FES: Schlüsseldokumente zum politischen Wirken Friedrich Eberts

http://www.ebert-gedenkstaette.de/pb/,Lde/Startseite/Friedrich+Ebert/Dokumente.html Die Seiten der Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte stellen Friedrich Eberts Reden zur Eröffnung der Nationalversammlung in Weimar am 6. Februar 1919 und nach seiner Wahl zum Reichpräsidenten in Weimar am 11. Februar 1919 sowie seine Ansprache nach der Vereidigung auf die Verfassung vor der Nationalversammlung in Weimar am 21. August 1919 zur Verfügung.

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2014/04/5063/

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Nürnberg hilft Kriegsgeschädigten

Anfang August 1629 wandte sich der Rat von Nürnberg direkt an den Kaiser. Es war ein Hilferuf, daß die vom kaiserlichen Militär geforderten Leistungen nicht mehr zu erbringen waren. Seit zehn Jahren seien viele Regimenter, ja ganze Armeen vorbeigekommen und hätten versorgt werden müssen. Der Rat sei es nun seinen Untertanen schuldig, auf die immensen Schäden und Verluste hinzuweisen, die man mit etlichen Tonnen Gold beziffern könne (siehe Franz Ludwig Freiherr von Soden, Kriegs- und Sittengeschichte der Reichsstadt Nürnberg vom Ende des sechzehnten Jahrhunderts bis zur Schlacht bei Breitenfeld 7. (17.) September 1631, 3. Theil: Von 1629 bis 1631, Erlangen 1862, S. 18 ff.). Mit dieser Eingabe tat der Rat der Reichsstadt, was üblicherweise in einer solchen Situation getan wurde: Man brachte seine Klagen vor, berief sich auf den stets erwiesenen Gehorsam und die allzeit bereitwillig geleisteten treuen Dienste und erhoffte sich daher nun eine Erleichterung von diesen unerträglichen Belastungen.

Der Rat beließ es aber nicht dabei, sondern wurde darüberhinaus am 28. August (a.St.) seinerseits aktiv (Stadtarchiv Nürnberg B 7 Nr. 35). Er beschloß, jeden der Untertanen, der durch die Einquartierung mit Soldaten belastet worden waren war, mit einer Summe von 20 bis 25 Talern zu unterstützen, je „nach gestalt seines Gütleins“. Offenbar war dem Rat durchaus bewußt geworden, daß es allein mit einer verringerten Belastung für die Nürnberger Untertanen nicht getan war; es bedurfte einer spürbaren Erleichterung, die direkt bei den Betroffenen ankommen sollte.

Bemerkenswert ist der Hinweis, daß es nicht nur um eine Unterstützung für diejenigen ging, die für den Unterhalt des Militärs aufzukommen hatten, sondern auch für diejenigen, „welche der Religion halber betrangt“ wurden: Kriegsbelastungen und konfessioneller Konflikt verschränkten sich hier also – vielleicht kein Zufall in einer Phase, als das Restitutionsedikt gerade erlassen worden war und für erhebliche Unruhe im Reich sorgte.

Eine Einschränkung machte der Ratsbeschluß aber insofern, als er verfügte, daß diese Gelder „vff ein geringe Zeit vor[zu]strecken“ seien: Es handelte sich also nicht um eine Erstattung der Schäden, sondern um eine Art Darlehen. Von Zinsen war hier nicht die Rede, immerhin. Trotzdem wird man der Stadt den Willen, soziale Härten abzufedern (um es modern auszudrücken), nicht absprechen wollen. Dabei sah sich die Reichsstadt in dieser Zeit mit einer wachsenden Zahl von Religionsflüchtlingen konfrontiert, die in der lutherischen Reichsstadt Zuflucht suchten. Nürnberg nahm viele von ihnen auf und unterstützte sie auch finanziell (Soden S. 44 f.).

Daß sich Nürnberg den von Einquartierungen belasteten Untertanen direkt zu helfen bemühte, war aber auch insofern eine kluge Maßnahme, als die Eingabe am Wiener Hof keine wirkliche Erleichterung brachte. Wallenstein beharrte ohnehin darauf, daß für seine Truppen kontribuiert wurde. Die andere, auch nicht geringe Belastung rührte von einquartierten Reitern des ligistischen Regiments Schönberg. Seit Ende 1628 hätten diese Truppen mehr als 88.000 Gulden gekostet, dazu wären noch Sachleistungen gekommen – so wiederum die Supplik an den Kaiser im August 1629. Doch auch auf dem Ligatag zu Mergentheim Ende 1629 wurden weiterhin Eingaben vorgebracht, die die Exzesse der ligistischen Reiterei bei Nürnberg beklagten (siehe Briefen und Akten, Bd. 2,5, S. 209 Anm.).

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/437

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Kurt Schwitters: Die Sammelkladden. Sinn oder Unsinn?

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Endlich ist es hier!

Ich werte Sinn gegen Unsinn.” – schrieb einst Schwitters, – “Den Unsinn bevorzuge ich, aber das ist eine rein persönliche Angelegenheit. Mir tut der Unsinn leid, dass er bislang so selten künstlerisch ausgeformt wurde, deshalb liebe ich den Unsinn.” (MERZ, 1920)

Im Jahre 2011 besuchte ich eine Schwitters-Tagung, während der unter Anderem auch die Problematik besprochen wurde, ob es einen Sinn macht, den Collagist/Autor/Designer/Allround-Meister/MERZ-Künstler Kurt Schwitters neu zu editieren  (s. meinen Kurzbericht).

Denn 1973-1981 erschien bereits eine 5-bändige Sammlung der literarischen Werke von Kurt Schwitters, herausgegeben von Friedhelm Lach. Das war damals eine kleine (oder gar grosse) Revolution. Klar, “Anna Blume”, oder auch “Auguste Bolte” waren längst salonfähig, und landeten im Mainstream, gar ab und zu im Schulprogramm. Jeder wusste, dass Schwitters nicht nur seine Bilder nagelte, sondern auch dieses eigenartiges Liebesgedicht mit allen 27 Sinnen verfasste. Doch diese Ausgabe von Lach zeigte der Öffentlichkeit, dass das literarische Oeuvre von Schwitters all die Jahre in seinen Ausmassen kaum bekannt war. Auch ich bin durch diese Ausgabe an Schwitters’ literarische Werke gestossen.

Doch leider, wie es so oft passiert in der Geschichte der Avantgarden, war diese Ausgabe wissenschaftlich nicht haltbar. Bereits kurz nach dem Erscheinen des ersten Bandes kamen die kritische Stimmen.

So schrieb beispielsweise Jörg Drews über

den “philologischen Skandal”: “grobe Textentstellungen, typographische Entstellungen, [...] auf komplizierteste Weise fehlerhafte Verfahrensweise im Umgang mit Texten” (in Drews, Jörg: “…nur neunmal heute ohnmächtig geworden”. Kritik der großen Kurt-Schwitters-Ausgabe, in: SZ. München, 7./8.7.1973, Nr. 154, S. 132 , zitiert nach: Die Sammelkladden, S. XXII)

Urs Widmer beklagte in seiner Rezension in der FAZ:

Es ist ein Jammer, daß diese wichtige Ausgabe durch die ungenügende philologische Sorgfalt des Herausgebers zu einer halben Sache geworden zu sein scheint. (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 04.08.1973, S. BuZ5)

Und bedenken Sie – bei einem Avantgardist, der mit Wort und Schrift experimentiert, kann jede kleinste Abweichung vom Original verheerende Folgen in der wissenschaftlichen Analyse nach sich ziehen. Es ist so, wie einen neuen Himmelkörper zu analysieren, ohne dabei zu wissen, dass es sich lediglich um eine Staubpartikel auf dem Objektiv des Teleskops handelt.

Also hat es für die ordentliche wissenschaftliche Untersuchung auf jeden Fall Sinn, die Texte Schwitters neu zu transkribieren und zu editieren. Da bin ich noch caspardavidfriedricher als MERZ-Meister. Und die nette, aber leider nicht mehr verlässliche Lach-Ausgabe von Schwitters ist eher für die vegnügliche unkritische Urlaubs-Lektüre geeignet. (Mir tut sie sonst auch leid, die Lach-Ausgabe,  deren größte Verdienst war, Schwitters neu  entdecken zu lassen).

Und kann es besser machen, als diejeinigen, die bereits an der Quelle sitzen: im Schwitters-Archiv.

So liegt es hier vor mir: Kurt Schwitters, ALLE TEXTE, Band 3. Die Sammelkladden 1919-1923, herausgegeben von Ursula Kocher, Isabel Schulz, Kurt und Ernst Schwitters  Stiftung in Kooperation mit dem Sprengel Museum Hannover.

Im Folgenden werde ich nach und nach meine Eindrücke über diese Neuedition schildern. Sehen Sie es als eine Rezension, oder als einen Erlebnisreport, oder als einen Reisebericht.

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Kurt Schwitters. Die Sammelkladden 1919-1923.
Bearbeitet von Julia Nantke und Antje Wulff. Reihe: Kurt Schwitters. Alle Texte, hrsg. von Ursula Kocher und Isabel Schulz, Kurt und Ernst Schwitters Stiftung in Kooperation mit dem Sprengel Museum Hannover, Bd. 3.
De Gruyter, Berlin 2014.

Quelle: http://merzdadaco.hypotheses.org/59

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Nachlese zur Tagung #gld14 | Geschichtsdidaktische Medienverständnisse

Auf dem Portal L.I.S.A. der Gerda Henkel Stiftung wurde heute ein Skype-Interview mit Christoph Pallaske zur Tagung #gld14 | Geschichtsdidaktische Medienverständnisse, die am 25. und 26. April 2014 am Historischen Institut der Universität zu Köln stattfand (gleichzeitig als erstes Arbeitstreffen des Arbeitskreises dWGd), veröffentlicht. Auch auf der Seite der Werkstatt_bpb findet sich ein kurzer Bericht zur Tagung.

Quelle: http://dwgd.hypotheses.org/214

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Die Phantomphase zu Lorsch oder was Archäologie mit Pythagoras zu tun hat

Kennen Sie Stille Post? In einer unterhaltsamen Runde erzählt einer der Anwesenden eine Geschichte und am Ende des Abends ist diese nicht mehr wiederzuerkennen? Ob Sie es glauben oder nicht, so etwas ähnliches gibt es manchmal auch in der Archäologie.

Ab dem 19. Jahrhundert begann in Lorsch die leidenschaftliche Suche nach dem Gründungskloster Lorsch, dem Altenmünster. An einem der zwei „verdächtigen“ Fundorte wurden insgesamt 4 Ausgrabungen durchgeführt: 1883 durch Friedrich Kofler, 1906 durch Heinrich Giess, 1935 durch Friedrich Behn und schließlich noch einmal 1983 durch das Landesamt für Denkmalpflege in Darmstadt.

Der publizierte Befundplan Friedrich Koflers zeigt Gebäude, die um einen quadratischen Hof herum gruppiert sind. Im Süden liegen die Fundamente eines Kirchenbaues und an den anderen Seiten des Hofes  befinden sich die Gebäude, die in einem seltsamen Winkel angebaut sind. Diese Schiefwinkligkeit in Bezug auf die anderen Befunde erwähnt der Ausgräber in seinem Bericht in keiner Silbe, obwohl das dem Betrachter zuallererst auffällt.

Der Ausgrabungsplan der zweiten Untersuchung 1906 unterscheidet sich von dem ersten Plan durch eine höhere Befunddichte. Das liegt vor allem daran, dass Heinrich Giess ein sehr erfahrener Ausgräber war und ein guter Beobachter vor Ort, was aus seinen Beschreibungen auch deutlich herauszulesen ist. Wir sehen auch auf diesem Plan einen quadratischen Hof, mit einem Kirchenbau im Süden. Anders als beim Vorgänger sind jetzt aber Gebäude in Westen und Osten angebaut, die in einem rechten Winkel zum Hof errichten worden sind. Die schiefwinkligen Gebäude aus dem Koflerschen Plan wurden mit einer Strichellinie eingetragen.

Abb. 1 Übersichtspläne der Ausgrabungsbefunde auf der Kreuzwiese. von links F. Kofler, mitte H. Giess, rechts F. Behn

Im Folgenden wurde es ruhig um die Archäologie in Lorsch. Der erste Weltkrieg kam und die turbulente Zeit während der Weimarer Republik ließen die Problematik: „Wo wurde das Kloster Lorsch gegründet“ in den Hintergrund treten.

Nun stellt sich natürlich die Frage, was die Ursache für diese seltsamen Befunde sein könnten. Der Kunsthistoriker Weise schreibt in seinem Buch über frühmittelalterliche Architektur

Nach dem Plan, den Gieß auf Grund der Aufzeichnungen Koflers gibt, scheinen jene Mauerzüge teilweise von den Resten der festgestellten Klosteranlage überschnitten zu werden, sind also deutlich älteren Ursprungs, teilweise mit ihr im Zusammenhang zu stehen. Hier hätte Gieß mit seinen Grabungen vor allem einsetzen müssen, um das Verhältnis dieser verschiedenen Reste zueinander festzustellen, hier wären für die Baugeschichte dieser Anlage wichtige Ergebnisse zu erwarten gewesen.”[1]

Er greift den Ausgräber Heinrich Giess direkt an, er hätte diese offensichtliche Fragestellung nicht erkannt und auf der Grabung geklärt. Der dritte Ausgräber vor Ort, Friedrich Behn, will diese Frage nun seinerseits während einer Untersuchung klären und schreibt bevor die Grabungen stattfanden:

„Es kam darauf an, das Verhältnis der beiden übereinander liegenden Baukomplexe sowie das Verhältnis des ältesten Klosters zum gräflichen Landgut und unter Umständen zu einem diesem vorangegangenen römischen Gutshofe zu klären; auch durfte erwartet werden, mit den Mitteln neuzeitlicher Grabungstechnik dem Boden noch weitere Aussagen abzuringen. Es mußte ferner geprüft werden, ob die früheren Untersuchungen das Objekt wirklich in seiner vollen räumlichen Ausdehnung erschöpft hatten.”[2]

Er geht also gesichert davon aus, dass es sich um zwei getrennt voneinander anzusprechende Bauphasen handelt, wobei die ältere im Vorfeld schon mal als „gräfliches Landgut“  angesprochen wird, die zweite Phase sei das Kloster Altenmünster. Schaut man sich jetzt den Befundplan Friedrichs Behn an, so erkennt man gar keine schiefwinkligen Gebäude.

Was war passiert?

Friedrich Behn und seine Zeitgenossen gingen in der Betrachtung des Plans von Heinrich Gieß davon aus, dass zwei übereinanderliegende Bauphasen bei den vorrangegangen  Ausgrabungen freigelegt und dokumentiert worden sind. Allerdings, wenn man sich den Plan Friedrich Koflers betrachtet, sind hier nur schiefwinklige Fundamente zu sehen und die rechtwinkligen fehlen. Wie ist das zu erklären?

Es ist durchaus möglich, dass es sich hier um eine Phantomphase handelt. Jeder Archäologe kennt die Situation während einer Ausgrabung, wenn eine schnurgerade Mauer auf dem Papier auf einmal krumm wird, oder eine rechtwinklige Mauerwerksecke auf dem Papier plötzlich spitzwinklig ist. In einem solchen Fall liegt ein Fehler in der Vermessung vor und das passiert sehr schnell. Jedem Archäologen wird deswegen auf Lehrgrabungen beigebracht, wie man schnell und unkompliziert mit Schnur und Maßband einen rechten Winkel auf dem freien Feld festlegt. Und das geht natürlich mit dem Satz des Pythagoras am einfachsten: a2+b2=c2 So können drei Mitarbeiter sehr schnell einen rechten Winkel konstruieren, wenn sie mit Maßbändern ein Dreieck mit den Seitenlängen von 3, 4 und 5m bilden. Diese Faustformel wird jedem Archäologen von Anfang an mitgegeben, aus gutem Grund. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass den Mitarbeitern der ersten Ausgrabung Friedrich Koflers so ein Winkelfehler passiert ist. Kofler selbst ließ den falschen Plan nicht mehr ändern und publizierte das so, ohne dies in seinem Text zu erwähnen. Friedrich Gieß, bemerkte den Fehler und zeichnete dies vollständigkeitshalber ein. Die nachfolgenden Forscher hielten es für eine zweite Bauphase, die der dritte Ausgräber logischerweise nicht vorfand. So kam es zur Phantomphase zu Lorsch, die mit der korrekten Anwendung des Satz des Pythagoras vermeidbar gewesen wäre.

Dieser Blogpost beruht auf meiner Magisterarbeit mit dem Titel: „Altenmünster – Seehof – Kreuzwiese. Neue Betrachtungen zum Siedlungsraum Lorsch von der Spätlatènezeit bis zum Ende des Hochmittelalters“.

Exkurs an den Oberrhein: Die Gründung des Klosters Lorsch aus archäologischer Sicht

Wo wurde das Kloster Lorsch gegründet?

Abb 1: F. Kofler, Lorscher Ausgrabungen. Quartalsbl. Hist. Ver. Hessen, 1983, S. 17. H. Giess, Lorscher Ausgrabungen. 1910. Kreuzwiese, in: Vom Rhein, 1911, Beilage. F. Behn, Die karolingische Klosterkirche von Lorsch an der Bergstraße (Berlin/ Leipzig 1934) Plan 1.

[1] G. Weise, Untersuchungen zur Geschichte der Architektur und
Plastik des Frühen Mittelalters (Leipzig/ Berlin 1916) 48

[2] F. Behn, Neue Ausgrabungen in Lorsch. Denkmalpflege. 1933,
161.

Quelle: http://minuseinsebene.hypotheses.org/1032

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Versteckter Antisemitismus in Frankreich im Ersten Weltkrieg

Dissertationsprojekt: Zwischen Union sacrée und verstecktem Antisemitismus – Beziehungen zwischen Juden und Nicht-Juden in Frankreich während des Ersten Weltkriegs 

Alice_an_Robert_Hertz_vorneDer Erste Weltkrieg gilt in der französischen Historiographie als Kristallisationsmoment der Herausbildung eines starken jüdischen Patriotismus. Die vollständige jüdische Integration in die Nation sollte mithilfe militärischen Engagements und dem damit verbundenen Opfer auf dem Schlachtfeld gelingen. Durch den gemeinsamen Kampf sollte erreicht werden, was zu Friedenszeiten nicht möglich gewesen war: die Überwindung antisemitischer Ressentiments im Anschluss an die Dreyfus-Affäre und damit die uneingeschränkte Aufnahme der jüdischen Minderheit in die französische Gesellschaft.

 Hinter diesem Narrativ, das die Beziehungen zwischen Juden und Nicht-Juden und ihre Erfahrungen während der Kriegsjahre fast ausschließlich auf den patriotischen Gedanken im Kontext des Schützengrabens reduziert, tritt eine darüber hinausgehende Vielstimmigkeit des Kriegserlebens weitgehend zurück. Diese wird zwar in den Editionen von Korrespondenzen französischer Juden wie Marc Bloch oder Émile Durkheim deutlich, doch geben diese Quellen lediglich Einblicke in die männlichen Erfahrungswelten von Soldaten und Agitatoren im Dienste Frankreichs. Die Dialogpartnerinnen dieser Briefwechsel bleiben hingegen oftmals stumm und damit auf die Rolle passiver Empfängerinnen beschränkt. Durch dieses Nicht-Beachten der Briefe der Korrespondentinnen werden bislang nicht nur komplexe Dialoge zweier Individuen auf einseitige Monologe verkürzt, sondern es entsteht auch eine deutliche Leerstelle in Bezug auf die weiblichen Erfahrungswelten während des Krieges.

Im Rahmen meines Dissertationsprojektes strebe ich deshalb eine gleichwertige Einbeziehung der vielfach – sowohl in der Historiographie zum Ersten Weltkrieg als auch in der Antisemitismusforschung – vernachlässigten weiblichen Perspektive an. Anhand einer auf die Verschränkung und Verflechtung männlicher und weiblicher Perspektiven ausgerichteten Analyse von Kriegskorrespondenzen französischer Intellektueller und ihrer Ehepartner widmet sich mein Projekt dabei erstens Strukturen und Besonderheiten im Sprechen über den Krieg und sein Erleben. Wie unterscheiden sich die Darstellungen und das Verständnis des Konflikts? Welche Rollen schrieben sich die Briefpartner selbst und gegenseitig zu? Wo sahen sie ihre Positionen und Verpflichtungen innerhalb des Konflikts und welche Hoffnungen projizierten sie auf die Zeit nach Kriegsende? Neben diesen allgemein auf das Kriegserleben ausgerichteten Fragestellungen liegt der Fokus meines Projekts auf der Analyse der Beziehungen zwischen Juden und Nicht-Juden während der Kriegsjahre. Welchen Stellenwert hatte die Religionszugehörigkeit für die Korrespondenten beziehungsweise definierten sie sich selbst als Juden? Wie charakterisierten sie ihre Beziehungen zu ihren Mitkombattanten oder innerhalb ihrer sozialen Netzwerke? Wurden sie zur Zielscheibe antisemitischer Angriffe oder berichteten sie von derartigen Vorfällen? Und zuletzt, welche Rolle schrieben sie dem Aufruf zur Union sacrée zu, wobei in diesem Zusammenhang auch das Verhältnis von Zensur und Autozensur zu reflektieren ist?

Alice_an_Robert_hintenDie Quellenbasis der Untersuchung bilden die Kriegskorrespondenzen von vier Ehepaaren: dem Ethnologen Robert Hertz und seiner Frau Alice, dem Historiker Jules Isaac und seiner Frau Laure, dem Soziologen Maurice Halbwachs und seiner Frau Yvonne sowie dem Philosophen Michel Alexandre und seiner Frau Jeanne. Die ausgewählten Paare repräsentieren sowohl Verbindungen zwischen zwei jüdischen Partnern als auch zwischen Juden und Nicht-Juden. Alle vier Paare entstammten dem universitären Milieu und waren miteinander bekannt beziehungsweise standen – im Falle von Maurice Halbwachs und Jeanne Alexandre – in einem verwandtschaftlichen Verhältnis zueinander. Trotz dieser engen sozialen Verbindungen repräsentieren sowohl die Frauen als auch die Männer der ausgewählten Paare sehr unterschiedliche Positionierungen und Erfahrungen während der Kriegsjahre. So meldete sich Robert Hertz zu Kriegsbeginn freiwillig zum Militärdienst und starb bereits im April 1915 an der Front, wohingegen Maurice Halbwachs nach seiner Ausmusterung im Kriegsministerium arbeitete. Laure Isaac zog sich mit ihren Kindern in die Bretagne zurück; Jeanne Alexandre dagegen engagierte sich zusammen mit ihrem Mann im sozialistisch-pazifistischen Milieu.

Eine verflechtende Analyse der Kriegskorrespondenzen dieser vier Ehepaare ermöglicht Einblicke in die Vielfältigkeit des Kriegserlebens sowie der alltäglichen Beziehungen von Juden und Nicht-Juden und zeichnet ein differenzierteres Bild der Kriegserfahrungen französischer Jüdinnen und Juden.

Zur Erweiterung der Perspektive über das universitäre Milieu hinaus werden zudem exemplarisch Zeitungen, Dossiers der Polizeipräfektur von Paris sowie Berichte aus den militärischen Einheiten, in denen Robert Hertz und Jules Isaac dienten beziehungsweise Akten ihrer Mitkombattanten, in die Analyse einbezogen. Durch diese Ausweitung des Quellenkorpus erscheinen die Korrespondenzen nicht als isolierte Einzelschicksale, sondern werden in einen milieuübergreifenden Kontext des Kriegserlebens von Jüdinnen und Juden in Frankreich während der Kriegsjahre eingebunden.

Methodisch bezieht sich das Projekt sowohl auf die Konzepte der „Kriegserfahrung“ des gleichnamigen Sonderforschungsbereichs der Universität Tübingen und der „Kriegskultur“ des Historial de la Grande Guerre, Péronne als auch auf die Verbindung von Antisemitismusforschung und Geschlechtergeschichte. Das Ziel der Dissertation ist es somit, einen Beitrag zur Verschränkung von kulturgeschichtlichen Ansätzen der  Militärgeschichte und einer um die Kategorie Geschlecht erweiterten Antisemitismusforschung zu leisten.

Das Dissertationsprojekt wird mit einem Wissenschaftsblog begleitet.

Abbildungen:

Vor- und Rückseite der Postkarte von Alice Hertz an ihren Mann Robert vom 21. November 1914: Carte. Charoy, 21 novembre 1914© Collège de France. Archives Laboratoire d’anthropologie social/ Fonds Robert Hertz. Mit Dank an das Collège de France für die Publikationserlaubnis. Alle Rechte vorbehalten.

Quelle: http://19jhdhip.hypotheses.org/1787

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L’esprit et les institutions démocratiques – 28/05/2014 – 18:00

Conférence de Dominique Schnapper (EHESS), lors de  la Journée d’études ” Citoyenneté – institution d’intégration ou de dissociation ? ” organisée par Dieter Gosewinkel (IEA de Paris / Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung)

La démocratie ne risque-t-elle pas de devenir son pire ennemi si les principes qui la fondent – l’autonomie, la liberté et l’égalité de tous les individu-citoyens – deviennent “extrêmes”. N’y a-t-il pas là une source de “corruption” de la démocratie au sens de Montesquieu ?

Dominique Schnapper est directrice d’études en sociologie à l’EHESS, membre du Centre d’études sociologiques et politiques Raymond Aron (UMR 8036 CNRS-EHESS). Spécialiste de sociologie de la citoyenneté, elle vient de publier un essai sur L’esprit démocratique des lois (NRF, Gallimard). Elle a été membre du Conseil constitutionnel, et préside actuellement l’Institut d’études avancées de Paris.

Vous trouverez ici la plaquette de présentation

Quelle: http://trivium.hypotheses.org/626

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