29. Die Schachmaschine

Es gibt eben diese Leute, die sich in den Kopf gesetzt haben, besonders rational sein zu wollen. Dabei bedeutet Rationalität für die meisten von ihnen die richtige Vorausschau dessen, was passieren wird. Eine besonders kluge Person ist für sie also eine, die zukünftige Geschehnisse aufgrund der eigenen scharfen Auffassungsgabe aktueller Gegebenheiten vorhersehen kann und so auch dazu fähig ist, korrigierend in zukünftige Geschehnisse einzugreifen. Manchmal zeichnen sich solche Leute dadurch aus, dass sie kurz warten, bevor sie eine Antwort geben, wenn man sie etwas fragt. Dies wirkt abwägend.

Ein besonders gutes Beispiel für das, was ich sagen möchte, war Themistokles (525 – 459 v. Chr.) der Stratege aus Athen mit poliertem Helm, der den persischen Angriff auf die griechische Flotte bei Salamis nicht nur mit Worten provozierte. Kennen Sie die Geschichte? Sie geht in etwa so: Die ollen Perser standen vor dem Angriff auf die versammelte griechische Flotte, die sich (erstaunlicherweise) nicht einig darüber war, was sie tun sollte. Zwist lähmte ihre Koordination und Gedanken an Flucht und Rettung unter einen gemeinsamen Schirm einer neuen Kolonie verbreiteten sich unter den Soldaten. Themistokles kannte das Problem und löste es durch eine List: Er schickte nämlich einen Boten zu Xerxes, dem er seinen Seitenwechsel anbot. Xerxes war misstrauisch und dachte sicher, Themistokles wolle lediglich erreichen, dass er ungehindert an den persischen Schiffen vorbeifahren und fliehen konnte, solange Xerxes eben denke, dass er die Seiten wechseln wolle. Genau deshalb schickte er also gleich Schiffe auf Themistokles zu, die ihn einfangen sollten. Hätten Sie sicher auch so gemacht, oder? Ich jedenfalls ganz bestimmt, solange der Feldherrenmantel richtig säße. Sie wissen ja, die B-Note zählt immer. Jedenfalls ging Themistokles’ versteckte Strategie in doppeltem Sinne auf. Die entmutigten Griechen, die dem Kampf mit den Persern ja eigentlich eher entkommen wollten, dachten, es handele sich beim Versuch der Perser, Themistokles’ Schiff einzufangen, nun um einen frühzeitigen Gesamtangriff. Für Flucht war es demnach natürlich zu spät. Was blieb, war also der Kampf mit bekanntem Ausgang: Xerxes wurde nass gemacht und Themistokles hat auf voller Linie gewonnen.

Und alle so „Wuuuaah, Themistokles, voll tapfer und so.“ „Buuah, der wollte alleine gegen die Perser kämpfen.“ Statue hier, Kranz da. Sie wissen ja, wie das geht.

Themistokles ist also rational an das Problem des Zwistes zwischen den Griechen ran gegangen, hat die Begebenheiten erkannt, gewusst, dass die Griechen gewinnen könnten, und klug gehandelt. Sein Ziel erreicht. Derselbe Themistokles hatte einige Zeit später aber eine ähnliche Idee: Als nämlich die Perser gänzlich zurückgeschlagen waren, haben die Griechen sich dafür entschieden, eine gemeinsame Flotte aufzubauen und sie in Athen zu stationieren. Quasi als sichere Anleihe gegen künftige Angriffe von Barbaren an Athen. Themistokles hatte nun den Einfall, einfach all nicht-athenischen Schiffe anzuzünden. Zack. Ich nenne das den Default Swap Trick. Das hätte bedeutet, dass Athen die absolute Übermacht gegenüber den anderen Stadtstaaten gewonnen hätte, da die Perser eben geschlagen waren und es damit auf lange Zeit auch keine innergriechischen Konkurrenten mehr gegeben hätte. In den Geschichtsbüchern hätte Themistokles für eine solche Tat den Titel „Asi“ erhalten. Themistokles, der Asi. Denn seine Tat wäre einfach ruchlos gewesen.

Was ist aber der Unterschied zwischen dem ersten und dem zweiten Kalkül? Danke, genau, die Ziele. Extremer ausgedrückt hätte Themistokles ja auch sehr kalkuliert oder mit einer funktionierenden List alles athenische Geld in die bretonische Keulen-Produktion investieren können. Wer aber ein solch hirnloses Investitionsziel verfolgt und erreicht, gleich wie, wird sicher nicht mehr als klug oder rational angesehen. Oder? Wäre die Verbrennung der anderen griechischen Schiffe klug gewesen? Das hängt eben davon ab, welche Ziele man als gut oder schlecht ausmacht. Sehen Sie, ich glaube nämlich, dass es ein großer Fehler ist, Rationalität einfach mit Kalkül gleichzusetzen. Kalkül gehört klarerweise irgendwie dazu. Aber was dem Kalkül natürlich vorausgeht, ist die Auswahl der richtigen Ziele auf welche das Kalkül hinarbeiten kann, oder? Themistokles wollte die Freiheit Griechenlands. Das war sein erstes Ziel. Und das hat er mit dem beschriebenen Kalkül erreicht. Deshalb gilt er als klug, rational und hat eine Statue bekommen. Bravo. Das freiwillig gewählte Ziel, schlechte Investitionen in die bretonische Keulen-Produktion zu tätigen, ist hingegen dumm, gleich wie kalkuliert man die Sache einfädelt. Rationalität und Klugheit hängt also selbstverständlich mit den Zielen zusammen, die man wählt. Welche Ziele haben Sie gewählt? Die eigene Durchsetzung? Fraglich, ob es ein gutes Ziel ist. Einen hohen sozialen Status zu erreichen? Reichtum? Eine hohe Publikationsdichte? Wissen? Sorglosigkeit? Ausgeglichenheit? Macht?

Was sind gute Ziele?

Es ist immer dasselbe. Man sucht nach einer Antwort und stößt auf weitere Fragen. Aber diese gibt es beim nächsten Mal. Denn bald macht die Börse in Rennes auf.

Gut geschrieben und interessant: Plutarchus: Die grossen Griechen und Römer.

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/343

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durchsichten: Antisemitismus im 19. Jahrhundert in transnationaler Perspektive

http://de.hypotheses.org/8390 Die Vernichtung der europäischen Juden durch die Nationalsozialisten hat in Deutschland zu einer intensiven Beschäftigung mit der Geschichte des deutschen Antisemitismus geführt. Die Literatur ist mittlerweile in einer Weise angewachsen, dass sie auch von Experten kaum noch übersehen werden kann. Trotz der Vielzahl an Veröffentlichungen ist der Forschungsstand aber durch eine deutliche Fehlstelle gekennzeichnet, […]

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2014/07/5210/

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Mord aus Notwehr

Durch die Mainzer Domprotokolle erfahren wir von einer Tat des Trechtingshäuser Friedrich Schwartz. Er tötete Heinrich aus Ockenheim, der zunächst nur “Heinrich Okenheim”, in den folgenden Protokollen aber “von Ockenheim” bezeichnet wurde. Die Uneinigkeit könnte durch Unachtsamkeit entstanden sein. Heinrich … Continue reading

Quelle: http://ockenheim.hypotheses.org/426

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Ohlsdorf: Ein Friedhof in bewegten Zeiten

Friedhöfe sind nicht nur Orte der Trauer und der Verstorbenen. Es sind lebendige Räume. Sie geben Einblick in eine Gesellschaft und ihren Umgang mit dem Tod. Der großflächige Friedhof in Hamburg-Ohlsdorf wurde als englischer Landschaftsgarten angelegt. Er wurde zum Vorbild für viele weitere städtische Begräbnisplätze. Welche Geschichte erzählt dieser Parkfriedhof?

Von Norbert Fischer

Die Geschichte des Hamburger Parkfriedhofs Ohlsdorf, der in der Kaiserreichzeit entstand, spiegelt die spannungsreiche Geschichte von Tod und Bestattungskultur. Die Veränderungen, welche Ende des 19. Jahrhunderts die Gesellschaft auf sozialer, wirtschaftlicher, technischer und politischer Ebene ergriffen, offenbaren sich in der Bestattungskultur. Der Hamburger Landschaftsfriedhof Ohlsdorf entstand 1877, in einem Zeitraum großer Umgestaltungen und Umbrüche in der Industrie, in den Städten, in der Wissenschaft und der Technik. Wie kein anderer Großfriedhof in Deutschland repräsentierte Ohlsdorf dabei die Sehnsucht nach einem möglichst naturnah gestalteten Raum. Der Friedhof bot einen gesellschaftlichen Fluchtpunkt gegenüber den neuartigen, auch in Hamburg immer massiver den Alltag prägenden großstädtisch-industriellen Lebenswelten. Die Gestaltung des Ohlsdorfer Friedhofs als landschaftliches Gesamtkunstwerk verweist direkt auf die gesellschaftlichen Verwerfungen einer alle Lebensbereiche umfassenden Umbruchsphase. Wie wirkte sich diese Angst vor Neuem auf die Friedhofsgestaltung aus und welche Aufgaben musste ein moderne Friedhof in dieser Zeit erfüllen?

Geschichte des Parkfriedhofs Ohlsdorf

Der im Norden der Hansestadt angelegte Friedhof erhielt in den 1880er Jahren als einer der ersten Großfriedhöfe Deutschlands den prägenden Stil des englischen Landschaftsgartens und wurde zu einem national und international weithin beachteten Vorbild. Früher als in Deutschland hatte sich die Tendenz zum landschaftlich gestalteten Friedhof jedoch in anderen Ländern gezeigt. In Frankreich wurde der 1804 eröffnete neue Pariser Ostfriedhof – besser bekannt unter dem Namen Père Lachaise – als malerischer Landschaftsgarten eingerichtet. Später wurden vor allem im angloamerikanischen Raum etliche landschaftliche Friedhöfe, sogenannte „rural cemeteries“ angelegt: beispielsweise Mount Auburn in Cambridge/ Massachusetts (1831), Laurel Hill Cemetery in Philadelphia (1836), Greenwood Cemetery in Brooklyn/ New York (1838) und Little Ilford in London (1856). In Deutschland waren es in den 1860er und 1870er Jahren der Alte Friedhof in Schwerin, der Kieler Südfriedhof und die Friedhöfe Riensberg und Walle in Bremen, die landschaftsnah gestaltet wurden.1 Hier fand die Verwandlung einer Friedhofsästhetik ihren Höhepunkt, deren Traditionslinien ins frühe 19. Jahrhundert zurückreichen. Auch der englische Landschaftsgarten des 18. Jahrhunderts übte starken Einfluss auf diese Art der Friedhofsgestaltung aus.2

Ein landschaftliches Gesamtkunstwerk

Im Jahre 1877 wurde der Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg eröffnet. Der Architekt und spätere Friedhofsdirektor Wilhelm Cordes orientierte sich bei der Friedhofsgestaltung an diesem englischen Stil. Dieser zeichnete sich durch eine naturnahe Landschaftsgestaltung mit wenigen Blühpflanzen und sich durch die Landschaft schlängelnde Wege und Flüsse aus. Man orientierte sich an Landschaftsgemälden, sodass die Parks zu Kunstwerken wurden. Betrachtet man unter dieser Aussage den Ohlsdorfer Friedhof genauer, erscheint er ebenfalls als ein landschaftlich gezeichnetes Gesamtkunstwerk. Anregungen für diese Art der Landschaftsgestaltungen kamen aus England und der Kunst. Ein berühmtes Beispiel ist das zur gleichen Zeit entstandene populäre Gemälde „Toteninsel“ von Arnold Böcklin, welches ebenfalls als „Landschafts – Denkmal“ konzipiert worden war.3 Es zeigt eine aus dem Meer ragende Felsinsel, in deren Nischen Grabkammern eingelassen wurden. Ein Kahn mit einer weißverhüllten Gestalt, einem ebenfalls weißen Sarg und einem Ruderer steuern die mit Zypressen bewachsene Insel an.

Ein Friedhof zwischen Natur, Kultur und Technik

In der Kaiserreichzeit lag der Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg zehn Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. Diese Begräbnisstätten waren zu Fuß nicht mehr zu erreichen. So wurden die außerstädtischen Großfriedhöfe teilweise mit Bahnstrecken an die Stadt angebunden. Neben Ohlsdorf erhielt z.B. auch der 1909 eröffnete Stahnsdorfer Friedhof in Berlin eine eigene Bahnanbindung. Die Anlange von Großfriedhöfen weit außerhalb der Städte veränderte die Grundvoraussetzungen an Friedhöfe und wirkte sich auf die Bestattungskultur aus. Der neue Begräbnisplatz wurde am Rande der Stadt auf einem freien Feld angelegt. Diese Lage war typisch für jene Großfriedhöfe, die Ende des 19. Jahrhunderts entstanden, weil die Städte durch das industrielle Wachstum in dieser Zeit rasch wuchsen. Durch seine wie gemalte Natur – und Landschaftskulisse, die den Tod in die Pracht der Bäume und Sträucher, Hügel, Bäche und Teiche geradezu einbettete, wurde der Friedhof zu einem sonntäglichen Ausflugsziel der großstädtischen Bevölkerung. Dazu hieß es in einer Illustrierten von 1906: “Nie wird man müde, den Sinn zu bewundern, der hier schaffend gewaltet. Der die Brücken schlug von Natur zu Kunst, von Kunst zu Natur. Zu höherer Einheit ist beides hier verbunden. Man wandelt wie in einer anderen Welt, wo die Gegensätze sich aufheben.“4 An diesem überschwänglichen Lob wird deutlich, wie der Friedhof Natur, Kultur und Technik zu einem harmonischen Arrangement verband.

Begünstigt wurde der landschaftsgestalterische Entwurf nach dem Vorbild der englischen Landschaftsgärten durch die lokalen topographischen Gegebenheiten. Das vorhandene, leicht hügelige Terrain forderte geschwungene Wege geradezu heraus, wollte man die notwendigen Erdarbeiten möglichst gering halten. Die später landschaftlich so reizvollen Teiche waren Ergebnis der technisch notwendigen Drainagearbeiten. Der Stettiner Friedhofsleiter Georg Hannig würdigt in seinem zeitgenössischen Werk “Der Friedhof und seine Kunst” die Anlage mit folgenden Worten: “Allein aus dem Zweck heraus ist hier alles geschaffen und einem Willen angepaßt. Das Gelände ist verwertet, wie es sich gerade bot … “5Die bunte Vielfalt aus heimischen und exotischen Pflanzen und Bäumen wie auch die Anlage eines “Geologischen Hügels” verwiesen zugleich auf pädagogische Absichten: Der Friedhof war nicht nur eine Stätte der Pietät, sondern hatte als botanisch-geologisches Freilichtmuseum auch eine moralisch-belehrende Funktion.

Aufgaben und Funktionen

Nach seiner Eröffnung präsentierte sich der Friedhof mit seinen idyllischen Teichanlagen und Bachläufen, verschlungenen Wegen, künstlich geschaffenen Hügeln und seiner betont abwechslungsreichen Bepflanzung als Synthese aus Natur, Kunst und Technik. Diese Synthese unterschiedlicher Funktionen war das Bestreben im Gesamtkunstwerk Ohlsdorf. Nicht umsonst äußerte sich der langjährige Friedhofsdirektor von Ohlsdorf, Wilhelm Cordes, in einem Friedhofsführer 1897 über die Aufgaben: “Der Friedhof soll nicht eine Stätte der Todten und der Verwesung sein. Freundlich und lieblich soll alles dem Besucher entgegentreten und dadurch der Ort aus der umgebenden Landschaft herausgehoben und geweiht werden.”6 Und weiter: “In der richtigen malerischen Vereinigung von Architektur, Sculptur und Landschaftsgärtnerei liegt ein weiter Spielraum für die Phantasie und ein unerschöpfliches, freies Arbeitsfeld; und ein Friedhof, nach diesen Gesichtspunkten geleitet, könnte vorbildlich werden für das harmonische Zusammenwirken von Architektur, Sculptur und Landschaftsgärtnerei.”7

Wachsendes Interesse an Grabstätten

Zugleich hatte die landschaftliche Differenzierung den Vorzug, reizvoll gelegene und privilegierte Bestattungszonen zu schaffen, die zu entsprechend hohen Gebühren verkauft werden konnten. Aufgrund ihrer stellenweise malerischen Lage erfreuten sich diese Bereiche zunehmender Beliebtheit. Je reizvoller die Anlage, desto höher die Gebühreneinnahmen: Diese Regel war den Friedhofsträgern auch damals durchaus geläufig. Das zeigt folgende Feststellung des bereits zitierten Georg Hannig: “Es ist eine überall beobachtete Tatsache, daß auf Friedhöfen, die dem ästhetischen Bedürfnis durch reichlich bemessene Anpflanzungen mehr Rechnung tragen als bisher, die Zahl der besseren Kaufgräber gerade dieses eben erwähnten Umstandes halber prozentual ganz erheblich steigt.”8 Nicht umsonst wurde um die Jahrhundertwende von Ohlsdorf berichtet, daß die Nachfrage nach größeren Grabstätten im Waldgürtel auffallend gestiegen war.9 Durch die sich nun entfaltete Vegetation entwickelte sich dieser zu einem der stimmungsvollsten Teile des Friedhofs. Gerade im bewaldeten Teil des Zentralfriedhofs wurden nur die entsprechend teuren Familiengrabstätten zugelassen, aber keine Reihengräber. Hier wurden dann jene naturgeprägten, großflächigen Grabmaltypen errichtet, die in besonderem Maß dem Stilrepertoire des Landschaftsgartens entsprachen, wie Felsen und Findlinge.10

Ohlsdorf als Vorbild

Ohlsdorf wurde zum ästhetischen Vorbild für die Friedhofsgestaltung des späten 19. Jahrhunderts und auf mehreren Ausstellungen, auch einem internationalen Publikum, vorgestellt.11 So wurde der Friedhof z.B auf der Pariser Weltausstellung 1900 als Modell deutscher Gartenkunst prämiiert.12

Zur Jahrhundertwende erwies sich der Ohlsdorfer Friedhof als ein wichtiges städtisches  Renommierobjekt. In einem lokalen Hamburger Pressebericht hieß es: “Auch im letzten Jahre wurde der Friedhof von den hiesigen Vereinen sowie von auswärtigen Behörden, unter anderem von Berlin, München und Flensburg zum Studium für dort geplante Friedhofsanlagen besichtigt.“13 Entsprechend beeinflusste Ohlsdorf die Gestaltung anderer Friedhöfe. In Köln entstanden mit dem Nord – (1895/96) und dem Süd – Friedhof (1900) ebenfalls landschaftlich orientierte Anlagen, in Hannover wurde der Stöckener Stadtfriedhof ab 1901 landschaftsparkähnlich erweitert. Auf dem Mannheimer Hauptfriedhof wurden die Erweiterungsflächen der bisher streng rechteckig ausgerichteten Anlage durch kreis- und ellipsenförmige Wege und ansprechende Bepflanzung gartenarchitektonisch aufgewertet (1892 bzw. 1900). Der prämiierte und 1907 auf einer Gartenbauausstellung präsentierte Entwurf für einen neuen, wegen des Ersten Weltkriegs dann nicht realisierten Mannheimer Zentralfriedhof sah gleichfalls eine landschaftsartige Gestaltung mit einem Teich vor.14 Darüber hinaus sorgte das Gesamtkunstwerk Ohlsdorfer Friedhof mit dafür, daß die Forderung nach abwechslungsreicher Bepflanzung von Friedhöfen ebenso zu einem Thema in der Zeit des Kaiserreiches wurde als auch die Einpassung von Klein- und Kleinstarchitektur, wie Brunnen, Wegweiser und Orientierungstafeln, in das Gesamtbild.15 Anfang des 20. Jahrhunderts kam sogar ein Handbuch speziell für landschaftliche Friedhöfe heraus.16

Tod und Trauer

Der Ohlsdorfer Friedhof mit seinen unterschiedlichen Funktionen und Aufgaben entwickelte sich in der Kaiserreichzeit zu einem Vorreiter und Vorbild in der landschaftlichen Gestaltung von Friedhöfen. Neben der naturnahen, romantischen Friedhofsgestaltung entwickelte sich zeitgleich und diametral ein eher praktisch – rationaler Umgang mit Tod und Trauer durch die Einführung der modernen Feuerbestattung, die Aspekte wie Hygiene und Technik in den Fokus rückte.



[i] Barbara Leisner: Ästhetisierung der Friedhöfe. Die amerikanische Parkfriedhofsbewegung und ihre Übernahme in Deutschland. In: Norbert Fischer/Markwart Herzog (Hrsg.): Nekropolis. Der Friedhof als Ort der Toten und der Lebenden. Stuttgart 2005, S. 68-70; zu Schwerin siehe auch Anja Kretschmer: Häuser der Ewigkeit. Mausoleen und Grabkapellen des 19. Jahrhunderts. Eine Einführung in die Sepulkralkultur am Beispiel Mecklenburg-Vorpommerns. Hamburg 2012, S. 103-106.

 

[i] Leisner: Ästhetisierung (wie Anm. 1), S. 59-78; Barbara Leisner /Ellen Thormann/Heiko K. L. Schulze: Der Hamburger Hauptfriedhof Ohlsdorf. Geschichte und Grabmäler. Bearbeitet von Andreas von Rauch. Zwei Bände. Hamburg 1990; als neueren Überblick siehe Helmut Schoenfeld (unter Mitarbeit von Norbert Fischer, Barbara Leisner und Lutz Rehkopf): Der Ohlsdorfer Friedhof. Ein Handbuch von A-Z. Bremen 2006.

 

[i] Franz Zelger: Arnold Böcklin: Die Toteninsel. Selbstheroisierung und Abgesang der abendländischen Kultur. Frankfurt/M. 1991, S. 54; zum “Landschafts-Denkmal” ebd., S. 7.

 

[i] Georg Hannig: Der Friedhof und seine Kunst. Zeitgemäße Betrachtungen über die Ausgestaltung unserer Friedhöfe. Berlin 1908, S. 50.

 

[i] Georg Hannig: Der Friedhof und seine Kunst. Zeitgemäße Betrachtungen über die Ausgestaltung unserer Friedhöfe. Berlin 1908, S. 50.

 

[i] Friedhof zu Ohlsdorf-Hamburg. Führer. Hamburg o. J. [1897], S. 14.

 

[i] Ebd., S. 15.

 

[i] Hannig (wie Anm. 4), S. 1.

 

[i]  ”Von der Todtenstadt in Ohlsdorf”. In: Hamburger Fremdenblatt vom 13.7.1901, S. 6.

 

[i] Zu diesen Grabmälern siehe Leisner u.a. (wie Anm. 2), Band I, S. 83-89.

 

[i] Barbara Scharf: Der Ohlsdorfer Friedhof im Spiegelbild großer Ausstellungen. In: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte 78, 1992, S. 135-161, hier S. 139.

 

[i] Scharf (wie Anm. 5), S. 143.

 

[i] Von der Todtenstadt in Ohlsdorf”. In: Hamburger Fremdenblatt vom 13.7.1901, S. 6.

 

[i] Volker Keller: Architektur der Friedhöfe. In: Jugendstilarchitektur um 1900 in Mannheim. Red.: Jörg Schadt. Mannheim 1986, S. 181-184.

 

[i] Hannig (wie Anm. 4), S. 119-120 sowie S. 138-141.

 

[i] Hans Pietzner: Landschaftliche Friedhöfe, ihre Anlage, Verwaltung und Unterhaltung. Leipzig 1904.

 

Quelle: http://www.hh-geschichten.uni-hamburg.de/?p=1474

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Auf fünf Minuten mit Hartmut Rosa (5/2014)

Daniel Meyer vom Studentenmagazin Akrützel  stellt dem renommierten Gesellschaftstheoretiker Hartmut Rosa nicht nur Fragen rund um seine Person und Beschleunigungstheorie, sondern lässt ihn auch das aktuelle Zeitgeschehen kompetent und humorvoll kommentieren. Wir freuen uns, diese  Kurzinterviews in unserem Blog veröffentlichen und somit … Continue reading

Quelle: http://soziologieblog.hypotheses.org/7041

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Ein Bild sagt mehr …: Das “Alte Observatorium von Beijing” vom 17. Jh. bis ins 21. Jh.

Der aktuelle Header von mind the gap(s) basiert auf einem Foto, das im September 2011 in Beijing entstand:

Beijing, September 2011

Beijing, September 2011 | © Georg Lehner

Das Bild blickt vom Straßenniveau hinauf auf das Běijīng gǔ guānxiàngtái 北京古觀象台, auf das “Alte Observatorium von Beijing”, genauer: zu den Instrumenten auf dem Beobachtungsturm dieses Observatoriums. Dieser Beobachtungsturm  stammt aus der Ming明-Dynastie 1442, doch schon in der Yuan 元-Zeit befande sich in dem Bereich ein Observatorium.

Das Observatorium wurde laufend erneuert und seine Ausstattung verbessert, zuletzt im siebtzehnten und achtzehnten Jahrhundert durch Jesuitenmissionare, die für die Berechnung des Kalenders zuständig waren. Nach der Unterdrückung der Yihetuan 義和團-Bewegung wurde das Observatorium von den Alliierten Truppen geplündert.[1] Die Beutestücke wurden von Frankreich 1902 zurückgegeben, von Deutschland 1921.[2]

Heute befinden sich auf der Plattform acht Instrumente aus dem siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert:

  • die Neue Armillarsphäre (1744)
  • ein Quadrant (1673)
  • ein Himmelsglobus (1673)
  • eine  ekliptische Armillarsphäre (1673)
  • ein Altazimut-Instrument (1673)
  • ein Azimutal-Theodolit (1715)
  • ein Sextant (1673)
  • eine äquatoriale Armillarsphäre (1673)

Die Instrumente aus dem 17. Jahrhundert stammen von Ferdinand Verbiest, S.J., der 1669 die Leitung des kaiserlichen Kalenderamtes übernommen hatte und 1673 einige der Instrumente erneuerte (Altazimut, Himmelsglobus, ekliptische Armillarsphäre, äquatoriale Armillarsphäre, Quadrant und Sextant), der Azimutal-Theodolit von Kilian Stumpf (1655-1720) und die Neue Armillarsphäre von Ignaz Koegler, S.J. (1680-1746) und Augustin Hallerstein, S.J. (1703-1774).

Das Bild im Header zeigt Teile von drei Instrumenten: (von links:) der äquatorialen Armillarsphäre[3], des Altazimut-Instruments[4] und des Azimuth-Theodoliten[5].

Die äquatoriale Armillarsphäre und das Altazimut-Instrument sind in einigen von Ferdinand Verbiests Werken abgebildet, unter anderem im  新製儀象圖 [Xinzhi yixiang tu[6], und im Compendium proponens XII posteriores figuras Libri observationum, nec non priores VIII figuras Libri organici. Astronomia europaea sub imperatore Cám Hý ex umbra in lucem revocata][7], s. äquitoriale Armillarsphäre 赤道經緯儀 [chìdào jīngwěiyíund Altazimut-Instrument  地平經儀 [dìpíngjīngyí].

Einen Gesamteindruck von der Situation 1673 gibt Verbiest mit einer Abbildung der Beobachtungsplattform:.

新製儀象圖 Xin zhi yi xiang tu. Liber organicus Astronomię Europęę apud Sinas

新製儀象圖 Xin zhi yi xiang tu. Liber organicus Astronomię Europęę apud Sinas (1668) | Quelle: gallica[8]

Im Atlas général de la Chine, de la Tartarie chinoise, et du Tibet (1790 ?)[9], einer um einige Tafeln ergänzten Neuauflage des Nouvel atlas de la Chine, de la Tartarie chinoise, et du Thibet (1737)[10],  findet sich eine Abbildung des “Observatoire de Peking” … allerdings seitenverkehrt:

Jean-Baptiste Bourguignon d’Anville: Observatoire de Peking. Via Wikimedia Commons.

Im 19. Jahrhundert machten einige der ersten Photographen, die in China arbeiteten, Aufnahmen vom Observatorium, darunter: John Thomson (1837-1921) “Peking Observatory.” (1874), Thomas Child (1841-1898): “Bronze armillary, Peking Observatory, 1875″ (1875) und “Some instruments on top of the observatory (Pekin).” (1890). Damals ragte der Beobachtungsturm über die Umgebung hinaus, während dermächtige Bau heute neben Stadtautobahnen und Hochhäusern fast unscheinbar wirkt und sich erst auf den zweiten Blick (und nach dem Aufstieg über eine steile Treppe) erschließt.

  1. Eine englische Aufnahme gibt einen Eindruck vom Observatorium vor der Plünderung: National Archives, Image ID 26564: Astronomical instruments in the Imperial Observatory on the city wall, Peking (1900).
  2. Vgl. die kurzen Anmerkungen bei Joseph Needham, Science and Civilisation in China: Volume 3, Mathematics and the Sciences of the Heavens and the Earth (Cambrige et al., Cambridge University Press 1959) p. 451 n. g. Zu der Debatte um die Rückgabe der Instrumente in den 1910er Jahren s. W. W. Campbell: “Kaiser Wilhelm as a Pillager in Boxer Days; He Refused to Return China’s Astronomical Instruments, Though France Set an Example, and Used Them to Ornament Potsdam Palace Grounds”. New York Times, January 06, 1918, , Section The New York Times Magazine, Page 71. Zu den Instrumenten in Potsdam s. Rolf Müller: “Die astronomischen Instrumente des Kaisers von China in Potsdam”, in: Atlantis, Heft 2 (Februar 1931), S. 120 f.
  3. S. dazu: Marilyn Shea: Equatorial Armilla – 1673 – 赤道经纬仪 <zuletzt abgerufen am 28.6.2014>.
  4. S. dazu: Marilyn Shea: Altazimuth – 地平经仪 <zuletzt abgerufen am 28.6.2014>.
  5. Marilyn Shea: Azimuth Theodolite 地平经纬仪 <zuletzt abgerufen am 28.6.2014>.
  6. 新製儀象圖 Xin zhi yi xiang tu. Liber organicus Astronomię Europęę apud Sinas Restitutę sub Imperatore Sino-Tartarico Cām-Hȳ appellato Auctore P. Ferdinando Verbiest Flandro-Belga Brugensi E Societate Jesu Academię Astronomicę In Regia Pekinensi Pręfecto Anno Salutis MDCLXVIII ([Beijing] [1674] – Digitalisat: gallica. Digitalisate aller Drucke: Museum of the History of Science [in sehr guter Qualität].
  7. Ferdinand Verbiest: Compendium proponens XII posteriores figuras Libri observationum, nec non priores VIII figuras Libri organici. Astronomia europaea sub imperatore Cám Hý ex umbra in lucem revocata (Pekini: [s.n.] 1678) – Digitalisate: gallica, [relativ bescheidene Bildqualität] Universiteit Antwerpen, Erfgoedbibliotheek Hendrik Conscience [gute Bildqualität].
  8. Diese Abbildung findet sich auch im [Compendium proponens XII posteriores figuras Libri observationum, nec non priores VIII figuras Libri organici. Astronomia europaea sub imperatore Cám Hý ex umbra in lucem revocata].
  9. Jean Baptiste Bourguignon d’Anville: Atlas général de la Chine, de la Tartarie chinoise, et du Tibet : pour servir aux différentes descriptions et histoires de cet empire  (Paris : Dezauche [1790?].
  10. Jean-Baptiste Bourguignon Anville:  Nouvel atlas de la Chine, de la Tartarie chinoise et du Thibet (La Haye: Scherleer 1737) – Digitalisate → Bibliotheca Sinica 2.0.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1581

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DARIAH-DE Tutorial “Digitale Textedition mit TEI” online

Kodierung von "surface" und "zone" beim dokument-zenrierten Kodieren mit TEI.

Kodierung von “surface” und “zone” beim dokument-zenrierten Kodieren mit TEI.

Das DARIAH-DE Tutorial Digitale Textedition mit TEI ist nun vollständig online. Das Tutorial, das Teil der DARIAH-DE Schulungsmaterialien ist, besteht aus einer Reihe von Kapiteln, die aufeinander aufbauend in verschiedene Aspekte der Kodierung und Edition von Texten nach den Guidelines der Text Encoding Initiative einführen.

Das Tutorial ist für den Einsatz in der Lehre konzipiert, kann aber auch im Selbststudium eingesetzt werden. Für weiterführende Lektüre zum Thema verweisen wir auf die Sammlung zum Thema “Enrichment” in der Doing Digital Humanities”-Bibliographie, die von DARIAH-DE auf Zotero zur Verfügung gestellt wird.

Jedes Kapitel behandelt einen bestimmten Aspekt des Themas und besteht jeweils aus drei Elementen: erstens aus einem Foliensatz für ein Inputreferat, das in die wichtigsten jeweils einschlägigen Begriffe und Elemente der TEI einführt; zweitens aus einem oder mehreren Aufgabenblättern, die zur praktischen Einübung des Gelernten dienen; und drittens aus den diversen Materialien, die für die Bearbeitung der Aufgaben notwendig sind, bspw. digitale Faksimiles, Transkriptionen, XML-Dateien, und mehr. Das Tutorial umfasst die folgenden Kapitel:

  1. Einführung in die digitale Textedition
  2. Was sind Markup und XML?
  3. Grundlagen der Textkodierung mit TEI
  4. Die TEI Guidelines, Kapitel 1-23
  5. Metadaten im teiHeader festhalten
  6. Primärquellen kodieren
  7. Varianten kodieren
  8. Dokument-zentriertes Kodieren
  9. Manuskript-Beschreibung
  10. TEI anpassen mit Roma
  11. Verwendung von XPath

Die Tutorials wurden von Christof Schöch an der Universität Würzburg umgesetzt und sind in den vergangenen zwei Jahren u.a. im Rahmen von DARIAH-DE entwickelt worden und konnten bisher in einer Reihe von Lehrveranstaltungen (universitäre Lehrveranstaltungen auf BA-Niveau sowie diverse Workshops für NachwuchswissenschaftlerInnen aus den Geisteswissenschaften) eingesetzt werden. Die Publikation als DARIAH-DE Schulungsmaterial konnte mit Unterstützung durch Mareike Laue, Philip Dürholt, Sina Bock und Keli Du, Universität Würzburg, realisiert werden. Die Aufgabenblätter selbst sind in TEI geschrieben und wurden mit Hilfe des Satzprogramms XML-Print automatisch in PDF-Dateien verwandelt.

Die Folien und Aufgaben basieren in großen Teilen auf den Materialien, die das Team “Digital Humanities @ Oxford” für die dortige Summer School 2012 entwickelt und veröffentlich hat. Die Materialien sind durchgehend nicht nur übersetzt, sondern auch weiter entwickelt und durch neue Themen, Aufgaben und Materialien ergänzt worden. Dies ist aufgrund der Creative-Commons-Lizensierung der Oxforder Materialien möglich. Wir publizieren die vorliegenden Tutorials mit der Lizenz Creative Commons Attribution 4.0 International (CC-BY), um weitere Bearbeitungen zu ermöglichen.

Neben den PDF-Dateien, die zur unmittelbaren Nutzung heruntergeladen werden können, stehen auch die XML-Dateien der Aufgabenblätter <http://dev.dariah.eu/svn/TTEI/Aufgaben/XML/> (einschließlich des RNG-Schemas, der ODD-Datei sowie der beiden Konfigurationsdateien für XML-Print) zum Download bereit. Dadurch können im Sinne der CC-BY Lizenz von Dritten Anpassungen an den Aufgaben vorgenommen und erneut mit XML-Print veränderte PDF-Dateien generiert werden. Die Speicherung im Hintergrund erfolgt in einem SVN-Repository, das die Nachverfolgung aller zukünftigen Änderungen erlaubt.

Über Rückmeldung zu dem TEI-Tutorial (sei es Lob, seien es Hinweise auf Ungenauigkeiten) freuen wir uns sehr und bitten um eine kurze Email an christof.schoech@uni-wuerzburg.de.

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=3722

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Hans-Ulrich Wehler ist tot

Von Stefan Sasse

Hans-Ulrich Wehler ist heute im Alter von 82 Jahren gestorben. Wehler gehört zu den profiliertesten deutschen Historikern des 20. Jahrhunderts. Seit den 1970er Jahren pionierte er die Sozialgeschichte als neues, ja dominantes Feld der deutschen Geschichtsforschung und kann damit das Verdienst für sich an Anspruch nehmen, von den ewigen Geschichten großer Männer, politischer Konferenzen und Kriege als Haupterklärmuster der Geschichtswissenschaft abgekommen zu sein, unter dem gerade die angelsächsische Geschichtsforschung sehr häufig noch leidet. 

Gleichzeitig ist meine eigene Beziehung zu Wehler sehr zwiespältig. Als ich seinerzeit 2005 mein Geschichtsstudium begann, setzte sich mein allererster Proseminar ausgerechnet mit seiner Sonderwegsthese auseinander. Sie gehört immer noch zu den Standarderklärmustern der neueren deutschen Geschichte, auch wenn sie gerade durch das Weltkriegsjubiläum dieses Jahr stärker unter Beschuss gerät als je zuvor. Die Idee, dass Deutschland gewissermaßen unnatürlich sei und daher der Weg in den Nationalsozialismus erklärbar, ging immer davon aus, dass Frankreich und Großbritannien irgendwie ein Normalfall wären - was sie leider nicht sind. Wehler beging damit ironischerweise denselben Fehler wie Fritz Fischer, dessen Alleinschuld-Narrativ er mit zu verdrängen half. 

Doch bleiben wird Wehlers Leistung auf anderem Gebiet: der Sozialforschung. Er entwarf in fünf dicken Bänden ein detailliertes Bild der deutschen Gesellschaft zwischen 1800 und der Wiedervereinigung, auf der man heute noch aufbaut. Dazu inspirierte er zahllose weitere Historiker, von liebgewonnen Klischees und Betrachtungsweisen abzukommen und öffnete die Tür für eine Reihe emanzipatorischer Geschichtsbilder, die eine ungeheuer vielschichtere Lesart der Geschichte ermöglichen als ehedem. Mit Wehler geht eine Menge Sicherheit über die deutsche Geschichte verloren, wird alles diffuser und komplexer. Er hat den Zugang zur Geschichte sicher nicht vereinfacht, wie so mancher Schüler sicher bestätigen kann. Aber er hat sie präziser gemacht und der Politisierung entrückt. Das ist eine Leistung, die wir ihm nie vergessen werden.

Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2014/07/hans-ulrich-wehler-ist-tot.html

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Voransicht der Edition: Protokoll der 82. Sitzung des Gesamtreichsministeriums, 1849 Januar 22

Die Edition der Protokolle und ausgewählter Akten der Provisorischen Zentralgewalt für Deutschland soll Ende des Jahres 2014 im Manuskript fertig gestellt sein. Ein Teil der Dokumente ist aber bereits jetzt fertig bearbeitet. Als Kostprobe der geplanten Publikation folgt hier das Protokoll der 82. Sitzung des Gesamtreichsministeriums am 22. Januar 1849 samt zwei Beilagen. Das Nachstehende ist zur Publikation hier leicht umformatiert worden, entspricht aber in den meisten Hinsichten dem Erscheinungsbild, das die fertige Edition haben soll. Rückfragen oder Bemerkungen sind ausdrücklich willkommen! Einige Erläuterungen […]

Quelle: http://achtundvierzig.hypotheses.org/695

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