Philologie für die Zukunft

von Laura Hofmann / Forum Transregionale Studien

Das Studium von alten Texten kann Mentalitäten ändern, sagt Sheldon Pollock (Arvind Raghunathan Professor of South Asian Studies, Columbia University, USA). Im Interview mit dem Journalisten Arno Widmann erklärt der amerikanische Sanskritforscher, wie Zukunftsphilologie „Schurken“ bekämpft und was Berlin als Wissenschaftsstandort dazu beitragen kann. Pollock war auf Einladung des Forum Transregionale Studien nach Berlin gekommen. Das komplette Interview ist in der Berliner Zeitung vom 23./24. November 2013 erschienen.

Sheldon Pollock Oktober 2013

Sheldon Pollock – Jahresvortrag Forum Transregionale Studien 2013

English abstract: The study of old texts can change mentalities, says Sheldon Pollock. The Sanskrit scholar and University professor at Columbia explains in an interview with the journalist Arno Widmann, how Zukunftsphilologie can fight “villains” and how Berlin as a city of sciences can contribute to that. Pollock followed an invitation of the Forum Transregionale Studien to come to Berlin and be the guest speaker at the annual conference of the Forum and the Max Weber Stiftung in October 2013. 

Pollock argues that by studying history – the memory of a people – one can actually influence the future. In his opinion, reading slowly and carefully helps identifying why people have certain ideas of the world and the society, like for example the idea of the Indian society divided in castes. To change these phenomenoa “you have to criticize them. Not only with the idea of equality, but also by analyzing the formation of the mentality”, says Pollock.

He wants the city of Berlin with its big philological tradition to build up a center of philology in which philologists from all over the world could work together: “Philology not as a science of the national state, but as a global trade […] That would be the establishment of a new science.”

Was ist Philologie? Für Sheldon Pollock, Sanskritprofessor an der Columbia University in New York, ist es vor allem eins: Langsam lesen. Diese Worte wiederholt er oft – langsam und auf Deutsch – während des Jahresvortrags des Forum Transregionale Studien am 17. Oktober 2013 in Berlin. Das Interview fand am Rande der Jahrestagung des Forums und der Max Weber Stiftung vom 18. und 19. Oktober 2013 im Berliner Musikinstrumenten-Museum statt.

Im Gespräch mit Widmann erklärt Pollock genauer, was es mit dem langsamen Lesen auf sich hat: „Die Schurken erzählen einem, Gott habe die Unberührbaren für unberührbar erklärt. Die Philologie kann erzählen, wann und warum diese Vorstellung in die Bücher kam, die dann zu heiligen Texten wurden.“

Pollock zog es für seine Forschung nach Indien, sein Interesse an Geschichte sei nie nationalistisch gewesen, sagt er, sondern er sei neugierig, wie es anderswo zugehe, wie es zu anderen Zeiten zuging. „In Indien gibt es eine lange, gut dokumentierte Reflexion über alle Fragen des menschlichen Bewusstseins (…) eine dreitausend Jahre alte Überlieferung von unzähligen Texten, die sich alle Gedanken machen über Sprache und Denken – das gibt es zum Beispiel in Brasilien nicht.“

Es geht Pollock um das Hinterfragen des scheinbar Eindeutigen, darum, Gedächtnis und Erinnerung eines Volkes zu untersuchen. Warum haben sich manche Texte erhalten, welchen Nutzen sahen die Menschen darin? „Warum betrieb man so viel Aufwand dafür und warum vielleicht noch mehr Aufwand, um andere Texte zu zerstören?“ Das sind Fragen, die sich Sheldon Pollock stellt. „Das ist meine Art von Zukunftsphilologie.“ Sie studiert durch alte Texte die Vergangenheit, ist aber immer auf die Zukunft bedacht: „ Ich bin nicht an der Geschichte interessiert, um einer goldenen Vergangenheit nachzutrauern, sondern um dabei helfen zu können, eine bessere Zukunft zu schaffen“, sagt Pollock.

Eine bessere Zukunft – um dieses Ziel zu erreichen, muss man die Köpfe der Menschen erreichen, davon ist Pollock überzeugt. Er bezieht sich auf die Stellung der Unberührbaren in Indien und sagt: „Es gibt eine Verfassung, es gibt Gesetze. Wenn es danach ginge, wären sie gleichberechtigt. Aber es gibt auch Mentalitäten.“ Diese sind häufig festgefahren und schwer zu ändern. Was kann man also tun? „Man muss es kritisieren. Nicht nur mit der Idee der Gleichheit, sondern auch durch die Analyse des Zustandekommens dieser Mentalität“, argumentiert Pollock. Und hier sind wir wieder beim „langsamen Lesen“ angelangt: „Um die Vorstellungen [des Kastendenkens] in den Köpfen aus den Köpfen zu bekommen […] Dabei hilft das genaue, das kritische Lesen.“

Dass immer weniger Leute klassische indische Sprachen sprechen, beunruhigt Sheldon Pollock: „Dieses Wissen ist dabei auszusterben“, und damit sterben ganze Kapitel indischer Geschichte aus. Die Inder, die ganz vorne bei der Software-Revolution dabei sind, seien meist Brahmanen, „Kinder und Enkel derer, die noch jahrelang Sanskrit – eine komplexe Grammatik mit subtilen Unterscheidungen – studiert haben. […] Sie sollten beides machen: Sanskrit und den binären Code“, fordert der Professor. Und er sieht auch Berlin in der Pflicht: „Die Berliner Universität hat die größte moderne philologische Tradition weltweit. Berlin sollte ein zeitgemäßes Zentrum der Philologie aufbauen, einen Ort, an dem Philologen aus aller Welt zusammenarbeiten. Philologie nicht als Wissenschaft des Nationalstaates, sondern als globales Handwerk. […] das wäre ein riesiger Schritt. Glauben Sie mir: Es wäre die Etablierung einer neuen Wissenschaft.“

Quelle: http://trafo.hypotheses.org/372

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DHd 2014 Passau: Deadline für Beiträge verlängert 1.1.2014

Die Einreichungsfrist für Papers für die Ende März erstmals in Passau stattfindendene Jahrestagung “Digital Humanities im deutschsprachigen Raum” (wir berichteten) ist einmalig verlängert worden auf den 01. Januar 2014.

Die Tagung steht unter dem Motto

Digital Humanities – methodischer Brückenschlag oder “feindliche Übernahme”?

Themenschwerpunkte für Einreichungen:

- Geisteswissenschaften und Informatik
- Digitale Infrastrukturen für die Geisteswissenschaften
- Vom analytischen Mehrwert digitaler Werkzeuge für die Geisteswissenschaften
- Digitale Kommunikation in den Geisteswissenschaften.

Weitere Infos zur Tagung: http://dhd2014.uni-passau.de/

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=2730

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NS-Beutekunst in französischen Museen: Die Online-Datenbank der Musées Nationaux Récupération (Mittwochstipp 22)

Die Problematik der Rückgabe von Kunstgegenständen, die während der nationalsozialistischen Besatzung in Frankreich beschlagnahmt wurden, beschäftigt die französische Öffentlichkeit und Politik seit Mitte der 1990er Jahre intensiv. Damals haben sowohl Journalisten als auch der französische Rechnungshof auf rund 2000 Objekte … Continue reading

Quelle: http://francofil.hypotheses.org/1736

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Oberbayerisches Archiv 137 (2013) erschienen

Druckfrisch fand ich heute bei mir im Briefkasten den 137. Band des Oberbayerischen Archivs, der Zeitschrift des Historischen Vereins von Oberbayern, vor. Darin enthalten ist ein bunter Reigen interessanter Beiträge:

Josef H. Biller, Das tragische Ende eines Frühvollendeten. Der Müncher Kupferstecher Johann David Curiger (1707-1737) – Herkunft, Leben und Werk, 9-63

Der Beitrag behandelt den bisher weitgehend unbekannten Münchner Kupfersticher Johann David Curiger, der 1707 in Augsburg als Sohn eines aus Einsiedeln in der Schweiz stammenden Schreiners geboren wurde. Ab 1734 war Curiger in München tätig. Intensiver behandelt wird u. a. die Tätigkeit für das Kloster Ettal. Das Werkverzeichnis enthält 13 Nummern, hinter denen sich teilweise auch Kupferstichzyklen verbergen. Tragisch ist Curigers Ende, da er sich das Leben nahm.

Richard Bauer, Held und Herzensbrecher. Die illustrierten militärischen und privaten Erinnerungsblätter von Wunibald Henzler (1750-1822), 64-75

Der Historische Verein von Oberbayern verwahrt in seinen Sammlungen ein Konvolut von 100 meist farbigen Zeichnungen von Wunibald von Henzler aus den Jahren 1785-1805. Henzler stammte aus Eglofs diente in der kaiserlichen, österreichischen Armee. Seine Zeichnungen entstanden größtenteils während der Koalitionskriege und wurde 1805 in den Ruhestand versetzt. Er starb 1822 in Friedeck bei Teschen (Österreichisch-Schlesien). Die Nachfahren schenkten die Bilder 1889 dem Historischen Verein. Die Zeichnungen des Autodidakten entstanden während seiner aktiven Militärzeit. Sie zeigen Landschaften, Kriegszenen und Ortsansichten, aber auch Frauen und Liebesszenen, entsprechend der damaligen Auseinandersetzungen zeigen sie Szenen am Balkan, Frankreich, Flandern, Italien, Schlesien, Tirol und Oberbayern. Der Beitrag ist reich illustriert.

 Thomas Weidner, Bildungspolitik für den Machterhalt. Kurfürst Karl Theodor von Pfalzbayern in einem Gemälde von Johann Jakob Dorner d. Ä., 146-191

Der Beitrag behandelt das Gemälde “Kurfürst Karl Theodor als Förderer der Künste in Bayern” von 1794 aus dem Besitz der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. Der wenig bekannte Dorner, immerhin unter Karl Theodor Inspektor der kurfürstlichen Gemäldegalerie, geriet nach dem Regierungswechsel von 1799 in Vergessenheit. Der Beitrag widmet sich umfangreich aus seiner Biographie im Kontext des künstlerischen Lebens in München des ausgehenden 18. Jahrhunderts.

 Christoph Bachmann, “[...] tuen kund, allen, die dies hörend oder sehend lesen [...]“. Das Churbaierische Intelligenzblatt als Medium zur Verbreitung normativer, administrativer und politischer Informationen, 192-220

1765 erschien erstmals das Kurbayerische Intelligenzblatt, eines der entscheidenden Organe der regierungsamtlich gesteuerten Aufklärung in Bayern und gleichzeit ein Vorläufer des Regierungsblatts bzw. des Gesetzblatts. Herausgeber war der Hofkammerrat Franz Seraph von Kohlbrenner, Initiator der Mautreform von 1764, ab 1783 der Geistliche-Rats-Sekretär Peter Paul Finauer, auf den 1795 der Buchhändler Johann Baptist Strobl folgte. 1805 war Ernst August Fleischmann Herausgeber des Intelligenzblatts, das aber durch die Abtrennung des Regierungsblatts 1802 an an Bedeutung verloren hatte. 1814 wurde das Blatt eingestellt, als sich die Regierung entschlossen hatte, für jeden Kreis (Regierungsbezirk) ein Intelligenzblatt einzurichten. Der Beitrag ist die erste ausführliche wissenschaftliche Abhandlung zur Gesamtgeschichte dieses bedeutenden Organs.

Ludwig Wolf, Carl Maria von Webers Aufenthalte in München, 222-231

Carl Maria von Weber lebte in München noch als Kind 1798-1800. Als Erwachsener besuchte er die Stadt 1811 und 1815, wo er den Klarinettisten Heinrich Joseph Baermann kennenlernte, mit dem er zeitlebens befreundet blieb.

Gisela Goldberg, Versteigerung von Gemälden durch die Königliche Centralgemäldegalleriedirektion München im Jahr 1852, 232-273

1852 versteigert die heutige Bayerische Staatsgemäldesammlung 1000 von 8000 Gemälden aus ihrem Eigentum, darunter hochkarätige Werke (Dürer, Altdorfer, Grünwald). Aus dem Erlös wurde im Schloss Schleißheim eine Ahnengalerie der Wittelsbacher eingerichtet. Der Beitrag rekonstruiert detailliert die Vorgänge und  das Schicksal einiger Gemälde. Auch die heftigen Reaktionen auf den Vorgang werden dokumentiert. Die naheliegende Kontextualisierung mit den Dublettenverkäufen der Hof- und Staatsbibliothek 1858/59 unterbleibt.

Wolfgang Eisenmenger, Der Gerichtsmediziner Hermann Merkel und seine Gutachterätigkeit im Revolutionsjahr 1919, 274-289

Der Beitrag schöpft aus dem Archiv des Instituts für Rechtsmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität, das Sektionsprotokolle seit 1914 verwahrt. Unter den Protokollen des Jahres 1919 finden sich zahlreiche Untersuchungen von Todesfällen im Zusammenhang mit den Revolutionsereignissen, beginnend ab dem 7. Januar 1919. Prominenente Opfer, deren Sektionsprotokolle erhalten sind, sind Kurt Eisner und die beiden anderen Opfer der Attentate des 21. Februar sowie die Opfer der sog. Geiselmorde im Luitpold-Gymnasium. Auffällig ist die Lückenhaftigkeit von Sektionsprotokollen aus dem Zeitraum vom 13. Mai bis zum 30. Juni. Leiter der Sektionen war der Vorstand des Instituts, Hermann Merkel, der von 1914/18 bis 1945 amtierte.

Timo Nüßlein, Hitlers erste Bauvorhaben in München. Anmerkungen zu einem im April/Mai 1933 überschriebenen Stadtplan, 290-301

Der Beitrag stellt einen durch Zufall im Bayerischen Hauptstaatsarchiv entdeckten Stadtplan Münchens vor, in dem bereits im April und Mai 1933 Überlegungen zu städtbaulichen Maßnahmen in der “Hauptstadt der Bewegungen” skizziert wurden. Die Skizzen stammen vermutlich teilweise von Adolf Hitler selbst, teilweise entweder von Paul Ludwig Troost oder Fritz Gablonsky. Dargestellt sind Überlegungen für ein Parteiforum im südlichen Englischen Garten (vermutlich Haus der Kunst, Museum für Zeitgeschichte, Reichsstatthalterbau) sowie im westlichen Hofgarten (Operngebäude). Markiert sind einige größere Flächen, deren Überplanung noch ohne konkrete Vorhaben angedacht wurde, so der Leopoldpark, die Türkenkaserne sowie das Marstallgelände östlich der Residenz. Skizziert sind außerdem verschiedene weitere Bauten.

 

 

Quelle: http://histbav.hypotheses.org/1142

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CfPosters “Grenzen überschreiten – Digitale Geisteswissenschaft heute und morgen”

via Einstein-Zirkel Digital Humanities

Unter dem Titel “Grenzen überschreiten – Digitale Geisteswissenschaft heute und morgen” veranstaltet der Einstein-Zirkel Digital Humanities am 28. Februar 2014 seinen dritten Workshop.

Hier werden ausgesuchte DH-Projekte aus Berlin und dem nahen Umland die Möglichkeit bekommen, sich in einem Kurzvortrag und zugehörigem Poster vorzustellen und zu vernetzen.

Erwünscht für die Poster-Präsentation sind insbesondere interdisziplinäre Beiträge unter anderem aus den folgenden Bereichen:

  • Entwicklung relevanter digitaler Werkzeuge für geistes- und sozialwissenschaftliche Forschung
  • Forschungsergebnisse, die mit Hilfe digitaler Korpora gewonnen wurden
  • Beiträge aus Informationswissenschaft, Wissenschafts- und Technikforschung oder verwandten Bereichen zum Wandel von Forschungspraxis oder Forschungsorganisation (Governance) durch Digitalisierung
  • Forschungsbezogene digitale Erschließung von Kulturerbe (Archive, Bibliotheken, Museen, Denkmalkunde)

In den Kurzvorträgen soll die Relevanz des Beitrags für die DH-Landschaft im Großraum Berlin anhand einer einzelnen Folie präsentiert werden. Die Poster werden im Anschluss in einer Poster-Präsentation Interessierten vorgestellt und stehen während des gesamten Workshops den Besuchern zur Verfügung. Weitere Informationen auf der Website sowie im CfP: http://www.digital-humanities-berlin.de/archive/1064

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=2721

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Reisen in die Niederlande – ein unkalkulierbares Risiko?

Reisen war in der Vormoderne nicht unbedingt ein Vergnügen. Wer sich auf den Weg machte, hatte einen triftigen Grund dafür. Denn Reisen war aufwendig und barg Risiken; gerade die Gefahr von Überfällen auf Reisende, sei es auf Einzelne, sei es auf ganze Konvois, war nicht zu unterschätzen. Dies galt erst recht in Kriegszeiten. Vor einiger Zeit habe ich kurz auf das Beispiel eines Franziskaners hingewiesen, der 1631 auf einer Reise ermordet wurde. Ansonsten interessiere ich mich aber immer noch schwerpunktmäßig für die Situation am Niederrhein.

Gerade hier war das Gefahrenpotential für Reisende besonders hoch, eben weil in dieser Region Truppen der Spanier, der Katholischen Liga, später auch schwedische, französische und solche in Diensten Hessen-Kassels auftauchten. Vor allem aber waren, wenig überraschend, die Generalstaaten in diesen Landen sehr präsent, gerade indem „staatische“ Streiftrupps diese Gegenden unsicher machten, Überfälle verübten und Gefangene nahmen, die gegen Lösegeld freigekauft werden mußten. Die Belastungen für das Rheinland waren immens, entsprechend groß waren auch die Klagen; die Quellen dieser Jahre sind jedenfalls voll davon.

Was aber tat eine Stadt wie Köln angesichts dieses Problems? Als Handelsmetropole war sie auf einen möglichst ungehinderten Verkehr angewiesen; Störungen aller Art waren naturgemäß Gift fürs Geschäft. Natürlich beteiligte sich der Rat der Stadt auch an dem vielstimmigen Chor der Reichsstände, die für eine größere Sicherheit auf den Straßen plädierten und die Soldateska einer härteren Disziplinierung unterworfen sehen wollten. Ein Blick in die Kölner Ratsprotokolle ergibt allerdings einen etwas anderen Befund.

Ende 1630 gab es einen recht spektakulären Überfall, den generalstaatische Soldaten unweit der Rheinmetropole verübten. Einen Effekt auf die Reisetätigkeit hatte dies aber nicht. Denn gemäß den Ratsprotokollen wurden auch in den folgenden Wochen und Monaten viele Passporte für Kölner Bürger ausgestellt, die ihre Heimatstadt verlassen und sich auf Reisen begeben mussten: Die ganz überwiegende Zahl der Antragsteller ersuchte um Passporte für die Niederlande. Die Anliegen der Reisewilligen sind nicht immer explizit genannt oder aus den dürren Angaben eindeutig erkennbar. Viele waren sicherlich im Handel tätig, andere hatten offenbar verwandtschaftliche Bande, deretwegen sie dorthin aufbrechen wollten. Auffällig ist auch die Zahl der Kölner, die in die Niederlande wollten, um dort ein Handwerk zu erlernen oder ihre Fertigkeit dort zu perfektionieren.

Es ist jedenfalls nicht ersichtlich, dass die intensiven Verbindungen zwischen Köln und den Generalstaaten durch die Überfälle von Soldaten gelitten hätten (wobei ich mich hier nur auf die Befunde in den Monaten 1630 und 1631 stützen kann). Ob deswegen die Kriegsauswirkungen – denn dazu ist die Unsicherheit auf den Verkehrswegen sicher zu zählen – als weniger dramatisch anzusehen sind, ist allerdings sehr fraglich. Mag sein, daß manche Zeitgenossen recht schicksalsergeben mit dem Risiko umgingen (vielleicht weil sich ihnen keine Alternative bot), mag sein, daß andere wiederum Möglichkeiten kannten, die Gefahren zu minimieren (was aber aus den Quellen nicht ersichtlich ist). Eine abschließende Einschätzung erscheint mir derzeit noch nicht möglich.

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/360

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Computational Philology?

Stellenausschreibungsexegese. Wird auch zu wenig gemacht. Dabei kann das sehr erhellend sein, wenn es um die systematische Beobachtung und Analyse von Entwicklungen in einem Fachbereich wie den Digital Humanities geht.

„W1- Junior Professorship Computational Philology“ in Leipzig, ich beziehe mich auf diesen Link: http://www.zv.uni-leipzig.de/universitaet/stellen-und-ausbildung/stellenausschreibungen/hochschullehrer-und-leiter.html#c114366

„Computational Philology“? Nanu? Wieso? Was könnte das jetzt wieder sein? Erste Reaktion: check with google: Nö, kein eingeführter Begriff. Erster Gedanke: Wird wohl ein Synonym zu Digital Philology, Computerphilologie o.ä. sein. Oder nicht? Wenn es hier (was ich reichlich sinnlos fände) um die Volksfront von Judäa im Gegensatz zur judäischen Volksfront geht,[1] würde man ein Konzept oder ein Manifest zur Klärung, Definition und Abgrenzung erwarten. Scheint es aber nicht zu geben. Wenn es als Synonym zu Digital Philology gemeint ist, dann finde ich die ganze Sache erst einmal gut: Hurra, wieder eine Professur im Bereich der Digital Humanities. „Digital Humanities“ fände ich noch schöner, aber das Ausfüllen von Teilbereichen ist auch gut. Zeigt es doch die Breite und Differenziertheit des Faches.

Weiter: Zusammenarbeit mit dem „Humboldt-Chair of Digital Humanities“ und dem „Open Philology Project“? Wunderbar! DH, here we come!?

„The candidate must have a PhD in Computer Science“ – Hä? Ja wie jetzt? “Digital Humanities” ist, wenn man streng den normalen Regeln der englischen  Sprache folgt , ein Teilbereich der Humanities und wenn man weniger streng ist, eine Schnittmenge zwischen den oder ein Treffpunkt der Geisteswissenschaften und der Informatik. Im Normalfall würde man die beste Kandidatin also unter den informatisch orientierten Philologinnen (PhD in Philology) und den philologisch orientierten Informatikerinnen suchen. Was soll also diese Einschränkung? Geht es gar nicht darum, die beste Kandidatin zu finden? Ist das nicht eine sachfremde Beschränkung? Als würde man sagen: die Kandidatin muss einen Vornamen haben, der mit M anfängt? Oder vom Sternzeichen her Krebs sein? Oder steckt eine andere Agenda dahinter?

„The candidate should be prepared to develop a teaching program in digital philology that challenges computer scientists but also includes a track accessible to ambitious humanists.“ Das stützt zunächst die Synonymthese! Die Stelleninhaberin „W1-Computational Philology“ sollte vorbereitet sein, ein Lehrprogramm in „digital philology“ zu entwickeln (schade, dass sie es nicht entwickeln soll!). Danach wird es schwierig. An wen soll sich das Programm wenden? Jeder mag seine individuelle Übersetzung haben, meine geht so: Das potentielle Lehrprogramm sollte eine Herausforderung für Informatikerinnen sein, aber auch einen Weg enthalten, der für ambitionierte Geisteswissenschaftlerinnen zugänglich ist. Die Lesungen dazu sind infinit. Für mich schwingt hier eine gewisse Schieflage mit: während grundsätzlich alle Informatikerinnen herausgefordert sind, können nur „ambitionierte“ Geisteswissenschaftlerinnen (es gibt also auch nicht-ambitionierte?) auf einem (gesonderten?) „track“, vielleicht in einer weniger anspruchsvollen Nische(?), hier einen Zugang finden.

Es bleibt von der Denomination her eine Professur in „Philology“. Aber was ist Philologie? Der Begriff kommt in der Stellenbeschreibung nicht mehr vor. Der einzige Begriff, der in einer semantischen Nähe liegt, ist „text processing“? Aber was ist das? Die deutsche und die englische Wikipedia haben recht vernünftige Artikel dazu, beide enthalten aber nicht den Begriff und keinen Verweis auf Philologie.[2] Textverarbeitung mag man als Teilbereich und Hilfsdisziplin der Philologie betrachten, aber reicht das aus, um deshalb von einem Lehrstuhl in Philologie zu reden?

Und das Rätsel bleibt damit ungelöst.  Wieso sollte nur jemand mit einem PhD in CompSci  „rechnende philologische Forschung“ machen können? Was machen denn all die anderen Computerphilologinnen? Oder Texttechnologinnen? Ich würde denken, dass jede digitale Philologie mehr oder weniger „computational“ ist – wie sonst sollte man mit digitalen Daten arbeiten können? Auf der anderen Seite wäre zu überlegen, was denn die heutigen philologischen Fragestellungen sind und welche Voraussetzungen jemand haben müsste, um diese Fragestellungen informatisch bearbeiten zu können. Dazu gehört sicher ein fundiertes Verständnis der Philologie. Wie oben gesagt: DH und Digital Philology ist da, wo sich die Geisteswissenschaften und die Informatik treffen. Von beiden Seiten dürfte der Weg gleich weit sein.[3]

Also geht es hier vielleicht gar nicht um eine Ausprägung der Philologie bw. der Digital Humanities? Sondern nur um eine Spielart der angewandten Informatik? Ist es dann vielleicht einfach unglücklich etikettiert? Ist vielleicht eigentlich „Text Processing in Computer Science“ gemeint? Was es letztlich ist, wird sich erst an der Arbeit der Professur zeigen. Die Ausrichtung, die sich aus der Formulierung der Ausschreibung und dem ungewöhnlich restringierten Kandidatenprofil herauslesen lässt, stärkt aber nicht den sonst so erfreulich integrativen und interdisziplinären Ansatz der Digital Humanities, sondern deutet hier eher auf einen desintegrierenden Sonderweg hin. Damit würde aber die zentrale Idee, dass sich in den Digital Humanities Geisteswissenschaftlerinnen und Informatikerinnen auf Augenhöhe begegnen um gemeinsam zu zukunftsweisenden Lösungen zu kommen, konterkariert.



[3] Christof Schöch stellt dem entsprechend zu dieser Stellenausschreibung via Twitter die rhetorische Frage: „Is it easier for a computer scientist to learn what the humanities are about than it is for a humanist to understand computer science? “ – https://twitter.com/christof77/statuses/408625412680318976

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=2719

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Fünf Fragen an … Martin Gravel (Paris VIII)

Sie haben vor ihrem Geschichtsstudium Musik studiert. Wie kam es dazu, dass Sie sich im Anschluss daran dazu entschieden haben, Geschichte zu studieren? Die erste Wahl in meinem Leben fiel auf die Musik. Ich habe zunächst einmal Musik studiert und … Continue reading

Quelle: http://jeunegen.hypotheses.org/1056

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