Heute soll es um die Stoa gehen. Da fragt man sich natürlich gleich: Können Stoiker Musik genießen? Schließlich weiss man ja, dass sie ein ambivalentes Verhältnis zu Gefühlen und Leidenschaften hatten. Stoiker bilden sich nämlich ein, ein Leben ohne Leidenschaften leben zu können. Ganz wie eine Statue, nur mit Bewegung. Verrückt, wa’? Machen nicht die Leidenschaften erst das Leben lebenswert?
- Nun ja. -
Auch ich würde die Güte von Leidenschaften behaupten und doch eine Einschränkung vornehmen: Erinnern Sie sich an folgende Situation? Sie haben eine möglicherweise frische Liebe gefunden, die sich aber verdammt lange Zeit lässt, auf Ihre Nachricht zu antworten. Die Spannung und das Verlangen verleiten Sie dazu, nicht mehr ihren Blogeintrag fertig zu schreiben, sondern zum Telefon zu greifen und eine Nachricht in beleidigtem Ton zu versenden. Nicht nur dass die Ungewissheit nach wie vor bestehen bleibt, nein. Sie haben es auch geschafft, einen schlechten Eindruck als knatschige Person, die nicht abwarten kann, in 160 Zeilen zu packen. Auch verrückt, wa’? Deshalb raten Stoiker davon ab, in solchen Situationen Nachrichten wegen einer starken Aufwallung von Leidenschaften zu verfassen. Grundsätzlich gilt für sie und Sie generell, dass Lust (ἡδονή), Unlust (λύπη), Begierde (ἐπιθυμία) und Furcht (φόβος) nur dazu da sind, uns den Blick auf die Welt, wie sie ist, zu verstellen. Unter diese vier können übrigens alle anderen Leidenschaften gestellt werden. Aber wenn Sie schon unbedingt etwas fühlen möchten, dann bitteschön die guten Leidenschaften. Ja! Das ist nämlich der Punkt, den die meisten vergessen: Die guten Leidenschaften spielen eine zentrale Rolle in der stoischen Ethik. Freude (χαρά), Achtsamkeit (εὐλάβεια) und vernünftiges Streben (βούλησις) sind nämlich die Dinge, die das Leben eigentlich lebenswert machen. Diese erreichen Sie, wenn Sie tugendhaft werden und erst wenn Sie tugendhaft werden, sind Sie nämlich auch glücklich! Glauben Sie mir. Und nur so können Sie nicht nur glücklich, sondern oben drein auch zu Weltbürgern werden! Jackpot! – Ok, ok, gehen wir einen Schritt zurück. Glückseligkeit, Weltbürgertum, gute Gefühle? Wie hängt das zusammen?
Die Stoiker haben ein paar Grundannahmen aus ihrer Theorie der Natur in die Ethik transportiert. Sie gehen davon aus, dass die Welt determiniert sei. Das heisst das, was passiert, passiert mit Notwendigkeit so, wie es passiert. Man kann eigentlich nichts dagegen machen. Man kann dem lediglich zustimmen oder nicht zustimmen. Das Schicksal bleibt unabänderlich. Stimmen Sie nicht zu, machen Sie sich selbst unzufrieden, weil Sie etwas wollen, das Sie nicht haben können. Als nächstes sagen Sie, die Welt sei in ihrer Ganzheit (Gänze?) perfekt eingerichtet. Das, was uns als schlecht vorkommt (weil wir eben noch diese fiesen schlechten Leidenschaften haben, die uns den sauberen Blick auf das große Ganze verbauen), wie eine Erkältung, oder leider auch Krieg, seien im kosmischen Maßstab quasi irrelevant. Das große Ganze funktioniere so wie es soll. Und drittens, der Kosmos sei in seiner Gesamtheit vernünftig eingerichtet. Für die Stoa war die Vernunft und Güte des Kosmos gleichzusetzen mit ihrer Göttlichkeit.
Wenn Sie es jetzt schaffen, die schlechten Leidenschaften in Ihnen selbst zu beseitigen, also den Status der Apathie zu erreichen, dem Lauf des Schicksales zuzustimmen und ihn so zu wollen, wie er ist, dann passiert folgendes: Sie sind tugendhaft geworden. Glückwunsch. Dadurch haben Sie in der Konsequenz nur noch die geannten guten Gefühle. Zweitens sind sie vernünftig. Nochmals Glückwunsch. Denn Ihre Vernunft ist genau diejenige, die sonst überall im Kosmos auch existiert. Sie haben sie quasi freigeräumt und haben deshalb Teil am Göttlichen in der Welt. Und schließlich werden Sie auch zum Weltbürger. Das bedeutet eigentlich Kosmosbürger, wie all diejenigen auch, die es geschafft haben, diese Vernunft in sich von den schlechten Gefühlen zu säubern. Etwas anderes brauchen Sie nicht, nichts kann Sie Glücklicher machen, als die so verstandene Tugend. Sie haben nämlich jedes falsche und unerreichbare Wunschziel in dem was Sie tun, zugunsten völliger Seelenruhe mit dem Ihnen zugeteilten Schicksal aufgegeben.
Und die äußeren Güter? Naja, alles andere wie Reichtum, Gesundheit, Ansehen ist mit dem Schicksal bereits unabänderlich vorherbestimmt. Die Welt ist schließlich determiniert. Schön wenn Sie reich werden, auch schön, wenn nicht. Wenn Sie das als weiser Mensch eingesehen haben, werden Sie bemerken, dass Glückseligkeit absolut nichts mit äußeren Gütern zu tun hat. Das einzige, worauf es ankommt, ist durch die Reinigung von Gefühlen und Leidenschaften, eine klare Sicht auf den Lauf der Welt zu bekommen und dabei diese Seelenruhe und Heiterkeit als feste Charakterhaltung zu erlangen, die Sprichwörtlich geworden ist. Egal was passiert, egal was ist, spielen Sie einfach die Rolle, die Ihnen vom Schicksal zugeteilt worden ist gut, stimmen Sie ihr zu und wollen Sie sie. Schließlich kann man es ja nicht ändern. Jetzt hätten Sie den Stoikern gemäß alles richtig gemacht.
Leider gab es nur zwei Menschen in der Geschichte, die es wirklich geschafft haben, dadurch tugenhaft zu werden, dass sie die Apathie, also die komplette Reinigung von den vier Leidenschaften, erreicht haben und dadurch auch von allen äußeren Gütern, auf die wir keinen Einfluss haben, weil der Lauf der Dinge determiniert ist: Sokrates und Rasmus von Turin.
Aber wenn Sie mehr darüber erfahren möchten, einmal mehr: Horn, Christoph (1998): Antike Lebenskunst. Glück und Moral von Sokrates bis zu den Neuplatonikern. München: Beck.
Und natürlich: Long, Anthony A. (Hg.) (2006): Die hellenistischen Philosophen. Texte und Kommentare. Sonderausg. Stuttgart, Weimar: Metzler.
Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/151