Rezensionen neu denken: Wissenschaftskommunikation bei recensio.net

Wenn man sich den Boom der Sozialen Netzwerke vor Augen führt oder auch den Erfolg von kommentarbasierten Bewertungsmechanismen, die unseren privaten Konsum lenken und kaum mehr wegzudenken sind (z.B. Amazon), ist es besonders verwunderlich, dass der geschichtswissenschaftliche Buchmarkt hinsichtlich seiner Bewertungsinstrumente bisher auffällig traditionell bleibt.

Das über Jahrzehnte gewachsene und etablierte Textgenre „Buchrezension“ bleibt unerschüttert von der vielbeschworenen „digitalen Revolution“. Nun kann man wirklich nicht behaupten, dass die Rezension nicht den Sprung vom Papier ins Netz geschafft hätte – gerade bei der Rezension liegt es nahe, dass der einfache, schnelle und kostenlose Zugriff allen Beteiligten dienlich ist: Viele Fachjournale publizieren ihre Rezensionsteile inzwischen hybrid. Mehr noch: Online-Rezensionsjournale gründeten sich sehr früh, erfreuen sich stetig wachsender Beliebtheit und sind aus dem geschichtswissenschaftlichen Rezensionsmarkt kaum mehr wegzudenken.

Eine Rezension, die in einem Online-Magazin erscheint, spart ein wenig Zeit ganz am Ende des Publikationsprozesses, bei Druck, Auslieferung, Anschaffungsprozess in der Bibliothek. Dennoch bleibt sie ihrem Charakter nach eine Übertragung des Gewohnten (der gedruckten Rezension) in ein neues Medium (das Internet). Was sie dabei nicht nutzt, ist das eigentliche Potential der Webkommunikation. Gerade im Fall von Rezensionen, die ja nichts anderes sind als ein Kommunikationsinstrument, um sich über Gehalt und Wert neuer Schriften auszutauschen, ist dieses Potential besonders groß. Besteht nicht einer der Nachteile bisherigen Rezensierens in der Einseitigkeit der Stellungnahme? Ein Rezensent spricht und urteilt. Und er urteilt über das Buch als Ganzes: Über jene Aspekte, die er beurteilen kann ebenso wie über die, auf die das vielleicht nicht zutrifft. Und: Wenn es einen Austausch gibt (etwa die Replik des besprochenen Autors), besteht nicht ein gravierender Nachteil in der Schwerfälligkeit, der Langsamkeit der Kommunikation, dem Nicht-Nebeneinander von Rede und Antwort durch die Verteilung des Austauschs auf mehrere Ausgaben einer Zeitschrift, oder im schlechtesten Fall sogar auf unterschiedliche Organe?

Die aktuelle, von den Möglichkeiten flexibler Netzkommunikation und verteilten Arbeitens beflügelte Entwicklung vom ergebnis- hin zum prozessualen Charakter gemeinschaftlichen Arbeitens ließe sich dabei gerade für das Textgenre „Rezension“ fruchtbar machen…

Internationalität – ein anderer Punkt, der bei Rezensionen durch eine bessere Nutzung der Potentiale, die das Internet bietet, verbessert werden soll: Bisher bleibt der Blick auf Neuerscheinungen geschichtswissenschaftlicher Literatur häufig auf den nationalen Radius beschränkt.

Bei der Frage nach den Gründen des beschriebenen Status quo fällt das Stichwort Generationenwechsel. Die Praxis an den Universitäten zeigt immer deutlicher, dass gerade die Generation der Nachwuchswissenschaftler (erst Recht die der Studierenden) sich bei der Suche nach Rezensionen zunehmend auf das beschränken, was über Google auffindbar ist. Der Griff zur Traditionszeitschrift im Regal der Bibliothek zu festgelegten Erscheinungszeitpunkten im Jahr wird – vorsichtig ausgedrückt – seltener. Dagegen sind die Vorbehalte gegenüber fluider Netzkommunikation, gegen Kommentarfunktionen, ja das Desinteresse gegenüber darin verborgener Potentiale, insbesondere im konservativen Flügel des Fachs groß.

Daneben wirft das etablierte Rezensionswesen verschiedene andere Probleme auf, allen voran eine immer größere Unübersichtlichkeit: Immer mehr Rezensionsorgane versuchen den explodierenden Neuerscheinungsmarkt zu spiegeln. Mal auf Papier, mal im Netz, mal in beidem, verstreut an unterschiedlichen Orten, muss der Wissenschaftler auf die Suche gehen, ist dabei selbst von immer stärkerer Arbeitsbelastung betroffen – und in der Regel zugleich Rezensierter und Rezensent, dem immer weniger Zeit bleibt, Rezensionen zu verfassen. Erst recht dann, wenn er davon ausgehen kann, dass diese im Meer der Rezensionsorgane fast ungelesen ertrinkt.

Wie kann Abhilfe geschaffen und das Potential des Internets für Rezensionen genutzt werden – und zugleich Übersicht in den bestehenden Rezensionsmarkt gebracht werden?

Diese Frage stellten sich in der Planungsphase von „recensio.net“ (http://www.recensio.net) die Bayerische Staatsbibliothek, das Deutsche Historische Institut Paris und das Institut für Europäische Geschichte in Mainz. Die DFG fördert den Aufbau der Plattform als eine Art Pilotprojekt: Angestrebt wird eine Verbindung von traditionellem und „neuem“ Rezensieren: Einerseits führen wir Rezensionen aus vielen „klassischen“ Rezensionszeitschriften im Open Access auf der Plattform zusammen, andererseits erproben wir neue Instrumente zum kommentarbasierten wissenschaftlichen Rezensieren, die einen flexiblen, partikularen, insbesondere auch internationalen Austausch über Neuerscheinungen möglich machen, ohne dabei auf die im wissenschaftlichen Umfeld notwendige Qualitätskontrolle zu verzichten.

recensio.net ist Anfang 2010 online gegangen. www.recensio.net

Startseite recensio.net

Prinzipiell basiert die Plattform auf zwei Grundideen:

Die erste (traditionell orientierte) Säule verbirgt sich hinter dem Hauptlink „Rezensionen“. Hier fungiert recensio.net als ein Open-Access-Aggregator für „klassische Rezensionen“, als Dienstleister für Rezensionszeitschriften. Fachzeitschriften (online oder print), die mit recensio.net kooperieren, stellen ihre Rezensionen zusätzlich über die Plattform zur Verfügung: Als Druck-PDF-Datei, als HTML-Text, mit oder ohne Embargofrist, hier richten wir uns ganz nach den Wünschen der Verlage und Redaktionen, die weiterhin vollständig autark arbeiten und ihre Daten recensio.net in keinster Weise exklusiv zur Verfügung stellen.

Hier ein Beispiel einer Rezension der französischen Zeitschrift „Mélanges de la Casa de Velázquez“.

Alle Inhalte stehen im Open Access im Volltext direkt auf der Plattform zur Verfügung, so dass eine Volltextsuche die Auffindbarkeit der Rezensionen optimiert. Darüber hinaus sind alle Rezensionen mit ausführlichen Metadaten versehen, die neben den üblichen Angaben zum rezensierten Buch auch thematische Klassifikationen sowie Schlagwörter umfassen. Im Laufe des Jahres 2012 werden zudem alle Rezensionen an der Titelaufnahme des rezensierten Werks im OPAC der Bayerischen Staatsbibliothek verlinkt, was ihrer Sichtbarkeit natürlich noch einmal erhöhen wird.

Zugang zur Rezension findet der Nutzer durch die einfache Volltextsuche über alle Zeitschriften hinweg, über verschiedenste Features der Erweiterten Suche (etwa einschränkend auf eine Sprache, ein Thema oder eine Zeitschrift) sowie direkt „browsend“, indem man die Zeitschrift seiner Wahl ansteuert und durchstöbert.

Aus diesen Vorteilen hinsichtlich der Findbarkeit, Erschließung und Bündelung von Rezensionen auf internationaler Ebene erklärt sich das Interesse der Redaktionen, mitzumachen. Gerade kleinere Fachzeitschriften können immer drängendere Fragen wie Metadatenanreicherungen oder Langzeitarchivierung aus eigener Kraft oft kaum leisten. So sind heute bereits 27 Zeitschriften mit mehr als 4000 aktuellen Rezensionen über recensio.net abrufbar. Auch französischsprachige Zeitschriften sind darunter: Die Mélanges de la Casa de Velázquez, Recherches sur Diderot et sur l’Encyclopédie und die Revue d’histoire du XIXe siècle. Nicht zu vergessen der Frankreichschwerpunkt bei Francia-Recensio, herausgegeben vom DHI Paris.

Die zweite Grundidee, auf der recensio.net fußt, beschreitet Neuland: Der Hauptlink „Präsentationen“ auf der Startseite führt in diesen Bereich, der einen Schritt in Richtung Web 2.0 vornimmt: Autoren können hier direkt auf der Plattform Präsentationen bereits publizierter Schriften einstellen, wobei es sich selbstverständlich nicht um ausschweifendes Selbstlob handeln soll, sondern um eine knappe Präsentation der Kernthesen innerhalb eines durch ein Formular vorgegebenen recht strengen Rahmens. Diese Thesen sollen über ein „Klappentextniveau“ hinausgehen, sollen möglichst pointiert, gern auch provokant formuliert sein, um andere Plattformnutzer (in der Regel auch Wissenschaftler) dazu anzuregen, Kommentare zu verfassen. Ein Kommentar muss eben nicht eine vollständige Rezension eines ganzen Werks sein, sondern kann auch eine Stellungnahme zu einem Einzelaspekt sein. Damit wird einerseits die wachsende Hemmschwelle gesenkt, überhaupt „rezensierend“ tätig zu werden (die es angesichts der wachsenden Arbeitsbelastung im universitären Alltag zunehmend gibt). Zugleich wird aber auch, so denken wir, der Blick über Fachgrenzen hinweg erleichtert: Selten werden geschichtswissenschaftliche Schriften von Vertretern benachbarter Disziplinen rezensiert, obschon diese nicht selten zu Spezialfragen wertvollen Input liefern könn(t)en.

Autoren können nicht nur Monographien, sondern auch Aufsätze präsentieren, die sie in Sammelbänden oder in Zeitschriften publiziert haben. Darüber hinaus können auch Internetressourcen für Historiker präsentiert und kommentiert werden (Datenbanken, Blogs, Bibliographien u.ä.). Der Präsentierende wird über den Eingang eines Kommentars informiert. Im Idealfall entspinnt sich um eine Präsentation herum eine neue Art von Rezension, eine „lebendige Rezension“.

Dieser zweite Teil der Plattform wird Zeit zum Anlaufen brauchen. Um selbiges zu erleichtern, wird der Autor im Formular seiner Präsentation um die Angabe von „Bezugsautoren“ gebeten.

Dabei handelt es sich um Kollegen, mit deren Thesen er sich in seiner Schrift beschäftigt hat. Nach der Publikation einer Präsentation werden diese von recensio.net auf die Existenz der Publikation und die der Präsentation hingewiesen und natürlich auf die Möglichkeit, direkt auf der Plattform zu antworten.
recensio.net ist nun zehn Monate online. Der Erfolg der „Säule 1“, des klassischen Ansatzes, hat all unsere Erwartungen übertroffen. Hinsichtlich der innovativen „Säule 2“ fällt die erste Bilanz erwartungsgemäß aus: Die Kommentarfunktion wird selten benutzt. Dies liegt wohl daran, dass wir zwei neue Dinge auf einmal von den Wissenschaftlern verlangen: die eigene Schrift einem potentiell weltweiten Publikum vorzustellen und zugleich andere Präsentationen qualifiziert zu kommentieren – unaufgefordert und zusätzlich zum bestehenden “klassischen” Rezensionswesen. Es ist ein gutes Vorzeichen, dass schon jetzt stetig Präsentationen (aus internationalem Umfeld) eingestellt werden, wenn auch die Akzeptanz und Etablierung des „lebendigen Rezensierens“ sich eher über einen langen Zeitraum vollziehen wird.

Für die Sicherung des wissenschaftlichen Standards von Präsentationen und Kommentaren sorgt das Redaktionsteam der Plattform.

Individuelle Suchen können als RSS-Feeds abonniert werden. Ansonsten kann, wer auf dem Laufenden bleiben möchte, sich für den monatlichen Newsletter einschreiben, oder recensio.net auf Facebook oder Twitter folgen: http://de-de.facebook.com/recensio.net und http://twitter.com/RecensioNet.

Recensio.net hat einen gesamteuropäischen Ansatz, der sich jetzt bereits in den kooperierenden Zeitschriften der Säule 1 spiegelt. Die gesamte Plattform ist vollständig dreisprachig navigierbar (Englisch, Deutsch, Französisch). Klassische Rezensionen erscheinen in der Sprache ihrer Erstpublikation, jetzt schon bis hin zu Finnisch und Russisch. Wer präsentiert und kommentiert kann dies prinzipiell in seiner Sprache tun, alle europäischen Sprachen werden angeboten.

Die DFG hat kürzlich gemeinsam mit drei weiteren europäischen Institutionen (http://www.knowledge-exchange.info/) ein Portal gegründet, das der Sichtbarkeitssteigerung von Erfolgskonzepten im Open-Access-Bereich dienen soll. Es nennt sich Open Access Success Stories (http://www.oastories.org/success-stories/). Wir freuen uns darüber, dass recensio.net unter den ersten sechs dort für den Plattformstart präsentierten Konzepten aus Deutschland ist. Und wir freuen uns darauf, die Idee hinter recensio.net in den kommenden Jahren weiter auszubauen. Ihre Fragen, Anregungen und Wünsche sind dabei jederzeit willkommen! Schreiben Sie uns eine Mail: redaktion@recensio.net

Quelle: http://dhdhi.hypotheses.org/683

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Ralf Hoffrogge: Sozialismus und Arbeiterbewegung in Deutschland. Von den Anfangen bis 1914.

Cover Hoffrogge SozialismusMarion Liebhold vom Buchladenkollektiv Schwarze Risse (Berlin) hat reingeblättert.

Die Geschichtsschreibung der Arbeiterbewegung in Deutschland wurde lange dominiert von der Sozialdemokratie und dem orthodoxen Marxismus. Sie hat an den Niederlagen der Bewegung selbst, bis hin zu ihrer Zerschlagung 1933, gelitten. Eine Folge davon ist, dass, wie Ralf Hoffrogge in der Einführung zu diesem Buch schreibt, ein Großteil der linken „Gruppen und Bewegungen abseits von Linkspartei und Gewerkschaften in ihrer politischen Aktivität keinen Bezug mehr zur Geschichte des Sozialismus hat.“ Weil aber die „Klassenfrage“ heute aktueller denn je ist, sind es auch die Erfahrungen und Lehren, die sich aus der Geschichte der Klassenkämpfe und ihrer Organisationen ziehen lassen.

Da eine Sozialgeschichte der modernen Arbeiterbewegung den Rahmen einer theorie.org-Einführung sprengen würde, konzentriert sich Hoffrogge vor allem auf ihre politische Geschichte. Er stellt die Organisationen, ihre Entstehungsbedingungen und LeiterInnen vor und zeichnet die richtungweisenden Debatten und Entscheidungen nach.Die erste wichtige Organisation der Arbeiterbewegung in Deutschland war der ‚Bund der Geächteten‘, zu dem sich 1834 wandernde Gesellen und exilierte Intellektuelle in Paris zusammenschlossen – und zum ersten Mal Arbeiterkämpfe mit der politisch-philosophischen Perspektive eines Sozialismus bzw. (damals noch gleichbedeutend:) Kommunismus verbanden, also mit der Vision einer den Kapitalismus überwindenden Gesellschaft. Die Entwicklung von dort bis zur SDAP bzw. SPD als erster Massenpartei der Arbeiterbewegung und zur Verbreitung der Gewerkschaften war geprägt vom Kampf gegen Repression und um Anerkennung als politischer Akteur.

Dass am Ende dieser Entwicklung die Partei ihre Erfolge nicht mehr an der Revolution, sondern nur noch an Wählerstimmen maß und im arbeitsteiligen Verbund mit den Gewerkschaften an der Verdrängung des politischen Klassenkampfes arbeitete, war auch internen Verwerfungen geschuldet. Die Konflikte zwischen unterschiedlichen Fraktionen, an der Basis der Bewegung und an den Rändern der Organisationen sind die interessantesten Momente der Geschichte.

Hoffrogge gibt den marginalisierten Stimmen und Strömungen viel Raum und rezipiert ‚andere‘ Historiker der Arbeiterbewegung wie Karl Heinz Roth, Ahlrich Meyer und Erhard Lucas. Seine eigene Darstellung politischer Geschichte zeichnet aus, dass in ihr meist nicht einfach ‚eins zum anderen’ führt, sondern die historischen Zusammenhänge komplex und bisweilen paradox sind. Hoffrogge gelingt es, viele Schwächen und Beschränkungen in der geschichtlichen  Theorie und Praxis der organisierten Arbeiterbewegung kritisieren, ohne sich von ihr zu verabschieden.

Schmetterling Verlag [theorie.org], Stuttgardt 2011, ISBN 978-3-89657-655-0, Paperback, 216 Seiten, 10,- €


Einsortiert unter:Arbeiterbewegung, Literatur

Quelle: https://kritischegeschichte.wordpress.com/2011/12/13/ralf-hoffrogge-sozialismus-und-arbeiterbewegung-in-deutschland-von-den-anfangen-bis-1914/

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Schüler rezensieren für Schüler bei lesepunkte.de – eine ausgezeichnete Idee!

lesepunkte als Gastgeber der lit.kid.COLOGNE 2007

von Ulrike Schmitz

Die lesepunkte werden an diesem Freitag, den 28.10.1011, als herausragende „Bildungsidee“ im bundesweiten Wettbewerb „Ideen für die Bildungsrepublik“ ausgezeichnet. Über 1.300 Projekte aus ganz Deutschland hatten sich Anfang 2011 beworben. Aus ihnen wählte eine Jury von Bildungsexperten 52 Initiativen, die in vorbildlicher Weise zur Bildungsförderung in Deutschland beitragen. Schirmherrin des Wettbewerbs ist Bundesbildungsministerin Prof. Dr. Annette Schavan.

Das Konzept hinter den lesepunkten: Schüler schreiben Buchbesprechungen für Schüler. Dabei werden wichtige Fähigkeiten geschult – Inhalte dicht und schlüssig zusammenfassen, das Gelesene in einen größeren Kontext einbetten und Inhalte reflektieren. Im Nachdenken über Geschichten und Geschichte entwickeln Schüler so eigene Positionen und Wertmaßstäbe.

Die lesepunkte sind seit 2006 online. Sie gehören zu einer fachhistorischen „Portalfamilie“, die von Professorin Gudrun Gersmann, Direktorin des DHI Paris und Inhaberin des Lehrstuhls für Frühe Neuzeit der Universität zu Köln, initiiert wurde. Deren Angebote spannen den Bogen von bereits voruniversitärer Kompetenzförderung der lesepunkte.de über das Fachportal historicum.net mit Schwerpunkt Studium und Lehre bis zum wissenschaftlichen Online-Magazin zeitenblicke.de.

Das Interesse an den lesepunkten wächst beständig: inzwischen kooperieren über 40 Schulen in ganz Deutschland – und vor Kurzem waren die lesepunkte auch bei logo!, der Kindernachrichtensendung des ZDF zu sehen. Den kurzen Film über Robert, den Nachwuchs-Buchkritiker gibt es hier: http://www.tivi.de/fernsehen/logo/artikel/37226/index.html

Die Preisverleihung „Bildungsidee 2011“ findet am Freitag, den 28. Oktober 2011 im Neuen Seminargebäude der Universität zu Köln statt. Die Laudatio halten wird Ministerialdirigent Thomas Sondermann, Leiter der Unterabteilung “Berufliche Bildung” im Bundesministerium für Bildung und Forschung.

 

Anhang

>> Zur Website von Lesepunkte

>> Programm der Preisverleihung: http://www.lesepunkte.de/service/presse/bildungsidee-2011/

>> Film der Universität zu Köln über die Preisverleihung

 

Quelle: http://dhdhi.hypotheses.org/568

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Geschichte als Graphic Novel: Tina Modotti – Eine Frau des 20. Jahrhunderts

Tina Modotti in the 1920 film The Tiger's Coat.

Spätestens seit der Publikation von „Maus“, für die der Autor Art Spiegelman 1992 mit einem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde, sind Graphic Novels ein ernst genommenes und honoriertes Genre der Literatur. Spiegelman bewies, dass man auch in comicartiger Form Lebensgeschichten erzählen und dabei spielerisch Wissen vermitteln kann. Barbara Eder, die am Soziologischen Institut der Universität Wien zur Thematik promoviert, geht davon aus, dass sich das Medium Graphic Novel zur Erzählung einer Lebensgeschichte sogar besser eigne, da

die extrem brüchige Erzählform von Comics – mit den leeren Räumen zwischen den Bildern – einer Biographie, die nicht linear verlaufen ist, möglicherweise mehr entspricht als eine literarische Erzählung.

Der spanische Comiczeichner Ángel de la Calle scheint dies ähnlich zu sehen und wählte jene Form, um das bewegte und sagenumwobene Leben der politischen Künstlerin Tina Modotti nachzuzeichnen. Bereits im Jahr 2003 erschien der erste Teil der zweibändigen Graphic Novel auf Spanisch und erhielt einige Auszeichnungen. Nun wurde er von Timo Berger ins Deutsche übersetzt und, zusammengefasst als Doppelband, beim Rotbuch Verlag herausgegeben.

Von der Fotografie zur Politik

Tina Modotti - Woman with Flag, 1928

Tina Modotti - Woman with Flag, 1928

Tina Modotti, die 1896 als Kind einer einfachen Familie in Italien geboren wurde und durch bis heute ungeklärte Umstände bereits 45-jährig allein in einem mexikanischen Taxi verstarb, ist keine heute noch jedem bekannte Persönlichkeit. Am berühmtesten ist wohl ihre Fotografie mit dem Titel „Frau mit Fahne“, die ihre zwei größten Leidenschaften zum Ausdruck bringt – Kunst und Politik. Als emanzipierte Frau wurde sie in ihren Mittzwanzigern von ihrem Geliebten Edward Weston, den sie 1923 nach Mexiko begleitete, in das Fotohandwerk eingeführt. Hier begann sie, sich in Kreisen der „postrevolutionären Bohème“ zu bewegen – unter Künstlern wie Diego Rivera, David Alfaro Siqueiros und José Clemente Orozco. Schnell radikalisierte sich ihre politische Haltung: sie wurde Mitglied der Internationalen Roten Hilfe, der Antifaschistischen Liga, im Komitee „Hände weg von Nicaragua“, der antiimperialistischen Liga und trat 1927 in die Kommunistische Partei Mexiko ein.

Ihr Dasein als Fotografin war vom politischen Wandel stark beeinflusst. Zunächst wurde ihr Werk immer stärker von ihrem politischen Engagement geprägt und ihre anfangs unpolitische Portraitfotografie zunehmend durch gesellschaftskritische Aufnahmen ersetzt, bis schließlich ihr Interesse an Kunst derart nachließ, dass sie die Fotografie zu Beginn der 1930er Jahre zugunsten politischer Aktivitäten gänzlich aufgab. Nachdem sie 1930 aufgrund ihrer politischen Aktivitäten aus Mexiko ausgewiesen wurde, lebte sie unter anderem in Berlin, Moskau, Paris und Madrid, bis sie 1939 nach Mexiko zurückkehrte, wo sie 1942 verstarb. Nach Aufgabe der Fotografie arbeitete sie bei der Internationalen Roten Hilfe als Übersetzerin ausländischer Presseberichte, verfasste selbst Artikel und war in russische Geheimdienstaktivitäten verflochten.

Spurensuche

De la Calle schafft es, Tina Modottis Vielseitigkeit, ihr Dasein als Muse, Schauspielerin, Fotografin und Revolutionärin in Beziehung zueinander zu setzen und verstehbar zu machen. Interessant ist dabei seine Vorgehensweise. Er selbst wird zur Nebenfigur der Graphic Novel und führt aus, wie er zur Thematik kam und etliche Recherchen durchführte, um Modotti näher zu kommen. Die umstrittene und schwierige Quellenlage wird thematisiert, abgewogen und mögliche Interpretationsmöglichkeiten geboten. Sein offener Umgang ist dabei zwar einerseits begrüßenswert, da schließlich etliche Ereignisse in Modottis Lebensgeschichte ungeklärt und umstritten sind, andererseits bleibt zu fragen, inwiefern der Prozess der Recherche für den Leser interessant ist und ob man wirklich so genau darüber Bescheid wissen will.

Seite im Buch

Àngel de la Calle (Rotbuch Verlag)

Jener Erzählstrang über den Entstehungsprozess der Novel wird immer wieder unvermittelt, ohne besondere Überleitungs-versuche, zwischen den Episoden aus Modottis Leben eingeschoben.
Diese wiederum werden nicht chronologisch geschildert, sondern bruchstückhaft, als Erinnerungen, Erzählungen von der Figur Modotti selbst oder entfernt aus einer Art Vogelperspektive wieder-gegeben. Die Erzählstücke erinnern dabei an ein Tagebuch, in welchem die datierten Einträge durch-einander gewürfelt werden, bevor man sie darstellt. Zusammengesetzt ergeben sie zwar Sinn, doch ist ein erneutes Lesen nötig, damit die Teile eine komplette Lebensgeschichte ergeben.

Zwei große Themenschwerpunkte werden dabei dennoch ersichtlich. Während es im ersten Teil des Buches vor allem um Modottis Entwicklung als Fotografin geht und mit der Ausweisung Modottis aus Mexiko endet, beginnt der zweite Teil mit ihrem Tode und thematisiert ihre Entwicklung als linientreue Kommunistin. In beiden Teilen werden etliche Personen gezeichnet, die Modotti im Laufe ihres Lebens kennen lernte und deren Namen teils bis heute bekannt sind. So war sie beispielsweise mit der Malerin Frida Kahlo befreundet, traf Walter Benjamin in Paris und begegnete dem Reporter Egon Erwin Kisch. Es ist recht spannend zu erfahren, mit wem Tina Modotti in Kontakt stand, wen sie unter welchen Umständen kennen lernte und wie bestimmte Ereignisse und Persönlichkeiten zusammen hängen. Im Grunde sind es jedoch zu viele, um alle im Gedächtnis zu behalten. Vielleicht hätten sie aber auch auf eine andere Art und Weise eingeführt werden sollen. Hier und da werden in einem einzelnen Panel Personen genannt und gezeichnet, auf die erst etliche Seiten später näher eingegangen wird. Das muss auf den Leser verwirrend wirken, vor allem im Zusammenspiel mit der zuvor beschriebenen Erzählweise.

Autor und Protagonistin – Ein schwieriges Verhältnis

Zeitweilig anstrengend ist zudem die Art und Weise, wie der Autor zu seiner Protagonistin steht. De la Calle scheint Modotti regelrecht verfallen zu sein, womit er recht offen umgeht und es immer wieder zur Sprache bringt. So beschreibt er einen Besuch in New York, bei dem er das Museum of Modern Art (MOMA) besucht, allein um eine ausgestellte Fotografie der Calla-Blüten von Modotti aufzusuchen. In dieser Szene zeichnet er sich selbst vor dem Bild schwebend und schreibt dazu in der Textbox:

Endlich war ich einem Gegenstand nahe, den sie selbst berührt hatte! Es war wie eine Erscheinung. Ich wandte meinen Blick erst ab, als das Museum schloss. Es war ein Moment wahrer Empfindung. Wie wenn dich eine Sehnsucht nach exotischen Ländern überfällt, in denen du nie gewesen bist. (S.59)

Wenn man eine Biografie einer Persönlichkeit verfasst, ist eine starke Bindung zur dargestellten Persönlichkeit zwar selbstverständlich, doch wird immer wieder deutlich, dass er wie besessen von ihrem Leben und insbesondere ihrer Schönheit, die er unentwegt betont, ist. Amüsanterweise zeichnet de la Calle auch eine Szene, in der Tina Modotti selbst kritisiert, dass es immer wieder um ihr Äußeres geht, nämlich als sie anlässlich ihrer Ausweisung aus Mexiko um Interviews gebeten wurde. Ihr leuchtete es nicht ein, welchen Zusammenhang es zwischen ihrer Schönheit und der revolutionären Bewegung oder der Abschiebung von Kommunist(inn)en gebe, schrieb sie in einem Brief. (Vgl. S. 130) Um ihre Bedeutung als selbstbewusste, eigenständige Frau – insbesondere jener Zeit, in der sie lebte – geht es hingegen nur am Rande. So müssen Fragen offen bleiben, inwiefern sie als Vorbild diente, andere Frauen inspirierte oder sie auf antiemanzipatorischen Widerstand in kommunistischen und Künstlerkreisen stieß.

Einblick in eine künstlerisch-politische Szene

Trotz der genannten Schwächen der Graphic Novel muss dem Vorwortschreiber von de la Calles Werk, seinem Freund Paco Ignacio Taibo, zugestimmt werden, der die Sorgfalt der Arbeit und Vielfalt der Geschichten lobt, die dazu führt, dass nicht nur das Leben einer politischen Künstlerin dokumentiert wird, sondern zugleich ein Abriss einer künstlerischen und politischen Szene zu Beginn des 20. Jahrhunderts geboten wird – auch mithilfe von Fotografien Modottis und anderer Kunstwerke jener Zeit, die de la Calle nachzeichnet und in seine Geschichte geschickt einflechtet. Taibo gab zur Lektüre folgenden Tipp:

Der Leser täte gut daran, mit dem Bleistift zu lesen und die zahlreichen Ehrerweise Ángels an Fotos, Bilder, Gebäude, Plakate und Gedichte zu notieren. Und die Namen, die wiederentdeckt wurden. (…) Man könnte das Beste Europas finden und einen Teil des Besten von Amerika. (S.268)

Bleibt zu ergänzen, dass es empfehlenswert wäre, vor der Lektüre de la Calles eine kurze Biographie von Tina Modotti zu lesen, um der drohenden Gefahr einer Verwirrung durch seine recht eigenwillige Erzählweise entgegen zu wirken.
Cover Modotti
Ángel de la Calle: Modotti – Eine Frau des 20. Jahrhunderts
Rotbuch Verlag

Graphic Novel, Broschur, 17,3 x 24,5 cm

272 Seiten, € 16,95


Einsortiert unter:Arbeiterbewegung, Biographie, Literatur

Quelle: http://kritischegeschichte.wordpress.com/2011/09/25/geschichte-als-graphic-novel-tina-modotti-eine-frau-des-20-jahrhunderts/

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aventinus recensio Nr. 26 [31.07.2011]: Mareike Menne: Berufe für Historiker. Anforderungen – Qualifikationen – Tätigkeiten (Geschichte studieren Bd. 2), Stuttgart: W. Kohlhammer Verlag 2010. 18,00€. ISBN 978-3-17-021300-5.

http://www.aventinus-online.de/recensio/varia/art/Rezension_Marei/html/ca/7248e6fb7165b34bdac74cb2b5e2e0cd/?tx_mediadb_pi1[maxItems]=10 Nicht zuletzt seit den Bologna-Reformen, die doch im Wesentlichen eine gezielte Anbindung von Studium und Beruf mit sich bringen soll(t)en, sind Fragen nach Berufs- und Praxisorientierung nicht nur an der Universität, sondern auch in den Verlagshäusern en vogue.

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2011/07/1590/

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