DH Summer School Bern 2013

 

 

 

 

 

Ab sofort kann man sich für die diesjährige DH Summer School in Bern (26.-29.06.2013) registrieren:

http://www.dhsummerschool.net/

Auf dem Programm stehen bislang folgende Plenary Sessions:

  • History and Futures of Digital Humanities (Susan Schreibman, Trinity College, Dublin)
  • Digital Textual Editing (Elena Pierazzo, King’s College, London)
  • Social Knowledge Construction and Creation in Literary Studies Environments (Ray Siemens, University of Victoria, Canada)
  • Digital Humanities and Cultural Criticism (David Berry, Swansea University)
  • Historical Data Representation and GIS (Frederic Kaplan, Ecole Polytechnique de Lausanne)
  • Quantitative research methods and network analysis (Claire Lemercier, SciencePo Paris)

Außerdem folgende Workshops / Tutorials:

  • Collaborative work practices in the Digital Humanities (Lynne Siemens, Victoria University)
  • Historical Sources Criticism in the Digital Age (Pascal Föhr, Basel University)
  • Introduction to Network Visualisation with GEPHI (Martin Grandjean, Lausanne University)
  • Multimedia Literacies (Claire Clivaz et al., Lausanne University)
  • Prototyping and Visualizing Virtual Places (Eric Champion, Aarhus University)
  • TEI and Musicology (Laurent Pugin & Claudio Bacciagaluppi, Bern University)
  • Zotero and Citation Management Softwares (Nicolas Chachereau, Lausanne University)

Eine unconference rundet das Programm ab.

Die Teilnehmerzahl ist auf 60 beschränkt!

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=1284

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Vermitteln Blogs das Gefühl rastloser Masturbation? Eine Antwort auf Valentin Groebner

  “Muss ich das lesen? Ja, das hier schon. Wissenschaftliches Publizieren im Netz und in der Überproduktionskrise”, lautet der Titel des netzkritischen Artikels von Valentin Groebner in der FAZ vom 6. Februar 2013, Seite N 5 (nicht kostenfrei online, den Hinweis verdanke ich Anton Tantner). Weder das allzu kurze Exposé im RKB-Blog noch der jetzige FAZ-Beitrag enthalten die recht üblen Sprüche der Vortragsfassung auf der Tagung Rezensieren – Kommentieren – Bloggen. Das Zitat “Blogs vermitteln das Gefühl rastloser Masturbation” ist auf Twitter dokumentiert. Was Groebner alles gesagt hat, wird man hoffentlich bald nachhören können, wenn die Tagungsvideos bei L.I.S.A online sind. Groebner, Autor eines Büchleins zur Wissenschaftssprache, spart nicht an flotten Formulierungen (“Das Netz ist eine mythische Fabel, die so oft wiederholt worden ist, dass sie ihre eigene Wirklichkeit geschaffen hat.”, “Dieser weiche warme Hippie-Kitsch wird in den Netzutopien umso unübersehbarer, je enthusiastischer sie sind.”, “Das Netz ist 2013 also ein altes Medium. Es ist die Zukunft von gestern.”). Aber eine schlüssige stringente Argumentation suche ich vergebens. Groebner kritisiert den selbstzufriedenen Wissenschaftsbetrieb: “Man muss etwas Neues herausfinden; aber gleichzeitig muss man zeigen, dass die Disziplin diese neue Information – die eigene Idee, den eigenen Fund – notwendig braucht, um weitermachen zu können wie bisher. [...] Man darf aber – und jetzt kommt die gute Nachricht – dabei möglichst kurz, möglichst unverschämt und möglichst witzig sein.” Klingt wie eine Beschreibung von Archivalia, das soeben 10 Jahre alt wurde … Er macht auf die wissenschaftliche Überproduktion aufmerksam. Knapp sei “nicht Speicherplatz, sondern Lesezeit”. Nach einer wenig überzeugenden Gegenüberstellung von Buchwissen und Netzwissen erwähnt Groebner die Blogs: “Wer sich durch Selbstdarstellungen von Wissenschaftlern auf dem Web klickt, merkt rasch, dass die meisten Blogs und persönlichen Websites sich nach Aufmerksamkeit von außen sehnen.” Das galt freilich immer schon. Jeder der schreibt, will Aufmerksamkeit und ich behaupte, dass Open-Access-Publikationen ungleich mehr Leser haben als jede gedruckte Fachveröffentlichung. Während niemand weiß, wie oft ein Aufsatz in der HZ tatsächlich gelesen wird, kann man bei Schriften auf Dokumentenservern durch Downloadzahlen der PDFs durchaus zu verlässlichen Schätzungen kommen. Groebner erwähnt Peter Habers Vorhersage, die Kommunikationsstrukturen auf Papier würden in den nächsten Jahren alle verschwinden, und äußert Skepsis. Angesichts der geisteswissenschaftlichen Netzresistenz ist mir “in den nächsten Jahren” in der Tat etwas zu kurz bemessen. Aber man sieht doch jetzt schon an den Naturwissenschaften, wohin die Reise unumkehrbar geht. Das Journal mit den meisten publizierten Beiträgen im Jahr ist das Open-Access-Journal PLoS One. Es hat einen ausgezeichneten Impact-Faktor und huldigt einem sehr erfolgreichen Peer-Review-Konzept, das nicht auf die Attraktivität von Themen setzt, sondern wissenschaftliche Verlässlichkeit genügen lässt. Die sehr stark auf die Zeitschriftenveröffentlichung fokussierte Wissenschaftskultur der Naturwissenschaften ist jetzt schon weitgehend von Online-Publikationen geprägt. “In dem Bereich, in dem ich selbst arbeite, der Geschichte des Mittelalters und der Renaissance”, schreibt Groebner, “weiß ich von keiner wissenschaftlichen Idee und von keinem aufregenden Fund, der zuerst auf dem Netz dagewesen wäre und sich wegen seines Erfolgs und wegen positiver feedback-loops dann von dort dann in anderen Medien – wissenschaftliche Zeitschriften und Bücher – durchgesetzt hätte”. Wenn man “aufregend” hinreichend elitär definiert, dann wird man das nicht bestreiten können. Wenn man die Auffindung der ersten hochmittelalterlichen Handschrift der Vita Heriberti des Rupert von Deutz genügen lässt, so kann man etwa darauf verweisen, dass der in Archivalia publizierte Fund im “Deutschen Archiv” 2010 referiert wurde. Der in Luzern wirkende Historiker Groebner ist durch seine im Feuilleton regelmäßig als brillant gewerteten, überwiegend schmalen Bücher bekannt geworden. Aber: “Es sind ja doch nicht alles Meistererzähler”. Man kann die Publikationsflut beklagen, aber wie kann man sie eindämmen, wenn man nicht zugleich die Axt an die hergebrachten Reputationsmechanismen legt, die (gedruckten) Publikationen zuviel Wert beimessen? Wissenschaft ist nicht nur Hochgebirge, wo Groebner und ein paar andere Feuilleton-Lieblinge Zitier-Seilschaften bilden, es ist auch Mittelgebire oder sogar mühevolle Ebene. Das an den Hochschulen so populäre Exzellenz-Gefasel verkennt, dass es in der Wissenschaft nicht nur auf Hochleistungssport, sondern auch auf Breitensport ankommt. Groebner singt ein Hohelied auf die gedruckten Bücher: “Weil sie eben keine Korrektur-, update- und refresh-Funktion haben, sind sie – wenn sie gut gemacht sind – Ergebnis pur.” Er ignoriert die vielfältigen Bemühungen um die Langzeitarchivierung digitaler Daten, wenn er behauptet: “Das Netz ist kein haltbarer Informationsspeicher, und es hat keine effizienten Filtermechanismen entwickelt”. Gerade Bücher oder Zeitschriftenaufsätze werfen hinsichtlich des Formats (PDF/A gilt als zukunftsfähig) die geringsten Probleme auf. Die Geisteswissenschaften kennen, Groebner sollte das besser wissen, keine dauerhaft in Stein gemeißelten Ergebnisse, der historische Stoff wird immer wieder uminterpretiert, neu gelesen und ausgelegt. Von daher ist sowohl die Konzentration auf den “Autor” (ein Relikt der Genie-Ästhetik des 18. Jahrhunderts) als auf das “gute Buch” (als unübertroffene Kondensierung wertvollen Wissens) lebensfremd. HochschullehrerInnen, die sich tagtäglich aufreiben, um eine gute Lehre bieten zu können, die von Gremiensitzungen beansprucht werden und auch ab und an ein Privatleben möchten, würden liebend gern ein gutes Buch schreiben. Oft langt es nur für den Aufsatz im Sammelband, dessen Deadline man phantasievoll herauszuzögern gelernt hat. Was wir brauchen ist eine flüssigere Wissenschaft jenseits der gängigen Schubladen der Druckwelt. Es geht nicht nur um meinen Kult des Fragments, sondern um mutige Experimente hinsichtlich der Präsentationsformen von Wissenschaft. Nicht alles kann kurz, unverschämt und witzig sein wie Groebners Bücher. Natürlich pendele auch ich in zwei Welten, was kein Wunder ist, da ich mit über 200 gedruckten Publikationen seit 1975 in der durch den Buchdruck bestimmten vordigitalen Kommunikationskultur der Geschichtswissenschaft (und Heimatkunde) sozialisiert wurde. Schreibe ich einen Aufsatz für den Druck, bemerke ich, dass er gegenüber den meisten meiner Blogpostings konzentrierter argumentiert und auch im Formalen weniger schlampig ist. Zugleich ärgere ich mich, dass ich im Druck nicht einfach mit einem Link sofort die Überprüfung meiner Aussagen ermöglichen kann (Quellen und ältere Sekundärliteratur sind oft schon im Netz). Bei meinen Themen und für die Wissenschaftssprache Deutsch gibt es aber kein qualitätsgesichertes E-Journal, dem ich meinen Beitrag alternativ anbieten könnte. Eine bestimmte Veredelungs- und Reifestufe ist auch unabhängig vom Fetisch “Druck auf Papier”, der Gelehrte der Generation Groebners (er ist 4 Jahre jünger als ich) nach wie vor gefangenhält, realisierbar. Für viele kleine Beiträge bedarf es aber aus meiner Sicht gar keiner solchen Veredelungsstufe. Die meisten der über 140 Forschungsmiszellen in Archivalia können durchaus in ihrer etwas rohen Präsentationsform bestehen bleiben. Entscheidend ist, dass sie die Wissenschaft auf Neufunde aufmerksam machen (und zwar mit Belegen) und dass ich, sobald ich etwas Neues finde oder etwas, was ich übersehen habe, sie sofort aktualisieren kann – eine Möglichkeit, die bei gedruckten Publikationen eher nicht funktioniert. Auch wenn man in der gleichen Zeitschrift einen Nachtrag veröffentlicht, ist die Wahrscheinlichkeit nicht ganz gering, dass dieser übersehen wird. Nur das Netz kann solche nützlichen Verknüpfungen schaffen. Anders als Theisohns Polemik gegen Open-Access ist Groebners Aufsatz kein Geschwurbel. Er lässt aber deutlich erkennen, dass sein Autor von seinem Thema, wenn es ums Netz (und vor allem ums Social Web) geht, zu wenig Ahnung hat. Die Rückzugsgefechte der Buch-Fetischisten sollten uns nicht vom Bloggen abhalten.    

Quelle: http://redaktionsblog.hypotheses.org/951

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Falter goes Krone

Bräuchte es noch einen Beweis für die Verkommenheit und Armseligkeit der österreichischen Medienlandschaft, gerade da, wo sie "linksliberal" daher kommt, der Falter (6/2013, S.9) liefert ihn heute: In übelster Krone-Hetzmanier wird darin die Salzburger ÖH zum "Dolm der Woche" erklärt, und dies nur deshalb, weil diese Einrichtung als eine der wenigen der demokratiepolitischen Pflicht nachgekommen ist, antifaschistischen Protest gegen das RechtsextremistInnen-Treffen in der Hofburg finanziell zu unterstützen. Dass nur vier Seiten davor Armin Thurnher Michael Jeannée disst, ist demgegenüber reine Heuchelei.

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/235552663/

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De l’Allemagne 1800-1939: De Friedrich à Beckmann

Ab dem 28. März ist im Musée du Louvre, in der Hall Napoléon, die Ausstellung De l’Allemagne 1800-1939: De Friedrich à Beckmann zu sehen. Auf Initiative des Deutschen Forums für Kunstgeschichte konzipiert und in Zusammenarbeit mit den Kollegen des Louvre entwickelt, stellt die Ausstellung die deutsche Malerei und Graphik von der Goethezeit bis zur Moderne ins Zentrum. Mit rund zweihundert Werken ist es die größte Schau dieser Art, die je in Frankreich ausgerichtet wurde.


Johann Heinrich Wilhelm Tischbein – Porträt Goethes in der Campagna, gemalt 1787 in Rom

Johann Wolfgang Goethes Kunsttheorie und Kunstpolitik stehen im Zentrum, weil sich zentrale Bewegungen der Kunst in Deutschland in Aneignung oder Abgrenzung an ihnen orientiert haben: Die Antikensehnsucht und Imagination des Griechischen ebenso wie die nazarenische Gegenwelt; die mittelalterliche Idylle oder die Imagination der Gotik; die mythologische Aufladung der Landschaftsmalerei oder ihr theologischer und romantischer Gegenpart und noch die künstlerisch-wissenschaftlichen Explorationen der Natur, der Elemente und der Farben – bis in die Bauhaus-Zeit. Auch die Bildthemen der Expressionisten und der frühen Moderne werden hier als Echoräume seiner literarisch, zumal im Faust II entwickelten Weltsicht verstanden: die Vereinzelung und Verstädterung des Menschen; seine Verwicklung in Gewalt und Krieg; seine Hybris im entfesselten Schöpfertum. Die Ausstellung wirft von jenem Goetheschen Kosmos den Blick nach vorne, und versteht, durch mehrere Sektionen hindurch, die von Goethe und seinen „Weimarer Kunstfreunden“ formulierten Positionen in Kunsttheorie und -politik als konstitutiv für die bildende Kunst in Deutschland.

Eröffnet wird die Ausstellung mit Johann Heinrich Wilhelm Tischbeins Gemälde „Goethe in der Campagna Romana“ (1787) aus dem Frankfurter Städel, das, ebenso wie Gemälde und Zeichnungen von Gottlieb Schick oder Asmus Jakob Carstens, das Primat der Antike in Form und Inhalt aufruft.

Die Künstler der nazarenischen „Gegenposition“ wie Friedrich Overbeck, Franz Pforr, Julius Schnorr von Carolsfeld und Joseph Anton Koch lehnen sich dagegen ebenso auf wie Moritz von Schwind und Carl Philipp Fohr mit ihren mittelalterlichen „Idyllen“.

Die Kunst in Deutschland hat im gewählten Zeitraum fortwährend in solchen Oppositionen argumentiert. Der Imagination der Gotik, wie sie sich in den Kathedralbildern u. a. von Caspar David Friedrich, Carl Blechen oder Ernst Ferdinand Oehme abbildet, stellte sich die Evokation des Griechischen entgegen, beispielsweise in Leo von Klenzes „Walhalla“, dem hellenischen Tempeltraum oberhalb der Donau. Mit solcher Historisierung der Landschaft korrespondiert deren mythologische Aufladung – in Gemälden und Zeichnungen von Carl Rottmann, Anselm Feuerbach, Hans von Marées, bis hin zu Arnold Böcklin, Franz von Stuck, Lovis Corinth, Max Slevogt sowie Max Beckmann.

Weitere Verbindungslinien zu Goethe und der Weimarer Kunstpraxis werden in einer eigenen Abteilung gezogen, in der Goethes Sammlungen exemplarisch vorgestellt werden. Hier sind namentlich naturkundliche Exponate zu finden (Botanik, Geologie) und auch der Theorie der Farbenlehre wird breiter Raum eingeräumt. In diesem Zusammenhang werden auch die weitreichenden Wirkungen namentlich im Umkreis der Romantiker (Philipp Otto Runge) und bis hin zum Bauhaus (Paul Klee) in bewusst diachroner Sicht anschaulich zum Thema.

Wenn schließlich Goethes „Faust“-Dichtung in dieser Ausstellung, die deren Widerhall in der bildenden Kunst, bis zum Film, gewidmet ist, dargestellt wird, dann deshalb, weil sich das „Faustische“, also die Selbstverständigung des modernen Menschen, besonders vielfältig in der Malerei und den graphischen Künsten artikuliert – von Adolph Menzel bis zu Ernst Ludwig Kirchner, Otto Müller, Max Beckmann oder Otto Dix und George Grosz.

Die Kuratoren haben die facettenreiche künstlerische Produktion in Deutschland unter solchen inhaltlichen Markierungen ausgebreitet, um ihren Zusammenhang erkennbar und ihre ganz eigene Prägung und Ausbildung nachvollziehbar und verstehbar zu machen. Was sich in diesem Ausstellungsitinerar entfaltet, ist nichts weniger, als die Entwicklung einer Kunstsprache, die, bei aller transregionalen Beeinflussung und Abhängigkeit, immer auch darauf zielt, den spezifischen Bedingungen einer vornationalen, kulturellen Selbstbestimmung zu entsprechen, ja, diese partiell zu definieren. Erstmals in Frankreich in solcher Fülle zusammengetragen, erlaubt die Schau, die deutsche Kunst in einer ihrer entscheidenden Phasen vertiefend kennenzulernen und dem französischen Publikum, sich dem nur scheinbar Fremden sinnlich zu nähern.

Dass die Ausstellung in das Jahr der fünfzigsten Wiederkehr der Unterzeichnung des Elysée-Vertrages fällt, empfinden die Kuratoren als eine glückliche Koinzidenz. Sie freuen sich, dass sie über den Weg der bildenden Kunst die weitere Annäherung, das wechselseitige Verständnis und das Zusammenwachsen beider Länder zu befördern helfen.

 

Quelle: http://mws.hypotheses.org/2101

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Vom Sonderdruck zum Tweet, von Kutschen und Verflüssigung

Ein Fazit hat ja meist etwas Trockenes an sich. Das ist nicht gut, wenn man eine Konferenz beschreiben will, die alles andere als trocken war.

Versuchen wir es also mit Highlights und Schlaglichtern, möglichst anschaulich und kurzweilig – und damit dem Charakter der RKB-Konferenz entsprechend. Als Veranstalter betrachten wir im Nachhinein unsere Entscheidung als richtig, Diskussionspanels an die Stelle von Vorträgen gesetzt zu haben: Die Kurzweile kam ganz von allein, indem offenbar wurde, dass alle Diskutanten der drei Panels mit Engagement und Überzeugung dabei waren. Zugleich machten deutlich unterschiedliche Meinungen die Diskussionen umso angeregter, etwa im dritten Panel zwischen Valentin Groebner und Anne Lipp, oder dann, wenn ein Diskutant das zuvor im RKB-Blog publizierte Statement eines Kollegen als „unsäglich“ bezeichnet – zu Unrecht, wenn ich mir diese persönliche Meinung hier erlauben darf, zumal der Betroffene der Grippewelle zum Opfer gefallen war und sich nicht selbst verteidigen konnte.

Der Plan, den einzelnen Panels bestimmte Themen vorzugeben, ist dagegen tendenziell gescheitert: Die Diskussionen hüpften und sprangen nur so über den breiten Fächer digitaler Sujets. Und – um ein Hauptstadtzitat mit Bart einzubinden – das war auch gut so. Es spiegelte sich darin die Ernsthaftigkeit, mit der jeder einzelne Diskutant sein persönliches Steckenpferd vorbringen wollte und es spiegelte sich darin auch eine, wie ich es im Schlusswort nannte, „gesunde Aufgeregtheit“ im Umgang mit all den Themen, die unseren Alltag als Wissenschaftler so fundamental ändern oder bereits geändert haben (die Zukunft ist bereits Vergangenheit, siehe auch das Titelbild der Tagung (1)).

Was war also dieses bunte Themenpotpourri? Wir starteten beim Konkreten, der Bilanz von recensio.net und der Verkündung von Geburtstagsgeschenken. Wer die verpasst hat, möge bitte selbst suchen. Und wir starteten mit der Frage, warum eigentlich so wenig kommentiert wird in den Geisteswissenschaften. Interessanterweise blieb diese Frage als eine der wenigen fast vollständig unberührt, so dass wir weiter nur ahnen dürfen, es habe etwas mit der Hierarchieverliebtheit des deutschen Wissenschaftssystems oder der Nichtverwertbarkeit im wissenschaftlichen Curriculum oder der immer noch als „unwissenschaftlich“ empfundenen scheinbar qualitätsungesicherten Web 2.0-Umgebung zu tun. Oder mit allem. Es sei eingeschoben, dass Johan Schloemann passend zu diesem Aspekt in seinem am 4.2. in der SZ (Feuilleton) erschienen Artikel „Server oder Sammelband“  in Anspielung auf eine parallele Konkurrenzveranstaltung von der RKB-Tagung als „Münchner Unsicherheitskonferenz“ schreibt.

Anschließend ging es in die Keynotes und in die Diskussionen. Anzunehmenderweise wird beides im bald erscheinenden Tagungsbericht detailliert zu lesen sein, so dass ich mich darauf beschränke, die Landepunkte der Gedankensprünge zusammenzutragen:

Wir sprangen von Publikationsorten (Monographie, Blogs, Twitter, Verlage, Repositorien) zu Publikationsarten: Open Access aller Farben, Closed Access – mit deutlichsten Tendenzen zum Erstgenannten in goldener Fassung. Zu Aggregatzuständen von Texten: Herr Groebner hier vehementer Freund des zumindest temporär Festen, viele andere waren deutlich anderer Meinung. Zu inneren und äußeren Zwängen, die Einfluss auf unsere Innovationsfreude haben. Zu Wissenschaftskommunikation „nach außen“ und der Frage, welche Rolle wir der Öffentlichkeit zugestehen, ob wir sie als Bedrohung oder Chance, als Zuschauer oder Zielpunkt unserer Forschung wahrnehmen möchten.  Auch zu der Frage, welcher Sprache wir uns und für wissenschaftliche Texte bedienen (oder bedienen sollten). Das alles hängt unmittelbar mit der Nutzung und Nutzbarkeit von Social Media im Wissenschaftsbetrieb zusammen. Wobei, wenn ich mich recht erinnere, nicht ein einziges Mal der Begriff „Social Media“ fiel. Es ging oft und viel um Förderstrukturen und um Korsette aus Tradition und Drittmitteln, die unser Verhalten, unsere Kommunikation und ganz konkret das Leben und Überleben digitaler Online-Angebote  mitbestimmen. Und all das ist nur ein kleiner Ausschnitt des Diskutierten. Ich hatte ja Kurzweil angekündigt und bitte jeden Dabeigewesenen, der sein Steckenpferd des Gehörten ergänzen möchte, dies in den Kommentaren zu tun.

Die RKB-Tagung brachte der Carl Friedrich von Siemens Stiftung ihre erste Twitterwall.  Dass wir es ausgerechnet am ersten Tagungsnachmittag mit einem Ausfall von Twitter (ja, von Twitter, nicht der Twitterwall-Software, nicht des WLAN!) zu tun bekommen würden, konnte niemand ahnen.

Zwei schöne Botschaften, jede für sich ein Aufscheinen größtmöglicher Verständigung, allen Kontroversen zum Trotz: Niemand der Anwesenden führte auch nur ein einziges Mal im Verlaufe zweier Tage die „Digital Natives“ im Mund. Ist das nicht schön? All das viele reden, bloggen, twittern ob der Zweifel an der „Generationentheorie“ scheint gefruchtet zu haben. Unsere Panels waren ein schlagender Beweis dafür. Ich nenne verständlicherweise (aus Gründen der Höflichkeit) keine Namen, darf aber verraten, dass mehr als einmal die ältesten Diskutanten gegen die jüngsten argumentierten, und zwar nicht so, wie Sie als Uneingeweihter sich das gerade vorstellen.

Die zweite Versöhnungsbotschaft: Es gibt einen kleinsten gemeinsamen Nenner. Einmal, zu Beginn der Konferenz, fiel das Wort „Sonderdruck“ –  im Zuge einer Schilderung überholter Formen von Wissenschaftskommunikation. Da lachte der ganze Saal. Auch jene, denen der feste Aggregatzustand von Texten am besten schmeckt.

Danke an die Carl Friedrich von Siemens Stiftung. Es waren zwei Tage in einer optisch wie kulinarisch höchst ansprechenden Umgebung, für die man nicht oft genug danken kann. Derselbe Dank gilt Ihnen als Besuchern:  Wir waren etwa acht Tage im Voraus ausgebucht, und viele von Ihnen rutschten erst über die Warteliste in die Veranstaltung, was uns als Veranstaltern neben einem schlechten Gewissen in vielen Fällen auch Bewunderung für Ihre Flexibilität abrang, war doch die Besetzung erfreulich überregional, ja international. Und ganz explizit will ich für den vollständig ausbleibenden Besucherschwund am Freitagnachmittag danken: Sie alle harrten bis zum bitteren Ende aus, und ich hoffe glauben zu dürfen, dass das nicht nur am grässlichen Münchner Dauerregen lag. Danke!

Der letzte Dank, aber keineswegs weniger herzlich, geht an das L.I.S.A.-Portal der Gerda Henkel Stiftung. Dort nämlich können Sie sich in ein paar Tagen die Videos der RKB-Konferenz ansehen, die gerade entsprechend aufbereitet werden.

Und wenn Sie glauben, Sie hätten es jetzt geschafft,  muss ich Sie enttäuschen: Eine kleine Ankündigung hätte ich, im Namen aller am RKB-Blog Beteiligten: Wir starteten als reiner Konferenzblog. Den zu betreiben, war nicht nur – im Rückblick – sinnvoll. Es hat auch Spaß gemacht, und wir sind auf reichlich Resonanz gestoßen. Die Themen, die hier behandelt werden, bleiben aktuell, womöglich länger, als uns allen lieb ist. Um es kurz zu machen: Wir wollen weitermachen und hier ab und zu Gedanken zur Entwicklung der Wissenschaftskommunikation bewegen, gern in zugespitzter Form, aber sicher nicht mehr in derselben Frequenz wie zuvor, um unauffällig die Brücke zu den Korsetten und zum Thema Zeitnot zu schlagen, die auch zu den zentralen Themen der Tagung gehörte.

P.S.: Sie fragen sich, was es mit den Kutschen im Titel auf sich hat? Dann waren Sie offensichtlich nicht dabei. Alle anderen fragen sich das nicht. Abhilfe schafft der Klick auf L.I.S.A., sobald dort die Videos verfügbar sind. Nehmen Sie sich Zeit, denn es war die wohl meistgebrauchte Metapher der Konferenz. Und wenn Sie schon dabei sind, sei Ihnen hier noch das Interview mit Gudrun Gersmann ans Herz gelegt, das Deutschland Radio Kultur anlässlich der RKB-Konferenz und des recensio.net-Geburtstags sendete.

(1) Den Herrn mit dem Zwiebackschachtelartigen Smartphone haben wir übrigens „Hardy“ getauft. Wir vermissen ihn schon jetzt auf der Startseite von recensio.net)

Quelle: http://rkb.hypotheses.org/413

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Vom Sonderdruck zum Tweet, von Kutschen und Verflüssigung

Ein Fazit hat ja meist etwas Trockenes an sich. Das ist nicht gut, wenn man eine Konferenz beschreiben will, die alles andere als trocken war.

Versuchen wir es also mit Highlights und Schlaglichtern, möglichst anschaulich und kurzweilig – und damit dem Charakter der RKB-Konferenz entsprechend. Als Veranstalter betrachten wir im Nachhinein unsere Entscheidung als richtig, Diskussionspanels an die Stelle von Vorträgen gesetzt zu haben: Die Kurzweile kam ganz von allein, indem offenbar wurde, dass alle Diskutanten der drei Panels mit Engagement und Überzeugung dabei waren. Zugleich machten deutlich unterschiedliche Meinungen die Diskussionen umso angeregter, etwa im dritten Panel zwischen Valentin Groebner und Anne Lipp, oder dann, wenn ein Diskutant das zuvor im RKB-Blog publizierte Statement eines Kollegen als „unsäglich“ bezeichnet – zu Unrecht, wenn ich mir diese persönliche Meinung hier erlauben darf, zumal der Betroffene der Grippewelle zum Opfer gefallen war und sich nicht selbst verteidigen konnte.

Der Plan, den einzelnen Panels bestimmte Themen vorzugeben, ist dagegen tendenziell gescheitert: Die Diskussionen hüpften und sprangen nur so über den breiten Fächer digitaler Sujets. Und – um ein Hauptstadtzitat mit Bart einzubinden – das war auch gut so. Es spiegelte sich darin die Ernsthaftigkeit, mit der jeder einzelne Diskutant sein persönliches Steckenpferd vorbringen wollte und es spiegelte sich darin auch eine, wie ich es im Schlusswort nannte, „gesunde Aufgeregtheit“ im Umgang mit all den Themen, die unseren Alltag als Wissenschaftler so fundamental ändern oder bereits geändert haben (die Zukunft ist bereits Vergangenheit, siehe auch das Titelbild der Tagung (1)).

Was war also dieses bunte Themenpotpourri? Wir starteten beim Konkreten, der Bilanz von recensio.net und der Verkündung von Geburtstagsgeschenken. Wer die verpasst hat, möge bitte selbst suchen. Und wir starteten mit der Frage, warum eigentlich so wenig kommentiert wird in den Geisteswissenschaften. Interessanterweise blieb diese Frage als eine der wenigen fast vollständig unberührt, so dass wir weiter nur ahnen dürfen, es habe etwas mit der Hierarchieverliebtheit des deutschen Wissenschaftssystems oder der Nichtverwertbarkeit im wissenschaftlichen Curriculum oder der immer noch als „unwissenschaftlich“ empfundenen scheinbar qualitätsungesicherten Web 2.0-Umgebung zu tun. Oder mit allem. Es sei eingeschoben, dass Johan Schloemann passend zu diesem Aspekt in seinem am 4.2. in der SZ (Feuilleton) erschienen Artikel „Server oder Sammelband“  in Anspielung auf eine parallele Konkurrenzveranstaltung von der RKB-Tagung als „Münchner Unsicherheitskonferenz“ schreibt.

Anschließend ging es in die Keynotes und in die Diskussionen. Anzunehmenderweise wird beides im bald erscheinenden Tagungsbericht detailliert zu lesen sein, so dass ich mich darauf beschränke, die Landepunkte der Gedankensprünge zusammenzutragen:

Wir sprangen von Publikationsorten (Monographie, Blogs, Twitter, Verlage, Repositorien) zu Publikationsarten: Open Access aller Farben, Closed Access – mit deutlichsten Tendenzen zum Erstgenannten in goldener Fassung. Zu Aggregatzuständen von Texten: Herr Groebner hier vehementer Freund des zumindest temporär Festen, viele andere waren deutlich anderer Meinung. Zu inneren und äußeren Zwängen, die Einfluss auf unsere Innovationsfreude haben. Zu Wissenschaftskommunikation „nach außen“ und der Frage, welche Rolle wir der Öffentlichkeit zugestehen, ob wir sie als Bedrohung oder Chance, als Zuschauer oder Zielpunkt unserer Forschung wahrnehmen möchten.  Auch zu der Frage, welcher Sprache wir uns und für wissenschaftliche Texte bedienen (oder bedienen sollten). Das alles hängt unmittelbar mit der Nutzung und Nutzbarkeit von Social Media im Wissenschaftsbetrieb zusammen. Wobei, wenn ich mich recht erinnere, nicht ein einziges Mal der Begriff „Social Media“ fiel. Es ging oft und viel um Förderstrukturen und um Korsette aus Tradition und Drittmitteln, die unser Verhalten, unsere Kommunikation und ganz konkret das Leben und Überleben digitaler Online-Angebote  mitbestimmen. Und all das ist nur ein kleiner Ausschnitt des Diskutierten. Ich hatte ja Kurzweil angekündigt und bitte jeden Dabeigewesenen, der sein Steckenpferd des Gehörten ergänzen möchte, dies in den Kommentaren zu tun.

Die RKB-Tagung brachte der Carl Friedrich von Siemens Stiftung ihre erste Twitterwall.  Dass wir es ausgerechnet am ersten Tagungsnachmittag mit einem Ausfall von Twitter (ja, von Twitter, nicht der Twitterwall-Software, nicht des WLAN!) zu tun bekommen würden, konnte niemand ahnen.

Zwei schöne Botschaften, jede für sich ein Aufscheinen größtmöglicher Verständigung, allen Kontroversen zum Trotz: Niemand der Anwesenden führte auch nur ein einziges Mal im Verlaufe zweier Tage die „Digital Natives“ im Mund. Ist das nicht schön? All das viele reden, bloggen, twittern ob der Zweifel an der „Generationentheorie“ scheint gefruchtet zu haben. Unsere Panels waren ein schlagender Beweis dafür. Ich nenne verständlicherweise (aus Gründen der Höflichkeit) keine Namen, darf aber verraten, dass mehr als einmal die ältesten Diskutanten gegen die jüngsten argumentierten, und zwar nicht so, wie Sie als Uneingeweihter sich das gerade vorstellen.

Die zweite Versöhnungsbotschaft: Es gibt einen kleinsten gemeinsamen Nenner. Einmal, zu Beginn der Konferenz, fiel das Wort „Sonderdruck“ –  im Zuge einer Schilderung überholter Formen von Wissenschaftskommunikation. Da lachte der ganze Saal. Auch jene, denen der feste Aggregatzustand von Texten am besten schmeckt.

Danke an die Carl Friedrich von Siemens Stiftung. Es waren zwei Tage in einer optisch wie kulinarisch höchst ansprechenden Umgebung, für die man nicht oft genug danken kann. Derselbe Dank gilt Ihnen als Besuchern:  Wir waren etwa acht Tage im Voraus ausgebucht, und viele von Ihnen rutschten erst über die Warteliste in die Veranstaltung, was uns als Veranstaltern neben einem schlechten Gewissen in vielen Fällen auch Bewunderung für Ihre Flexibilität abrang, war doch die Besetzung erfreulich überregional, ja international. Und ganz explizit will ich für den vollständig ausbleibenden Besucherschwund am Freitagnachmittag danken: Sie alle harrten bis zum bitteren Ende aus, und ich hoffe glauben zu dürfen, dass das nicht nur am grässlichen Münchner Dauerregen lag. Danke!

Der letzte Dank, aber keineswegs weniger herzlich, geht an das L.I.S.A.-Portal der Gerda Henkel Stiftung. Dort nämlich können Sie sich in ein paar Tagen die Videos der RKB-Konferenz ansehen, die gerade entsprechend aufbereitet werden.

Und wenn Sie glauben, Sie hätten es jetzt geschafft,  muss ich Sie enttäuschen: Eine kleine Ankündigung hätte ich, im Namen aller am RKB-Blog Beteiligten: Wir starteten als reiner Konferenzblog. Den zu betreiben, war nicht nur – im Rückblick – sinnvoll. Es hat auch Spaß gemacht, und wir sind auf reichlich Resonanz gestoßen. Die Themen, die hier behandelt werden, bleiben aktuell, womöglich länger, als uns allen lieb ist. Um es kurz zu machen: Wir wollen weitermachen und hier ab und zu Gedanken zur Entwicklung der Wissenschaftskommunikation bewegen, gern in zugespitzter Form, aber sicher nicht mehr in derselben Frequenz wie zuvor, um unauffällig die Brücke zu den Korsetten und zum Thema Zeitnot zu schlagen, die auch zu den zentralen Themen der Tagung gehörte.

P.S.: Sie fragen sich, was es mit den Kutschen im Titel auf sich hat? Dann waren Sie offensichtlich nicht dabei. Alle anderen fragen sich das nicht. Abhilfe schafft der Klick auf L.I.S.A., sobald dort die Videos verfügbar sind. Nehmen Sie sich Zeit, denn es war die wohl meistgebrauchte Metapher der Konferenz. Und wenn Sie schon dabei sind, sei Ihnen hier noch das Interview mit Gudrun Gersmann ans Herz gelegt, das Deutschland Radio Kultur anlässlich der RKB-Konferenz und des recensio.net-Geburtstags sendete.

(1) Den Herrn mit dem Zwiebackschachtelartigen Smartphone haben wir übrigens „Hardy“ getauft. Wir vermissen ihn schon jetzt auf der Startseite von recensio.net)

Quelle: http://rkb.hypotheses.org/413

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Überlegungen zur Datierung der Inschrift CIL XVI, 55

Wie kann man eigentlich eine antike Inschrift datieren? Was für Angaben können hilfreich sein den Zeitpunkt der Abfassung näher zu bestimmen? Zu diesen Fragen sollen am Beispiel der Inschrift CIL XVI, 55 1 einige Überlegungen angestellt werden:

In dem sogenannten Auxiliardiplom aus Weissenburg (röm. Biriciana in der römischen Provinz Raetia) für den Reiter Mogetissa begegnen uns nach kurzem Lesen zahlreiche Ehrentitel desjenigen, der dieses Diplom ausstellen ließ. Natürlich handelt es sich beim Auftraggeber und Verfasser der Inschrift um den Kaiser Trajan. Aber auf welchen Zeitpunkt bzw. Zeitraum lässt sich die Inschrift bzw. die Abfassung der Inschrift datieren?

Mal angenommen, dass jemand populäres vor langer Zeit einen Brief verfasst hat und ich viele Jahre später den Zeitpunkt der Abfassung des Briefes näher bestimmen will, dann muss ich den Inhalt des Briefes auch auf mögliche Ereignisse untersuchen, die mir aus anderen Überlieferungen bzw. Quellen bekannt sind. Berichtet der Verfasser des Briefes über diese Ereignisse und weiß ich wann diese Ereignisse sich zugetragen haben, dann kann ich auch eine Aussage über den ungefähren Zeitraum, in der der Brief verfasst wurde, treffen.

Die Inschrift CIL XVI, 55 gibt Auskunft über drei Angaben (Volkstribunat, Konsulate, Anzahl der militärischen Oberbefehle bzw. Imperator), die zur Datierung der vorliegenden Inschrift hilfreich sind.

Eine zusätzliche Hilfe bieten folgende Informationen zur politischen Laufbahn des Kaiser Trajan: Der Kaiser Marcus Ulpius Traianus bekleidete vom 28. Januar 98 n. Chr. bis zum 7. August 117 n. Chr. das Amt des Kaisers. Er wurde Ende 97 n. Chr. zum Caesar und Anfang 98 n. Chr. zum Imperator, Pontifex Maximus, Pater Patriae und Proconsul erhoben.2

Jetzt muss man die drei Angaben einmal durchgehen:

1. Der Kaiser Marcus Ulpius Traianus war ingesamt einundzwanzig Mal Volkstribun (vom 28.10.99 n. Chr. bis August 117 nach Christus. Die Angabe der Inschrift auf das elfte Volkstribunat verweist auf einen langen Zeitraum zwischen dem vierten Volkstribunat vom 10. Dezember 99 n. Chr. bis zum einundzwanzigsten Volkstribunat am 10. Dezember 116 n. Chr., der wenig Aufschluss über die genaue Datierung der Inschrift gibt.

Der Kaiser Marcus Ulpius Traianus war insgesamt sechsmal Konsul und das in der Inschrift fünfte Konsulatsamt bekleidete er vom 1. Januar bis zum 13. Januar 103 n. Chr.

Hilfreicher für die Datierung der Inschrift ist aber die Anzahl der militärischen Oberbefehle bzw. wie häufig der Kaiser zum Imperator ausgerufen wurde. Vom Herbst 101 n. Chr. bis zum Jahr 116 n. Chr. war er dreiundzwanzigmal Imperator. Die Angabe der Inschrift: „zum sechsten Mal zum Imperator ausgerufen“3 verweist auf den August oder Herbst 106 n. Chr. an dem Marcus Ulpius Traianus zum sechsten Mal zum Imperator ausgerufen wurde. Die Inschrift muss aber vor 114 n. Chr. datiert werden, denn 114 n. Chr. wurde der Kaiser zum siebten Mal zum Imperator ausgerufen.

Zusammenfassend kann für die Datierung der Inschrift nur auf einen Zeitraum von 106 n. Chr. bis 114 n. Chr. gedeutet werden. Nach heutigem Forschungsstand setzt man die Datierung allerdings auf 107 n. Chr. fest.4

Der weitere Inhalt der Inschrift befasst sich noch mit folgendem Sachverhalt: Wir lesen darüber, dass der römische Kaiser Trajan Fußsoldaten und Reitern, die 25 oder mehr Jahre in der römischen Armee gedient haben und ehrenhaft aus dem Militärdienst entlassen worden sind, das römische Bürgerrecht verleiht. Doch nicht nur die Soldaten, sondern auch ihren Kinder und Nachfahren sollten in den Genuss des römischen Bürgerrechts kommen. Außerdem dürfen die Soldaten eine rechtsgültige Ehe mit den Frauen eingehen, die „sie zum Zeitpunkt der Bürgerrechtsverleihung hatten“5 oder die sie in Zukunft haben werden. Besonders wichtig an dem Erlass war aber, dass jeder Soldat nur eine Ehefrau haben durfte. Dies könnte darauf abgezielt haben, dass die meisten der Soldaten zur Zeit der Bürgerrechtsverleihung mehrere Ehefrauen gehabt haben. Möglicherweise hatte auch der Adressat der Inschrift, der Reiter Mogetissa, gegen dieses Monogamiegebot verstoßen und wurde in diesem Diplom wiederholt ermahnt. Dennoch stellen die Aussagen der Inschrift zweifellos allgemeingültige Gebote dar und richten sich nicht allein an den römischen Reiter Mogetissa.

Zu guter Letzt noch eine weitere kleine Hilfe zur zeitlichen Einordnung  der Inschrift: Wir wissen aus anderen Quellen, dass in der Mitte des zweiten Jahrhunderts (ab 140 n. Chr.) die Regelung abgeschafft wurde, dass rückwirkend auch den in der Dienstzeit gezeugten Kindern das römische Bürgerrecht verliehen werden sollte.6 Danach sollte es nur den nach der Dienstzeit des römischen Soldaten gezeugten Kindern gewährt werden das römische Bürgerrecht zu erhalten. Da in dieser Inschrift noch beide Möglichkeiten bestehen, muss die Inschrift weit vor der Mitte des zweiten Jahrhunderts verfasst worden sein.

 

Empfohlene Zitierweise: Blümel, Jonathan (2013): Überlegungen zur Datierung der Inschrift CIL XVI, 55. In: JBSHistoryBlog.de. URL: http://jbshistoryblog.de [Zugriff: DD:MM:YYYY]

 

 

Bibliographie:

  1. Anm.: Der lateinische Inschriftentext befindet sich hier: Mommsen, T. / Nesselhauf, Heribert: Corpus Inscriptionum Latinarum, Vol XVI. Diplomata Militaria. Ex Constitutionibus Imperatrum de civititate et conubio militium veteranorumque expressa. Berolini 1936. S. 52.
  2. Vgl. Kienast, D.: Römische Kaisertabelle : Grundzüge einer römischen Kaiserchronologie. Darmstadt 2004. S. 122-123.
  3. Siehe Lambert, N.; Scheuerbrandt, J.: Das Militärdiplom, Quellen zur römischen Armee und zum Urkundenwesen. Stuttgart 2002.
  4. Poethke, G. / Prignitz, S. / Vaelske, V.: Das Aktenbuch des Aurelios Philamon. Prozessberichte, Annona Militaris und Magie in BGU IV 1024-1027. (Archiv für Papyrusforschung, Beiheft 34, 2012) Berlin u.a. 2012. S. 71. ; Alföldy, Geza. “Zur Beurteilung der Militärdiplome der Auxiliarsoldaten.” Ronzische Heeresgeschichte: Beiträge 1962-1985. Amsterdam 1987. S. 55.
  5. Poethke, G. / Prignitz, S. / Vaelske, V.: Das Aktenbuch des Aurelios Philamon. Prozessberichte, Annona Militaris und Magie in: BGU IV 1024-1027. (Archiv für Papyrusforschung, Beiheft 34, 2012). Berlin u.a. 2012. S. 71.
  6. Poethke, G. / Prignitz, S. / Vaelske, V.: Das Aktenbuch des Aurelios Philamon. Prozessberichte, Annona Militaris und Magie in: BGU IV 1024-1027. (Archiv für Papyrusforschung, Beiheft 34, 2012). Berlin u.a. 2012. S. 72.

Quelle: http://jbshistoryblog.de/2013/02/uberlegungen-zur-datierung-der-inschrift-cil-xvi-55/

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Stichwort: Zivilehe

Dass der Konflikt um die Einführung der obligatorischen Zivilehe in Österreich ein langer und ideologisch behafteter war und schlussendlich durch die Übernahme des nationalsozialistischen Eherechts im Jahr 1938 “gelöst” oder besser beendet wurde, veranschaulicht Ulrike Harmat in ihrem Buch “Ehe auf Widerruf? Der Konflikt um das Eherecht in Österreich 1918-1938″.

Der Standard berichtet heute über den “Versuch einer zivilen Eheschließung” im Libanon, der eine “heftige Debatte” auslöste:

Alles begann mit Englisch-Stunden: Nidal Darwisch, Rezeptionist in einem Fitness-Studio wollte seine Fremdsprachenkenntnisse verbessern. Seine Lehrerin, Kholoud Sukkarieh, sollte auch bald seine große Liebe werden. Vor drei Monaten gaben sich die beiden schließlich das Ja-Wort. All das wäre eine ganz normale Liebesgeschichte, würden der Schiit Nidal Darwisch und die Sunnitin Kholoud Sukkarieh nicht im Libanon leben.
Die Regierung in Beirut erkannte die Hochzeit nicht an, da sie nicht von einem offiziellen Vertreter einer der 18 im Libanon anerkannten Religionsgruppen registriert wurde. Der Fall löste eine heftige Debatte über zivile Eheschließungen im Libanon und wie sie die Balance des konfessionellen Proporzsystems ins Wanken bringen können, aus.

Stefan Binder: Libanon: Eine Hochzeit als Staatsaffäre, DerStandard.at, 06.02.2013.

Ulrike Harmat: Ehe auf Widerruf? Der Konflikt um das Eherecht in Österreich 1918-1938, Frankfurt am Main 1999.


Quelle: http://ehenvorgericht.wordpress.com/2013/02/06/stichwort-zivilehe/

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