Wann lernen wir eigentlich? Lernen wir nur, wenn wir auch vorhaben, etwas lernen zu wollen oder in welchen Situationen passiert Lernen?
Zunächst bedeutet Lernen – neurokognitiv betrachtet – dass sich Gedächtnisspuren ändern. Wird der Lernstoff wiederholt, werden diese Spuren breiter und fester und irgendwann sind sie so breit und fest, dass wir den Lernstoff langfristig behalten können. Dabei ist die Metapher vom Langzeitgedächtnis, sofern man es sich als Kasten vorstellt, in dem der Inhalt, der hineingelangt, behalten wird, nicht richtig. Es ist die Stabilität der Gedächtnisspuren, der neuronalen Verbindungen, die das Wissen speichern.
Das bedeutet auch, dass unser Gehirn sich mit jedem Lernvorgang verändert – wegen der sich bildenden neuronalen Verbindungen. Man nennt das auch Neuroplastizität; unser Gehirn ist neuroplastisch.
Dabei lernen wir in praktisch jeder Situation. Je nachdem wie oft wir etwas machen – egal was – stabilisieren sich die entsprechenden neuronalen Verbindungen. Wenn ich mich also häufig mit einer Sache befasse, dann reflektiert sich diese Sache auch in meinem Gehirn, und damit ist es nicht egal, womit ich mich beschäftige. Lernen geschieht also durch Wiederholung, denn, wie bereits erwähnt, festigen sich dadurch die neuronalen Strukturen.
Etwas anders funktioniert hingegen unser Bildgedächtnis, denn unser Gehirn ist in einer Sache besonders gut, ohne dass wir das Gefühl hätten, ernsthaft lernen zu müssen: im Wiedererkennen von Bildern. In den 1970er Jahren wurden dazu bereits Untersuchungen gemacht, die alle zu dem Ergebnis kamen, dass die Wiedererkennungsgenauigkeit sehr hoch ist und je nach Art des Experiments nicht unter 85% lag. Bei derartigen Versuchen wurden den Probanden zunächst mehrere Hundert bis mehrere Tausend Bilder gezeigt. In der zweiten Runde wurden diese Bilder erneut gezeigt und die Versuchspersonen mussten angeben, ob sie das Bild schon einmal gesehen hatten oder nicht.
Lionel Standing stellte in seinem Aufsatz „Learning 10.000 pictures“, (1973), fest: „The capacity of recognition memory for pictures is almost limitless”. Warum kann ich ein Bild sehen und mich für längere Zeit oder sogar immer daran erinnern? Bilder rufen durch ihre Eigenschaften wie Linien, Farben, Formen, Perspektive, Beschaffenheit etc. andere Assoziationen hervor als Wörter. Das macht sie besser merkbar.
Aber was hat das jetzt alles mit
ARTigo zu tun?
Hier werden dem Spieler in einer Runde fünf Bilder gezeigt, die er beschreiben soll. Im Anschluss werden die Bilder mit den dazugehörigen Informationen, wie Autor, Titel, Ort und Datierung angezeigt. Diese Zusatzinformationen dürften eher nicht gelernt werden, weil es hierzu einer regelmäßigen Wiederholung bedarf, die aber nicht gegeben ist, weil die zu beschreibenden Bilder nach dem Zufallsprinzip angezeigt werden.
Allerdings wird man sich an ein Bild, das man eine Minute lang intensiv betrachtet hat, richtig gut erinnern können. Im Gegensatz dazu schauen sich Besucher im Museum ein Bild durchschnittlich nur elf Sekunden an (Tröndle, 2012) und das sicherlich nicht so genau wie bei ARTigo. Das Spiel ersetzt keinen Museumsbesuch, aber die Beschäftigung mit Bildern – wenn es ums Lernen geht – ist z.B. gerade für Studenten der Kunstgeschichte enorm wichtig. Und hier müsste das Spiel auf jeden Fall einen Effekt haben.
Jetzt könnte man noch die Frage stellen, ob die Anzeige der Zusatzinformationen überflüssig ist. Nein, das ist nicht der Fall. Auch wenn man sich diese Informationen nicht komplett für alle Bilder, die man spielt, genau merken kann. Etwas bleibt auf jeden Fall: Sie fallen beim Spielen je nach Stand des Vorwissens auf ein mehr oder minder weiches Bett bereits vorhandener Informationen (=Gedächtnisspuren), die Anknüpfungspunkte für neues Wissen darstellen. So dürfte vereinzelt eine Zusatzinformation gemerkt werden.
Was aber auch wichtig ist und sicherlich im Umgang mit dem Spiel passieren dürfte, dass sich ein Gefühl für den Stil, den Künstler oder die Epoche bildet. Außerdem befasst sich der Spieler, wenn wir vom Studenten ausgehen, mit den Gegenständen seines Faches. Und hier unterstützt das Spiel den Lernprozess, der nicht nur bei ARTigo stattfindet – aber auch.
Quelle: http://games.hypotheses.org/264