Link-Hint Nr. 15 [31.05.2013]: Das digitale Bildarchiv des Bundesarchivs — 200.000 Fotographien seit 1860
TextGrid Nutzertreffen 2013: Anmeldefrist verlängert
Am 21. und 22. Juni 2013 findet an der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz das nächste TextGrid-Nutzertreffen statt. Es werden Projekte vorgestellt, die mit TextGrid arbeiten oder arbeiten werden. Der Schwerpunkt dieses Treffens wird das Edieren mit XML sein. Neben einer Einführung zum aktuellen Stand des Projektes werden in Workshops Grundlagen zum Arbeiten mit TextGrid sowie zum Edieren gemäß TEI und MEI vermittelt. Auch besteht die Möglichkeit, Projekte, die mit TextGrid in Verbindung stehen, im TextGrid-Café mit einem Poster vorzustellen.
Die Anmeldefrist wurde nun bis zum 14. Juni 2013 verlängert. Das Formular zur Anmeldung und weitere Informationen zu der Veranstaltung finden sich unter:
http://www.textgrid.de/community/nutzertreffen-2013/
Quelle: http://dhd-blog.org/?p=1777
Quellennetzwerke der DDR-Auslandsspionage im Ostseeraum
Ein Gastbeitrag von Kimmo Elo. Der Kalte Krieg brachte auch die Teilung des Ostseeraums mit sich, so dass der berühmte eiserne Vorhang nicht nur durch das kontinentale Europa, sondern auch durch den Ostseeraum lief. Obwohl die nordischen Länder – Finnland, Schweden, Norwegen, Dänemark und Island – alle zur westlichen Gemeinschaft gehörten und eine „imagined community“ (Benedict Anderson) formierten, so sind – was den internationalen Handlungsspielraum der nordischen Länder angeht – unter dieser gemeinschaftlichen Oberfläche auch deutliche Unterschiede erkennbar. Wegen seines mächtigen Nachbars, der Sowjetunion, besaß Finnland den kleinsten Handlungsspielraum. Schweden als neutrales Land (oder zumindest ohne Bündniszugehörigkeit) in der Mitte konnte sich einen relativ großen Handlungsspielraum leisten. Dagegen wurde der internationale Handlungsspielraum der drei NATO-Mitgliedstaaten Norwegen, Dänemark und Island durch diese Bündniszugehörigkeit eingeschränkt.((S. dazu Steinbock, D. (2008). NATO and Northern Europe: From Nordic Balance to Northern Balance. American Foreign Policy Interests, 30(4):196–210; Musiał, K. (2009). Reconstructing Nordic Significance in Europe on the Threshold of the 21st Century. Scandinavian Journal of History, 34(3):286–306.))
Operational lag der Schwerpunkt der DDR-Auslandsspionage auf der Bundesrepublik Deutschland sowie den europäischen NATO-Staaten. Diesen gegenüber spielten die nordischen Staaten eine eher marginale Rolle. Insgesamt wurden zwischen den Jahren 1969 und 1989 insgesamt 6.500 Informationen zu den nordischen Angelegenheiten an die HV A geliefert. Da im gleichen Zeitraum mehr als 450.000 Informationen bei der HV A eingingen, waren die nordischen Länder mit ihrem Anteil von 1,4 % eher das Schlusslicht.
Abbildung 1: Quellen und Lieferungen zu nordischen Angelegenheiten aus dem Quellennetzwerk der HV A im Ostseeraum (Quelle: eigene Berechnungen).
Zum Vergrößern anklicken.
Dennoch gab es zwischen den nordischen Ländern auch Unterschiede. In der Abbildung 1 wird jedes Land mit einem Kreis dargestellt. Je mehr Quellen zu diesem Land geliefert haben, desto größer ist der Radius des Kreises. Die Liefermengen werden mit dem Pfeil zu der HV A visualisiert: je breiter der Pfeil, desto mehr wurde geliefert. Was die Quellenanzahl angeht, so war Schweden mit 659 Quellen der Spitzenreiter, gefolgt von Dänemark (557) und Norwegen (451). Das Schlusslicht bildet Finnland mit seinen 352 Quellen. Hier sei jedoch anzumerken, dass die Quellenanzahl alle Quellen beinhaltet, die je zu nordischen Angelegenheiten geliefert. Somit geben sie keine Auskunft darüber, wo diese Quellen tätig gewesen sind.((Datenquelle: BStU, MfS, HV A/MD/2-5, SIRA TDB 11-14 (Stand: 15. September 2011). S. dazu auch Kimmo Elo; Helmut Müller-Enbergs: Suomen merkitys DDR:n ulkomaantiedustelun kohteena. Kosmopolis, 2010, 40(4), S. 31–47.))
Den Liefermengen sind einige interessante Aspekte zu entnehmen. Insgesamt sind die Lieferungen je Quelle sehr gering gewesen. Durchschnittlich hat eine Quelle nur 3–4 Informationen zu spezifisch nordischen Angelegenheiten geliefert und ca. 90 Prozent der Quellen wurden von weniger als fünf Informationen geliefert. Es sieht also so aus, als seien die nordischen Angelegenheiten für die meisten Quellen eher ein marginales Thema gewesen, der Schwerpunkt ihrer Lieferungen lag auf anderen Bereichen. Auch die Spitzenquellen haben die HV A mit Informationen nicht gerade überflutet (Finnland: 76 Lieferungen, Schweden: 59 und Dänemark: 64). Die klare Ausnahme ist Norwegen. Die Spitzenquelle zu norwegischen Angelegenheiten (XV/5368/62, „Lanze“) hat ganze 338 Informationen geliefert.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die nordischen Länder trotz ihrer geo- und sicherheitspolitischen Lage für die HV A operativ eher ein Marginal- bzw. Randgebiet waren. Dabei sei jedoch anzumerken, dass die bisherigen Forschungsergebnisse, vor allem was die Lieferungen angeht, vorwiegend auf Unterlagen mit speziellen Länderhinweisen beruhen. Da Unterlagen zu bestimmten Themenbereichen wie z.B. wissenschaftlicher oder wirtschaftlicher Spionage kaum mit Länderhinweisen versehen worden sind, sind unsere Erkenntnisse über nicht-länderspezifische Tätigkeiten der HV A in den nordischen Ländern sehr lückenhaft. In den kommenden Jahren hoffe ich, zur Schließung dieser Forschungslücke beitragen zu können. Die von mir angewandte historische Netzwerkanalyse hat bereits jetzt ihre Stärken bei Erschließung von verdeckten Verbindungen bewiesen. Daher ist anzunehmen, dass sich diese Methode auch künftig bei der Spurensuche von HV A-Aktivitäten in den nordischen Ländern als effektiv erweisen wird.
Der finnische Historiker Kimmo Elo lehrt Zeitgeschichte an der (finnischsprachigen) Universität Turku sowie an der (schwedischsprachigen) Åbo Akademi. Seine Forschungsschwerpunkte sind u.a. die Geschichte der europäischen Integration und die deutsche Geschichte. In letzter Zeit hat er sich mithilfe der Methode historischer Netzwerkanalyse der Erforschung der Stasi-Tätigkeit in Nordeuropa und weiteren Aspekten der Spionagegeschichte gewidmet. Auf dem Deutsch-Finnischen Historikerseminar in Berlin im Februar 2013 hielt er einen Vortrag zur Stasi-Tätigkeit in Finnland. Die Powerpoint-Folien sind hier abrufbar.
Bibliotheca Sinica 2.0
Vor einigen Tagen ging der 2500. Eintrag der Bibliotheca Sinica 2.0[1] online - Zeit für eine Zwischenbilanz, was seit dem ersten Beitrag, der am 17. Januar 2010 online ging, geschah …
Eines der Bilder aus dem Header der Bibliotheca Sinica 2.0 | Foto: Monika Lehner *)
Am Anfang stand ein Berg von Zetteln & Notizen, Listen & Tabellen – teils handschriftlich in Mappen, Notizbüchern, Journalen, teils in zahllosen Dateien unter mehr oder weniger sinnvollen Namen abgespeichert – als Nebenprodukte von Jahren (bzw. inzwischen Jahrzehnten) der Beschäftigung mit westlichem Wissen über China in gedruckter Form.
In diesen Listen standen (Kurz-)Titel und die Signaturen dazu – aus der Universitätsbibliothek Wien, der Österreichischen Nationalbibliothek und aus der Bibliothek des Österreichischen Staatsarchivs. In zahllosen Gesprächen nach Vorträgen und Präsentationen bei Workshops und Konferenzen tauchte immer wieder dieselbe Frage auf: Und wo haben Sie/hast du diesen oder jenen Titel gefunden? Die Anwort löste häufig Verblüffung aus, denn die Bestände der Wiener Bibliotheken zur frühen westlichen Beschäftigung mit China waren (und sind wohl auch heute noch) weitgehend unbekannt.
2003 wurde – eigentlich zum Eigengebrauch, um ‘leere Kilometer’ zu sparen – aus dem Zettelberg eine einzige Tabelle mit Basisdaten :
- Autor
- Titel
- Erscheinungsort
- Verlag
- Erscheinungsjahr
- Signatur(en)
Etwa zeitgleich kam die Veröffentlichung von Katalogen/Inventaren zur China-Literatur vor 1939 in der Forschungsbibliothek Gotha [2] und in der Universitätsbibliothek Leipzig[3].
Eine gedruckte Version erschien im Lichte dieser Veröffentlichungen wenig zweckmäßig[4] – und so entstand die Idee, die Bibliographie online zu stellen. Im April 2004 ging die erste Version der ‘Wiener China-Bibliographie 1477-1939′ online – statische Webseiten, die den Standort/die Standorte des jeweiligen Werks farbkodiert anzeigten – mit gut 2000 Titeln. Das sah damals so aus:
Screenshot: Wiener China-Bibliographie 1477-1939 (2004)
Die Bibliographie wuchs, der Aufbau änderte sich im Lauf der Zeit nur wenig, was die Wartung der Seiten mühsamer machte und dazu zwang, nach neuen Lösungen zu suchen. Gleichzeitg wurde die ‘berühmte’ Tabelle erweitert um Links zu frei zugänglichen Digitalisaten[5]. Denn die Wiener Bibliotheken waren zwar wahre Schatzkammern der frühen westlichen China-Literatur, aber keine der Wiener Bibliotheken hat(te) Early English Books Online oder Western Books on China up to 1850[6]. Trotzdem wurden mehr und mehr der Titel digital zugänglich - Internet Archive, GDZ, MDZ, VD 18 digital, HATHI Trust, Laures Rare Books etc. Das Einpflegen der Links hätte die Aktualisierung der Bibliographie noch aufwändiger gemacht hätte.
Die Lösung war ein Blog, der einen eingängig(er)en Namen brauchte, denn der Ausgangspunkt war zwar das (nach wie vor wachsende) Verzeichnis der Wiener Bestände, aber eben nicht nur, denn zum Verzeichnis der China-Literatur vor 1939 sollten Links zu frei zugänglichen Digitalisaten kommen.. Im Dezember 2009 wurde aus der “Wiener China-Bibliographie 1477-1939″ die die Bibliotheca Sinica 2.0 - mit einer sehr bewussten Anspielung auf großes Vorbild: Henri Cordier: Bibliotheca sinica. Dictionnaire bibliographique des ouvrages relatifs à l’Empire chinois (Paris: E. Leroux 1878-1895)[7]
Im Dezember 2009 wanderten die Listen – zunächst ohne große Veränderungen – in ein WordPress-Blog, während die Links in der berühmten Tabelle immer mehr wurden. Ab Januar 2010 gab es erste Versuche, Links in Blogbeiträgen unterzubringen, ab April 2010 begann der Dauerbetrieb: Seit dem 8.4.2010 gibt es täglich zumindest einen neuen Post – und das sind inzwischen mehr als 2500 Beiträge mit Titeln aus dem Zeitraum 1477-1939 mit Links zu Digitalisaten in mehr als 120 verschiedenen Repositorien, Archiven und Bibliotheken.
Bibliotheca Sinica | Erscheinungsdaten
Die Digitalisate sind (wie an anderer Stelle schon angerissen) von von unterschiedlichst)er Qualität. Das Spektrum reicht von schwer/kaum lesbaren Scans von Ausdrucken von Mikrofilmen bis zu Farbbildern mit Zoom und OCR – The Art of Google Books gibt nur einen kleinen Einblick in die Höhe- oder Tiefpunkte der Massendigitalisierung – in der Bibliotheca Sinica 2.0 finden sich daher wo immer möglich mehrere Möglichkeiten bzw. kommen neue Digitalisate dazu.
Auch wenn wenig/nicht kommentiert wird, wird die Bibliographie genutzt – und die Zugriffszahlen entwickeln sich (für ein absolutes Nischen-Angebot) gut: etwa 150 single user und etwa 500-800 pageviews, viele kommen über den RSS-Feed. oder Twitter @BS_2.
*) “Ta au sze ma kia kuoh 大奧斯馬家國” [Beizeichnung für Österreich-Ungarn] (Ausschnitt aus: Karl von Scherzer, Fachmännische Berichte über die österreichisch-ungarische Expedition nach Siam, China und Japan (1868-1871). Im Auftrage des k. k. Handelsministeriums redigiert und herausgegeben (Stuttgart: Julius Maier 1872), S. VIII.))
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- Die Bibliotheca Sinica 2.0 trägt Links zu frei zugänglichen Digialisaten von westlichsprachigen Büchern über China aus der Zeit zwischen 1477 und 1939 zusammen und ist ein Projekt von Georg Lehner und Monika Lehner, das ohne Förderungen entsteht.
- Britta Woldering: Katalog des ostasienbezogenen Bestandes der Forschungsbibliothek Gotha (= Erfurder Reihe zur Geschichte Ostasiens: Lehr und Forschungsberichte 1; Erfurt: Lehrstuhl for Ostasiatische Geschichte 2000) – Online [pdf].
- Thomas Jansen: China-Literatur in der Universitätsbibliothek Leipzig: 1500-1939. Eine systematische Bibliographie. Bd. 1: Werke in westlichen Sprachen (mit Gabriele Schlesinger, Richard Teschke and Katharina Zinn). Bd. 2: Sinica (mit Richard Teschke). (Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2003). Vgl. dazu meine Rezension in Oriens Extremus 44 (2003/04), 286-290 [Rezensionen (pdf online frei zugänglich].
- Dabei soll nicht verschwiegen werden, dass Spezialbibliographien für einschlägige Fördergeber keine wissenschaftliche Leistung darstellen und daher nicht förderungswürdig sind.
- ‘Frei’ heißt im konkreten Fall: ohne dass der User technische Hürden überwinden müsste – d.h. die Nutzung von US-Proxys etc. ist nicht notwendig.
- Zuerst Mikrofiche-Ausgabe (IDC 1987), jetzt auch als Online-Version bei Brill.
- Zweite Auflage 1904-1908 [Digitalisate der 1. Auflage und der 2. Auflage → Bibliotheca Sinica 2.0]; Reprint: Henri Cordier, Bibliotheca Sinica. Dictionnaire bibliographique des ouvrages relatifs à l’empire chinois. [Six volumes bound in three] (Staten Island : Maurizio Martino n.d. [1997]).
Body Politics. Zeitschrift für Körpergeschichte 1 (2013), 1
Die Körpergeschichte hat in den vergangenen zwanzig Jahren enorm an wissenschaftlicher Aufmerksamkeit gewonnen und eine bemerkenswerte Ausweitung erfahren. Diese Zeitschrift versucht diese Entwicklung in ihrer Facettenvielfalt abzubilden und weiter voranzutreiben.
Der Körper gerät dabei als ein multidimensionaler Forschungsgegenstand und das Ergebnis eines historischen Wandels in den Fokus – als ein Effekt sozialer Praktiken, ein Objekt der Imagination und Repräsentation, in seiner Diskursivität, Materialität und Produktivität. Er war und ist sowohl ein Medium der Subjektivierung als auch ein Ort gesellschaftlicher Ordnungsversuche und nicht zuletzt politischer Konflikte. In diesem umfassenden Verständnis lautet der Titel dieser Zeitschrift: Body Politics.
Die Körpergeschichte verändert dabei nicht nur unseren Blick auf Menschen und deren Körper und Geschichte – sie betrifft auch unsere Wahrnehmung von Tieren und Dingen und deren vermeintlich grundsätzliche Andersartigkeit.
Dementsprechend greift diese Zeitschrift auf ein breites Angebot von Fragestellungen und unterschiedliche Herangehensweisen zurück. Sie versammelt zudem nicht nur Artikel aus der Geschichtswissenschaft, sondern steht ebenfalls historisch interessierten Beiträgen aus den Literatur- und Medienwissenschaften sowie anderen Kultur- bzw. Sozialwissenschaften offen.
Dieses Online-Journal veröffentlicht Artikel in deutscher und englischer Sprache. Alle Beiträge haben ein beidseitig anonymisiertes Peer Review durchlaufen und erscheinen kostenfrei im Open Access. Body Politics erscheint dabei in Kooperation mit der Digitalen Bibliothek Thüringen und wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft durch eine dreijährige Anschubfinanzierung gefördert.
Heft 1 wird von Peter-Paul Bänziger herausgegeben und widmet sich dem Thema „Fordismus“
Quelle: Eintrag auf H-Soz-u-Kult, 31. Mai 2013
Einsortiert unter:Erfahrungen, Geschichte, Historiker, Medien, Methodik, Vermittlung, Zeitschrift

Ein Memory-Dienst in Wien, 1973
Herrenhausen Conference: “(Digital) Humanities Revisited – Challenges and Opportunities in the Digital Age”
Die Krux mit dem Tabu: ein nervendes Narrativ über die Jahre 1940-1945

Eine word-cloud vom Wikipedia Eintrag “Luxemburg im Zweiten Weltkrieg” (30. Mai 2013) zeigt ein nüancierteres Bild als das zur Zeit dominante “Tabu-Narrativ”
“Ein Tabu beruht auf einem stillschweigend praktizierten gesellschaftlichen Regelwerk, auf einer kulturell überformten Übereinkunft, die Verhalten auf elementare Weise gebietet oder verbietet. Tabus sind unhinterfragt, strikt, bedingungslos, sie sind universell und ubiquitär” 1
In einen rezenten Woxx-Artikel über die Ausstellung “Between Shade and Darkness” im Escher Resistenzmuseum, bedauert die Journalistin Anina Valle Thiele das “historische Narrativ von den braven Luxemburgern, die von den Nazis überfallen wurden”2. Bedauerlicherweise verweist sie nicht mit Fussnoten, auf Bücher, Filme oder Ausstellungen, in denen sie dieses Narrativ in den letzten Jahren gefunden hat. Ich habe es in den letzten 15 Jahren nicht gehört. Nicht in der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung3. Nicht in Ausstellungen4. Nicht auf Tagungen5. Nicht in der Literatur6. Nicht im Film7. Und auch in der rezenten Debatte um die Mitarbeit der Luxemburger Verwaltung an der Judenverfolgung im Zweiten Weltkrieg hat keiner diese Geschichte erzählt, weder Denis Scuto, noch Ben Fayot, Jean-Claude Juncker oder die zahlreichen Kommentare auf rtl.lu8 und tageblatt.
Wenn es im Moment ein “historisches Narrativ” gibt, dann es ist eher das vom “Tabu”. Eine kurze Suche auf Google zeigt, dass diese Erzählung in Luxemburg schon fast so lange existiert, wie es die Suchmaschine gibt. Bereits 2003 bemühte Denis Scuto mit Hinblick auf die Wehrmachtsausstellung den Begriff des Tabus9. Und seitdem hat es sich zum dominanten Schlagwort entwickelt unter dem über den Zweiten Weltkrieg in Luxemburg gesprochen wird, was ja in einem gewissen Widerspruch zur Definition des Wortes steht. Gebetsmühlenartig wird betont: “Die Ausstellung soll helfen, Tabus zu brechen” 200410, “Es gibt kein Tabu” (2012)11, “Le recrutement de force durant la Deuxième Guerre mondiale a pendant longtemps été un sujet tabou au Luxembourg.” (2013)12. Kein anderes Thema wurde in den letzten zehn Jahren mehr behandelt als die Kollaboration und Judenverfolgung in Luxemburg. Heute gibt es mehr Magisterarbeiten über Gielemännerchen als über Resistenzler.
Ganz eng mit diesem Tabu-Narrativ verbunden ist das weiße-Flecke-Narrativ. In dem am Anfang genannten Artikel wird Änder Hoffmann wie folgt zitiert. Diese Ausstellung sei besonders wichtig “in Bezug auf die weißen Flecken, die es noch in der Luxemburger Geschichte gibt”. Weiße Flecken gibt es in der Tat viele in der Luxemburger Historiographie. Die frühe Neuzeit, die Lebenswelt der Bauern im 19. und 20. Jahrhundert, der Finanzplatz seit den 1970er Jahren sind klaffende Lücken der Luxemburger Historiographie. Die Mär von den weißen Flecken in Bezug auf den Zweiten Weltkrieg wirkt überzogen. Keine Zeitspanne ist so thematisiert wie die Jahre 1940-45.
Dieses Narrativ ist doppelt nervend. Erstens weil es so schwarz-weiss ist, wie die ewige Reduktion der Besatzung auf die Frage Widerstand versus Kollaboration. Zweitens weil im Hintergrund immer eine Verschwörungstheorie mitschwingt. “Jemand” hätte Interesse daran, dass dieses Tabu bestehen bleibt und würde alles in die Wege leiten damit diese Jahre unerforscht bleiben. Vielleicht sind wir als Historiker faul gewesen. Vielleicht hat der Luxemburger Staat nicht die nötigen Strukturen geschaffen (Archivgesetz) – aber dies betrifft die gesamte Historiographie nicht nur die Jahre 1940-45. Vielleicht ist die späte Institutionalisierung der Geisteswissenschaften ein Grund für gewisse Lücken. Ich arbeite jetzt seit fast 15 Jahren immer wieder über Luxemburg im Zweiten Weltkrieg. Nie hat mir jemand abgeraten über diese Zeit zu arbeiten, nie hat mir den Zugang zu den Archiven verweigert, die für meine Fragestellung relevant waren, nie hatte ich das Gefühl eine soziale Norm zu durchbrechen, weil ich über die Kollaboration in Luxemburg arbeitete… Und diese Schlußfolgerung gilt auch für die 5-6 Studenten, die ich seit der Zeit bei ihren Magister- oder Doktorarbeiten begleitet haben.
Bleibt die für mich ungelöste Frage, welche Funktion das “Tabu-Narrativ” in der luxemburgischen Gesellschaft hat.
P.S. Wer noch mehr Fussnoten lesen will: Majerus B., « Besetzte Vergangenheiten. Erinnerungskulturen des Zweiten Weltkrieges in Luxemburg – eine historiographische Baustelle », Hémecht, 2012, p. 23‑43. Den Text gibt es hier.
- http://de.wikipedia.org/wiki/Tabu (30. Mai 2013)
- http://www.woxx.lu/id_article/6507
- Ab den 1970er werden dort andere Narrative dominant: Dostert P., Luxemburg zwischen Selbstbehauptung und nationaler Selbstaufgabe: Die deutsche Besatzungspolitik und die Volksdeutsche Bewegung 1940-1945, Luxembourg, Imprimerie Saint-Paul, 1985 oder Cerf P., De l’épuration au Grand-Duché de Luxembourg après la seconde guerre mondiale, Luxembourg, Imprimerie Saint-Paul, 1980
- ‘… et wor alles net sou einfach (2002) oder ‘Le grand pillage’ (2005)
- Les courants politiques et la résistance: continuités ou ruptures? (2003) Collaboration: Nazification ? (2006) oder Émancipation, Éclosion, Persécution. Le développement de la communauté juive luxembourgeoise de la Révolution française à la Seconde Guerre mondiale (2011)
- als Beispiel zwei Autoren die vieles trennt und bei denen die Kollaboration behandelt wird: Hoffmann F., Die Grenze: Roman, Luxembourg, De Frendeskrees, 1972 und Manderscheid R., Schacko Klak: Biller aus der Kandheet (1935-1945), Iechternach, Editions Phi, 1988.
- Schwaarze Schnéi (1985) oder Déi zwéi vum Bierg (1985)
- http://news.rtl.lu/news/national/401301.html
- http://archiv.woxx.lu/0600-0699/670-679/675/675p4p5.pdf
- http://www.forum.lu/pdf/artikel/4850_218_Pauly.pdf
- http://www.tageblatt.lu/nachrichten/story/25187877
- http://www.luxembourg.public.lu/fr/actualites/2013/05/22-jongen-a-meedercher/index.html
Glossen an vielen Stellen
In diesem Beitrag geht es um die genaue Beobachtung der Textlage im Utrechter Handschriftenfragment der Digesten. Faktisch handelt es sich um mehrere Textlagen: der Digestentext, die Zeichen zu den Glossen, die Glossen am Rande und Interlinearglossen. Diese kleine Zeichen verweisen bei genauen Textstellen zu den darauf betreffenden Glossen. Das Beispiel einer einzigen Glosse zeigt schon viele Aspekte der mehrfachen Textlage.
Quelle: http://glossae.hypotheses.org/84