seit dem 1. August im Krieg und am 3. August erfolgte die deutsche Kriegserklärung an Frankreich. An eben diesem 4. August trat England in den Krieg gegen Deutschland ein. An diesem Morgen, als die hier besprochene Ausgabe der Berliner Morgenpost erscheint, liegt Beklommenheit und Nervosität in der Luft, genauso wie eine gewisse Kriegsbegeisterung, so wie es schon zu oft beschrieben wurde. Die Morgenpost war eine eher konservativ ausgerichtete Zeitung, ganz im Gegensatz zum Berliner Tageblatt, das noch heute für seine hellsichtigen und kritischen Artikel des Chefredakteurs, Theodor Wolff, bekannt ist. Die Morgenpost war jedoch das ganze Gegenteil davon. Als Zeitung des Hofes und der Konservativen redete sie ganz und gar deren Sprache.

In der linken Spalte auf der Titelseite wird an alle Angriffe erinnert, die Frankreich gegen Deutschland vorgenommen hätte, das bis zur letzten Minute versucht hätte, den Frieden zu bewahren. Die Rede ist vom Vorrücken französischer Soldaten, gegen die Zusage Frankreichs, seine Truppen in einem Abstand von zehn Kilometern von der Grenze zu halten. In der Tat hatte die französische Regierung General Joffre, dem Oberbefehlshaber der Armee, angewiesen, solche Manöver zu vollziehen. Joffre ereiferte sich über diese Anweisung. Denn insgesamt gesehen war die Pufferzone von zehn Kilometern in der weisen Absicht eingerichtet worden, der Welt zu zeigen, dass Frankreich nur vorhatte, „den geheiligten Boden des Vaterlandes“ zu verteidigen. Aber für Deutschland war es ebenso wichtig, sich in einem Zustand der Notwehr zu erachten, da seine Soldaten, in der großen Mehrheit Zivilisten in Uniform, genau wie die in Frankreich, nur einen Krieg zur nationalen Verteidigung im Auge hatten.

In der rechten Spalte der besagten Titelseite der Berliner Morgenpost wird bereits vom deutschen „Weißbuch“ gesprochen, dass Kanzler Bethmann Hollweg wenige Stunden später dem Reichstag vorlegen wird. Dieses „Weißbuch“ ist das Erste aus einer Serie von „Regenbogenbüchern“, welche die Handlungen der jeweiligen Regierungen rechtfertigen, wobei sie der Gegenseite verbrecherische Handlungen unterstellen. Diese Bücher erscheinen in den ersten Monaten des Krieges in allen kriegsteilnehmenden Staaten (das französische „Gelbbuch“ allerdings erst im November). Das deutsche „Weißbuch“, auf welches in der Zeitung hingewiesen wird, konzentriert sich in seinem ersten Teil auf den Briefwechsel zwischen Wilhelm II. und seinem Cousin, dem Zaren Nikolaus II.. Dem Letzteren wird profunde Böswilligkeit unterstellt, da er noch von der Möglichkeit eines Friedens redet, während Russland schon die allgemeine Mobilmachung veranlasst hat. Es war daher erforderlich, dass Deutschland sich gegenüber der russischen Aggression, die der durchweg „treulose“ Zar verheimlichen wollte, verteidigt.

Die Verteidigungsbereitschaft, eine Schutzbehauptung, die während der Dauer des Weltkrieges ständig wiederholt wird, nämlich, Deutschland führe nur einen Verteidigungskrieg gegen eine angriffslustige Welt, ist Thema der Plenarsitzung des Reichstags vom 4. August 1914, von der die Morgenpost in dem Artikel auf der Titelseite spricht. Unter der Schlagzeile „Einberufung des Reichstags. Es gibt keine Parteien mehr“, wird an diesem Morgen des 4. August vorausgesagt, was wenige Stunden später tatsächlich eintreffen wird. Konkret gesagt, die Beteuerung und Bestätigung der Einheit der Nation: Es gibt keine Parteien mehr und Wilhelm II. übernimmt diese Phrase wenig später in seiner bekannten Rede vom Balkon des Berliner Schlosses: Angesichts des Krieges sagt er: „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur Deutsche.“ Es war diese Proklamation eines Burgfriedens, durch das Parlament und durch den Kaiser, die zur erstaunlichen „Ruhe im Parteienzwist“ führte, welche der in Frankreich proklamierten Nationalen Allianz vollkommen entsprach.

Tatsächlich haben, wie in der Morgenausgabe der vor diesen Ereignissen erscheinenden Zeitung berichtet wird, die sozialistischen Blätter im gesamten Land schon am Tag vorher angekündigt, dass angesichts eines von den Russen im Bund mit den Franzosen aufgezwungenen Krieges, die deutschen Sozialisten zur Verteidigung der Nation bereit sein werden. Es entspricht der gleichen Geisteshaltung, die in Frankreich die Rede von Léon Jouhaux am Grab von Jaurès beflügelte, der an diesem 4. August sagte: „Sie haben Jaurès umgebracht, aber wir werden Frankreich nicht ermorden.“ Genauso reden die deutschen Sozialisten, Internationalisten, vollkommen überzeugt, wie ihre vor kurzer Zeit noch gewesenen französischen Genossen und Freunde, mit einer Stimme: „Wir werden Deutschland nicht ermorden.“

Die Kriegsbegeisterung, die so oft betont wie kritisiert wird, existierte wirklich: Dieses Bewusstsein und diese Offenkundigkeit, mit der alle im Einklang dachten und fühlten. Man wollte von den alten Gegensätzen nichts mehr wissen und selbst der Kaiser beteuerte, er würde es nicht mehr hinnehmen, dass die Juden geschmäht, die Protestanten die Katholiken als „Papisten“ verspotteten, und dass die letzteren weiter behaupteten, die Protestanten hätten die Einzige und Wahre Kirche verraten. Alle gemeinsam, vorwärts, zur Verteidigung der Nation …Ihre Zeitgenossen haben dieses einmütige Erbeben nie vergessen. Dieser Geist, obwohl er nicht lange Bestand hatte, existierte wohl an diesem 4. August 1914. Der Tag, an dem der Enthusiasmus zur Verteidigung der Nation in einem Krieg mündete, der das alte Europa der Nationen und den Fortschritt verschlingen sollte.

Gerd Krumeich,  Emeritierter Professor für Neuere und Zeitgeschichte an der Universität Heinrich Heine Düsseldorf.

Aus dem Französischen übersetzt

  1. Weitere Informationen: http://dhdhi.hypotheses.org/2067

 

Quelle: http://grandeguerre.hypotheses.org/1654

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