Zur Überlieferung der Zwiefalter Chroniken Ortliebs und Bertholds

In zweierlei Hinsicht waltete über den Editionen der lateinischen Chronik des Zwiefalter Benediktiners Berthold ein Unstern. Zum einen ist eine Textherstellung aufgrund von Handschriften des 16. bis 18. Jahrhunderts nach dem Verlust einer noch von Martin Crusius 1590 benutzten hochmittalterlichen Pergamenthandschrift ausgesprochen schwierig, da die Reihenfolge vieler Kapitel erschlossen werden muss. Zum anderen hat der Stuttgarter Archivar Karl Otto Müller (1884–1960), der die Edition der Chroniken Ortliebs und Berthold von dem 1940 verstorbenen Tübinger Professor Erich König  übernommen hatte, die entscheidenden Vorarbeiten des von […]

Quelle: http://ordensgeschichte.hypotheses.org/6323

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Elitesoziologie – Prof. Dr. Michael Hartmannn im Interview (TU Darmstadt)

Prof. Dr. Hartmannn lehrt an der TU Darmstadt und beschäftigt sich unter anderem mit den Arbeitsschwerpunkten Elitesoziologie sowie Industrie- und Organisationssoziologie. Im Rahmen des Interviews stand die Elitesoziologie im Vordergrund, wobei in diesem Zusammenhang vor allem die Entstehung bzw. Zusammensetzung … Continue reading

Quelle: http://soziologieblog.hypotheses.org/5803

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Wiener Preis für Stadtgeschichtsforschung – Preisverleihung an Anton Tantner, 28.11.2013,…

Sehr schön, ich bekomme für meine Habil (vgl.) den Wiener Preis für Stadtgeschichtsforschung verliehen und darf zur Preisverleihung einladen:

Zeit: Do, 28.11.2013, 18:30
Ort: Wiener Rathaus, Festsaal, Felderstraße 1, Feststiege I, 1010 Wien

Das Programm:

Verleihung des Wiener Preises für Stadtgeschichtsforschung an Anton Tantner

Überreichung
amtsf. Stadtrat Dr. Andreas Mailath-Pokorny

Laudatio
Ferdinand Opll

Zu den historischen Wurzeln der Kontrollgesellschaft
Vortrag
Anton Tantner

Anschließend Podiumsgespräch mit
Jana Herwig, Anton Tantner

Moderation
Hubert Christian Ehalt

PDF der Einladung: WienerVorlesung_20131128 (pdf, 543 KB)

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/565869217/

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Attribution

Nicht nur Wissenschaftler wollen die Welt verstehen. Jeder Mensch denkt mit und nach, stellt über einzelne Ereignisse hinausgehende Zusammenhänge her, gibt dem Konkreten einen Platz in einem größeren Kontext. Und das funktioniert meistens auch so gut, dass wir es bis ins Jahr 2013 geschafft haben und uns nicht auf der Basis eines falschen Verständnisses von Gravitation aus dem Fenster unseres Zahnarztes im 4. Stock geschwungen haben. Unsere Köpfe stecken voller Modelle/Theorien/Annahmen/Überzeugungen, mit denen wir uns erklären, was um uns herum und in uns drin geschieht und die unsere Interaktionen mit der Umgebung steuern. Psychologen untersuchen sowohl das Zustandekommen von Ursachenzuschreibungen (=Attributionen) als auch die Folgen, die diese ursächlichen Erklärungen nach sich ziehen. Wenn ich in der Bahn angerempelt werde, ist es für mein weiteres Handeln entscheidend, ob ich dieses Ereignis auf eine böswillige Absicht oder auf ein Versehen zurückführe.

Wer nicht fragt, bleibt zwar dumm, aber im Alltag rennen wir trotzdem nicht die ganze Zeit ‘Wieso? Weshalb? Warum?’ fragend durch die Gegend. Das liegt daran, dass wir viele dieser Fragen in der Vergangenheit schon einmal gestellt und beantwortet haben, so dass wir heute nur dann bewusst auf Ursachensuche gehen, wenn etwas unseren Erwartungen Widersprechendes geschieht. Wir fallen nicht schockiert vom Stuhl, wenn am Abend das Tageslicht versiegt, weil dieses Phänomen ganz wunderbar in unser Modell von einem normalen Tagesablauf passt. Andererseits kostet es beim Sommerurlaub in Island schon erstmal ein bisschen Kraft und Schlaf, die Verwirrung über die um zwei Uhr nachts aufgehende Sonne abzuschütteln. Und wenn es etwas gibt, das im Alltag noch regelmäßiger unseren Erwartungen zuwiderläuft als Naturereignisse, dann sind das andere Menschen. Wir erkunden die kausalen Zusammenhänge, wenn Geschehnisse unser Selbstbild, unsere Weltsicht oder den Umgang mit unseren Mitmenschen in Frage stellen.

Drei Informationsdimensionen

Wie laufen diese Attribuierungsprozesse, diese Erkundungen kausaler Zusammenhänge ab?

Nehmen wir an, ich treffe zum ersten Mal die Eltern meiner Freundin und ihr Vater wirkt zeitweilig mürrisch und abweisend, während ich mich mit ihm unterhalte. Ich bin verunsichert. Mag er mich nicht? Ist das einfach seine Art? Hat er einen schlechten Tag? Schmeckt ihm das Essen nicht? Interpretiere ich zu viel in sein Verhalten hinein? Um diese für die Beziehungsgestaltung wichtigen Fragen zu beantworten, sammle ich weitere Informationen: Ich beobachte, wie er sich seiner Frau und seiner Tochter gegenüber verhält. Ich frage ihn, ob ihm das Essen schmeckt. Ich frage meine Freundin, ob sie meine Interpretationen teilt. Bei unserem zweiten Treffen achte ich darauf, ob er weniger mürrisch wirkt als beim ersten.

Psychologen benutzen drei Fachbegriffe, um diese beispielhaft dargestellten Informationsdimensionen zu beschreiben, die jeder Mensch oft in sozial mehrdeutigen Situationen einholt. Konsensus-Informationen bekomme ich, indem ich meine Freundin frage, ob sie ihren Vater auch als abweisend wahrnimmt. Ich gleiche meine Sicht der Dinge mit der anderer Personen ab. ‘Geht es Dir auch so?’ ist die prototypische Frage. Distinktheits-Informationen bekomme ich, indem ich den Vater im Umgang mit seiner Tochter und seiner Frau beobachte. Ich gucke, inwiefern sein Verhalten sich in Abhängigkeit des Menschen ändert, mit dem er interagiert. Dabei wird es umso interessanter, je unterschiedlicher die Interaktionspartner sind. Am erhellendsten wäre es für mich, ihn mit einem Arbeitskollegen, einem Bettler, seiner Frau, seiner Geliebten, einem Spiegel, Gott, seinen Eltern und mit einem chinesischen Einsiedler reden zu sehen. ‘Wie abhängig ist das Phänomen vom Interaktionsobjekt?’ könnte die prototypische Frage sein. Konsistenz-Informationen bekomme ich, indem ich den Mann ein zweites, drittes und siebtes Mal treffe. Ich nehme Veränderungen über die Zeit in seinem Verhalten wahr. ‘Wie tagesformabhängig ist das Phänomen?’ lautet die prototypische Frage.

Vier Attributionsdimensionen

Je mehr und je bessere Informationen bezüglich Distinktheit, Konsistenz und Konsensus ich einhole, umso genauer kann ich attribuieren. Am Ende des Prozesses können völlig unterschiedliche Ursachenzuschreibungen und ebenso unterschiedliche Schlussfolgerungen für mein eigenes Handeln stehen. Spielen wir mit dem Schwiegervaterbeispiel mal ein paar mögliche Muster durch:

Version 1 Meine Freundin erlebt ihren Vater überhaupt nicht als mürrisch und abweisend mir gegenüber, sondern als warmherzig und offen. Ich bemerke, dass er einige seiner mürrischen Verhaltensweisen auch im Umgang mit seiner Frau zeigt. Und bei unseren folgenden Treffen verhält er sich wieder genauso wie bei unserer ersten Begegnung. Ich schließe, dass dieser Mensch einfach so ist, dass er es nicht böse mit mir meint und ich stelle mich auf sein Freundlichkeitsniveau ein, so gut es geht.
Version 2 Meine Freundin teilt meine Wahrnehmung und wundert sich besonders, weil ihr Vater sich mit ihrem Ex-Freund immer so gut verstanden hat. Zu seiner Frau ist er ausgesprochen liebreizend. Und bei unseren folgenden Treffen verhält er sich wieder genauso wie bei unserer ersten Begegnung. Ich schließe, dass dieser Mensch mich einfach nicht mag und versuche, ihn für mich zu gewinnen, solange ich die Energie dafür habe und spreche mit meiner Freundin darüber, wie wir mit diesem angespannten Verhältnis zusammen umgehen wollen.
Version 3 Meine Freundin nimmt ihren Vater auch als mürrisch und leicht abweisend wahr. Ich bemerke, dass er einige seiner mürrischen Verhaltensweisen auch im Umgang mit seiner Frau zeigt. Und bei unserem zweiten Treffen ist er die Warmherzigkeit in Person und überschüttet alle Anwesenden inklusive mir mit seiner überschäumenden Liebe. Ich schließe, dass dieser Mensch starke Stimmungsschwankungen hat und stelle mich innerlich darauf ein, mir ein etwas dickeres Fell in Bezug auf ihn zuzulegen.

Auch Attribuierungsergebnisse ordnen Psychologen auf Dimensionen. Ich kann internal, auf in der Person liegende Faktoren oder external, auf situationale Faktoren attribuieren. Ich kann Phänomene auf eine über die Zeit stabile oder auf eine variable Ursache zurückführen. Ich kann auf eine für mich kontrollierbare oder unkontrollierbare Ursache attribuieren. Und ich kann einschätzen, inwieweit eine Ursache auch in mehr oder weniger ähnlichen Situationen wirksam ist, wie global bzw. lokal sie ist. In einer dicken Depression attribuieren Menschen schöne Ereignisse z. B. gerne external, variabel, unkontrollierbar und lokal, während sie für unschöne Ereignisse ein internales, stabiles, unkontrollierbares und globales Muster wählen. Das heißt, wenn sie auf der Straße spontan angelächelt werden, sagen sie sich, dass das auf keinen Fall an ihnen liegen kann, dass es morgen bestimmt nicht noch einmal vorkommt, dass die Ursache für das Lächeln außerhalb des Bereiches ihrer Kontrolle liegt und dass die Situation derart einzigartig war, dass sowas in anderen Situationen nicht wieder passieren wird. Und wenn sie auf der Straße spontan beleidigt werden, sagen sie sich, dass sie einfach ein fantastisch beleidigbares Gesicht haben, mit dem sie weiterhin leben müssen und das sie nicht ändern können, weil sie nun mal so geboren sind, und dass sie darunter bei jeder Begegnung mit anderen Menschen und Spiegeln leiden.

Attributionsfehler

Im Alltag gehen Attribuierungen nicht derart strukturiert von statten; ich arbeite mich nicht erst durch die Konsensus-, Distinktheits- und  Konsistenzinformationen hindurch, um am Ende ein inneres Statement abgeben zu können à la: “Unter Berücksichtigung aller vorhandenen Informationen entscheide ich mich dazu, das abweisende und mürrische Verhalten meines Schwiegervaters mir gegenüber internal, variabel, unkontrollierbar und global (Version 3) zu attribuieren.” Es ist jedoch beachtlich, wie sehr der intuitive Attribuierungsprozess dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnungsprozess ähnelt: Am Anfang steht eine Beobachtung, der einige Vermutungen folgen, die diese Beobachtung erklären könnten, und schließlich suche ich triftige Hinweise für und wider die verschiedenen Erklärungsalternativen. Dieser Vorgang kann in einsamer Reflexion oder auch im Gespräch stattfinden und er führt nicht zu finalen Weisheiten, sondern zu Übergangsergebnissen, die ggf. auf der Basis neuer Erfahrungen revidiert werden. Wegen dieser Ähnlichkeit des alltäglichen und des wissenschaftlichen Vorgehens sprechen Psychologen gerne von ‘Alltagspsychologie’ oder von ‘naiver Wissenschaft’. Und dann verbringen sie viel Zeit damit, die psychologischen Alltagsüberzeugungen tatsächlichen sozialwissenschaftlichen Befunden gegenüberzustellen. So tun sich Bereiche auf, in denen die im Großen und Ganzen gut geölte Erklärungsfindungsmaschine in unseren Köpfen von einer intersubjektiv teilbaren Realität abweicht und ihren eigenen Film schiebt.

Zum Beispiel tendieren Menschen dazu, den Einfluss von Persönlichkeitseigenschaften zu überschätzen, wenn sie andere Menschen beobachten. Wer einmal nicht ganz die Wahrheit sagt, ist ein Lügner. Wer mich in der Bahn anrempelt, ist entweder ein Tölpel oder ein Flegel. Und wer barfuß durch die Stadt geht, muss ein Hallodri sein. Das geht sogar so weit, dass selbst dann noch internal attribuiert wird, wenn der Persönlichkeitseinfluss auf ein Verhalten experimentell auf null reduziert wird. Beispielsweise kann man Leute zufällig einer von zwei Gruppen zuordnen, von denen die eine Essays pro und die andere contra Atomkraft schreiben soll. Und wenn man diese Essays Versuchspersonen vorlegt und um eine Einschätzung bittet, inwiefern die Essays den Standpunkt des jeweiligen Autors darstellen, attribuieren die Versuchspersonen immer noch ziemlich gerne internal, auf die Persönlichkeit, obwohl sie wissen, dass die Gruppenzuordnung per Münzwurf entschieden wurde. Diese kognitive Tendenz, das internale Attribuieren bei der Fremdbeobachtung zu übertreiben, nennt man den fundamentalen Attributionsfehler. Ähnliche Schwierigkeiten dem Schubladendenken zu entkommen haben Menschen, wenn sie Andere beobachten, die einer fremden Gruppe angehören. Wenn ich z. B. zum ersten Mal im Leben eine Kuwaiterin kennenlerne und sie beim Abendessen einen Spritzer Balsamico auf ihre Pizza tut, könnte ich verführt sein zu denken “Aha, das macht man in Kuwait also so”. Wenn mein Freund Christoph aus Detmold das gleiche tun würde, käme ich wohl nicht auf die Idee zu denken, dass alle Detmolder Balsamico-Pizzen lieben. Diese kognitive Tendenz, Eigen- und Fremdgruppen unterschiedliche Attributionen angedeihen zu lassen, nennt man den ultimativen Attributionsfehler.

Fazit

Jeder Mensch schreitet mit im Laufe des Lebens gewachsenen Modellen umher, die die äußere und innere Realität erklären sollen. Wenn diese geistigen Modelle durch neue Erlebnisse herausgefordert werden, betätigen wir uns als Alltagspsychologen und begeben uns in einen quasi-wissenschaftlichen Prozess der Informationssuche und der Ursachenzuschreibung. Dabei führen bestimmte Tendenzen – bei aller Effizienz des geistigen Attribuierungsapparates als Ganzem – nachweislich wiederholt zu Fehlern. So zum Beispiel, wenn wir im Verhalten Anderer ihre Persönlichkeit überstark durchscheinen zu sehen glauben oder wenn wir die Gruppenzugehörigkeit als handlungsbestimmendes Merkmal überbetonen.

Quelle: http://psych.hypotheses.org/81

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Kurzbericht zum DARIAH-DE-Expertenworkshop »Controlled Vocabularies for Historical Place Types«

Am 10. und 11. November fand in der historischen Domus universitatis in Mainz, dem Sitz des Leibniz-Instituts für Europäische Geschichte (IEG) ein DARIAH-DE-Expertenworkshop zum Thema »kontrollierte Vokabulare für Typen historischer Orte« statt. Diese Thematik ist ein Schwerpunkt der  Arbeiten des IEG in DARIAH-DE, wobei der räumliche und zeitliche Fokus dabei zunächst auf dem mittelalterlichem und frühneuzeitlichen Europa liegt. Das Ziel des Workshops war es, Experten aus verschiedenen Disziplinen an einen Tisch zu holen und Prinzipien für die Entwicklung eines kontrollierten Vokabulars für historische Ortstypen und eine ersten Version eines Grundvokabulars zu entwickeln.

expert_workshop

Der Expertenworkshop in Mainz war durch intensive Diskussionen, aber auch durch große Übereinstimmung zwischen den Teilnehmern gekennzeichnet.

Am Workshop nahmen 19 Experten aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Frankreich, Polen, Großbritannien und Norwegen und natürlich die Organisatoren vom IEG (Michael Piotrowski, Giovanni Colavizza und Anna Aurast) teil. Am ersten Tag eröffnete Giovanni Colavizza den Workshop mit einer Einführung in das Thema unter dem Titel »Kontrollierte Vokabulare und Geisteswissenschaften: Probleme einer Beziehung« und stellte den Ansatz des Projekts, nämlich die funktionale Kategorisierung von historischen Ortstypen, vor und beschrieb die damit verbundenen Herausforderungen. Anschließend fand eine erste Diskussion, verbunden mit einer Vorstellungsrunde statt.

Im Anschluss stellten mehrere der eingeladenen Experten ihre Projekte vor:

  • Francesco Beretta und Charlotte Butez (CNRS/Université de Lyon): »The SyMoGIH project (Système modulaire de gestion de l’information historique) and the issue of the historical place types«
  • Marco Jorio (Historisches Lexikon der Schweiz): »Geographical categories in the Historical Lexicon of Switzerland«
  • Luc Schneider (Universität des Saarlandes): »On Sites and Functions: the BFO approach (Basic Formal Ontology)«
  • Franziska Ruchti (Diplomatische Dokumente der Schweiz): »The DODIS Database – geriatric challenges of a fountain of youth«).
  • Kai-Christian Bruhn (Fachhochschule Mainz): »On the use of controlled vocabularies at the Institute for Spatial Information and Surveying Technology«
  • Bogumił Szady (Instytut Historii Polskiej Akademii Nauk): »Sacral objects and church administration units as a subject of historical spatio-temporal databases«
  • Pascale Sutter (Rechtsquellenstiftung des Schweizerischen Juristenvereins): »Places in the Collection of Swiss Law Sources«
  • Marek Słoń (Instytut Historii Polskiej Akademii Nauk): »Types of settlements in Poland in the 16th century.

Abschließend wurden die Erkenntnisse aus den Präsentationen und das Projekt des IEG miteinander verglichen und diskutiert. Das gemeinsame Abendessen fand – passend zum Thema des Workshops – im »Heiliggeist« statt, das sich in einem 1236 ursprünglich als Spital erbauten Gebäude befindet, dessen wechselvolle Geschichte sehr gut die Problematik der Klassifikation historischer Orte illustriert.

Am zweiten Tag des Workshops fand zunächst intensive Arbeit in zwei Gruppen statt, fokussiert auf das Vorhaben des IEG-Projektes zur funktionalen Kategorisierung von historischen Ortstypen.  Eine Gruppe beschäftigte sich anhand von konkreten Beispielen historischer Orte mit den Funktionen, die verschiedenen Typen von Orten inhärent sind; in der anderen Gruppe anderen wurde über konzeptuelle Ansätze und Beschreibungsformalismen diskutiert. Anschließend wurden im Plenum die Ergebnisse aus den beiden  Gruppen analysiert. Zum Abschluss wurden die Ergebnisse des Workshops und die zukünftige Arbeit besprochen.

Durch den Workshop gelang es uns, eine Diskussion über kontrollierte Vokabulare für Ortstypen anzustoßen, die aus verschiedenen Fach- und Forschungsperspektiven geführt wurde. Durch die Veranstaltung ist eine kleine Community von interessierten Wissenschaftlern aus verschiedenen Fachrichtungen entstanden, die noch weiter wachsen soll. Der von IEG vorgeschlagene Ansatz wurde ausführlich diskutiert, verbessert und wird zurzeit weiter entwickelt und implementiert.

In der Zukunft wollen wir weitere wissenschaftliche Communities einbinden, um sinnvolle Erweiterungen des Vokabulars zu diskutieren. Parallel sollen grundlegenden Prinzipien für kontrollierte Vokabulare in den Geisteswissenschaften erforscht werden, um die Entwicklung von weiteren Vokabularen für andere Anwendungen in der nächsten Projektphase vorzubereiten.

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=2589

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Wissenschaft oder praktischer Nutzen? Botanische Gärten und Pflanzer auf Ceylon 1881

von Michael Offermann 

Im Frühjahr 2013 nutzte ich meinen Erasmus-Aufenthalt am Queen Mary College der University of London dazu, in den Londoner Archiven nach Quellen für meine Masterarbeit zu suchen. Schon länger war mir klar, dass ich etwas über das britische Netzwerk botanischer Gärten in Südasien schreiben wollte. Ein Hinweis meines Betreuers brachte mich dazu, mich auf Ceylon (Sri Lanka) zu konzentrieren. Seit 1830 waren dort Kaffeeplantagen entstanden, auf denen 1869 der Kaffeerost ausbrach, wodurch innerhalb von nur 15 Jahren der Kaffeeanbau auf Ceylon zusammenbrach. Der örtliche botanische Garten in Peradeniya und seine Londoner Zentrale Kew Gardens versuchten den Pflanzern zu helfen, doch konnten kein effektives Gegenmittel gegen die Pflanzenkrankheit entwickeln. Infolgedessen schwenkten die Pflanzer auf Tee um, für den Ceylon heute bekannt ist.

John Ferguson: Ceylon in the Jubilee Year. With an Account of the Progress Made Since 1803, and of the Present Condition of its Agricultural and Commercial Enterprises, 3. Aufl., Colombo 1887, S. 60, https://archive.org/details/ceyloninjubilee00ferggoog.

John Ferguson: Ceylon in the Jubilee Year. With an Account of the Progress Made Since 1803, and of the Present Condition of its Agricultural and Commercial Enterprises, 3. Aufl., Colombo 1887, S. 60, https://archive.org/details/ceyloninjubilee00ferggoog.

Mich interessierte ob und wie die Pflanzer und die botanischen Gärten angesichts der Krise, die der Kaffeerost auslöste, zusammenarbeiteten. Gab es eine einträchtige Kooperation, oder Konflikte zwischen Wissenschaftlern und Pflanzern? Im Archiv von Kew Gardens stieß ich auf eine Gruppe von Quellen, die mir die unterschiedlichen Interessen der britischen kolonialen Akteure vor Augen führten. Es handelt sich um Briefe, die der von Kew nach Ceylon gesandte Wissenschaftler Harry Marshall Ward an den Direktor Kews William Thiselton-Dyer sandte. Nach zwei Jahren auf Ceylon, äußert sich der Wissenschaftler genervt über die unwissenschaftlichen Spekulationen in der Presse und die Borniertheit der Pflanzer:

‘Coffee-leaf disease’ begins to stink in my nostrils! I cannot disguise the fact that I shall be very glad to get out of this; it will be no end of a relief to talk to a man with higher & better ideas than the usual Coffee planter or Colonial Civilian […] & I wonder if a newspaper can be possibly conducted on honourable principles, all of wh[ich] facts will convince you that it is not mere home-sickness that renders me sick of coffee.1

Kaffeerost

Kaffeerost verursacht durch den Pilz Hemileia vastatrix, in Rwanda 2001. Quelle: Wikimedia Commons, Foto: Smartse, CC-BY-SA

Während Marshall Ward sich vorrangig für die wissenschaftliche Erforschung des Rostpilzes interessierte, verlangten die Pflanzer schnelle, effektive und günstige Mittel, die die Krankheit auf den Plantagen eindämmen sollten. Als klar wurde, dass die botanischen Gärten diese Hilfe nicht würden liefern können, waren die Pflanzer enttäuscht. Der Leiter des botanischen Gartens in Ceylon, Henry Trimen fasste die Lage auf der Insel so zusammen:

The planters expect to make enormous profits & when they are merely making reasonably ones, they are making a great outcry. As a class the planters, who will take anything that is given them, without thanks & as a right, will not act together except in opposing things given to any other class of the community. […] Here [Ceylon] it is against a pushing & energetic set of men who care for nothing else in life but making money as quickly as possible that they may leave the country. Against the most sordid & shortsighted jealousy of all that is not “practical” I have to keep up an attitude of steady persistence.2

Statt eines oft angenommenen reibungslosen Zusammenspiels von botanischer Wissenschaft und Kolonialismus, kam es während der Kaffeekrise auf Ceylon zu einem Interessenskonflikt zwischen den kolonialen Akteuren. Beide Gruppen hofften auf je eigene Weise vom „kolonialen Projekt“ zu profitieren: die Pflanzer durch Profite, die Wissenschaftler durch Forschung, die ihre wissenschaftliche Karriere befördern sollte und so nur in Ceylon möglich war. Ich habe durch dieses Beispiel erfahren, wie fragil und widersprüchlich koloniale Herrschaft sein konnte und wie häufig unerwartete Probleme „on the spot“ die Pläne der Akteure durchkreuzten.

Michael Offermann arbeitet momentan als Doktorand bei der SNF-Förderprofessur von Stephan Scheuzger “Die globale Produktion und Zirkulation des Wissens von Strafe und sozialer Kontrolle” am Historischen Institut der Universität Bern. In seinem Dissertationsprojekt geht es um transnationale Wissenszirkulationen über Strafen und Gefängnisse zwischen Großbritannien und Britisch-Indien im 19. Jahrhundert.
Er hat Geschichte und Politikwissenschaft in Heidelberg und London studiert. Seine Masterarbeit, die er 2013 in Heidelberg eingereicht hat, beschäftigte sich mit der Kooperation von Pflanzern und Botanikern auf Ceylon 1869-1885.

  1. Kew Gardens Archive, Miscellaneous Reports Ceylon 5.21, Coffee Diseases 1871–1887, fol. 306v., Harry Marshall Ward an William Thiselton-Dyer, 9.2.1881
  2. Kew Gardens Archive, Director’s Corespondence, vol. 163, fol. 246, Henry Trimen an William Thiselton-Dyer, 25.3.1881.

Quelle: http://openblog.hypotheses.org/63

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Günther Kronenbitter: Brüchige Ordnung und Dichte Beschreibung – Kulturanthropologie und politischer Wandel

Abstract für die Konferenz Das 20. Jahrhundert und der Erste Weltkrieg

Der Vortrag thematisiert den Zusammenhang von politischem Wandel und Ethnologie/Cultural Anthropology im 20. Jahrhundert mit besonderem Fokus auf die folgenden Dimensionen:

  • Imperialismus, Kolonialherrschaft, Dekolonisation und Forschung
  • Ethnologie in Kriegszeiten – biographische und professionelle Aspekte
  • Rassismus und wissenschaftliches Engagement
  • Wissenschaftliche Deutungsangebote und Forschungsrichtungen
  • Orientierungsfragen: Fachprofil und globaler Wandel seit den 1960er Jahren

Nach der Promotion 1992 mit einer Arbeit zur Politischen Ideengeschichte um 1800 wandte Prof. Dr. Günther Kronenbitter sich der Geschichte der Habsburgermonarchie im frühen 20. Jahrhundert zu und habilitierte sich 2001 im Fach Neuere und Neueste Geschichte. Forschungsschwerpunkte bilden die politische Kultur und Intellektualgeschichte des 19. Jahrhunderts, die Habsburgermonarchie seit dem späten 18. Jahrhundert, die internationale Geschichte seit der Französischen Revolution und die historische Anthropologie politischen Handelns im 19. und 20. Jahrhundert. Prof. Dr. Günther Kronenbitter vertritt seit Beginn des Wintersemesters 2012/13 für drei Jahre den Lehrstuhl für Europäische Ethnologie / Volkskunde der Universität Augsburg.

Quelle: http://grandeguerre.hypotheses.org/1261

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Ulrike Jureit: „Staat als Lebensform“. Raumkonzepte für eine geordnete Moderne

Abstract für die Konferenz Das 20. Jahrhundert und der Erste Weltkrieg

Während die politische Geographie „die Erde als Wohnstätte für ihre menschliche Bewohnerschaft in ihren Beziehungen zu den übrigen Eigenschaften der Erde“ untersucht, ist unter Geopolitik „die Lehre vom Staat als geographischem Organismus und als Erscheinung im Raume“ zu verstehen. So formulierte es zumindest 1916 der schwedische Staatswissenschaftler Rudolf Kjellén und markierte damit noch während des Ersten Weltkrieges die Transformation politisch-geographischer Raumkonzepte zu geopolitisch und in erster Linie staatstheoretisch begründeten Ordnungsentwürfen.  Mit und nach dem Ersten Weltkrieg stabilisierte sich auf dieser Grundlage ein weltpolitisches Ordnungsdenken, das vor allem im „Großraum“ die effektivste Form territorialer Herrschaft identifizierte. Ob ökonomisch, militärisch oder kulturell – in der Eroberung, Besiedlung oder zumindest doch Beherrschung von Großräumen lag fortan für diejenigen Staaten, die auf längere Sicht weltpolitisch mitmischen wollten, die politische Herausforderung. Supranationale Großraumpolitik avancierte zum zentralen Ordnungsmodell für das 20. Jahrhundert.

Dr. Ulrike Jureit ist Gastwissenschaftlerin der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur am Hamburger Institut für Sozialforschung.

Quelle: http://grandeguerre.hypotheses.org/1259

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Über ungelöste Rätsel und die Verantwortung der Wissenschaft für ein YouTube-Video

Momentan befinde ich mich in einer sehr mühsamen Phase der Dissertation. Tag für Tag wälze ich Handschriftenkataloge und Datenbanken, klicke mich durch unzählige Zahlenkolonnen einer Access-Datei. Kein Wunder also, dass ich von Zeit zu Zeit empfänglich bin für das moderne Medium der Zerstreuung, YouTube.

Natürlich kommt dabei für mich normalerweise nur der Arte Channel in Frage ;-) , gestern stieß ich allerdings auf folgende Perle: Der Experimentalarchäologe Dominique Görlitz stellt Ungelöste Rätsel der Entdeckergeschichte vor.

Herr Görlitz (“beschäftigt sich seit 20 Jahren mit der Experimentalarchäologie. Diese interdisziplinäre Forschung berührt auch das Studium der Kartographiegeschichte […].”) überraschte mich bei seinem ersten “Expertenbeitrag” zunächst äußerst positiv mit der Aussage, “dass diese Anschauung, dass die Erde eine Scheibe ist, eigentlich eine relativ junge Anschauung war”. Endlich mal einer der mit diesem Mittelalter = Erde = Scheibe-Quatsch aufräumt, dachte ich zufrieden – bis Görlitz seinen Satz mit den Worten beendete: “die sich eigentlich erst mit der Christianisierung ausgehen der Antike entwickelt hat.” Und weiter: Die Kugelgestalt der Erde “hat sich in der Antike auch so weitgehend durchgesetzt, bis man wieder den Schritt zumindest kulturell scheinbar zurück, mit dem Christentum genommen hat, wo man eben wieder in die alte flächige Gestalt der Erde umgeswitched war.”

Eigentlich hätte ich die “Doku” vergnügt ein bisschen weitergeschaut (Bonmots: “Wenn man sechzig Tage auf dem Ozean segelt, hat man viel mehr Freizeit als im normalen wirklichen Leben”; “Aber grade Phantasie und Spekulation sind wichtige Grundmethoden der Wissenschaft”) und verdrängt. Der Zufall wollte aber, dass ich abends einen ersten Blick in das kürzlich erschienene Buch Die Geschichte der legendären Länder und Städte von Umberto Eco warf. Gleich das erste Kapitel behandelt Die Erde als Scheibe und die Antipoden. Auf Seite 12 betont Eco: “Im Gegensatz zu vielen Legenden, auf die man immer noch im Internet stößt, wussten alle Wissenschaftler des Mittelalters, dass die Erde eine Kugel ist.” Wie könnte das ein bedeutungsloser Zufall sein! Nein, das war ein Zeichen, eine Aufforderung , die ungelösten Rätsel der Entdeckergeschichte zu lösen oder zumindest einen kleinen Artikel über eines davon zu schreiben. Dabei ist der Begriff Rätsel hier eigentlich falsch verwendet, Irrtümer trifft es besser, zum Beispiel die erwähnte Legende eines mittelalterlichen Scheibenweltbildes. Vor einiger Zeit hat Reinhard Krüger (hier in einem Beitrag von 2007) betont: “Nichts davon trifft zu. Vielmehr handelt es sich bei dieser Vorstellung um ein wissenschaftsgeschichtliches Gerücht, welches spätestens seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts sich aus zunehmender Unkenntnis der einschlägigen astronomischen, geographischen und kosmologischen Literatur des Mittelalters, hierunter vor allem auch der Texte der Kirchenväter, speist. Aus dem Gerücht vom mittelalterlichen Erdscheibenmodell, aus der überzogenen Interpretation der scheinbaren Wissenschaftsfeindlichkeit eines Kirchenvaters wie Augustinus beispielsweise, mit einer Vielzahl von nur noch schlecht memorierten Zitaten der patristischen Tradition und schließlich mit gefälschten und zeitlich um Jahrhunderte vordatierten Graphiken des ausgehenden 19. Jahrhunderts vom ‘Aufbruch des mittelalterlichen Menschen aus kirchlicher Bevormundung’ wurde der Mythos vom spätantiken Niedergang des Globusmodells und der daraus resultierenden mittelalterlichen Unwissenheit geschaffen.” (Siehe Link, S. 34).

Ich möchte nun nicht die ganze Forschungsgeschichte zum Thema wiederkäuen, wem der Krügerbeitrag nicht ausreicht, der findet auf der Wikipedia-Seite zur Flachen Erde einschlägige Literatur und auch bei Eco kann man mit Genuss darüber lesen (und auf vielen schönen Abbildungen sehen).

Vielmehr möchte ich kurz einen sehr cleveren, mittelalterlichen Beweis zur Kugelgestalt der Welt vorstellen, also nicht nur das geistige Endprodukt “Die erde ist ja eine Kugel!”, sondern auch einen dazu führenden Gedankengang.

Im frühen 12. Jahrhundert verfasste Wilhelm von Conches einen Lehrdialog, in dem ein Herzog mit einem Philosophen über den Aufbau des Kosmos diskutieren.

In Buch 6, Kapitel 2 des Dragmaticon’s[1] debattieren beide die Form der Erde. Einige Ignoranten, die wie die Tiere eher ihrem Gefühl anstatt ihrem Verstand vertrauen würden, behaupteten, die Erde sei eine Scheibe. Diesen Irrsinn widerlegt der Philosoph mit einer ganzen Reihe von Argumenten.

Eines dieser Argumente hat der Wissenschaftsgeschichte zwei schöne Diagramme beschert, das Argument der zwei Städte: Wäre die Erde eine Scheibe, so würde es in einer Stadt ganz im Osten der Scheibe fast gleichzeitig Morgen und Mittag sein, da die Sonne dann kurz nach dem Aufgehen ihren Zenit über der Stadt erreicht. Für eine Stadt ganz im Westen der Scheibe hingegen stellte sich die Situation genau andersherum da, hier würden Mittag und Abend zusammenfallen. Da das bekanntermaßen nicht der Fall sei, müsse die Erde eine Scheibe sein, so der Philosoph. “Damit Du das besser verstehen kannst, male ich eine Figur”:

Oxford, Bodley, MS. e Mus. 121, fol. 82v

Aus dem gleichen Grund erführen verschiedene Orte auch den Sonnenauf- bzw. Untergang zu unterschiedlichen Zeiten. Geht die Sonne für eine Stadt unter, geht sie gleichzeitig für eine andere auf der Rückseite des Globus auf. Auch hierfür gibt der Philosoph ein Diagramm, wobei die Städte in dieser Handschrift durch A, B, C und D ersetzt wurden.

Oxford, Bodley, MS. e Mus. 121, fol. 83v

Nicht nur wusste Wilhelm, dass die Erde eine Kugel war, er konnte dies auch begründen. Dabei war seine Begründung anders als etwa bei Pythagoras nicht rein philosophisch oder gar mystisch, sondern im Grunde geometrisch (also rational) und ein Stück weit sogar empirisch.

So viel zur Kugel.

Warum hat mich diese Dokumentation so nachhaltig verstört, dass ich sie nicht wie sonst ignoriert habe? Zum einen, weil ich bei meinen Internetrecherchen feststellen musste, dass so ein Unfug tatsächlich noch in einigen Schulbüchern verbreitet wird (das Beispiel ist zwar von 1998, dürfte im Schulunterricht aber noch Anwendung finden). Zum anderen, weil sich die Dokumentation im Vergleich zu “seriösen” Fernsehdokumentationen ganz gut schlägt. Ein professioneller Sprecher, “Experteninterviews” und eine (vergleichsweise) seriöse Aufmachung ­– auf den Laien dürfte das durchaus Eindruck machen. Mit den bizarren und skurrilen Auftritten des pseudowissenschaftlichen Gegendiskurses hat das jedenfalls nicht mehr viel zu tun. Vielmehr scheinen mir solche Produktionen durchaus geeignet zu sein, zunehmend im populärwissenschaftlichen Diskurs Fuß zu fassen, zumal im Internet kein Gatekeeping stattfinden kann. Hier ist sicher auch die seriöse Wissenschaft verantwortlich, die die Vermittlung ihres Wissens aus dem akademischen Subsystem in eben diesen populärwissenschaftlichen Diskurs und damit in die Gesellschaft sträflich vernachlässigt. Wer dort allerdings die Deutungshoheit verliert, der verliert gleichzeitig seine Relevanz und Legitimation. Wenn sich die Wissenschaft aber nicht allein auf die Schule als Vermittlerin ihres Wissens verlassen kann, dann muss sie sich selbst darum kümmern, etwa indem sie ihre Ergebnisse nicht nur als Fachartikel in Fachzeitschriften publiziert, sondern auch in leicht verständlicher, vielleicht sogar unterhaltsamer, vor allem aber auch für die Masse leicht zu erschließenden Form (nein, Latein gehört nicht mehr dazu). Soziale Medien bieten hierfür schon lange eine Fülle von Möglichkeiten (@9nov38 hat es vorgemacht), was noch fehlt, ist ein entsprechender Wandel in der Wissenschaftskultur, der ein solches “Runterbrechen” auch honoriert.

Die “Dokumentation” endet nachdenklich: “Was bringt Kulturen relativ schnell zur Blüte, was führt zu den unzählig vielen kulturellen Abstürzen in unserer Vergangenheit[?] Die Kulturgeschichte unserer heutigen Zivilisation zeigt, ja, dass es eigentlich eine Geschichte von unzähligen Abstürzen ist.” Vielleicht liegt es daran, “dass, während einige frühere Kulturen wirklich an eine flache Erde glaubten, viele unserer Zeitgenossen im Widerspruch zum Stand unserer historischen Kenntnisse immer noch meinen, die Menschen des Altertums und des Mittelalters hätten an eine flache Erde geglaubt. Daran sieht man, dass die Heutigen mehr zu Legenden neigen als ihre Vorfahren.” (Eco, S. 22).

Diesen Ignoranten wollte ich zum Abschluss des Beitrags eigentlich wütend die Mahnung eines solchen Vorfahren entgegenschleudern: “fatti non foste a viver come bruti, ma per seguir virtute e canoscenza” – Ihr seid nicht auf der Welt, um wie die Tiere zu leben, sondern um nach Tugend und Wissen zu streben!

Am Ende erscheint mir das aber zu wohlfeil und selbst ein bisschen ignorant. Ein anderer Protagonist der Dokumentation, Martin Waldseemüller (über den es unlängst eine schöne Ausstellung mit lobenswertem online Begleitprogramm gab) mahnt uns Wissenschaftler, dass wir Wissen nicht nur anhäufen, sondern auch “gemein” vermitteln sollten. Denn der wird “für ein neydigen vergünstigten menschen geachtet […], der das liecht der weißheit hat entpfangen, und es verbürget, vor seinem neben menschen”. Hier müssen wir noch kräftig an uns arbeiten. Ideen?

 

[1] Edition: Dragmaticon philosophiae, hg. von Italo Ronca, Corpus Christianorum Continuatio mediaevalis 152, Turnhout 1997. Italo Ronca hat auch eine englische Übersetzung nebst kleineren Erklärungen vorgelegt: Italo Ronca, A dialogue on natural philosophy : translation of the new Latin critical text with a short introduction and explanatory noteses. Notre Dame 1997.

 

Quelle: http://quadrivium.hypotheses.org/122

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aventinus academica Nr. 4 [14.11.2013]: H. Dürnberger / S. Hofhues / Th. Sporer (Hrsg.): Offene Bildungsinitiativen. Fallbeispiele, Erfahrungen und Zukunftsszenarien, Münster 2011

Der online verfügbare Titel zeigt Beispiele für offene Bildungs­initiativen, die ein besonderes Potential für die überfachliche Kompetenz­entwicklung mit digitalen Medien darstellen, auf und thematisiert die unter­schied­lichen Rahmenbedingungen, mit denen diese konfrontiert sind. http://bit.ly/1crVuyE

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2013/11/4765/

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