Auflösung der Arbeitsgemeinschaft Historischer Forschungseinrichtungen und neue Trägerschaft der Historischen Bibliographie

AHF-Newsletter, Dezember 2013 Sehr geehrte Abonnentinnen und Abonnenten, nach langer Pause melden wir uns mit dieser Dezember-Ausgabe des Newsletter zurück. Inzwischen hat eine außerordentliche Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft historischer Forschungseinrichtungen am 20. September beschlossen, die AHF auf Grund fehlender finanzieller Mittel zum Jahresende aufzulösen. Das Kernprodukt der bisherigen Tätigkeit des Vereins, also die bibliographische Dokumentation

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2013/12/4821/

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1 Jahr dk-blog – ein Rückblick

Im Dezember 2012, also vor einem Jahr, nahm der dk-blog konkrete Formen an, so daß ich zum neuen Jahr mit dem wissenschaftlichen Bloggen richtig loslegen konnte. Mittlerweile neigt sich auch das Jahr 2013 dem Ende zu – Anlaß genug, um einmal innezuhalten und zu reflektieren, wie sich das Format in den vergangenen Monaten entwickelt hat.

Nach meinem eigenen Eindruck verging die Zeit sehr schnell, und auch der allwöchentliche blogpost war schnell geschrieben; immer noch sind Themen endlos vorhanden – so viel Material, so viele Anregungen. Die leisen Bedenken im Vorfeld, daß es irgendwann nichts mehr gebe, über das zu schreiben wäre, hatten sich ganz früh verflüchtigt.

Für die Themenfindung hat sich aber kaum ein festes Schema entwickelt. Viele Anregungen kommen aus der (aktuellen) Literatur oder den Titeln, die gerade auf meinem häuslichen Schreibtisch sind. Vielleicht noch mehr Freude machen mir allerdings die kleinen, an Quellenschnipseln aufgehängten Episoden, die manchmal ins Skurrile abgleiten oder nur schwer zu deuten sind. Über das Bloggen ist mir noch einmal deutlicher geworden, wie bunt historische Befunde sind. Aber auch, wie sehr man sich daran abarbeiten muß, in dieser verwirrenden Vielfalt Muster für Interpretamente zu erkennen.

Es hört sich im ersten Moment abweisend an, ich weiß: Aber mir ist schnell klar geworden, daß ich hier in erster Linie für mich schreibe. Was nicht überrascht, denn in den meisten Fällen möchte ich mir ja über ein bestimmtes Phänomen Klarheit verschaffen, versuche also, erste ordnende Gedanken zu formulieren. Diese Einstellung hat natürlich meine Freude über Reaktionen seitens der Leserschaft überhaupt nicht verhindert, zumal vielfach meine eigenen Beiträge ganz wesentlich gedanklich erweitert und bereichert wurden. An der Stelle also auch ein herzlicher Dank an all die, die sich hier aktiv zu Wort gemeldet haben.

Letztlich wenig überraschend ist, daß das Gros der Besucher stumm geblieben ist. Interessanterweise passierte dies auch in den Fällen, wenn sie etwas zu sagen hatten. Das habe ich in einigen Fällen im Nachhinein erfahren, als Kollegen mich später (per Mail, im Telefonat oder beim persönlichen Gespräch) auf das eine oder andere hinwiesen, manchmal eingeleitet mit der wundervollen Bemerkung: „Fast hätte ich einen Kommentar zu diesem blogpost geschrieben …“. So ganz habe ich mir auf dieses Verhalten keinen Reim machen können.

An der Stelle also einige Gedanken als Jahresrückblick, unvermeidlicherweise aus der Innenansicht – aber vielleicht gibt es dazu ergänzende und/oder korrigierende Meinungen seitens der Leserschaft?

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/362

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Luise hilf! Ein rheinisches Stoßgebet an die ‘preußische Madonna’.

Als “désastreuse époque” bezeichnete Maria Isabella Geyr von Schweppenburg (†1811) im Herbst 1800 die zurückliegenden Jahre, jene Jahre seit dem Einmarsch der Revolutionstruppen ins Rheinland (Oktober 1794), jene Jahre, die dem rheinischen Adel das Äußerste abverlangt hatten. Von Maria Isabella hatten sie den Tod ihres Mannes, die Plünderung, Verwüstung und anschließend die Sequestrierung ihrer Familiengüter, den Fortfall ihrer Titel, Prädikate und Herrschaftsrechte gefordert. Darüber hinaus waren die Präbendenstellen, mithilfe derer ihre zwei Jüngsten versorgt worden waren, der Säkularisation zum Opfer gefallen, waren die einträglichen Hof- und Verwaltungsämter in landesherrlich-kurkölnischen Diensten, wie sie noch ihr Gatte und zuletzt ihr Ältester innehatten, weggebrochen.

Ein standesgemäßes Leben – ob links oder rechts des Rheins –, ja die bloße Existenz schienen in Gefahr. In ihrer augenscheinlichen Verzweiflung wandte sich die rheinische Freiherrin an Luise Königin von Preußen (1776-1811), deren haute protection sie sich offenbar 1793 während eines Aufenthalts der “Jungfer Husch” in der Bäderstadt Aachen erworben hatte. Der preußische Gesandte in Paris, der General Bernadotte und zuvorderst Josephine Bonaparte sollten durch die Preußenkönigin für die Sache Maria Isabellas gewonnen werden, sich beim Ersten Konsul der Französischen Republik für eine Aufhebung des auf den Geyerschen Gütern liegenden Sequesters verwenden. Und tatsächlich zeugen die in ihrem typischen, fehlerhaft-verhuschten Französisch abgefassten Antwortschreiben Luises von etlichen Bemühungen um ihre Klientin, spenden dieser Trost und Aufmunterung, zeugen darüber hinaus jedoch in überaus bemerkenswerter Weise von der Auseinandersetzung Königin Luises mit der Situation der französisch besetzten Rheinlande, des dortigen Adels, der Emigrantenproblematik, zeigen Luise räsonierend über die Schrecken der Revolution, über Möglichkeiten, jener “nation française” und ihrem gefährlichen esprit de démocratie” endlich Einhalt zu gebieten.

Die Frage, ob und inwiefern das Hilfegesuch der Witwe Geyr Früchte trug, gerät bei der Lektüre solcher Korrespondenzen rasch zur Nebensache. Und es manifestiert sich hier auch weit mehr als jenes weitere Mosaiksteinchen in der Überlieferung zur berühmten preußischen Königin, die vor allem dem Bürgertum zum Mythos wurde. Adlige Frauen, Adelsarmut, (weibliche) adlige Patronagenetzwerke um 1800, Ängste, Feindbilder und Verlusterfahrungen zweier Vertreterinnen ganz unterschiedlicher europäischer Adelsgruppen – dies sind nur einige der Themen und Forschungsfragen, die hier sofort ins Auge springen. Sie kreisen im Kern um adlige “Gewinnerinnen und Verliererinnen”. Luise, hilf doch mit!

Florian Schönfuß

Quelle: http://rhad.hypotheses.org/423

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Was ists, das hinter diesem Schleier sich verbirgt? Zur Debatte um Mein Kampf und weshalb man Wirkungszuschreibungen vermeiden sollte.

Ende 2015, 70 Jahre nach Adolf Hitlers Tod, werden die Nutzungsrechte an Mein Kampf, die nach Kriegsende auf den Freistaat Bayern übergingen, auslaufen. Dann steht jedem eine Veröffentlichung von Hitlers Programmschrift, auch unkommentiert, frei. Deshalb hatte das Institut für Zeitgeschichte (IfZ) 2009 in Eigeninitiative ein Editions-Projekt ins Leben gerufen, das durch eingehende Kommentierung „Hitlers Quellen Schritt für Schritt offenzulegen, den politik-, militär-, ideen-, kultur- und sozialgeschichtlichen Entstehungskontext seiner Weltanschauung nachzuzeichnen“ sucht, um „[...] jedem ideologisch-propagandistischen oder kommerziellen Missbrauch von Mein Kampf entgegenzuwirken.”1 Das Projekt wurde vom bayrischen Landtag gebilligt und schließlich mit einer halben Million Euro durch das bayrische Kultusministerium unterstützt, bis die Staatsregierung unter Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) vergangenen Dienstag, den 10. Dezember 2013, überraschend beschloss, eine Veröffentlichung unter bayrischem Staatswappen nun doch zu verhindern. Das IfZ will jedoch weiterhin in Eigeninitiative an der wissenschaftlich kommentierten Ausgabe arbeiten.

Ein Gesetz: Kein Sterblicher rückt diesen Schleier, bis ich selbst ihn hebe.

Der Anstoß, den man an der Haltung der bayrischen Staatsregierung gegenüber einer wissenschaftlich qualifizierten Edition von Mein Kampf nehmen könnte, wirkt unter diesen Voraussetzungen freilich nicht so groß, denn es sieht so aus, als stände außer dem Rückzug der Förderung durch den Freistaat nichts einer Veröffentlichung 2015 entgegen. Die Staatskanzlei kündigte indes unlängst an, dass gegen Verlage, die Mein Kampf veröffentlichen wollen, zukünftig pauschal Strafanzeige wegen Volksverhetzung im Sinne von § 130 StGB erstattet werde2: Die Staatsregierung bezog in den vergangenen Jahren bereits so Position, eine Veröffentlichung der Hetzschrift sei „strafbar als Verbreitung von verfassungsfeindlicher Propaganda sowie als Volksverhetzung”3; selbst wenn sich diese Haltung 2012 besonders auch auf Initiative des bayrischen Landtages zu lockern schien, wurde sie nun noch einmal durch den Ministerrat deutlich zementiert.

Ich bin sicher nicht juristisch qualifiziert genug, um den Vorwurf der Verbreitung von verfassungsfeindlicher Propaganda und der Volksverhetzung zu widerlegen. Verweisen kann ich auf den Wortlaut von § 86 StGB, insb. Abs. 2 und 3, und auf ein darauf bezogenes Urteil des BGH vom 25. Juli 19794, in dem unter anderem begründet wird, dass Mein Kampf (genauer: jede vorkonstitutionelle Schrift im Allgemeinen) nicht dazu geeignet ist als Propagandamittel im Sinne von § 86 StGB zu gelten, wenn diese nicht durch zum Beispiel ein Vorwort oder Textzusätze/-ergänzungen „in der Weise aktualisiert wird, dass nunmehr aus ihrem Inhalt selbst die Zielrichtung gegen die Verfassung der Bundesrepublik hervorgeht.”5 In Bezug auf den Vorwurf der Volksverhetzung im Sinne von § 130 StGB, insb. Abs. 2, ist Abs. 6 desselben Paragraphen zu beachten, der Abs. 2 unter die Ausnahme von § 86 Abs. 3 stellt, also eine Ahndung ausschließt, wenn eine entsprechende Handlung „der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient.”

Ich sehe deshalb, wie gesagt ohne ausreichend juristische Qualifikation zu genießen, um derlei Rechtsfragen stichhaltig bewerten zu können, keinen Anhalt für ein rechtliches Vorgehen gegen mindestens eine wissenschaftlich einwandfrei kommentierte Ausgabe von Mein Kampf. 2008 ließ das Communiqué des bayrischen Finanzministeriums zudem erkennen, dass es auch nicht direkt darum ginge, der Verfassung gerecht zu werden, sondern man sich „mit einer restriktiven Haltung sehr viel Anerkennung erworben” habe und da man das Werk deshalb nun für per se verfassungsfeindlich halte, sei auch „nicht zu erwarten, dass nach dem Erlöschen des Urheberrechts das Werk wild veröffentlicht werde.”6 Zumindest wenn man die zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten dazu nutzen kann, jeglichen Veröffentlichungsversuch zu unterbinden. An der Sinnhaftigkeit und Rechtmäßigkeit eines solchen Vorgehens bleiben m.E. berechtigte Zweifel offen.

Und furchtbar wie ein gegenwärtger Gott.

Und dabei könnte nun gerade eine womöglich sogar mitbetreute wissenschaftlich kommentierte Ausgabe der bereits jetzt bestehenden „wilden” und unkontextualisierten Verbreitung besonders im Internet7 eine wertvolle, da entsprechend kontextualisierte Alternative entgegenstellen. Mein Kampf hat darüber hinaus in den letzten Jahrzehnten eine massive Verbreitung gerade (aber bei Weitem nicht ausschließlich) im arabischen Raum erfahren und dort sein Übriges getan antisemitistische Argumentationsweisen zu befeuern. Wer – zumal mit rechtsstaatlichen Mitteln – versucht, entsprechend kontextualisierende und aufklärerische Ausgaben im deutschsprachigen Raum zu verhindern, versagt unserer Gesellschaft die Möglichkeit, die Gefahrenpotentiale von Hitlers Hetzschrift zum Beispiel auch im interkulturellen Diskurs aktiv zu entschärfen.

Wer darüber hinaus unterstellt, eine solche Schrift gefährde per se noch heute den öffentlichen Frieden und gereiche per se zur Ächtung eines Teils der Bevölkerung, der gesteht ihr eine gewissermaßen recht privilegierte Macht zu. Das ist eine aktive Mystifizierung im ursprünglichen Wortsinn; hüllt man ein Werk, eine Person, ein Symbol in ein solches Mysterium ein, erhält das so geschaffene Mysterienkonstrukt eine transzendente Stellung gegenüber der eigentlich recht banalen materiellen Verfasstheit des so Verhüllten: Die Unterstellung, Mein Kampf wäre schon an sich in jedem beliebigen heutigen Kontext volksverhetzend, völlig unabhängig von Herausgabeintention und Umgang damit, gibt dem Konstrukt eine Überzeitlichkeit, die der Schrift beim besten Willen nicht zusteht.

Das wirkt vergleichbar mit der noch immer praktizierten Mystifizierung Hitlers als das ultimative Monstrum, das nicht etwa nur durch Zuschreibung, sondern durch bewusste Transzendentmachung in seiner Monströsität potenziert wird. Das Dokumentationsdrama Speer und Er (2005, Heinrich Breloer) beispielsweise trägt die Monströsität schon im Titel: Eigentlich geht es im Film gar nicht so sehr um Hitler, sondern – der Titel möchte es eigentlich verraten – um den Kriegsverbrecher Albert Speer. Brisanz wird aber, zumindest ad hoc im Titel, nicht mit dessen Verwicklungen in die Machenschaften der Nationalsozialisten und seiner zweifelhaften Selbstinszenierung erzeugt, sondern viel eher durch den phorischen Verweis auf Ihn, dessen Nicht-Nennung dem geneigten Publikum genug Raum lässt sich zu überlegen, dass Speer ohne Ihn als transzendentes Prinzip womöglich kein Kriegsverbrecher gewesen wäre.8 Es handelt sich dabei m.E. noch um eine vergleichsweise seichte und einigermaßen unaufdringliche Vorgehensweise; der plakativ das „Monstrum Hitler” herausstellenden Beispiele gibt es allerdings so viele, dass ich dem geneigten Leser sicher den Gefallen tun kann, es bei diesem einen zu belassen und schlicht darauf zu verweisen, dass gerade populärwissenschaftliche Dokumentationsreihen die Zentralsetzung Hitlers in Bezug auf das Dritte Reich als zweckmäßige Strategie erkannt haben; scheinbar ohne dass die Macher sich darüber im Klaren sind, dass sie damit ein essentielles Prinzip des Führerkults reproduzieren.

Aber auch auf mehr Sachlichkeit bedachte Darstellungsformen beackern oftmals ein Bildwissen, das die nationalsozialistische Propaganda selbst ausgefurcht hat. Es gibt eine handvoll Bilder Adolf Hitlers, die permanent immer und immer wieder auftauchen müssen, darunter die beiden Schulterstück-Aufnahmen, die die 1943er-Auflage von Mein Kampf auf der Vorderseite und in der Titelei zieren9; als die typischsten heutzutage gezeigten Filmaufnahmen würde ich die Abschlussrede Hitlers im Riefenstahl-Film Triumph des Willens von 1935 oder ähnliche Rede-Aufnahmen sowie Ausschnitte aus den Privataufnahmen mit Eva Braun am Obersalzberg ausweisen wollen. Bis auf letztere greift man dabei auf eindeutiges Propaganda-Material zurück. Durch die Rekontextualisierung werden sie zwar eindeutig von ihrer propagandistischen Einbettung enthoben, besonders der Riefenstahl-Ausschnitt wird nicht selten in den Dienst einer satirischen Doublage gestellt oder dient der bloßen stummgeschalteten Bebilderung von Ausführungen aus dem Off, für die sonst kein spezifisches Material zur Verfügung steht. Die Wirkweise der Bilder verliert sich allerdings nicht, sie wird verändernd weitergenutzt oder – was schlimmer wiegt – in ihrer Wirkungskraft im Sinne des Führerkults nicht ernstgenommen.

Wenn von der Wahrheit nur diese dünne Scheidewand mich trennte – und ein Gesetz

Unsere Gesellschaft ist es gewohnt, das „Monstrum Hitler” heraufzubeschwören und dabei immer weiter an diesem überweltlichen Konstrukt zu bauen, das mit einem unwirklichen Macht-Privileg ausgestattet wird und die Gesellschaft so wiederum in Ohnmacht davor versetzt. Das kann als Abwehrmechanismus durchaus seine Funktionalität besitzen und fügt sich recht passgenau in eine Darstellungstradition ein, die von ‘Machtergreifung’ und ‘Tag der Befreiung’ spricht, die den ‘Verführer der Massen’ kennt; es fügt sich passgenau in eine Sprach- und Identitätskrise nach dem Krieg, die sich ihrer eigenen Ausdrucksformen ob nationalsozialistischer Instrumentalisierung oder Ächtung nicht mehr sicher sein konnte und zwangsläufig dem ausgesprochen realen Grauen mit mehr oder minder adäquaten Konstrukten des Grauens begegnet. Es ist eine absolut logische Reaktion, dem nationalsozialistischen Führer-Konstrukt das entmenschte Konstrukt des Monster-Hitlers entgegenzustellen, um den ideologischen Ballast der faschistischen Propaganda abzufassen und möglichst auszuexorzieren.

Daher rührt m.E. auch die restriktive Haltung gegenüber Mein Kampf. Es ist nicht etwa der Inhalt der Schrift und ihr etwaiges hetzerisches Potential, das sich ja per se in der heutigen Gesellschaft überhaupt nicht mehr entfalten könnte10, sondern die Aufrechterhaltung der mindestens ursprünglich ausgesprochen gerechtfertigten Schutzhaltung. Indem man nun aber fortfährt, der Schrift ein hohes Hetzpotential zuzuschreiben, weil es ein essentieller Zuschreibungsbestandteil des Hitler-Konstrukts ist, erkennt man der nationalsozialistischen Ideologie unter der Macht eines hitlerschen Monstrums implizit eine überzeitliche Fähigkeit zur Einflussnahme an und macht Mein Kampf zu einem vermeintlich priviligierten Erkenntnismedium, vor dessen ‘Wahrheiten’ Sais-Schleier und Gesetz den Bürger schützen müssen, der seinerseits zum Zwecke seiner Meinungsbildung auf den Wahrheitsanspruch eines offiziellen Narrativs zu vertrauen habe, dem ja dann ein Wissen innewohnt, das ihm selbst verwehrt bleibt. In solche Unbestimmtheit gesetzt aktualisiert man stetig die Wirkmächtigkeit des Werkes, indem man ihm im Zirkelschluss stetig Wirkmächtigkeit zuspricht. Man darf es wohl als fatal bezeichnen, dass damit „die Faszination einer Macht, die ihren einzigen Grund in ihrer Ermächtigung hat und sich aus dem Nichts selbst erschafft”11, zwar stark umgewertet, aber eben dennoch aufrechterhalten wird.

Und wer mit ungeweihter schuldger Hand den heiligen, verbotnen früher hebt

Der so um Mein Kampf und Hitlers Gestalt gehüllte Schleier befeuert dann nicht nur den Führerkult, dem man eigentlich Herr werden möchte, teilweise sogar noch in Resten seiner demagogischen Einbettung, sondern sie verwehrt aktive Einflussmöglichkeiten auf das Geschichtsbild, das ja ohnehin ständig von revisionistischer Seite dem hanebüchenen Vorwurf der verzerrenden Wirklichkeitsselektion ausgesetzt ist. Eine wissenschaftlich fundierte Dekonstruktion und damit auch Entmystifizierung der Schrift und des Hitler-Konstrukts versetzte die Gesellschaft in die Lage, sich gegenüber faschistischen Argumentationsweisen und ihren Ablegern in Bezug zu setzen und der Breite der Öffentlichkeit aufklärerisch Zugang zu gewähren. Meiner sehr persönlichen Ansicht nach gesundet gerade die deutsche Kultur auch nur in der Aufgabe des Hitler-Konstrukts, dessen Alleinanspruch auf Abscheulichkeit und Demokratiefeindlichkeit den Führerkult – wie ausgeführt und absurderweise! – in seiner Wirksamkeit nachträglich befördert und dazu geeignet ist, zeitgenössische Tendenzen mit ähnlich verheerenden Konsequenzen weichzuzeichnen bzw. die Anfälligkeiten demokratischer Systeme auszublenden. Die Gesellschaft hingegen in ihrer Breite an die theoretischen Grundlagen der nationalsozialistischen Demagogie – und dazu ist Mein Kampf m.E. sehr gut geeignet – heranzuführen, den Schleier so zu lüften, erscheint mir als eine ehrlichere und weitaus wirksamere Position.

Das muss nicht unter dem bayrischen Staatswappen passieren; es müssen indes Möglichkeiten offen bleiben Mein Kampf und Adolf Hitler in ihrer Historizität wahrnehmbar zu machen. Das hilft auch bei der Entschärfung der propagandistischen Potentiale, die gedrungenermaßen weitertradiert und so teilweise reaktualisiert werden: Die Faszination am „Monstrum Hitler”, aus der sich beispielsweise eine große Menge populärwissenschaftlicher Formate brisanzsteigernd speißt, würde an Gefahrenpotentialen und nicht zuletzt vielleicht auch an ihrer fragwürdigen Wirksamkeit einbüßen, legte man ihren Kern offen und zeigte auf, mit welchen Mitteln sie überhaupt hervorgerufen wurde.

Allein schon die zugängliche Rekonstruktion von Hitlers Quellen und Gedankengebern gäbe womöglich weitreichende Aufschlüsse und entzauberte ein Stück weit den Führerkult. Eine solche Rekonstruktion darf jedoch nicht auch noch zukünftig in einen Elfenbeinturm voller Mysten gesperrt werden, schon gar nicht, weil zeitgenössische Führerkulte und Ideologisierungsstrategien dezidiert außerhalb von wissenschaftlich geschulten Kreisen ansetzen. Ich will keineswegs unterstellen, dass eine wissenschaftlich kommentierte Ausgabe von Mein Kampf dazu in der Lage wäre, vor jeglicher Hetze und demokratiefeindlich-ideologischer Einflussnahme zu schützen; das stellte die Schrift ebenfalls auf das Podest des privilegierten Erkenntnismediums, das sie nicht ist. Es wäre allerdings zu erwarten, dass das zielstrebige und in unseren Wertekanon eingebettete Offenlegen der Grundlagen von Hitlers Demagogie, deren verheerende Konsequenzen uns durch die in den letzten Jahrzehnten geschehene Aufarbeitung sehr bekannt sind, das Auge schult für ganz ähnliche oder mindestens entfernt vergleichbare Weisen. Luise Rinser, um nur ein Beispiel anzuführen, zeigt in ihrem Nordkoreanischen Reisetagebuch12 sehr eindrucksvoll, wie blauäugig man auch als eine der großen literarischen Stimmen nach dem Niedergang des Dritten Reiches, wenngleich noch in den 1980er-Jahren, dem nordkoreanischen Modell des Führerkultes und der propagandistisch überinszenierten Verheißungserfüllung13 hemmungslos auf den Leim gehen kann.

Vielfach geflügelt ist das Wort, das meint, man lerne aus Geschichte. Was sie für Geschichte hält, muss eine Gesellschaft, zumal eine, die das nationalsozialistische Regime zu beerben hatte, für sich selbst festmachen. Mein Kampf in seiner Historizität als vorkonstitionelles Machwerk Adolf Hitlers und nicht als eine hetzerische Geißel der Sozialdemokratie zu begreifen und so damit umzugehen, gewährte womöglich das Privileg es irgendwann Geschichte ohne aktuelle Gefahrenpotentiale werden zu lassen und jenen Stimmen, die unsere Gesellschaft tatsächlich in hohem Maße mit ganz ähnlichen Verfahren gefährden, die Resonanzkraft zu rauben.

  1. Zielvorstellungen des IfZ auf der dem Projekt gewidmeten Präsentationsseite (→Link, letzter Zugriff am 15. Dezember 2013), Titel kursiviert BD.
  2. vgl. Christine Haderthauer (CSU) in einem Nachrichten-Beitrag des Bayrischen Rundfunks. Online-Abruf via BR-Mediathek (Ministerrat: Mein Kampf bleibt weiter verboten, vom 10. Dezember 2013, →Link).
  3. So zum Beispiel zitierte Tim Farin 2008 für stern.de (Hitlers “Mein Kampf”. Zwischen Kritik und Propaganda, vom 25. April 2013, Ressort POLITIK > Geschichte, →Link) ein Communiqué des bayrischen Finanzministeriums.
  4. Az.: 3 StR 182/79, Strafbarkeit des öffentlichen Verkaufs von Adolf Hitlers Mein Kampf. Online-Abruf auf technolex.de (→Link, letzter Zugriff am 15. Dezember 2013).
  5. ebd., vgl. Urteil des BGH vom 24. August 1977, Az.: 3 StR 229/77.
  6. zitiert nach dem stern.de-Artikel von 2008; s. Anm. 3 d. vorl. Beitr.
  7. Eine Google-Suche führt schon unter den ersten Ergebnisnennungen zu kopier- und downloadfähigen Komplettdigitalisaten u.a. einer deutschen und einer englischen Fassung der Schrift. Amazon.com führt die deutschsprachige Fassung in mehreren verschiedenen Ausführungen, darunter auch als Kindle-Edition.
  8. Den sich doch aufdrängenden Verweis auf den locus classicus der transzendentmachenden Nicht-Nennung verhelfs ER wage ich an dieser Stelle nicht explizit zu machen.
  9. Ich habe bis heute keine stichhaltigen Informationen über die beiden Aufnahmen ausfindig machen können, außer dass freilich Heinrich Hoffmann sie gemacht hat.
  10. Ginge man von einem solchen per-se-Wirkpotential aus, müsste man von der Herausgabe von Goebbels Reden bis hin zum dokumentarisch aufbereitet Bildmaterial noch einiges in Frage stellen, das unlängst seinen Weg in die öffentliche Zugänglichkeit gefunden hat.
  11. So Albrecht Koschorke im SZ-Gastbeitrag zur Wirkung von Mein Kampf. Online-Abruf via Süddeutsche.de (Die Wirkung von Hitlers “Mein Kampf”, vom 13. Dezember 2013, Ressort KULTUR, →Link). Eine längere Version des gesamten Beitrags wird nach Angaben von Süddeutsche.de demnächst als E-Book bei Matthes & Seitz erscheinen.
  12. Rinser beschreibt darin die Eindrücke und Erfahrungen während ihrer Reisen nach Nordkorea 1980 und 1981/82, während derer sie auch auf Kim Il-sung traf. U.a. 1986 in einer aktualisierten Auflage bei Fischer erschienen.
  13. Und zum Beispiel Charles K. Armstrong stellt die nordkoreanische Ideologie mit ihrem charismatischen Führer und der Mobilisation der Massen in direkte Nähe des europäischen Faschismus’. Vgl. Armstrong, Charles K.: Trends in the Study of North Korea. In: The Journal of Asian Studies 70 (2/2011), S. 357–371.

Quelle: http://enkidu.hypotheses.org/293

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Mit Google eigene Ausstellungen kuratieren

Das Google Cultural Institute (mit Sitz in Paris) stellt einen neuen Dienst zur Verfügung. Mit Hilfe der Bilder, die im Rahmen des Google Art Projects von Museen zur Verfügung gestellt wurden, kann man folgendes machen:

  • Kunst-Projekte und Ausstellungen anschauen:
    (Unten auf der Seite auf „nächstes Projekt“ klicken, um zum nächsten zu gelangen.)
  • Bilder in den Rubriken “Sammlungen”, “Künstler”, “Kunstwerke” und “Benutzergalerien” ansehen.
    (Auf der Startseite im mittleren linken Bereich auf “Art Project” klicken und dann im oberen Frame die gewünschte Rubrik auswählen.)
  • Eigene Ausstellungen zusammenstellen. Das geht relativ einfach. Hat man ein interessantes Bild gefunden, klickt man auf das „+“-Symbol, das jedem Bild angeheftet ist, und alles weitere erklärt sich fast von selbst. Auch Ausschnitte von Bildern kann man so speichern und über die sozialen Medien wie FaceBook, Twitter und Google+ teilen.
  • Unter der Rubrik „Look Like an Expert“ etwas über Kunstgeschichte lernen.
  • Unter der Rubik “DIY” eigene Ausstellungen zusammenstellen und andere Nutzer zum Mitmachen anregen. Auf dieser Seite werden dazu einige kreativitätsanregende Ideen präsentiert. Siehe Abschnitte „Remix“ oder „Materials Matter“, etc.
  • Unter der Rubrik „Whats Next“ mehr über weitere Projekte erfahren. Hier gibt es zahlreiche Links z.B. zu Khan Academy’s Smarthistory, Artbabble, einer Seite mit Videos, und, und und…
  • In Bilder hineinzoomen. Einige Bilder stehen dafür im „Gigapixel“-Format zur Verfügung.
  • … und noch vieles mehr. Die Seite ist leider nicht gerade ein Ausbund an Übersichtlichkeit. Ein bisschen Suchen, Klicken und Ausprobieren lohnt aber unbedingt!

Viel Spaß dabei!

 

Original-Artikel: Google Cultural Institute auf dem ARTigo-Blog

Quelle: http://games.hypotheses.org/1401

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TU Dresden erforscht und praktiziert E-Learning im Verbund mit Partnern

http://idw-online.de/pages/de/news566432 Als erster seiner Art wurde der Sächsische Offene Online-Kurs (Saxon Open Online Course – SOOC) des Sommersemesters 2013 mit 242 Teilnehmern in Deutschland, Österreich und der Schweiz erfolgreich abgeschlossen. Junge Bildungsforscher aus der TU Dresden, der TU Chemnitz und der Universität Siegen stellen jetzt gerade dieses SOOC-Projekt und die dabei gesammelten ersten Erfahrungen beim […]

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2013/12/4819/

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Sammelband: “Deutsch in der Wissenschaft” — Deutsch in Wissenschaftsblogs?

Heute hat mich ein – gemessen an Blogkonventionen – nicht mehr ganz aktueller Sammelband erreicht. Nichtsdestotrotz ist die besprochene Sache von ungebrochener Aktualität und Dringlichkeit, weswegen ich auch auf diesen Sammelband hinweisen möchte, bevor ich ihn in Gänze zur Kenntnis nehmen konnte.

Im Olzog-Verlag ist 2012 erschienen:

Deutsch in der Wissenschaft. Ein politischer und wissenschaftlicher Diskurs [Auf die Freigabe für das Cover warte ich noch.]

Herausgegeben wurde der Band von Heinrich Oberreuter, Wilhelm Krull, Hans Joachim Meyer und Konrad Ehlich. Er dokumentiert die Tagung “Deutsch in der Wissenschaft”, die mit Unterstützung von “Deutsch Plus – Wissenschaft ist mehrsprachig” (einem Programm der Volkswagenstiftung) vom 10.-12. Januar 2012 in der Akademie für Politische Bildung (Tutzing) stattfand.

Wesentliches Anliegen der Tagung war es, die Wissenschaftssprachendebatte aus der Wissenschaft heraus hinein in die Politik zu tragen, wofür auch eine Reihe Politiker gewonnen werden konnten. So hat Norbert Lammert z.B. den Eröffnungsvortrag gehalten.

Thematisiert wurden in aller Breite und programmatisch nicht nur

  • gesellschaftlich-kulturelle Folgen einer Monolingualisierung der Wissenschaft für die nicht-englischen Muttersprachen (Abschnitt: “Chancen und Grenzen einer Lingua franca für die Wissenschaft”),
  • die Sprachfrage aus je disziplinären Perspektiven (Abschnitte: “Deutsch in den Natur- und Ingenieurwissenschaften” & “Deutsch in den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften”),
  • und die Förderungsmöglichkeiten einer “Mehrsprachigkeit in der Wissenschaft”

- um nur einiges zu nennen – sondern vor allem auch:

  • die Frage nach Sprachpolitik!

Diese scheint sich in Deutschland vermeintlich in Zurückhaltung zu üben. Aber eben nur vermeintlich! In einem Beitrag arbeitet Hans Joachim Meyer (vgl. 2012, 37-48) u.a. heraus in welchem sprachpolitischem Widerspruch z.B. Integrationspolitik und Wissenschaftpolitik zueinander stehen. Meyer und Konrad Ehlich (2012, 33) weisen auch nicht zum ersten Mal in ihren “Thesen zur künftigen Rolle des Deutschen in der Wissenschaft” auf den weit verbreiteten Irrtum hin “Sprache entwickle sich autonom” und Sprachpolitik wäre folglich unnötig. Ein Blick in wissenschaftspolitische Bestrebungen hin zu einer Internationalisierung um jeden (auch manchmal noch so sinnlosen) Preis macht das schnell augenfällig. Mit Unsummen z.B. DFG-geförderte Spitzenforschung (natur- wie kulturwissenschaftliche) in Deutschland auf Englisch zu betreiben, um international vernetzt und anerkannt zu werden, ist dabei nur ein kleines Beispiel.

Die Langzeitfolgen solcher Politik werden massiv auf die Gesellschaft und ihre Möglichkeiten der diskursiven Auseinandersetzung zurückschlagen, wenn der Stellenwert der Wissenschaft für und ihre Verwobenheit mit politischen, wirtschaftlichen, ethisch-moralischen, künstlerischen, … also im Allgemeinen mit dem öffentlichen Diskurs nicht erkannt wird und damit in der Konsequenz die deutsche Sprache insgesamt ihrem Schicksal überlassen wird – einem Schicksal, das man irgendwann als eine Folge politischer und gesellschaftlicher Entscheidungen wird rekonstruieren können.

Mir liegt aber nicht daran, hier – mehr schlecht als recht – zu paraphrasieren, was im genannten Sammelband viel besser auf den Punkt kommt und den ich jedem zuforderst vor allem zur Selbstpositionierung nur ans Herz legen kann und danach vielleicht zur Reflexion der Frage nach der Preisgabe von mehrsprachigen Erkenntnisvermögen, die die Menschheit in Zukunft vorhalten sollte, um Probleme zunehmend globaler Reichweite zu bearbeiten…

Ebenso möchte ich den Verlag und auch die Autoren der “Thesen zur künftigen Rolle des Deutschen in der Wissenschaft und  zu den Chancen wissenschaftlicher Mehrsprachigkeit” (Meyer/Ehlich 2012) fragen, ob sie an einer Wiederveröffentlichung des knappen Textes im Internet (z.B. hier in meinem Blog) interessiert sind. Dort habe ich ihn bisher nicht finden können. Sind diese Thesen doch zwischen zwei Buchdeckeln in einer Bibliothek nicht ganz so gut aufgehoben und wirksam wie vielleicht in der sog. Blogosphäre, in der sie einfacher und weitreichender zirkuliert, adressiert und gelesen werden können.

Zum Schluss möchte ich noch zur angehängten Frage im Titel des Eintrags kommen: “Deutsch in Wissenschaftsblogs?” Seit einiger Zeit habe ich den Gedanken im Kopf, den ich aber noch nicht weiter prüfen konnte, dass es doch mal nötig wäre, die deutschsprachige wissenschaftliche Blogosphäre zu vermessen! Wie viele deutschsprachige Wissenschaftsblogs gibt es eigentlich? Welche deutschen Wissenschaftler bloggen in einer anderen und in welcher Sprache?

Ich weiß nicht, ob es Möglichkeiten einer solchen Vermessung gibt. Ich müsste mich diesbezüglich mal mit meinem Kollegen Johannes Paßmann kurzschließen oder vielleicht weiß ja auch der eine oder andere Leser einen Rat. Ich ahne, dass das nur praktikabel wird, wenn man Plattformen (wie hypotheses.org oder scilogs.de) in den Blick nimmt. Was allerdings hypotheses.org betrifft, verzweifelte ich erst vor kurzem daran, einer vollständige Liste aller ‘deutschen Blogs’ einsichtig zu werden. Hier kann sich die Redaktion durchaus angesprochen fühlen ;) – wäre es doch für die Vernetzung und die Anschließbarkeit hilfreich, eine gute und vollständige Übersicht über die existierenden Blogs sich verschaffen zu können. Wie dem im Einzelnen aber auch sei…

Worum es mir bei der Vermessung der wissenschaftlichen Blogosphäre Deutschlands geht, ist es, einen Eindruck vom Stellenwert des Blogs, seiner Zwecke und damit Sprachlichkeit in der deutschen Wissenschaft zu bekommen. Diesbezüglich kämen der Kommunikationsform Weblog – je nachdem welche Entwicklung sie in der Zukunft bezüglich ihrer institutionellen Relevanz nehmen wird – nicht unerhebliche Implikationen für die Vitalität disziplinärer Entfaltungen zu: Wo werden innovative Erkenntnisse und Paradigmen geboren bzw. sagbar, wenn Zeitschriften immer mehr verkrusten? Mit welchen Sprachlichkeit füttern diese Sagbarkeiten den wissenschaftlichen Diskurs? Wie wird (Populär-)Wissenschaft weiterhin in Verbindung mit der Sprache der übrigen Diskurse treten können? Kurz: Könnte es sein bzw. ist es plausibel, sich vorzustellen, Blogs könnten einem neuerlichen Aufschwung der vernakulären Wissenschaftssprachen Vorschub leisten?

Oberreuter, Heinrich/Krull, Wilhelm/Meyer, Hans Joachim/Ehlich, Konrad (Hg.) (2012): Deutsch in der Wissenschaft. Ein politischer und wissenschaftlicher Diskurs. München: Ozlog. 
Daraus:
Ehlich, Konrad/Meyer, Hans Joachim (2012): Thesen zur künftigen Rolle des Deutschen in der Wissenschaft und zu den Chancen wissenschaftlicher Mehrsprachigkeit. S. 30-34.
Meyer, Hans Joachim (2012): Trägt die deutsche Politik Verantwortung für die deutsche Sprache? S. 37-48.

 

Quelle: http://metablock.hypotheses.org/357

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Irische Geschichte, Teil 7: The Troubles, 1968-1974

Von Stefan Sasse

Teil 1 findet sich hier. In ihm wurde beschrieben, wie Irland seit der Personalunion mit der englischen Krone eine wechselhafte Beziehung mit England unterhielt und vor allem durch seine inneren Konflikte gespalten war, die entlang der Konfessionsgrenzen und Besitzverhältnisse verliefen. In Teil 2 wurde deutlich gemacht, wie die Politik der britischen Regierung und des Parlaments eine immer stärkere Wechselwirkung mit Irland entwickelten, in dem sich eine nationalistische Bewegung zu bilden begann und stets an Boden gewann. Als Großbritannien sich für die Selbstverwaltung Irlands, die Home Rule, entschied, hatten die Devolutionisten, die die totale Unabhängigkeit wollten, bereits deutlich an Boden gewonnen. Teil 3 beschrieb die zunehmende Gewaltbereitschaft zwischen den Unionisten in Ulster und den Nationalisten im Rest des Landes und die Konflikte um die Home Rule und wie diese Konflikte durch den Ersten Weltkrieg erst vertagt und dann verschärft wurden. In Teil 4 wurde gezeigt, wie die Iren den bewaffneten Kampf gegen die Briten aufnahmen und bereits in diesen Tagen der inner-irische Konflikt zu einer Art verdeckten Bürgerkrieg wurde. Auch die irische Nationalbewegung spaltete sich über das Ergebnis des Konflikts - die Teilung Irlands und den Dominion-Staus - und begann den bewaffneten Kampf gegeneinander. In Teil 5 haben wir gesehen, wie die Spaltung in offenen Bürgerkrieg ausartete, der letztlich mit der Niederlage der Radikalen und dem Tod vieler Moderater endete. Profitiert hat vor allem Großbritannien, das die Unabhängigkeit Nordirlands als Ganzes sichern konnte. Viele strukturelle Probleme blieben jedoch in beiden Ländern bestehen und noch ungelöst. Teil 6 beschrieb die Etablierung der beiden irischen Staaten und ihren Weg durch die Wirren der 1930er und 1940er Jahre. Besonders die latente Unruhe in Nordirland und der Versuch einer Modernisierung der irischen Wirtschaftspolitik wurden dabei aufgezeigt. 

Bürgerrechts-Mural in der Bogside, Derry
Zu Beginn der 1960er Jahre war Nordirland weitgehend ruhig geworden. Abgesehen von periodisch auftretenden Unruhen besonders an der Grenze, die allerdings nie eskalierten, geschah nichts mehr. Das Land war entlang der Konfessionsgrenzen stark territorial segregiert; nicht nur ballten sich Katholiken und Protestanten im Westen und Osten des Landes; die ländlichen Regionen waren eher katholisch, die städtischen eher protestantisch geprägt. Auch innerhalb der Städte gab es klar voneinander abgetrennte Wohnviertel, die fast ausschließlich von einer bestimmten Konfessionsgruppe bewohnt wurden. Dazu kam, dass die Gruppen sich selbst schon fast als Ethnien wahrnahmen und auch entsprechend bewerteten; so waren viele Protestanten davon überzeugt, dass nur Protestanten Iren sein konnten und dass die Katholiken gewissermaßen einer minderwertigeren Rasse angehörten, ähnlich amerikanischen Vorurteilen gegenüber der afro-amerikanischen Bevölkerung. Diese Sicht der Dinge fand auf katholischer Seite durchaus ihre Entsprechung.


Trotz allem war die Lage zu Beginn des Jahrzehnts bis etwa zu seiner Mitte relativ ruhig. Dann allerdings explodierte der stets latent vorhandene Konflikt in einer Reihe von provokativen Aktionen, die durch die beginnende Bürgerrechtsbewegung der Katholiken in Nordirland hervorgerufen wurde. Die Bürgerrechtsbewegung benannte dabei einige real existierende Benachteiligungen der Katholiken in Nordirland. Dazu gehörte eine Diskriminierung bei der Einstellung (ganz besonders im Öffentlichen Dienst, aber auch anderswo), was sogar mit Dokumenten belegt werden konnte; ein diskriminierendes Wahlrecht, das auf dem Stand des 19. Jahrhunderts zurückgeblieben schien und nur "Haushaltsvorständen" eine Stimme gab; die Zuweisung von Sozialleistungen auf Basis der Konfession; die Diskriminierung beim Zuschnitt der Wahlbezirke, die Protestanten wesentlich größere Repräsentation im Parlament gab ("Gerrymandering") und vieles mehr.

Erinnerung an den Marsch auf Derry 1968
Die Aufmerksamkeit, die die Bürgerrechtsbewegung erzielte beunruhigte viele Loyalisten (wie sich die königstreuen Protestanten in Nordirland in Abgrenzung zu der friedlichen Bürgerrechtsbewegung und der terroristischen IRA nannten), was 1966 weder durch die Sprengung der Nelson-Säule in Dublin durch die IRA noch durch zahlreiche Osteraufstands-Gedenkmärsche zum 50. Jahrestags des Aufstands 1916 verbessert wurde. Die Gemüter auf beiden Seiten erhitzten sich, und obwohl die nordirische IRA schlecht bewaffnet und organisiert und kaum zu Aktionen in der Lage war, versuchte sie mit aller Macht den gegenteiligen Eindruck zu erwecken - ein Propagandaschachzug, den aufzugreifen den Loyalisten sehr gelegen kam, die ihrerseits noch im selben Jahr die "Ulster Volunteer Force" als paramilitärischen Verband wiedergründeten, die seinerzeit im Bürgerkrieg gegen die IRA gekämpft hatte. 

Damit war die Bühne bereitet, und die nächsten drei Jahre sahen eine rasant steigende Zahl von Gewalttaten der UVF gegen Katholiken und, in geringerem Umfang, der IRA gegen Protestanten. Die Lage wurde dadurch nicht besser, dass die nordirische Polizei (RUC) wohl nicht unbegründet im Verdacht stand, die UVF zu decken und ihre Angriffe nicht zu verhindern, dafür umso härter gegen die IRA vorzugehen. Diese Konfliktlinie führte 1968 zu einer ersten Explosion. Die Bürgerrechtsbewegung plante einen großen Marsch nach Derry (nachdem bereits vorher andere Märsche abgehalten worden waren), den die RUC verhindern wollte. Polizisten kettelten die friedlichen katholischen Demonstranten ein und schlugen sie brutal zusammen. Der Zwischenfall wurde von anwesenden Kamerateams gefilmt und ging um die Welt; das Resultat waren zweitätige Unruhen in Derry und Umgebung.

Mural für die UVF, Belfast
Dasselbe Spiel wiederholte sich, als eine neu gegründete Studentengruppe - People's Democracy - einen viertägigen Marsch von Belfast nach Derry unternahm. Polizei und UVF-Schläger attackierten sie wiederholt, einmal sogar mit Eisenstangen, Pflastersteinen und Flaschen bewaffnet, und griffen sie in Derry erneut an. Einige Einwohner Derrys bauten Barrikaden und verwehrten der Polizei Zugang zu ihren Vierteln; im Anschluss wurde das "freie Derry" proklamiert. Die Zustände wurden bürgerkriegsähnlich. Im Frühjahr 1969 beschlossen die Loyalisten, die Regierung, die ihnen nicht entschlossen genug gegen die Katholiken vorging, zum Rücktritt zu zwingen. Mit insgesamt sechs Bombenanschlägen in Dublin, die zweitweise Strom und Wasser abschalteten und die der IRA in die Schuhe geschoben wurden. Der Plan ging auf, und Premierminister O'Neill trat im April 1969 zurück. 

Derry blieb weiterhin das Zentrum der Auseinandersetzung. Nachdem die RUC bei Hausdurchsuchungen durch exzessive Gewalt gegen Zivilisten sogar für Todesopfer sorgte, goss die neue Regierung noch Öl auf die Flammen, indem sie der loyalistischen Gruppe "Apprentice Boys" erlaubte, eine Demonstration entlang der Grenze zum katholischen Bogside-Viertel in Derry abzuhalten. Innerhalb kürzester Zeit bekämpften sich beide Seiten und die RUC griff ein und nutzte Tränengas, Wasserkanonen und gepanzerte Fahrzeuge um die Streithähne zu trennen. Die Straßenkämpfe dauerten fast zwei Tage. Als Antwort darauf protestierten die Katholiken vor RUC-Basen und blockierten einige, was zu erneuten Kämpfen führte. Die Panzerfahrzeuge der RUC schossen in Derry mit Maschinengewehren auf die Apartmenthäuser der Katholiken und erschossen einen neunjährigen Jungen. 

Katholisches Banner in Derry
Inmitten dieser Gewalt und Chaos hielt der irische Ministerpräsident Jack Lynch eine Rede, in der die Handlungen der RUC einseitig verurteilte, die UNO aufrief eine Friedenstruppe zu schicke und erklärte, dass "Irland nicht länger tatenlos zusehen" könne. Die einzige Lösung, die er sehe, sei die Wiedervereinigung. Die irische Armee errichtete Feldlazerette direkt an der nordirischen Grenze, um verletzte Katholiken zu versorgen. Er gab sogar einen geheimen Befehl an die Armee, die gewaltsame Evakuierung des katholischen Nordirland zu planen - was erst 30 Jahre später bekannt wurde. Die Straßenkämpfe in Derry einstweilen wurden druch das direkt Eingreifen der britischen Armee, die Truppen in Nordirland stationierte, zum Erliegen gebracht. Neun Menschen waren tot, über 750 verletzt (davon 133 mit Schusswunden), 400 Häuser und Geschäfte zerstört. 

Keine der beiden Seiten war unschuldig am Ausbrechen des Konflikts, aber der Löwenanteil der Schuld liegt sicher bei der nordirischen Seite. Nicht nur sah man den gegenseitigen Provokationen der protestantischen Loyalisten und der katholischen Nationalisten tatenlos zu, man ergriff auch noch Partei für die Loyalisten. Auch das Eintreffen der Armee, der die Katholiken zuerst mehr vertrauten als der RUC, besserte die Lage nicht, da die Armeeführung diplomatisch nicht sonderlich bewandert war und die Beziehungen zu den Katholiken schnell einfroren. Für einen kurzen Moment jedoch legte sich wieder etwas Ruhe über das Land. 

Protestantisches Graffitti in Belfast
1970 flammte der Konflikt dann mit voller Härte wieder auf, denn die IRA hatte ihre anfängliche organisatorische Schwäche gegenüber der UVF aufgeholt. In Derry, das immer noch Zentrum des Konflikts war, waren viele Teile der Stadt für die britischen Behörden effektiv No-Go-Areas, in die selbst mit 1-Tonnen-Panzerfahrzeugen nicht mehr eindringen konnten. Innerhalb dieser Bezirke hatten sich zwei verfeindete IRA-Strömungen eingenistet, die "Official IRA", die gewissermaßen der politische Arm der irischen IRA war und gewaltsame Auseinandersetzungen ablehnte, und die "Provisional IRA", die den bewaffneten Kampf als einzige Lösung sah. In der Praxis jedoch bekämpften beide IRA-Organisationen die Loyalisten und die Briten - und sich selbst. 

Zwischen 1970 und 1972, den blutigsten Jahren des Konflikts, brach die Gewalt in Schusswechseln immer wieder aus, nicht nur in Derry, sondern auch Belfast und anderen Städten. Ein gewichtiger Grund für diesen Ausbruch war mit Sicherheit der Aufstieg der Provisional IRA und ihrem Fokus auf bewaffnetem Kampf. Die protestantischen Terroroganisationen zahlten in gleicher Münze zurück, was eine Spirale gegenseitiger Morde in Gang setzte. Eine weitere, wenngleich weniger gewichtige Rolle spielte die Strategie der Behörden, die oft ebenfalls auf Gewalt setzten, mit dem Bruch von illegalen Besetzungen oder den überdimensionierten Angriffen auf vermutete Verstecke der IRA, die praktisch zwingend Kollateralschäden bedeuteten. Die Provisional IRA schob ihren Fokus auf den Kampf gegen die britischen Truppen, was angesichts der professionellen Bewaffnung und geringen Toleranz der einen und der irischen Unterstützung auf der anderen Seite ebenfalls einen gewaltigen Anstieg in der Gewaltspirale bedeutete.

Polizeikontrolle in Belfast
Im Juni 1973 begann sich die Lage wieder etwas abzukühlen, als im so genannten "Sunningdale Agreeement" die Republik Irland und die britische Regierung darin übereinkamen, dass Nordirland künftig auch katholisch-unionistische Kräfte mit einbeziehen würde. Die Lebenszeit dieses Abkommens allerdings war kurz: die protestantischen Radikalen akzeptierten es überhaupt nicht, und durch die IRA ging ein tiefer Graben, der die Bewegung spaltete und zu Bruderkämpfen führte. Das Abkommen scheiterte 1974, nachdem das "Ulster Worker Council" (UWC) einen Generalstreik ausrief, der auch vom britischen MI5 massiv unterstützt wurde, der mit dieser Einmischung die regierende Labour-Regierung unter Harold Wilson stürzen wollte. Der Streik wurde von massiven Bombenattentaten begleitet, deren Ursprung bis heuten icht geklärt ist. Die Katholiken traten aus den Sunningdale-Gremien aus.

Literaturhinweise:
Richard English - Armed Struggle - The history of the IRA 
 

Bildnachweise: 
Bürgerrechts-Mural - Kenneth Allen (CC-BY-SA 2.0)
Gedenkstein -  Kenneth Allen (CC-BY-SA 2.0)
UVF Mural - Sitomon (CC-BY-SA 2.0)
Banner -  Fribbler (GNU 1.2)
Graffitti - George Louis (GNU 1.2)
Polizeikontrolle -  George Louis (GNU 1.2)

Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2013/12/irische-geschichte-teil-7-troubles-1968.html

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35 Stunden sind genug!

Horst Tomayer ist letzte Woche gestorben, Oliver Tolmein verfasste für die heutige FAZ einen Nachruf; unvergessen Tomayers 35-Stunden-sind-genug-Lied der deutschen Rüstungsarbeiter:

Die Granaten wo wir drehen
Sind in aller Welt begehrt
Wenn sie mit rawumsti platzen
Ist so mancher sehr versehrt

(...)

Wir sind folgsam, und sind fleißig
Und wir liefern Wertarbeit
Doch wir möchten auch ein bisserl
Von der Arbeit freie Zeit

(...)

Ihr Bosse, und ihr Kunden
Fünfunddreißig Stunden
Sind genug!


Für eine Analyse dieser Perle beinharten Gewerkschaftsprotests siehe u.a.:
http://sprusko.blogspot.co.at/2006/08/deutsche-wertarbeit-rawumsti.html

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/581435383/

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(Digital) Humanities Revisited – Challenges and Opportunities in the Digital Age. Oder: Wie man Gräben isst.

 

Konferenz 5.12.–7.12.2013, Hannover Herrenhausen, Volkswagen Stiftung

Die Initiative zur hochkarätig und international besetzten Konferenz ging von der Volkswagen-Stiftung aus, die mit dem eben wiederaufgebauten Schloss Herrenhausen in Hannover einen geradezu splendiden neuen Konferenzort bietet, an dem es sich im Wortsinne königlich tagen, speisen und diskutieren lässt – ganz zu schweigen von der hervorragenden technischen Infrastruktur im Saal, wo kein Device hungrig in den Stand-by gehen muss.

Gute Voraussetzungen, um über Digitales zu sprechen. Ebenso passend zum Thema wirkt die Idee, gezielt Wissenschaftsblogger einzuladen: Wo man früher Vertreter der klassischen Presse hofierte, wurde in Hannover ein „Bloggers‘ Corner“ eingerichtet, der all die, für die bloggen, twittern und kommentieren bereits zum Alltag gehört, in den Pausen mit Gleichgesinnten zusammenführte.

Und damit sind wir schon bei einem tiefen Graben, der sich durch die Konferenz zog: Die einen verstehen das Tagungsthema „Digital Humanities“ im Sinne von „computergestützten Analyseverfahren“, die den klassischen Geisteswissenschaften ganz neue Forschungsfragen und Datenbearbeitungsmethoden eröffnen. Lev Manovich („Looking at one million images:  How Visualization of Big Cultural Data Helps Us to Question Our Cultural Categories“) etwa stellte solche Themen vor, die überhaupt erst durch das Vorhandensein digitaler Analysemethoden entstehen.

Um es pointiert zu formulieren (was das Medium Blog ja durchaus erlaubt): Die andere Seite des Grabens langweilt sich. Denn auch jene Seite versteht sich als Vertreter der „Digital Humanities“, jene, die mehr oder weniger „klassische“ geisteswissenschaftliche Forschung betreibt, aber an digitalen Infrastrukturen, also etwa an neuen Formen der Kommunikation (untereinander und mit der Öffentlichkeit) und an neuen Formen der Publikation interessiert ist, und die all das meist schon munter praktiziert. Selbstverständlich hat auch dieses „Wie“ des Arbeitens weitreichende Folgen auf Methoden, Ergebnisse und Reichweite.

Dennoch verstehen jene auf der ersten Grabenseite, denen das „Was“ der Forschung als Kern der Digital Humanities gilt, dies als alten Wein in neuen Schläuchen und langweilen sich ihrerseits. So oder so ähnlich wird wohl die Rückschau von Michael Schmalenstroer zu verstehen sein.

Die Frage „Was sind die Digital Humanities?“ wurde letztlich – zu Recht – in Hannover nicht oder kaum thematisiert. Darauf gibt es im Augenblick keine Antwort.

Eleanor Selfridge-Field Professor of Music and Symbolic Systems, Felix Zahn für VolkswagenStiftung

Ich versuche es mit einem Schnelldurchlauf durch das Programm ohne Anspruch auf Vollständigkeit: „Digital Humanities – What Kind of Knowledge Can We Expect?“ titelte der erste Tag, der ein klares computerlinguistisches Übergewicht hatte und sich mit Big Data und Anwendungsbeispielen digitaler Analysemethoden beschäftigte, teils von Bild-, teils von Textmaterial.

Horst Bredekamp schloss einen fulminanten Vortrag an, der von einsetzender Ermüdung zeugte, denn natürlich sind digitale Forschungsansätze und -infrastrukturen (by the way könnte man die beiden benannten Grabenseiten mit diesen beiden Begriffen auf den Punkt bringen) inzwischen längst dem Windelalter entwachsen.

Tag zwei, der nach „From Art to Data – What‘s the Impact of Going Digital?” fragte, brachte z.B. den Vortrag von Julia Flanders: Datenmodelle miteinander sprechen zu lassen sei eine der größten Herausforderungen angesichts der bereits breiten Landschaft verschiedener Projekte und Ansätze. Big Data ohne Fragestellungen „einfach anzusehen“ und daraus Forschungsfragen entstehen lassen (nie umgekehrt…), war die Botschaft des schon erwähnten Lev Manovich, der sich damit einmal mehr als Vertreter der oben zuerst geschilderten DH-Grabenseite outete.

Das Format der „Lightning Talks“ mit anschließenden Postersessions durchzog alle drei Konferenztage: Schön war, dass die streng dreiminütigen Vorträge einen Einblick in die Diversität bestehender digitaler Projekte junger Wissenschaftler aus aller Welt ermöglichte. Zugleich war Mitleid mit den von Eile gequälten Rednern wohl ein verbindendes Gefühl im Publikum.

In positiver Erinnerung bleibt zumindest mir der Workshop des zweiten Tages. Zwar waren sicher nicht immer die mehr als 200 angemeldeten Gäste vor Ort, dennoch war es sinnvoll, die Schar für zwei Stunden in kleinere Diskussionsgruppen zu teilen. Diese beschäftigten sich parallel mit denselben (generischen) Fragen zu Entwicklung, Chancen und Bedürfnissen der DH und präsentierten einander anschließend ihre Überlegungen. Eine der Kernbotschaften unserer Arbeitsgruppe auf die Frage, wie man die zwei Welten „Informatiker“ und „Geisteswissenschaftler“ einander näherbringen könnte, fiel simpel und klar aus: gemeinsam essen gehen. Im selben Raum arbeiten.

Die öffentliche Podiumsdiskussion, zu der ich nur vom Hörensagen berichten kann, hat die Gemüter erregt und zumindest die Vertreter des „Bloggers‘ Corner“ kopfschüttelnd zurückgelassen. Von einem Niveauabsturz im Vergleich zu den Workshops und von einem „Katapult zehn Jahre zurück“ war da im Rückblick die Rede. Ein Diskutant fiel aus; es blieben der wohl provokant konservativ auftretende Jürgen Kaube (FAZ), der damit die Linie seines Hauses nahtlos weiterführt, im Verbund mit einem fortschrittskeptischen Moderator, dessen Fragen („Was bleibt von der Kultur im Digitalen Zeitalter?“) die beiden Damen des Podiums (Mercedes Bunz, Bettina Wagner-Bergelt) vor große Aufgaben stellten.

Der letzte Tag schwenkte in weiten Teilen zur zweiten Grabenseite über und fragte nach „Digital Humanities and the Public“. Luis von Ahn stellte seine (beeindruckenden) Projekte vor, die sich die Arbeitskraft der sogenannten Crowd im Win-Win zunutze machen. Kunde und Anbieter verschmelzen, beide Seiten geben und nehmen. Etwa, wenn der Sprachschüler dem Anbieter einer kostenlosen Lernplattform im Gegenzug Stück für Stück Texte übersetzt.

In der Abschlussdiskussion tauchten einige Chimären auf, etwa die Vermutung, dass wir es hinsichtlich der Akzeptanz von Methoden der DH mit einem Generationenproblem zu tun hätten (Christoph Cornelißen, Frankfurt), oder der etwas allgemeine Appell von Gregory Crane, man müsse die „vielen Herausforderungen einfach einmal angehen“ und habe dafür in Deutschland verglichen mit den USA geradezu hervorragende (Förder-)Bedingungen.

Wichtig erschien mir die Äußerung Manfred Nießens (DFG), der sich eindeutig gegen eine eigene Disziplin „Digital Humanities“ aussprach: Es gebe keine „Digitalen Natur- und noch nicht einmal Digitale Sozialwissenschaften“. Die Geisteswissenschaften hätten ein Problem mit ihrem Selbstbewusstsein und offensichtlich Schwierigkeiten, neue Instrumente ebenso nahtlos und selbstverständlich in ihren vorhandenen Werkzeugkasten einzubinden, wie es andere Disziplinen täten.

Immer wieder war von der bestehenden Kluft zwischen „den Fächern“ und den sogenannten „Digital Humanists“ die Rede, und von der damit verbundenen Gefahr einer „Ghettoisierung“. Als Schlusswort mag daher ein Kommentar aus dem Publikum dienen (Fotis Jannidis, Würzburg): Keine Sekunde sei es wert, ins Überzeugen von Zweiflern an den neuen Möglichkeiten der „Digital Humanities“ investiert zu werden. Wenn fachlich überzeugende Arbeiten vorlägen, die nur mit diesen Methoden in dieser Form hätten entstehen können, sei allen Zauderern der Wind aus den Segeln genommen.

Das wird dies- und jenseits des Grabens gelten. Apropos: Möglicherweise sollten nicht nur Informatiker und Forscher regelmäßig gemeinsam essen, sondern auch „Digital Humanists“ der beiden Fraktionen im oben beschriebenen Sinne (Verfechter von aus dem Digitalen generierten Forschungsansätzen vs. Infrastrukturvertreter mit tendenziell klassischen Themen). Das passierte bei der Tagung m.E. wenig – den beeindruckenden Büffets zum Trotz. Was für ein schönes Ziel, am Ende wirklich alle Gräben aufzuessen.

Schloss Herrenhausen Wiederaufbau Eberhard Franke für VolkswagenStiftung

 

 

Quelle: http://rkb.hypotheses.org/576

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