Universale Verteidigung der Menschenrechte? Die strafrechtliche Verfolgung von DDR-Unrecht

Die Prozesse gegen Mauerschützen, gegen die Befehlshaber von Grenztruppen und gegen Mitglieder des Politbüros gelten als abgeschlossen. Zeit für eine Bilanz, Zeit für ein Gespräch über die Möglichkeiten, Verstöße gegen Menschenrechte über Rechtssysteme hinweg strafrechtlich zu verfolgen. Rainer Schröder, Professor für Rechtsgeschichte an der Humboldt-Universität, erörtert im MONTAGSRADIO Nr. 19/2011 die Aufarbeitung von geschehenem Unrecht mit den Mitteln des Rechtsstaats.

Dass die Rede vom “Unrechtsstaat” keine Floskel bleibt, belegen die Gerichtsprozesse, die nach dem Ende der DDR gegen begangenes Unrecht geführt wurden. Insbesondere jene Verbrechen, die den Tod von Flüchtlingen an der Mauer bzw. der innerdeutschen Grenze zur Folge hatten, standen im Fokus der Justiz und der Öffentlichkeit. Nicht zuletzt Egon Krenz wurde wegen der Todesopfer an der Mauer und der deutsch-deutschen Grenze zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Über Strafmaße und den Sinn von Strafe, über symbolische Urteile und die Frage nach Gerechtigkeit, über Wege der strafrechtlichen Aufarbeitung und die Grenzen des Rechtsstaats, über Menschenrechtsverletzungen und die Möglichkeiten sie nachträglich zu verurteilen, sprechen Markus Heidmeier und Jochen Thermann mit Prof. Dr. Rainer Schröder in dieser Ausgabe des Montagsradios.

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Quelle: http://www.montagsradio.de/2011/12/06/universale-verteidigung-der-menschenrechte-die-strafrechtliche-aufarbeitung-von-ddr-unrecht/

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Die Wahrnehmung der „Anderen“ in den europäischen Reiseberichten des späten Mittelalters (I)

Im späten Mittelalter bereisten Europäer aus den unterschiedlichsten Gründen die Regionen Süd- und Südostasiens und berichteten nach ihrer Rückkehr von ihren Erlebnissen.1

Unter ihnen war der venezianische Kaufmann Niccoló de Conti, der zahlreiche Orte der indischen und südostasiatischen Welt zu Beginn des 15. Jahrhunderts besuchte.2 Seinen Reisebericht zeichnete der päpstliche Privatsekretär und Humanist Poggio Braccolini auf.3 Der Tiroler Kaufmann Balthasar Springer unternahm Anfang des 16. Jahrhunderts im Auftrag der Welser eine Indienfahrt.4 Nach seiner Heimkehr fertigte er selbst einen Bericht seiner Reise an.5 Duarte Barbosa war ein portugiesischer Seefahrer der im Auftrag Spaniens Anfang des 16. Jahrhunderts zu Entdeckungsreisen in den indischen und südostasiatischen Raum aufbrach.6 Von seinen Länderbeschreibungen existieren einige Übersetzungen und spätere Ausgaben. 7 Der portugiesische Originalbericht scheint Barbosa zeitnah zu seiner Reise selbst verfasst zu haben.8

Ihre Reiseberichte stellen nicht nur wichtige Quellen zur mittelalterlichen Welt dieser Regionen dar, sondern lassen auch gute Rückschlüsse auf ihre eigenen Vorstellungswelten und auf ihr Bild von den „Anderen“ zu. Die fremden Völker und Gesellschaftsschichten erzeugten bei den Reisenden Zuneigungen aber ebenso auch Aversionen gegenüber jenen. Die mittelalterliche Quellengattung der Reiseberichte ist geprägt durch ein hohes Maß an Subjektivität und persönlicher Empfindung.9

In der Artikelreihe: „Die Wahrnehmung der „Anderen“ in den europäischen Reiseberichten des späten Mittelalters“ werden diese Quellen nach wertenden und subjektiven Aussagen ihrer Autoren gegenüber den indigenen Bevölkerungen untersucht. Um Mutmaßungen soweit wie möglich ausschließen zu können, werden nur Textstellen in Betracht gezogen, die relativ eindeutige Rückschlüsse auf die Meinungen der Reisenden über die dort lebenden Menschen zulassen. Die Einstellung gegenüber den verschiedenen Völkern und Gesellschaftsschichten lässt sich besonders gut an den ihnen zugeschriebenen Charaktereigenschaften und dem äußeren Erscheinungsbild feststellen. Das äußere Erscheinungsbild des Menschen verweist im Spätmittelalter auf seine soziale, geistig- seelische und sittliche Zugehörigkeit.10 Diese Auffassung war damals allgemein verbreitet.11 Physische Hässlichkeit, wie zum Beispiel ein deformierter Körper, steht im Europa des Spätmittelalters sinnbildlich für moralische Verwerflichkeit und seelische Verderbtheit oder kann als gefährlich gelten.12 Das Schönheitsideal des Spätmittelalters13 weicht zudem von modernen Vorstellungen durchaus ab.

Eine historische Quellenkritik steht in den Untersuchungen nicht im Vordergrund.14 Es soll eben nicht untersucht werden, ob die Autoren Wirklichkeiten wiedergaben oder ob ihre soziale Herkunft und ihr christlich- kultureller Hintergrund ihren Blick auf die Einheimischen verstellten. Es wird daher nicht gefragt, ob die Reisenden diese Erfahrungen selbst gemacht haben oder sich nur von antiken Schriften15 leiten ließen. Auch soll nicht analysiert werden, ob die Informationen in den Reiseberichten tatsächlich von den Autoren selbst stammen.16

Diese Untersuchung stellt überwiegend eine reine Quellenanalyse der Reiseberichte dar. Sie soll aufzeigen, welche subjektiven Vorstellungen diese Überlieferungen von den vielfältigen Einwohnerschaften Asiens tradieren. Das von den Reiseberichten an seine Leser übermittelte Bild oder Zerrbild von den unterschiedlichen Völker und Gesellschaftsschichten in diesem Raum steht also im Fokus dieser Untersuchungen. Außerdem wird die zentrale Frage behandelt: Welche Muster und Tendenzen machen sich in den wertenden Äußerungen bemerkbar? Die Ergebnisse dieser Untersuchungen stellen damit einen kleinen Beitrag zur Geschichte des mittelalterlichen Reisens sowie zu mittelalterlichen-europäischen Vorstellungswelten von den „Anderen“ dar. Die Artikelreihe: „Die subjektive Wahrnehmung der „Anderen“ in den europäischen Reiseberichten des späten Mittelalters“ ist gegliedert in die verschiedenen „besuchten“ Regionen des asiatischen Raumes, um Muster und Tendenzen der Meinungsbilder deutlich herauszuarbeiten.

 

I. Die Menschen des indischen Subkontinent in den Reiseberichten

I.I Im Bericht Contis

Gianfrancesco Poggio Bracciolini

Gianfrancesco Poggio Bracciolini

In Bracciolinis Aufzeichnung17 von Contis Reiseeindrücken finden sich nur wenige Passagen, in denen sich wertende Äußerungen über die Menschen auf dem indischen Subkontinent feststellen lassen. Ulrich Knefelkamp beschreibt Contis Reisebericht daher als einen sachlichen Bericht, der „mehr aus der Position des Beobachters als des wertenden christlichen Europäers“ erzählt.18 Dennoch macht sich auch in Contis Schilderungen das nicht ganz urteilsfreie Weltbild des „Europäers“ durchaus bemerkbar.

Conti vergleicht wohlwollend die indigene Bevölkerung zwischen Indus und Ganges mit der europäischen Population. „Sie haben [Conti zufolge] Barbiere wie unsereins. Die Männer gleichen Europäern in ihrer Statur und Lebensdauer.“19 Conti vermerkt zudem, dass Teile ihrer Kleidung dem Bekleidungsstil griechischer Statuen ähneln.20 Der schlichte Vergleich des Fremden mit Vertrautem ist ein sehr häufiges Mittel in den Reiseberichten des späten Mittelalters.21 Das Vertraute wird dabei als Bezugspunkt herangezogen um die fremde Wirklichkeit besser einordnen zu können.22 Es bleibt dem Reisenden dabei überlassen, die Fremden mit den ihm vertrauten Begriffen zu fassen.23 Was dem Reisenden vertraut erscheint, erweckt in ihm jedoch meistens ein Gefühl der Nähe und Verbundenheit.

Der italienische Kaufmann scheint auch beeindruckt von den reich verzierten Sandalen und dem prachtvollen Schmuck der dortigen Frauen zu sein.24 Die Menschen „Zentralindiens“ sind allerdings nicht nur der Jagd und dem Vogelstellen, sondern zusätzlich auch der sexuellen Zügellosigkeit verfallen. 25  Diese Bemerkung Contis rührt vermutlich aus seinen Beobachtungen, dass die Männer dieses Indiens allzu oft den Schmeicheleien und der Schönheit der Prostituierten in den vielen städtischen Bordellen erliegen.26 Diese „locken die Männer mit süßen Düften und Salben, durch ihre Schmeicheleien, und mit ihrer Schönheit und Jugend.“27 Die Liebesdamen, die in „allen Städten und Stadtvierteln“ Indiens zu finden sind, 28 erinnern ihn vielleicht an die Prostituierten in den unzähligen europäischen Badehäusern, von denen viele zugleich Bordelle sind, und in denen die Damen, die in Europa als unehrbare Frauen gelten, ihre Dienste verrichten.29 Conti verurteilt, der Niederschrift Bracciolinis folgend, die indischen  Prostituierten keineswegs, sondern erwähnt lediglich den allgemeinen Hang zur sexuellen Zügellosigkeit der Inder dieses Raumes.30 Er schwächt diese leichten Verfehlungen allerdings dadurch ab, indem er zusätzlich erwähnt, dass die Menschen in diesem Gebiet dafür „aber keine unnatürliche Kriminalität kennen“.31 Des Weiteren führen die dort lebenden Menschen nur monogame Ehen, während in den anderen Teilen Asiens32 die Vielweiberei überwiegt.33

Conti spricht zudem hochachtungsvoll von der indigenen Gesellschaftsschicht der Brahmanen, „der Klasse von Philosophen, die überall in Indien aufzufinden sind“.34Sie sind Männer von überlegener Aufzucht35 und zeichnen sich durch eine größere Lebensheiligkeit und heilige Verhaltensweisen aus.“36 Conti versichert in Bracciolinis Niederschrift auch, dass sie zukünftige Ereignisse vorhersagen, Stürme beeinflussen und ein methusalisches Alter erreichen können.37 In seinem Reisebericht adelt Conti die „Rasse der Brahmanen“ auf der Insel Ceylon38, als „große Philosophen“. 39 Sie „widmen ihr ganzes Leben astrologischen Studien und entwickeln Tugenden und Verfeinerungen des Lebens“.40 Conti merkt an dieser Stelle an, dass die Brahmanen bekannt dafür sind, „weiser zu sein als andere Menschen“.41

I.II Im Bericht Barbosas

Duarte Barbosa beschäftigt sich in seinem Reisebericht42  sehr ausführlich mit den Menschen auf dem indischen Subkontinent. Er unterscheidet jedoch, anders als Conti, zwischen den so genannten „maurischen“, also muslimischen, und „heidnischen“, also hinduistischen, Volksgruppen auf dem indischen Subkontinent. Er vertritt allerdings gegenüber den so genannten „Mauren“ im indischen Raum eine durchaus differenzierte Meinung.

Die maurische Herrscher- und Oberschicht im nordwestindischen Königreich Guzarat verurteilt er weitestgehend. Er führt unterem an, dass jene die indigene heidnische Bevölkerung schindet und belästigt.43 Die dortigen Mauren nutzen auch die weit verbreitete Verehrung alles Lebenden unter den Heiden aus, um diese zu erpressen oder Almosen zu ergaunern.44 Die Herkunftsländer dieser Mauren wirken sich sicherlich auch auf die Beurteilung dieser Menschen aus. Conti berichtet, dass es vor allem Türken, Mamelucken, Araber, Perser sind, die das reiche Land anlockt.45 Conti bezeichnet sie als „verschwenderische Leute“, die viel Geld für ihren aufwendigen Lebensstil und vor allem für schöne und wertvolle Kleidung ausgeben.46 Die männlichen Mauren charakterisiert er gar als „sehr eifersüchtige Männer“, welche die ehelichen Bindungen, wie ihre Frauen auch, jederzeit lösen können.47 Sie dürfen Conti zufolge auch so viele Frauen heiraten wie sie wünschen und sie sich leisten können. 48 Die maurischen Frauen scheinen ihm allerdings zu gefallen. Er beschreibt sie als „sehr weiß und hübsch, und auch sehr reich herausgeschmückt.“49 In der Königsstadt Cambay in Guzerat begegnet er den  „Leuten von außerhalb“ nochmals. 50  Er beschreibt sie hier als  „sehr weiß und gut angezogen“, welche eine „luxuriöse Lebensweise, sich sehr den Freuden und dem Vergnügen hingebend, pflegen.“51 Er lobt jedoch auch ausführlich ihre handwerklichen Kunstfertigkeiten.52

Die Mauren der maurischen Stadt Bengala in Nordostindien bezeichnet Barbosa als „weiße, und gut gebaute Männer“.53 Die Angehörigen der maurischen Oberschichten führen nach Meinung Barbosas jedoch ebenfalls ein verschwenderisches Leben, sie trinken und essen in großen Mengen, „und haben andere schlechte Angewohnheiten.“ 54 Ihre Frauen sind versessen nach Wein und sehr daran gewöhnt.55 Der Vorwurf der Verschwendungs- und Vergnügungssucht gegenüber der maurischen Bevölkerung zieht sich also wie ein roter Faden durch Barbosas Reisebericht. In diesem Fall wirft er den maurischen Kaufleuten der Stadt aber noch vor, dass sie Heidenkinder kaufen, sie kastrieren und an die Perser verkaufen.56

Die Mauren der Stadt Ravel in Nordwestindien beschreibt er als weiße, sehr reiche und gut angezogene Menschen. 57 Zudem schwärmt er abermals von der großen Schönheit und erstmals von der emanzipierten, und aus Europa vertrauten, Lebensweise der maurischen Ehefrauen.58 Er schätzt an ihnen, dass „diese Frauen [..] nicht so zurückgezogen wie die der anderen Mauren und an anderen Orten [leben], sondern [..] auch tagsüber, mit unverhülltem Gesicht wie es in unseren Ländern üblich ist, in die Stadt [gehen] um ihre Geschäfte zu erledigen.“59

Die maurischen Soldaten im Königreich von Decani an der mittleren Westküste Indiens, beschreibt Barbosa recht positiv als „Leute, mit guten Figuren“. 60 In der Stadt Dabul in Decani leben ihm zufolge „sehr angesehene Mauren und Heiden“.61 Barbosa erwähnt auch anerkennend ihren mutigen- allerdings vergeblichen- Widerstandskampf gegen die portugiesische Eroberung ihrer Stadt.62 Die Mauren, welche in der Stadt Goa an der südlichen Westküste Indiens bis zur Eroberung durch die Portugiesen lebten, nennt Barbosa ebenfalls „ angesehene Männer […] von denen einige sehr gute Ehrenmänner sind.“63 Arabische und persische Mauren im Königreich Calicut beschreibt er als weiße Männer, die „sehr vornehm“ und von „guter äußerer Erscheinung“ sind.64 Allerdings hält er ihnen auch vor, dass sie sehr verschwenderisch leben.65

Das Urteil Barbosas über die heidnische Bevölkerung Indiens scheint noch differenzierter zu sein. Die Heiden des Königreichs Decani beschreibt er als „schwarz, gut gebaut und sehr mutig“.66 Barbosas gutes Bild von ihnen scheint nicht zu trüben, dass sie Götzenverehrung betreiben. 67 Die Einwohner der überwiegend heidnischen Stadt Baticala an der südlichen Westküste Indiens, die Malabarküste, bezeichnet er als „sehr Gewinn orientierte Menschen“.68

In manchen Königreichen klassifiziert Barbosa die hinduistisch- indigene Bevölkerung sogar in Wertigkeiten, und pflegt somit eine überaus differenzierte Meinung von den „Heiden“. Die Heiden im Königreich Guzerat, in Nordostindien, unterteilt er in drei „Güteklassen“.69 Eine Klasse stellen die Razbuten, ehemalige Ritter und Statthalter, die auch ohne die Führung eines Königs tapfer gegen die Mauren kämpfen.70 Neben diesen gibt es noch die Banianen, Händler und Kaufleute, die sehr friedfertig leben, aber von den Mauren sehr schlecht behandelt werden.71 Barbosa zufolge sind die Banianen jedoch auch „große Wucherer, und Maß und- Gewichts- Handel, und Münzenfälscher, sowie Lügner und Betrüger“.72 Diese heidnischen Männer sind aber auch „braune Leute, gut gebaut und mit guten Körperproportionen, klug in der Wahl ihrer Kleider, die erlesen und dennoch maßvoll Essen“.73 Barbosa erwähnt zusätzlich die intensive Körperpflege mit Duftstoffen und die aufwendige Haarpracht der heidnischen Männer, deren Frisuren ihn an spanische Frauen erinnern. 74 Zudem nennt er die ständige Verliebtheit der männlichen Heiden.75 Alles in allem, scheint Barbosa diese Männer als etwas unmännlich zu begreifen.

Er schwärmt jedoch regelrecht von den makellosen und sittlichen Banian- Frauen. Sie haben „sehr hübsche, feine Gesichter, und schön geformte Körper, [und sind] ein bisschen dunkel“.76Sie sind anständige Frauen, und wenn sie außer Haus gehen, bedecken sie ihren Kopf mit ihren Umhängetüchern.“77

Eine dritte Klasse innerhalb der heidnischen Bevölkerung stellen die Bramahnen, die Priester, Verwalter und Leiter des „Götzendienstes“ zugleich sind.78 Barbosa hegt eine ähnlich positive Sichtweise wie Conti von diesen Menschen. Er scheint entzückt, dass sie einen heiligen dreifaltigen Gott, „von welchem sie glauben, dass er der wahre Gott, der Urheber und Schöpfer aller Dinge ist“, anbeten.79  Zudem schätzt er an den Brahmanen, dass sie willig in die christlichen Kirchen eintreten, „unsere Abbilder“ verehren, und ein großes und scheinbar fundiertes Wissen von der „Heiligen Maria, unserer [Jung]frau“ haben. 80 Barbosa schreibt auch sicherlich erfreut, dass die Brahmanen „[…]keine großen Unterschiede zwischen denen [Brahmanen] und uns [christlichen Europäern][..]“ sehen.81  Die angeblich geistige Seelenverwandtschaft der Brahmanen scheint den europäischen Christen schwer beeindruckt zu haben. Barbosas positive Sicht auf die Brahmanen wird vermutlich dadurch verstärkt, dass sie das Töten ablehnen, und sich an einen einzigen Lebenspartner bis zum gemeinsamen Tode binden.82 Die große Verehrung der Bramahnen durch ihre heidnischen Landsleute intensiviert sicherlich Barbosas hohe Meinung von diesen Leuten.83

Das Königreich Kalikut um 1572

Das Königreich Kalikut um 1572

Duarte Barbosa bewertet auch die vielen Gesellschaftsschichten innerhalb des heidnischen Volkes im Königreich Calicut, an der Malabarküste, sehr unterschiedlich.84 Seine Einteilung erfolgt nach Abstammung- und Berufskriterien. 85 Barbosa urteilt allerdings nur über einige dieser Schichten in deutlichen Worten. Ein Teil der Oberschicht bilden die Nair, eine Art Kriegerkaste, deren männliche Angehörige Barbosa als „sehr klug“ und „geschickt“ und deren Frauen als „sehr sauber“ und gut angezogen, beschreibt.86 Die Nair-Männer zeichnen sich zudem durch an hohes Maß an Ehrerbietung gegenüber ihren Müttern und Schwestern aus.87 Die Nair-Frauen treten vor allem dadurch in Erscheinung, dass sie ihre Männer gerne sexuell beglücken.88 Die niedere Kaste der Fischer und Seeleute beschimpft Barbosa hingegen als „große Diebe, und schamlos[e] [Menschen]“.89 Die weiblichen Angehörigen dieser Schicht schlafen Barbosa zufolge ohne jegliche Gewissenbisse mit jedem der ihnen beliebt.90

Die Angehörigen einer unteren sozialen Schicht, die wie Ausgestoßene leben,91 bezeichnet er sogar als „große Charmeure, Diebe und sehr abscheuliche Leute“.92

Ausländer von der Koromandelküste, der Südostküste Indiens, welche in Calicut zumeist als Händler und Geldwechsler arbeiten, schildert er als braune Männer, und als groß und kräftig gebaut.93Sie sind [Barbosa zufolge] reich und respektiert, und leben sehr anständig […]“.94 Er bezeichnet sie aber auch als „[…] große Wucherer“, welche selbst ihren Brüdern keinen Real [Geldstück] ohne Zinsertrag leihen.“ 95 Er würdigt dennoch auch, dass sie ordentlich Buch- und Haushalten und schlau ihre Geschäfte führen.96

Andere Schichten bewertet Barbosa nur nach ästhetischen Merkmalen. Die Schicht der Weber zeichnet sich zum Beispiel durch schöne Körper aus.97  Trotz ihres niederen Ranges innerhalb der Gesellschaft, bezeichnet Barbosa die Frauen der Moguer, der Lastenschlepper, als „sehr hübsche Frauen“, die sehr weiß sind, da sie Töchter von weißen Ausländern sind.98

Duarte Barbosa berichtet des Weiteren eingehend von einer Schicht heidnischer „Aussteiger“, die ihre Heimat, das Königreich Delhi, verlassen haben.99 Auch Heiden aus anderen Landesteilen Indiens verlassen ihre Heimat in großen Zahlen und treten eine lebenslange Wanderschaft an.100 Diese „Wandersleute“ ziehen bettelnd durch das ganze Land Indien und bezeichnen sich, den Worten Barbosas folgend, selbst als „Gottesdiener“.101 Barbosa vergleicht diese Gruppenwanderung mit dem Wanderungsverhalten europäischer „Zigeuner“.102 Er verweist auch darauf, dass diese Menschen vormals „Adlige und angesehene Leute“ waren.103 Barbosa beschreibt sie in warmen Worten als „braun, sehr gut gebaut und wohl proportioniert, mit schönen Gesichtern“.104 Barbosa scheint auch ihre gottergebene Lebensweise und ihre demütige Haltung zu bewundern.105 Die „Wandersleute“ verzichten, nach eigenen Aussagen, aus Scham auf jeglichen Besitz, da sie ihre Ländereien und ihre Häuser, „in denen Gott sie großzog“,  an „solch böse Menschen wie die Mauren“ verloren haben.106 Sie leben Barbosa Urteil nach auch bußfertig, da sie schwere Ketten zur Selbstkasteiung um ihre Körper tragen, damit sie permanent an diese Sünde und Schande erinnert werden.107 Ihre Körper sind mit Asche eingerieben, um sie an ihre Sterblichkeit zu erinnern.108 Zudem scheint Barbosa erfreut hervorzuheben, dass sie keine Götzenverehrung betreiben, sich unter alle Menschenarten mischen und von den Menschen Indiens in hohem Maße verehrt werden.109

Barbosa lobt darüber hinaus ausdrücklich die tolerante Haltung der sehr reichen Einwohnerschaft der heidnischen Königsstadt Bijanaguer im Königreich Narsinga, im südlichen Binnenland Indiens.110 In dieser Stadt dürfen Menschen aller Nationen und Glaubensbekenntnisse sich niederlassen, Handel treiben, und sehr frei und in Sicherheit leben.111 Die Heiden belästigen niemanden, und sie fragen nicht nach dem Herkunftsland und dem Glauben.112 Die Gouverneure des Landes sorgen für die Einhaltung der Glaubensfreiheit und für eiserne Gerechtigkeit.113 Die Bewohner dieser Stadt sind „Heiden, farbige Männer und beinahe weiß, mit langen und sehr geschmeidigem schwarzem Haarwuchs; sie sind in ihren Körpermerkmalen… [und Gesichtszügen114 ] wohl-proportionierte Männer, ähnlich unserer eigenen [äußeren Erscheinung], und ebenso sind es die Frauen.“115

Barbosa gefällt also nicht nur der tolerante und ehrliche Charakter, sondern auch das äußere Erscheinungsbild dieser Menschen. Diese Beurteilungen stehen vermutlich in einer positiven Wechselwirkung miteinander.

Im heidnischen Königreich Narsinga begegnet Barbosa auch zahlreichen „bezaubernden Single-Frauen“, die im Kriegslager des Königs leben.116 Er scheint beeindruckt davon zu, dass die Liebesdienste dieser Damen nicht nur viele Krieger an den Hof des Königs binden, sondern auch ebenso viele Kämpfer aus dem Ausland anziehen.117 Er verweist darauf, dass „[…] unter ihnen [..] viele sehr ehrbare Frauen“ [sind] […], die aus guten Häusern kommen und sehr reich sind.118

I.III Im Bericht Springers

In Balthasar Springers Reisebericht119 findet sich nur eine wertende Äußerung über die indigenen Völker. Wie Barbosa Jahre nach ihm, scheint er eine gute Meinung von den Menschen in Narsinga120 zu vertreten. Springer beschreibt die Einwohner in diesem „großmächtigen“ Königreich als ein „höfliches Volk“.121 Sein Urteil ist wahrscheinlich positiver Natur, unter anderem, weil es „Christus, unseren Erlöser“, anbetet.122 „Der Text [Springers] […] gibt der Beschreibung Indiens [und seiner Menschen ansonsten aber] wenig Raum.“123 Er hatte wohl seltener die Gelegenheit mit den Einheimischen in Kontakt zu treten.124 Urteile über andere Völker oder Gesellschaftsschichten lassen sich im Text Springers nicht finden.

 

Der nächste Artikel wird die Reiseberichte Contis und Barbosas über Ostasien und Südostasien behandeln. Ihre Wahrnehmungen über die indigenen Einwohner sollen in diesen Berichten  näher untersucht werden.

 

 

Empfohlene Zitierweise:

Dembek, Christoph (2011): Die Wahrnehmung der “Anderen” in den europäischen Reiseberichten des späten Mittelalters (I). In: JBSHistoryBlog.de. URL: http://jbshistoryblog.de [Zugriff: DD:MM:YYYY]

Die Artikel werden mit ausdrücklicher Genehmigung des Verfassers veröffentlicht. Es handelt sich daher um keine Spiegelung der Inhalte von folgender Website www1.uni-hamburg.de/spaetmittelalter/Europaeische Reiseberichte um 1500/index.html .

 

Bild: Gianfrancesco Poggio Bracciolini auf Wikipedia [Zugriff: 13.12.2011]

Bild: Das Königreich Kalikut um 1572 auf Wikipedia [Zugriff: 13.12.2011]

 

 

Bibliographie:
  1. Vgl. Knefelkamp, Ulrich: Europäisches Weltbild und Geschichtsschreibung über außereuropäische Kulturen, in: Weltbild und Realität. Einführung in die mittelalterliche Geschichtsschreibung, hrsg. von Ulrich Knefelkamp, Pfaffenweiler 1992, S. 149-156.
  2. Vgl. Knefelkamp, Ulrich: Das Indienbild in Reiseberichten des Spätmittelalters, in: Die Begegnung des Westens mit dem Osten. Kongressakten des 4. Symposiums des Mediävistenverbandes in Köln 1991 aus Anlass des 1000. Todestages der Kaiserin Theophanu, hrsg. von Odilo Engels u. Peter Schreiner, Sigmaringen 1993, S. 109.
  3. Vgl. Reichert, Folker: Erfahrung der Welt. Reisen und Kulturbegegnung im späten Mittelalter, Stuttgart 2001, S. 171.
  4. Vgl. Reichert, Erfahrung der Welt, S. 176.
  5. Ebd. S. 177.
  6. Vgl. Stanley, Henry E. J.: Translators Preface, zitiert aus: A Description of the Coasts  of East Africa and Malabar in the Beginning of the Sixteenth Century, by Duarte Barbosa, A Portuguese, hrsg. von Henry E. J. Stanley (Hakluyt Society), London 1866, S. 5-9.
  7. Vgl. Stanley, Translators Preface, S. 1-7.
  8. Ebd. S. 1-7.
  9. Vgl. Reichert, Erfahrung der Welt, S. 17.
  10. Vgl. Grabmayer, Johannes: Europa im späten Mittelalter 1250-1500. Eine Kultur- und Mentalitätsgeschichte, Darmstadt 2004, S. 70.
  11. Vgl. Grabmayer: Europa im späten Mittelalter, S. 70.
  12. Ebd. S. 66.
  13. Vgl. hierzu: Grabmayer: Europa im späten Mittelalter, S. 66-71.
  14. Zur historischen Quellenkritik siehe: Reichert, Erfahrung der Welt,  S. 18.
  15. Das Indien- und Asienbild des Mittelalters war stark geprägt von den antiken Autoren, vgl. Reichert: Erfahrung der Welt, S. 158-163.
  16. Die Anteile des Erzählers sind oftmals schwer von denen des Schreibers und Redaktors zu trennen, vgl. Reichert: Erfahrung der Welt, S. 171.
  17. Übers. aus dem Original von Paggio Bracciolini: The Travels of Nicolò Conti in the East in the Early Part of the Fifteenth Century, übers. aus dem Original von Poggio Bracciolini mit Anmerkungen von J. Winter Jones, in: India in the Fifteenth Century, being a Collection of Narratives of Voyages to India the Century Preceding the Portuguese Discovery of the Cape of Good Hope, hrsg. von R. H. Major (Hakluyt Society), London 1857, S. 161-195. Im Folgenden ins Deutsche übertragen und im Folgenden zitiert: Conti, die Reisen des Nicolò Conti.
  18. Knefelkamp: Europäisches Weltbild, S. 155.
  19. Conti, die Reisen des Nicolò Conti, S. 22.
  20. Vgl.Conti, S. 22.
  21. Vgl. Esch, Arnold: Anschauung und Begriff. Die Bewältigung fremder Wirklichkeit durch den Vergleich in den Reiseberichten des späten Mittelalters, in: Historische Zeitschrift 253, hrsg. von Lothar Gall, München 1991, S. 281-283.
  22. Vgl. Esch: Anschauung und Begriff, S. 287.
  23. Vgl. Reichert, Volker: Fernhandel und Entdeckungen, in: WBG Weltgeschichte. Eine globale Geschichte von den Anfängen bis ins 21. Jahrhundert 4, hrsg. von Walter Demel, Darmstadt 2010, S. 101.
  24. Conti, S. 23.
  25. Vgl. Conti, die Reisen des Nicolò Conti, S. 22-23.
  26. Ebd. S. 23.
  27. Conti, S. 23.
  28. Vgl. Conti, S. 23.
  29. Vgl. Grabmayer: Europa im späten Mittelalter, S. 80.
  30. Vgl. Conti, S. 23.
  31. Vgl. Conti, S. 23.
  32. Conti (oder Bracciolini) nennt alle damals bekannten Teile Asiens „Indien“. Conti unterteilt Bracciolini zufolge „Indien“ an dieser Stelle in drei Bereiche. Vgl. Conti, S. 21.
  33. Vgl. Conti, S. 23.
  34. Conti, S. 25.
  35. Cultivation’(botanische Zucht) in der engl. Übersetzung, Anm. des Verfassers.
  36. Conti, S. 25.
  37. Vgl. Conti, S. 25-26.
  38. Conti nennt die Insel ‚Zeilam’. Vermutlich Ceylon, Anmerkung des Übersetzers, siehe: Conti, S. 8.
  39. Vgl. Conti, S. 8.
  40. Conti, S. 8.
  41. Vgl. Conti, S. 8.
  42. Übers. aus einem frühen spanischen Manuskript aus der Bibliothek von Barcelona: A Description of the Coasts of East Africa and Malabar in the Beginning of the Sixteenth Century, by Duarte Barbosa, A Portuguese, übers. aus einem frühen spanischen Manuskript aus der Bibliothek von Barcelona mit Anmerkungen und einem Vorwort von Henry E. J. Stanley (Hakluyt Society), London 1866. Im Folgenden ins Deutsche übertragen und im Folgenden zitiert als: Barbosa, eine Beschreibung der Küsten Ostafrikas und der Malabarküste.
  43. Vgl. Barbosa, eine Beschreibung der Küsten Ostafrikas und der Malabarküste, S. 50.
  44. Vgl. Barbosa, S. 51.
  45. Ebd. S. 56.
  46. Ebd. S. 56.
  47. Ebd. S. 56.
  48. Ebd. S. 56.
  49. Ebd. S. 56.
  50. Ebd. S. 65.
  51. Ebd. S. 65.
  52. Ebd. S. 66.
  53. Vgl. Barbosa, eine Beschreibung der Küsten Ostafrikas und der Malabarküste, S. 179.
  54. Ebd. S. 180-181.
  55. Ebd. S. 181.
  56. Ebd. S. 180.
  57. Ebd. S. 67.
  58. Ebd. S. 67.
  59. Ebd. S. 67.
  60. Ebd. S. 77.
  61. Ebd. S. 72.
  62. Ebd. S. 72.
  63. Ebd. S. 75.
  64. Ebd. S. 146-148.
  65. Ebd. S. 148.
  66. Vgl. Barbosa, eine Beschreibung der Küsten Ostafrikas und der Malabarküste, S. 78.
  67. Vgl. Barbosa, eine Beschreibung der Küsten Ostafrikas und der Malabarküste, S. 78.
  68. Ebd. S. 79.
  69. Ebd. S. 50.
  70. Ebd. S. 50.
  71. Ebd. S. 50.
  72. Ebd. S. 52.
  73. Barbosa, S. 52.
  74. Vgl. Barbosa, S. 52.
  75. Vgl. Barbosa, S. 52.
  76. Barbosa, S. 52.
  77. Barbosa, S. 53.
  78. Vgl. Barbosa, eine Beschreibung der Küsten Ostafrikas und der Malabarküste, S. 53.
  79. Barbosa, eine Beschreibung der Küsten Ostafrikas und der Malabarküste, S. 53.
  80. Barbosa, eine Beschreibung der Küsten Ostafrikas und der Malabarküste, S. 53.
  81. Barbosa, eine Beschreibung der Küsten Ostafrikas und der Malabarküste, S. 53.
  82. Vgl. Barbosa, eine Beschreibung der Küsten Ostafrikas und der Malabarküste,S. 54.
  83. Ebd. S. 94.
  84. Ebd. S. 124-148.
  85. Ebd. S. 124-148.
  86. Ebd. S. 124-133.
  87. Ebd. S. 131.
  88. Ebd. S. 133.
  89. Ebd. S. 140.
  90. Ebd. S. 140.
  91. Vgl. Barbosa, eine Beschreibung der Küsten Ostafrikas und der Malabarküste, S. 142.
  92. Ebd. S. 143.
  93. Barbosa, S. 144.
  94. Barbosa, S. 144.
  95. Ebd. S. 145.
  96. Ebd. S. 145.
  97. Ebd. S. 136.
  98. Ebd. S. 138.
  99. Ebd. S. 99-100.
  100. Ebd. S. 100.
  101. Ebd. S. 99.
  102. Ebd. S. 99.
  103. Ebd. S. 99.
  104. Ebd. S. 99.
  105. Ebd. S. 100.
  106. Vgl. Barbosa, eine Beschreibung der Küsten Ostafrikas und der Malabarküste, S. 100.
  107. Vgl. Barbosa, eine Beschreibung der Küsten Ostafrikas und der Malabarküste, S. 100.
  108. Ebd. S. 100.
  109. Ebd. S. 100.
  110. Ebd. S. 85-86.
  111. Ebd. S. 85-86.
  112. Ebd. S. 86.
  113. Ebd. S. 86.
  114. Anmerkung des Übersetzers, siehe: Barbosa, S. 87.
  115. Barbosa, S. 87.
  116. Vgl. Barbosa, S. 97.
  117. Ebd. S. 97-98.
  118. Ebd. S. 97.
  119. Ausgabe und Übers.: Andreas Erhard u. Eva Ramminger (Hg.): Die Meerfahrt Balthasar Springers Reise zur Pfefferküste. Mit einem Faksimile des Buches von 1509,  Innsbruck 1998, S. 39-53. Im Folgenden zitiert als: Springer, die Meerfahrt Balthasar Springers.
  120. Springer nennt es ‚Arsinien’. Anmerkung der Herausgeber, zitiert aus: Andreas Erhard und Eva Ramminger (Hg.): Die Meerfahrt Balthasars Springers, S. 51.
  121. Vgl. Springer, die Meerfahrt Balthasars Springers, S. 51.
  122. Vgl. Springer, die Meerfahrt Balthasars Springers, S. 51.
  123. Reichert, Erfahrung der Welt, S. 177.
  124. Vgl. Reichert, Erfahrung der Welt, S. 177.

Quelle: http://jbshistoryblog.de/2011/12/828/

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Objekt des Monats: Die Fingerabdrücke von Marcel Frydmann-Prawy

Der Hinweis darf hier natürlich nicht fehlen:
Anlässlich zur Ausstellung “Marcell Horace Frydmann Prawy. Neues aus dem Nachlass” (1.12.-29.2.) präsentiert die Wienbibliothek als Objekt des Monats Dezember die Fingerabdruckkarte von Marcell Frydmann-Prawy, der im Februar 1941 aus Wien floh und in Kalifornien im “Bureau of Identification” seine Fingerabdrücke abgeben musste.

Die Karte vermittelt einen ganz guten Eindruck von der Praxis der Identifizierung mittels Daktyloskopie. Oben sind die gerollten Einzelfinger zu sehen, und unten gedrückt alle Finger gleichzeitig. Die gerollten Fingerabdrücke wurden dann verformelt. Die handschriftlichen hinzugefügten “w” bei jedem Finger zeigen an, dass Marcell Frydmann-Prawy an allen Fingern Wirbelmuster (Whorl) hatte. Oben rechts ist die Klassifikationsnummer zu sehen, die aufgrund der Musterverteilung errechnet wurde. Die Fingerabdruckformel wurde dann mit dem bestehenden Register verglichen und führte in diesem Fall zu keinem Treffer, wie der Stempel unten rechts (“No Fingerprint Record”) anzeigt.

 

Quelle: http://www.univie.ac.at/identifizierung/php/?p=3760

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Rezensions-Digest November 2011

Axel Beer: Rezension zu: Böning, Holger: Der Musiker und Komponist Johann Mattheson als Hamburger Publizist. Studie zu den Anfängen der Moralischen Wochenschriften und der deutschen Musikpublizistik. Bremen 2011, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 11, 15.11.2011

http://www.sehepunkte.de/2011/11/20013.html

Steffen Hölscher: Rezension zu: Bronisch, Johannes: Der Mäzen der Aufklärung. Ernst Christoph von Manteuffel und das Netzwerk des Wolffianismus. Berlin 2010, in: H-Soz-u-Kult, 22.11.2011

http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2011-4-132

Werner Schiedermair: Rezension zu: Brugger, Walter / Dopsch, Heinz / Wild, Joachim (Hrsg.): Herrenchiemsee. Kloster – Chorherrenstift – Königsschloss. Regensburg 2011, in: ZLBG, 14.11.2011

http://www.kbl.badw-muenchen.de/zblg-online/rezension_2066.html

Thomas Nicklas: Rezension zu: Brunert, Maria-Elisabeth / Lanzinner, Maximilian (Hrsg.): Diplomatie, Medien, Rezeption. Aus der editorischen Arbeit an den ‘Acta Pacis Westphalicae’. Münster 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 11, 15.11.2011

http://www.sehepunkte.de/2011/11/19033.html

 

Michael V. Leggiere: Rezension zu: Chickering, Roger / Förster, Stig (Hrsg.): War in an Age of Revolution, 1775-1815. Cambridge 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 11, 15.11.2011

http://www.sehepunkte.de/2011/11/18138.html

Axel Gotthard: Rezension zu: Coy, Jason Philip / Marschke, Benjamin / Sabean, David Warren (Hrsg.): The Holy Roman Empire, Reconsidered. Oxford 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 11, 15.11.2011

http://www.sehepunkte.de/2011/11/18040.html

Daniela Hacke: Rezension zu: Domröse, Sonja: Frauen der Reformationszeit. Gelehrt, mutig und glaubensfest. Göttingen 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 11, 15.11.2011

http://www.sehepunkte.de/2011/11/18688.html

Anja Werner geb. Becker: Rezension zu: Dubois, Laurent / Scott, Julius S. (Hrsg.): Origins of the Black Atlantic. New York 2010, in: H-Soz-u-Kult, 08.11.2011

http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2011-4-094

Anja Golebiowski: Rezension zu: Ebert, Christa: Literatur in Osteuropa. Russland und Polen. Berlin 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 11, 15.11.2011

http://www.sehepunkte.de/2011/11/20771.html

Tobias Daniels: Rezension zu: Fasano Guarini, Elena: Repubbliche e principi. Istituzioni e pratiche di potere nella Toscana granducale del ’500 – ’600. Bologna 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 11, 15.11.2011

http://www.sehepunkte.de/2011/11/18847.html

Sebastian Becker: Rezension zu: Fröhlich, Martin: Mysterium Venedig. Die Markusrepublik als politisches Argument in der Neuzeit. Bern / Frankfurt a.M. [u.a.] 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 11, 15.11.2011

http://www.sehepunkte.de/2011/11/20019.html

Johannes Laschinger: Rezension zu: Heigl, Armin: Cuius regio, eius religio? Vom Versuch die Oberpfälzer zu Calvinisten zu machen. Regensburg 2009, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 11, 15.11.2011

http://www.sehepunkte.de/2011/11/17801.html

Katja Hillebrand: Rezension zu: Herzog, Markwart / Weigl, Huberta (Hrsg.): Mitteleuropäische Klöster der Barockzeit. Vergegenwärtigung monastischer Vergangenheit in Wort und Bild. Konstanz 2011, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 11, 15.11.2011

http://www.sehepunkte.de/2011/11/16639.html

Verena Steller: Rezension zu: Hyam, Ronald: Understanding the British Empire. Cambridge 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 11, 15.11.2011

http://www.sehepunkte.de/2011/11/18119.html

Helmut Zedelmaier: Rezension zu: Jaumann, Herbert (Hrsg.): Diskurse der Gelehrtenkultur in der Frühen Neuzeit. Ein Handbuch. Berlin 2011, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 11, 15.11.2011

http://www.sehepunkte.de/2011/11/19118.html

Katja Bernhardt: Rezension zu: Johannes, Ralph (Hrsg.): Entwerfen. Architektenausbildung in Europa von Vitruv bis Mitte des 20. Jahrhunderts. Geschichte – Theorie – Praxis. Hamburg 2009, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 11, 15.11.2011

http://www.sehepunkte.de/2011/11/17565.html

Christian Kühner: Rezension zu: Kane, Brendan: The Politics and Culture of Honour in Britain and Ireland, 1541-1641. Cambridge 2010, in: H-Soz-u-Kult, 01.11.2011

http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2011-4-078

Derek Beales: Rezension zu: Karstens, Simon: Lehrer – Schriftsteller – Staatsreformer. Die Karriere des Joseph von Sonnenfels (1733-1817). Wien 2011, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 11, 15.11.2011

http://www.sehepunkte.de/2011/11/20417.html

Malte Griesse: Rezension zu: Kümin, Beat / Scott, James C. (Hrsg.): Political Space in Pre-industrial Europe. Aldershot 2009, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 11, 15.11.2011

http://www.sehepunkte.de/2011/11/16597.html

Erich Schneider: Rezension zu: Kummer, Stefan: Kunstgeschichte der Stadt Würzburg 800-1945. Regensburg 2011, in: ZLBG, 17.11.2011

http://www.kbl.badw-muenchen.de/zblg-online/rezension_2063.html

Herbert Jaumann: Rezension zu: Lefebvre, Armelle (Hrsg.): Comparaisons, raisons, raisons d’État. Les Politiques de la république des lettres au tournant du XVIIe siècle. München 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 11, 15.11.2011

http://www.sehepunkte.de/2011/11/18735.html

Philipp Lenhard: Rezension zu: Lindemann, Albert S. / Levy, Richard S. (Hrsg.): Antisemitism. A History. Oxford 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 11, 15.11.2011

http://www.sehepunkte.de/2011/11/19942.html

Stefanie Walther: Rezension zu: Lundt, Bea: Europas Aufbruch in die Neuzeit 1500-1800. Eine Kultur- und Mentalitätsgeschichte. Darmstadt 2009, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 11, 15.11.2011

http://www.sehepunkte.de/2011/11/15850.html

Anja Werner geb. Becker: Rezension zu: Mamigonian, Beatriz G. / Racine, Karen (Hrsg.): The Human Tradition in the Black Atlantic, 1500-2000. Lanham 2010, in: H-Soz-u-Kult, 08.11.2011

http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2011-4-094

Peter Mario Kreuter: Rezension zu: Mitev, Plamen / Parvev, Ivan / Racheva, Vania u.a. (Hrsg.): Empires and Peninsulas. Southeastern Europe between Karlowitz and the Peace of Adrianople, 1699-1829. Münster / Hamburg / Berlin / London 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 11, 15.11.2011

http://www.sehepunkte.de/2011/11/19122.html

Janine Rischke: Rezension zu: Nowosadtko, Jutta: Stehendes Heer im Ständestaat. Das Zusammenleben von Militär- und Zivilbevölkerung im Fürstbistum Münster 1650-1803. Paderborn 2011, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 11, 15.11.2011

http://www.sehepunkte.de/2011/11/15353.html

Erich Schneider: Rezension zu: Öhm, Ulrike: Die Würzburger “Tiepolo-Skizzenbücher”. Die Zeichnungsalben WS 134, 135 und 136 im Martin-von-Wagner-Museum der Universität Würzburg (Bestandskataloge der Graphischen Sammlung des Martin-von-Wagner-Museums der Universität Würzburg 2). Weimar 2009, in: ZBLG, 17.11.2011

http://www.kbl.badw-muenchen.de/zblg-online/rezension_2077.html

Carl Antonius Lemke Duque: Rezension zu: Pasamar, Gonzalo: Apologia and Criticism. Historians and the History of Spain, 1500-2000. Oxfordshire 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 11, 15.11.2011

http://www.sehepunkte.de/2011/11/20018.html

Ronald G. Asch: Rezension zu: Questier, Michael (Hrsg.): Stuart Dynastic Policy and Religious Politics, 1621-1625. Cambridge 2009, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 11, 15.11.2011

URL: http://www.sehepunkte.de/2011/11/18645.html

Anja Werner geb. Becker: Rezension zu: Racine, Karen / Mamigonian, Beatriz G. (Hrsg.): The Human Tradition in the Atlantic World, 1500-1850. Lanham 2010, in: H-Soz-u-Kult, 08.11.2011

http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2011-4-094

Sascha Weber: Rezension zu: Reed, Terence James: Mehr Licht in Deutschland. Eine kleine Geschichte der Aufklärung. München 2009, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 11, 15.11.2011

http://www.sehepunkte.de/2011/11/16278.html

Wolfgang E. J. Weber: Rezension zu: Richter, Susan: Fürstentestamente der Frühen Neuzeit. Politische Programme und Medien intergenerationeller Kommunikation. Göttingen 2009, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 11, 15.11.2011

http://www.sehepunkte.de/2011/11/16182.html

Roman Deutinger: Rezension zu: Seufert, Ingo (Bearb.): Die Inschriften der Stadt Freising (Die Deutschen Inschriften 69 = Münchener Reihe 12). Wiesbaden 2010, in: ZBLG, 08.11.2011

http://www.kbl.badw-muenchen.de/zblg-online/rezension_2037.html

Sue Peabody: Rezension zu: Schmieder, Ulrike / Füllberg-Stolberg, Katja / Zeuske, Michael (Hrsg.): The End of Slavery in Africa and the Americas. A Comparative Approach. Berlin 2011, in: H-Soz-u-Kult, 25.11.2011,

http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2011-4-144

Matthias Schnettger: Neuere Publikationen zur Hofforschung (Rezension), in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 11, 15.11.2011

http://www.sehepunkte.de/2011/11/18690.html

Stefan Laube: Rezension zu: Thums, Barbara / Werberger, Annette (Hrsg.): Was übrig bleibt. Von Resten, Residuen und Relikten. Berlin 2009, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 11, 15.11.2011

http://www.sehepunkte.de/2011/11/15463.html

Peter Schuster: Rezension zu: Tlusty, B. Ann: The Martial Ethic in Early Modern Germany. Civic Duty and the Right of Arms. Basingstoke 2011, in: H-Soz-u-Kult, 05.12.2011

http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2011-4-167

Lisa Klewitz: Rezension zu: Veltmann, Claus / Birkenmeier, Jochen (Hrsg.): Kinder, Krätze, Karitas. Waisenhäuser in der Frühen Neuzeit. Katalog zur Jahresausstellung der Franckeschen Stiftungen vom 17. Mai 2009 bis 4. Oktober 2009. Halle 2009, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 11, 15.11.2011

http://www.sehepunkte.de/2011/11/16475.html

Caecilie Weissert: Rezension zu: Vermeulen, Ingrid Renée: Picturing Art History. The Rise of the Illustrated History of Art in the Eighteenth Century. Amsterdam 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 11, 15.11.2011

http://www.sehepunkte.de/2011/11/19231.html

Holger Kürbis: Rezension zu: Walther, Stefanie: Die (Un-)Ordnung der Ehe. Normen und Praxis ernestinischer Fürstenehen in der Frühen Neuzeit. München 2011, in: H-Soz-u-Kult, 18.11.2011

http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2011-4-125

Wolfgang Wüst: Rezension zu: Weber, Christoph: Episcopus et Princeps. Italienische Bischöfe als Fürsten, Grafen und Barone vom 17. bis zum 20. Jahrhundert. Bruxelles u.a. 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 11, 15.11.2011

http://www.sehepunkte.de/2011/11/19098.html

Johannes Myssok: Rezension zu: Wren Christian, Kathleen / Drogin, David J. (Hrsg.): Patronage and Italian Renaissance Sculpture. Aldershot 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 11, 15.11.2011

http://www.sehepunkte.de/2011/11/19237.html

Ernst Schütz: Rezension zu: Zunker, Maria Magdalena: Geschichte der Benediktinerinnenabtei St. Walburg in Eichstätt von 1035 bis heute. Lindenberg 2009, in: ZLBG, 14.11.2011

http://www.kbl.badw-muenchen.de/zblg-online/rezension_1744.html

Quelle: http://frueheneuzeit.hypotheses.org/892

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Spiegel-Leser wussten mehr

Wie hieß es doch so schön in Spiegel 16/2006 zu den Nazimorden?

Die schwer durchdringbare Parallelwelt der Türken schützt die Killer. Soko-Leiter Wolfgang Geier bekannte, durch die Ermittlungen sei den Beamten bewusst geworden, "wie wenig die Polizei eigentlich über ausländische Bevölkerungsteile und ihre Mentalität in unserem Lande weiß".

File under: #Journaille #Rassismus

[via FB und @istuetzle]

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/55772116/

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Der 23.000ste Zugriff. Ein paar Worte zur Blogstatistik.

Ich glaube, das ist gerade mal ein guter Zeitpunkt, um ein paar Zahlen zu diesem Blog zu publizieren. Denn:

  1. war der letzte Monat von den Zugriffszahlen her (1.264) der bislang erfolgreichste und
  2. verzeichnete das Blog den 23.000 sten Zugriff seit Mai/Juni 2009.

Man kann sagen, Kritische Geschichte hat im Schnitt so 200 bis 300 Zugriffe die Woche. Solche Statistiken sind freilich mit Vorsicht zu lesen: Allein über den Anti-Spam-Service Akismet wurden bislang 2.600 Spamkommentare weggefiltert, die meines Wissens ja auch als Zugriffe zählen.

Den Ausschlag für die vielen Zugriffe im November 2011 gab nicht zuletzt der Beitrag über den Eichmann-Prozess auf YouTube, der auf Facebook öfters geteilt wurde. Auch der Beitrag über den bayerischen Historiker Karl Bosl und die Frage nach einer nicht-eurozentrischen Kapitalismuskritik haben ihr Publikum gefunden. Es werden aber auch viele Artikel aufgerufen, die schon lange von der Startseite verschwunden sind. Das zeigen die 15 meistgeklickten Artikel dieses Blogs:

Statistik zum Vergrößern anklicken

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Mich freut beim Anblick solcher Zahlen, dass Kritische Geschichte eine einigermaßen breite Themenpallette anbietet, die auch in dieser Breite wahrgenommen wird. Natürlich fehlt vieles, aber wir machen eben nicht nur Postkolonialismus, Faschismus oder Arbeiterbewegung. Das würde uns sicher eine konstantere und größere Leserschaft sichern, aber wir würden gleichzeitig eine verbreitete Themenbeschränkung zementieren, die ich schon geschichtspolitisch für viel zu eng halte.

Aber lassen wir die Kirche im Dorf. Die Zahlen sind OK, nicht berauschend. Das Blog Kritische Geschichte macht ganz klar ein Nischenprogramm, schon weil es sich gewissermaßen am Rand der akademischen Fachdisziplin bewegt. Aber den Vergleich mit vielen Printpublikationen muss es nicht scheuen. Warum beispielsweise Rezensionen überhaupt noch gedruckt werden, verstehe ich persönlich immer weniger. Über Weblogs ist diese Arbeit viel effektiver, schneller und zielgenauer zu erledigen. Und man kriegt Feedback. Außerdem werden die Inhalte im Web gut gefunden.

Sicher, man könnte die Reichweite dieses Blogs noch deutlich ausbauen. In Blogrankings bewegt sich Kritische Geschichte weit hinter Archivalia oder Adresscomptoir, was aus meiner Sicht damit zu tun hat, dass diese beiden Beispiele schon durch ihre vielen Hinweise auf neue Webinhalte einen wesentlich höheren Nachrichtenwert besitzen und damit ihre Leserinnen und Leser enger binden.
Eine Möglichkeit wäre, noch interessantere, konfliktreiche und tagesaktuellere Themen zu posten. Oder man bringt sich stärker in laufende Debatten auf anderen Blogs ein. Das würde nicht nur inhaltlich mehr Leben in die Bude bringen. Aber Asche aufs Haupt, das ist leider keine Interessens-, sondern eine ganz simple Zeitfrage.  Dennoch, es geht voran :-)


Einsortiert unter:Website

Quelle: https://kritischegeschichte.wordpress.com/2011/12/04/der-23-000ste-zugriff-ein-paar-worte-zur-blogstatistik/

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Beppo Beyerl/Rudi Hieblinger: Von der Paniglgasse zur Pinaglgasse

Beyerl_Paniglgasse Ein sehr schönes Wien-Buch ist der letztes Jahr bei Löcker erschienene, von Beppo Beyerl - http://www.beppobeyerl.at/ - und Rudi Hieblinger - er starb während der Drucklegung - verfasste Band Von der Paniglgasse zur Pinaglgasse. Die beiden Autoren durchstreifen die Wiener Vorstädte und Vororte, immer abseits des Mainstreams und offen für skurille Entdeckungen; ich konnte von ihnen u.a. lernen, dass dem 1919 auf der Flucht erschossenen Meidlinger Einbrecherkönig Johann Schani Breitwieser eine eigene Homepage gewidmet ist: http://breitwieserschani.at

Beyerl, Beppo/Hieblinger, Rudi: Von der Paniglgasse zur Pinaglgasse. Eine Abschweifung vom Bobo- ins Prolo-Wien. Wien: Löcker, 2010. [Verlags-Info]

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/55771249/

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Der Centenaire 2014 und die deutsch-französischen Beziehungen

Das Grab des Unbekannten Soldaten unter dem Arc de Triomphe, Photo Michael Reeve, 29 Januar 2004

Die gedenkpolitischen Planungen zum 100. Jahrestag – dem centenaire – des Ersten Weltkriegs nehmen in Frankreich langsam Fahrt auf. Ein vom Président de la République in Auftrag gegebener Bericht, der “rapport Zimet”, schlägt für die Jahre 2014-2018 ein sehr ambitioniertes Großprogramm vor, in dessen Verlauf Zentralstaat und collectivités régionales gemeinsam des vierjährigen, totalen Krieges, der “Urkatastrophe” des 20. Jahrhunderts, gedenken wollen.

Der “rapport Zimet” – das offizielle Programm

Auf einzelne Aspekte des mittlerweile im Netz veröffentlichten und in seinen Grundzügen von den maßgeblichen Stellen (Präsident, Premierminister) abgesegneten Plans soll hier nicht weiter eingegangen werden. Die großen Linien sehen für das Jahr 2014 eine Reihe von zentralen und dezentralen Gedenkveranstaltungen vor: Eröffnung des Gedenkjahres durch ein Treffen der europäischen Staats- und Regierungschefs am 28. 6. 2014 in Sarajevo, einen 14 juillet im Zeichen des Ersten Weltkriegs mit u.a. der Uraufführung eines Requiems und einer großen Royal-de-Luxe-Inszenierung auf den Champs-Elysées. Am 31. Juli soll die Ermordung Jean Jaurès’ 1914 Anlass zu einer zentralen Gedenkveranstaltung geben, bevor am 2. August ein dezentraler Gedenktag an die Mobilmachung zu Beginn des Krieges erinnern wird. Einige Wochen später, im September 2014, wird dann der 100. Jahrestag der Marne-Schlacht gefeiert werden. Krönender Abschluss des offiziellen Programms soll dann am Onze Novembre die “panthéonisation de Maurice Genevoix”, also die Überführung der sterblichen Überreste des wohl emblematischsten frz. Schriftstellers der “génération du feu” sein.

Der auf diese Art und Weise angefachte “élan commémoratif” wird dann in den Jahren 2015-2017 durch die collectivités régionales weitergetragen werden, bevor 2018 dann der (Zentral-)Staat wieder stärker auf den Plan tritt. Diese Arbeitsteilung gehorcht sicherlich z.T. Budgetzwängen, spiegelt aber auch ganz entscheidend die starke regionale Verankerung der Erinnerungskultur in Frankreich wider, wo es insbesondere in den 13 départements, die im Ersten Weltkrieg von Kampfhandlungen unmittelbar berührt worden sind, eine Unmenge an lokalpolitischen bzw. zivilgesellschaftlichen Gedenkinitiativen gibt. So wird z.B. das Jahr 2016 ganz im Zeichen des Gedenkens an die Verdun- und die Somme-Schlacht stehen, ohne dass Paris hier eine federführende Position einzunehmen beabsichtigt.

3 Begleitprojekte

Parallel dazu, das umfangreiche Programm flankierend, sieht der Bericht drei größere Projekte vor, die wissenschaftliche, zivilgesellschaftliche und politische Akteure zusammenbringen sollen:

Zum einen ist angedacht, die Kriegsstammrollen (registres de matricules) der rund 8 Millionen frz. Soldaten im Ersten Weltkrieg zu digitalisieren und im open-access zur Verfügung zu stellen. Dieses Angebot käme zu den bereits jetzt frei verfügbaren Datenbanken zum Ersten Weltkrieg auf Mémoire des Hommes (Morts pour la France, Personnel de l’aéronautique militaire, Journaux des unités) hinzu und würde das Quellenangebot zum Ersten Weltkrieg substantiell erweitern.

Zum zweiten wird für 2016 die Klassifizierung des ehemaligen belgischen und französischen Frontgebietes als Weltkulturerbe vorangetrieben. Hier sind es wieder die 13 von 1914-1918 vom Krieg unmittelbar betroffenen départements, die in enger Zusammenarbeit mit belgischen Einrichtungen die Bewerbung bei der UNESCO vorbereiten. Frankreich und Belgien würden das dossier dann gemeinsam in die verantwortlichen Gremien einbringen. Ein Erfolg würde die weltweite Sichtbarkeit der ehemaligen Frontlinien signifikant erhöhen und, das gehört zu den eher unausgesprochenen Annahmen, das Tourismus-Aufkommen in den derart ausgezeichneten Gebieten deutlich erhöhen.

Darüber hinaus ist vorgesehen, eine Kommission einzusetzen, die sich mit der in Frankreich nach wie vor brisanten und subkutan politischen Frage der „Fusillés pour l’exemple“, d.h. der wegen „Feigheit vor dem Feind“ standrechtlich erschossenen frz. Soldaten, auseinandersetzt und Empfehlungen ausspricht, wie mit ihrem quer zum tendenziell harmonisierenden, offiziellen Gedenkdiskurs liegenden Schicksal umzugehen ist.

Die Bedeutung des Ersten Weltkriegs in Frankreich

Die Dimensionen des Jubiläums-Jahres 2014 führen die Bedeutung des Ersten Weltkriegs für Frankreich eindrücklich vor Augen. Es ist für deutsche Beobachter nicht unbedingt leicht nachvollziehbar, aber es ist so: der Erste Weltkrieg, jene vier Jahre, in denen sich Frankreich – so jedenfalls die vorherrschende Lesart – vereint und opferbereit den Herausforderungen der Weltgeschichte stellte, hat sich in den letzten 10-20 Jahren zum Ursprungsmythos des modernen Frankreich entwickelt.  La Grande Guerre hat damit im nationalen Symbolhaushalt der V. Republik eine Bedeutung erlangt, die mit der der französischen Revolution von 1789 durchaus vergleichbar ist. Dementsprechend verbindet sich mit dem centenaire eine klare geschichtspolitische Agenda. Anders als die problematische Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg, ist die Erinnerung an 14-18 trotz aller Nuancen und Differenzierungen – Nicolas Offenstadt spricht zu Recht von der erstaunlichen „plasticité symbolique“, d.h. der symbolischen Viel- und Mehrdeutigkeit des Ersten Weltkriegs[1] – eine Sinnressource für die Gegenwart. Das gilt für das ganze politische Spektrum. Bei allen Unterschieden in Stil und Tonalität z.B. zwischen der Rede Nicolas Sarkozys  am Grab des Unbekannten Soldaten und der Ansprache seines sozialistischen Herausforderers Francois Hollande auf dem Soldatenfriedhof Saint-Thomas d‘Argonne am 11. November 2011, ist unverkennbar, dass beide im 100. Jahrestag des Kriegsausbruchs eine herausragende Gelegenheit sehen, die nationale Einheit der Franzosen in der Kriegszeit in Szene zu setzen: „Cohésion nationale“, „rassemblement national“, „unité nationale“ sind z.B. immer wiederkehrende Schlagworte. Dass es dabei insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen Krisenlage auch darum geht, durch die Würdigung der Opferbereitschaft vergangener Generationen die Bevölkerung in die Pflicht zu nehmen, den Herausforderungen der Zukunft tapfer und mit Selbstbewusstsein zu begegnen, liegt auf der Hand.

Es ist ganz entscheidend zu verstehen, dass das französische Interesse am Ersten Weltkrieg keinesfalls auf diese politisch-pädagogische Funktion reduziert werden kann. Die gedenkpolitischen Großinitiativen sind ganz im Gegenteil nur die Spitze des Eisbergs. Charakteristisch für die aktuelle Phase der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg ist vielmehr eindeutig das relative Übergewicht zivilgesellschaftlicher und regionaler bzw. lokaler Akteure. Impulse gehen weniger vom Zentralstaat aus, auch wenn dieser für die offiziellen Feierlichkeiten zuständig bleibt und z.B. über die DMPA (Direction de la Mémoire du Patrimoine et des Archives) im Ministère de la Défense eine Koordinierungs- und Finanzierungsfunktion ausübt, als von den Collectivités terrioriales, also den Kommunen, Départements und Régions, insbesondere – doch keinesfalls nur – im durch den Krieg besonders betroffenen Nordosten Frankreichs (Nord-Pas-de-Calais, Picardie, Champagne-Ardenne, Alsace und Lorraine). So entstanden z.B. das Historial de la Grande Guerre 1992 und aktuell das neue große Weltkriegs-Museum in Meaux aus lokalen Initiativen, die durchaus auch mit dem Hintergedanken, den tourisme de mémoire zu entwickeln, die Spuren des Krieges als Patrimoine culturel, also als schützenswertes Kulturgut, in Szene zu setzen beabsichtigen. Kulminationspunkt dieser Tendenz ist ohne Zweifel die bereits angesprochene Initiative, die Frontlinien von 1914-1918 von der UNESCO als Weltkulturerbe schützen zu lassen.

Ein weiterer wichtiger Anker der Weltkriegserinnerung in Frankreich sind die zahlreichen zivilgesellschaftlichen Vereine und Verbände wie z.B. La Cavalerie dans la Bataille de la Marne, Les Amis de Vauquois, Soissonnais 14-18, Le Poilu de la Marne, Mémoire de la GG, Bleu horizon, die mit verschiedenen Zielsetzungen seit den 1980er, 1990er Jahren von Geschichtsinteressierten ins Leben gerufen wurden. Geht es vielen dieser Associations um den Erhalt der Schlachtfelder oder auch um den Erhalt ausgewählter monuments aux morts, organisieren andere Gedenkmärsche oder organisieren das Reenactment bestimmter Schlachten.

Der veritable „activisme 14-18“, den Nicolas Offenstadt in seinem sehr lesenswerten “14-18 aujourd’hui” beschreibt, kennt weitere Spielformen. Familiengeschichtliche Privatforschung, in diesem Zusammenhang teils in jahrelanger Kleinarbeit edierte Tagebücher und Feldpost, lokalgeschichtliche Initiativen und nicht zuletzt die seit den 1990er Jahren weiter zunehmende Thematisierung des Ersten Weltkriegs in Literatur, Film, Comic, Musik, etc. sorgen dafür, dass der Erste Weltkrieg in Frankreich anders als in Deutschland nicht nur „Geschichte“, sondern Gegenstand einer veritablen „pratique sociale et culturelle“[2] ist, die grassroot-Aktivismus und Gedenkpolitik, populäre und politische Erinnerungskultur gleichermaßen  durchdringt.

Internationalisierung des Gedenkens

So sehr das frz. Weltkriegsgedenken auch lokal, regional und nicht zuletzt national verankert ist, so wenig lässt sich im Europa des 21. Jahrhunderts eines Weltkrieges national gedenken. Von vornherein sieht der “rapport Zimet” daher systematisch die Internationalisierung der Gedenkveranstaltungen vor. Dabei wird angestrebt, nicht nur die ‚üblichen Verdächtigen’ aus Europa und Übersee einzubeziehen, sondern in größerem Maße als zuvor die globale Dimension des Krieges und seiner Konsequenzen abzubilden, so sollen z.B. die frz. Botschaften überall in der Welt ein Kulturprogramm entwerfen, das der Bedeutung des Krieges für das jeweilige Gastland Rechnung trägt. Eine große Bedeutung hat daher das Gedenken an die frz. Kolonialtruppen („tirailleurs sénégalais“) und die vielen außereuropäischen Kombattanten und Nicht-Kombattanten (z.B. Chinese Labour Corps). Besonders eng wird die Zusammenarbeit in diesem Kontext auch mit denjenigen (westlichen) Ländern sein, für deren Nationalgeschichte der Erste Weltkrieg eine entscheidende Zäsur darstellt (Kanada, Neuseeland, Australien) und in denen die Vorbereitungen auf das Jahr 2014 z.T. schon sehr weit fortgeschritten sind.

Ein deutsch-französischer Kern

Unbenommen dieser globalen Dimension der Feierlichkeiten gehen die französischen Planungen aber von einem starken deutsch-französischen Kern aus, und in der Tat liegt es ja angesichts der historischen Feindschaft zwischen den beiden Ländern nahe, die Erfolgsgeschichte ihrer Aussöhnung und Annäherung als Ausgangspunkt für einen aufgeklärt-kritischen Blick auf die Vergangenheit zu nehmen. Der Erste Weltkrieg als Negativfolie, vor der die deutsch-französische Zusammenarbeit und darüber hinaus die europäische Integration in umso hellerem Licht erscheinen, dieser in vielerlei Hinsicht richtige und alternativlose Ansatz lag bereits den Feierlichkeiten zum Onze novembre 2009 zugrunde, als Merkel und Sarkozy gemeinsam am Grab des unbekannten Soldaten in Paris der Toten des Ersten Weltkriegs gedachten.

Im « rapport Zimet » liest sich das so: « C’est main dans la main avec l’Allemagne, partenaire, depuis cinquante ans, d’une réconciliation historique et de l’édification d’une Europe pacifique, qu’elle devra être racontée et commémorée. » Oder an anderer Stelle : « Cette parole franco-allemande sur la mémoire de la Grande Guerre sera déterminante pour travailler entre Européens autour de l’héritage commun de la Première Guerre mondiale, (…). La création d’un socle mémoriel et culturel franco-allemand solide et confiant sera déterminant pour la réussite du Centenaire. »[3] Mit anderen Worten : der Gedenk-Kooperation mit der Bundesrepublik Deutschland wird tendenziell ein höherer Stellenwert beigemessen als dem gemeinsamen Gedenken mit dem Kriegsverbündeten Großbritannien! Gerade im Lichte der aktuellen Krise erwartet die französische Seite ein starkes Signal, das dem Willen Deutschlands, sich der europäischen Integration weiter zu verschreiben, symbolisch Ausdruck verleiht.

Der Erste Weltkrieg in Deutschland

Nun ist es mit Symbolen und ihrer politisch gewollten transnationalen Übertragung und Instrumentalisierung so eine Sache. Abgesehen davon, dass die politische Kultur der Bundesrepublik sich insgesamt – jedenfalls verglichen mit Frankreich – mit symbolischer Kommunikation schwer tut, erschwert im konkreten Fall eine fundamental andere Beziehung zum Ersten Weltkrieg nicht nur die Formulierung einer deutschen Position, sondern viel grundsätzlicher das Verständnis für die französischen Erwartungen.

Ein kurzes Beispiel stehe hier pars pro toto für die stabile Asymmetrie in der Wahrnehmung der Jahre 1914-1918: Als am 12. März 2008 Lazare Ponticelli, der letzte französische Kriegsteilnehmer starb, war das allen französischen Tageszeitungen eine Meldung auf der Titelseite wert. Fünf Tage später, am 17. März, fand im Invalidendom in Paris eine offizielle Trauerfeier statt, die live im Fernsehen (TF1, France 2) übertragen wurde. Der Président de la République hielt eine Rede, hochrangige Repräsentanten des frz. Staates erwiesen dem Toten die letzte Ehre. Landesweit wurde der Schulunterricht für eine Schweigeminute unterbrochen und die Lehrer wurden per ministeriellem Erlass dazu aufgefordert, den jungen Franzosen und Französinnen Leben und Leistung des Verstorbenen in Erinnerung zu rufen. Mit dem letzten der „derniers poilus“, wie die französische Öffentlichkeit die letzten Veteranen des Ersten Weltkriegs mit einer Mischung aus Respekt, Ehrfurcht und Zuneigung in den letzten Jahren ihres Lebens genannte hatte, nahm Frankreich ganz offensichtlich von einem wichtigen Symbol, ja einem Kristallisationspunkt der nationalen Identität Abschied. Die besondere Stellung die Ponticelli, Louis de Cazenave und Jean Grélaud, die drei letzten poilus, als Orientierungspunkte, ja als „sages“, als Weise, in den 2000er Jahren eingenommen haben, ist in diesem Zusammenhang deswegen besonders interessant, weil sie auf eine manifeste Leerstelle verweist. Der letzte deutsche Kriegsteilnehmer nämlich, sofern man den angesichts der ungleich schwierigeren Quellenlage überhaupt sicher sein kann, dass er der letzte gewesen ist, der nur wenige Wochen vor Ponticelli starb, Erich Kästner, starb von der deutschen Öffentlichkeit unbemerkt und ohne jedwede Reaktion von offizieller Seite.

Ein deutsch-französischer Vergleich soll hier nicht weitergeführt werden. Es genügt, die Reden Merkels und Sarkozys unter dem Arc de Triomphe vom November 2009 zu lesen, um zu verstehen, wie sehr deutscherseits der Holocaust und die Schrecken des Dritten Reichs als negativer Ursprungsmythos der Bundesrepublik den Ersten Weltkrieg weitgehend aus dem kollektiven Bewusstsein verdrängt haben. Dies heißt nicht, dass von Seiten der Geschichtswissenschaft oder in der Museumslandschaft nicht ein reges Interesse am Ersten Weltkrieg bestünde. Großprojekte wie 1914-1918-online oder Europeana 1914-1918 belegen ganz im Gegenteil, dass sich in diesem Bereich sehr viel tut. Nur haben wir es hier mit einem eher akademischen, allgemein historischen Interesse an den Jahren 1914-1918 zu tun.  Für Symbolik und Selbstverständnis der Bundesrepublik und in der politischen Kultur Deutschlands insgesamt spielt der Erste Weltkrieg dagegen überhaupt keine Rolle.

Fazit

Diesen deskriptiven Befund muss man wertfrei zur Kenntnis nehmen. Die offensichtlich differente Erinnerung an den Ersten Weltkrieg wirft letztlich ein Schlaglicht auf das Nicht-Vorhandensein einer mémoire collective européenne, und daran wird sich auch auf mittlere Sicht nichts ändern, was auch nicht weiter schlimm ist. Eine größere Sensibilität von deutscher Seite für die Erwartungen des Partners Frankreich kann aber gleichwohl helfen, manche Irritation zu vermeiden. Der 100. Jahrestag der „Urkatastrophe“ Europas bietet die Chance, die dauerhafte Pazifizierung Europas zu feiern und von deutscher Seite ein symbolisch starkes Bekenntnis zu den deutsch-französischen Beziehungen und zur europäischen Integration abzulegen. Dass dies vor dem Hintergrund eines in den letzten Wochen und Monaten keinesfalls nur in Frankreich massiv zunehmenden antideutschen Sentiments wünschenswert wäre, scheint jedenfalls kaum bestreitbar.

 

 

 


[1] Nicolas Offenstadt: 14-18 aujourd’hui. La Grande Guerre dans la France contemporaine, Paris 2010, S. 154.

[2] Offenstadt, S. 8.

[3] Rapport Zimet, S. 10, 24.

Quelle: http://grandeguerre.hypotheses.org/143

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“Klugheitsregeln, die zu beobachten sind, wenn beyde Eheleute zusammen vor Gericht zu stehen kommen.”

In den späten 1820er-Jahren veröffentlichte der Jurist Thomas Dolliner in der “Zeitschrift für österreichische Rechtsgelehrsamkeit” mehrere Beiträge über bestimmte Aspekte gerichtlicher Ehetrennungsverfahren. 1848 – zu diesem Zeitpunkt war er bereits emeritierter “Professor des Römischen Civil= und des Kirchenrechtes an der Wiener Universität” – versammelte er diese und publizierte das “Handbuch des österreichischen Eherechtes”.

Nachdem der Eherichter die beiden Eheleute isoliert vernommen habe, rät Thomas Dolliner dem Richter, die “beyden Eheleute zugleich vor sich kommen [zu] lassen”. Für die gemeinsame Vernehmung von Ehefrau und Ehemann formulierte Thomas Dolliner folgende “Klugheitsregeln”:

1. Der Richter muß trachten, jeden Ausbruch der Leidenschaft im Keime zu ersticken, widrigens dürfte er die Erfahrung machen, daß die Eheleute, die sich gewöhnlich in einem sehr bewegten Gemüthszustande befinden, seine Ohren mit wechselseitigen Anklagen ermüden, sich mit Vorwürfen aller Art überhaufen, und zuletzt mit einander in ein unanständiges Gezänk und in eine solche Erbitterung gerathen werden, die ihnen alle Fähigkeit benimmt, vernünftige Vorstellungen anzuhören oder ihre Rechte gehörig zu vertheidigen. Die ganze Tagsatzung kann darüber fruchtlos ablaufen.

2. Er darf kein unanständiges Betragen dulden, den streitenden Theilen jeden solchen Unfug mit Ernst und Nachdruck untersagen, und wenn dieses nicht hilft, die weitere Verhandlung auf einen anderen Tag verlegen.

3. Er selbst soll die Parteyen schonend behandeln, ihnen keine unnützen Vorwürfe machen, sich gegen sie keine beleidigenden Reden oder unschickliche Scherze erlauben, sie nicht mit rauhen Worten anfahren, sondern sie gelassen fragen und anhören, nöthigen Falles belehren, und ihrem oft undentlichen [sic] und unzusammenhängenden Vortrage, oder ihrer Unbehülflichkeit in Darlegung der Beweismittel duch gehörige Weisungen nachhelfen.

aus: Dolliner, Thomas: Handbuch des österreichischen Eherechtes, Bd. 3: Der österreichische Eheproceß, Wien 1848, 120.


Quelle: http://ehenvorgericht.wordpress.com/2011/12/02/klugheitsregeln-die-zu-beobachten-sind-wenn-beyde-eheleute-zusammen-vor-gericht-zu-stehen-kommen/

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