Globalisierung der Erinnerung – Ein Interview mit Joseph Zimet

Joseph Zimet ist Direktor der Mission du Centenaire (Mission 100. Jahrestag des Ersten Weltkrieges), die 2012 von der französischen Regierung zwecks Vorbereitung und Durchführung der Gedenkveranstaltungen zum 100. Jahrestag des Ersten Weltkrieges gegründet wurde.

DHI Paris_Aus den Instituten_Logo1_Mission_Centenaire_14_18_blau_gutWie erklären Sie Ihren deutschen Gesprächspartnern die Bedeutung des centenaire, angesichts der Tatsache, dass der Erste Weltkrieg in Frankreich so einen anderen Stellenwert hat als in Deutschland?
Ich denke, das ist gar nicht wirklich nötig. Hunderte kultureller Projekte, die derzeit in den einzelnen Bundesländern vorbereitet werden, zeugen eindeutig vom Bewusstsein um die Wichtigkeit des Gedenkjahres aufseiten der Zivilgesellschaft. Das Interesse am Ersten Weltkrieg ist westlich und östlich des Rheins sicher unterschiedlich begründet. Es scheint mir jedoch, dass Deutschland den centenaire mitgestalten sollte, um nicht am Rande eines Großereignisses zu stehen, welches europäisch und global zugleich ist. Europa kann des Ersten Weltkriegs nicht ohne Deutschland gedenken. Und auch Frankreich kann den centenaire nicht ohne Deutschland, Partner einer historischen Aussöhnung und der europäischen Integration, begehen. Der Erste Weltkrieg und der centenaire betreffen ganz Europa, daher kann Deutschland sich unmöglich nicht dafür interessieren.

Entlang welcher Linien können Deutschland und Frankreich des Ersten Weltkriegs gemeinsam gedenken?
Es gibt zweifellos die gemeinsame Erfahrung einer Katastrophe, die im Mittelpunkt des gemeinsamen Gedenkens stehen kann. Der Erste Weltkrieg bedeutet für die Bevölkerung beider Nationen gleichermaßen einen tiefen Einschnitt, ja einen regelrechten Schock, mit den gleichen dramatischen Auswirkungen. Gemeinsam ist beiden Ländern auch die Überzeugung, dass die europäische Integration die einzig mögliche, legitime Reaktion auf die großen Konflikte des 20. Jahrhunderts ist. Daher ist das Gedenken an den Ersten Weltkrieg für beide Nationen sehr eng mit dem Europa-Gedanken verbunden.

Die Bedeutung des centenaire geht jedoch über die deutsch-französische Dimension hinaus. Welche Länder sind am europäischen, ja, am globalen Maßstab gemessen, die aktivsten? Hat Sie das Ausmaß des globalen Interesses überrascht?
Das Interesse am Ersten Weltkrieg ist ein weltweites Phänomen, das ist ohne Zweifel der interessanteste Aspekt des Jahrestags. Die Globalisierung der Erinnerung des Ersten Weltkriegs folgt konzentrischen Kreisen und ist ausgesprochen dynamisch. Dabei spielen die Länder des Commonwealth, insbesondere Australien, Neuseeland und Kanada eine tragende Rolle. Großbritannien und Belgien sind ebenfalls stark engagiert. Ferner ist ein zunehmendes Interesse in Mittel- und Osteuropa zu erkennen, insbesondere in jenen Ländern, die im Zuge des Ersten Weltkriegs ihre Unabhängigkeit bzw. Souveränität erlangt haben. Mit dem erklärten Ziel, den in den Jahren der Sowjetunion weitgehend „vergessenen“ Ersten Weltkrieg wiederzuentdecken, arbeitet auch Russland an einem bemerkenswerten Projekt zum centenaire. Nicht zuletzt fallen die Bemühungen anderer Länder wie Österreich, Italien oder Südafrika ins Auge, denen es darum geht, ihren Platz innerhalb des globalen Weltkriegsgedenkens zu finden.

Welchen Platz nimmt die Geschichtswissenschaft im Rahmen der Gedenkveranstaltungen ein? Ist schon abzusehen, inwieweit der centenaire neue Impulse zur Erforschung der Jahre 1914–1918 gibt?
Die Historiker spielen eine große Rolle. Sie haben vor allen Dingen eine absolut notwendige Aufgabe, nämlich kritisch darauf zu achten, dass das Zusammenspiel von histoire und mémoire funktioniert und erstere nicht durch letztere deformiert wird. Eine solche „Wächter“-Rolle sagt allerdings noch nichts über die Qualität der anlässlich des 100. Jahrestagsdes Ersten Weltkriegs veröffentlichten historischen Arbeiten aus. Paradoxerweise stellen wir fest, dass die Experten, die Historiker zwar allgegenwärtig sind, sich eine fundamentale Erneuerung des Forschungsfeldes dadurch aber nicht abzeichnet. Trotz des beeindruckenden Angebotes an neuer Literatur zum Ersten Weltkrieg ist es derzeit schwierig zu sagen, ob unser Wissen über den Ersten Weltkrieg dadurch grundlegend verändert wird.

Sie sind selbst Historiker. Was werden Ihrer Ansicht nach die Historikerinnen und Historiker des Jahres 2050 aus dem centenaire lernen können?
Ganz zweifelsohne wird der centenaire für zukünftig Forschende sowohl unter politischen wie auch soziokulturellen Gesichtspunkten ein spannender Untersuchungsgegenstand sein. Die Untersuchung des centenaire ermöglicht Aufschlüsse über das Verhältnis von Staat und Gesellschaft auf nationaler wie regionaler Ebene, über das Verhältnis von Nation und Armee, über die Einstellungen der Franzosen zu zentralen Themen wie nationale Verteidigung oder Pazifismus. Was die Erinnerungskultur des Ersten Weltkriegs anbelangt, wird man je nach politischer Orientierung verschiedene Diskurse erkennen können. Jenseits der union sacrée bezüglich der Notwendigkeit des Gedenkens erkennt man in den verschiedenen politischen Lagern deutlich divergierende Einstellungen und Interpretationen des Ersten Weltkriegs. All dies muss, wenn der Tag gekommen ist, gut erforscht, analysiert und kartographiert werden.

Das Interview führte Arndt Weinrich vom DHI Paris. Übersetzung aus dem Französischen durch Katharina Thielen.

Quelle: http://grandeguerre.hypotheses.org/1442

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Kristina Hartfiel: “Es ist dieses nur eine historische Milch=Speise für Kinder”? Annäherungen an die Medialität historischer Lehrwerke für die Jugend (17. und 18. Jahrhundert)

Skizze zum Promotionsprojekt. Aufbauend auf meiner Magisterarbeit verfolge ich in meinem Dissertationsvorhaben das Wie der Entstehung, Vermittlung und Rezeption von Wissensbeständen in deutschsprachigen Werken, die zum Lernen der Historie intendiert waren. In diesen Quellen entwickelten, verfestigten, aber auch wandelten sich – so die These – Formen von (Geschichts-)Wissen, weil u.a. Autoren, Verleger und Kupferstecher das Material auswählten, gewichteten und bewerteten. Das heißt konkret: Wie wurde Geschichte sprachlich und visuell dargestellt und in eine lesbare/ wahrnehmbare Form gebracht, so dass nach Meinung der Akteure historische Erkenntnis möglich wurde? Wie, das heißt mit welchen Techniken und Verfahren, wurde die Vergangenheit in Geschichte transformiert? Während diese Fragen insbesondere in der jüngeren Historiographieforschung kein Schattendasein mehr führen, hat die Auseinandersetzung mit den Quellen als Medienkombination von Text und Bild – vor allem in der historischen Bildungs- und Schulbuchforschung – weitaus weniger Betrachtung gefunden. Die von mir zu betrachtenden Werke stellen die Universalgeschichte intermedial bereit.

Doch eine rein inhaltliche, textuell-illustrative, Analyse der Untersuchungsobjekte greift zu kurz. Darüber hinaus bleibt grundlegend zu fragen, ob die als Vermittlungsmedien intendierten Texte überhaupt die Funktion als Lehrwerk übernommen haben und sie somit an der Herstellung und Selektion von Sinn beteiligt waren? Wurden sie sozusagen von einem intendierten auch zu einem rezipierten Lehrwerk (‚gemacht‘)? Wie gestaltete sich – und vor allem wer gestaltete  –  dieses Lehrwerk-Machen? Und welche Rolle spielte dabei die Bildlichkeit? Entgegen einer ontologischen Bestimmung des Begriffs, verstehe ich unter „Lehrwerk“ solche Quellen, die sowohl im Schulunterricht als auch außerhalb von Bildungseinrichtungen zum Lehren und Lernen verwendet wurden. Mein Vorhaben stellt somit in Anlehnung an die Materielle Kulturforschung explizit die Frage des Kontextes und des Gebrauchs der Bücher, vor allem die Frage nach den Akteuren, der Materialität und Medialität der Objekte und damit auch des Nutzungs- und Wirksamkeitskontextes der als Lehrwerk intendierten Quellen.

Im Mittelpunkt meiner Arbeit stehen zwei in Nürnberg gedruckte Werke, die zum Erlernen der Historie beabsichtigt waren, deren Funktion als Lehrwerk für Geschichte bisher aber nicht analysiert wurde. Der Neu=eröffnete Historischen Bildersaal und die Sculptura historiarum et temporum memoratrix, später auch als Die Welt in einer Nuss betitelt, sind im Zeitraum zwischen 1692 und ca. 1782 verfasst worden und – wie die Titel schon andeuten – mit zahlreichen Kupferstichen illustriert. Beide Werke sind heute in den verschiedensten Auflagen und Ausgaben in zahlreichen Bibliotheken präsent. Aufgrund dieser Auflagendichte und der Fortführung der Werke über einen langen Zeitraum lassen sich an den Ausgaben Entwicklungen und Differenzen, Kontinuitäten und Brüche bei der Herstellung, Aneignung und Diffusion soziokultureller Wissensbestände zwischen Barock und Aufklärung nachvollziehen.

Quelle: http://histbav.hypotheses.org/1878

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Ellis Island: Island of Hope, Island of Tears – Ein Praktikumsbericht (Teil 3)

Im Jahr 2008 absolvierte MusErMeKu-Gastautorin Jennifer Hofmann ein 5-monatiges Auslandspraktikum am Ellis Island Immigration Museum in New York. Nachdem sie im ersten Teil ihres Blogbeitrags von den Hintergründen ihres Praktikums berichtete und im zweiten Teil das Museum vorstellte, geht sie nun auf ihre Praktikumsaufgaben genauer ein und zieht ein Resümee. In meinem Praktikum gehörte es mit zu meinen Aufgaben, Interviews mit Zeitzeugen, d.h. mit Menschen, die über Ellis Island eingewandert sind oder die dort gearbeitet haben, zu korrigieren und zu übersetzen. Das Oral History […]

Quelle: http://musermeku.hypotheses.org/992

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SdK 70: David Lindschinger über Römische Geschichte

Die römische Geschichtsschreibung setzte erstaunlich spät ein. Erst gegen Ende des 3. SdK_LindschingerJahrhunderts vor Christus, nachdem Rom bereits ein bedeutender Akteur im Mittelmeerraum war, begannen römische Aristokraten mit den ersten schriftlichen Aufzeichnungen. Ein besonderes Merkmal dieser Historiographie ist, dass die frühen römischen Historiker ausschließlich Gesamtgeschichten verfassten, von der mythischen Stadtgründung durch Romulus und Remus bis zur eigenen Gegenwart im 2. Jahrhundert vor Christus. Der Historiker David Lindschinger untersucht diese nur in zahlreichen Fragmenten überlieferten Texte von insgesamt 15 Autoren und bettet sie in ihren sozio-politischen Kontext ein. Er versucht damit zu erklären, warum die römische Geschichte immer wieder so erzählt wurde, schießlich spielte die Erinnerungskultur bei den römischen Eliten eine zentrale Rolle, was sich zum Beispiel in komplexen Begräbnisritualen zeigt.

Linkliste: David Lindschinger (IFK), Titus Livius: Ab urbe condita (Wikipedia), Fabius Pictor (Wikipedia), The Fragments of the Roman Historians (Wikipedia), Livius Andronicus (Wikipedia), Mos maiorum (Wikipedia), Polybios (Wikipedia), Cato der Ältere (Wikipedia), Römische Republik (Wikipedia)

Quelle: https://stimmen.univie.ac.at/podcast/sdk70

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SdK 70: David Lindschinger über Römische Geschichte

Die römische Geschichtsschreibung setzte erstaunlich spät ein. Erst gegen Ende des 3. Jahrhunderts vor Christus, nachdem Rom bereits ein bedeutender Akteur im Mittelmeerraum war, begannen römische Aristokraten mit den ersten schriftlichen Aufzeichnungen. Ein besonderes Merkmal dieser Historiographie ist, dass die frühen römischen Historiker ausschließlich Gesamtgeschichten verfassten, von der mythischen Stadtgründung durch Romulus und Remus bis zur eigenen Gegenwart im 2. Jahrhundert vor Christus. Der Historiker David Lindschinger untersucht diese nur in zahlreichen Fragmenten überlieferten Texte von insgesamt 15 Autoren und bettet sie in ihren sozio-politischen Kontext ein. Er versucht damit zu erklären, warum die römische Geschichte immer wieder so erzählt wurde, schießlich spielte die Erinnerungskultur bei den römischen Eliten eine zentrale Rolle, was sich zum Beispiel in komplexen Begräbnisritualen zeigt.

Quelle: http://stimmen.univie.ac.at/podcast/sdk70

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“Working for the Common Good”: Prisons and the Ottoman War Effort during Worlds War I

During the hight of Ottoman involvement in the Great War (1914-1918), the Comittee of Union and Progress (CUP) led government continued to carry out an agressive penal reform program in an attempt to overhaul the empire’s sprawling and dilapidated network of prisons. Ottoman officials exerted great amounts of time, energy, and resources gathering statistics, conducting investigations, and implementing reforms. In 1916, the Ottoman government even hired a prominent German civilian criminal psychiatrist and prison reformer, Dr. Paul Pollitz, to oversee these efforts. Though these prison reforms predate the onset of WWI, Ottoman prisons were quickly incorporated into the Ottoman “total war” effort in terms of working for the common good (menafi-yi umumi). In other words, prisons served many wartime purposes.

Ottoman Prisons in WWIVortrag zum Themenkomplex Ersten Weltkrieg in englischer Sprache von Prof. Kent F. Schull (Binghamton University).

Eine Veranstaltung in Kooperation mit der türkischen Stiftung Geschichte (Tarif Vakfi).

Wo: Orient-Institut Istanbul

Wann: 17. März 2014, 19 Uhr

 

Quelle: http://grandeguerre.hypotheses.org/1495

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Numalire – Buchdigitalisierung mittels Crowdfunding (Mittwochstipp 33)

Mit Numalire ist im September 2013 ein Angebot ins Leben gerufen worden, das gezielte Digitalisierungen aus den Altbeständen mehrerer französischer Bibliotheken dank einer Kostenverteilung durch Crowdfunding – die Betreiber bevorzugen die Bezeichnung Subskription – ermöglichen will. Dahinter steht das Startup YABé, … Continue reading

Quelle: http://francofil.hypotheses.org/2174

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Wissenschaftliche/r Mitarbeiter/in gesucht!

An der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel ist zum nächstmöglichen Zeitpunkt für die Dauer von 12 Monaten im Rahmen des aus Mitteln des Niedersächsischen Vorab geförderten Projekts „Digital Humanities – Computerbasierte Infrastruktur, Forschung und Lehre in den Geistes‐ und Sozialwissenschaften” die befristete Stelle einer/eines Wiss. Mitarbeiterin/Mitarbeiters (13TV-L) zu besetzen.

Das Kooperationsprojekt, angesiedelt im Kontext  des Göttinger Center for Digital Humanities, hat zum Ziel, hochwertige, wissenschaftlich zuverlässige und zitierfähige Texte und Datenbanken aus editions- und textbasierten Projekten der Frühen Neuzeit an der Herzog August Bibliothek nach Maßgabe standardisierter Formate zu homogenisieren und in einem zentralen Portal zusammenzuführen. Langfristig wird das Material über Schnittstellen unter Nutzung moderner Semantic Web-Technologien zur Verfügung gestellt.

Den gesamten Ausschreibungstext finden Sie hier.

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=3182

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Luftbildfotografie im Ersten Weltkrieg

Fotokammer der bayerischen Fliegerabteilung 296, 1916

 

Die „Maschinengewehrkamera“ wurde im Ersten Weltkrieg von Oskar Messter (1866-1943) entwickelt und von der Firma Ernemann in Dresden gebaut. Vorbild war das reale Maschinengewehr MG 08. Die Handgriffe des Abzugs waren identisch, ebenso die Visiereinrichtung. Statt eines Patronengürtels enthielt die Kamera einen Filmstreifen.

Die „Maschinengewehrkamera“ wurde im Ersten Weltkrieg von Oskar Messter (1866-1943) entwickelt und von der Firma Ernemann in Dresden gebaut. Vorbild war das reale Maschinengewehr MG 08. Die Handgriffe des Abzugs waren identisch, ebenso die Visiereinrichtung. Statt eines Patronengürtels enthielt die Kamera einen Filmstreifen.

Der Erste Weltkrieg ist auch ein Krieg der Bilder, genauer: ein Krieg, in dem erstmals das Medium der Fotografie massenhaft eingesetzt wurde. Schon der „begeisterte“ Abmarsch der deutschen Truppen Anfang August 1914[1] wurde in unzähligen Aufnahmen dokumentiert. Dabei war die Bildberichterstattung stark der Zensur unterworfen. Alle Kriegsparteien hatten zu Beginn oder während des Kriegs eigene Presse- oder Propagandabüros eingerichtet. Die Kriegsberichte und die Fotografien wurden extrem für propagandistische Zwecke eingesetzt; viele Bilder von der angeblichen Front waren zudem gefälscht bzw. in der Heimat nachgestellt worden. Der Krieg war also auch zu einem Medienkrieg geworden. Andererseits blieben die Kriegsaufnahmen nicht mehr auf Bildjournalisten, Fotografen und Propagandaabteilungen beschränkt. Einige Soldaten besaßen inzwischen Kleinbildkameras und dokumentierten ihre Kriegserlebnisse mit eigenen Fotoapparaten.

Der Erste Weltkrieg war die erste militärische Auseinandersetzung, in der größere Luftstreitkräfte zum Einsatz kamen. Ihre Aufgaben waren die Feindaufklärung aus der Luft, die Erkundung feindlicher Ziele, die Schussbeobachtung der Artillerie und die Bekämpfung von gegnerischen Luft- und Bodenstreitkräften. Eingesetzt wurden Ballone, Luftschiffe und Flugzeuge. Und erstmals wurden zu unterschiedlichen Zwecken Luftbilder aufgenommen.

Die frühesten Luftaufnahmen stammen von dem französischen Fotografen Nadar (eigentlich: Gaspard-Félix Tournachon, 1820-1910), der im Jahr 1858 Fotografien aus einem Fesselballon anfertigte. Noch vor der Jahrhundertwende testeten die neu geschaffenen Luftschiffer-Abteilungen in Preußen oder in Bayern Kameras auf ihre militärische Tauglichkeit.[2] Zunehmend wurden dabei verschiedene Aufnahmetechniken entwickelt: die Schrägaufnahme, die Senkrechtaufnahme, das Reihenbild und das Raumbild aus Stereoaufnahmen. Die Fotografien hatten dabei häufig eine erstaunliche Brillanz, bedenkt man, wie empfindlich und schwer die Glasnegative waren, die von Formaten von 9 x 12 cm bis 18 x 24 cm reichten.

Im Archiv des Deutschen Museums[3] finden sich aus der Zeit des Ersten Weltkriegs zahlreiche Fotografien. Häufige Motive sind Gruppenaufnahmen vor dem eigenen Flugzeug oder abgeschossene bzw. abgestürzte Flugzeuge. Breit abgelichtet wurden die am Krieg beteiligten Flugzeuge und ihre Besatzungen. Neben den eher militärischen Aufnahmen sind aber auch private Szenen des Soldatenlebens festgehalten. Ein interessantes Album stammt aus dem Besitz des als „Fliegerdichter“ bezeichneten Schriftstellers Peter Supf (1886-1961), dessen umfangreicher Nachlass sich heute im Archiv des Deutschen Museums befindet. Supf war Jagdflieger im Ersten Weltkrieg. Viele Aufnahmen zeigen dementsprechend die Flugzeuge und Bewaffnung seiner Einheit, Flugplätze und abgeschossene Flugzeuge. Das Album hält darüber hinaus zahlreiche Eindrücke aus dem Ersten Weltkrieg fest, wobei Fotografien von privaten Feiern, Kegelabenden und Weihnachtsfeiern dominieren.

 

Erfrierungen während eines Aufklärungsflugs: Leutnant Föhles kurz nach der Landung, 1916

Erfrierungen während eines Aufklärungsflugs: Leutnant Föhles kurz nach der Landung, 1916

Bemerkenswert ist, dass sich darin auch eher ungewöhnliche Aufnahmen finden. So sind verschiedene Luftbildaufnahmen erhalten. In der Regel wurden diese aus einer Höhe zwischen 1000 und 2000 Metern angefertigt. Nur selten kam es vor, dass Aufklärungsflüge in große Höhen führten. Ein Beispiel ist der Flug des Piloten Leutnant Schöller und seines Beobachters Leutnant Föhles, die beide zur Abteilung Supfs gehörten. Dabei handelte es sich um die bayerische Fliegerabteilung 286, die im dritten Kriegsjahr 1916 auf dem Flughafen von Condé-lès-Herpy nördlich von Reims stationiert war.

Die abgebildete Aufnahme stammt vom Dezember 1916, als beide Flieger schwere Gesichtserfrierungen erlitten, nachdem sie aus einer Höhe von 5000 Metern Aufnahmen geschossen hatten. Das Foto zeigt den Beobachter Föhles kurz nach der Landung. Deutlich zu erkennen sind die Erfrierungen derjenigen Gesichtspartien, die nicht von der Fliegerbrille und dem Fliegerhelm an der Stirn und am Kinn geschützt waren.

Fotokammer der bayerischen Fliegerabteilung 296, 1916

Fotokammer der bayerischen Fliegerabteilung 296, 1916

Im Album von Peter Supf ist auch das Fotolabor abgebildet, in dem die Fliegerabteilung ihre Luftaufnahmen entwickelte. Dies lenkt den Blick auf die technische Ausstattung, die der Luftaufklärung der Mittelmächte im Ersten Weltkrieg zur Verfügung stand. Zum Einsatz kamen Fliegerkameras unterschiedlicher Hersteller. In der Regel handelte es sich um Apparate mit einer Glasplattengröße von 13 x 18 cm. Die Wechselkassetten enthielten fast durchgängig sechs Platten. In den Anfängen der militärischen Luftbildfotografie hatte man sich mit Formaten 9 x 13 und Brennweiten von 15 und 18 cm begnügt. Nachdem aber insbesondere die Abwehrfeuer der feindlichen Artillerie Flughöhen über 2000 Meter erforderten, musste man die Apparate auf 25 und 30 cm Brennweite und größere Glasplattenformate umstellen. Für die Handhabung der Kameras war keine fotografische Ausbildung notwendig. Das Entwickeln der Platten übernahmen professionelle Fotografen.

 

Titelblatt von Alfred Thiel: Lehrbehelf für Photographie aus dem Flugzeuge für Beobachter-Offiziere, Wien 1916

Titelblatt von Alfred Thiel: Lehrbehelf für Photographie aus dem Flugzeuge für Beobachter-Offiziere, Wien 1916

Tafel zu „Orthochromatische Platten“, aus: Alfred Thiel, Lehrbehelf für Photographie aus dem Flugzeuge für Beobachter-Offiziere, Wien 1916

Tafel zu „Orthochromatische Platten“, aus: Alfred Thiel, Lehrbehelf für Photographie aus dem Flugzeuge für Beobachter-Offiziere, Wien 1916

 

In einem „Lehrbehelf“ stellte der österreichisch-ungarische Oberleutnant der Reserve Alfred Thiel die wichtigsten Fliegerkameras vor, die in Deutschland und Österreich eingesetzt wurden.[4] Behandelt werden im Einzelnen:

1. Lechner-Fliegerkamera (13 x 18 cm)

2. Goldmann-Fliegerkamera (13 x 18 cm)

3. Ica-Fliegerkamera (9 x 12 cm und 13 x 18 cm)

4. Zeiss-Fliegerkamera (9 x 12 cm und 13 x 18 cm)

5. Goerz-Kamera (9 x 12 cm und 13 x 18 cm)

6. Ernemann-Fliegerkameras (13 x 18 cm)

7. Voigtländer-Fliegerkameras (13 x 18 cm)

8. Reihenbilder der Firma Messter, Berlin

9. Stereo-Herzig-Kameras

In die Informationsschrift Thiels sind auch Tafeln mit eingeklebten Originalfotografien zu „Orthochromatischen Platten“ und zu „Lichthoffreien Platten“[5] eingefügt. Interessant ist die Tafel III mit Vorgaben für Aufnahmen aus Flugzeugen.

 

Große militärische Bedeutung hatten Luftaufnahmen der gegnerischen Stellungen. Das Beispiel zeigt ein Luftbild vom 20. Oktober 1916. Es findet sich eingeklebt in einem Album im Archiv des Deutschen Museums.[6] Erhalten sind Fotografien der deutschen Westfront aus der Gegend um Thiaumont, Douamont, Bras sur Meuse und Vacherauville, also von einem Gebiet nördlich von Verdun. Sie wurden von der Fliegerabteilung 44 aufgenommen. Deutlich zu sehen ist auf einem Bild die vorgeschobene Befestigungsanlage in der Mitte. Dahinter ist eine doppelte Festungslinie erkennbar. Vermutlich wurde die Aufnahme in Zusammenhang mit der Beschießung durch die deutsche Artillerie angefertigt, um den Erfolg der Bombardierung zu messen. Auf dem Foto sind Hunderte von Bombentrichtern zu sehen.

Luftaufklärung: Französische Stellungen im Gebiet nördlich von Verdun, 1916

Luftaufklärung: Französische Stellungen im Gebiet nördlich von Verdun, 1916

Die Luftbildfotografie hat über den militärischen Aspekt hinaus bleibenden Wert. Besondere Bedeutung haben die Luftaufnahmen, welche von der bayerischen Fliegerabteilung 304 stammen.[7] Die Einheit wurde 1917 von Schleißheim bei München nach Palästina verlegt. Von ihrer Tätigkeit sind noch heute 2526 Luftaufnahmen erhalten. Sie sind für die Alltags- und Verkehrsgeschichte und für die Archäologie der Region wichtig. So sind auf den Fotografien Umrisse von Ruinen alter Kreuzfahrerburgen oder auch Orte zu identifizieren, die aus der Antike bekannt sind. Die Aufnahmen sind online im Netz verfügbar.[8]

 


[1] Zur Thematik der angeblichen „Kriegsbegeisterung“ vgl. Jean-Jacques Becker, Comment les Français sont entrés dans la guerre. Contribution à l’étude de l’opinion publique printemps-été 1914, Paris 1977; Jeffrey Verhey, The Spirit of 1914: Militarism, Myth and Mobilization in Germany, Cambridge 2000; Wolfgang Kruse, Kriegsbegeisterung? Zur Massenstimmung bei Kriegsbeginn, in: ders. (Hrsg.), Eine Welt von Feinden. Der große Krieg 1914-1918, Frankfurt a.M. 1997, S. 159-166; Oliver Janz, Der Krieg als Opfergang und Katharsis. Gefallenenbriefe aus dem Ersten Weltkrieg, in: Rüdiger Hohls/Iris Schröder/Hannes Siegrist (Hrsg.), Europa und die Europäer. Quellen und Essays zur modernen europäischen Geschichte, Wiesbaden 2005, S. 397-402.

[2] Vgl. Rainer Braun, Übungsflüge und Übungsluftaufnahmen über Bayern 1912-1918. Die bayerischen Flieger-Beobachter, ihre Ausbildung in Schleißheim und ihr Bildbestand, in: Oberbayerisches Archiv 117/118 (1993/1994), S. 131-154.

[4] Alfred Thiel, Lehrbehelf für Photographie aus dem Flugzeuge für Beobachter-Offiziere, Wien 1916; Deutsches Museum, München, Archiv, LR 00387. Eine ähnliche Einweisung in die Luftbildfotografie publizierte Leutnant Wecker, Die Erkundung aus Fliegerbildern, Wahn o.J. [ca. 1916; mit zahlreichen eingeklebten Fotografien].

[5] Farbempfindliche oder orthochromatische und lichthoffreie Platten nennt man solche Fotoplatten, die für einige Farben besonders empfindlich sind. Erst seit ca. 1884 gelang es, Fotoplatten entsprechend zu beschichten. Für Höhenaufnahmen kamen nur orthochromatische Platten in Frage, da bei diesen die notwendige Rotempfindlichkeit gegeben war. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs waren Platten der Firma Hauff und von AGFA im Einsatz. Bei einer Aufnahme gegen einen grell beleuchteten Gegenstand entstand auf der Platte ein weißer Fleck, den man „Lichthof“ nannte. Die Erklärung lag in der Reflexion von Lichtstrahlen begründet, die durch die Fotoplatten hindurchgingen. Durch spezielle Beschichtungen konnten lichthoffreie Platten produziert werden. Diese basierten auf Forschungen von Adolf Miethe und Adolf Traube in Berlin um 1900.

[6] Deutsches Museum, München, Archiv, LR 02118/1.

[7] Vgl. Bayerisches Hauptstaatsarchiv (Hrsg.), Bayern und seine Armee. Eine Ausstellung des Bayerischen Hauptstaatsarchivs aus den Beständen des Kriegsarchivs, München 1987, S. 82f.

[8] Bayerisches Hauptstaatsarchiv: Bildsammlung Palästina.

Quelle: http://www.visual-history.de/2014/03/11/luftbildfotografie-im-ersten-weltkrieg/

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Luftbildfotografie im Ersten Weltkrieg

Fotokammer der bayerischen Fliegerabteilung 296, 1916

 

Die „Maschinengewehrkamera“ wurde im Ersten Weltkrieg von Oskar Messter (1866-1943) entwickelt und von der Firma Ernemann in Dresden gebaut. Vorbild war das reale Maschinengewehr MG 08. Die Handgriffe des Abzugs waren identisch, ebenso die Visiereinrichtung. Statt eines Patronengürtels enthielt die Kamera einen Filmstreifen.

Die „Maschinengewehrkamera“ wurde im Ersten Weltkrieg von Oskar Messter (1866-1943) entwickelt und von der Firma Ernemann in Dresden gebaut. Vorbild war das reale Maschinengewehr MG 08. Die Handgriffe des Abzugs waren identisch, ebenso die Visiereinrichtung. Statt eines Patronengürtels enthielt die Kamera einen Filmstreifen.

Der Erste Weltkrieg ist auch ein Krieg der Bilder, genauer: ein Krieg, in dem erstmals das Medium der Fotografie massenhaft eingesetzt wurde. Schon der „begeisterte“ Abmarsch der deutschen Truppen Anfang August 1914[1] wurde in unzähligen Aufnahmen dokumentiert. Dabei war die Bildberichterstattung stark der Zensur unterworfen. Alle Kriegsparteien hatten zu Beginn oder während des Kriegs eigene Presse- oder Propagandabüros eingerichtet. Die Kriegsberichte und die Fotografien wurden extrem für propagandistische Zwecke eingesetzt; viele Bilder von der angeblichen Front waren zudem gefälscht bzw. in der Heimat nachgestellt worden. Der Krieg war also auch zu einem Medienkrieg geworden. Andererseits blieben die Kriegsaufnahmen nicht mehr auf Bildjournalisten, Fotografen und Propagandaabteilungen beschränkt. Einige Soldaten besaßen inzwischen Kleinbildkameras und dokumentierten ihre Kriegserlebnisse mit eigenen Fotoapparaten.

Der Erste Weltkrieg war die erste militärische Auseinandersetzung, in der größere Luftstreitkräfte zum Einsatz kamen. Ihre Aufgaben waren die Feindaufklärung aus der Luft, die Erkundung feindlicher Ziele, die Schussbeobachtung der Artillerie und die Bekämpfung von gegnerischen Luft- und Bodenstreitkräften. Eingesetzt wurden Ballone, Luftschiffe und Flugzeuge. Und erstmals wurden zu unterschiedlichen Zwecken Luftbilder aufgenommen.

Die frühesten Luftaufnahmen stammen von dem französischen Fotografen Nadar (eigentlich: Gaspard-Félix Tournachon, 1820-1910), der im Jahr 1858 Fotografien aus einem Fesselballon anfertigte. Noch vor der Jahrhundertwende testeten die neu geschaffenen Luftschiffer-Abteilungen in Preußen oder in Bayern Kameras auf ihre militärische Tauglichkeit.[2] Zunehmend wurden dabei verschiedene Aufnahmetechniken entwickelt: die Schrägaufnahme, die Senkrechtaufnahme, das Reihenbild und das Raumbild aus Stereoaufnahmen. Die Fotografien hatten dabei häufig eine erstaunliche Brillanz, bedenkt man, wie empfindlich und schwer die Glasnegative waren, die von Formaten von 9 x 12 cm bis 18 x 24 cm reichten.

Im Archiv des Deutschen Museums[3] finden sich aus der Zeit des Ersten Weltkriegs zahlreiche Fotografien. Häufige Motive sind Gruppenaufnahmen vor dem eigenen Flugzeug oder abgeschossene bzw. abgestürzte Flugzeuge. Breit abgelichtet wurden die am Krieg beteiligten Flugzeuge und ihre Besatzungen. Neben den eher militärischen Aufnahmen sind aber auch private Szenen des Soldatenlebens festgehalten. Ein interessantes Album stammt aus dem Besitz des als „Fliegerdichters“ bezeichneten Schriftstellers Peter Supf (1886-1961), dessen umfangreicher Nachlass sich heute im Archiv des Deutschen Museums befindet. Supf war Jagdflieger im Ersten Weltkrieg. Viele Aufnahmen zeigen dementsprechend die Flugzeuge und Bewaffnung seiner Einheit, Flugplätze und abgeschossene Flugzeuge. Das Album hält darüber hinaus zahlreiche Eindrücke aus dem Ersten Weltkrieg fest, wobei Fotografien von privaten Feiern, Kegelabenden und Weihnachtsfeiern dominieren.

 

Erfrierungen während eines Aufklärungsflugs: Leutnant Föhles kurz nach der Landung, 1916

Erfrierungen während eines Aufklärungsflugs: Leutnant Föhles kurz nach der Landung, 1916

Bemerkenswert ist, dass sich darin auch eher ungewöhnliche Aufnahmen finden. So sind verschiedene Luftbildaufnahmen erhalten. In der Regel wurden diese aus einer Höhe zwischen 1000 und 2000 Metern angefertigt. Nur selten kam es vor, dass Aufklärungsflüge in große Höhen führten. Ein Beispiel ist der Flug des Piloten Leutnant Schöller und seines Beobachters Leutnant Föhles, die beide zur Abteilung Supfs gehörten. Dabei handelte es sich um die bayerische Fliegerabteilung 286, die im dritten Kriegsjahr 1916 auf dem Flughafen von Condé-lès-Herpy nördlich von Reims stationiert war.

Die abgebildete Aufnahme stammt vom Dezember 1916, als beide Flieger schwere Gesichtserfrierungen erlitten, nachdem sie aus einer Höhe von 5000 Metern Aufnahmen geschossen hatten. Das Foto zeigt den Beobachter Föhles kurz nach der Landung. Deutlich zu erkennen sind die Erfrierungen derjenigen Gesichtspartien, die nicht von der Fliegerbrille und dem Fliegerhelm an der Stirn und am Kinn geschützt waren.

Fotokammer der bayerischen Fliegerabteilung 296, 1916

Fotokammer der bayerischen Fliegerabteilung 296, 1916

Im Album von Peter Supf ist auch das Fotolabor abgebildet, in der die Fliegerabteilung ihre Luftaufnahmen entwickelte. Dies lenkt den Blick auf die technische Ausstattung, die der Luftaufklärung der Mittelmächte im Ersten Weltkrieg zur Verfügung stand. Zum Einsatz kamen Fliegerkameras unterschiedlicher Hersteller. In der Regel handelte es sich um Apparate mit einer Glasplattengröße von 13 x 18 cm. Die Wechselkassetten enthielten fast durchgängig sechs Platten. In den Anfängen der militärischen Luftbildfotografie hatte man sich mit Formaten 9 x 13 und Brennweiten von 15 und 18 cm begnügt. Nachdem aber insbesondere die Abwehrfeuer der feindlichen Artillerie Flughöhen über 2000 Meter erforderten, musste man die Apparate auf 25 und 30 cm Brennweite und größere Glasplattenformate umstellen. Für die Handhabung der Kameras war keine fotografische Ausbildung notwendig. Das Entwickeln der Platten übernahmen professionelle Fotografen.

 

Titelblatt von Alfred Thiel: Lehrbehelf für Photographie aus dem Flugzeuge für Beobachter-Offiziere, Wien 1916

Titelblatt von Alfred Thiel: Lehrbehelf für Photographie aus dem Flugzeuge für Beobachter-Offiziere, Wien 1916

Tafel zu „Orthochromatische Platten“, aus: Alfred Thiel, Lehrbehelf für Photographie aus dem Flugzeuge für Beobachter-Offiziere, Wien 1916

Tafel zu „Orthochromatische Platten“, aus: Alfred Thiel, Lehrbehelf für Photographie aus dem Flugzeuge für Beobachter-Offiziere, Wien 1916

 

In einem „Lehrbehelf“ stellte der österreichisch-ungarische Oberleutnant der Reserve Alfred Thiel die wichtigsten Fliegerkameras vor, die in Deutschland und Österreich eingesetzt wurden.[4] Behandelt werden im Einzelnen:

1. Lechner-Fliegerkamera (13 x 18 cm)

2. Goldmann-Fliegerkamera (13 x 18 cm)

3. Ica-Fliegerkamera (9 x 12 cm und 13 x 18 cm)

4. Zeiss-Fliegerkamera (9 x 12 cm und 13 x 18 cm)

5. Goerz-Kamera (9 x 12 cm und 13 x 18 cm)

6. Ernemann-Fliegerkameras (13 x 18 cm)

7. Voigtländer-Fliegerkameras (13 x 18 cm)

8. Reihenbilder der Firma Messter, Berlin

9. Stereo-Herzig-Kameras

In die Informationsschrift Thiels sind auch Tafeln mit eingeklebten Originalfotografien zu „Orthochromatischen Platten“ und zu „Lichthoffreien Platten“[5] eingefügt. Interessant ist die Tafel III mit Vorgaben für Aufnahmen aus Flugzeugen.

 

Große militärische Bedeutung hatten Luftaufnahmen der gegnerischen Stellungen. Das Beispiel zeigt ein Luftbild vom 20. Oktober 1916. Es findet sich eingeklebt in einem Album im Archiv des Deutschen Museums.[6] Erhalten sind Fotografien der deutschen Westfront aus der Gegend um Thiaumont, Douamont, Bras sur Meuse und Vacherauville, also von einem Gebiet nördlich von Verdun. Sie wurden von der Fliegerabteilung 44 aufgenommen. Deutlich zu sehen ist auf einem Bild die vorgeschobene Befestigungsanlage in der Mitte. Dahinter ist eine doppelte Festungslinie erkennbar. Vermutlich wurde die Aufnahme in Zusammenhang mit der Beschießung durch die deutsche Artillerie angefertigt, um den Erfolg der Bombardierung zu messen. Auf dem Foto sind Hunderte von Bombentrichtern zu sehen.

Luftaufklärung: Französische Stellungen im Gebiet nördlich von Verdun, 1916

Luftaufklärung: Französische Stellungen im Gebiet nördlich von Verdun, 1916

Die Luftbildfotografie hat über den militärischen Aspekt hinaus bleibenden Wert. Besondere Bedeutung haben die Luftaufnahmen, welche von der bayerischen Fliegerabteilung 304 stammen.[7] Die Einheit wurde 1917 von Schleißheim bei München nach Palästina verlegt. Von ihrer Tätigkeit sind noch heute 2526 Luftaufnahmen erhalten. Sie sind für die Alltags- und Verkehrsgeschichte und für die Archäologie der Region wichtig. So sind auf den Fotografien Umrisse von Ruinen alter Kreuzfahrerburgen oder auch Orte zu identifizieren, die aus der Antike bekannt sind. Die Aufnahmen sind online im Netz verfügbar.[8]

 


[1] Zur Thematik der angeblichen „Kriegsbegeisterung“ vgl. Jean-Jacques Becker, Comment les Français sont entrés dans la guerre. Contribution à l’étude de l’opinion publique printemps-été 1914, Paris 1977; Jeffrey Verhey, The Spirit of 1914: Militarism, Myth and Mobilization in Germany, Cambridge 2000; Wolfgang Kruse, Kriegsbegeisterung? Zur Massenstimmung bei Kriegsbeginn, in: ders. (Hrsg.), Eine Welt von Feinden. Der große Krieg 1914-1918, Frankfurt a.M. 1997, S. 159-166; Oliver Janz, Der Krieg als Opfergang und Katharsis. Gefallenenbriefe aus dem Ersten Weltkrieg, in: Rüdiger Hohls/Iris Schröder/Hannes Siegrist (Hrsg.), Europa und die Europäer. Quellen und Essays zur modernen europäischen Geschichte, Wiesbaden 2005, S. 397-402.

[2] Vgl. Rainer Braun, Übungsflüge und Übungsluftaufnahmen über Bayern 1912-1918. Die bayerischen Flieger-Beobachter, ihre Ausbildung in Schleißheim und ihr Bildbestand, in: Oberbayerisches Archiv 117/118 (1993/1994), S. 131-154.

[4] Alfred Thiel, Lehrbehelf für Photographie aus dem Flugzeuge für Beobachter-Offiziere, Wien 1916; Deutsches Museum, München, Archiv, LR 00387. Eine ähnliche Einweisung in die Luftbildfotografie publizierte Leutnant Wecker, Die Erkundung aus Fliegerbildern, Wahn o.J. [ca. 1916; mit zahlreichen eingeklebten Fotografien].

[5] Farbempfindliche oder orthochromatische und lichthoffreie Platten nennt man solche Fotoplatten, die für einige Farben besonders empfindlich sind. Erst seit ca. 1884 gelang es, Fotoplatten entsprechend zu beschichten. Für Höhenaufnahmen kamen nur orthochromatische Platten in Frage, da bei diesen die notwendige Rotempfindlichkeit gegeben war. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs waren Platten der Firma Hauff und von AGFA im Einsatz. Bei einer Aufnahme gegen einen grell beleuchteten Gegenstand entstand auf der Platte ein weißer Fleck, den man „Lichthof“ nannte. Die Erklärung lag in der Reflexion von Lichtstrahlen begründet, die durch die Fotoplatten hindurchgingen. Durch spezielle Beschichtungen konnten lichthoffreie Platten produziert werden. Diese basierten auf Forschungen von Adolf Miethe und Adolf Traube in Berlin um 1900.

[6] Deutsches Museum, München, Archiv, LR 02118/1.

[7] Vgl. Bayerisches Hauptstaatsarchiv (Hrsg.), Bayern und seine Armee. Eine Ausstellung des Bayerischen Hauptstaatsarchivs aus den Beständen des Kriegsarchivs, München 1987, S. 82f.

[8] Bayerisches Hauptstaatsarchiv: Bildsammlung Palästina.

Quelle: http://www.visual-history.de/?p=2347

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