Der Augustin, Fachzeitschrift für habsburgische Geschichte

Dass der Augustin nicht nur das erfreulichste in Österreich erscheinende Printmedium, sondern auch ein veritables Fachorgan für die habsburgische Geschichte ist, beweist einmal mehr ein darin abgedruckter Beitrag von Erwin Riess, der diesmal eine treffende Einschätzung des Kaisers Karl VI. enthält, ausgesprochen von Herrn Groll:

am 23. August 1728 eröffnete Kaiser Karl VI., der Vater von Maria Theresia, die weiter ausgebaute Straße über den 1366 Meter hohen Loiblpass. 'Das dürfte eine der wenigen gelungenen Handlungen des vertrottelten Habsburgers gewesen sein', bemerkte Groll. 'Wieso so streng?' Der Dozent setzte sich vor der nächsten Serpentine zurecht. 'Karl VI. brachte die spanischen Jesuiten und das tödliche Hofzeremoniell nach Wien, er bespitzelte und bekämpfte seinen erfolgreichen Feldherrn Prinz Eugen und er war der Urheber der unseligen Pragmatischen Sanktion. Die Großmächte und die österreichischen Stände ließen sich die Anerkennung der weiblichen Thronfolge durch Maria Theresia fürstlich honorieren. Dennoch fielen sie noch in der Stunde ihrer Thronbesteigung über die junge Herrscherin her. Das Reich ging an dem unsinnigen Vertrag fast zugrunde.'
'Was haben Sie gegen die weibliche Thronfolge?'
'Nichts', erwiderte Groll. 'Man hätte sie nur, wie Prinz Eugen vergeblich riet, militärisch und nicht diplomatisch sichern müssen.'


Riess, Erwin: Das Gasthaus 'Deutscher Peter' am Loibl-Pass, in: Augustin Nr. 372, 20.8.2014, S. 38.

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/967550243/

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“Groß-Peking” (1892): Ein Handbuch für Reisende

Für ihr Gschnas am 29. 2. 1892 gab die Genossenschaft der bildenden Künstler Wiens das Motto “Groß-Peking” aus – das Künstlerhaus verwandelte sich in ‘chinesische’ Festräume, als Rahmen, um die Verhältnisse in Wien heiter und satirisch zu kommentieren. Neben einer Medaille zum Fest gab es auch ein ‘Handbuch’ für Reisende unter dem Titel Seine Umgebung und Gross-Peking. Ein Handbuch für Reisende am 29. Februar 1892. Hrsg. von dem Verein für interessirten Fremdenverkehr. Das Bändchen entspricht in der Aufmachung den Baedeker-Reiseführern des späten neunzehnten Jahrhunderts: roter Leinenband mit charakteristischen Prägelinien, der Titel des Bandes in Goldschnitt. Der Titel macht deutlich, dass damit die so beliebten Reiseführer persifliert werden sollen – denn es heißt eben nicht ‘Gross-Peking und seine Umgebung’ (wie es die Baedeker-Leserinnen und -Leser erwartet hätten), auch wenn das mancher Berichterstatter einfach umdreht, wie in der Tageszeitung Die Presse, die am Tag nach dem Fest Auszüge aus diesem Reisehandbuch für alle “[j]ene unserer Leser, welche heute Nachts nicht den Massenausflug der wiener nach Groß-Peking mitgemacht haben [...]”[1]

Ein fiktiver Baedeker

Der direkte Vergleich mit zeitnah erschienen Baedeker-Bänden wie Berlin und Umgebungen. Handbuch für Reisende (7. Aufl. 1891) oder Palästina und Syrien. Handbuch für Reisende (3. verb. und erw. Aufl., 1891) zeigt, wie geschickt das gut eingeführte Format der Reiseführer hier persifliert wurde

  • Einbandgestaltung und Layout
  • Untertitel:
    • Gross-Peking: “Mit vielen Tarokkarten für die Reise, Zugrundrissen, Zukunfts- und anderen Plänen”
    • Palästina und Syrien (3. Aufl.): “Mit [...] Karten, [...] Plänen und vielen Grundrissen”,
  • Das Sternchen * zur Kennzeichnung besonderer Sehenswürdigkeiten:
    • Gross-Peking: “Beachtenswerthes ist mit einem * bezeichnet; ebenso narülich, was besonders gut oder schlecht ist, um die Reisenden von Vorneherein vor jeder Täuschung und jedem Schaden zu bewahren.” (S. 8)
    • Palästina und Syrien (3. Aufl.): “Vorzugsweise Beachtenswertes ist durch Sternchen (*) hervorgehoben.” (S. VI)
  • Kapitelüberschriften

Das ausführliche Inhaltsverzeichnis von Seine Umgebung und Gross-Peking geht bis Seite 159 “Diverses”, tatsächlich umfasst der Band (inklusive der Anhänge und der am Schluss angefügten Bildtafeln) 96 Seiten, dazu drei Karten und Pläne (s.u.), die wohl als ausklappbare Falttafeln beigebunden waren. [2]
Der Text endet mit Seite 86, “Tramway-Signale”, danach folgen Abbildungen (eine Skizze des ‘chinesischen’ Künstlerhauses, mehrere Witzzeichnungen und zum Abschluss die Gedenk-Medaille). Die im Inhaltsverzeichnis ab 86 gelisteten Kapitel “Fahrpläne und Tramway-Signale”, “Announcen”, “Theater-Repertoire”, “Münz-Tabellen”, “Zeitumrechnungstabellen für die öffentlichen Uhren”, “Grundrisse”, “Landkarten”, “Flusskarten” und “Diverses” sind reine Fiktion

‘Chinesisches’ im Handbuch Seine Umgebung und Gross-Peking

Im Stil der Baedeker-Handbücher werden ‘Besonderheiten’ beschrieben, wobei alltägliches ‘chinesisch’ verpackt wird:

In der Mitte dieses Locales [eines Kaffeehauses, Anm. d. Verf.], [...] sitzt in einem eigenen Verschlage eine Priesterin, welche oft sehr geschmückt und im Antlitz weiss und roth bemalt ist. Sie führt den Namen “Cass-i-rin” und wird von den Männern sehr verehrt[3]

Die “Cass-i-rin” ist die Kassier(er)in, bei der man die konsumierten Speisen und Getränke bezahlte. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war die Sitzkassierin die einzige sichtbare Frau in Kaffeehäusern[4] Die (mitunter auch fehlerhafte) Trennung der Silben durch Bindestrich war ein häufig eingesetztes Stilmittel, um Texte ‘chinesisch’ erscheinen zu lassen: man ahmte damit den so genannten Monosyllabismus des Chinesischen nach. Auch im Handbuch findet sich dafür zahlreiche Beispiele, so “A-SCHEN-Mark[t]” (S. 44)[5] oder “FA-SCHING” (S. 48), “Ki-lo” (S. 44) etc. Die ‘chinesische’ Schreibweise findet sich auch bei Personennamen, vor allem bei Künstlerinnen und Künstern, wie z. B.: “W-ol-te-r” (S. 52)[6], “Le-wins-k-y” (D.i. Josef Lewinsky (1835-1907), zur Biographie: Edith Marktl: „Lewinsky, Josef“. In: Neue Deutsche Biographie 14 (1985), S. 416 f. [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/pnd116972130.html; “Lewinsky, Josef (1835-1907), Schauspieler, Regisseur und Schriftsteller” in Österreichisches Biographisches Lexikon 1815-1950, Bd. 5 (1970), S. 172.)), “An-to-ni-e Schl-lä-g-er”[7] (S. 53), “Re-na-rd”[8] (S. 54), “Va-nd-y-c-k”[9], der als “Fremder, ein Nachkomme eines berühmten Malers, der so schöne Götterfrauen auf Leinwand gezaubert hat” (S. 54) bezeichnet wird, oder die Publikumslieblinge “San-drock”[10] und “Te-we-le” (S. 55), “Pal-May”[11] und “Gi-ra-rdi”[12] (S. 56).

Mitunter finden sich auch kreativere Schöpfungen wie “Thal der Sonne” (S. 52) für Adolf von Sonnenthal (1834-1909), einen der bedeutendsten Schauspieler seiner Zeit[13].
Interessanter als diese kleinen, leicht zu lösenden ‘Chinesereien’ ist der “WIEN-HO-Strom” (44 et passim), also die Wien oder der Wienfluss, der in den 1890er Jahren reguliert und zum größten Teil eingewlöbt wurde und heute bei der Urania in den Donaukanal mündet.  “HO-Strom” ist eine Tautologie, denn das chinesische   河 bedeutet “Fluss” (wie etwa in Huáng Hé 黄河 “Gelber Fluss”).  Im Abschnitt “Das Theater” erfährt man nebenher etwas über die Flüsse:

Gross-Peking zählt sechs gebaute, einundzwanzig ungebaute und ehn heruntergerissene Theater, welche letztere zumeist auf dem riesigen Erdwerke zwischen dem Yangtsekiang, dem grossen Fluss und dem Wien-ho, dem gelben mitunter, auch grauen und schwarzen Fluss sich erheben.[14]

Hier wird die Donau als “Yangtsekiang” [Yángzǐjiāng 揚子江][15] bezeichnet, als “großer Fluss”, und der “Wien-ho” als “gelber” [Fluss]. Die Gleichsetzung der Donau mit dem Cháng Jiāng, dem mit etwa 6380 Kilometern längsten Fluss Chinas erscheint verständlich.Die Gleichsetzung des Wienflusses mit dem Huáng Hé erscheint auf den ersten Blick sehr weit hergeholt: der Huáng Hé ist der zweitlängste Fluss Chinas, der Wienfluss ist wenig mehr als 30 Kilometer lang.  Eine (sehr weit hergeholte) Ähnlichkeit sind die Überschwemmungen, deren Dimensionen allerdings nur schwer vergleichbar sind.

Zu den Theatern heißt es weiter:

Die Theater werden auf zweierlei Art erbaut: entweder durch den Tutschajuen, den Rath der öffentlichen Censoren, oder durch öffentliche Zeichnung von Antheilscheinen [...][16]

Der dūcháyuàn 督察院  war eine der wichtigsten Behörden der Zentralverwaltung im kaiserzeitlichen China, deren Aufgaben mit der üblichen Übersetzung “Zensorat” nur unzureichend charakterisiert werden[17].  Die Formulierung “Tutschajuen, [...] Rath der öffentlichen Censoren” ist wohl aus dem Artikel “China” der vierten Auflage von Meyers Konversationslexikon entnommen:

An die Zentralverwaltung berichtet der “Rat der öffentlichen Zensoren” (Tutschajuen). Diese höchst merkwürdige Institution zählt etwa 60 Mitglieder unter 2 Präsidenten (der eine von chinesischer, der andere von tatarischer Abkunft). [...][18]

Die Nester von Salanganen (Collocaliini), genauer die derWeißnestsalanganen (Aerodramus fuciphagus), sind die Vogelnester in der  yànwō 燕窩 [wörtlich "Schwalbennest"], der Schwalbennestersuppe, einer der teuersten Speisen der chinesischen Küche. Nun waren die essbaren Nester seit dem 17. Jahrhundert in Europa bekannt[19] – aber ob dem Wiener Publikum des späten 19. Jahrhunderts das geläufig war?

Karten und Pläne

Wie es sich für ein Reisehandbuch gehört, enthält auch Seine Umgebung und Gross-Peking neben Illustrationen zum Text auch Karten und Pläne:

  • “General-Regulirungs-Plan von Gross-Peking und dessen Verkehrs-Anlagen”
  • “Neuester Plan von Groß-Peking mit der projectirten neuen Stadtbahn nach dem System ‘Spirale’ nebst Angabe der Haupt-Bahnhöfe”
  • “Local-Plan von Gross-Peking”

Der “Local-Plan von Gross-Peking” ist ein Grundriss des Künstlerhauses, in dem die wichtigsten Attraktionen für das Gschnas lokalisiert sind.

Der “General-Regulierungs-Plan” legt über einen Plan der Stadt Wien ein Muster von roten Rechtecken, die eine ‘neue’ Verwaltungsgliederung markieren sollen.
Der “Neueste Plan [...] mit der projectirten neuen Stadtplan” legt über einen Plan der Stadt Wien eine dicke Spirallinie, die ihren Anfang auf dem Stephansplatz im ersten Wiener Gemeindebezirk hat. Dort sollte der Stephansdom durch den “Central-Bahnhof” ersetzt werden. Die spiralförmig nach außen laufende Stadbahnlinie berührte alle wichtigen Gebäude der Stadt.

Charakteristika

Der Großteil der Texte bezieht sich auf aktuelle Themen der Lokalpolitik (Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, Straßenbahn und Stadtbahn, um das Post- und Telegraphenwesen) und des kulturellen Lebens der Stadt (Theater, Musiktheater, Musik) in heiteren Anekdoten mit zahlreichen Anspielungen auf allgemein bekannten Eigentümlichkeiten oder physiognomischen Merkmalen von Sängern und Sängerinnen und Schauspielerinnen und Schauspielern. Häufig wird einfach “Wiener” durch “Pekinger” ersetzt (etwa beim “Pekinger Walzer”.)

Bemerkenswert erscheint die Verpackung antisemitischer Untertöne, die sich gegen “Buddhisten” richten:

Farblose Journale nennt man officiös. In neuerer Zeit gibt es auch antibuddhistische Zeitungen, die sich grün und gelb ärgern, und buddhistische, die nach Bedarf schwarz-gelb, weiss-schwarz, grün-weiss-roth oder auch ganz roth sind. [...][20]

Gedichte und kurze Essays greifen gängige China-Stereotype (u.a. Zöpfe in allen Varianten, Pagoden und Wackel-Pagoden) auf und verbinden kleine Neckereien mit Allgemeinwissen und Halbwissen (wozu auch die China-Japan-Unschärfen zu zählen sind.)

Der/die Verfasser

Dem Titelblatt des Handbuchs ist zu entnehmen, dass  Franz Xaver Kilian von Gayrsperg (1854-1907) für den Inhalt verantwortlich war. Kilian von Gayrsperg, im Zivilberuf Inspektor bei der Donau-Dampfschiffahrts-Gesellschaft, lange Jahre Kultur-Redakteur des Neuigkeits-Weltblatts[21], als Schriftsteller Mitglied der Gesellschaft der bildenden Künstler Österreichs, warverantwortlich für zahlreiche ihrer Gelegenheitsschriften.
in dem Band (S. 4.) werden weitere Mitarbeiter genannt zahlrieche weitere Mitarbeiter genannt:

  • Text

    • “J. Deininger”  = der Architekt Julius Deininger (1852-1924)[22] war bis 1902 Mitglied der Gesellschaft.
    • “Eduard Zetsche” = der Maler und Autor Eduard Zetsche (1844-1927)[23]
    • “Dr. Ilg” = der Kunsthistoriker Albert Ilg (1847-1896)[24]
    • “W. O. Noltsch” = der Maler Wenzel Noltsch (1835-1908)[25], seit 1869 Mitglied der Gesellschaft bildender Künstler Österreichs[26] und eine der zentralen Figuren bei der Ausrichtung der jährlichen Gschnas-Veranstaltungen.
    • “Laska von Oestéren” =  Láska van Oestéren, die Empfängerin von Rilkes Briefen an die “Baronesse von Oe.”
    • Marie Weyr” = die Schriftstellerin Marie Weyr (1864-1903), ältere Tochter des Schriftstellers Friedrich Uhl (1825-1906), und Ehefrau des Malers und Bildhauers Rudolf (von) Weyr (1847-1914), der ab 1872 Mitglied der Gesellschaft bildender Künstler Österreichs war.
  • Illustrationen:
    • “Ernst Juch” = der Maler und Karikaturist Ernst Juch (1838-1909)[27]
    • “Architekt Mayreder” = der Architekt Karl (Carl) Mayreder (1856-1935)[28]
    • “Theo Zasche” = der Maler und karikaturist Theodor Zasche (1862-1922)[29]

Juch und Zasche steuerten  Bildwitze bei, die den Text auflockern, und Karikaturen der im Text erwähnten Künstler in ‘chinesischen’ Gewändern. Dazu kommen ganzseitige Abbildungen, die bekannte Gebäude Wiens ‘chinesisch’ verwandeln: mit Teekannen als Dachfiguren und/oder mit Glöckchen und Wimpeln an Dächern und Fenstern.

Last but not least …

Beijing 北京 und seine Umgebung sind erst ab 1904 in Baedeker-Reiseführern präsent: In der 6. Auflage des Russland-Baedekers[30] gibt es zum ersten Mal ein Kapitel “Peking und seine Umgebung” (S. 494-508).

Teil 1: Ein ‘chinesisches’ Wien: “Groß-Peking” im Künstlerhaus (1892)
Teil 2: Die Medaille zum Fest
Teil 3: “Seine Umgebung und Groß-Peking. Ein Handbuch für Reisende am 29. Februar 1892″
Teil 4: Das Fest im Spiegel satirisch-humoristischer Periodika
Teil 5: Das Chinabild in “Groß-Peking”

  1. Local-Anzeiger der “Presse”Beilage zur Nr. 61 (1.3.1892) 1. Online: ANNO.
  2. Eingesehen wurden zwei der drei Exemplare im Bestand der Österreichischen Nationalbibliothek. Das Exemplar mit der Signatur 299992-A  enthält nur den “Local-Plan von Gross-Peking”, das Exemplar mit der Signatur 235140-A enthält die beiden Pläne “General-Regulirungs-Plan von Gross-Peking und dessen Verkehrs-Anlagen” und “Neuester Plan von Groß-Peking mit der projectirten neuen Stadtbahn nach dem System “Spirale” nebst Angabe der Haupt-Bahnhöfe”, nicht aber  den “Local-Plan”. Das Exemplar 746806-A (bisher nicht eingesehen) enthält laut Katalogeintrag alle drei Pläne.
  3. Seine Umgebung und Gross-Peking (1892) 15.
  4. Abb.: “Café Weghuber.  Interieur. Kassa mit Sitzkassierin und Blick in die Küche. (Wien, um 1900)” Österreichische nationalbibliothek, Inventar-Nr.  100.912E. <abgerufen am 26.8.2014>.
  5. “Aschenmarkt” war die gebräuchliche Bezeichnung für den Kärntnertormarkt, der unächst ab dem frühen 19. Jahrhundert im Volksmund, seit Anfang des 20. Jahrhunderts auch offiziell als “Naschmarkt” bezeichnet wurde. (Andreas Gugler: “Der Tisch der Wiener – ein kulturgeschichtlicher Exkurs”. In: Peter Csendes/Ferdinand Opll/Karl Vocelka (ed.): Wien: Die frühneuzeitliche Residenz (16. bis 18. Jahrhundert) (= Wien: Geschichte einer Stadt, Bd. 2; Wien: Böhlau 2003) 162-169, speziell 168 f..
  6. D.i. Elisabeth Charlotte Wolter (1834-1897). Zur Biographie: Alexander von Weilen: „Wolter, Charlotte“, in: Allgemeine Deutsche Biographie Bd. 44 (1898), S. 167-170 [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/pnd11880782X.html?anchor=adb.
  7. D i. Antonie Schläger, eigentlich: Lautenschläger (1859-1910), zur Biographie: Clemens Höslinger: “Schläger Antonie (Toni)”. In: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950, Band 10 (1994) 166.
  8. D.i. Marie Therese Renard, eigentlich Marie Pölzl (1864-1939), zur Biographie: Clemens Höslinger: “Renard Marie.” In: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950, Band 9 (1988) 77.
  9. D. i. Ernest van Dyck (1861-1923). Malou Haine: “Trente ans de voyages incessants (1883-1913). le cas du ténor wagnérien Ernest Van Dyck”. In: Christian Meyer  (ed.):  Le musicien et ses voyages. Pratiques, réseaux et représentations (= Musical life in Europe 1600-1900, Bd. 1; Berlin: BWV-Berliner Wissenschafts-VEralg  2003) 223-247.
  10. D.i. Adèle Caroline Sandrock (1863-1937), zur Biographie: Claudia Balk: „Sandrock, Adele“, in: Neue Deutsche Biographie Band 22 (2005), S. 429-430 [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/pnd118605429.html.
  11. D.i. Ilka Pálmay (1859-1945).
  12. D. i. Alexander Girardi (1850-1918). Zur Biographie: Günther Hansen: „Girardi, Alexander“, in: Neue Deutsche Biographie Bd. 6 (1964), S. 409-410 [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/pnd11869510X.html.
  13. Zur Biographie: Ralph-Günther Patocka: „Sonnenthal, Adolf von“, in: Neue Deutsche Biographie 24 (2010), S. 580-581 [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/pnd119343207.html.
  14. Seine Umgebung und Gross-Peking (1892) 50.
  15. Die Bezeichnung wird im chinesischen nur für den Unterlauf des  Cháng Jiāng 長江 [wörtlich "langer Fluss"] verwendet.
  16. Seine Umgebung und Gross-Peking (1892) 50.
  17. Zum dūchcháyuàn s. Charles O. Hucker: A dictionary of official titles in Imperial China (Stanford: Stanford University Press 1985) Nr. 7183: tū ch’á yüàn 督察院 (S. 536).
  18. Meyers Konversations-Lexikon. Vierte Auflage. Band 4. China – Distanz (Leipzig/Wien: Verlag des Bibliographischen Instituts 1885-1892) 13.

    Od das dem Publikum geläufig war, sei dahingestellt. Manche der Texte stellen durchaus hohe Ansprüche an das Allgemeinwissen, so etwa wenn es in “Harakiri (Dem Erlkönig chinesisch nachempfunden)” (S. 74 f.) heißt:

    “[...] O liebes Kind, o halte mir,
    Viel schöne Dinge schenke ich Dir,
    Viel Regenwürmer und Salanganen
    Und Mandarinen und Bananen!” ((Seine Umgebung und Gross-Peking (1892) 74).

  19. vgl. Meyers Konversations-Lexikon 4. Auflage, Bd. 14, 209 f. s.v. “Salangane”, s. auch die dazu gehörende Abbildung.
  20. Seine Umgebung und Gross-Peking (1892) 27.
  21. S. “Franz Xaver Kilian-Gayrsperg †.” In: Neuigkeits-Welt-Blatt Nr. 172 (30.7.107) 4. [online: ANNO] Vgl. auch die Notiz in der Neuen Freien Presse Nr. 15420 (28.7.1907), 9 [online: ANNO]. Wenig aussagekräftig: “Kilian von Gayrsperg, Franz Xaver (1854-1907)” in Österreichisches Bibliographisches Lexikon Band 3 (1964) 330.
  22. Eintrag “Julius Deiniger” im Architektenlexikon Wien 1770-1945 <abgerufen am 26.8.2014>.
  23. Zur Biographie: Landesmuseum Niederösterreich, Personenlexikon,  “Eduard Zetsche (1844-1927)” <abgerufen am 26.8.2014>.
  24. Zur Biographie: Gerhard Winkler: „Ilg, Albert“, in: Neue Deutsche Biographie 10 (1974), 130 f. [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/pnd119300370.html;
  25. “Edgar von Spiegl” = der Journalist Edgar Spiegl von Thurnsee (1839-1908), war 1885-1898 Herausgeber und Chefredakteur des Illustrirten Wiener Extrablatts, lange Jahre im Vorstand des Journalisten- und Schriftstellervereins “Concordia”, Präsident des  “Concordia Club” ((Zur Biographie: “Spiegl von Thurnsee, Edgar d. Ä., Journalist.” In: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815-1950, Bd. 14 (2007) 21 f.).
  26. Zur Biographie: “Noltsch, Wenzel Ottokar (1835-1908), Maler und Schriftsteller” In: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815-1950 Bd. 7 (1976) 146 f.).
  27. Vgl. Wladimir Aichelburg: Künstlerhaus, Mitgliederverzeichnis <abgerufen am 26.8.2014>.
  28. Zur Biographie: “Juch, Ernst (1838-1909), Zeichner, Maler und Bildhauer”. In: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815-1950, Bd. 3 (1962) 140.
  29. Theoretisch könnte auch sein Bruder, der Archtiekt Julius Mayreder (1860-1911) gemeint sein – dies erscheint unwahrscheinlich, denn in diversen Texten über die Veranstaltung wird Karl Mayreder explizit genannt, es erscheint daher naheligend, dass er gemeint ist.
  30. Zur Biographie s. den Eintrag bei: Felix Czeike (Hrsg.): Historisches Lexikon Wien. Band 5 (1997) 687f., s. auch Wladimir Aichelburg: Das Künstlehraus, Mitglieder-Gesamtverzeichnis. <abgerufen am 26.8.2014>.
  31. Karl Baedeker: Russland; europäisches Russland, Eisenbahnen in Russ.-Asien, Teheran, Peking. 6. Auflage (Leipzig: Baedeker 1904). Digitalisat → Bibliotheca Sinica 2.0.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1691

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Vor 75 Jahren begann der Zweite Weltkrieg

Der Überfall auf Polen aus der Sicht eines deutschen Soldaten von Manuel Schwanse    „Seit einigen Stunden ist Krieg! Wir haben seine ersten Schüsse hier vor uns miterlebt mit Artillerie- und kurzen Mg-Feuerstößen. Etwas unheimlich und ungewiß steht dahinter das Schicksal mit verhülltem Antlitz.“ So begann Joachim Eikenberg (1902-1988) seinen Tagebucheintrag am 1. September 1939, dem ersten Tag des Polenfeldzugs, der den Zweiten Weltkrieg in Europa auslöste. Für die Soldaten der dritten Batterie des I. Flakregiments 36 kam der Überfall auf Polen freilich nicht […]

Quelle: http://amuc.hypotheses.org/222

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Wieso Weshalb Warum?

Manchmal entsteht der Eindruck, Bloggen gehöre inzwischen zum guten wissenschaftlichen Ton, erst recht für den „Nachwuchs“. Und in den historischen Wissenschaften gehört man bekanntermaßen noch mit 40 bis 45 Lebensjahren zum Nachwuchs – ein zweifelhafter Status, den man jedoch zu schätzen lernt, je höher die Zahlen auf den Glückwunschkarten werden. Die Community bloggender Wissenschaftler nimmt jedenfalls stetig zu: OpenEdition registriert inzwischen 852 carnets de recherche, davon 102 in deutscher Sprache (Stand 5.8.2014). Portale wie H-Soz-u-Kult, sehepunkte, Clio online und Zeitgeschichte online, EGO Europäische Geschichte […]

Quelle: http://moraleconomy.hypotheses.org/91

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aventinus nova Nr. 49 [31.08.2014]: „Der Wanderer ins Nichts“. Karl Radeks „Schlageter-Rede“ vom 21. Juni 1923

Am 21. Juni hielt Karl Radek auf der Sitzung der Erweiterten Exekutive der Kommunistischen Internationale seine berühmte Rede „Der Wanderer ins Nichts“, in der er den antibolschewistischen Freikorpskämpfer als „mutige[n] Soldat[en] der Konter-Revolution“ würdigt. http://bit.ly/W1fOVf

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2014/08/5337/

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Rechtsanwalt Thomas Urmann verliert seine Zulassung und wird zu einer Bewährungsstrafe verurteilt!

http://www.focus.de/_id_4095571.html Der Abmahn-Anwalt Thomas Urmann wurde zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Er hatte als Geschäftsführer einer Wurstfabrik unter anderem deren Zahlungsunfähigkeit verschleiert. Bekannt wurde er durch Abmahnungen an Nutzer der Porno-Website „RedTube“. Urmann verliert seine Zulassung.

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2014/08/5335/

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Der digitale Superstore der Erinnerungskultur: Vor 20 Jahren wurde Spielbergs Shoah Foundation gegründet

„Steven Spielberg Announces Creation of Survivors of the Shoah Visual History Foundation to document the largest library of Holocaust survivor testimonies ever recorded.“

So heißt es am 31. August 1994 in einer Pressemitteilung. Ein Jahr zuvor war Schindlers Liste in die Kinos gekommen. Mit dem Film über den deutschen Entrepreneur-Industriellen und Lebemann Oskar Schindler, der das Leben von etwa 1.200 jüdischen Zwangsarbeitern rettete, hatte der Regisseur von Der weiße Hai (1975), E.T. (1982), Indiana Jones (1981, 1984, 1989) und zahlreichen weiteren box-office hits eindrucksvoll bewiesen, dass er auch große historische Geschichten erzählen konnte. Im Anschluss an den überaus erfolgreichen Film (sieben Oskars!) gründete Spielberg die Survivors of the Shoah Visual Foundation. Ein eindrücklicher Gründungsmythos umweht die Entstehung der Stiftung. Spielberg berichtete, wie während der Dreharbeiten immer wieder Überlebende, die als Berater am Set waren, auf ihn zugekommen seien, um ihm ihre persönlichen Geschichten zu erzählen: „I kept saying to them, ‚Thank you for telling me, but I wish you say this to a camera because this is important testimony.’ I asked them if they’d be willing to do this and they all said yes.“[1]

Der daraus resultierende Entschluss, weltweit 50.000 Holocaust-Überlebende zu interviewen, bedeutete ein – im Vergleich zu anderen, nicht nur den Holocaust betreffenden Oral History-Archiven – gigantisches Unterfangen. Zunächst wurden Interviews in Los Angeles und Umgebung aufgenommen, anschließend in Florida und New York. Anfang 1995 wurde die Stiftung auch im Ausland tätig. Es wurden insgesamt 39 Regionalbüros auf fünf Kontinenten errichtet. Binnen dreier Jahre, so der Plan, sollten die Interviewaufnahmen abgeschlossen sein. Es dauerte dann doch einige Jahre länger, was jedoch nicht daran lag, dass die Ziele nicht früher hätten erreicht werden können, sondern dass die Produktion der Interviews nicht von einem Tag auf den anderen gestoppt werden konnte. Das beispiellose Projekt wäre ohne die Erfahrungen in der Logistik großer Filmproduktionen wohl nicht zum Erfolg gebracht worden. Die Nähe zu Hollywood ließ sich auch in anderen Bereichen nicht leugnen: Die Direktoren der Shoah Foundation waren die Regisseure und Produzenten James Moll und June Beallor. In den ersten elf Jahren ihrer Existenz hatte die Stiftung ihre Geschäftsräume zudem in einem trailer park auf dem Gelände der Universal Studios und war somit „the only Holocaust-studies center, it seems safe to say, ever situated on a Hollywood studio lot“.[2] 2006 wurde die Stiftung schließlich an die University of Southern California (USC) in Los Angeles angegliedert und durch diesen Umzug akademisch aufgewertet.

Die Shoah Foundation war jedoch keinesfalls die erste Initiative, die Interviews mit Holocaust-Überlebenden führte und diese auf Ton- oder Videoband aufnahm. Bereits unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurden vereinzelt Interviews geführt. In den späten 1970er und 1980er Jahren lässt sich dann ein regelrechter Boom verzeichnen. Eine Reihe sozio-kultureller und sozio-politischer Prozesse und Ereignisse (hierzu zählen beispielsweise der Jom-Kippur-Krieg, aber auch der Vietnamkrieg oder die amerikanische Bürgerrechtsbewegung) hatten den Holocaust allmählich in das Zentrum der Erinnerungskultur gerückt und mit der allgemeinen Hinwendung zur Alltags- und Kulturgeschichte fanden letztendlich auch die Überlebenden das Interesse einer breiteren Öffentlichkeit. Die Ära der Zeitzeugen begann, wie es von Annette Wieviorka und anderen apostrophiert wurde.[3] Mehr als 125 Archive, Museen, Stiftungen, Graswurzelbewegungen, historical societies, Vereine, survivors organizations oder Universitäten hatten allein in den Vereinigten Staaten vor 1994 die Erinnerungen von Überlebenden und anderen Zeitzeugen des Holocaust technisch konserviert.[4]

Diese Initiativen sahen ihre Bemühungen durch das $100 million project[5] von Steven Spielberg gefährdet und standen der Shoah Foundation dementsprechend kritisch gegenüber. Als geniuses at organizations, die ansonsten keine Vorstellung von der inhaltlichen Bedeutung von oral history hätten, wurde die Stiftung beispielsweise in einem internen Memorandum des U.S. Holocaust Memorial Museums, selbst ein Schwergewicht der Erinnerungskultur, bezeichnet. Wieviorka, die für ein anderes amerikanisches Oral History-Archiv Interviews mit Holocaust-Überlebenden in Frankreich aufgenommen hatte, verglich die Shoah Foundation mit einem superstore, der die Existenz der kleinen Krämer bedrohte, die zuvor das Feld der Zeitzeugeninterviews dominiert hätten.[6] Es ist durchaus nachvollziehbar, dass etablierte Oral History-Archive die Shoah Foundation als Wal-Mart der Erinnerungskultur erlebten. Wo sie antrat, war nicht mehr viel Platz für andere. Zuvor hatten lokale Initiativen das Feld dominiert – beziehungsweise Einrichtungen wie das Fortunoff Video Archive for Holocaust Testimonies oder das U.S. Holocaust Memorial Museum, die oft mit lokalen Projekten kooperierten. Etablierte Organisationen konnten sich zwar noch halten, es wurden jedoch keine neuen mehr gegründet. Die dynamische Ausdifferenzierung, die die 1980er und frühen 1990er Jahre gekennzeichnet hatte, war zu einem Ende gekommen. Den verbliebenen Oral History-Archiven wurde schnell klar, dass es sich bei den Aktivitäten der Shoah Foundation nicht um ein Strohfeuer handelte, sondern dass diese für Jahrzehnte die Erinnerungskultur prägen würde. So erklärten sich die etablierten Archive zögerlich bereit, Kooperationen einzugehen, die jedoch nicht die Aufnahme von Interviews zum Ziel hatten, sondern vielmehr deren Konservierung und Verbreitung.

Bei der Aufnahme der Interviews orientierte sich die Shoah Foundation (abgesehen von der außerordentlichen Logistik) an bewährten Methoden der Oral History. Innovativ war die Stiftung vor allem bei der Verbreitung und Bearbeitung der Interviews. Ein übergeordnetes Ziel war es stets, die Interviews einer möglichst breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, um so den Handlungsrahmen einer ritualisierten Erinnerung zu erweitern. Bevor ein überall verbreitetes Internet es erlaubte, die Interviews von zuhause aus anzuschauen, gab es eine kurze Zwischenphase, in der der Austausch an das besonders leistungsfähige Internet2 gebunden war, das Universitäten in den USA und später auch in Europa miteinander verband. Inzwischen wurde ein Netzwerk von 48 Universitäten in Nordamerika, Europa, Israel und Australien errichtet, von denen die Interviews abrufbar sind. Sie müssen einige Stunden im Voraus bestellt werden, um sie auf das Campusnetzwerk zu laden und an stationären Computern anzusehen. Mittlerweile sind jedoch über 1.200 Interviews der Shoah Foundation auch online von jedem Ort zugänglich und es werden stetig mehr.

Einen weiteren Schwerpunkt bilden pädagogische Programme, die auf dem Internet basieren. So zum Beispiel das Projekt IWitness, das Schüler und Studenten auffordert, die Videointerviews nicht nur anzuschauen, sondern am Computer zu bearbeiten. Die Interviews können zusammengeschnitten und mit eigenen Filmaufnahmen, Musik, Bildern oder Begleitkommentaren versehen werden. So lassen sich eigene kurze Dokumentarfilme erstellen. Hinter den multimedialen Möglichkeiten verschwindet jedoch zunehmend die Geschichte. IWitness wird nicht in erster Linie als Angebot beworben, den Zugang zur Geschichte und zu den schwierig zu rezipierenden Zeitzeugenberichten zu ermöglichen, sondern als Werkzeug zum Aufbau wichtiger digitaler, medialer und informationstechnologischer Fähigkeiten, die im 21. Jahrhundert notwendig seien.[7]

Die jüngste technologische Entwicklung ist ein Hologramm, das durch modernste Spracherkennungssoftware und holografische Projektionstechnologie eine möglichst unmittelbare Gesprächssituation imitieren soll.[8] Das Bild beziehungsweise Hologramm von Überlebenden kann in einen Raum projiziert werden und simuliert so eine „natürliche“ Gesprächssituation, die möglichst auch diejenigen mitnimmt und berührt, die zu den „talking heads“ der videographierten Interviews keinen Zugang finden. Hier muss sich jedoch noch herausstellen, ob es sich tatsächlich um eine Zukunftstechnologie handelt, die eine authentische Begegnung mit zwischenzeitlich verstorbenen Überlebenden ermöglicht (wie seltsam das auch klingen mag), oder ob es als Marketing-Gag der Shoah Foundation verpufft, die unvoreingenommen verschiedene technologische Innovationen testet.

Bereits vor 15 Jahren, als das Ausmaß und die Pläne der Shoah Foundation gerade absehbar geworden waren, wurde bereits vorausgesagt, dass die Digitalisierung und allgegenwärtige Verfügbarkeit der Interviews im Internet einer historiographischen Revolution gleichkomme.[9] Diese Prophezeiung kann heute mit Einschränkungen bestätigt werden. Die Geschichtswissenschaft wie auch die Erinnerungskultur wurden vom digital turn erfasst. Die Shoah Foundation spielt(e) hier eine Vorreiterrolle. Es bleibt abzuwarten, ob Neuerungen wie IWitness oder das Hologramm den Zugriff auf die Oral History Interviews und die dahinter stehende Geschichte weiter transformieren. Bereits der „simple“ digitale Zugriff auf abertausende Stunden Ton- und Videozeugnisse hat viel bewirkt. Das Internet ist die Technologie, die den Zeitzeugeninterviews einen zentralen Platz in der Erinnerungskultur einräumt und trotzdem deren Komplexität und Sperrigkeit bewahrt. Gleichzeitig fordern die interaktiven Möglichkeiten möglicherweise die Vorherrschaft eines linearen Narrativs heraus, das mit dem Akt des Zeugnisablegens verbunden ist. Nicht zuletzt aufgrund der Tätigkeit der Shoah Foundation bilden Interviews mit Überlebenden und die digitale Entwicklung einen zentralen Verbindungspunkt, an dem auch in Zukunft Raum und Zeit der Holocaust-Erinnerung ausgehandelt werden.

Die Shoah Foundation hat somit ihr Versprechen eingelöst (wenn auch auf Kosten anderer Initiativen), das sie bereits im August 1994 mit erstaunlicher Genauigkeit prognostiziert hatte: „The Foundation’s plans include the design of a breakthrough multi-media database system to archive, manage and navigate through what will be an unprecedented mass of historical material.“

[1] Jeanette Friedman, „Steven Spielberg. Partner in History“, Lifestyles 5757 (1997): 22.

[2] Stephen J. Dubner, „Steven the Good“, in: Lester D. Friedman und Brent Notbohm (Hg.), Steven Spielberg. Interviews (Jackson: University Press of Mississippi, 2000), 234.

[3] Annette Wieviorka, The Era of the Witness, übersetzt von Jared Stark (Ithaca: Cornell University Press, 2006 [franz. 1998]).

[4] Die Zahlen ergeben sich aus eigenen Berechnungen und aus U.S. Holocaust Memorial Museum, International Database of Oral History Testimonies (Washington, D.C.), http://www.ushmm.org/online/oral-history/.

[5] Peter Novick, The Holocaust in American Life (New York: Houghton Mifflin, 1999), 275.

[6] Wieviorka, Era, 125.

[7] USC Shoah Foundation: The Institute for Visual History and Education, IWitness Overview (Los Angeles 2014), http://sfi.usc.edu/content/iwitness-overview.

[8] Bernd Körte-Braun, Erinnern in der Zukunft. Frag das Hologramm (Die Internationale Schule für Holocaust-Studien (ISHS), 2014), http://www.yadvashem.org/yv/de/education/newsletter/10/article_korte.asp.

[9] Wieviorka, Era, 116f.

Quelle: http://fyg.hypotheses.org/208

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Aus der “Fluchtkiste” ins WWW: Einblicke in die rheinischen Adelsarchive auf Schloss Ehreshoven

Gängige Archivklischees von schmucklosen Archivräumen und einer eher amtsstubenmäßigen Atmosphäre werden auf Schloss Ehreshoven in Engelskirchen im bergischen Land nicht bedient. Und auch die hier archivfachlich professionell durch den Landschaftsverband Rheinland verwahrten Bestände der Vereinigten Adelsarchive im Rheinland e.V. können als durchaus außergewöhnliche „Fundgrube“ für Historiker bezeichnet werden. Grund genug, sie im Ansschluss an die Online-Stellung der Netzbiographie zum Fürsten und Altgrafen Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck in einem Blogbeitrag vorzustellen…

Zugegeben: Es gibt tristere Orte, die ein Historiker auf der Suche nach den entscheidenden Quellen für seine Arbeit mitunter aufsuchen muss. Vor den vom Wassergraben gespiegelten Mauern des Schlosses Ehreshoven waiden im Sommer auf sattgrünen Wiesen zottelige Hochlandrinder. Nicht selten kommt es vor, dass der sich unerschrocken dem beeindruckenden Steintor nähernde Besucher Kamerateams ausweichen muss, die hektisch gestikulierend darum bemüht sind, Schauspieler ins rechte Licht zu rücken.

Schloss Ehreshoven, Außentor

Außentor des Schlosses Ehreshoven in Engelskirchen bei Overath mit Blick auf das Schloss (Foto/Rechte: Hans-Werner Langbrandtner).

Es besteht also kein Zweifel daran, dass auch das altehrwürdige Ehreshoven, dessen Geschichte bis in das Jahr 1355 zurückverfolgt werden kann, in der Moderne angekommen ist. War das Schloss vom Spätmittelalter bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts im Besitz der rheinischen Grafenfamilie von Nesselrode-Ehreshoven, so beheimatet es heute ein adeliges Damenstift der Rheinischen Ritterschaft. Die Produktion der öffentlich-rechtlichen Vorabendserie “Verbotene Liebe”, die hier in Teilen produziert wird, hat das Schloss auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht (zu diesen und weiteren Informationen siehe Homepage Stift Ehreshoven)

Die langersehnte Auflösung des „Cliff-Hangers“ wartet für (Kunst-)Historiker allerdings in einem Seitenteil der Vorburg. Hier werden die Archivbestände der Vereinigten Adelsarchive im Rheinland e.V. archivfachlich durch das Archivberatungs- und Fortbildungszentrum des Landschaftsverbands Rheinland (AFZ-LVR) betreut und verwahrt. Die Bestände umfassen dabei derzeit allein auf Ehreshoven 21 Familienarchive so bekannter Adelsfamilien des nördlichen Rheinlands, wie der Grafen Wolff Metternich zur Gracht, der Grafen von Hoensbroech, der Freiherren von Fürstenberg, der Freiherren Geyr von Schweppenburg oder der Freiherren von und zu Gymnich. Darüber hinaus sind 29 weitere Adelsarchive am Wohnort der jeweiligen Familien benutzbar. Da es sich um Privatarchive handelt, ist eine vorherige Anmeldung bzw. Benutzungsanfrage über das AFZ erforderlich. Eine Übersicht der Bestände, die auch als pdf-Datei auf den Seiten des AFZ  abrufbar ist, gibt hierüber erste Auskunft.

Die Eingangs des Magazins ausgestellte „Fluchtkiste“ aus dem 17. Jahrhundert, in der einst das Archiv der Grafen Wolff Metternich zu Gracht verwahrt und bei Gefahr zum Stadtpalais in Köln geflüchtet werden konnte, kann nur kurz von den eigentlichen Dimensionen der Archivregale ablenken, deren Inhalt noch auf Jahrzehnte hinaus Material für wissenschaftliche Forschungen bieten dürfte.

Archivkiste Gracht

“Fluchtkiste” des Grachter Archivs aus dem 17. Jahrhundert im Magazin der Vereinigten Adelsarchive im Rheinland e.V. auf Schloss Ehreshoven (Foto/Rechte: Hans-Werner Langbrandnter).

 

Archivregale Ehreshoven Langbrandtner

“Laufende Meter” – Archivregale im Magazin der Vereinigten Adelsarchive im Rheinland e.V. auf Schloss Ehreshoven (Foto/Rechte: Hans-Werner Langrbrandtner).

Was erwartet den Benutzer konkret in den Beständen? Bereits ein Blick in die diversen im AFZ in der Abtei Brauweiler einsehbaren Findbücher der Einzelarchive offenbart ein breites Quellenrepertoire. Neben mittelalterlichen Urkunden, Kataster-, Rechnungs- und Tagebüchern aus der Frühen Neuzeit finden sich durchaus zahlreiche „moderne“ Quellen zur Adelsgeschichte wie Fotografien und Briefwechsel des frühen 20. Jahrhunderts. Die Einblicke, die für Historiker über diese hier nur ansatzweise skizzierten Deposita in die adligen Lebenswelten möglich sind, sind somit zeitlich ausgreifend. Vergleichende Fragestellungen auf Grundlage des hier vorhandenen Archivmaterials sind somit über die in der Netzbiographie vorgestellte schillernde Person des Fürsten und Altgrafen Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck hinaus denkbar.

Archiv Dyck Ehreshoven

Front eines Archivregals im Magazin der Vereinigten Adelsarchive im Rheinland e.V. auf Schloss Ehreshoven mit Blick auf Dycker Archivquellen (Foto/Rechte: Hans-Werner Langbrandtner).

Auch abseits rein adelsgeschichtlich ausgerichteter Fragestellungen sind die Bestände auf Schloss Ehreshoven beachtenswert. Durch die mannigfaltige Einbindung des Adels in landesherrliche Herrschafts- und Verwaltungsangelegenheiten über Krisenzeiten wie die der Französischen Revolution von 1789 hinweg und seines hieraus resultierenden, ausgreifenden personalen Netzwerks, lassen sich auch Erkenntnisse zu gänzlich anders gelagerten Fragestellungen generieren. Auch hier können die diversen Beiträge der Netzbiographie als erstes Beispiel dienen, die ausgehend von genuin adelsgeschichtlichen Fragestellungen (Elisabeth Schläwe, Der junge Graf als Reiseliterat auf Kavalierstour), über kunsthistorische (Martin Wolthaus, Die Ahnengalerie der Altgrafen und Fürsten zu Salm-Reifferscheidt-Dyck), gendergeschichtliche (Elisabeth Schläwe, Die Mutter – Augusta Maria von Truchsess Zeil-Wurzach), militärgeschichtliche (Florian Schönfuß, Offizier der preußischen Landwehr), wissenschaftsgeschichtliche (Rita Hombach, Botaniker) sowie netzwerkanalytische (Gudrun Gersmann, Postrevolutionäre Netzwerke) Zugriffe bereits einige mögliche Perspektiven aufzeigen.

Aus Sicht online-affiner Historiker ist zudem zu begrüßen, dass sich neben der Familie der Grafen Wolff Metternich zur Gracht, Eigentümer des im Zuge der Netzbiographie ausgewerteten Archivs Schloss Dyck, auch andere archivbesitzende Familien des rheinischen Adels offen gegenüber einer wissenschaftlichen Aufbereitung von Archivdokumenten im „WWW“ zeigen.

In Ergänzung zu den Befunden der Netzbiographie sollen zukünftig im Blog „Rheinischer Adel – Ein geschichtswissenschaftlicher Forschungsblog“ ausgewählte Dokumente zu verschiedensten Facetten der Adelsarchive in Transkription vorgestellt werden. Ausdrücklich willkommen sind hierbei auch Gastbeiträge, gerne auch zu adelsgeschichtlichen Themen abseits des Rheinlandes.

Ob es abgesehen von Schloss Ehreshoven ebenfalls derartig idyllische und ertragreiche Arbeitsstätten für Adelshistoriker gibt? Hinweise werden mit Spannung erwartet!

Martin Otto Braun

Für die Bereitstellung der Fotografien aus den Archivräumen sowie Informationen zu den Beständen der Vereinigten Adelsarchive im Rheinland e.V. bedanke ich mich recht herzlich bei Dr. Hans-Werner Langbrandtner, Ansprechpartner für die Adelsarchive in Ehreshoven und wissenschaftlicher Archivar des Archivberatungs- und Fortbildungszentrums des Landschaftsverbands Rheinland in der Abtei Brauweiler.

Quelle: http://rhad.hypotheses.org/480

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„…wir, burgermeister, rat und gemein burgere van Lyns…“ – 700 Jahre kommunale Selbstverwaltung in der Bunten Stadt

Übersicht RatFestvortrag anlässlich der Verleihung der Ehrenbürgerwürde an Altbürgermeister Adi Buchwald am 29. August 2014.

Lieber Herr Dr. Faust, lieber Herr Buchwald, geehrte Ratsdamen und Ratsherren, meine sehr geehrten Damen und Herren, „…wir, burgermeister, rat und gemein burgere van Lyns…“, mit dieser Formulierung in einer Urkunde vom 19. Mai 1328 tritt der Linzer Stadtrat in das Licht der Geschichte. Bürgermeister, Rat und Bürgerschaft – das die klassische Dreiheit des mittelalterlichen Stadtregiments und eines der Hauptmerkmale einer vollwertigen Stadt. Und zur Stadt war Linz einige Jahre zuvor geworden – nämlich zwischen 1311 und 1320 – das genaue Jahr ist nicht bekannt. Der Kölner Erzbischof Heinrich II. von Virneburg investierte vor allem aus politischen Gründen kräftig in den Ort, um sein Territorium nahe der südöstlichen Grenze des Kurfürstentums zu stärken, ließ die in Teilen heute noch vorhandene Stadtbefestigung errichten und gewährte Linz alle Rechte und Freiheiten, die auch seine übrigen Städte genossen. Und da ein grundlegendes Merkmal städtischer Selbständigkeit damals wie heute die kommunale Selbstverwaltung war und ist, gibt es auch seit 700 Jahren in Linz eine Stadtregierung. Im Mittelalter bestand diese aus Bürgermeister und Magistrat, also einem Kollegium von Ratsherren, die die Bürgerschaft nach außen repräsentierten. Mit Bürgerschaft ist allerdings nicht die gesamte Einwohnerschaft gemeint ist, denn in mittelalterlichen Städten wurde man zum Bürger erst durch u.a. der Ableistung des Bürgereids und Zahlung des Bürgergelds.

Über die Zusammensetzung der städtischen Verwaltung im Mittelalter geben die Urkunden, das Statutenbuch und die Stadtrechnungen Auskunft, und auch die Namen der Bürgermeister sind seit dem ersten bekannten Träger dieses Amtes von 1322, Johann van deme Kelre, fast vollständig, ab 1461/62 bis heute nahezu lückenlos überliefert. Es ist im Mittelalter aber äußerst selten, das einmal der komplette Rat in den Quellen namentlich genannt wird. Doch zum Glück hat diese beeindruckende Urkunde die Jahrhunderte überdauert. Ein wunderschönes Stück, oder? Leider als einzige der Quellen, die ich für meinen Vortrag ausgewählt habe, nicht aus dem Linzer Stadtarchiv, sondern aus dem nordrhein-westfälischen Landesarchiv in Duisburg. Sie können an der Länge der Urkunde schon die Bedeutung des Ereignisses ermessen: Es handelte sich um nichts weniger als eine mittlere Verschwörung gegen den Erzbischof von Köln, an der die offensichtlich seit jeher selbstbewussten Linzer vor 650 Jahren beteiligt waren.

Wie gehört, hatte der Landesherr Linz erst vor kurzem zur Stadt aufgewertet, doch die Linzer zeigten sich zur Enttäuschung des Erzbischofs nicht so dankbar wie erwartet, sondern es gab schon früh Versuche, sich zu emanzipieren. So entzündete sich bereits gegen Ende der 1330er Jahre ein erster Konflikt zwischen der jungen Stadt und dem Stadtherrn. Für Unmut sorgte – wie so oft – die Erhebung einer Steuer, wogegen viele Linzer Bürger protestierten, weil sie sich ungerecht behandelt fühlten. Nur wenige Jahrzehnte später schloss Linz sich vor der Wahl eines neuen Erzbischofs mit den kurkölnischen Städten Neuss, Bonn, Ahrweiler und Andernach zu einem Bündnis zusammen, und die Bündnispartner verkündeten, nur denjenigen als neuen Landesherrn anzuerkennen, der ihnen ihre Freiheitsrechte in vollem Umfang garantierte.

Das ging jedoch gründlich schief, denn der neu gewählte Erzbischof Adolf von der Mark ließ den Einigungsvertrag kurzerhand zerreißen, und noch der Zorn seines Nachfolgers entlud sich auf Linz als der schwächsten unter den fünf widerspenstigen Städten: Bürgermeister, Rat und Bürgerschaft mussten in der Pfarrkirche St. Martin sprichwörtlich zu Kreuze kriechen und in Anwesenheit zahlreicher adeliger Herren – sie sehen deren Siegel hier unten an der Urkunde – vor dem Erzbischof bekennen, dass sie wegen ihrer Frevelhaftigkeit und ihres Ungehorsams, wie es im Text der Urkunde heißt, alle Privilegien verspielt hätten und es keine freie Ratswahl mehr geben würde, sondern der Landesherr zukünftig die Kandidaten bestimmte. Unter anderem als Machtdemonstration ließ der Erzbischof außerdem die Linzer Burg errichten, die ja nicht umsonst auch „Zwingburg“ heißt. Diese Urkunde ist also in doppelter Hinsicht besonders, denn durch sie lernen wir nicht nur die Linzer Stadtverwaltung vor 650 Jahren namentlich kennen, sondern in ihr wird außerdem eines der ältesten und bedeutendsten Gebäude Stadt – eben die Burg – erstmals schriftlich erwähnt.

Namentliche Nennung von Bürgermeister und Rat der Stadt Linz und Ersterwähnung der Linzer Burg, 1365 (Original: LAV NRW Abt. Rheinland Kk Urk. 211)

Namentliche Nennung von Bürgermeister und Rat der Stadt Linz und Ersterwähnung der Linzer Burg, 1365
(Original: LAV NRW Abt. Rheinland Kk Urk. 211)

Die Namen von Bürgermeister und Stadtrat werden gleich am Anfang der Urkunde aufgeführt – ich habe Sie Ihnen zur besseren Lesbarkeit noch einmal herausgezogen, untereinander gestellt und transkribiert: Johann Lotte, Bürgermeister, Jacob op me Kelre, Johann Kuylynck, Johan vame Kessel, Heyman Upladen, Johann van Staene, Herman vander Lynden, Jacob Wijnrich van Dadenberg, cleyne Johan van Luypstorp, Clays Kelleneir van Luypstorp, Arnolt Russche, Jacob Valder, Lodewich Ruytze, Rat von Linz. Genaueres zu diesen Personen ist nicht bekannt, aber vermutlich handelt es sich größtenteils um Kaufleute, da diese in Haus und Geschäft über ausreichend Personal verfügten und so die für eine städtische Führungsfunktion nötige Zeit hatten. Clays Kelleneir van Luypstorp könnte außerdem in Diensten des Landesherrn gestanden haben, denn ein Kellner war ein kurfürstlicher Verwaltungsbeamter. Und wie wir außerdem an den Vertretern aus Dattenberg und Leubsdorf sehen, kamen Ratsherrn nicht nur aus der Stadt Linz, sondern auch aus dem Kirchspiel, dessen Ausdehnung sich ziemlich genau mit der der heutigen Verbandsgemeinde Linz deckt. Unter den hier genannten Personen scheinen auch erstmals Angehörige später bedeutender Ratsfamilien wie Kessel oder Keller auf – Letzterer möglicherweise ein früher Verwandter des berühmten Linzer Kupferstechers Josef von Keller. Und mit der hier zweimal vertretenen Familie Russche/Ruytze war einige Jahrzehnte später Tilman Joel verschwägert, dessen Schwester den Linzer Bürgermeister Jacob Ruysch heiratete.

Aus der Zeit der Stadtwerdung vor 700 Jahren stammt übrigens auch das Große Siegel der Stadt Linz – Sie sehen hier links unten einen Abguss – aus dem später das Stadtwappen entstand, das ja bis heute aus Kreuz und Schlüssel besteht. Bei dem Kreuz handelt es sich um das kurkölnische Stiftswappen, wodurch die territoriale Zugehörigkeit zum Kölner Erzstift zum Ausdruck gebracht wird, der Schlüssel ist als Attribut des hl. Petrus, des kurkölnischen Landespatrons, zu verstehen.

Statutenbuch, angelegt um 1470

Statutenbuch, angelegt um 1470

Näheres zum Linzer Stadtrat im Mittelalter verrät uns auch das Statutenbuch, eines der schönsten Stücke aus dem Linzer Stadtarchiv. Wer in den sozialen Netzwerken unterwegs und Fan oder Follower des Stadtarchivs ist – und einige von Ihnen sind es ja bereits – dem wird es dort als Titelbild bekannt sein. Ein Ratsherr sollte also laut Statutenbuch ehelich geboren sein und von ehrbaren und frommen Eltern abstammen. Da er im Amt über die Vergehen von anderen zu urteilen hatte, sollte er selbst auch ein ehrliches Leben führen und über Klugheit und Urteilskraft verfügen. Natürlich wurden Rat und Bürgermeister nicht vom Volk gewählt – das allgemeine Wahlrecht wurde erst geschlagene 600 Jahre später eingeführt – sondern vielmehr ließ – wie eben gehört – bis zum Ende des 14. Jahrhunderts der Erzbischof von Köln jährlich 13 geeignete Personen aus Stadt und Kirchspiel auswählen. Später dann wurde das Amt auf Lebenszeit vergeben, und beim Tod eines Ratsherrn wählten die übrigen Mitglieder des Stadtrats einen neuen Ratsherrn hinzu. Dieser leistete bei seinem Amtsantritt einen Eid, in dem er sich dem Landesherrn gegenüber zu Gehorsam und der Stadt gegenüber zum Befolgen alter Gewohnheiten verpflichtete. Anschließend machte der Schultheiß der durch Glockengeläut versammelten Gemeinde die Wahl des neuen Ratsherrn öffentlich bekannt.

Zu den vielfältigen Aufgaben des Stadtrats gehörten u.a. die Aufsicht über das Rechnungswesen, die Besteuerung, die Maße und Gewichte, das militärische Aufgebot der Bürgerschaft, die Zünfte, die Schulen und das Armenwesen. Jährlich am Johannistag, also dem 24. Juni, wählten die Ratsherrn außerdem aus ihrem Kreis den Bürgermeister, der dem Rat verpflichtet war und der nichts ohne die Kenntnis und die Zustimmung des Rats beginnen durfte. Die Tatsache, das sich die Stadtratsmitglieder aus einem kleinen, sozial unausgewogenen Kreis rekrutierten und dazu noch lebenslang im Amt blieben, legt natürlich den Verdacht nahe, – und so war es häufig auch – dass Entscheidungen nicht immer im Sinne der Gesamtbevölkerung, sondern lediglich im Sinne der städtischen Führungsschicht getroffen wurden, zumal die Stadtverwaltung praktisch keinerlei Kontrolle unterlag. Immerhin legte der Bürgermeister bisweilen den Bürgern der einzelnen Stadtviertel die jährliche Stadtrechnung vor, damit diese den Umgang mit den öffentlichen Geldern überprüfen konnten.

Für ihre Tätigkeit erhielten die Ratsherrn eine kleinere Aufwandsentschädigung, bei längeren Verhandlungen wurden außerdem Brot, Fleisch und Käse gereicht und Wein getrunken. Vor den Sitzungen begaben sich die Ratsherrn zur Messe – wir haben das ja heute nachempfunden – die ab 1462 in der Ratskapelle gleich gegenüber dem Rathaus am Marktplatz gelesen wurde. Der von seinem Stifter Tilman Joel prachtvoll ausgestattete Bau entsprach dem neu erlangten Selbstbewusstsein der Stadt, die nach der Demütigung durch den Erzbischof vor 100 Jahren jetzt wieder an politischer Bedeutung gewann und sogar zur Hauptstadt der Linzer Eintracht aufstieg, eines Verteidigungsbündnisses rheinischer Städte und Dörfer. Überhaupt darf diese Zeit als Blütezeit der Stadt angesehen werden, was sich auch im Bau eines repräsentativen Bürger- und Rathauses widerspiegelte.

Rathaus und Marktplatz, 1706

Rathaus und Marktplatz, 1706

Meine Damen und Herren, wir sind an historischer Stätte versammelt, denn genau hier an diesem Ort – zwar ursprünglich ein Stockwerk höher, aber trotzdem hier in diesen Räumlichkeiten – versammelt sich der Linzer Stadtrat seit mindestens 550 Jahren. In einer 10-jährigen Bauzeit, von 1517 bis 1527, wurde dieses Gebäude als Bürger- und Rathaus anstelle eines kleineren, mittelalterlichen Vorgängerbaus aus Fachwerk errichtet. Meister Mathias und Meister Andreas, unter deren Leitung die Bauarbeiten standen, ließen es aus Basaltlava und Tuffstein vom Kaiserberg und aus der Eifel, Steinen vom Stern und vom Minderberg und Bausand u.a. von der Mündung des Altenbachs und vom Nonnenwerth errichten. Die Hölzer für den Dachstuhl kamen per Floß aus Mainz, weiteres Bauholz wurde in den heimischen Wäldern bis hin nach Ehrenstein geschlagen. Einige Bauteile wurden außerdem in fertigem Zustand aus Andernach und Breisig per Schiff angeliefert. Den Baurechnungen zufolge waren fast 200 Männer am Bau des Rathauses beteiligt, darunter 13 Meister, außerdem Zimmererknechte, Steinbrecher, Sägeschneider, Handlanger, Schiffer und Fuhrleute.

Wie Sie hier auf dieser Zeichnung sehen, die den Zustand von 1706 zeigen soll, waren die Räumlichkeiten des Bürger- und Rathauses ursprünglich anders aufgeteilt als heute und wurden auch anders genutzt. Denn das komplette Erdgeschoss bestand aus einer großen, ungeteilten Halle, die vom Markplatz aus durch zwei große Tore betreten und befahren werden konnte. Die Umrisse sind ja heute noch an der Fassade zu sehen. Die Halle diente u.a. der Aufbewahrung von Baumaterial, Löschgerätschaften und Feuerwaffen, es gab ein Wachlokal für die Stadtwache und eine Stube für die Wollenweberzunft, die in der Halle auch ihren Tuchmarkt abhielt. Außerdem wurde die Halle für gesellige Veranstaltungen wie Feiern oder Theateraufführungen genutzt, und es war eine komplette Küche mit gemauertem Herd, Tischen, Bänken, Schüsseln, Gläsern und Krügen für die Verpflegung eingerichtet.

Ins Obergeschoss gelangte man über eine Außentreppe, die oben von einer Loggia abgeschlossen wurde – hier auf dieser Zeichnung gut zu sehen. Die Loggia spielte im öffentlichen Leben der Stadt eine besondere Rolle, denn von hier aus wurden der Bevölkerung beispielsweise die neu gewählten Ratspersonen vorgestellt, Gerichtsurteile verkündet und Befehle des Landesherrn oder Beschlüsse des Magistrats verlesen. Die historische Treppenanlage bestand bis 1833, dann wurde sie wegen Baufälligkeit abgebrochen und eine Innentreppe errichtet. Im Obergeschoss schließlich befanden sich die Große Stube für die Sitzungen des Stadtrats, die Schöffenstube für die Sitzungen des Stadtgerichts und die Kleine Stube für den Empfang von Gästen. Im Obergeschoss trafen sich Rat und Bürgerschaft zum geselligen Beisammensein, und Bürgermeister und Stadtrat bewirteten im Laufe der Jahrhunderte hier ganze Legionen von kurfürstlichen Beamten, Angehörigen des Adels, Mitglieder der Linzer Union, Hochzeitsgäste oder auch Theaterschauspieler mit Wein und Speisen.

Achterinstruktion, 1649 Die Punkte 1-7 regeln u.a. die Aufsicht der Achter über das Rechnungs-, Finanz- und Bauwesen der Stadt

Achterinstruktion, 1649Die Punkte 1-7 regeln u.a. die Aufsicht der Achter über das Rechnungs-, Finanz- und Bauwesen der Stadt

Bis ins 17. Jahrhundert hinein war die Ratsherrschaft in Linz fest verankert. Ratsfamilien wie Salzfaß, Mengelberg, Keller, Eiserfey, Mohr, Zimmermann, Kastenholz, Kessel oder Neuerburg waren untereinander versippt und bestrebt, die städtischen Ämter in ihren Reihen zu halten. Während des Dreißigjährigen Krieges kam es dann aber zu tiefgreifenden Auseinandersetzungen zwischen Rat und Gemeinde. Die Bürger beschwerten sich u.a. über ungleich verteilte Steuerlasten und Missstände in der Finanzverwaltung, denn die Unstimmigkeiten in den Stadtrechnungen häuften sich. Da sich die Proteste auf Dauer nicht ignorieren oder unterdrücken ließen, musste der Rat ab Mitte des 17. Jahrhunderts eine Beteiligung der Bürgerschaft am Stadtregiment und damit eine erste Demokratisierung der Stadtverfassung hinnehmen. 1649 nämlich wurde das Kollegium der Achter gebildet – Sie sehen hier eine Seite aus der von Kurfürst Ferdinand erlassenen Achterinstruktion.

„Policeyordnung“, 1664, Titelseite „Demnach Dero Kurfürstlicher Durchlaucht zu Köllen Herzog Maximilian Henrich […] unterthänigst referiert worden welcher Gestalt in Dero Stadt Linz wegen des Policeywesens vor langen Jahren hero einige Unordnungen und schädlicher Mißbrauch vor und nach eingeschlichen wodurch auch zwischen Bürger-Meister, Scheffen und Rath und der gemeinen Bürgerschaft daselbsten Unei-nigkeiten und Mißtrauen entstanden […]“

„Policeyordnung“, 1664, Titelseite„Demnach Dero Kurfürstlicher Durchlaucht zu Köllen Herzog Maximilian Henrich […] unterthänigst referiert worden welcher Gestalt in Dero Stadt Linz wegen des Policeywesens vor langen Jahren hero einige Unordnungen und schädlicher Mißbrauch vor und nach eingeschlichen wodurch auch zwischen Bürger-Meister, Scheffen und Rath und der gemeinen Bürgerschaft daselbsten Unei-nigkeiten und Mißtrauen entstanden […]“

Das Kollegium bestand – wie der Name schon sagt – aus acht Männern, die die Interessen der gemeinen Bürger vertreten sollten und ein Kontroll- und Mitspracherecht in allen Ratsangelegenheiten hatten. Im Gegensatz zu den Ratsherrn, die ja meist Kaufleute waren, setzte sich das Kollegium der Achter überwiegend aus Handwerkern zusammen. Der Stadtrat, der über drei Jahrhunderte praktisch die Alleinherrschaft inne gehabt hatte, gewährte das Mitspracherecht natürlich nur widerwillig und torpedierte die Achter, wo es nur ging. Da sich auch Beschwerden über die Disziplin der Ratsherrn häuften, musste schließlich auf Bitten beider Parteien Kurfürst Max Heinrich mehrere Gesandte nach Linz schicken, um den Streit zu schlichten. Ergebnis der Verhandlungen war die 1664 erlassene „Policeyordnung“ für Stadt und Kirchspiel Linz – Sie sehen hier die Titelseite – die wichtige Bereiche der Stadtverwaltung und des Zusammenlebens der Bürger neu regelte. U.a. sollte das Rechnungswesen reformiert und gestrafft und die Satzungen der Stadt eingehalten werden. Den Ratsherrn wurden in der Sitzung „ungeziemende“ und aufbrausende Reden bei Strafe von zwei Pfund Wachs verboten. Damit die Sitzungen besser besucht würden, wurden den Ratsherrn vor den jeweiligen Terminen durch den Stadtdiener so genannte „Ratsschilder“ zugestellt, die die Ratsherrn bei Strafandrohung vor der Sitzung wieder beim Bürgermeister abzuliefern hatten.

Bürgermeister Augustin Kastenholz, 1628

Bürgermeister Augustin Kastenholz, 1628

Meine Damen und Herren, die Geschichte des Linzer Stadtrats kommt natürlich an einer Person auf keinen Fall vorbei – Sie sehen ihn hier und kennen ihn alle – Augustin Kastenholz. Das Leben als Ratsherr des Mittelalters und der Frühen Neuzeit war nämlich mitnichten immer so angenehm, wie es auf den ersten Blick scheinen mag – gewählt auf Lebenszeit, stets unter Seinesgleichen, kaum einer Kontrolle unterworfen – denn politische Konflikte und kriegerische Auseinandersetzungen waren in jedem Jahrhundert an der Tagesordnung – genannt seien hier nur die Belagerung der Stadt Linz durch kaiserliche Truppen im Neußer Krieg 1475, die Besetzung im Kölnischen Krieg 1583 und natürlich vor allem auch die Besetzung der Stadt durch die Schweden während des Dreißigjährigen Krieges 1632/33.

Als städtischer Amtsträger sah man sich also wie die übrigen Stadtbewohner auch nicht selten an Leib und Leben bedroht. Im Dreißigjährigen Krieg gipfelte das in der Hinrichtung von Augustin Kastenholz. Kastenholz, Zollschreiber, Schöffe und ehemaliger Bürgermeister, hier in der Stadt und im Ratshaus allgegenwärtig durch den nach ihm benannten Kastenholz-Platz und der Castenholtz-Schule, der Plakette draußen an der Fassade, durch den von ihm gestifteten Altar dort hinten an der Wand und durch sein Porträt – Sie sehen es hier – das Original hängt ein Stockwerk höher. Dieser Augustin Kastenholz also wurde am 22. Februar 1633 von den Schweden auf dem Marktplatz hingerichtet, vermutlich wegen Hochverrat. Der genaue Hintergrund, ist nicht bekannt, möglicherweise hatte er den Bürgermeister von Hönningen vor den anrückenden schwedischen Truppen warnen lassen, vielleicht auch hatte er Truppen zum Entsatz von Linz angefordert. Sein Todesdatum jedenfalls wurde im Bürgerbuch eingetragen, wo er unter den Schöffen und Ratspersonen ab 1618 geführt wird – Sie sehen den Eintrag hier, zusammen mit seiner Frau Katharina Kessel.

Eintrag im Bürgerbuch, 1618 „Augustin Castenholtz und Catharina Kessell. Consul, 1633, d. 22. Februar obiit”

Eintrag im Bürgerbuch, 1618„Augustin Castenholtz und Catharina Kessell. Consul, 1633, d. 22. Februar obiit”

Rat und Achter wuchsen im Verlauf der Zeit immer stärker zusammen. Die Achter wurden nämlich nicht von der Bürgerschaft gewählt, so weit sollte die Demokratisierung dann auch wieder nicht gehen – sondern vom Rat! Zwar schlugen die übrigen Achter dem Stadtrat bei der Neuwahl eines Achtermitglieds einen Kandidaten nach ihrem Gusto vor, aber der Rat war natürlich bestrebt, die Achter-Wahlen stets so zu regeln, dass seine Kreise nicht durch ungeeignete oder unerwünschte Angehörige der bürgerlichen Schichten gestört wurde. Da es jedoch bald üblich wurde, dass neue Ratsherrn aus dem Achterkollegium ausgewählt wurden, bildete sich mit der Zeit ein Kreislauf. Das Achteramt entwickelte sich zum Aufstiegsamt in den Rat, und die Achter waren in ihrer ursprünglichen Rolle als Kontrollorgan nicht mehr zu erkennen. Vielmehr bildeten Rat und Achter die neue Führungsschicht innerhalb der Bürgerschaft und an den ursprünglich angeprangerten Missständen änderte sich nur wenig. Die geringe Fluktuation innerhalb der Verwaltung zeigt die Ratsliste von 1769 ganz deutlich: die ersten sieben – also die Schöffen – führten alle den Bürgermeistertitel, die zweiten sieben – die Räte – den Baumeistertitel. Alle saßen also schon längere Zeit im Magistrat und hatten die jeweiligen Funktionsämter durchlaufen. Wie Sie an den Namen sehen, saßen im Rat jetzt im 18. Jahrhundert allerdings nicht mehr nur Angehörige der bekannten Ratsfamilien des 15. und 16. Jahrhunderts. Hier hatte ein Wechsel stattgefunden, der vielleicht auch auf die Durchmischung mit den Achtern zurückzuführen ist.

Ratsliste, 1769

Ratsliste, 1769

Zum Ende des 18. Jahrhunderts waren dann auch in Linz die Auswirkungen der Französischen Revolution zu spüren. Es waren allerdings nicht die Ideen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, die in der Stadt Resonanz fanden, vielmehr litt die Stadtbevölkerung in den Jahren 1796 und 1797 im Zuge der Revolutionskriege – mal wieder – unter der Besatzung durchziehender Truppen. Diese forderten horrende Geld- und Sachleistungen, und der Stadtrat war bemüht, die Forderungen durch Bestechung der zuständigen französischen Heeresverwaltungsbeamten zumindest abzumildern, was auch öfters – wenn auch nicht immer – gelang.

Das 19. Jahrhundert bescherte der Stadt dann nach einigen Jahren unter nassauischer Regierung nicht nur den Übergang an Preußen und die Bildung des Kreises Linz, wenn auch nur für wenige Jahre, sondern auch einen weiteren kleinen Schritt hin zu einer Demokratisierung innerhalb der Stadtverwaltung. Denn die Stadträte wurden seit der Gemeindeordnung von 1845 erstmals von der Bevölkerung gewählt. Allerdings waren sie dadurch nach wie vor kein demokratisches Gremium, da nach dem preußischen Dreiklassenwahlrecht gewählt wurde, das das Wahlrecht an das Steueraufkommen band, wodurch nur ein kleiner Teil der Gesamtbevölkerung wahlberechtigt war. In Linz waren 1846 nur gut sechs Prozent der Einwohnerschaft wahlberechtigt, 1871 sieben Prozent und 1913 knapp 15 Prozent. Wir sehen hier die erste Seite des Wählerverzeichnisses von 1856. In der Klasse 1 der „Meistbeerbten“, wie es hieß, finden sich bekannte Namen wie Rhodius, Cahn oder Mayer, allesamt Fabrikantenfamilien, oder auch Salm-Kyrburg oder von Rolshausen. Die Wähler wurden anlässlich einer Wahl ins Rathaus geladen und durften dort für einen ihrer Klasse zugeteilten Kandidaten stimmen. Wie wir sehen, wurden die Namen der Gewählten offensichtlich jeweils gleich hinter den Namen des Wählers eingetragen, weshalb von einer geheimen Wahl nicht die Rede sein kann.

Liste der Meistbeerbten, 1856

Liste der Meistbeerbten, 1856

In der Mitte des 19. Jahrhunderts dann wurde Linz auch von der deutschen Märzrevolution erfasst, und Bürgermeister und Stadtrat setzten sich an die Spitze der Bewegung. Nach dem Verlust der kurkölnischen Privilegien wie dem Rheinzoll und von Verwaltungsbehörden und dem daraus resultierenden Niedergang von Handel, Handwerk und Gewerbe war zu dieser Zeit in der Stadt ohnehin eine allgemeine Katastrophenstimmung spürbar. Es kam während der Märzrevolution in Linz zu revolutionären Umtrieben, der preußische Adler wurde vom Rathaus abmontiert und in Volksversammlungen machte sich Unzufriedenheit Luft. Bürgermeister Franz Stephan Christmann richtete nach dem Vorbild Kölns und anderer rheinischer Städte eine Eingabe an den preußischen König, in der u.a. Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Ausdehnung des aktiven Wahlrechts und Gleichheit vor dem Gesetz gefordert wurde. Da diese Forderungen einigen Linzer Politikern zu weit gingen, kam es in der Stadtverwaltung zu Aufruhr, man versuchte, den Bürgermeister abzusetzen, und viele Stadtratsmitglieder blieben den Sitzungen fern. Doch schon im November 1848 war die deutsche Revolution gescheitert und auch in Linz kehrte wieder Ruhe ein.

Mitglieder der Stadtverwaltung, 1920er Jahre

Mitglieder der Stadtverwaltung, 1920er Jahre

Meine Damen und Herren, wir sind am Beginn des 20. Jahrhunderts angelangt. Aus dieser Zeit stammt das erste Foto von Mitgliedern der Linzer Stadtverwaltung, in der Mitte Bürgermeister Dr. Paul Pieper, und ich finde, dass sich an den ernsten Mienen schon erkennen lässt, welche Verantwortung auf den Schultern dieser Männer lastete. Denn diese Stadtregierung hatte in den zehn Jahren zuvor – das Bild wurde etwa 1925 aufgenommen – nicht weniger als die Auswirkungen eines Weltkriegs – des Ersten Weltkriegs – auf die Stadt Linz bewältigen müssen, mit Mangelwirtschaft, Hunger und dem täglich Kampf ums Überleben, die Nachkriegszeit mit der Besetzung durch französische Truppen, den Einmarsch der Separatisten und schließlich Wirtschaftskrise und Hyperinflation. Immerhin wurde nach dem Übergang von der Monarchie zur Republik 1919 deutschlandweit nun endlich auch ein allgemeines, gleiches, geheimes und direktes Wahlrecht eingeführt, das auch für Frauen galt.

Doch diese Freiheit währte nur ein gutes Jahrzehnt, denn die der Machtübernahme der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 folgende Gleichschaltung traf Ende 1933 auch das Linzer Stadtparlament. Seit den letzten freien Stadtverordnetenwahlen vom März 1933 bestand der Stadtrat aus neun Angehörigen der Zentrumspartei und jeweils vier von Bürgerliste und NSDAP. Durch das Gemeindeverfassungsgesetz vom 15. Dezember 1933 wurden diese gewählten Stadtverordneten durch Ratsherrn ersetzt, die auf Vorschlag der Gauleitung der NSDAP berufen und auf Adolf Hitler vereidigt wurden. Der Stadtrat wurde dadurch zu einem bloßen Beratergremium des Bürgermeisters herabgewürdigt und es gab keine freien kommunalpolitischen Entscheidungen mehr.

Protokoll der Stadtverordnetensitzung vom 7. Oktober 1945

Protokoll der Stadtverordnetensitzung vom 7. Oktober 1945

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde eine neue politische Ordnung geschaffen. Die unter alliierter Besatzung neu gebildete Stadtverwaltung musste sich in den ersten Nachkriegsjahren vor allem der Organisation des Lebensnotwendigen widmen, denn die Ernährungslage in der Stadt war äußerst kritisch und es drohte eine Hungerkatastrophe. So lautete denn auch der erste Tagesordnungspunkt der ersten aufgezeichneten Stadtverordnetenversammlung nach dem Krieg von 7. Oktober 1945 – Sie sehen es hier -: „Bericht des Vorsitzenden über die allgemeine wirtschaftliche und finanzielle Lage der Stadt Linz“. Und auch Frauen engagierten sich jetzt in der Kommunalpolitik, denken wir nur an Else Missong-Peerenboom – die Stadt Linz hat kürzlich an sie erinnert – oder auch Liesel Kretz oder Gertrud Grefrath, die bereits in den ersten Nachkriegsjahren im Stadtrat saßen.

Der Linzer Stadtrat vereinte jetzt Bürger aller Schichten und Berufsgruppen. Die Kommunalwahlen vom 14. Dezember 1948 beispielsweise brachten für die CDU mit Ferdinand Nitzgen einen Arbeiter, Peter Frings einen Gärtnermeister, Dr. Franz-Josef Wuermeling einen Staatssekretär, Peter Paffhausen einen Magazinverwalter, Peter Rechmann einen Klempner, Franz Wald einen Gastwirt, Gertrud Grefrath eine Hausfrau, Andreas Heim einen Oberstudiendirektor, Karl Müllenstädt einen Kaufmann und Peter Meyer einen Lokführer in den Stadtrat. Die SPD stellte mit Johann Bündgen einen Küfer, Heinrich Ries einen Uhrmacher, Theo Lück einen Angestellten und Josef Herz einen Schmied. Die DDP entsandte mit Matthias Oellig einen Bauunternehmer, Josef Houben einen Kaufmann, Hubert Dütz einen Gastwirt und mit Karl Aufdermauer und Severin Schoop jeweils einen Gärtnermeister in den Stadtrat. Nach 700 Jahren ist das Linzer Stadtparlament also endlich in jeder Hinsicht zu einem demokratischen Gremium geworden.

Empfang von Raissa Gorbatschowa und Hannelore Kohl, 9. November 1990

Empfang von Raissa Gorbatschowa und Hannelore Kohl, 9. November 1990

Meine Damen und Herren, am Schluss meines Vortrags schlage ich noch einmal den Bogen zu unserem heute frisch gekührten Ehrenbürger Adi Buchwald. Sie sehen ihn hier noch ganz zu Beginn seiner Amtszeit am 9. November 1990 mit Raissa Gorbatschowa (links) und Hannelore Kohl beim „Damenprogramm“ in Linz, derweil der sowjetische Präsident Michail Gorbatschow und Bundeskanzler Helmut Kohl in Bonn den “Vertrag über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit” unterzeichneten. Ein wahrhaft historisches Datum also. Durch die zahlreichen Staatsgäste, die Linz während der Bonner Republik besuchten, war die Stadt in diesen Jahrzehnten praktisch immer in enger Tuchfühlung mit der internationalen Politik.

Zu den vielen Verdiensten von Adi Buchwald um die Stadt, von denen wir heute schon gehört haben, zählen auch sein Engagement für die Stadtgeschichte und das Stadtarchiv. Er ist jedem stadtgeschichtlichen Projekt stets offen und interessiert begegnet und hat die Realisierung umstandslos ermöglicht – ich erinnere hier nur an die beiden großen Ausstellung zum Joseph-von-Keller-Jubiläum 2011 und zum Ersten Weltkrieg in diesem Jahr, die ja zu echten Erfolgsgeschichten wurden. Ich schließe ich mich also den Gratulanten an und bin froh, dass ich mit Ihnen, lieber Herr Buchwald, so lange und so gut zusammen arbeiten durfte. Und wenn ich heute hier als Chronistin der Stadtgeschichte auftrete, dann kann ich guten Gewissens konstatieren: Sie haben sich auch mit Ihrer nachhaltigen Kulturarbeit einen so festen wie prominenten Platz in der langen und reichen Geschichte unserer Stadt erarbeitet. Ihnen, Ihrem Nachfolger Herrn Dr. Faust, dem Stadtrat und allen Zuhörern heute wünsche ich nun einen schönen Abschluss auf der Kirmes. Für Fragen stehe ich hier und auch später natürlich gerne zur Verfügung. Meine Damen und Herren – ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

Quelle: http://archivlinz.hypotheses.org/300

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Rezension: Michal Slivka: Pohľady do dejín stredovekého Slovenska. Martin, 2013.(Blicke auf die mittelalterliche Geschichte der Slowakei, Martin, 2013)

Einen Beitrag zur Ordensgeschichte in der Slowakei liefert Michal Slivkas neue Publikation Pohľady do dejín stredovekého Slovenska (Blicke auf die mittelalterliche Geschichte der Slowakei). Als einer der wichtigsten slowakischen Archäologen hat er langjährige Erfahrung in der Archäologie des Mittelalters. Die neue Publikation vergleicht die Kenntnisse über das Leben in ungarischen Klöstern, Städten und Burgen mit denen über den westeuropäischen Raum. Der Autor findet die Denkmäler der Materialkultur so wichtig wie die schriftlichen Quellen und er versucht, diese im Vergleich mit den religiösen Vorstellungen zu präsentieren. Slivka beschäftigt sich mit Synkretismus im mittelalterlichen Europa, den Anfängen des Christentums in Ungarn und damit verknüpft mit den durchgeführten religiösen Praktiken (zu der Zeit noch gemischt mit alten  heidnischen Praktiken). Sehr interessant ist auch der Beitrag zur Entwicklung der ersten Ordensgemeinschaften in Ungarn. Aufgrund archäologischer Entdeckungen kann man den Etablierungsprozess der Ordensgemeinschaften in mittelalterlichen Städten rekonstruieren. Weiter beschäftigt sich der Autor mit dem Phänomen des Patroziniums, als Schutzpatronat der Einrichtungen: von Kirchen, Klöstern und auch des Staates. Im Mittelalter versuchte der königliche Hof sich auch über die Heiligsprechung im kirchlichen und politischen Leben zu legitimieren. Damit wollten die Könige ihre Dynastie stärken und deswegen haben sie ein Familienmitglied vom Papst heiligsprechen lassen. Abschließend widmet sich Michal Slivka dem Charakter der Interaktion zwischen Klöstern und der restlichen Welt und zwar im Rahmen des wirtschaftlichen Systems des Mittelalters.

Quelle: http://ordensgeschichte.hypotheses.org/7695

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