Reisebilder anno 1536: Das Reisealbum des Pfalzgrafen Ottheinrich vor dem Hintergrund des Mäzenatentums und antiker Vorbilder

Von Priscilla Pfannmüller

Wenn wir heute auf Reisen gehen, dann dokumentieren wir diese mit einer Flut an Bildern, die wir gerne über Instagram, Facebook und Co. mit unseren Freunden und Followern teilen. Mit welcher Intention machen wir das? Um unsere Reise für die Öffentlichkeit zu dokumentieren, getreu dem Motto: Ich war da? Um uns selbst darzustellen? Oder entstehen diese Aufnahmen vielleicht aus einem wissenschaftlichen Interesse heraus?

Diese Fragen kann man nicht nur an heutige „Bilderzyklen“ von Reisen stellen, sondern auch auf wesentlich ältere Reisealben, etwa auf das sog. Reisealbum des Pfalzgrafen Ottheinrich von der Pfalz (1502-1559), übertragen.

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Quelle: http://hofkultur.hypotheses.org/671

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Ausstellungsbesprechung: „Welten des Wissens. Die Bibliothek und die Weltchronik des Nürnberger Arztes Hartmann Schedel (1440–1514)“ (Bayerische Staatsbibliothek, München)

Portrait Hartmann Schedels aus BSB, Clm 30

Portrait Hartmann Schedels (Quelle: München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 30, f. 2v, Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0, bearbeitet)

Im jubiläenreichen Jahr 2014 gesellte sich ein weiterer für die deutschen Humanismusforscher zwar prominenter, von der breiteren Öffentlichkeit jedoch eher wenig gefeierter Jubilar dazu: der Arzt und Sammler Hartmann Schedel (1440–1514). Anlässlich seines 500. Todestags organisierte die Bayerische Staatsbibliothek (BSB) die Ausstellung „Welten des Wissens. Die Bibliothek und die Weltchronik des Nürnberger Arztes Hartmann Schedel (1440–1514)“ in ihrer Schatzkammer in München. Dass die BSB überhaupt in den Besitz dieser außerordentlichen Sammlung, die eine der seltenen geschlossenen deutschen Privatbibliotheken des Spätmittelalters darstellt, gekommen ist, hat sie Melchior Schedel (1516–1571), Hartmanns Enkel und letztem überlebenden Nachfahren, zu verdanken. Wenig an den Büchern seines Großvaters interessiert, überging er dessen ausdrücklichen Willen, dass seine Bücher alle in der Liberey […] beieinander bleiben und den namen der Schedel und [s]einen Kinden und iren nachkommen zu nutz behalten werden sollen1 und verkaufte 1552 die Bibliothek für 500 Gulden an den Augsburger Kaufmann Johann Jakob Fugger (1516–1575). Dieser, in Geldnöte geraten, trat sie wiederum zwei Jahrzehnte später an den bayerischen Herzog Albrecht V. ab, womit Schedels Sammlung trotz einiger Verluste als geschlossener Bestand in die Münchner Hofbibliothek, die Vorgängerinstitution der Bayerischen Staatsbibliothek, integriert werden konnte. Wer Hartmann Schedel heute dort sucht, wird ihn schnell finden, hat er doch in zahlreichen handschriftlichen und gedruckten Codices sein Monogramm HA. S. D.  – Hartmann Schedel doctor – hinterlassen. Von den über 370 Handschriften und 460 Drucken zeigt die Ausstellung eine repräsentative Auswahl von 40 Bänden, darunter fünf Ausgaben der Weltchronik aus dem 15. Jahrhundert und einige Leihgaben, die wichtige Stationen in Schedels Leben und sein ungewöhnlich vielschichtiges Sammelinteresse dokumentieren.

Die Ausstellung ist auf zwei Räume verteilt. In der Schatzkammer stehen Hartmann Schedels Biographie und seine Sammlung im Vordergrund. Schedel steht auch physisch prominent im Zentrum des kleinen Raumes, denn dort ist das Arzneibuch des süditalienischen Arztes Mattheus Silvaticus aus Salerno ausgestellt; weniger wegen des Inhalts als seiner Bedeutung für Schedels Biographie ist es bemerkenswert: Es enthält das bekannte, zeitgenössische Portrait Schedels aus der Zeit seiner ersten Heirat 1475, das nachträglich aus dem Familienbuch Schedels herausgelöst und in den Codex inseriert worden ist. Es zeigt ihn im langen roten Mantel des gelehrten Arztes und mit roter Kopfbedeckung. Wie ein Gravitationszentrum scheint er so die rundherum angeordneten Schaukästen zusammenzuhalten.

Die Ausstellung beginnt mit zwei wichtigen Handschriften aus Schedels Besitz, seinem persönlichen Exemplar der lateinischen Weltchronik, das nicht nur auf Grund seiner prächtigen Ausstattung, sondern auch wegen der zahlreichen Beigaben und handschriftlichen Zusätze des Autors wertvoll ist, und der Abschrift des Familienbuchs für seinen Enkel Melchior (um 1552). Dieser Liber genealogiae et rerum familiarium ist im Original bis auf das bereits genannte Portrait verloren und nur durch zwei frühneuzeitliche Abschriften, die Johann Jakob Fugger nach dem Ankauf der Bibliothek anfertigen ließ, zu rekonstruieren. Beide sind als Leihgaben der Staatsbibliothek zu Berlin –Preußischer Kulturbesitz und aus Privatbesitz im ersten Ausstellungsraum zu sehen. Bereits hier ist die konzeptionelle Klammer zum letzten Exponat der Ausstellung aufgemacht, der Familienchronik und der Autobiographie des Melchior Schedel (um 1570), für die Hartmanns Enkel das Familienbuch als Quelle benutzte. Sie ist als Leihgabe der Landesbibliothek Coburg im zweiten Ausstellungsraum in einem eigenen Schaukasten zu besichtigen.

Im Uhrzeigersinn führen die weiteren Schaukästen durch Schedels Studienzeiten in Leipzig (1456–1463) und Padua (1463–1466). Dazwischen verklammern Wandtafeln mit Basisinformationen die Schaukästen. Ausgewählte Studien- und Fachliteratur zeigen Schedel als vielseitigen Studenten, der bald ein ausgeprägtes Interesse am Humanismus entwickelte und seine Büchersammlung dahingehend auch systematisch erweiterte. Neben medizinischer Fachliteratur ist zum Beispiel auch seine älteste Studienhandschrift (1456–1459) zu sehen, die Einblick in das Grundstudium gibt, das er in Leipzig absolvierte; ein Liederbuch dokumentiert wiederum nicht nur sein Interesse an Musik, sondern stellt auch eine selten überlieferte Quelle des 15. Jahrhunderts dar; mit dem Wechsel nach Padua für das Medizinstudium konnte Schedel auch seinen humanistischen Neigungen besser nachgehen. So erwarb er zahlreiche „Klassiker“ des italienischen Humanismus, zum Beispiel den ausgestellten Druck der Commedia Dantes. Ein kleines Elementarlehrbuch der griechischen Sprache zeigt außerdem, dass er nicht nur Latein beherrschte, sondern sich in Padua auch an einer weiteren, in dieser Zeit kaum mehr verbreiteten Fremdsprache versuchte. Dass er sie mit recht beachtlichem Erfolg gemeistert hat, wird im Liber antiquitatum cum epitaphiis et epigrammatibus deutlich. Darin hatte Schedel zahlreiche Inschriften, darunter auch viele griechische gesammelt. Dieses epigraphische Großwerk ist monumentaler Ausdruck von Schedels lebenslanger, antiquarischer Sammelleidenschaft.

Schön gelungen ist, dass neben Schedel auch andere Familienmitglieder und sogar seine akademischen Lehrer durch die ausgestellten Bücher immer wieder in Erscheinung treten. So geben ein Rechenbuch und ein venezianisch-nürnbergisches Sprachbuch Einblick in die kaufmännische Ausbildung des jüngeren Bruders Johannes, eine Bibelhandschrift führt zu den Grabners, der Familie von Schedels Mutter, schließlich wird Hermann Schedel, Hartmanns Vetter, durch eine vererbte Handschrift des Petrus de Abano sichtbar und etwas später findet man auch seine Söhne in einer astronomisch-astrologischen Handschrift, in die Schedel die Horoskope anlässlich ihrer Geburt eingetragen hat. Seine Professoren und Vorlesungen in Padua hielt Schedel in einer Liste am Ende des repräsentativen Codex Clm 13 fest. Zweien widmete er darin jeweils eine Seite mit Epigramm und den Portraits der Mediziner; über seinen hochverehrten Doktorvater Matteolo Mattioli verfasste er zudem eine sehr persönliche Biographie in der Weltchronik, die nicht nur dessen Fachexpertise, sondern auch seine Gelehrsamkeit in den Sieben Freien Künsten und in der Theologie rühmte. Diese ist allerdings nicht eigens ausgestellt.

Von der medizinischen Praxis Schedels zeugen das ausgestellte Rezeptarium, das ebenso als eine Art Kartei seiner Nördlinger und Amberger Patienten gelesen werden könnte. Für seine Nürnberger Zeit existiert ebenfalls ein Rezeptbuch, in das Schedel außer den ärztlichen Aufzeichnungen ein in mehrere Gruppen geordnetes Inventar seiner Bücher eingetragen hat. Es steht am Ende der Ausstellung und erinnert den Besucher daran, dass es hier um weit mehr als die 40 ausgestellten Bücher geht, nämlich um eine so immense Sammlung, die einen systematischen Katalog erforderlich gemacht hatte, um die benötigte Fachliteratur schnell zu finden.

Während seiner praktischen Tätigkeiten versorgte sich Schedel natürlich weiterhin mit aktueller medizinischer Fachliteratur, beschaffte sich zum Beispiel das erste deutsche Lehrbuch der Chirurgie oder Ausgaben von Hans Folz’ medizinischen Reimpaargedichten. Nebenbei hielt er sich über allerlei Neuerscheinungen in Italien und Deutschland auf dem Laufenden, wie die gedruckten Bücheranzeigen und manche „Bestellliste“ aus seinem Besitz dokumentieren. In diesem Teil der Ausstellung deutet sich schon der Übergang vom handschriftlichen Codex zum gedruckten Buch an, der sich auch in Schedels Bibliothek niedergeschlagen hat und der nun zum zweiten Teil der Ausstellung, der Weltchronik, überleitet.

Nach dem Durchgang durch Schedels Leben ist der Raum vor der Schatzkammer der Weltchronik gewidmet. Thematisiert werden ihre Hauptquellen, aber auch die Nachdrucke und erste Initiativen zur Überarbeitung und Ergänzung der Informationen. Hervorzuhaben sind darunter vielleicht Schedels Hauskalender für die Jahre 1502–1510, in denen er Familiennachrichten und wichtige Ereignisse wie seine eigene Erkrankung oder den Tod des langjährigen Freundes Hieronymus Münzer (1437–1508) eintrug, und ein eigenhändiger Brief des Johannes Trithemius (1462–1516) von 1502, mit dem er eine ausgeliehene Handschrift an Schedel zurücksandte. Dem, dass Schedel nur auf Grund seiner umfangreichen Büchersammlung in so kurzer Zeit die monumentale Weltchronik hat zusammenstellen können, wird man leicht zustimmen, nachdem im Raum vorher diese gelehrte Fachbibliothek vor dem geistigen Auge des Betrachters wiedererstanden ist. Wer weitere visuelle Hilfe braucht, dem bietet sich eine PC-Station, an der man die virtuelle Bibliothek Schedels durchstöbern kann.

Zusammenfassend kann man die Ausstellung durchaus als gelungen bezeichnen. Schon der geringe Platz macht eine Auswahl an Exponaten nötig. Dazu ist eine Ausstellung in einer Bibliothek über Bücher mit dem naheliegenden Problem konfrontiert, dass, nun ja, eben viele Bücher in den Schaukästen liegen. Doch ist der Platz gut genutzt, die Auswahl der Exponate sehr treffend und auch der Medieneinsatz sorgt in dem kleinen Rahmen für eine sinnvolle Informationsfülle. In den wenigen, aber sorgfältig ausgewählten und präsentierten Büchern werden pointiert Lebensstationen Schedels gezeigt. Die großen Aufsteller zur Weltchronik geben über das bloße Buch hinaus Einblick in den Produktionsprozess eines spätmittelalterlichen Bestsellers. Beeindruckend für den aufmerksamen Betrachter ist hier sicher die Information, dass die Financiers mit einem Kapital von 1000 Gulden einstanden, während vorher bereits Schedels jährlicher Grundverdienst als Stadtarzt in Nördlingen mit 40 Gulden beziffert wurde. Für den Fachwissenschaftler gibt es außerdem Highlights wie die Familienbücher, die Rezeptbücher, das Handexemplar der Weltchronik, den Liber antiquitatum und natürlich auch die Leihgaben. Wer der Faszination des Originals weiterhin erliegt, den stört es auch nicht, dass, nun ja, eben viele Bücher in den Schaukästen liegen.

Zur Ausstellung ist ein sehr schöner Katalog erschienen. Die Konzeption folgt dem Aufbau der Weltchronik. Das erst alter verfolgt den Aufstieg und Niedergang der Nürnberger Familie Schedel, anschließend werden Schedels Studienzeit in Leipzig und Padua, seine Tätigkeit als Stadtarzt in Nördlingen, Amberg und Nürnberg, seine Sammelinteressen und die Bibliothek, die Weltchronik und schließlich, im sibend alter, seine Bücher und ihr Schicksal behandelt. Jeweils ein einführender Aufsatz umreißt knapp und präzise die Lebensstation bzw. den Ausstellungsbereich. Es ist absolut empfehlenswert direkt mit dem Katalog durch die Ausstellung zu gehen. Denn die Wandtafeln und Schilder geben zwar einige Basisinformationen zu den jeweiligen Exponaten, doch sind diese im ersten Fall sehr knapp, im zweiten bibliographischer Natur, d.h. sie geben Titel, Material, Entstehungsort und –datum, Signatur, Folioangaben etc. an. Schön ist dabei, dass jeweils zusätzlich über die aufgeschlagenen Seiten informiert wird. Über den historischen Kontext und konkreten Entstehungszusammenhang, die Überlieferungsgeschichte und andere Besonderheiten, kurz: „den Sitz im Leben“ der jeweiligen Handschrift, geben nur die Artikel im Katalog fachkundig Auskunft. Durch ein eigenes PC-Symbol wird auch auf bereits digitalisierte Bände hingewiesen.

Dass Schedel nicht ohne sein Monumentalwerk der Weltchronik gezeigt werden kann, ist verständlich, umso schöner ist es, dass eine Woche nach der Eröffnung der Ausstellung in München am 28. und 29. November im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg die Jahrestagung der Willibald-Pirckheimer-Gesellschaft zur Erforschung von Renaissance und Humanismus e.V. zum Thema „Hartmann Schedel (1440–1514). Leben und Werk“ stattfand, wobei die Biographie und das Umfeld Schedels im Vordergrund standen. Wie eng die Kooperation und Abstimmung zwischen der Bayerischen Staatsbibliothek und der Pirckheimer-Gesellschaft war, zeigt nicht nur der Umstand, dass die Kuratorin Dr. Bettina Wagner als Referentin eingeladen war, sondern auch, dass die Vorträge die in der Ausstellung behandelten Themen aufgriffen, vertieften und auch sinnvoll erweiterten. Schedels Bücher bildeten bei vielen Vorträgen selbstredend die Basis der Ausführungen, doch kam hier wieder verstärkt der Mensch hinter den Büchern hervor. Erst wenn also das zugehörige Jahrbuch der Gesellschaft erscheinen wird, wird der Interessierte rundum informiert sein über die bekannteste Büchersammlung an der Wende vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit.

Die Ausstellung läuft noch bis zum 1. März. Es sind zwei Youtube-Videos und eine Bildergalerie verfügbar.

Zitationsempfehlung/Suggested citation: Karoline Döring: Ausstellungsbesprechung: „Welten des Wissens. Die Bibliothek und die Weltchronik des Nürnberger Arztes Hartmann Schedel (1440–1514)“ (Bayerische Staatsbibliothek, München), in: Mittelalter. Interdisziplinäre Forschung und Rezeptionsgeschichte, 19. Februar 2015, http://mittelalter.hypotheses.org/5303 (ISSN 2197-6120).

  1. Vgl. den Ausstellungskatalog: Welten des Wissens. Die Bibliothek und die Weltchronik des Nürnberger Arztes Hartmann Schedel (1440–1514), hrsg. von der Bayerischen Staatsbibliothek, München 2014, S. 155

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/5303

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Ausstellungsbesprechung: „Welten des Wissens. Die Bibliothek und die Weltchronik des Nürnberger Arztes Hartmann Schedel (1440–1514)“ (Bayerische Staatsbibliothek, München)

Portrait Hartmann Schedels aus BSB, Clm 30

Portrait Hartmann Schedels (Quelle: München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 30, f. 2v, Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0, bearbeitet)

Im jubiläenreichen Jahr 2014 gesellte sich ein weiterer für die deutschen Humanismusforscher zwar prominenter, von der breiteren Öffentlichkeit jedoch eher wenig gefeierter Jubilar dazu: der Arzt und Sammler Hartmann Schedel (1440–1514). Anlässlich seines 500. Todestags organisierte die Bayerische Staatsbibliothek (BSB) die Ausstellung „Welten des Wissens. Die Bibliothek und die Weltchronik des Nürnberger Arztes Hartmann Schedel (1440–1514)“ in ihrer Schatzkammer in München. Dass die BSB überhaupt in den Besitz dieser außerordentlichen Sammlung, die eine der seltenen geschlossenen deutschen Privatbibliotheken des Spätmittelalters darstellt, gekommen ist, hat sie Melchior Schedel (1516–1571), Hartmanns Enkel und letztem überlebenden Nachfahren, zu verdanken. Wenig an den Büchern seines Großvaters interessiert, überging er dessen ausdrücklichen Willen, dass seine Bücher alle in der Liberey […] beieinander bleiben und den namen der Schedel und [s]einen Kinden und iren nachkommen zu nutz behalten werden sollen1 und verkaufte 1552 die Bibliothek für 500 Gulden an den Augsburger Kaufmann Johann Jakob Fugger (1516–1575). Dieser, in Geldnöte geraten, trat sie wiederum zwei Jahrzehnte später an den bayerischen Herzog Albrecht V. ab, womit Schedels Sammlung trotz einiger Verluste als geschlossener Bestand in die Münchner Hofbibliothek, die Vorgängerinstitution der Bayerischen Staatsbibliothek, integriert werden konnte. Wer Hartmann Schedel heute dort sucht, wird ihn schnell finden, hat er doch in zahlreichen handschriftlichen und gedruckten Codices sein Monogramm HA. S. D.  – Hartmann Schedel doctor – hinterlassen. Von den über 370 Handschriften und 460 Drucken zeigt die Ausstellung eine repräsentative Auswahl von 40 Bänden, darunter fünf Ausgaben der Weltchronik aus dem 15. Jahrhundert und einige Leihgaben, die wichtige Stationen in Schedels Leben und sein ungewöhnlich vielschichtiges Sammelinteresse dokumentieren.

Die Ausstellung ist auf zwei Räume verteilt. In der Schatzkammer stehen Hartmann Schedels Biographie und seine Sammlung im Vordergrund. Schedel steht auch physisch prominent im Zentrum des kleinen Raumes, denn dort ist das Arzneibuch des süditalienischen Arztes Mattheus Silvaticus aus Salerno ausgestellt; weniger wegen des Inhalts als seiner Bedeutung für Schedels Biographie ist es bemerkenswert: Es enthält das bekannte, zeitgenössische Portrait Schedels aus der Zeit seiner ersten Heirat 1475, das nachträglich aus dem Familienbuch Schedels herausgelöst und in den Codex inseriert worden ist. Es zeigt ihn im langen roten Mantel des gelehrten Arztes und mit roter Kopfbedeckung. Wie ein Gravitationszentrum scheint er so die rundherum angeordneten Schaukästen zusammenzuhalten.

Die Ausstellung beginnt mit zwei wichtigen Handschriften aus Schedels Besitz, seinem persönlichen Exemplar der lateinischen Weltchronik, das nicht nur auf Grund seiner prächtigen Ausstattung, sondern auch wegen der zahlreichen Beigaben und handschriftlichen Zusätze des Autors wertvoll ist, und der Abschrift des Familienbuchs für seinen Enkel Melchior (um 1552). Dieser Liber genealogiae et rerum familiarium ist im Original bis auf das bereits genannte Portrait verloren und nur durch zwei frühneuzeitliche Abschriften, die Johann Jakob Fugger nach dem Ankauf der Bibliothek anfertigen ließ, zu rekonstruieren. Beide sind als Leihgaben der Staatsbibliothek zu Berlin –Preußischer Kulturbesitz und aus Privatbesitz im ersten Ausstellungsraum zu sehen. Bereits hier ist die konzeptionelle Klammer zum letzten Exponat der Ausstellung aufgemacht, der Familienchronik und der Autobiographie des Melchior Schedel (um 1570), für die Hartmanns Enkel das Familienbuch als Quelle benutzte. Sie ist als Leihgabe der Landesbibliothek Coburg im zweiten Ausstellungsraum in einem eigenen Schaukasten zu besichtigen.

Im Uhrzeigersinn führen die weiteren Schaukästen durch Schedels Studienzeiten in Leipzig (1456–1463) und Padua (1463–1466). Dazwischen verklammern Wandtafeln mit Basisinformationen die Schaukästen. Ausgewählte Studien- und Fachliteratur zeigen Schedel als vielseitigen Studenten, der bald ein ausgeprägtes Interesse am Humanismus entwickelte und seine Büchersammlung dahingehend auch systematisch erweiterte. Neben medizinischer Fachliteratur ist zum Beispiel auch seine älteste Studienhandschrift (1456–1459) zu sehen, die Einblick in das Grundstudium gibt, das er in Leipzig absolvierte; ein Liederbuch dokumentiert wiederum nicht nur sein Interesse an Musik, sondern stellt auch eine selten überlieferte Quelle des 15. Jahrhunderts dar; mit dem Wechsel nach Padua für das Medizinstudium konnte Schedel auch seinen humanistischen Neigungen besser nachgehen. So erwarb er zahlreiche „Klassiker“ des italienischen Humanismus, zum Beispiel den ausgestellten Druck der Commedia Dantes. Ein kleines Elementarlehrbuch der griechischen Sprache zeigt außerdem, dass er nicht nur Latein beherrschte, sondern sich in Padua auch an einer weiteren, in dieser Zeit kaum mehr verbreiteten Fremdsprache versuchte. Dass er sie mit recht beachtlichem Erfolg gemeistert hat, wird im Liber antiquitatum cum epitaphiis et epigrammatibus deutlich. Darin hatte Schedel zahlreiche Inschriften, darunter auch viele griechische gesammelt. Dieses epigraphische Großwerk ist monumentaler Ausdruck von Schedels lebenslanger, antiquarischer Sammelleidenschaft.

Schön gelungen ist, dass neben Schedel auch andere Familienmitglieder und sogar seine akademischen Lehrer durch die ausgestellten Bücher immer wieder in Erscheinung treten. So geben ein Rechenbuch und ein venezianisch-nürnbergisches Sprachbuch Einblick in die kaufmännische Ausbildung des jüngeren Bruders Johannes, eine Bibelhandschrift führt zu den Grabners, der Familie von Schedels Mutter, schließlich wird Hermann Schedel, Hartmanns Vetter, durch eine vererbte Handschrift des Petrus de Abano sichtbar und etwas später findet man auch seine Söhne in einer astronomisch-astrologischen Handschrift, in die Schedel die Horoskope anlässlich ihrer Geburt eingetragen hat. Seine Professoren und Vorlesungen in Padua hielt Schedel in einer Liste am Ende des repräsentativen Codex Clm 13 fest. Zweien widmete er darin jeweils eine Seite mit Epigramm und den Portraits der Mediziner; über seinen hochverehrten Doktorvater Matteolo Mattioli verfasste er zudem eine sehr persönliche Biographie in der Weltchronik, die nicht nur dessen Fachexpertise, sondern auch seine Gelehrsamkeit in den Sieben Freien Künsten und in der Theologie rühmte. Diese ist allerdings nicht eigens ausgestellt.

Von der medizinischen Praxis Schedels zeugen das ausgestellte Rezeptarium, das ebenso als eine Art Kartei seiner Nördlinger und Amberger Patienten gelesen werden könnte. Für seine Nürnberger Zeit existiert ebenfalls ein Rezeptbuch, in das Schedel außer den ärztlichen Aufzeichnungen ein in mehrere Gruppen geordnetes Inventar seiner Bücher eingetragen hat. Es steht am Ende der Ausstellung und erinnert den Besucher daran, dass es hier um weit mehr als die 40 ausgestellten Bücher geht, nämlich um eine so immense Sammlung, die einen systematischen Katalog erforderlich gemacht hatte, um die benötigte Fachliteratur schnell zu finden.

Während seiner praktischen Tätigkeiten versorgte sich Schedel natürlich weiterhin mit aktueller medizinischer Fachliteratur, beschaffte sich zum Beispiel das erste deutsche Lehrbuch der Chirurgie oder Ausgaben von Hans Folz’ medizinischen Reimpaargedichten. Nebenbei hielt er sich über allerlei Neuerscheinungen in Italien und Deutschland auf dem Laufenden, wie die gedruckten Bücheranzeigen und manche „Bestellliste“ aus seinem Besitz dokumentieren. In diesem Teil der Ausstellung deutet sich schon der Übergang vom handschriftlichen Codex zum gedruckten Buch an, der sich auch in Schedels Bibliothek niedergeschlagen hat und der nun zum zweiten Teil der Ausstellung, der Weltchronik, überleitet.

Nach dem Durchgang durch Schedels Leben ist der Raum vor der Schatzkammer der Weltchronik gewidmet. Thematisiert werden ihre Hauptquellen, aber auch die Nachdrucke und erste Initiativen zur Überarbeitung und Ergänzung der Informationen. Hervorzuhaben sind darunter vielleicht Schedels Hauskalender für die Jahre 1502–1510, in denen er Familiennachrichten und wichtige Ereignisse wie seine eigene Erkrankung oder den Tod des langjährigen Freundes Hieronymus Münzer (1437–1508) eintrug, und ein eigenhändiger Brief des Johannes Trithemius (1462–1516) von 1502, mit dem er eine ausgeliehene Handschrift an Schedel zurücksandte. Dem, dass Schedel nur auf Grund seiner umfangreichen Büchersammlung in so kurzer Zeit die monumentale Weltchronik hat zusammenstellen können, wird man leicht zustimmen, nachdem im Raum vorher diese gelehrte Fachbibliothek vor dem geistigen Auge des Betrachters wiedererstanden ist. Wer weitere visuelle Hilfe braucht, dem bietet sich eine PC-Station, an der man die virtuelle Bibliothek Schedels durchstöbern kann.

Zusammenfassend kann man die Ausstellung durchaus als gelungen bezeichnen. Schon der geringe Platz macht eine Auswahl an Exponaten nötig. Dazu ist eine Ausstellung in einer Bibliothek über Bücher mit dem naheliegenden Problem konfrontiert, dass, nun ja, eben viele Bücher in den Schaukästen liegen. Doch ist der Platz gut genutzt, die Auswahl der Exponate sehr treffend und auch der Medieneinsatz sorgt in dem kleinen Rahmen für eine sinnvolle Informationsfülle. In den wenigen, aber sorgfältig ausgewählten und präsentierten Büchern werden pointiert Lebensstationen Schedels gezeigt. Die großen Aufsteller zur Weltchronik geben über das bloße Buch hinaus Einblick in den Produktionsprozess eines spätmittelalterlichen Bestsellers. Beeindruckend für den aufmerksamen Betrachter ist hier sicher die Information, dass die Financiers mit einem Kapital von 1000 Gulden einstanden, während vorher bereits Schedels jährlicher Grundverdienst als Stadtarzt in Nördlingen mit 40 Gulden beziffert wurde. Für den Fachwissenschaftler gibt es außerdem Highlights wie die Familienbücher, die Rezeptbücher, das Handexemplar der Weltchronik, den Liber antiquitatum und natürlich auch die Leihgaben. Wer der Faszination des Originals weiterhin erliegt, den stört es auch nicht, dass, nun ja, eben viele Bücher in den Schaukästen liegen.

Zur Ausstellung ist ein sehr schöner Katalog erschienen. Die Konzeption folgt dem Aufbau der Weltchronik. Das erst alter verfolgt den Aufstieg und Niedergang der Nürnberger Familie Schedel, anschließend werden Schedels Studienzeit in Leipzig und Padua, seine Tätigkeit als Stadtarzt in Nördlingen, Amberg und Nürnberg, seine Sammelinteressen und die Bibliothek, die Weltchronik und schließlich, im sibend alter, seine Bücher und ihr Schicksal behandelt. Jeweils ein einführender Aufsatz umreißt knapp und präzise die Lebensstation bzw. den Ausstellungsbereich. Es ist absolut empfehlenswert direkt mit dem Katalog durch die Ausstellung zu gehen. Denn die Wandtafeln und Schilder geben zwar einige Basisinformationen zu den jeweiligen Exponaten, doch sind diese im ersten Fall sehr knapp, im zweiten bibliographischer Natur, d.h. sie geben Titel, Material, Entstehungsort und –datum, Signatur, Folioangaben etc. an. Schön ist dabei, dass jeweils zusätzlich über die aufgeschlagenen Seiten informiert wird. Über den historischen Kontext und konkreten Entstehungszusammenhang, die Überlieferungsgeschichte und andere Besonderheiten, kurz: „den Sitz im Leben“ der jeweiligen Handschrift, geben nur die Artikel im Katalog fachkundig Auskunft. Durch ein eigenes PC-Symbol wird auch auf bereits digitalisierte Bände hingewiesen.

Dass Schedel nicht ohne sein Monumentalwerk der Weltchronik gezeigt werden kann, ist verständlich, umso schöner ist es, dass eine Woche nach der Eröffnung der Ausstellung in München am 28. und 29. November im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg die Jahrestagung der Willibald-Pirckheimer-Gesellschaft zur Erforschung von Renaissance und Humanismus e.V. zum Thema „Hartmann Schedel (1440–1514). Leben und Werk“ stattfand, wobei die Biographie und das Umfeld Schedels im Vordergrund standen. Wie eng die Kooperation und Abstimmung zwischen der Bayerischen Staatsbibliothek und der Pirckheimer-Gesellschaft war, zeigt nicht nur der Umstand, dass die Kuratorin Dr. Bettina Wagner als Referentin eingeladen war, sondern auch, dass die Vorträge die in der Ausstellung behandelten Themen aufgriffen, vertieften und auch sinnvoll erweiterten. Schedels Bücher bildeten bei vielen Vorträgen selbstredend die Basis der Ausführungen, doch kam hier wieder verstärkt der Mensch hinter den Büchern hervor. Erst wenn also das zugehörige Jahrbuch der Gesellschaft erscheinen wird, wird der Interessierte rundum informiert sein über die bekannteste Büchersammlung an der Wende vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit.

Die Ausstellung läuft noch bis zum 1. März. Es sind zwei Youtube-Videos und eine Bildergalerie verfügbar.

Zitationsempfehlung/Suggested citation: Karoline Döring: Ausstellungsbesprechung: „Welten des Wissens. Die Bibliothek und die Weltchronik des Nürnberger Arztes Hartmann Schedel (1440–1514)“ (Bayerische Staatsbibliothek, München), in: Mittelalter. Interdisziplinäre Forschung und Rezeptionsgeschichte, 19. Februar 2015, http://mittelalter.hypotheses.org/5303 (ISSN 2197-6120).

  1. Vgl. den Ausstellungskatalog: Welten des Wissens. Die Bibliothek und die Weltchronik des Nürnberger Arztes Hartmann Schedel (1440–1514), hrsg. von der Bayerischen Staatsbibliothek, München 2014, S. 155

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/5303

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Gesundheit durch Magie. Marsilio Ficinos De vita libri tres

1000 Worte Forschung: Dissertation Philosophiegeschichte, Universität Wien

Im Jahr 1489 erscheint eine lateinische Inkunabel mit dem Titel De vita libri tres. Der Autor ist der aus Figline stammende Arzt, Philosoph und Priester Marsilio Ficino (1433-1499). Er war kein Unbekannter im Quattrocento: Protegiert von Cosimo de’Medici, galt Marsilio Ficino als intimer Kenner der Antike. Er übersetzte nicht nur das gesamte platonische Corpus vom Griechischen in die lateinische Sprache, sondern machte auch die Übersetzungen anderer spätantiker Schriften, darunter Texte von Iamblichus, Synesius, Priscian, Proklus und Psellus der gelehrten Leserschaft zugänglich.[i] Jedoch waren es die Drei Bücher über das Leben, mit denen Marsilio Ficino ein „Bestseller“ seiner Zeit gelang, wie über 26 Auflagen bis zum Jahr 1647 belegen.[ii]

Ficinos Intention war es, mit De vita libri tres ein medizinisches Werk für den Erhalt der Gesundheit zu verfassen. Primäre Adressaten waren die Gelehrten seiner Zeit. Das erste Buch De vita sana, thematisiert die Reinigung des Körpers und Geistes mithilfe von Diäten, Kuren und Arzneimischungen. Das zweite Buch, De vita longa enthält therapeutisch-pharmazeutische Maßnahmen, die dabei helfen sollen, die Gesundheit zu bewahren und zu verlängern. De vita coelitus comparan­da, der Abschluss der Trilogie, war als Kommentar zu Plotins Enneaden (Enn. IV, 3, 11 und IV, 4, 26–44) konzipiert.[iii]

Bei eingehender Lektüre von De vita coelitus comparanda wird jedoch deutlich, dass es Marsilio Ficino um mehr ging, als einen Kommentar zu den Plotinischen Enneaden zu verfassen. Vielmehr verbindet er kosmologische, naturphilosophische und medizinische Wissensbestände mit astrologischen und astral-magischen Überlegungen aus unterschiedlichen Traditionenlinien. Dabei stellt er seinen ZeitgenossInnen nicht nur eine Kollektion diverser, bis dahin wenig bekannter antiker und mittelalterlicher Magietheorien vor, sondern verknüpft auch ägyptische, arabische, lateinische und griechische Quellen zu einer neuen synkretistischen Philosophie. Aus der Verbindung von aristotelischen, platonischen, neu-platonischen und scholastischen Traditionszweigen, entsteht die charakteristische Tradition der gelehrten Renaissancemagie, die sich in Werken wie Cornelius Agrippasʾ De occulta philosophia libri tres (1531) oder Giambattista della Portasʾ Magiae Naturalis (1558) fortsetzte. Sie behauptet von sich, im Einklang mit den Lehren des Christentums zu stehen.

Ficinos „kulturelle Synthese“ erzeugt aber auch Spannungen, die vor allem auf divergierende naturphilosophische und empirische Modelle zurückgehen und die sich anhand der heterogenen Entwürfe von natürlicher und dämonischer Magie beschreiben lassen. Sie bilden zugleich den Untersuchungsgegenstand meines Promotionsprojektes, das den Titel „Saturn und Talisman. Die widersprüchlichen Begriffe der Magie am Beispiel von Marsilio Ficinos De vita libri tres“ trägt.

Den Ausgangspunkt der natürlichen Magie  bilden die „wunderbaren“, aber der Wahrnehmung verborgenen Kräfte der Natur, etwa der Magnetismus oder die astralen Einwirkungen der Gestirne auf natürliche Objekte wie Steine, Pflanzen und Tiere sowie auf den untersten – den vegetativen Teil – der Seele. All diese Kräfte haben ihren Ursprung in Gott. Dieser Theorie zufolge verwendet bzw. kanalisiert der Akteur der natürlichen Magie lediglich die auf universellen Sympathien und Antipathien basierenden natürlichen Stoffe, um mit ihnen, die organische, das heißt, die sterbliche Seele in bestimmter Weise zu konditionieren. Diese Vorstellung bildet einen integralen Bestandteil von Ficinosʾ Darstellung der auf Astrologie basierenden Medizin: Gold, Honig und Safran beispielsweise, können zum richtigen Ort und Zeitpunkt den Strahlen der Sonne ausgesetzt werden. Ausgehend von der Idee  einer verwandtschaftlichen Ähnlichkeit, ziehen diese Stoffe, die solaren Qualitäten verstärkt an. Durch Einnahme bzw. äußerliche Anwendung, helfen sie, die Kraft der Sonne in sich aufzunehmen und den Körper dadurch zu stärken.[iv]

Dem entgegengesetzt konzentriert sich die dämonische Magie auf das Verhältnis zwischen Menschen und Dämonen – manche von ihnen sind als Planetendämonen verkörpert. Sie sind aktiv und können willentlich auf die höheren Seelenteile und den Geist wirken. Der Magus benützt daher artifizielle Objekte wie Talismane, um die von den Dämonen emittierte kosmische Strahlung durch bestimmte Zeichen anzuziehen und sie auf den Träger des Talismans zu fokussieren. Diese Praxis der Dämonenbeschwörung widersprach jedoch christlichen Lehren, unter anderem deswegen, weil mithilfe von künstlichen Objekten versucht wird, aktiv in den göttlichen Kosmos einzugreifen sowie bestehende Wirkungen zu stören und zu verändern. Hier finden sich auch Ideen bezüglich der Mechanisierung der Welt, die noch Jahrhunderte später in den Naturwissenschaften eine große Rolle spielen sollen.

Marsilio Ficino bedient sich der Stimmen von Autoritäten wie Iamblichus, Psellus und Pietro d’Abano, um über astrologische Talismane zu „berichten“. Dies geschieht in der Absicht, die mentalen Qualitäten des Menschen positiv zu beeinflussen, also z. B. die durch den Planetendämon Saturn hervorgerufene Melancholie durch den apollinischen Sonnendämon zu vertreiben.[v] Ficino suchte daher nach Wegen, die antiken Traditionen in sein kulturelles Umfeld zu integrieren – auch und gerade weil er vom therapeuti­schen Potenzial und der Effektivität dieser Praxis der Dämo­nenbeschwörung überzeugt war.

Beide Formen der Magie finden sich in Marsilio Ficinos De vita libri tres wieder und verzahnen sich geradezu ineinander. Wir finden dabei dämonische Elemente in der Beschreibung der natürlichen Magie und vice versa. Dieses spannungsgeladene Verhältnis, das sich einerseits durch formale Trennung und andererseits als instabile Einheit zwischen den beiden Magietheorien beschreiben lässt, bildet den Schwerpunkt meines Promotionsprojektes, und wird exemplarisch an Ficinos Entwürfen von Saturn und dem Talisman veranschaulicht. Die Analyse verdeutlicht nicht nur Paradoxien in Ficinos philosophisch-magischem Denken, sondern sie thematisiert darüber hinaus auch das komplexe Verhältnis von theoretischer Untersuchung und praktischer Anwendung von Magie insgesamt.

[i] vgl. James Hankins: Plato in the Italian Renaissance, Leiden/New York/Köln 1994, S. 267–299; Paul Oskar Kristeller: Acht Philosophen der Italieni­schen Renaissance – Petrarca, Valla, Ficino, Pico, Pomponazzi, Telesio, Patrizi, Bruno, Weinheim 1986, S. 33–36.

[ii] vgl. Dieter Benesch: Marsilio Ficino’s ’De triplici vita’ (Florenz 1489) in deutschen Bearbeitungen und Übersetzungen – Edi­tion des Codex palatinus germanicus 730 und 452, Frankfurt am Main/Bern/Las Vegas 1977, S. 8.

[iii] vgl. Brian P. Copenhaver: Renais­sance Magic and Neoplatonic Philosophy: «Ennead» 4, 3–5 in Ficino’s “De Vita Coelitus Comparanda”; in Gian Carlo Gar­fagnini (Hg.): Marsilio Ficino e il ritorno di Platone – Studi e documenti, Florenz 1986, S. 351–369.

[iv] vgl. Marsi­lio Ficino: Opera Omnia, 2. Bde., hg. von Paul Oskar Kristel­ler, Torino 1983 (Nachdruck der Gesamtausgabe Basel 1576), Ficino: Opera Omnia, De vita libri tres, Lib. III, Cap. IV, S. 535 [S. 565] – 536 [S. 566], Cap. XIII, S. 550 [S. 580].

[v]  ebda. Lib. III, Cap. XIII, S. 548 [S. 578]; Cap. XVIII.

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/3387

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Mit Archilochos wider den Strom

Kurz nach Erscheinen des nächsten Heftes lohnt es, noch einmal die Herbstnummer der Zeitschrift für Ideengeschichte (VI/3) in die Hand zu nehmen, von der hier schon mehrfach die Rede war. Lesenswert sind die Texte zum Heftthema „Kuba 1962", zumal Tim B. Müllers höchst anregender Vorschlag, den Kalten Krieg rückblickend als ein glückliches Zeitalter zu verstehen, geprägt von Modernisierung, Rationalisierung und einem gemäßigten Etatismus. Der...(read more)

Quelle: http://faz-community.faz.net/blogs/antike/archive/2012/11/18/mit-archilochos-wider-den-strom.aspx

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Mit Archilochos wider den Strom

Kurz nach Erscheinen des nächsten Heftes lohnt es, noch einmal die Herbstnummer der Zeitschrift für Ideengeschichte (VI/3) in die Hand zu nehmen, von der hier schon mehrfach die Rede war. Lesenswert sind die Texte zum Heftthema „Kuba 1962″, zumal Tim B. Müllers höchst anregender Vorschlag, den Kalten Krieg rückblickend als ein glückliches Zeitalter zu verstehen, geprägt von Modernisierung, Rationalisierung und einem gemäßigten Etatismus.

Der ‘heiße’ Krieg zuvor bildet den Hintergrund für Granatsplitter, ein eigen-sinniges Buch aus der Feder von Karl Heinz Bohrer, der im September achtzig Jahre alt geworden ist. Es ist die „Phantasie einer Jugend”, die in ein durch die Zeitumstände außeralltägliches Leben geworfen war. Das Grundproblem des autobiographischen Rückblicks über einen so langen Zeitraum – der erinnernde Greis kann nicht mit dem erinnerten Jungen identisch sein, selbst wenn er wollte und obwohl beide denselben Namen tragen – löst Bohrer, indem er die autobiographische Scheingewißheit meidet. Er bietet statt dessen, so der Autor selbst, „eine Erzählung über sich fortsetzende Faszinierungsmöglichkeiten in einer Welt des Ungesagten und Seltsamen – auch des Surrealistischen”.

Die „Unbefangenheit gegenüber dem Thema Krieg”, die „Neugier und Akzeptanz des Lebens als Chaos” prägen auch des Jungen Blick auf die (griechische) Antike – oder wurden sie umgekehrt befördert, weil die Antike ihm auf so besondere Weise nahegebracht wurde? Diese Dialektik zwischen Individuum und Umfeld, Prägung und eigener Perspektive wird sich wohl nie ganz auflösen lassen. Bohrer besuchte die berühmte Internatsschule Birklehof, die nach dem Krieg von Georg Picht geleitet wurde und das unvollendete Platon-Archiv beherbergte -davon wurde hier schon einmal berichtet. Im Sommer 1944, nicht lange nach dem Attentat auf Hitler, wurde dort Aischylos’ Agamemnon aufgeführt. Die Zeitläufte und die Intensität ihres Erlebens lassen das Menschenschlachthaus in Theben ganz gegenwärtig erscheinen: „Die Gleichzeitigkeit von Mykene und der Gemetzel dieses Sommers sind dem Jungen damals schlagartig bewusst geworden. Dieser Mordgeruch, der aufsteigt aus dem Haus der Atriden, vermischte sich mit den Geschichten über die Bestialitäten der Nazi-Zeit, über die ihn sein Vater und ein holländischer Mitschüler kurz zuvor unterrichtet hatten. Die Wirkung der Aufführung war so groß, weil es zu dieser komplexen Verdoppelung kam. (…) Aber Mykene hatte für den Jungen etwas Großartiges. Klytämnestra mit der Axt war was Anderes als die Nazi-Henker.”

Als Lehrer am Birklehof wirkte nach dem Krieg Rudolf Till, der auf engem Fuß mit Himmler gestanden und sich in Italien um eine berühmte Handschrift von Tacitus’ Germania bemüht hatte. Den Griechischlehrer beschreibt Bohrer als einen ironischen Kopf. Vielleicht half er den Jungen dabei, die aus der Zeit gefallenen Absonderlichkeiten im Umfeld der Schule richtig einschätzen zu lernen, so die Mutter Georg Pichts, die in einem „weißen, griechischen Gewand immer zwischen des Hausherrn Schwarzwaldhaus und ihrem eigenen Gehäuse” schwebte, oder Pichts Vater, einen Georgianer. „Allmählich gewannen wir auch ein ironisch pragmatisches Verhältnis dazu. Bei aller Verehrung und Liebe zur Schule erkannte der Junge da auch Hoheitszeichen eines durchgeknallten Idealismus, einer prätentiösen Form von Geistigkeit.” Angesagt waren Existenzialismus und Jazz, nicht „ein bestimmter frömmelnder und idealistischer Tonfall der Birklehof-Pädagogik – das war für ihn und einen Kreis von Freunden nicht mehr akzeptabel.”

Archilochos hat wohl auch geholfen. An ihm und den anderen frühen griechischen Lyrikern demonstrierte der Griechischlehrer, wie modern und nüchtern die Archaik der Hellenen in Wirklichkeit war – freilich nicht im Sinne der ästhetisierenden metallischen Härte, die sie bei Benn und Berve gewonnen hatte, sondern wegen einer „provokativen Nicht-Achtung von zeitgenössischen Moralen” durch den ruhelosen Dichter. Staat zu machen war wohl das allerletzte, wozu die Jungen und die klugen Älteren die alten Griechen befragt hätten. „Die Lektüre des Archilochos war zweifellos auch ein Propädeutikum zu meiner spätren Distanzierung gegenüber Pädagogisierungen der Kunst.” Was würde Bohrer wohl zur umgekehrten Pädagogisierung sagen, wie sie Heinrich Böll in seiner frühen Erzählung Wanderer, kommst du nach Spa… betrieben hat? Vielleicht ist die mitgeteilte Erinnerung eine ungesagt zum Vergleichen einladende Abgrenzung gegen Bölls Holzhammer-Symbolik. Bohrer: „Archilochos war ein Ausdrucksphänomen. Genauso hat ihn erregt, wie der Lehrer zum ersten Mal an die Tafel schrieb «O xein angéllein Lakedaimoniois…». Auf Deutsch klingt das ungeheuer banal – «Oh, Fremder kommst Du nach Sparta, Mel­de…» -, wie ein klassizistisches Goldschnitt-Verslein aus dem 19. Jahrhundert. Aber auf Griechisch, mit knirschender Kreide an die Tafel geschrieben, hat ihn das zutiefst erregt.”

Fasziniert hat mich die Einrede gegen die verbreitete Ansicht, der antikebezogene Humanismus der 1950er bis frühen 1960er-Jahre sei restaurativ und leblos gewesen. Sicher, das gab es auch, vielleicht so vorherrschend. Aber Bohrer hat heute keinen Grund, im Rückblick einem abgelebten Bemühen Kränze zu flechten. Umso aufmerksamer sollte seine differenzierte Einschätzung gelesen werden: „Der Pichtsche Birklehof hatte etwas Wirklich-Philosophisches, aber gleichzeitig ungeheuer Materialistisches: eine Denkform er­obern, nicht irgendein Abbild nachbeten. Das war nicht nur ein ehrfurchtvolles Traditionsbewusstsein. Picht wollte junge Leute erziehen, die im praktischen politischen Leben Deutschlands eine Rolle spielten. Ich würde heute in Picht nicht so sehr den Fortset­zer des Althumanismus sehen. Und er hat Platon nicht bloß als Ethiker gelesen. Es war die Dialektik Platons, die sokratische Me­thode, es war der Purismus des Arguments. Nein, für Abendlän­derei waren wir 18-Jährige zu «intellektuell». Das war unser neuer Gestus in der Clique, etwas unreif natürlich. (…) Daneben gab es sicher auch eine Vorstellung von der Priorität der griechischen Kultur für jede intel­lektuelle Erziehung. Aber die wurde modernisiert und intellektualisiert.” Nicht ein äußerer Rahmen also sollte wieder zusammengeleimt werden, es ging um das innere Feuer – das seinerseits erst neue Amalgamierungen aus Antike und Moderne ermöglichte.

Der Zufall will es, daß ich dieser Tage antiquarisch zwei Bände „Frühgriechische Lyriker” in die Hand bekomme, „deutsch von Zoltan Franyó und Peter Gan, griechischer Text bearbeitet von Bruno Snell, Erläuterungen besorgt von Herwig Maehler”. Eine komplizierte Entstehungsgeschichte, die bis in der Vorabend wiederum des Zweiten Weltkriegs zurückreicht. Im Sommer 1939 sandte Zoltan Franyó (geb. 1887) einige Übersetzungsproben aus Temesvár (Rumänien) an Bruno Snell. Der Hamburger Philologe hatte sich als Kenner der frühen griechischen Literatur bereits einen Namen gemacht, und es begann ein höchst fruchtbarer Austausch zwischen beiden. Snell besorgte die griechischen Texte und arbeitete sich kritisch an den Übersetzungen ab, hierin unterstützt von Peter Gan (Pseudonym für Dr. Richard Moering). Erst 1971 konnte der erste, schmale Band erscheinen, in der vorzüglichen Reihe „Schriften und Quellen der Alten Welt”, herausgegeben vom „Zentralinstitut für Alte Geschichte und Archäologie der Akademie der Wissenschaften der DDR”. Drei weitere Teile folgten. Peter Gan starb 1974, Zoltan Franyó vier Jahre später. Die in rotem Leinen leuchtenden Bände waren im Westen schwer zu bekommen, Bibliothekexemplare nicht selten durch Diebstahl abgängig und durch schlechte Photokopien ersetzt.

Und in der Tat, die Wiederlektüre zeigt: Die Archilochosbrocken haben nichts mit hehrer Goldrähmchenpoesie zu tun. Ein Stück parodiert eingangs Odysseus’ Schiffbruch an der Küste der Phaiaken – doch was dem Geschmähten dann geschehen soll, ist fern vom schönen Asyl am warmen Herd des Königs und seiner schönen Tochter:

                        „….. vom Wogenschlag

            Hin an die Küste gespült;

Zu Salmydessos sollen ihn, den nackten Mann,

            Thraker mit struppigem Schöpf

Aufs freundlichste empfangen; viele soll er dort

            Qualen erdulden, das Brot

Der Sklaven fressen, und er soll mir frosterstarrt,

            Salzüberkrustet von Tang

Und zähneklappernd, auf der Schnauze wie ein Hund

            Liegen, zu Tode erschöpft,

Am Fuß des steilen Klippenrandes, gischtgepeitscht.

            Wahrlich, das sähe ich gern.

Der mich verriet, den Eid mit Füßen trat, er war

            Einst mein Gefährte und Freund!” (fr. 79)

 

Und weder mit Mythos noch mit Logos, den zwei bekannten Achsen griechischen Deutungs- und Handlungswissens, hat zu tun, was Archilochos aus der Überwältigung durch eine zuvor nie gesehene Sonnenfinsternis macht (fr. 74):

„Nunmehr ist kein Ding unmöglich, und auf nichts mehr ist Verlaß.

Nichts erstaunt uns, seit der hohe Herr des Himmels, Vater Zeus,

Nacht aus hellem Mittag machte und der Sonne Strahlenkranz

So versteckte, daß die feuchte Angst die Menschen überkam.

Drum ist künftig alles möglich, und auf alles sei gefaßt

Jedermann. Ihr braucht euch fürder nicht zu wundern, wenn ihr seht,

Wie das Bergwild mit Delphinen tauscht den Weideplatz im Meer,

Weil ihm wohler ist im Tosen der vom Sturm gepeitschten See

Als am Lande, wo Delphine froh sich tummeln im Gebirg.”

von Uwe Walter erschienen in Antike und Abendland ein Blog von FAZ.NET.

Quelle: http://blogs.faz.net/antike/2012/11/18/mit-archilochos-wider-den-strom-406/

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Groß gescheitert: Männer des deutschen Widerstands gegen Hitler und die Antike

In einer Suchmaschine für antiquarische Bücher stoße ich durch Zufall auf ein schmales Bändchen: Ulrich von Hassell, Pyrrhus (München 1947). Sollte das der 1937 aus dem diplomatischen Dienst ausgeschiedene Ulrich von Hassell sein, der im (bürgerlich-militärischen) Widerstand gegen Hitler eine wichtige Rolle spielte und am 8. September 1944, heute vor 68 Jahren, hingerichtet wurde? Für zentrale Akteure dieser Richtung des Widerstandes stellte schon durch ihren...(read more)

Quelle: http://faz-community.faz.net/blogs/antike/archive/2012/09/08/gross-gescheitert-maenner-des-deutschen-widerstands-gegen-hitler-und-die-antike.aspx

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