Ausstellung und Publikation zu Frauen & Dada

In Appenzell müsste man sein, denn dort zeigt das Kunstmuseum noch bis 28.6.2015 die Ausstellung Frauen & Dada. Aber immerhin, für Mai angekündigt ist folgende Publikation:

Boesch, Ina (Hg.): Die Dada. Wie Frauen Dada prägten. Zürich: Scheidegger & Spieß, 2015. 29 Euro. [Verlags-Info]

Ankündigungstext:
Dada gilt als eine der ersten Kunstrichtungen, in der Frauen als eigenständige Kunstschaffende von einem breiteren Publikum überhaupt wahrgenommen wurden. Dennoch sind nur wenige der damals künstlerisch tätigen Frauen heute noch bekannt. Die Meisterin der Fotomontage Hannah Höch, die abstrakte Künstlerin Sophie Taeuber-Arp, die Malerin Suzanne Duchamp, die Dichterin Emmy Hennings, die Stummfilmdiva Musidora, die Tänzerin Valeska Gert – sie und viele weitere Künstlerinnen wirkten bei Dada mit.
Erstmals wird in diesem Buch der Beitrag der Frauen an Dada umfassend und in seiner ganzen Vielfalt dargestellt. Es porträtiert die Malerinnen, Literatinnen, Tänzerinnen, Musikerinnen, Verlegerinnen und Mäzeninnen, welche die avantgardistische Bewegung mitprägten. Am Beispiel einiger Künstlerinnen wie der Performerin Elsa von Freytag-Loringhoven, der Schriftstellerin Céline Arnauld oder der Malerin Angelika Hoerle macht das Buch deutlich, wie deren Werk das ihrer männlichen Kollegen beeinflusste. Nachgegangen wird auch der Frage, weshalb diese Frauen wieder in Vergessenheit gerieten, während Dada – und viele der männlichen Künstler – als Begriff und als Kunstbewegung bis heute allgegenwärtig blieb.

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/1022417725/

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Wappenbuch Richental II: Die Aulendorfer Handschrift

Die Aulendorfer Handschrift (= A) ist neben der Konstanzer Handschrift K traditionell eine der für die Forschung wichtigsten Überlieferungen der Richental-Chronik. Die Handschrift selbst ist nicht digitalisiert; die besitzende Bibliothek hat nur ein paar Bilder ins Netz gestellt. Dafür sind ein älteres (schwarz-weißes) Faksimile sowie die alte, auf A basierende Edition digitalisiert und frei zugänglich: Concilium ze Costenz 1414-1418: Fac-similirte Ausgabe nach der im Besitze des Grafen Gustav zu Königsegg in Aulendorf befindlichen Urschrift, hg. von Hermann Sevin, Karlsruhe 1881. [online] Ulrichs von Richental Chronik des Constanzer Concils, 1414 bis 1418, ed. Michael R. Buck, Stuttgart 1882. [online hier und hier] A gilt, was den Text der Richental-Chronik angeht, als eine der besten Handschriften. Über die Qualität des Wappenbuchteils ist damit nichts gesagt, und in der Tat ist weder die Ausführung der Wappen allzu sorgfältig, noch die Anordnung der Wappen so, dass A als besonders gute Überlieferung auffallen würde. Der Wappenbuchteil von A enthält zahlreiche Listen mit Namen von Konzilsteilnehmern, von nicht-europäischen Kirchen und von den Sprachen der Welt sowie ein paar andere Texte; dies gilt alles auch von Pr, dort sind die Wappen allerdings weitgehend von den Listen und anderen Texten getrennt (erst nur Text, dann nur Wappendarstellungen). Wie […]

Quelle: http://heraldica.hypotheses.org/2854

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#wisskomm3.0 Wissenschaftskommunikation 3.0 als Digitales Studen­tisches Publizieren — eine Synthese von eLearning 3.0 und Web 3.0 zur Einbindung Studierender in den Wissen­schaftsbetrieb

https://www.aventinus-online.de/fileadmin/collectanea/01.2015_hofmann_wissenschaftskommunikation.pdf Der Beitrag wird in parallelen Betrachtungen die Genese der Wissenschaftskommunikation, des World Wide Web und des eLearning untersuchen. Er versucht Analogien herauszufinden, um zu belegen dass es sich bei netzbasierten Technologien der dritten Generation um homogene Konzepte handelt. Hierbei wird eine gleichförmige Matrix entworfen, die zeigen wird, in welchen Kriterien Konzepte übereinstimmen und Unterschiede […]

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2015/04/5782/

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durchsichten: DH & transnationale Geschichte. Blog der Bilanztagung “Digital Humanities und transnationale Geschichte”

http://dhtg.hypotheses.org/ Das Blog soll die Bilanztagung “Digital Humanities und transnationale Geschichte” [begleiten], die vom Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung, der AG Digitale Geschichtswissenschaft des Verbands der Historiker und Historikerinnen Deutschlands sowie dem Zentrum für Medien und Interaktivität der JLU Gießen vom 7. bis 8. Mai 2015 in Marburg veranstaltet wird. Eine der Kernfragen der Digital Humanities […]

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2015/04/5779/

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17. Eine Lanze für die Antike („Was uns fremd scheint, ist so nah“) brechen.

Ich möchte eine Replik auf einen Artikel schreiben, den ich vor einigen Tagen gelesen habe, und der für die Beschäftigung mit der Antike eintritt, besonders für die klassischen Sprachen. Dem möchte ich noch einige eigene Gedanken beipflichten. Ob es plausibel ist, was ich schreibe, können Sie gerne selbst entscheiden und sich dann freuen, dass Sie für Ihre Kleinen doch Englisch, Französisch oder Spanisch gewählt haben (oder hui Chinesisch)! Was ich natürlich noch schöner fände ist aber, wenn Sie ihre Argumente pro und contra ebenfalls hinzufügen würden! Aber ich weiß ja, Sie haben keine Zeit. Niemand hat Zeit. Außer die antiken Texte, diese haben nämlich immer gemächlich gewartet; Darauf, dass sie entdeckt oder wiederentdeckt werden und vor allem darauf, dass sie gelesen werden und entzünden. Entzünden? „In dir muss brennen, was du in anderen entzünden willst”, meinen einige, habe Augustinus gesagt. Können tote Sprachen dies noch? Entzünden?

Der Artkel, um den es geht, heißt „Was uns fremd scheint, ist so nah“ (http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/geisteswissenschaften/die-bedeutung-alter-sprachen-fuer-modernes-denken-13524589.html, 09.04,15), und die Autorin präsentiert Ihnen (ja „Ihnen“, da ich ja schon überzeugt bin) folgende Argumente dafür, dass die klassischen Sprachen und Inhalte auch im Schulunterricht nicht fehlen sollten: Denn die Antike sei der Grundstein unserer Identität, die Beschäftigung mit den Texten schulten das Denken und Fühlen, ließen Phantasie und kulturelle Kompetenz entwickeln und seien ganz einfach schön (ein Augenzwinkern von Seiten des Neuplatonismus: Einfach Schön).

Entzündet Sie das bereits? Oder würden Sie immer noch sagen, wird bräuchten lieber Wirtschaftsunterricht ab der 2. Klasse (Taschengeldkompetenzmodul), als die Zeit, von der wir so wenig haben, mit toten Sprachen zu verschwenden? Ja, ich bin polemisch, aber schauen Sie: Interessanterweise hat jede Beschäftigung mit der Antike zu einem geistigen, sozialen und kulturellen Feuerwerk geführt. Stichwort: Renaissance, Stichwort: Byzantinischer Humanismus, Stichwort: Hellenistisches Christentum (oder ist das selbst noch Antike?), Stichwort: Zweite Sophistik, Stichwort: Avicenna, Stichwort: Aufklärung, Stichwort: Milindapañha in Indien, Stichwort: Thomas von Aquin, Stichwort: Humanismus, Stichwort: Klassizismus in Architektur und Kunst. Stichwort: Die Liste könnte beliebig verlängert werden. Was würden Sie über einen „Gelehrten“ sagen, der im 14. Jahrhundert vor der Renaissance gesagt hätte, „die Beschäftigung mit der Antike ist Zeitverschwendung“, oder vor der Aufklärung „die Antike ist tot“ oder vor Thomas von Aquin, „Aristoteles ist Vergangenheit“? Sie würden diese Person gehässig auslachen („Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung.“ (angeblich von Wilhelm II.)) . Aber was wird man in Zukunft über Sie sagen? Über uns? Wird man sagen, wir seien teil einer weitsichtigen Generation gewesen?

Die Antike hat lange gewartet und wurde ohne eigenes Zutun immer wieder entdeckt. Unsere heutige Abneigung gegen sie ist drei Dingen geschuldet: Wir fühlen uns allen anderen Epochen gegenüber überlegen (und sind es natürlich auch in gewissen Bereichen, in anderen aber wiederum nicht). Zweitens glauben wir an den Fortschritt (den es ebenfalls offenkundig in vielen Bereichen gibt, aber natürlich nicht in allen und auch nicht absolut). Klarerweise gelten beide Aussagen jedoch nur für einige Teilbereiche des Lebens und einige Wissenschaften. Und drittens haben wir ein “Gustav-Schwab-Bild” der Antike, in dem es nur darum ging, wie sich ein paar (ganz lustige, aber ansonsten fragwürdige) Götter verkleideten. Dem ist aber natürlich nicht so. Inspiriert durch einen lüsternen Zeus und einen betrunkenen Dionysos errichten Sie keine Renaissance: Wir finden kaum in sonst einer Epoche so scharfe Argumente, so pointierte Aussagen über den Menschen und die Welt, so objektive Umzeichnungen wie in den antiken Texten. Kaum irgendwo so sachliche Auseinandersetzungen, so klare Gedanken und so tragische Dilemmata, nirgends so inspirierenden Zweideutigkeiten, Witz, Größe. Nirgends die Eloquenz und Beredsamkeit, die in vielen Bereichen (aber auch hier gilt: natürlich nicht in allen) Standards gesetzt hat. Und nirgends die notwendige Entfernung und gleichzeitige Ähnlichkeit, die uns den reinen Spiegel vorhalten kann.

Wieso sich also eher mit der Antike beschäftigen oder sich von ihr inspirieren lassen und sich damit in die großen Epochen der Weltgeschichte einreihen als noch ein Kompetenzmodul für den unmittelbaren Nutzen zu belegen? Sehen Sie, es geht doch nicht um das Entweder-Oder. Es geht um die gute Balance. Und da müssen wir uns fragen: Sind wir heute weitsichtig? Weitsichtiger als unsereiner in anderen Epochen, wenn wir so viel Wert auf Lehre und Bildung nur als Mittel legen und nicht als Ziel? Thomas Morus sagt wohl: „Tradition ist nicht das Halten der Asche, sondern das Weitergeben der Flamme.“ Ja, das gilt auch für die Beschäftigkung mit der Antike. Wenn Sie mir nicht glauben und sagen, ich sei voreingenommen, weil es mein Fach sei, lade ich Sie herzlich ein, sich ein genaues Bild zu machen, das über Gustav Schwabs Sagen des klassischen Altertums hinausgeht und die gedankliche und gefühlsmäßige Größe dieser Sprachen in den Blick nimmt. Wollen Sie dem Dilemma zwischen menschlichem Recht und göttlichem Gebot auf den Grund gehen? Lassen Sie sich von Aischylos’ Orestie inspirieren. Wollen Sie wissen, wie man neutrale Distanz zwischen verschiedenen Parteien negativ nutzen kann? Lassen Sie sich vom Melierdialog aus dem Peloponnesischen Krieg des Thukydides inspirieren. Brauchen sie Stütze im Alltag? Lassen Sie sich von Seneca inspirieren und bauen Sie auf diesen Fundamenten, was Sie möchten, übertreffen Sie die Standards, wenn Sie wollen.

Niemand soll müssen, aber irgendjemandem diese gedanklichen und gefühlsmäßigen Schätze gänzlich zu verwehren, die Möglichkeit zu nehmen, und damit möglicherweise auch die Inspiration für die Zukunft zu ersticken, wäre eine Schande. Befreien Sie sich vom „Gustav Schwab Bild“ der Antike und prüfen Sie, ob mein Argument mit der Weitsichtigkeit stichhaltig ist oder nicht. Die konstruktive und fruchtvolle Auseinandersetzung ist schließlich wunderbar in den platonsichen Dialogen in Vollendung zu betrachten.

Wenn es Sie also interessiert: Twitter: @philophiso

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/483

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Forschungsgeschichte der Aktenkunde III: Meisners Kritiker

Meisners in sich geschlossenes Lehrgebäude forderte in seinem Anspruch auf Allgemeingültigkeit die Kritik heraus. Solche Kritik wurde in den 1950er-Jahren unter zwei Aspekten geübt: Systemimmanent durch eine funktionale Betrachtung von Akten und mit einem radikal anderen Ansatz, der von den Strukturen der Überlieferung im Archiv ausgeht.

Beide Ansätze entstanden an der Archivschule Marburg, der 1949 gegründeten Ausbildungsstätte für den Archivdienst in der Bundesrepublik. Vom innerdeutschen Systemkonflikt blieb der aktenkundliche Disput mit Meisner in Ost-Berlin zum Glück verschont. Auch im Westen behielten Meisners Werke ihre Stellung als zentrale Referenz – schon weil die Marburger Schule, wenn man sie so nennen mag, keine eigenen Lehrbücher hervorbrachte.

Kurt Dülfer: Form follows function

Der Archivrat am Staatsarchiv Marburg Kurt Dülfer (1908–1973) lehrte in den 1950er-Jahren Aktenkunde an der Archivschule und an der Philipps-Universität. Er hatte schon 1951 in einer Rezension Meisners Fixierung auf Preußen im Ancien Régime und auf den Rechtscharakter von Urkunden und Akten kritisiert.

In seinem großen Aufsatz ging Dülfer (1957) nicht wie Meisner von der Sphäre der Fürstenkorrespondenz aus, sondern vom normalen Schriftgut der inneren Verwaltung, und löste Meisners statische Systematik in einer fließenden historischen Entwicklung der Aktenformen auf:

“‘Urkunde’ und ‘Acta’ […] entstammen der Gerichtssphäre und erhielten erst nachträglich die allgemeine Bedeutung des Begriffes, den wir ihnen heute beilegen.” (Dülfer 1957: 21)

Die Begriffsgeschichte zeigt für die Zeit zwischen 1500 und 1700 die Durchsetzung der Aktenführung im modernen Sinne an (Dülfer 1957: 19, 23–25). Von einem an den Formen festzumachenden scharfen Gegensatz zwischen Urkunden und Aktenstücken kann keine Rede sein, auch weil sich das moderne Schreiben aus dem mittelalterlichen Mandat entwickelt hat und in der jüngsten Zeit einfache Schreiben vielfach die Rolle von Urkunden übernommen haben (Dülfer 1957: 35–37).

Dülfer ersetzte die Form als Kriterium zur systematischen Bestimmung eines Aktenstücks durch die Funktion, ein im Grunde inhaltliches Kriterium: Was beabsichtigte der Verfasser eines Schriftstücks im Verhältnis zum Empfänger?

“Eine Abschrift einer Urkunde, die zur Kenntnis und Erinnerung bestimmter Fragen hergestellt wird, hat ihre Bedeutung nicht als Urkunde, sondern als ein Schriftstück der Erinnerung. […] Eine Denkschrift kann zur Vorlage in der Öffentlichkeit oder bei wenigen Personen oder zum Zweck der eigenen Klärung bestimmt sein. Je nach dieser Funktion richtet sich ihre Einordnung in eine bestimmte Gruppe. Mit jedem Schriftstück verfolgt sein Aussteller einen bestimmten Zweck, er überträgt ihm eine Funktion. Damit tritt neben das Formprinzip die Erkenntnis von Zweck und Absicht eines Schriftstückes.” (Dülfer 1957: 27 f.)

Auf dieser Grundlage kam Dülfer (1957: 49–52) zu einer Einteilung des Behördenschriftguts, die auf auf der Beziehung der Korrespondenten aufbaute. Er unterschied

  • Verkehrsschriftstücke an einen Empfänger, und zwar

    • offene Schreiben an einen unbestimmten Kreis und
    • geschlossene Schreiben an bestimmte Personen, sowie
  • Memorienschreibwerk zur Aufzeichnung von Informationen für den Verfasser selbst.

“Offen” und “geschlossen” hat also nichts mit dem physischen Verschluss eines Schreibens zu tun, sondern meint den “Publizitätswillen” des Verfassers!

Dieses System erschien Dülfer (1957: 53) flexibel genug, um darunter neben Urkunden und anderen Schriftstücken auch Karten und Amtsbücher subsumieren. In Kenntnis der weiter unten zu schildernden Amtsbuchdebatte wird man ihm in diesem Punkt nicht mehr folgen wollen.

Dülfer bezog die möglichen Funktionalitäten des Schriftverkehrs auf das Modell einer hierarchischen Behörde: Bericht an den Vorgesetzten, Weisung an den Untergebenen, Mitteilung auf gleicher Ebene. Man mag sich also fragen, wo in der Praxis der Unterschied zu Meisners hierarchischer Klassifikation liegt. Man muss sich aber auch darin erinnern, dass die systematische Bestimmung ein Schriftstück nicht nur einsortieren, sondern auch Erkenntnisse liefern sollte.

Wenn Form und Funktion eines Stücks auseinander fallen, ob eine “Urkunde in Form eines Schreibens” oder aber ein Schreiben in “Funktion einer Urkunde” (Dülfer 1957: 28) vorliegt: Daraus lassen sich daraus Schlüsse über die Absicht und die Gewohnheiten des Verfassers ziehen. Wer das für Erbsenzählerei hält, sollte die Fallstudien zum Verhältnis von Kabinettsorder und Handschreiben von Korn (1973) und Moormann (1980) lesen.

Johannes Papritz: Was hat man sich dabei nur gedacht?

Archivare mag es verblüffen, den Namen Johannes Papritz (1898–1992) an dieser Stelle zu lesen. Der Meister der Strukturanalyse hat sich auch mit noch eher konventioneller Aktenkunde befasst. Papritz war seit 1954 in Personalunion Direktor des Staatsarchivs Marburg und der Archivschule und lehrte dort das Fach Archivwissenschaft, das er im Grunde selbst begründet hat.

Papritz (1959) führte Dülfers Frage nach der Funktion einen wichtigen Schritt weiter. Das Absender-Empfänger-Verhältnis setzt natürlich einen Empfänger voraus. Was aber, wenn es keinen gab? Wie schon Meisner hatte sich Dülfer auf den externen Schriftverkehr konzentriert und die große Masse der für die eigenen Akten bestimmten Aufzeichnungen an den Rand gerückt. Papritz ging von der einfachen Tatsache aus, dass Institutionen nicht alle ihre Handlungen verschriftlichen – eine unangenehme Wahrheit, die Archivbenutzer gern verdrängen.

Die Behörde braucht ein Motiv, um Zeit und Geld in die Aktenführung zu investieren. Die Mitteilung an Entfernte, unter deren Stern die Meisnersche Systematik steht, ist nur ein Motiv unter anderen. Informationen können ebenso als Gedächtnisstütze, zur Festlegung der eigenen Meinung, zur Wahrung von Interessen, zur Wirtschaftsführung und zur Ordnung des Geschäftsbetriebs schriftlich niedergelegt werden. Die Urkunde und ihr Rechtscharakter sind kein Wert an sich, sondern, wie auch das Amtsbuch, nur Ausprägungen des Motivs der Rechtssicherung (Papritz 1957: 341–343).

Das ist klar und einsichtig, wird aber bei Papritz von einer Absicht getragen, die auf die schiefe Bahn führt: Behördenschriftgut wird als reine Dokumentation betrachtet, als Sammlung von Informationsträgern. Dass die Schriftstücke Arbeitswerkzeuge der Verwaltung waren und aus kontinuierlichen Handlungen entstanden sind, kann so aus dem Blick geraten.

Nach Papritz (1957: 340) entspringt der Entwurf zu einem externen Schreiben, der bei den eigenen Akten verbleibt, nicht dem Motiv der Mitteilung an Entfernte, sondern dient als Gedächtnisstütze. Das ist logisch unanfechtbar, bringt einer Historischen Hilfswissenschaft aber keinen Erkenntnisgewinn. Meisner sieht in einem solchen Entwurf selbstverständlich die Entstehungsstufe eines Mitteilungsschreibens und hätte es niemals anders bestimmt.

Auf die systematische Klassifikation kam es Papritz (1957: 348) aber auch nicht an:

“Die ordnende Betrachtung der Motive, denen das in den Archiven bewahrte Schriftgut seine Entstehung verdankt, mag ihren Wert in sich tragen, geradezu entscheidende Bedeutung aber hat eine solche begriffliche Klärung, wenn man die Organisationsformen der Schriftgutkörper erforschen will.”

Damit ist die Naht zwischen der Aktenkunde als Historischer Hilfswissenschaft und der Archivwissenschaft erreicht: Die eine rekonstruiert aus der Entstehung von Schriftstücken Entscheidungsprozesse und Verantwortlichkeiten, die andere analysiert, unter anderem, die Strukturen, in denen die heutige archivalische Überlieferung vorliegt.

Ernst Pitz: Begründung der Amtsbuchkunde

Ernst Pitz (1928–2009) absolvierte die Archivschule unter Papritz’ Ägide und war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung seiner stark erweiterten Dissertation am Staatsarchiv Wolfenbüttel tätig. Pitz (1959: 446–480) stellt mustergültig dar, wie nacheinander

  • die Ausbildung der städtischen Ratsverfassung Motive zur Verschriftlichung in Form von Bucheinträgen schafft,
  • aus einer ursprünglichen Buchreihe durch Serienspaltung inhaltlich spezialisierte Bücher werden,
  • unter dem Rat nachgeordnete Ämter mit eigener Buchführung entstehen,
  • schließlich eine Aktenführung auf Einzelblättern die gebundenen Bücher ergänzt.

Ohne die 1953 eingereichte Manuskript-Fassung zu kennen, die sich auf Lübeck als Gegenstand beschränkte, darf man unterstellen, dass Papritz’ auf die Erkenntnis von Strukturen ausgerichtete Lehre in der Archivwissenschaft die endgültige Fassung beeinflusst hat. Pitz (1957: 466) versteht sein Handwerk als Aktenkunde, doch in radikaler Umwertung:

“Das erste Ziel der Aktenkunde, den in den Akten aufbewahrten Bestand der Akten aus sich zu erklären, ist damit erreicht.”

Das ist, gelinde gesagt, strittig. Pitz’ vorrangiges Interesse galt dem Papier als Endprodukt von Handlungen. Wie Papritz setzte er sich von der traditionellen genetischen Betrachtung der Entstehung von Schriftstücken ab:

“Die Konzepte namentlich nehmen unsere Aufmerksamkeit nicht als Vorstufen der Ausfertigungen in Anspruch, sondern nur als Schriftstücke, die von einer vollzogenen Amtshandlung Kunde geben, und das gleiche gilt für alle Urkunden.” (Pitz 1959: 29)

Hier begegnet auch wieder die Unterscheidung von Akten und Urkunden, doch ebenfalls in einer neuen, inhaltlichen Definition:

“Wendet man mit Meisner die Prinzipien der Urkundenlehre auf die Akten an (indem man von dem einzelnen Schriftstück ausgeht), so gelangt man zu einem systematischen Gebäude; legt man den Unterschied zwischen Urkunden und Akten, daß jene als Einzelstücke für sich verständlich sind, diese dagegen nur in Zusammenhängen […], zugrunde, so gelangt man zu einem die Entwicklung der Aktenbestände erfassenden Gebäude.” (Pitz 1959: 26)

Ein Stück weit muss Meisner hier als Pappkamerad dienen, auf den eingedroschen wird. Pitz Untersuchungsgegenstand ist ebenso speziell wie Meisners Brandenburg-Preußen: spätmittelalterliche städtische Amtsbücher, und er verallgemeinert seine Ergebnisse ebenfalls zu schnell. Dass man mit Meisners Instrumentarium keine Amtsbücher untersuchen kann, zwingt nicht dazu, diese Methodologie insgesamt zu verwerfen.

Pitz hat nicht die Aktenkunde revolutioniert, sondern als Sondergebiet die Amtsbuchkunde begründet, die eng mit der Kodikologie zusammenhängt. Die physische Struktur des Buchs erzwingt und ermöglicht andere Techniken der Verschriftlichung, die Küchhilfswissenschaftlich nicht mit Aktenführung aus Einzelschriftstücken über einen Kamm geschoren werden dürfen.

Die Amtsbuchkunde hat mittlerweile eine eigene Forschungsliteratur hervorgebrachte (Pätzold 1998, Kloosterhuis 2004). Der kodikologische Aspekt der Arbeit mit diesen Büchern wurde unübertroffen plastisch von Quirin (1991: 83-103) dargestellt.

Ahasver von Brandt: Stumpfes Werkzeug

Warum hat diese ergiebige Diskussion, Meisners Repliken eingeschlossen, außerhalb eines kleinen Kreises von Archivaren eigentlich so wenig Widerhall gefunden?

Ahasver von Brandt (1909-1977), Stadtarchivar von Lübeck, aber kein Absolvent der preußischen Archivarsausbildung, überging in seinem “Werkzeug des Historikers”, das bekanntlich Generationen von Studenten geprägt hat, Meisners Lehre bis auf ihren untauglichen Teil, die Unterscheidung von Akten und Urkunden nach dem Rechtscharakter. Es ist abstrus, “jede[n] politische[n] Beschluss” zum “Rechtsgeschäft” zu erklären, “in einem weiten Sinne”, um weiter einen unreflektierten Urkundenbegriff anwenden zu können (von Brandt 1963: 127).

Er ordnet die Amtsbücher einfach den Akten zu und verwendet den meisten Platz für ein Propädeutikum der Archivrecherche. Was tiefgreifend rezipiert wurde, war Papritz’ archivwissenschaftliche Strukturlehre. Wie so ein Aktenstück eigentlich aussieht, aus welchen Teilen es sich zusammensetzt, selbst in welchen Stufen es nach Küch entsteht, verrät von Brandt (1963: 125–139) seinen Lesern in den Proseminaren nicht. War ihm die neuzeitliche Hilfswissenschaft eine lästige Verpflichtung zur linken Hand?

So verbirgt seit über 50 Jahren das “Werkzeug des Historikers” den Gegenstand und die Methoden der Aktenkunde mehr als es darin einführt.

Literatur

Außer den mit * gekennzeichneten werden alle Titel auch in der Basisbibliografie zur Aktenkunde nachgewiesen.

*Brandt, Ahasver v. 1963. Werkzeug des Historikers. Eine Einführung in die Historischen Hilfswissenschaften. 3. Aufl. Stuttgart. [Ursprünglich 1958]

*Dülfer, Kurt 1951. [Rezension zu] Heinrich Otto Meisner, Urkunden- und Aktenlehre der Neuzeit. In: Der Archivar 4. Sp. 41–45. #Online?

Dülfer, Kurt 1957. Urkunden, Akten und Schreiben in Mittelalter und Neuzeit. Studien zum Formproblem. In: Archivalische Zeitschrift 53. S. 11–53.

Kloosterhuis, Jürgen 2004. Mittelalterliche Amtsbücher: Strukturen und Materien. In: Friedrich Beck/Eckart Henning, Hg. 2004. Die archivalischen Quellen. 4. Aufl. Köln u. a. S.53–73.

Korn, Hans-Enno 1972. Kabinettsordres: Ein Kapitel Aktenkunde. In: Der Archivar 26. Sp. 225–332.
Online

Moormann, Wolf-Dieter 1980. Braunschweigische Kabinettsorders. In: Archivalische Zeitschrift 76. S. 57–68.

Papritz, Johannes 1959. Die Motive der Entstehung archivischen Schriftgutes. In: Comitè des Mélanges Braibant, Hg. 1959. Mélanges offerts par ses confrères étrangers à Charles Braibant. Brüssel. S. 337–348.

Pätzold, Stefan 1998. Amtsbücher des Mittelalters: Überlegungen zum Stand ihrer Erforschung. In: Archivalische Zeitschrift. 81. S. 87–111.

Pitz, Ernst 1959. Schrift- und Aktenwesen der städtischen Verwaltung im Spätmittelalter: Köln, Nürnberg, Lübeck. Beitrag zur vergleichenden Städteforschung und zur spätmittelalterlichen Aktenkunde. Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln  45. Köln.

*Quirin, Heinz 1991. Einführung in das Studium der mittelalterlichen Geschichte. 4. Aufl. Ndr. Stuttgart. [Ursprünglich 1950]

Quelle: http://aktenkunde.hypotheses.org/344

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Logbuch “Schizophrene Ökologien” 1: Arno Schmidts “Schwarze Spiegel” und Akteur-Netzwerke

10. April 2015, 14:32 – Parkbank, Campus Heinrich-Heine-Universität

Diskussionsort HHU Düsseldorf, 10. April 2015, 14:56, aufgenommen mit Motorola Moto G

Diskussionsort HHU Düsseldorf, 10. April 2015, 14:56, aufgenommen mit Motorola Moto G

Zwischen Abfassen des Logbucheintrags 1 und der Aufnahme des Gesprächs liegen etwa 15 Minuten. Vorgängig legten wir fest, dass wir uns 30 Minuten Zeit nehmen und das Gespräch mit dem Iphone aufnehmen.

Nach einer kurzen Materialsichtung und einem ‚Was-bisher-geschah‘ widmen wir uns in diesem ersten Logbuch Arno Schmidt. Im Hinblick auf eine Bewerbung für eine Vortrag für die Arno-Schmidt-Jahrestagung (bis zum 31.05.2015) besprechen wir den ohnehin für unser Projekt wichtigen Text ‚Schwarze Spiegel‘.

Vorausgegangen ist ein kurzes Gedanken-Exposé von Martin Bartelmus, das erste Ideen zur Interpretation des Textes formuliert: ausgedruckt im Doktorandenbüro, auf Umweltpapier, von einem Samsung-Drucker und geschrieben auf einem MacBook Pro. Die Textstellen, die im Exposé verwendet werden, stammen vom ersten Durchlesen des Textes, als das Projekt noch gar nicht existierte (vor ca. einem Jahr). Diese mit Bleistift markierten Passagen finden nun Eingang in das Projekt.

Wir besprechen also das Exposé und stellen fest, dass wir zwei Hauptaspekte analysieren wollen: zum einen eine Poetik oder Poetologie, zum anderen die Interaktion zwischen Leser und Text bzw. Realität und Fiktion. Dabei geht es um die poetologischen Figuren des letzten Überlebenden und des oikos, das für uns die Frage aufwirft, wie Latours ANT auf Schmidts Text reagiert und umgekehrt.

IT-Station Doktorandenraum GRK1678, 10. April 2015, 14:59, aufgenommen mit Motorola Moto G

IT-Station Doktorandenraum GRK1678, 10. April 2015, 14:59, aufgenommen mit Motorola Moto G

Welche Stellung hat der Text in unserem Korpus? ‚Schwarze Spiegel‘ steht als Nachfolgetext von ‚Leviathan‘ sowie dessen Frage nach der Daseinsberechtigung der Welt und eröffnet somit die Perspektive auf die Ökologie im Anthropozän. Apokalypse – Enthüllung. Zuerst die Zerstörung und dann die Wiederversammlung der Kollektive? Zentral ist das Hausbauen. Somit zeigt sich, dass wir Schmidts Text ‚Schwarze Spiegel‘ dreiteilen können: Am Anfang steht der letzte Mensch, der sich in Verbindung mit den Dingen und anderen nichtmenschlichen Lebewesen eine Welt konstruiert. Mit dem Auftauchen einer Frau, wird die Trennung der Moderne von Natur und Gesellschaft reaktualisiert und die Dinge werden wieder Zwischenglieder für das soziale Verhältnis. Später – nach ihrem Verschwinden – kehrt die Kollektivierung wieder zurück. Dinge sind wieder Akteure/Mittler.

Ersetzen die Dinge den Menschen? Wir vermuten es. Die Kollektivierung würde dabei auf zwei Arten passieren. Erstens durch die Umwandlung der Dinge in Verben, wodurch ihnen Agency zukommt, zweitens durch die Anreicherung des Textes mit Zitaten. Wann sind die Dinge Zwischenglieder und wann sind sie Mittler? Diese Frage entscheidet die Konstruktion von sozialer Welt/Natur vom Kollektiv. Sind die Zitate Mittler? Haben auch sie Handlungsmacht? Wenn ja, verweisen beide sprachlichen Mittel also auf eine schizophrene Poetik der Ökologie. Die Vervielfältigung des Sprechens als Akteur. Kann die Verwendung der Zitate als Modell für unsere Übersetzung der Koexistenz funktionieren?

Wichtig sind uns die Problematik des Wahnsinns und die psychoanalytische Deutung des letzten Überlebenden. Ist diese Assoziation mit den nichtmenschlichen Akteuren einfach nur pathologisch oder – so wie wir es interpretieren wollen – ontologisch? Wir könnten zeigen, dass gerade die psychologisierte Deutungsweise zum Dispositiv der Moderne gehört und Teil der Reinigungs- und Trennungsarbeit ist.

Zuletzt rekapitulieren wir alle potentiellen Akteure: Handy, Aufnahme-App, Umwelt des Campus, Sonne, Sonnenbrille. Allerdings stellen wir fest, dass der Einfluss der Akteure schwierig zu quantifizieren ist. Klar feststellbar ist die Wirkung der Aufnahme-App, weil wir an uns selbst bemerkt haben, dass wir besonders zu Beginn des Gesprächs anders intonierten und gewählter formulierten.

Per Münzwurf entscheiden wir, wer den ersten Entwurf des Eintrags schreiben muss (Martin Bartelmus) und nachträglich legen wir fest, die ganze Audio-Datei des Gesprächs auf den Blog zu stellen.

Quelle: http://grk1678.hypotheses.org/542

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VerbaAlpina. Ein Online-Portal zur sprachlichen und ethnographischen Dokumentation des Alpenraums

http://www.verba-alpina.gwi.uni-muenchen.de/ Das Projekt wird den einzelsprachlich und dialektal stark fragmentierten Alpenraum in seiner kultur- und sprachgeschichtlichen Zusammengehörigkeit selektiv und analytisch erschließen und dadurch die traditionelle Beschränkung auf im wesentlichen aktuelle politische Einheiten (Nationalstaaten) überwinden. Die ausgewählten Sachgebiete betreffen die Natur, die Kulturgeschichte und die kulturelle Gegenwart. Dazu wird unter Verwendung zeitgemäßer Medientechnologie (Datenbank, Georeferenzierung, Internet, […]

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2015/04/5777/

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Analysekategorie: Historische Quelle als Medium | Beispiel: Foto zur Kriegsbegeisterung 1914

Zum vorangegangen Beitrag Wie Historizität von Medien und ihre Medialität in Konzepte zur Quellenanalyse einbinden? hier ein kurzes Beispiel, das die Unterschiede zu einer Quellenanalyse ohne die Reflexion auf die Kategorie “Historische Quelle als Medium” verdeutlichen soll. Das Foto Mobilmachung Truppentransport mit der Bahn, August 1914 (CC BY SA) steht prototypisch für zahlreiche Fotos begeisterter Soldaten, die in den Krieg ziehen:

Bundesarchiv_Bild_146-1994-022-19A,_Mobilmachung,_Truppentransport_mit_der_Bahn

In einer am Bildinhalt orientierten Analyse würde das Bild wohl vor allem dahingehend interpretiert werden, dass es zum Beginn des Ersten Weltkriegs verbreitete Kriegsbegeisterung gab, verknüpft mit der Erwartung eines schnellen Sieges über Frankreich.

Die – schülerverständliche – Analyse des Fotos als Medium soll in vier Schritten verdeutlichen, wie die Einbeziehung mediengeschichtlicher Aspekte zu einer anderen Interpretation führen kann. Die ersten beiden Schritte beschreiben die mediengeschichtlich bedingten Entstehungs- und Verbreitungsmöglichkeiten des Fotos.

QA1

Wesentlich zum Verstehen der Entstehungsmöglichkeiten ist, dass Fotografie 1914 technisch noch wesentlich komplizierter war als heute. Die Fototechnik erlaubte keine Schnappschüsse. Fotomotive mussten sorgfältig ausgewählt und in Szene gesetzt werden. Das Foto macht dies auf verschiedene Weise deutlich: Alle Soldaten schauen in die Kamera. Es sind auch keine anderen Menschen zu sehen, denen sie zujubeln. Die Gesten wirken zudem statisch. Schnelle Bewegungen hätten eventuell zu verwackelten Bildern geführt. Wahrscheinlich steht der Zug, obwohl das Bild suggerieren könnte, der Waggon wäre in Bewegung. Vor diesem Hintergrund lässt sich leichter erschließen, dass es sich um ein gestelltes Foto handelt, was durch (die mittels Wikipedia leicht zu recherchierende) Information, dass es sich bei Oscar Tellgmann um einen offiziellen Militärfotografen handelte, noch unterstützt wird.

QA2

Fotos konnten zu Beginn des Ersten Weltkriegs bereits massenhaft verbreitet werden – allerdings noch gar nicht so lange. Erst seit Beginn des 20. Jahrhunderts wurden Fotos in Illustrierten vervielfältigt, die damals sehr popuäre Massenmedien waren. Außerdem wurden während des Ersten Weltkriegs Fotos oft als Bildpostkarten gedruckt. Andere Möglichkeiten, sich solche aktuellen Bilder anzusehen, hatten die Menschen nicht. Tageszeitungen bestanden meist nur aus Texten. Vermutlich hatten einzelne Bilder deshalb eine viel größere Bedeutung und konnten viel größere Wirkung entfachen als heute.

QA3

Die beiden folgenden Analysekategorien zielen auf die Frage: “Machen” Medien (hier Fotos) Geschichte? Eine kurze Internetrecherche zum Stichwort “Illustierte 1914″ bringt zwar keine Verwendung des konkreten Fotos, allerdings zeigt das Beispiel Hamburger Fremdenblatt, dass das Motiv Begeisterte Soldaten im Zug 1914 in Illustrierten verbreitet wurde. Die Bildunterschrift “Nun wollen wir sie dreschen” verdeutlicht die propagandistische Absicht, die mit solchen Fotos erzielt werden sollte. Ob und wie diese Wirkung erreicht wurde, ließe sich nur mittels anderer Quellen erschließen. Erstens aber die bisherigen getroffenen Feststellungen der mediengeschichtlich bedingten Entstehungs- und Verbreitungsmöglichkeiten, dass es sich um “offizielle”, gestellte und inszenierte Fotos handelt, zweitens dass solche Fotos seinerzeit vermutlich große Wirkung entfachen konnten, legen auch ohne solche Zusatzquellen diesen Schluss nahe.

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Fotos mit dem Motiv Begeisterte Soldaten im Zug sind im Zusammenhang Erster Weltkrieg und Augusterlebnis weithin bekannt. Sie werden oft – wie hier auf einer aktuellen Seite der bpb – zur Illustration der These verwendet: “Der Kriegsbeginn im August 1914 riss weite Teile der deutschen Bevölkerung mit”. Auch in Schulbüchern oder anderen populären, geschichtskulturell bedeutsamen historischen Darstellungen finden sich dieses oder ähnliche Fotos in ähnlichen Zusammenhängen.

Die Analyskategorie “Historische Quelle als Medium” führt also – anders als eine nur am Bildinhalt orientierte Analyse – erstens zu dem Schluss, dass das Foto vor allem ein verbreitetes, vermutlich wirksames Propagandamittel war – und kein unvermitteltes Abbild von Kriegsbegeisterung. Dies führt zweitens zu einer Kritik an seiner Verwendung in vielen historischen Darstellungen zum Augusterlebnis bis heute. Zugespitzt sitzen solche Darstellungen der Propagandaabsicht des Fotos noch heute auf.

Quelle: http://historischdenken.hypotheses.org/2874

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