Max Weber-Tagung 2014: Alte Begriffe – Neue Probleme. Max Webers Soziologie im Lichte aktueller Problemstellungen
Am 21. April 1864 wurde Max Weber in Erfurt geboren, sein Geburtstag jährt sich 2014 daher zum 150. Male. Das Max-Weber-Institut für Soziologie der Universität Heidelberg möchte diesen Jahrestag mit einer Tagung feiern. In Heidelberg hat Max Weber den größten … Continue reading
Olympia-Eröffnungen. Ein historisches Wunderland?
Erstmals wurden bei den olympischen Sommerspielen in Tokio 1964 regelmäßige Satellitenübertragungen erprobt, vier Jahre später waren sie bei den Spielen in Mexiko-City Standard. Seitdem sind vor allem die Eröffnungsfeiern die Gelegenheit, ein ideales, fernsehtaugliches Selbstbild des Gastgeberlandes in die gesamte Welt zu senden. Massenchoreographien, pompöse Rituale, die Präsentation populärer Volkskultur und zunehmend die Inszenierung der nationalen Geschichte gehen dabei eine spektakuläre Verbindung ein, für die der Sport willkommenen Anlass bietet.
Milliardenereignis
Milliarden von Menschen verfolgen mittlerweile die Eröffnungsfeier der olympischen Spiele im Fernsehen, bei der Zeremonie in Sotschi waren es drei Milliarden. Damit zieht das Ereignis, an dem überhaupt kein sportlicher Wettkampf stattfindet, das höchste Zuschauerinteresse während der gesamten Olympischen Spiele auf sich und nimmt einen zentralen Platz in der weltweiten Berichterstattung ein. Das Rahmenprogramm um den vom IOC genau festgelegten, kultisch und rituell aufgeladenen Ablauf fungiert dabei als Bühne der Selbstdarstellung zwischen Weltkultur und nationaler Einmaligkeit, changiert zwischen Verschiedenheit und Gleichheit der Nationen.
Trachten, Bräuche, Tänze
Seit den 1960er Jahren dominierten künstlerische Darbietungen aus den Bereichen Tanz und Artistik mit folkloristischem Touch, um ein touristisch nutzbares Image des Gastgeberlandes zu transportieren. Goaßlschnalzer, Schuhplattler und bayerische Trachtenkapellen während der Olympischen Sommerspiele in München 1972 waren Programmpunkte einer nach den Spielen von 1936 betont nicht nationalen Inszenierung als „heitere Spiele“. Von der historischen Forschung werden diese Repräsentationen in den Eröffnungsinszenierungen auf ihre zeitgeschichtlichen Kontexte hin befragt.1 Für die Geschichtsdidaktik sind sie von besonderem Interesse, seit in den Eröffnungsfeiern die Darstellung nationaler Geschichte des Gastgeberlandes und ihre Bedeutung für die Welt selbst zum Programmpunkt des Showteils erhoben wurden.
Geschichte national und global
Den Anfang machte die Feier in Los Angeles 1984, bei der Episoden aus der Geschichte der amerikanischen Unterhaltungsmusik und ihre Bedeutung für die Welt inszeniert wurden. Seitdem sind – häufig im Modus der Zeitreise – nationale und zugleich global rezeptionsfähige historische Episoden aus der Geschichte des Gastgeberlandes regelmäßig vertreten, für deren Visualisierung und Choreographie namhafte Filmregisseure verantwortlich zeichnen. Die historischen Referenzen müssen dabei nach außen identifizierbar, zugleich aber nach innen spezifisch genug sein, um der Identifikation, Selbstvergewisserung und Selbstversöhnung der eigenen Bevölkerung zu dienen. Die online verfügbaren offiziellen Olympiaberichte2 sind hierfür eine ergiebige Quelle für die offizielle Selbstdarstellung der Ausrichter und ihre Konzepte nationaler Vergangenheitsdeutungen für die globale olympische Idee.
„Nation Branding“ mit Geschichtsinszenierungen
Die Londoner Eröffnungsfeier brach mit der Tradition der klassischen Nummernrevue und stellte unter dem Motto „Isles of Wonder“ die industrielle, popkulturelle und digitale Revolution ins Zentrum einer historischen Meta-Erzählung.3 In 18 Minuten wurden präindustrielle Romantik in einer living-history-Szenerie und die hereinbrechende Industrialisierung nachgespielt. Dieser historische Exkurs brach mit einer Erinnerung an die Toten des Ersten Weltkriegs ab. Die jüngere Zeitgeschichte eignet sich weder für High-tech-Effekte, Tanz und Massenchoreographie, noch für eine positiv-ausgelassene Feierstimmung. Stattdessen folgten Elemente aus der britischen Kinderliteratur, der Geschichte der englischen Sozialfürsorge und der englischen Popkultur. Ironische Brüche und Selbstironie verhinderten historisches Pathos und eine allzu geschlossene nationale Meistererzählung.
Olympia 2014 – Der russische Selbstentwurf
Nationaler Stolz auf das „neue Russland“ kennzeichnete die Eröffnungsfeier in Sotschi. Der Streifzug durch die russische Geschichte begann dabei bei Zar Peter dem Großen und mündete in die berühmte Ballszene aus Leo Tolstois „Krieg und Frieden“. Monumentale, schwebende Bühnenelemente im Stile Malewitschs, eine rote Lokomotive des Fortschritts und die Köpfe der Kolossalstatue „Arbeiter und Kolchosbäuerin“ mit Hammer und Sichel von Wera Ignatjewna Muchina, die 1937 den Pavillon der UdSSR auf der Pariser Weltausstellung krönten, inszenierten die Oktoberrevolution als Siegeszug der russischen Avantgarde und der Moderne. Danach bauten fröhliche Komsomolzen mit Presslufthämmern das neue Moskau mit seinen stalinistischen Großbauten, erschien der Name Juri Gagarin als erster Mann im All. Russland als geschichtsträchtige und immer auch modernisierungsfähige Kulturnation – das war die globale Botschaft der „dreams of Russia“. Der Stadionsprecher war freilich ein alter Bekannter: Jewgenij Choroschewzew, seit 1968 der offizielle Sprecher des Kreml.
Wieder einmal fungiert also die Geschichte als Thementableau für die Inszenierung nationaler Einmaligkeit. Distanzierung durch Selbstironie und Propaganda durch Pathos markieren dabei die beiden Pole der Selbstdarstellung im historischen Wunderland.
Literatur
- Gajek, Eva Maria: Imagepolitik im olympischen Wettstreit. Die Spiele von Rom 1960 und München 1972, Göttingen 2014.
- Reicher, Dieter: Nationensport und Mediennation. Zur Transformation von Nation und Nationalismus im Zeitalter elektronischer Massenmedien, Göttingen 2013.
- Reichertz, Jo: Die Macht der Worte und der Medien, Wiesbaden 2007.
Externe Links
- LA84 Foundation: http://www.la84.org (zuletzt am 26.2.2014)
- IOC – Video-Galerie (teilweise mit Ausschnitten aus Eröffnungszeremonien): http://www.olympic.org/videos/ (zuletzt am 26.2.2014)
Twittern
Abbildungsnachweis
Bild aus der Eröffnungsfeier in Sotschi, 7.2.2014, @Flickr.com; © The Korean Olympic Committee; KOREA.NET – Official page of the Republic of Korea (Bestimmte Rechte vorbehalten).
Empfohlene Zitierweise
Bühl-Gramer, Charlotte: Olympia-Eröffnungen. Ein historisches Wunderland? In: Public History Weekly 2 (2014) 10, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2014-1517.
Copyright (c) 2014 by De Gruyter Oldenbourg and the author, all rights reserved. This work may be copied and redistributed for non-commercial, educational purposes, if permission is granted by the author and usage right holders. For permission please contact: julia.schreiner (at) degruyter.com
The post Olympia-Eröffnungen. Ein historisches Wunderland? appeared first on Public History Weekly.
5 Fragen zur Digitalen Geschichtswissenschaft an…Wolfgang Schmale
Wolfgang Schmale ist Professor für Geschichte der Neuzeit sowie derzeit auch Vizedekan der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät an der Universität Wien. Dort lehrt er seit 1999 und hat sich als Verfechter einer kulturwissenschaftlich basierten Perspektive auf digitale Geschichtswissenschaft und Digital Humanities einen Namen gemacht. Die Verwendung digitaler Tools ist in zahlreichen von ihm geleiteten Projekten mittlerweile Normalität. Darüber hinaus hat er ein breites Arbeitsfeld von europäischer Identitätsgeschichte bis zu Erdteilallergorien und von der Körper- zur Verfassungsgeschichte. Einschlägige Buchveröffentlichungen zur Digitalen Geschichtswissenschaft: Digitale Geschichtswissenschaft, (mit Marie-Theres Tinnefeld:) Privatheit im digitalen Zeitalter, (mit diversen Co-Autoren:) E-Learning Geschichte.
1. Bitte vervollständigen Sie folgenden Satz: “Digitale Geschichtswissenschaft ist für mich…”
Da muss ich mich selber zitieren (Digitale Geschichtswissenschaft, 2010, S. 123): ‘…ist für mich’: “etwas Eigenes…, das sich gleichwohl nicht aus der Geschichtswissenschaft als solcher heraus- oder abkapselt.” Die Geschichtswissenschaft ist auf dem Weg zu einer hybriden Wissenschaft. (ebenda)
2. Wie sehen Sie den momentanen Stand der digitalen Geschichtswissenschaft und der Digital Humanities in Österreich?
Die Frage rekurriert auf nationale Zusammenhänge, die vermutlich sogar existieren, die aber im Widerspruch zum Digitalen stehen, das technisch wie inhaltlich nichts mit nationalen Grenzziehungen zu tun hat. Historisch betrachtet, ergibt die Frage Sinn, und da lässt sich sagen, dass in Österreich recht früh Computer für den Einsatz in (Geistes-)Wissenschaften genutzt und sozusagen phänomenologisch diskutiert wurden. Derzeit würde ich sagen, dass unser Wiener, aus HistorikerInnen bestehender, Kreis in Sachen digitale Geschichtswissenschaft und Digital Humanities auf einem hohen praktischen und ‘philosophischen’ Niveau arbeitet.
3. Welche Rolle spielen digitale Techniken und Ansätze in Ihrer Lehre?
Es gab eine Phase, wo wir Modellprojekte duchgeführt haben wie www.pastperfect.at, das 2004 mit dem Medidaprix ausgezeichnet wurde, um in der Lehre einen echten geschichtswissenschaftlichen Hypertext zur Verfügung zu stellen. Es folgten mehrere Experimente zu E-Learning bewusst jenseits von Lernplattformen. Im Alltag einer stets größer werdenden Massen-Uni wie Wien ist allerdings der Einsatz einer ‘schnöden’ Lernplattform dann doch der pragmatischste und auch für die Studierenden am wenigsten aufwendige Weg. Die Zeiten, in denen ich in Lehrveranstaltungen die Studierenden Hypertexte z.B. zur Französischen Revolution habe ‘bauen’ lassen können, sind, befürchte ich, vorbei. Gleichwohl stand den TeilnehmerInnen eines Forschungspraktikums im Sommersemester 2013 im Zusammenhang eines laufenden Forschungsprojekts die damit verbundene Datenbank zur Verfügung, in der sie bestimmte Aufgaben erledigen mussten.
4. Was braucht die digitale Geschichtswissenschaft Ihrer Ansicht nach für die künftige Entwicklung (z.B. Zentrenbildung, eigene Publikationsorgane, Tagungen, oder gar nichts von alledem)?
Nichts von alledem: Sie soll ihre Sache gut, bestens machen, dann läuft es. Klar, dass man trotzdem analog publiziert, die Doppelgleisigkeit bewährt sich.
5. Zum Schluss: Welche Lektüre in Sachen Digitale Geschichtswissenschaft würden Sie empfehlen?
Kann man von mir erwarten, dass ich ein anderes Buch als meines empfehle…?
Quelle: http://digigw.hypotheses.org/657
Twitter-Interview mit Anna Sobczak (19.03.2014)
Gesundheit durch Magie. Marsilio Ficinos De vita libri tres
1000 Worte Forschung: Dissertation Philosophiegeschichte, Universität Wien
Im Jahr 1489 erscheint eine lateinische Inkunabel mit dem Titel De vita libri tres. Der Autor ist der aus Figline stammende Arzt, Philosoph und Priester Marsilio Ficino (1433-1499). Er war kein Unbekannter im Quattrocento: Protegiert von Cosimo de’Medici, galt Marsilio Ficino als intimer Kenner der Antike. Er übersetzte nicht nur das gesamte platonische Corpus vom Griechischen in die lateinische Sprache, sondern machte auch die Übersetzungen anderer spätantiker Schriften, darunter Texte von Iamblichus, Synesius, Priscian, Proklus und Psellus der gelehrten Leserschaft zugänglich.[i] Jedoch waren es die Drei Bücher über das Leben, mit denen Marsilio Ficino ein „Bestseller“ seiner Zeit gelang, wie über 26 Auflagen bis zum Jahr 1647 belegen.[ii]
Ficinos Intention war es, mit De vita libri tres ein medizinisches Werk für den Erhalt der Gesundheit zu verfassen. Primäre Adressaten waren die Gelehrten seiner Zeit. Das erste Buch De vita sana, thematisiert die Reinigung des Körpers und Geistes mithilfe von Diäten, Kuren und Arzneimischungen. Das zweite Buch, De vita longa enthält therapeutisch-pharmazeutische Maßnahmen, die dabei helfen sollen, die Gesundheit zu bewahren und zu verlängern. De vita coelitus comparanda, der Abschluss der Trilogie, war als Kommentar zu Plotins Enneaden (Enn. IV, 3, 11 und IV, 4, 26–44) konzipiert.[iii]
Bei eingehender Lektüre von De vita coelitus comparanda wird jedoch deutlich, dass es Marsilio Ficino um mehr ging, als einen Kommentar zu den Plotinischen Enneaden zu verfassen. Vielmehr verbindet er kosmologische, naturphilosophische und medizinische Wissensbestände mit astrologischen und astral-magischen Überlegungen aus unterschiedlichen Traditionenlinien. Dabei stellt er seinen ZeitgenossInnen nicht nur eine Kollektion diverser, bis dahin wenig bekannter antiker und mittelalterlicher Magietheorien vor, sondern verknüpft auch ägyptische, arabische, lateinische und griechische Quellen zu einer neuen synkretistischen Philosophie. Aus der Verbindung von aristotelischen, platonischen, neu-platonischen und scholastischen Traditionszweigen, entsteht die charakteristische Tradition der gelehrten Renaissancemagie, die sich in Werken wie Cornelius Agrippasʾ De occulta philosophia libri tres (1531) oder Giambattista della Portasʾ Magiae Naturalis (1558) fortsetzte. Sie behauptet von sich, im Einklang mit den Lehren des Christentums zu stehen.
Ficinos „kulturelle Synthese“ erzeugt aber auch Spannungen, die vor allem auf divergierende naturphilosophische und empirische Modelle zurückgehen und die sich anhand der heterogenen Entwürfe von natürlicher und dämonischer Magie beschreiben lassen. Sie bilden zugleich den Untersuchungsgegenstand meines Promotionsprojektes, das den Titel „Saturn und Talisman. Die widersprüchlichen Begriffe der Magie am Beispiel von Marsilio Ficinos De vita libri tres“ trägt.
Den Ausgangspunkt der natürlichen Magie bilden die „wunderbaren“, aber der Wahrnehmung verborgenen Kräfte der Natur, etwa der Magnetismus oder die astralen Einwirkungen der Gestirne auf natürliche Objekte wie Steine, Pflanzen und Tiere sowie auf den untersten – den vegetativen Teil – der Seele. All diese Kräfte haben ihren Ursprung in Gott. Dieser Theorie zufolge verwendet bzw. kanalisiert der Akteur der natürlichen Magie lediglich die auf universellen Sympathien und Antipathien basierenden natürlichen Stoffe, um mit ihnen, die organische, das heißt, die sterbliche Seele in bestimmter Weise zu konditionieren. Diese Vorstellung bildet einen integralen Bestandteil von Ficinosʾ Darstellung der auf Astrologie basierenden Medizin: Gold, Honig und Safran beispielsweise, können zum richtigen Ort und Zeitpunkt den Strahlen der Sonne ausgesetzt werden. Ausgehend von der Idee einer verwandtschaftlichen Ähnlichkeit, ziehen diese Stoffe, die solaren Qualitäten verstärkt an. Durch Einnahme bzw. äußerliche Anwendung, helfen sie, die Kraft der Sonne in sich aufzunehmen und den Körper dadurch zu stärken.[iv]
Dem entgegengesetzt konzentriert sich die dämonische Magie auf das Verhältnis zwischen Menschen und Dämonen – manche von ihnen sind als Planetendämonen verkörpert. Sie sind aktiv und können willentlich auf die höheren Seelenteile und den Geist wirken. Der Magus benützt daher artifizielle Objekte wie Talismane, um die von den Dämonen emittierte kosmische Strahlung durch bestimmte Zeichen anzuziehen und sie auf den Träger des Talismans zu fokussieren. Diese Praxis der Dämonenbeschwörung widersprach jedoch christlichen Lehren, unter anderem deswegen, weil mithilfe von künstlichen Objekten versucht wird, aktiv in den göttlichen Kosmos einzugreifen sowie bestehende Wirkungen zu stören und zu verändern. Hier finden sich auch Ideen bezüglich der Mechanisierung der Welt, die noch Jahrhunderte später in den Naturwissenschaften eine große Rolle spielen sollen.
Marsilio Ficino bedient sich der Stimmen von Autoritäten wie Iamblichus, Psellus und Pietro d’Abano, um über astrologische Talismane zu „berichten“. Dies geschieht in der Absicht, die mentalen Qualitäten des Menschen positiv zu beeinflussen, also z. B. die durch den Planetendämon Saturn hervorgerufene Melancholie durch den apollinischen Sonnendämon zu vertreiben.[v] Ficino suchte daher nach Wegen, die antiken Traditionen in sein kulturelles Umfeld zu integrieren – auch und gerade weil er vom therapeutischen Potenzial und der Effektivität dieser Praxis der Dämonenbeschwörung überzeugt war.
Beide Formen der Magie finden sich in Marsilio Ficinos De vita libri tres wieder und verzahnen sich geradezu ineinander. Wir finden dabei dämonische Elemente in der Beschreibung der natürlichen Magie und vice versa. Dieses spannungsgeladene Verhältnis, das sich einerseits durch formale Trennung und andererseits als instabile Einheit zwischen den beiden Magietheorien beschreiben lässt, bildet den Schwerpunkt meines Promotionsprojektes, und wird exemplarisch an Ficinos Entwürfen von Saturn und dem Talisman veranschaulicht. Die Analyse verdeutlicht nicht nur Paradoxien in Ficinos philosophisch-magischem Denken, sondern sie thematisiert darüber hinaus auch das komplexe Verhältnis von theoretischer Untersuchung und praktischer Anwendung von Magie insgesamt.
[i] vgl. James Hankins: Plato in the Italian Renaissance, Leiden/New York/Köln 1994, S. 267–299; Paul Oskar Kristeller: Acht Philosophen der Italienischen Renaissance – Petrarca, Valla, Ficino, Pico, Pomponazzi, Telesio, Patrizi, Bruno, Weinheim 1986, S. 33–36.
[ii] vgl. Dieter Benesch: Marsilio Ficino’s ’De triplici vita’ (Florenz 1489) in deutschen Bearbeitungen und Übersetzungen – Edition des Codex palatinus germanicus 730 und 452, Frankfurt am Main/Bern/Las Vegas 1977, S. 8.
[iii] vgl. Brian P. Copenhaver: Renaissance Magic and Neoplatonic Philosophy: «Ennead» 4, 3–5 in Ficino’s “De Vita Coelitus Comparanda”; in Gian Carlo Garfagnini (Hg.): Marsilio Ficino e il ritorno di Platone – Studi e documenti, Florenz 1986, S. 351–369.
[iv] vgl. Marsilio Ficino: Opera Omnia, 2. Bde., hg. von Paul Oskar Kristeller, Torino 1983 (Nachdruck der Gesamtausgabe Basel 1576), Ficino: Opera Omnia, De vita libri tres, Lib. III, Cap. IV, S. 535 [S. 565] – 536 [S. 566], Cap. XIII, S. 550 [S. 580].
[v] ebda. Lib. III, Cap. XIII, S. 548 [S. 578]; Cap. XVIII.
Kurz notiert: Wissenschaftsbloggen in Deutschland auf dem Vormarsch
Der Leibniz-Forschungsverbund Science 2.0 hat die Ergebnisse der Umfrage “Science 2.0-Survey” veröffentlicht. Im Zeitraum von Anfang September bis Mitte Oktober 2013 wurden 778 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (fächerübergreifend) an deutschen Hochschulen nach ihrer Nutzung von Social Media und onlinebasierten Anwendungen in Forschung und Lehre befragt((1)). In der Zusammenfassung der Ergebnisse heisst es:
“Zu den meist genutzten Anwendungen zählen die Online-Enzyklopädie Wikipedia (von 95% der Befragten beruflich genutzt), Onlinearchive und -datenbanken (79%), Mailinglisten (76%) und Content Sharing bzw. Cloud-Dienste wie beispielsweise Dropbox oder Slideshare (68%), die jeweils von mehr als zwei Dritteln der Wissenschaftler/-innen für berufliche Zwecke genutzt werden.”
Und weiter: ” Aus der Alltagskommunikation bekannte und beliebte Web 2.0-Dienste wie Weblogs, Social Networks, Microblogs und Social Bookmarking-Dienste werden nur in geringem Maß zu beruflichen Zwecken von den Wissenschaftler/-innen eingesetzt.” Und dann genauer auf S. 15: “Von jeweils höchstens knapp einem Drittel der Befragten weren Weblogs (30%), Online-Texteditioren (27%) und Microblogging-Dienste (15%) genutzt, Social Bookmarking Services finden bei lediglich 6 Prozent der Wissenschaftler/-innen Anwendung.”
In der Studie wird außerdem festgehalten, dass “Web 2.0-Tools wie Soziale Netzwerke, Video/Foto-Community-Portale, Chat-/instant Messaging-Dienste, Microblogs, Weblogs und Internetforen stärker privat als beruflich genutzt werden” (S. 15). Auch ist die rezipierende Nutzung größer.
Stellt man diese Ergebnisse der Umfrage gegenüber, die 2010/2011 unter 1.053 Wissenschaftler/innen durchgeführt wurde, so lässt sich beim Wissenschaftsbloggen ein deutlicher Anstieg in der Nutzung verzeichnen. Damals hatten nur 8% angegeben, Wissenschaftsblogs überhaupt zu nutzen, d.h. zu lesen, zu kommentieren oder selbst Blogbeiträge zu schreiben((2)).
Die Studie:
Dr. Daniela Pscheida, Dr. Steffen Albrecht, Sabrina Herbst, Claudia Minet, Prof. Dr. Thomas Köhler: Nutzung von Social Media und onlinebasierten Anwendungen in der Wissenschaft. Erste Ergebnisse des Science 2.0-Survey 2013 des Leibniz-Forschungsverbunds „Science 2.0“, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:14-qucosa-132962.
Siehe auch:
Social Media ist in der Wissenschaft angekommen, http://idw-online.de/de/news578008.
- Dr. Daniela Pscheida, Dr. Steffen Albrecht, Sabrina Herbst, Claudia Minet, Prof. Dr. Thomas Köhler: Nutzung von Social Media und onlinebasierten Anwendungen in der Wissenschaft. Erste Ergebnisse des Science 2.0-Survey 2013 des Leibniz-Forschungsverbunds „Science 2.0“, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:14-qucosa-132962.
- Anita Bader/Gerd Fritz/Thomas Gloning: Digitale Wissenschaftskommunikation 2010-2011. Eine Online Befragung, Gießener Elektronische Bibliothek 2012 [http://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2012/8539/]
Zur Geschichte der chinesischen Akrobatik
Die gesicherte Tradition der chinesischen Akrobatik (zaji 雜技, d. i. vermischte Fertigkeiten) reicht zumindest bis ins 7. Jahrhundert v. Chr. zurück. Zu jener Zeit waren einschlägige Darbietungen und bereits fest etabliert.[1]
Im China der Han-Dynastie erfreuten sich die Herrscher und ihre Günstlinge an akrobatischen Darbietungen. Für diese varietéähnlichen Unterhaltungen gab es in der Späteren Han-Zeit (25-220 n. Chr.) bei Hof eine Gruppe von etwa 25 Künstlern, die als die “Meister der hundert Unterhaltungen” (baixi shi 百戲師) bezeichnet wurden.[2] Der Gelehrte Zhang Heng 张衡 (78-139 n. Chr.) lieferte in seiner Xijing fu 西京賦 (“Ode (fu) über die westliche Hauptstadt”) eine Beschreibung dieser Kunst.[3]
Besonders aufwändige Vorstellungen müssen zur Zeit der Sui-Dynastie in der damaligen Hauptstadt Chang’an 長安 veranstaltet worden sein. Kaiser Yangdi (reg. 607-617) wollte den Gästen seiner festlichen Frühjahrsbankette eine besondere Unterhaltung bieten. In den Jahren zwischen 610 und 616 kamen jeweils rund 30000 Akrobaten aus dem ganzen Reich für diesen etwa zweiwöchigen Auftritt in die Hauptstadt.[4]
Auch in der auf die Sui folgenden Tang-Dynastie (618-906) konnten sich die Akrobaten der kaiserlichen Gunst sicher ein. Selbst bei Hof wurde ihre Ausbildung organisiert: Akrobaten, Musiker und Tänzer sollten für Veranstaltungen trainiert werden, bei denen bis zu zwölf verschiedene Kunststücke präsentiert werden sollten.[5]
In der Song-Dynastie (960-1279) endete auch die kaiserliche Patronage für die Akrobaten. Die Begeisterung der Bevölkerung blieb allerdings ungebrochen. So ist es wenig verwunderlich, dass sich im Laufe der Zeit auch Scharlatane unter die Künstler mischten.[6]
Zu den bekanntesten und spektakulärsten Formen traditioneller chinesischer Akrobatik zählen mit den Beinen ausgeführte Jonglierakte (dengji 蹬技) unc das Balancieren eines Stapels Schüsseln oder Schalen (dingwan 頂碗) auf dem Kopf. Einen festen Platz im Repertoire haben auch jene Akrobaten, die sich als “Schlangenmenschen” durch Ringe schlängeln (zuanquan 鑽圈).
Die Akrobaten zählte man – wie “Jongleure, Seiltänzer, Feuerfresser, Schwertschlucker, Zauberkünstler (insbesondere mit Affen) usw.” zu den “vermischten Unterhaltungen” (zashua 雜耍).[7]
Den besonderen Reiz dieser Kunst machten die “Ortsunabhängigkeit, die niedrigen Kosten und die geringe Distanz zwischen Publikum und Akrobaten”[8] aus.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die chinesische Akrobatik dann auch international zum Begriff – man denke etwa an die in den 1980er Jahren von André Heller unter dem Titel “Begnadete Körper” organisierte Show.[9]:
Die Akrobatik hat heute nicht nur als selbständige Unterhaltungsform überlebt, sondern ist ganz wesentlicher Teil der Aufführungspraxis der erst sehr spät aufkommenden Pekinger Oper, die mit der Kulturrevolution (1966-1976) gleichsam zum Symbol für die einheimische chinesische Bühnenkunst avanciert ist.[10]
- Boye Lafayette De Mente: China’s Cultural Code Words (Lincolnwood, Ill., 1996), 462 f.
- Charles O. Hucker: A Dictionary of Official Titels in Imperial China (Stanford 1985) 388 (Nr.490).
- Huang Minghua: “The ‘Hundred Entertainments’. China’s 2,000-year-old tradition of acrobatics.” In: The Unesco Courier, January 1988, S. 8 f. Vgl. auch “The Acrobatic Team Show and Its Origins in the ‘Hundred Entertainments’”: http://web.archive.org/web/20050309180453/http://www.qiao.ca/tradition.htm.
- De Mente: China’s Cultural Code Words (1996), 462 f.
- Huang: ‘Hundred Entertainments’, 8.
- De Mente: China’s Cultural Code Words, 463.
- Wolfgang Franke (Hg.): China-Handbuch (Düsseldorf 1974) Sp. 1437 (“Unterhaltung”, Hu Chün-yin, Wolfgang Franke).
- Hochschule Ludwigshafen am Rhein/Ostasieninstitut: Ostasienlexikon, Stichwort “Akrobatik”
- Vgl. etwa Manfred Sack: “Möge diese Übung gelingen. Großmeister chinesischer Akrobatik unterwegs in der Bundesrepublik. André Hellers Show ‘Begnadete Körper’”. In: Die Zeit, Nr. 48, 22.11.1985, S. 59
- Wolfgang Kubin: Geschichte der chinesischen Literatur. Bd. 6: Das traditionelle chinesische Theater. Vom Mongolendrama bis zur Pekinger Oper (München 2009) 19.
SdK 71: Andrea Wald über das Ornament
Ornamente galten vor 1900 als bloßes Beiwerk, Zierde oder Staffage. Zwar wurde das Ornament, als “Haut der Gegenstände nach Außen”, auch vorher schon thematisiert, jedoch als verdächtiger, problematischer Grenzfall zwischen Zeichen, Rahmen oder Funktion und nicht als eigenständige Form. Sichtbaren Ausdruck erhält das Ornament als autonome Kunstform im Jugendstil, der ersten Lifestyle- und Designbewegung im Fin de Siècle. Zu deren bekanntesten Vertretern gehörten in Wien beispielsweise Gustav Klimt oder Otto Wagner. Andrea Wald ist Kulturwissenschaftlerin und sie untersucht das Ornament als Denkstil im Kontext von wissenschaftlichen Studien und kunsthistorischer Theorien. Es handelt sich außerdem um die erste SdK-Episode, für die sich ein Spaziergang durch Wien empfiehlt, weil die Debatten um das Ornament im Stadtraum erfahrbar sind, etwa beim Weg von der Wiener Ringstraße zum Looshaus am Michaelerplatz hin zur Linken Wienzeile.
Linkliste: Andrea Wald (University of Chicago, IFK), Historismus (Wikipedia), Wiener Ringstraße (Wikipedia), Jugendstil (Wikipedia), Eingangsportal der Weltausstellung 1900 von René Binet, Linke Wienzeile (Wikipedia), Gottfried Semper (Wikipedia), Adolf Loos (Wikipedia), Looshaus (Wikipedia), Alois Riegl (Wikipedia), Ernst Haeckel (Wikipedia), Hugo von Hofmannsthal (Wikipedia), Salzburger Festspiele