Rückenkratzer und Zepter – und (doch kein) Kulturtransfer (I)

Lange Zeit ging man davon aus, dass sich das chinesische ruyi 如意-Zepter aus dem Rückenkratzer buddhistischer Mönche, die es aus Indien mitgebracht hätten, entwickelt hatte. Mittlerweile gibt es zahlreiche Belege, die auf eine zwar parallele aber doch unabhängige Entwicklung des Zepters in China hindeuten.[1]

Hinweise auf einen – nach neueren Belegen nun doch nicht stattgefundenen – Kulturtransfer – gab Wolfram Eberhard in seinem Lexikon chinesischer Symbole:

“In vielen Folkloresammlungen findet man einen Rückenkratzer. Er ist meist aus einem Bambusstock, an dem der eigentliche Kratzer, der wie eine Klaue oder Hand aussieht, befestigt ist. Dieses Instrument scheint aber noch eine andere Bedeutung gehabt zu haben, nämlich als ‘Diskussionsstab’ (t’an-chu): ein Stab, manchmal auch nur ein Kiefernzweig und nicht selten ein Zepter, den der Lehrer vor sich aufstellte; ein Schüler, der eine Diskussion beginnen wollte, nahm ihn heraus und sprach dann. Dieser Stab scheint schon ziemlich früh mit dem Buddhismus nach China gekommen zu sein.”[2]

Im Zusammenhang mit dem möglichen Ursprung des Rückenkratzers und dessen anschließender Verbreitung in China weist Eberhard auch auf eine Legende hin, in derem Mittelpunkt die Göttin Magu 麻姑 steht. Legenden zufolge lebte Magu im 2. Jh. n. Chr. Am Rande eines Banketts habe sich der Kaiser Huan 桓  (147-168 n. Chr.) vorgestellt, wie schön es sein müsse, von diesen langen Fingernägeln gekratzt zu werden, wenn einem der Rücken jucke. Wiewohl der Kaiser “für solchen frevlerischen Gedanken mit einer unsichtbaren Peitsche gestraft worden” wäre, wurde Magu seither stets mit Wohlergehen und Langlebigkeit assoziiert.[3]

Lesen Sie nächste Woche: Rückenkratzer und Zepter – und (doch kein) Kulturtransfer (II): Das ruyi-Zepter

  1. Vgl. dazu Ronald G. Knapp, Michael Freeman: Things Chinese. Antiques – Crafts – Collectibles (Singapore 2011) 133.
  2. Wolfram Eberhard: Lexikon chinesischer Symbole. Die Bildsprache der Chinesen (München, 5. Aufl. 1996) 246 f. (“Rückenkratzer, sao-chang 搔杖”).
  3. Eberhard: Lexikon, 185 f. (“Ma-ku”; zum Zitat ebd., 186 f.) vgl. dazu auch Patricia Bjaaland Welch: Chinese Art. A Guide to Motifs and Visual Imagery (Singapore 2008) 206 f. (“Magu”) sowie das Glossar in Sun Yaoting: Der letzte Eunuch des Kaisers Puyi. Autobiographie. Aus dem Chinesischen von Uwe Frankenhauser (München 1993) 676 (“Fee Tante Ma”).

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/1161

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Zur Geschichte der chinesischen Akrobatik

Die gesicherte Tradition der chinesischen Akrobatik (zaji 雜技, d. i. vermischte Fertigkeiten) reicht zumindest bis ins 7. Jahrhundert v. Chr. zurück. Zu jener Zeit waren einschlägige Darbietungen und bereits fest etabliert.[1]

Im China der Han-Dynastie erfreuten sich die Herrscher und ihre Günstlinge an akrobatischen Darbietungen. Für diese varietéähnlichen Unterhaltungen gab es in der Späteren Han-Zeit (25-220 n. Chr.) bei Hof eine Gruppe von etwa 25 Künstlern, die als die “Meister der hundert Unterhaltungen” (baixi shi 百戲師) bezeichnet wurden.[2] Der Gelehrte Zhang Heng 张衡 (78-139 n. Chr.) lieferte in seiner Xijing fu 西京賦 (“Ode (fu) über die westliche Hauptstadt”) eine Beschreibung dieser Kunst.[3]

Besonders aufwändige Vorstellungen müssen zur Zeit der Sui-Dynastie in der damaligen Hauptstadt Chang’an 長安 veranstaltet worden sein. Kaiser Yangdi (reg. 607-617) wollte den Gästen seiner festlichen Frühjahrsbankette eine besondere Unterhaltung bieten. In den Jahren zwischen 610 und 616 kamen jeweils rund 30000 Akrobaten aus dem ganzen Reich für diesen etwa zweiwöchigen Auftritt in die Hauptstadt.[4]

Auch in der auf die Sui folgenden Tang-Dynastie (618-906) konnten sich die Akrobaten der kaiserlichen Gunst sicher ein. Selbst bei Hof wurde ihre Ausbildung organisiert: Akrobaten, Musiker und Tänzer sollten für Veranstaltungen trainiert werden, bei denen bis zu zwölf verschiedene Kunststücke präsentiert werden sollten.[5]

In der Song-Dynastie (960-1279) endete auch die kaiserliche Patronage für die Akrobaten. Die Begeisterung der Bevölkerung blieb allerdings ungebrochen. So ist es wenig verwunderlich, dass sich im Laufe der Zeit auch Scharlatane unter die Künstler mischten.[6]

Zu den bekanntesten und spektakulärsten Formen traditioneller chinesischer Akrobatik zählen mit den Beinen ausgeführte Jonglierakte (dengji 蹬技) unc das Balancieren eines Stapels Schüsseln oder Schalen (dingwan 頂碗) auf dem Kopf. Einen festen Platz im Repertoire haben auch jene Akrobaten, die sich als “Schlangenmenschen” durch Ringe schlängeln (zuanquan 鑽圈).

Die Akrobaten zählte man – wie “Jongleure, Seiltänzer, Feuerfresser, Schwertschlucker, Zauberkünstler (insbesondere mit Affen) usw.” zu den “vermischten Unterhaltungen” (zashua 雜耍).[7]

Den besonderen Reiz dieser Kunst machten die “Ortsunabhängigkeit, die niedrigen Kosten und die geringe Distanz zwischen Publikum und Akrobaten”[8] aus.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die chinesische Akrobatik dann auch international zum Begriff – man denke etwa an die in den 1980er Jahren von André Heller unter dem Titel “Begnadete Körper” organisierte Show.[9]:

Die Akrobatik hat heute nicht nur als selbständige Unterhaltungsform überlebt, sondern ist ganz wesentlicher Teil der Aufführungspraxis der erst sehr spät aufkommenden Pekinger Oper, die mit der Kulturrevolution (1966-1976) gleichsam zum Symbol für die einheimische chinesische Bühnenkunst avanciert ist.[10]

  1. Boye Lafayette De Mente: China’s Cultural Code Words (Lincolnwood, Ill., 1996), 462 f.
  2. Charles O. Hucker: A Dictionary of Official Titels in Imperial China (Stanford 1985) 388 (Nr.490).
  3. Huang Minghua: “The ‘Hundred Entertainments’. China’s 2,000-year-old tradition of acrobatics.” In: The Unesco Courier, January 1988, S. 8 f. Vgl. auch “The Acrobatic Team Show and Its Origins in the ‘Hundred Entertainments’”: http://web.archive.org/web/20050309180453/http://www.qiao.ca/tradition.htm.
  4. De Mente: China’s Cultural Code Words (1996), 462 f.
  5. Huang: ‘Hundred Entertainments’, 8.
  6. De Mente: China’s Cultural Code Words, 463.
  7. Wolfgang Franke (Hg.): China-Handbuch (Düsseldorf 1974) Sp. 1437 (“Unterhaltung”, Hu Chün-yin, Wolfgang Franke).
  8. Hochschule Ludwigshafen am Rhein/Ostasieninstitut: Ostasienlexikon, Stichwort “Akrobatik”
  9. Vgl. etwa Manfred Sack: “Möge diese Übung gelingen. Großmeister chinesischer Akrobatik unterwegs in der Bundesrepublik. André Hellers Show ‘Begnadete Körper’”. In: Die Zeit, Nr. 48, 22.11.1985, S. 59
  10. Wolfgang Kubin: Geschichte der chinesischen Literatur. Bd. 6: Das traditionelle chinesische Theater. Vom Mongolendrama bis zur Pekinger Oper (München 2009) 19.

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/1066

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