Eine “Revolution des Blicks”: das Deutsch-Französische Album über den Ersten Weltkrieg ist online

Das Deutsche Historische Institut Paris und die Mission 100. Jahrestag 1914-1918 (Mission du centenaire) bieten ab November 2013 gemeinsam ein „deutsch-französisches Album über den Krieg“ an. Alle 14 Tage wird es Dokumente zum ersten Weltkrieg zu entdecken geben, die von einem deutschen und einem französischen Historiker in ihrem jeweiligen Kontext in den beiden Sprachen erläutert werden. Das Album möchte den individuellen Erlebnissen und Erinnerungen der einstigen Feinde 100 Jahre nach diesem Konflikt ein gemeinsamer Blick auf den Ersten Weltkrieg hinzufügen.

Die vorgestellten Dokumente wie Plakate, Fotos, Grafiken, Karikaturen und Postkarten sind in der Mehrzahl bisher nicht veröffentlicht. Sie rekonstruieren die damalige spezifische visuelle Kultur und machen damit die bildliche Revolution deutlich, die der Erste Weltkrieg für beide Länder bedeutete. Vom Foto, das Präsident Poincaré im Juli 1914 in St. Petersburg zeigt, über die Bilder der ersten Kämpfe, von den typischen französischen Soldatenhelmen über die grafische Ästhetik der Kriegspropaganda eröffnet sich dem Betrachter, begleitet durch die Erläuterungen der Spezialisten, ein neuer Blick auf den Krieg.

Die Dokumente stammen aus der Zusammenarbeit mit sechs deutschen und französischen Partnerinstitutionen: Das Deutsche Historische Museum in Berlin, die Bibliothek für Zeitgeschichte in Stuttgart, die Staatsbibliothek zu Berlin, die französische Nationalbibliothek (Bibliothèque nationale de France, BNF), die nationale Universitätsbibliothek in Strassburg (Bibliothèque nationale universitaire de Strasbourg, BNU) und die Bibliothek zur internationalen zeitgenössischen Dokumentation (Bibliothèque de documentation internationale contemporaine, BDIC).

> Website und weitere Informationen

Quelle: http://dhdhi.hypotheses.org/2067

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Chinesische Namen für europäische Staaten: Wie entstehen “Tugend-Land”, “West-Klasse-Zahn” etc.?

Manches geistert monatelang durchs Netz – wie eine Landkarte, die am 25. April 2013 im blog haonawshaokao auftauchte und die es zuletzt sogar unter die The world explained: Maps revealing everything you need to know[1] schaffte.
In dieser Karte werden die im Chinesischen geläufigen Bezeichnungen für die Staaten Europas ‘übersetzt’, indem die/eine wörtliche Bedeutung der zur Wiedergabe der Namen verwendeten Schriftzeichen angegeben wird. So wird aus 英國 Yīngguó [England] in der Karte “Braveland” – denn 英 yīng bedeutet (unter anderem) ‘Held/Heldin’ und 國 guó ‘Land, Staat’, aus 挪威 Nuówēi [Norwegen] “Move Prestige” – denn 挪 nuó bedeutet (u.a.) ‘rücken, verrücken’ und 威 wēi ‘Autorität’, aus 芬蘭 Fēnlán [Finnland] “Fragrant Orchid” – denn 芬蘭 fēn bedeutet ‘Duft’ und 蘭 lán ‘Orchidee’ etd. etc.
Die wörtlichen Übersetzungen sind beim Vokabellernen vielleicht eine brauchbare Eselsbrücke, gesammelt auf einer Karte scheinen sie eine (weitere) skurrile Facette dieser rätselhaften Sprache aufzuzeigen.[2]

Wie werden fremde Name und speziell Ländernamen im Chinesischen wiedergegeben?
Der Silbenbestand des chinesischen ist begrenzt, viele der in anderen Sprachen gebräuchlichen Silben existieren im Chinesischen nicht – also braucht es kreative Läsungen: Bei Ländernamen erscheint mitunter die Übersetzung als einfachste Möglichkeit – z.B.: Island = 冰島 Bīngdăo, wörtlich “Eis-Insel”: 冰 bīng= Eis,  島 dăo= Insel. In der Regel wird eine lautliche (oder lautmalende) Annäherung versucht – z.B.: Dänemark = 丹麦 Dānmài, Malta = 馬爾他 Máèrtā, Rumänien = 羅馬尼亞 Luómǎníyà, Schweden = 瑞典 Ruìdiǎn[3]

Aber warum heißen die Niederlande im Chinesischen weiterhin 荷蘭 Hélán?

Häufig werden die chinesischen Namen westlicher Staaten mit 國 guó [Staat, Nation, Land, Reich] gebildet. Dabei wird aus einer lautlichen Annäherung an den Namen die erste Silbe genommen und mit 國 guó kombiniert:

  • 德國 Déguó ‘Deutschland’ – 德 =’Tugend’, ‘Moral’ – aber eigentlich ist 德 eine Abkürzung von 德意志 déyìzhì, einer lautmalenden Annäherung an ‘deutsch’.
  • 俄國 Éguó bezeichnet, wobei 俄 é als Abkürzung für 俄羅斯 éluósī ‘russisch’ aufzufassen ist. Die Russische Föderation wird mit 俄羅斯聯邦 Éluósī liánbāng “Russische Föderation” bezeichnet.[4]
  • 法國 Făguó ist Frankreich – 法 =’Recht’, ‘Gesetz’[5]

Diese Wortbildungen sind jüngeren Datums und kamen im 19. Jahrhundert in Gebrauch für Staaten, die in China nun vermehrt auftraten und mit den chinesischen Behörden wiederholt in Kontakt traten.

Üblicher war (und ist) die lautliche Annäherung bzw. lautmalende Wiedergabe von Namen – wovon schon die früheste bekannte chinesische Weltkarte im europäischen Stil Zeugnis gibt: die so genannte “Ricci-Weltkarte” gibt1602 in Beijing gedruckte Kūnyú Wànguó Quántú 坤輿萬國全圖 [wörtlich ‚Gesamtkarte der 10.000 Länder der Welt‘, ital. "Carta Geografica Completa di tutti i Regni del Mondo'][6], die im Auftrag des Wanli 萬曆-Kaisers[7] 1602 gedruckt wurde.[8]

坤輿萬國全圖》左部 (1602)

坤輿萬國全圖》左部 (1602)
[Wikipedia-Montage der Panele 1-3 (Ausschnitt, bearbeitet)]
Quelle: Library of Congress, Geography and Map division g3200 ex000006Za

Einige Beispiele (in dem Ausschnitt markiert):

  • Spanien heißt auf der Ricci-Karte 以西巴尼亞 yǐxībāníyà, modern 西班牙 Xībānyá[9] – lautmalend von lat. ‘Hispania’/span. ‘España’/ital. ‘Spagna’
  • Frankreich  heißt auf der Ricci-Karte 拂郎察 fúlángchá, lautmalend von span. ‘Francia’/ital. ‘Francia’/frz. ‘France’
  • die Apeninnen-Halbinsel wird mit 意大利亞 yìdàlìyà bezeichnet – die Bezeichnung des Staates Italien ist heute 意大利 Yìdàlì.

Jedes der bei der Wiedergabe fremder Namen verwendeten Schriftzeichen hat eine Bedeutung, die jedoch bei der Wiedergabe von geographischen Namen in der Regel zurücktritt.[10] Erkennt man also nicht, dass hier ein Land gemeint ist, könnte beim Übersetzen man durchaus blumige, aber wenig sinnvolle Bedeutungen finden …

 

 

  1. Sara Malm/Daily Mail: “The world explained: Maps revealing everything you need to know, from the longest straight line you can possibly sail, to where rubber ducks wash up if you dump them in the sea” (PUBLISHED: 10:13 GMT, 15 November 2013 | UPDATED: 11:48 GMT, 15 November 2013; Online: http://www.dailymail.co.uk/news/article-2507719/The-world-explained-maps-revealing-need-know.html <Zugriff: 14.11.2013>.
  2. Das Thema wird immer wieder aufgegriffen, z.B. DIE WELT, 24.4.2011: “Gestatten, mein Name ist ‘Kurze  Hose’!” <Zugriff: 16.11.2013> oder CRIonline 2011-03-09 16:47:37:  “Namen sind Schall und Rauch? Hallo, ich heiße Kiwi.”<Zugriff: 16.11.2013>.
  3. Die Beispiele Malta und Scheden illustrieren ziemlich deutlich, dass die Behauptung, Chinesen kennen kein ‘r’ – die das Beispiel Rumanänien zu bestätigen scheint – , unsinnig ist … aber das ist ein ganz anderes Thema.
  4. 聯邦 liánbāng = Bund, Staatenbund, Föderation.
  5. BTW: Die gängige Bezeichnung für die Vereinigten Staaten von Amerika ist  美國 Měiguó,  美 měi =’schön, hübsch, anmutig.
  6. Zur Entstehung s. Benjamin A. Elman: On Their Own Terms. Science in China, 1550-1900 (Cambrdige, Mass./London: Harvard University Press 2005), 123-133.
  7. Míng Shénzōng 明神宗, persönlicher Name Zhū Yijun 朱翊鈞, 1563-1620, regierte 1572-1620 unter der Devise 萬曆.
  8. Ricci hatte, wie John Day herausgearbeitet hat, vor 1603 vier Versionen chinesischer Weltkarten vorgelegt, die Augabe von 1602 war die größte und detaillierteste Version. Vgl. John D. Day, “The Search for the Origins of the Chinese Manuscripts of Matteo Ricci’s Maps”, Imago Mundi 47 (1995), pp. 94–117. DOI: 10.1080/03085699508592815; http://www.jstor.org/stable/1151306.
  9. 西 ‘Westen’, 班 bān ‘Klasse’, ‘Gruppe’, ‘Zahn’
  10. Anders ist das bei manchen Firmen- und Markennamen, wo mitunter versucht wird, neben einer lautlichen Annäherung auch eine sinnvolle Bedeutung zu finden, die dem Image der Marke zuträglich ist -  wie z.B. 可口可乐 Kĕkŏu Kĕlè ['wohlschmeckend-erfreulich'] oder auch der chinesische Name für die Schreibwaren von Montblanc, 万宝龙 wànbǎolóng ['10.000-Schätze-Drache'] etc.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1144

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(5) Und was machst du so? Interviews mit Absolvent_innen der Sozialwissenschaften

Katina Remmele (30) studierte von 2002 bis 2010 Soziologie, Geographie und Politik auf Magister an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen und arbeitet heute als Junior Consultant in der Unternehmensberatung. Ihr Werdegang zeigt, dass man Hindernisse beim Berufseinstieg mit Ausdauer und Durchhaltevermögen überwinden … Continue reading

Quelle: http://soziologieblog.hypotheses.org/5683

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10. Was ist Glück? 3/5: Steil stoischer Stil

Heute soll es um die Stoa gehen. Da fragt man sich natürlich gleich: Können Stoiker Musik genießen? Schließlich weiss man ja, dass sie ein ambivalentes Verhältnis zu Gefühlen und Leidenschaften hatten. Stoiker bilden sich nämlich ein, ein Leben ohne Leidenschaften leben zu können. Ganz wie eine Statue, nur mit Bewegung. Verrückt, wa’? Machen nicht die Leidenschaften erst das Leben lebenswert?

- Nun ja. -

Auch ich würde die Güte von Leidenschaften behaupten und doch eine Einschränkung vornehmen: Erinnern Sie sich an folgende Situation? Sie haben eine möglicherweise frische Liebe gefunden, die sich aber verdammt lange Zeit lässt, auf Ihre Nachricht zu antworten. Die Spannung und das Verlangen verleiten Sie dazu, nicht mehr ihren Blogeintrag fertig zu schreiben, sondern zum Telefon zu greifen und eine Nachricht in beleidigtem Ton zu versenden. Nicht nur dass die Ungewissheit nach wie vor bestehen bleibt, nein. Sie haben es auch geschafft, einen schlechten Eindruck als knatschige Person, die nicht abwarten kann, in 160 Zeilen zu packen. Auch verrückt, wa’? Deshalb raten Stoiker davon ab, in solchen Situationen Nachrichten wegen einer starken Aufwallung von Leidenschaften zu verfassen. Grundsätzlich gilt für sie und Sie generell, dass Lust (ἡδονή), Unlust (λύπη), Begierde (ἐπιθυμία) und Furcht (φόβος) nur dazu da sind, uns den Blick auf die Welt, wie sie ist, zu verstellen. Unter diese vier können übrigens alle anderen Leidenschaften gestellt werden. Aber wenn Sie schon unbedingt etwas fühlen möchten, dann bitteschön die guten Leidenschaften. Ja! Das ist nämlich der Punkt, den die meisten vergessen: Die guten Leidenschaften spielen eine zentrale Rolle in der stoischen Ethik. Freude (χαρά), Achtsamkeit (εὐλάβεια) und vernünftiges Streben (βούλησις) sind nämlich die Dinge, die das Leben eigentlich lebenswert machen. Diese erreichen Sie, wenn Sie tugendhaft werden und erst wenn Sie tugendhaft werden, sind Sie nämlich auch glücklich! Glauben Sie mir. Und nur so können Sie nicht nur glücklich, sondern oben drein auch zu Weltbürgern werden! Jackpot! – Ok, ok, gehen wir einen Schritt zurück. Glückseligkeit, Weltbürgertum, gute Gefühle? Wie hängt das zusammen?

Die Stoiker haben ein paar Grundannahmen aus ihrer Theorie der Natur in die Ethik transportiert. Sie gehen davon aus, dass die Welt determiniert sei. Das heisst das, was passiert, passiert mit Notwendigkeit so, wie es passiert. Man kann eigentlich nichts dagegen machen. Man kann dem lediglich zustimmen oder nicht zustimmen. Das Schicksal bleibt unabänderlich. Stimmen Sie nicht zu, machen Sie sich selbst unzufrieden, weil Sie etwas wollen, das Sie nicht haben können. Als nächstes sagen Sie, die Welt sei in ihrer Ganzheit (Gänze?) perfekt eingerichtet. Das, was uns als schlecht vorkommt (weil wir eben noch diese fiesen schlechten Leidenschaften haben, die uns den sauberen Blick auf das große Ganze verbauen), wie eine Erkältung, oder leider auch Krieg, seien im kosmischen Maßstab quasi irrelevant. Das große Ganze funktioniere so wie es soll. Und drittens, der Kosmos sei in seiner Gesamtheit vernünftig eingerichtet. Für die Stoa war die Vernunft und Güte des Kosmos gleichzusetzen mit ihrer Göttlichkeit.

Wenn Sie es jetzt schaffen, die schlechten Leidenschaften in Ihnen selbst zu beseitigen, also den Status der Apathie zu erreichen, dem Lauf des Schicksales zuzustimmen und ihn so zu wollen, wie er ist, dann passiert folgendes: Sie sind tugendhaft geworden. Glückwunsch. Dadurch haben Sie in der Konsequenz nur noch die geannten guten Gefühle. Zweitens sind sie vernünftig. Nochmals Glückwunsch. Denn Ihre Vernunft ist genau diejenige, die sonst überall im Kosmos auch existiert. Sie haben sie quasi freigeräumt und haben deshalb Teil am Göttlichen in der Welt. Und schließlich werden Sie auch zum Weltbürger. Das bedeutet eigentlich Kosmosbürger, wie all diejenigen auch, die es geschafft haben, diese Vernunft in sich von den schlechten Gefühlen zu säubern. Etwas anderes brauchen Sie nicht, nichts kann Sie Glücklicher machen, als die so verstandene Tugend. Sie haben nämlich jedes falsche und unerreichbare Wunschziel in dem was Sie tun, zugunsten völliger Seelenruhe mit dem Ihnen zugeteilten Schicksal aufgegeben.

Und die äußeren Güter? Naja, alles andere wie Reichtum, Gesundheit, Ansehen ist mit dem Schicksal bereits unabänderlich vorherbestimmt. Die Welt ist schließlich determiniert. Schön wenn Sie reich werden, auch schön, wenn nicht. Wenn Sie das als weiser Mensch eingesehen haben, werden Sie bemerken, dass Glückseligkeit absolut nichts mit äußeren Gütern zu tun hat. Das einzige, worauf es ankommt, ist durch die Reinigung von Gefühlen und Leidenschaften, eine klare Sicht auf den Lauf der Welt zu bekommen und dabei diese Seelenruhe und Heiterkeit als feste Charakterhaltung zu erlangen, die Sprichwörtlich geworden ist. Egal was passiert, egal was ist, spielen Sie einfach die Rolle, die Ihnen vom Schicksal zugeteilt worden ist gut, stimmen Sie ihr zu und wollen Sie sie. Schließlich kann man es ja nicht ändern. Jetzt hätten Sie den Stoikern gemäß alles richtig gemacht.

Leider gab es nur zwei Menschen in der Geschichte, die es wirklich geschafft haben, dadurch tugenhaft zu werden, dass sie die Apathie, also die komplette Reinigung von den vier Leidenschaften, erreicht haben und dadurch auch von allen äußeren Gütern, auf die wir keinen Einfluss haben, weil der Lauf der Dinge determiniert ist: Sokrates und Rasmus von Turin.

Aber wenn Sie mehr darüber erfahren möchten, einmal mehr: Horn, Christoph (1998): Antike Lebenskunst. Glück und Moral von Sokrates bis zu den Neuplatonikern. München: Beck.

Und natürlich: Long, Anthony A. (Hg.) (2006): Die hellenistischen Philosophen. Texte und Kommentare. Sonderausg. Stuttgart, Weimar: Metzler.

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/151

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Zur Überlieferung der Zwiefalter Chroniken Ortliebs und Bertholds

In zweierlei Hinsicht waltete über den Editionen der lateinischen Chronik des Zwiefalter Benediktiners Berthold ein Unstern. Zum einen ist eine Textherstellung aufgrund von Handschriften des 16. bis 18. Jahrhunderts nach dem Verlust einer noch von Martin Crusius 1590 benutzten hochmittalterlichen Pergamenthandschrift ausgesprochen schwierig, da die Reihenfolge vieler Kapitel erschlossen werden muss. Zum anderen hat der Stuttgarter Archivar Karl Otto Müller (1884–1960), der die Edition der Chroniken Ortliebs und Berthold von dem 1940 verstorbenen Tübinger Professor Erich König  übernommen hatte, die entscheidenden Vorarbeiten des von […]

Quelle: http://ordensgeschichte.hypotheses.org/6323

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Elitesoziologie – Prof. Dr. Michael Hartmannn im Interview (TU Darmstadt)

Prof. Dr. Hartmannn lehrt an der TU Darmstadt und beschäftigt sich unter anderem mit den Arbeitsschwerpunkten Elitesoziologie sowie Industrie- und Organisationssoziologie. Im Rahmen des Interviews stand die Elitesoziologie im Vordergrund, wobei in diesem Zusammenhang vor allem die Entstehung bzw. Zusammensetzung … Continue reading

Quelle: http://soziologieblog.hypotheses.org/5803

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Wiener Preis für Stadtgeschichtsforschung – Preisverleihung an Anton Tantner, 28.11.2013,…

Sehr schön, ich bekomme für meine Habil (vgl.) den Wiener Preis für Stadtgeschichtsforschung verliehen und darf zur Preisverleihung einladen:

Zeit: Do, 28.11.2013, 18:30
Ort: Wiener Rathaus, Festsaal, Felderstraße 1, Feststiege I, 1010 Wien

Das Programm:

Verleihung des Wiener Preises für Stadtgeschichtsforschung an Anton Tantner

Überreichung
amtsf. Stadtrat Dr. Andreas Mailath-Pokorny

Laudatio
Ferdinand Opll

Zu den historischen Wurzeln der Kontrollgesellschaft
Vortrag
Anton Tantner

Anschließend Podiumsgespräch mit
Jana Herwig, Anton Tantner

Moderation
Hubert Christian Ehalt

PDF der Einladung: WienerVorlesung_20131128 (pdf, 543 KB)

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/565869217/

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Attribution

Nicht nur Wissenschaftler wollen die Welt verstehen. Jeder Mensch denkt mit und nach, stellt über einzelne Ereignisse hinausgehende Zusammenhänge her, gibt dem Konkreten einen Platz in einem größeren Kontext. Und das funktioniert meistens auch so gut, dass wir es bis ins Jahr 2013 geschafft haben und uns nicht auf der Basis eines falschen Verständnisses von Gravitation aus dem Fenster unseres Zahnarztes im 4. Stock geschwungen haben. Unsere Köpfe stecken voller Modelle/Theorien/Annahmen/Überzeugungen, mit denen wir uns erklären, was um uns herum und in uns drin geschieht und die unsere Interaktionen mit der Umgebung steuern. Psychologen untersuchen sowohl das Zustandekommen von Ursachenzuschreibungen (=Attributionen) als auch die Folgen, die diese ursächlichen Erklärungen nach sich ziehen. Wenn ich in der Bahn angerempelt werde, ist es für mein weiteres Handeln entscheidend, ob ich dieses Ereignis auf eine böswillige Absicht oder auf ein Versehen zurückführe.

Wer nicht fragt, bleibt zwar dumm, aber im Alltag rennen wir trotzdem nicht die ganze Zeit ‘Wieso? Weshalb? Warum?’ fragend durch die Gegend. Das liegt daran, dass wir viele dieser Fragen in der Vergangenheit schon einmal gestellt und beantwortet haben, so dass wir heute nur dann bewusst auf Ursachensuche gehen, wenn etwas unseren Erwartungen Widersprechendes geschieht. Wir fallen nicht schockiert vom Stuhl, wenn am Abend das Tageslicht versiegt, weil dieses Phänomen ganz wunderbar in unser Modell von einem normalen Tagesablauf passt. Andererseits kostet es beim Sommerurlaub in Island schon erstmal ein bisschen Kraft und Schlaf, die Verwirrung über die um zwei Uhr nachts aufgehende Sonne abzuschütteln. Und wenn es etwas gibt, das im Alltag noch regelmäßiger unseren Erwartungen zuwiderläuft als Naturereignisse, dann sind das andere Menschen. Wir erkunden die kausalen Zusammenhänge, wenn Geschehnisse unser Selbstbild, unsere Weltsicht oder den Umgang mit unseren Mitmenschen in Frage stellen.

Drei Informationsdimensionen

Wie laufen diese Attribuierungsprozesse, diese Erkundungen kausaler Zusammenhänge ab?

Nehmen wir an, ich treffe zum ersten Mal die Eltern meiner Freundin und ihr Vater wirkt zeitweilig mürrisch und abweisend, während ich mich mit ihm unterhalte. Ich bin verunsichert. Mag er mich nicht? Ist das einfach seine Art? Hat er einen schlechten Tag? Schmeckt ihm das Essen nicht? Interpretiere ich zu viel in sein Verhalten hinein? Um diese für die Beziehungsgestaltung wichtigen Fragen zu beantworten, sammle ich weitere Informationen: Ich beobachte, wie er sich seiner Frau und seiner Tochter gegenüber verhält. Ich frage ihn, ob ihm das Essen schmeckt. Ich frage meine Freundin, ob sie meine Interpretationen teilt. Bei unserem zweiten Treffen achte ich darauf, ob er weniger mürrisch wirkt als beim ersten.

Psychologen benutzen drei Fachbegriffe, um diese beispielhaft dargestellten Informationsdimensionen zu beschreiben, die jeder Mensch oft in sozial mehrdeutigen Situationen einholt. Konsensus-Informationen bekomme ich, indem ich meine Freundin frage, ob sie ihren Vater auch als abweisend wahrnimmt. Ich gleiche meine Sicht der Dinge mit der anderer Personen ab. ‘Geht es Dir auch so?’ ist die prototypische Frage. Distinktheits-Informationen bekomme ich, indem ich den Vater im Umgang mit seiner Tochter und seiner Frau beobachte. Ich gucke, inwiefern sein Verhalten sich in Abhängigkeit des Menschen ändert, mit dem er interagiert. Dabei wird es umso interessanter, je unterschiedlicher die Interaktionspartner sind. Am erhellendsten wäre es für mich, ihn mit einem Arbeitskollegen, einem Bettler, seiner Frau, seiner Geliebten, einem Spiegel, Gott, seinen Eltern und mit einem chinesischen Einsiedler reden zu sehen. ‘Wie abhängig ist das Phänomen vom Interaktionsobjekt?’ könnte die prototypische Frage sein. Konsistenz-Informationen bekomme ich, indem ich den Mann ein zweites, drittes und siebtes Mal treffe. Ich nehme Veränderungen über die Zeit in seinem Verhalten wahr. ‘Wie tagesformabhängig ist das Phänomen?’ lautet die prototypische Frage.

Vier Attributionsdimensionen

Je mehr und je bessere Informationen bezüglich Distinktheit, Konsistenz und Konsensus ich einhole, umso genauer kann ich attribuieren. Am Ende des Prozesses können völlig unterschiedliche Ursachenzuschreibungen und ebenso unterschiedliche Schlussfolgerungen für mein eigenes Handeln stehen. Spielen wir mit dem Schwiegervaterbeispiel mal ein paar mögliche Muster durch:

Version 1 Meine Freundin erlebt ihren Vater überhaupt nicht als mürrisch und abweisend mir gegenüber, sondern als warmherzig und offen. Ich bemerke, dass er einige seiner mürrischen Verhaltensweisen auch im Umgang mit seiner Frau zeigt. Und bei unseren folgenden Treffen verhält er sich wieder genauso wie bei unserer ersten Begegnung. Ich schließe, dass dieser Mensch einfach so ist, dass er es nicht böse mit mir meint und ich stelle mich auf sein Freundlichkeitsniveau ein, so gut es geht.
Version 2 Meine Freundin teilt meine Wahrnehmung und wundert sich besonders, weil ihr Vater sich mit ihrem Ex-Freund immer so gut verstanden hat. Zu seiner Frau ist er ausgesprochen liebreizend. Und bei unseren folgenden Treffen verhält er sich wieder genauso wie bei unserer ersten Begegnung. Ich schließe, dass dieser Mensch mich einfach nicht mag und versuche, ihn für mich zu gewinnen, solange ich die Energie dafür habe und spreche mit meiner Freundin darüber, wie wir mit diesem angespannten Verhältnis zusammen umgehen wollen.
Version 3 Meine Freundin nimmt ihren Vater auch als mürrisch und leicht abweisend wahr. Ich bemerke, dass er einige seiner mürrischen Verhaltensweisen auch im Umgang mit seiner Frau zeigt. Und bei unserem zweiten Treffen ist er die Warmherzigkeit in Person und überschüttet alle Anwesenden inklusive mir mit seiner überschäumenden Liebe. Ich schließe, dass dieser Mensch starke Stimmungsschwankungen hat und stelle mich innerlich darauf ein, mir ein etwas dickeres Fell in Bezug auf ihn zuzulegen.

Auch Attribuierungsergebnisse ordnen Psychologen auf Dimensionen. Ich kann internal, auf in der Person liegende Faktoren oder external, auf situationale Faktoren attribuieren. Ich kann Phänomene auf eine über die Zeit stabile oder auf eine variable Ursache zurückführen. Ich kann auf eine für mich kontrollierbare oder unkontrollierbare Ursache attribuieren. Und ich kann einschätzen, inwieweit eine Ursache auch in mehr oder weniger ähnlichen Situationen wirksam ist, wie global bzw. lokal sie ist. In einer dicken Depression attribuieren Menschen schöne Ereignisse z. B. gerne external, variabel, unkontrollierbar und lokal, während sie für unschöne Ereignisse ein internales, stabiles, unkontrollierbares und globales Muster wählen. Das heißt, wenn sie auf der Straße spontan angelächelt werden, sagen sie sich, dass das auf keinen Fall an ihnen liegen kann, dass es morgen bestimmt nicht noch einmal vorkommt, dass die Ursache für das Lächeln außerhalb des Bereiches ihrer Kontrolle liegt und dass die Situation derart einzigartig war, dass sowas in anderen Situationen nicht wieder passieren wird. Und wenn sie auf der Straße spontan beleidigt werden, sagen sie sich, dass sie einfach ein fantastisch beleidigbares Gesicht haben, mit dem sie weiterhin leben müssen und das sie nicht ändern können, weil sie nun mal so geboren sind, und dass sie darunter bei jeder Begegnung mit anderen Menschen und Spiegeln leiden.

Attributionsfehler

Im Alltag gehen Attribuierungen nicht derart strukturiert von statten; ich arbeite mich nicht erst durch die Konsensus-, Distinktheits- und  Konsistenzinformationen hindurch, um am Ende ein inneres Statement abgeben zu können à la: “Unter Berücksichtigung aller vorhandenen Informationen entscheide ich mich dazu, das abweisende und mürrische Verhalten meines Schwiegervaters mir gegenüber internal, variabel, unkontrollierbar und global (Version 3) zu attribuieren.” Es ist jedoch beachtlich, wie sehr der intuitive Attribuierungsprozess dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnungsprozess ähnelt: Am Anfang steht eine Beobachtung, der einige Vermutungen folgen, die diese Beobachtung erklären könnten, und schließlich suche ich triftige Hinweise für und wider die verschiedenen Erklärungsalternativen. Dieser Vorgang kann in einsamer Reflexion oder auch im Gespräch stattfinden und er führt nicht zu finalen Weisheiten, sondern zu Übergangsergebnissen, die ggf. auf der Basis neuer Erfahrungen revidiert werden. Wegen dieser Ähnlichkeit des alltäglichen und des wissenschaftlichen Vorgehens sprechen Psychologen gerne von ‘Alltagspsychologie’ oder von ‘naiver Wissenschaft’. Und dann verbringen sie viel Zeit damit, die psychologischen Alltagsüberzeugungen tatsächlichen sozialwissenschaftlichen Befunden gegenüberzustellen. So tun sich Bereiche auf, in denen die im Großen und Ganzen gut geölte Erklärungsfindungsmaschine in unseren Köpfen von einer intersubjektiv teilbaren Realität abweicht und ihren eigenen Film schiebt.

Zum Beispiel tendieren Menschen dazu, den Einfluss von Persönlichkeitseigenschaften zu überschätzen, wenn sie andere Menschen beobachten. Wer einmal nicht ganz die Wahrheit sagt, ist ein Lügner. Wer mich in der Bahn anrempelt, ist entweder ein Tölpel oder ein Flegel. Und wer barfuß durch die Stadt geht, muss ein Hallodri sein. Das geht sogar so weit, dass selbst dann noch internal attribuiert wird, wenn der Persönlichkeitseinfluss auf ein Verhalten experimentell auf null reduziert wird. Beispielsweise kann man Leute zufällig einer von zwei Gruppen zuordnen, von denen die eine Essays pro und die andere contra Atomkraft schreiben soll. Und wenn man diese Essays Versuchspersonen vorlegt und um eine Einschätzung bittet, inwiefern die Essays den Standpunkt des jeweiligen Autors darstellen, attribuieren die Versuchspersonen immer noch ziemlich gerne internal, auf die Persönlichkeit, obwohl sie wissen, dass die Gruppenzuordnung per Münzwurf entschieden wurde. Diese kognitive Tendenz, das internale Attribuieren bei der Fremdbeobachtung zu übertreiben, nennt man den fundamentalen Attributionsfehler. Ähnliche Schwierigkeiten dem Schubladendenken zu entkommen haben Menschen, wenn sie Andere beobachten, die einer fremden Gruppe angehören. Wenn ich z. B. zum ersten Mal im Leben eine Kuwaiterin kennenlerne und sie beim Abendessen einen Spritzer Balsamico auf ihre Pizza tut, könnte ich verführt sein zu denken “Aha, das macht man in Kuwait also so”. Wenn mein Freund Christoph aus Detmold das gleiche tun würde, käme ich wohl nicht auf die Idee zu denken, dass alle Detmolder Balsamico-Pizzen lieben. Diese kognitive Tendenz, Eigen- und Fremdgruppen unterschiedliche Attributionen angedeihen zu lassen, nennt man den ultimativen Attributionsfehler.

Fazit

Jeder Mensch schreitet mit im Laufe des Lebens gewachsenen Modellen umher, die die äußere und innere Realität erklären sollen. Wenn diese geistigen Modelle durch neue Erlebnisse herausgefordert werden, betätigen wir uns als Alltagspsychologen und begeben uns in einen quasi-wissenschaftlichen Prozess der Informationssuche und der Ursachenzuschreibung. Dabei führen bestimmte Tendenzen – bei aller Effizienz des geistigen Attribuierungsapparates als Ganzem – nachweislich wiederholt zu Fehlern. So zum Beispiel, wenn wir im Verhalten Anderer ihre Persönlichkeit überstark durchscheinen zu sehen glauben oder wenn wir die Gruppenzugehörigkeit als handlungsbestimmendes Merkmal überbetonen.

Quelle: http://psych.hypotheses.org/81

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