Wie kommt es, dass menschliches Zusammenleben in der Regel – erstaunlicherweise! – einigermaßen reibungslos funktioniert, dass es nicht in Chaos und Anomie versinkt? Die zunächst ebenso einfache Antwort lautet: Soziale Ordnung – mit anderen Worten: Gesellschaft – wird durch Institutionen … Weiterlesen
"the very godfather of German history blogs"
Adressbüros: Merkur-Artikel im Self-archive
Tantner, Anton: Adressbüros. Von Suchmaschinen im analogen Zeitalter, in: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken, H. 764, 67.2013/1, S. 34-44.
http://tantner.net/publikationen/Tantner_Adressbueros_Merkur_2013.pdf
Wirtschaftspolitik im Dritten Reich, Teil 2
![]() |
Wagenkolonne Hitlers in Wien, 1938 |
Als im März 1938 deutsche Truppen die Schlagbäume zu Österreich niederrissen und das Land mit dem Deutschen Reich zum "Großdeutschen Reich" vereinten, transferierten Sonderkommandos so schnell wie möglich alle Goldreserven der österreichischen Zentralbank nach Berlin. Dieser Zuschuss von Goldreserven ermöglichte es dem Dritten Reich, seine ruinöse Aufrüstungspolitik bis 1939 fortzuführen, einem Zeitpunkt, an dem der ausbrechende Krieg jegliche Hemmungen beseitigte und zu einer beispiellosen Beuteökonomie führte.
![]() |
Albtraum der Nazis: Bank-Run auf Sparkasse, 1932 |
![]() |
BDM Ernteeinsatz |
![]() |
Hermann Göring (l., neben Hitler) |
![]() |
Modell der Graf Zepellin |
![]() |
Adolf Hitler auf der Prager Burg, 1939 |
Bernhard Chiari - Ökonomie und Expansion
Rolf Walter - Vom Merkantilismus bis zur Gegenwart
Harold James - Die Deutsche Bank im Dritten Reich
Wolfgang König - Volkswagen, Volksempfänger, Volksgemeinschaft
Sabine Groß - Made in Germany
Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2013/02/wirtschaftspolitik-im-dritten-reich_5.html
Digitalisierung als Schutz vor Archiv-Diebstählen? Erörterungen im Nachgang zum dänischen Aktenklau-Skandal
Kollege Zimmermann drüben auf dem Umstrittenen Gedächtnis hat kürzlich die im letzten Herbst aufgeflogene Diebstahlserie im dänischen Reichsarchiv pointiert zusammengefasst. Die Lektüre hat mich nochmal selbst zum Nachlesen und -denken gebracht und ich bin auf einige Aspekte gestoßen, die von dem konkreten Fall auf die größere Thematik “Digitalisierung von Archivmaterial” verweisen. Eine interessante Facette der in Dänemark geführten und durch den Archivklau ausgelösten Debatte verweist auf die Digitalisierung der Akten als einen möglichen Schutz vor solchen Diebstählen. Tatsächlich haben mehrere Politiker die Frage aufgeworfen, ob nicht eine weitgehende Digitalisierung der Bestände eine Lösung sein könnte. In die gleiche Richtung argumentiert ein dänischer IBM-Vertreter in einem YouTube-Video, der fordert, die “wichtigen Teile” des Archivs als Reaktion auf den Diebstahl zu digitalisieren (das Video ist nur für des Dänischen Kundige zu verstehen…):
Ausgehend von der Idee der Digitalisierung als Diebstahlschutz lässt sich der IT-Experte auch über die allgemein zu konstatierenden Vorteile der elektronischen Verfügbarkeit im Netz aus – die Argumente sind sattsam bekannt (Nutzung am heimischen Bildschirm durch den Otto-Normal-User, Aktivieren der Schwarmintelligenz mittel social tagging etc.). Allerdings scheint dem guten Mann nicht bewusst zu sein, dass die Digitalisierung der Bestände schon längst im Gang ist und seit gut 20 Jahren schon läuft. Nun gut – die Frage wäre aber auch, was denn “wichtige Teile” eines Archivs sein sollen. Selbstverständlich werden Prioritäten verschiedener Art festgelegt, wobei eine nicht zu unterschätzende materieller Art ist: Abnutzung durch Gebrauch und sonstiger Verschleiss sind Argumente, die neben inhaltliche treten. Generell lässt sich natürlich sagen: Was viel genutzt wird, ist am frühesten angegriffen, und sollte geschützt werden. Die Vorstellung, dass die Originale in Zukunft nie wieder oder nur in seltenen Ausnahmefällen die Magazine verlassen, ist indes abwegig.
Reichsarchivar Asbjørn Hellum hat die Forderungen nach einer Totaldigitalisierung als unrealisierbar zurückgewiesen, zumindest wenn es bei den bisherigen Mittelzuweisungen und Personalkapazitäten bliebe. Nachdem die von Robert Zimmermann bereits beschriebenen neuen Sicherheits- und Überwachungsregularien nicht auf Vorliebe stießen, kam dennoch die als naiv zu bezeichnende Idee, den Diebstahlschutz mithilfe des Dokumenten- und Buchscanners zu lösen, auf. Das Reichsarchiv sah hat nach dem Diebstahlskandal immer wieder die Frage “warum digitalisiert man nicht einfach die Sammlungen?” erhalten. Daher sah man sich zur Produktion eines kleinen Videos auf seinem YouTube-Kanal veranlasst, in dem man die Forderungen als Ausgangspunkt nahm, um die Digitalisierungsstrategien und -möglichkeiten des wichtigsten dänischen Archivs zu erläutern (leider wiederum nur auf Dänisch, aber es ist ganz hübsch anzusehen, wie der PR-Chef da durch das Magazin fährt!):
Der Chef für die Öffentlichkeits- und Vermittlungsarbeit Jeppe Bjørn geht hier auf die seit 20 Jahren währenden Bemühungen zur Bewahrung der Archivbestände durch Digitalisierung ein und meint, in der besten aller Welten würde man den Inhalt aller Aktenkartons mit dem Scanner einlesen, doch bei einer Zahl von drei Millionen solcher Kartons (die ja zudem ständig weiterwächst) stellt sich die Frage nicht. Dennoch setzt man seit längerem darauf, die auf Dänisch als “e-arkivalier” bezeichneten Quellen dem Publikum im Netz leicht zugänglich zu machen. Es gibt eine eigene Seiten für das digitale Material, unter arkivalieronline.dk finden sich über 18,85 Millionen Einzelbilder von den verschiedensten Akten. Stolz wird auf der Nachrichtenseite des Archivs über die Fortschritte bei der Arbeit an dieser Online-Quellenpräsenz berichtet.
Indes kann man nicht übersehen, dass eine so einfach klingende Forderung wie “digitalisiert die Archive!” (wie oben im ersten YouTube-Video) nicht nur die inhaltlichen, materiellen und monetären Probleme gewärtigen muss. Bei aller Offenheit für Neuerungen sind Archivarinnen und Archivare durch die umfassenden Änderungen ihres Arbeitsumfeldes stark gefordert. Viele Fragen, die sich der forschenden Benutzerseite stellen, stellen sich ihnen aus anderer Perspektive. Das Anforderungsprofil an den Archivarberuf ändert sich rasant und bringt bei allen Chancen auch Unsicherheiten mit sich. Auf einem dänischen Archivar-Gruppenblog werden diese Fragen aufgegriffen und offen auf Fragezeichen, die in Zusammenhang mit der Digitalisierungsdebatte auftauchen, eingegangen.
So viele Möglichkeiten die neuen Technologien also bieten – sie arbeiten nicht von selbst und der Umgang mit ihnen erfordert einiges an Umdenken und an Planung. Bei der Setzung der Prioritäten folgt man sicherlich gewissen Prämissen (nicht immer ist klar, welchen), doch werden diese aus der Sicht vieler unbefriedigend sein oder unpassend gewählt sein. Angesichts der Masse an Quellenmaterial und der Menge an Fragestellungen wird man, etwas binsenweise gesprochen, nie allen gerecht werden. Aber die Frage ist: Wer oder was gibt letztendlich den Ausschlag bei der Benennung solcher Prioritäten?
Wien-Gumpendorf 116
Der Hype um das Internet, die digitale Welt und der ganze Rest #rkb13

Die Titelgrafik der RKB-Tagung basiert auf einem Design von Moma Propaganda, São Paolo. www.momapropaganda.com.br
Die RKB-Tagung in München ist gerade vorüber. Wer nicht dabei sein konnte, hatte via Twitter und über hypotheses.org die Möglichkeit “live” dabei zu sein und auf dem neuesten Stand zu bleiben. Nun freut es umso mehr, dass sich die Süddeutsche Zeitung ausgiebig mit dem Thema der Wissenschaftskommunikation befasst (Ausgabe 29 vom 4.2.2013, S. 9).
Exempli gratia ist der Publikationsprozess, samt vorgelagerter Erarbeitung von Informationen, wobei die Reduktion auf den Begriff “filtern” eher zu pauschalisierend ist, bis zur Thesenentwicklung und anschließendem Schreibprozess. Schlagwörter wie “Open Access” dürfen in diesem Zusammenhang nicht fehlen. Der Rückgriff auf die Infrastrukturen als Allheilsbringer der Geisteswissenschaften geht dann doch etwas weit. Hier werden wissensgenerierende Methoden zu stark mit dem Output der Wissenschaften verknüpft, mit dem Paper, mit dem Buch, mit der Online-Publikation. Denn auf einen solchen Output hinzuarbeiten, dürfte keinem Infrastrukturprojekt als Ziel dienen. Wenn dies so wäre, dann würden Infrastrukturen zu stark an einzelne Projekte und Forschungsvorhaben gebunden sein. Das dem nicht so ist, sollte klar werden, schaut man auf die heterogene Nutzerlandschaft, die gesamten Geisteswissenschaften.
Aber allein durch die Nutzung digitaler Tools wie Mendeley, Geobrowsern oder Visualisierungsumgebungen wie Gephi beginnt keine neue Epoche. Die Fragestellungen sind – ja, sie dürfen es auch explizit sein – die gleichen wie zuvor. Denn das bestätigen oder verwerfen alter Thesen ist ein guter Anfang um schließlich neue Fragestellungen zu entwickeln und diese auch an einer großen Masse an Daten überprüfen zu können. Erst an dieser Stelle kommt die Infrastruktur ins Spiel, deren Rolle zwar zentral ist, die aber den nach wie vor analogen Vorgang der Hypothesenbildung wenn überhaupt nur ein wenig unterstützen kann. Das bedeutet, dass das überaus kreative Vorgehen und Arbeiten in der Wissenschaft nach wie vor nicht von Maschinen ersetzt werden kann.
Der Spiegel schrieb im April 1957 im Zusammenhang mit Roberto Busas Corpus Thomisticus von “Text-Analyse durch Elektronen-Gehirne” (S. 62) und die innerkirchliche Diskussion – zu den vom Teufel persönlich entsandten Maschinen – blieb nicht aus. Vielleicht ist die aktuelle Diskussion davon nicht so weit weg. So klingt es zumindest etwas esoterisch, wenn vom “magischen [...] Vorsprung” durch Technik geschrieben wird; im SZ-Artikel und auch in den Tweets.
Quelle: http://dhd-blog.org/?p=1248
#HistMonast oder: Über das Verschlagworten von Tweets
Für immer mehr Wissenschaftler ist das Twittern bereits Teil ihres Alltags geworden – ein Teil ihrer Kommunikation mit Kollegen und/oder einer breiteren Öffentlichkeit. Zunehmend beteiligen sich auch Historiker und Kunsthistoriker daran; Mareike König hat dazu im letzten Jahr einen sehr lesenswerten Leitfaden für Historiker/innen verfasst. Auch zur Geschichte von Klöstern und Orden wird bereits von einigen Wissenschaftlern getwittert – und es werden immer mehr; darunter sind auch einige Autoren unseres Blogs. Einige haben sich nun neu angemeldet, einige hatten bereits einen Account und nutzen Twitter [...]
Ö1 zu Pataphysik
"An der Grenze des Lachbaren - Pataphysik und andere fröhliche Wissenschaften"
Gestaltung: Michael Reitz
"Pataphysik" geht zurück auf den französischen Schriftsteller Alfred Jarry, der ihn Anfang des 20. Jahrhunderts einführte. Er meint die Parodierung wissenschaftlicher Theoriebildungen. In bester pataphysischer Gesellschaft befinden sich heute eine Reihe von Forschungsprojekten, die sich selber nicht so ernst nehmen - aber trotzdem betrieben werden. Dabei ist die Grenze zwischen strenger Wissenschaftlichkeit und gewolltem Jux manchmal nicht so genau auszumachen. Fällt der Toast tatsächlich meistens mit der gebutterten Seite nach unten? Warum stehen wir im Stau immer in der falschen Schlange? Wie viel Benzin wird in Entenhausen verbraucht? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Silvio Berlusconi der Antichrist ist?
Die Rückverzauberung der Welt, Kampf gegen die Lustfeindlichkeit der Wissenschaften - Ziele, die die fröhlichen Wissenschafter interessieren. Wichtig ist die dabei: es handelt sich nicht um Scharlatane, sondern in der Regel um Akademiker, die sich über sich und ihre Disziplinen lustig machen - und dabei streng wissenschaftlich argumentieren.
Li Hongzhang in New York: Meeting the “The Yellow Kid” (1896)
Li Hongzhang 李鴻章 (1823-1901), einer der bedeutensten Staatsmänner der späten Qing-Zeit, nahm 1896 an der Krönung von Zar Nikolaus II. teil und reiste dann durch mehrere europäische Staaten – unter anderem besuchte er Bismarck in Friedrichsruh – und in die USA. Alle Phasen dieser Reise wurde von den Medien genauestens beobachtet, jeder Schritt des Gastes aus China wurde ausführlich beschrieben, manche sonderbar wirkenden Elemente dem Publikum erläutert. Die Zeitungen waren voll mit Berichten und Analysen; und auch in satirischen Blättern und Comic Strips taucht der Besuch aus China immer wieder auf. Auf 井底之蛙 erinnert Alan Baumler in dem Beitrag Yellow Kid an einen Comic von Richard F. Outcault (1863-1928) aus dem Jahr 1896.

Li Hung Chang Visits Hogan’s Alley (6.9.1896) [Quelle: SFCGA - San Francisco Academy of Comic Art Collection, The Ohio State University Billy Ireland Cartoon Library & Museum]
Der one-pager “Li Hung Chang Visits Hogan’s Alley” (6.9.1896 | → full size/zoomable image) gehört zu den bekanntesten Yellow-Kid-Seiten [1] und taucht in den unterschiedlichsten Kontexten auf. In Darstellungen zur Comic-Geschichte im Zusammenhang mit Copyright-Fragen. Baumler findet die Qualität der Schrifzeichen beachtenswert. Wolfgang Höhne [2] sieht das Bild als Beispiel für “die Welt vor 1945″ und sieht “eines der vielen ärmlichen Einwandererviertel mit seinen viergeschossigen Backsteinbauten und den offenbar schon damals obligatirischen [sic!] Feuerleitern.” [3]Dabei unterbleibt eine Auseinandersetzung mit dem Entstehungskontext und die sich daraus ergebende Deutung – der Witz geht damit verloren …Li Hongzhang kam Ende August nach New York, er reiste nach Philadelphia und Washington und traf mit dem US-Präsidenten Stephen Grover Cleveland (1837-1908, Präsident 1885-1889 und 1893-1897). Die New York Times berichtete im August 1896 ausführlich über die Vorbereitungen und dann Ende August und Anfang September ausführlich über den Verlauf des Besuchs. Am 28. August 1896 wurde ausführlich über die Vorbereitungen für den Empfang und das Programm des Besuchs in New York berichtet: “Awaiting the Viceroy [...] ‘Chinatown’ to Celebrate with Fireworks. [4] Genauso ausführlich wurde über Lis Besuch am Grab von Gen. Grant (31.8.1896) [5] und Lis andere Aktivitäten berichtet. Der Besuch wurde in mehreren Filmen dokumentiert. [6]
Richard Felton Outcault (1863-1928) gilt mit Hogan’s Alley als ‘Erfinder’ des modernen Comic Strips. Seine Arbeiten erschienen in den Sonntagsbeilagen großer Tageszeitungen The Yellow Kid ist eine Schlüsselfigur in Hogan’s Alley, einer Seire, die zwischen 1895 und 1898 (zunächst in der New York World, später im New York Journal) erschien. Die one-pager greifen in der Regel aktuelle Themen der vergangenen Woche auf und bewegen sich an der Grenze zwischen Comic und Karikatur – so auch “Li Hung Chang Visits Hogan’s Alley” (New York World, 6. September 1896):
Das Bild zeigt die typische Straßen-Szene der Hogan’s Alley, die – dem Anlass entsprechend – mit zahlreichen chinesischen Lampions geschmückt ist. Die explodierende Feuerwerkskörper erleuchten die Szenerie. Im Zentrum des Bildes sitzt eine männliche, als Chinese markierte Gestalt auf einem etwas merkwürdigen Karren, der von einem Ziegenbock gezogen wird. Der Bock wird vom Yellow Kid am Bart geführt. Wie in jedem Yellow Kid-Comic erzählt der (wie üblich mit zahlreichen orthographischen Fehlern behaftete) Text auf dem gelben Kleid die Geschichte: “Me & LI has made a big hit with each oter. Say! He tinks I’m a Chinaman – don’t say a woid. I’m goin ter give a yellow tea fer him – I know my Q.”
Rechts spielen “The Hogan’s Alley Guards” für den Gast, links und im Hintergrund sieht man zahlreiches Publikum – mit Lampions an Stangen, Klapp- und Faltfächern, mit Stars & Stripes und einer “chinesischen” Fahne [7]- eine eigentlich recht idyllische Szene …
Liest man die Texte auf Plakaten, Fächern, Wimpeln, Transparenten etc., ergibt sich ein ganz anderes Bild.
- Einer der Sänger, die vor der Kapelle marschieren singt nach anderen Noten
- An dem Bretterzaun hängt ein Plakat “The new song / Did you ever get the money that you loaned? / Or / Where are all your Friends? – A Park Row Ballad.”
- Das Mädchen vorne links trägt einen Blattfächer mit der Aufschrift: “HURRAH! FER LIE-HANG-CHUNK.
- Darüber sieht man ein großes Plakat “Quiet Corner Club Picnic fer Li-Hung-Chang in Ryan’s Vacant Lot next Thursday – Gents 50 cents, Ladies 25 [cents], real Ladies free”, in der Ecke das Schriftzeichen 李 [Li].
- Der Hund im Vordergrund rechts balanciert auf seinem Schwanz, am Halsband ein Etikett “I am leading an upright life. We are all at our best Today”
- Links vorne steht ein “gepinseltes” Banner: “Bee Gee!” Nothing so much fun as lots of noise”
- Rechts vorne: “Quit yer kiiddiin.”
Die dargestellte Szene mit all ihren Widersprüchlichkeiten lässt sich durch die Sprechblase bei der kleinen Ziege am Dach des Hauses deuten: “They are giving him some genuine Chinese music.”
In die Neugierde, mit der man dem seltenen Gast begegnete, mischen sich gängige Klischees und Vorurteile und Anspielungen auf die aktuelle politische Lage – u.a. die schwierige finanzielle Lage Chinas, der Umgang mit chinesischen MigrantInnen in den USA (der Chinese Exclusion Act von 1882, der 1892 erneuert worden war, beschränkte deren Einwanderung) massiv. Lampions, Feuerwerke und (dissonante) Musik evozieren das Leben in den Chinatowns – obwohl auf dem Bild außer Li niemand als Chinese oder Chinesin markiert ist.
Li Hongzhang (der durch die Überschrift und den Text auf dem gelben Kleid zusätzlich identifiziert wird) selbst ist eine Mischung aus Fakt und Phantasie, aber durchaus erkennbar, wie ein Vergleich mit einer Photographie aus dem Jahr 1896 zeigt. Zwei Elemente erscheinen merkwürdig: die gelbe Kleidung – die im Qing-zeitlichen China den Angehörigen des Kaiserhauses vorbehalten war – und die Pfauenfedern, die an Lis Hut steil hochstehen. Diese Pfauenfedern sind ein Element, das in Karikaturen mit China-Bezug häufig auftaucht, aber nur selten so, wie sie tatsächlich getragen wurden: Die Federn – Auszeichnungen, die Beamten für ihre Verdienste verliehen werden konnten (lingzhi 翎枝) – wurden tatsächlich mit einer Öse am Rangsknopf befestigt und hingen nach unten. [8]
Yellow Kid gilt zwar als Urform des modernen Comic Stips, steht aber in Form und Inhalt an William Hogarths Beer Street and Gin Lane (1751) [9], wo sich hinter einer vordergründig heiteren Szene beißende Ironie und Satire verbergen, die dem oberflächlichen Betrachter verborgen bleiben …
—
[1] Zu “The Yellow Kid” vgl. Mary Wood: The Yellow Kid on the Paper Stage. ↑
[2] So u.a. bei Wolfgang Höhne: Technikdarstellung im Comic. Der Comic als Spiegel technischer Wünsche und Utopien der modernen Industriegesellschaft [online] (Diss, Univ. Karlsruhe 2003). ↑
[3] Wolfgang Höhne: Technikdarstellungen im Comic (2003) – Bildteil online: http://www.ubka.uni-karlsruhe.de/volltexte/2003/geist-soz/1/html-1/3-welt/fr-w-02.html. ↑
[4] U.a.: The Arrival of Li Huang Chang (imdb), Li Hung Chang Driving Through 4th St. and Broadway(imdb), und Li Hung Chang at Grants Tomb (imdb). ↑
[5] New York Times, 28. Augst 1896. ↑
[6] New York Times, 31. August 1896. ↑
[7] Die “chinesische” Fahne ist hier dreieckig mit gezacktem/geflammtem Rand. Sie zeigt eine art von Drachen oder Fabelwesen und erinnert an die dreieckige Variante der “Gelbe-Drachen-Flagge” [huanglongqi 黃龍旗], die zwischen 1862 und 1889 von der Marine und von “offiziellen” Schiffen verwendet worden war, bevor die viereckige Form in Gebrauch kam. ↑
[8] Zu den Abstufungen: Present day political organization of China. By H.S. Brunnert and V.V. Hagelstrom; rev. by N. Th. Kolessoff ; tr. from the Russian by A. Beltchenko and E.E. Moran (New York : Paragon [s. d., Foreword dated Foochow, 1911] Nr. 950 (p. 498). ↑
[9] William Hogarth, Beer Street and Gin Lane (1751) – Kurzbeschreibung und kurze Erläuterung → The British Museum. ↑