Rat für Informationsinfrastrukturen gegründet

Pressemitteilung des BMBF 112/2014:

Wissen digital besser erschließen

Der neu gegründete Rat für Informationsinfrastrukturen hat heute seine Arbeit aufgenommen. Die 24 Ratsmitglieder – Vertreter von Wissenschaft und Gesellschaft sowie Bund und Ländern – kamen heute in Göttingen zu ihrer ersten Sitzung zusammen.

Der Rat hat die Aufgabe, disziplinen- und institutionsübergreifende Empfehlungen für die weitere Entwicklung und den Ausbau der digitalen Infrastrukturen von Bildung und Wissenschaft zu erarbeiten. Dazu gehören etwa Fragen der digitalen Langzeitarchivierung, der Zugänge zu Datenbanken oder der Digitalisierung von Wissensbeständen. Informationsinfrastrukturen sind Einrichtungen wie Bibliotheken, Archive und Forschungsdatensammlungen, die sich systematisch damit befassen, Daten und Informationen zusammenzutragen und bereitzustellen.

“Die Bundesregierung möchte im Rahmen ihrer Digitalen Agenda den digitalen Wandel in der Wissenschaft forcieren, dafür leistet auch der neue Rat für Informationsinfrastrukturen einen wichtigen Beitrag”, sagte Wanka anlässlich der konstituierenden Sitzung. “Bildung und Forschung sind zentrale Einsatzfelder für die digitalen Informationsmöglichkeiten, aber auch maßgebliche Treiber digitaler Innovationen in Deutschland. Daher ist es von großer Bedeutung, die Rahmenbedingungen für einen ungehinderten Informationsfluss zu verbessern.”

Die Gründung des Rates für Informationsinfrastrukturen gemeinsam mit den Ländern ist auch im Koalitionsvertrag der Bundesregierung verankert. 2013 haben sich Bund und Länder im Rahmen der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) auf Struktur, Aufgaben und paritätische Finanzierung des Rates verständigt. Der Rat setzt sich aus acht Vertretern der wissenschaftlichen Nutzer, acht Vertretern von Einrichtungen wie Bibliotheken und Archiven und jeweils vier Vertretern des öffentlichen Lebens sowie von Bund und Ländern zusammen.

Zum Vorsitzenden des neu gegründeten Rats wurde Prof. Dr. Otto Rienhoff von der Universität Göttingen und als Stellvertreterin Sabine Brünger-Weilandt vom FIZ Karlsruhe – Leibniz-Institut für Informationsinfrastruktur gewählt. Wanka gratulierte den Vorsitzenden und wies auf die hohe Bedeutung der Aufgaben des Rats hin. “Die Themenfülle, mit der sich der Rat beschäftigen wird, ist groß. Mal geht es um die Digitalisierung mittelalterlicher Handschriftensammlungen, mal um Linzenzfragen, mal um die Archivierung und Nutzung riesiger Datenmengen – allein am Deutschen Klimarechenzentrum fallen jährlich rund zehn Petabyte an Informationen an. Hierbei Prioritäten zu setzen und besondere Bedarfe zu identifizieren, ist keine einfache, aber eine außerordentlich bedeutsame Aufgabe des Rates zugunsten der digitalen Entwicklung in Deutschland”, sagte die Bundesforschungsministerin.

Weitere Informationen finden Sie im Internet unter: http://www.bmbf.de/de/24356.php

BMBF – Bundesministerium für Bildung und Forschung

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Quelle: http://dhd-blog.org/?p=4219

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25. Vier Fragen in einem Seminar

Endlich hat das Semester wieder begonnen. Die gescheitelten Turnisterträger aus der Nachbarsfakultät halten die Türen auf und der Kaffee aus den 90-Cent Kaffeeautomaten ist endlich wieder dünn wie auf einer Konferenz. Mir scheinen auch unsere Büsten im Seminarraum ein schadenfreudiges Grinsen aufgesetzt zu haben, weil sie den merkwurdigen Genuss von Fremdscham für die kommenden Referate und Hausarbeiten antizipieren. Und mich würde es auch nicht wundern, wenn Sokrates eine weiße Lakritze zwischen die Kreiden unter der Tafel gemischt hätte.

Endlich ist es also wieder an der Zeit, die passiven Kenntnisse aus der vorlesungsfreien Zeit in interessante Gespräche einzubringen und auf Standfestigkeit prüfen zu lassen. Unsere steinernen Vorbilder müssen sich, wie wir an ihren Scherzen und ihren gegenseitigen Streichen ja sehen können, im Gegensatz zu uns nicht mehr beweisen. Wir aber, und damit meine ich auch Sie, wenn Sie an einem Oberseminar teilnehmen, müssen sich irgendwie einbringen. Schließlich lebt das Seminar im Gegensatz zu der Vorlesung ja von Ihren Beiträgen. Und Ihre Noten leben wiederum von der Qualität Ihrer Beiträge (Lebensursache: Qualität. Aristoteles würde mich mit dem Tablet ohrfeigen.)

Ich glaube aber, dass nicht jeder Seminarbeitrag des Teilnehmenden eines Seminars an denselben Standards gemessen werden darf. Studis der höheren Semester können ja gar nicht dasselbe Wissen wie Büsten haben. Mir jedenfalls sind vier verschiedene Beitragsarten aufgefallen, vielleicht fünf, die immer wiederkehren:

1. Die spitzfindige Frage: Die spitzfindige Frage beweist, dass der Teilnehmende das Thema nur oberflächlich oder gar nicht bearbeitet hat, dass er aber mit einer “Flucht nach vorne” darüber hinwegtäuschen möchte. Solche Fragen beschränken sich auf oberflächliche Widersprüche, die sich aus dem jeweiligen Vortrag ergeben. Dies sind meine Lieblingsfragen.

2. Die Verständnisfrage: Mit einer solchen Frage zeigen Sie, dass Sie sich Gedanken gemacht haben und auf der Suche nach der Wahrheit sind. Verständnisfragen zeigen außerdem, dass Sie sich vorbereitet haben und Sie nicht mehr ganz am Anfang stehen, sondern Sie aufgrund Ihrer Kemntnisse bereits so viel Selbstbewusstsein haben, dass Sie dem ehrenwerten Redner öffentlich unterstellen können, etwas nicht absolut klar ausgedrükt zu haben. Wenn sie etwas Anstand haben, formulieren Sie Ihre Frage defensiv “ich habe nicht genau verstanden” oder “war nicht gänzlich aufmerksam”. Alle anderen werden es verstehen: Der Redner hat’s vermasselt.

3. Die Spiegelfrage: Die Spiegelfrage reflektiert das Vorgetragene a) an anderen Publikationen über das Thema aus der Sekundärliteratur oder aber b) an anderen Schrifen desjenigen Autors, der zur Debatte steht. Wenn Sie eine Spiegelfrage stellen, zeichnen Sie sich als kompetente Person aus. Als Doktorand sollte man diese Art von Fragen stellen. Tun Sie dies nicht, so wie ich, haben Sie noch einen langen Weg vor sich und Ihre Formalidentität als Doktorand verdeckt Ihren igentlichen “Ersti”-Studentenstatus. Gehören Sie zu denjenigen Studierenden, die sich mit dem Argument selbst belügen, man könne sich nicht in jedem Thema so auskennen, dass man Spiegelfragenstellen kann, gilt das fiese Grinsen unserer Büsten auch Ihrer kommenden Disputatio.

4. Dihairetische Fragen: Solche Fragen müssen nicht unbedingt eine platonische Geburtshilfe beinhalten. Ihnen ist aber charakteristisch, dass Sie bereits eine eigene Foschungsmeinung zu dem Thema entwickelt haben und Sie Ihre Position (häufig) gegen diejenige des Referenten ins Feld führen und mit eigenen Fragen und Darstellungen Ihre Überzeugung verteidigen. Solche Fragen sind die Crème de la Crème (wie man im Espressojargon sagen würde) des Seminars und erfordern langjährige Erfahrung.

Habe ich etwas vergessen?

Grüße, D.

 

 

 

 

 

 

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/373

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China-News: Yuan Shikai am Opfergelände des Himmels (1914/1915)

Das Opfergelände des Himmels (Tiāntán天壇) , in westlichen Darstellungen in der Regel vereinfachend und irreführend als “Altar des Himmels”/”Himmelsaltar” beziehungsweise “Himmelstempel” bezeichnet,[1] war der Ort, an dem die Kaiser drei der “großen Opfer” [dà sì 大祀] des Staatskultes vollzogen: im ersten Monat qígǔ 祈榖 ["Gebet für eine Reiche Ernte"], im vierten Monat yúsì 雩祀 ["Opfer der Bitte um Regen"] und im elften Monat dōngzhì 冬至 ["Wintersonnenwende"].[2] Das Ende der Qing-Dynastie 1912 bedeutete das Ende des Staatskults – und das Ende der Opferriten.

In den Machtkämpfen, die die ersten Jahre der Republik China kennzeichneten, griff Yuán Shìkǎi  袁世凱 (1859-1916), der seit 10.3.1912 Präsident der Republik war,  noch einmal auf die alten Rituale zurück[3] und vollzog am 23. Dezember 1914, zur Wintersonnenwende, die Opfer auf dem Opfergelände des Himmels.

Runder Hügel auf dem Opfergelände des Himmels, Beijing – Foto: Georg Lehner

Runder Hügel auf dem Opfergelände des Himmels, Beijing – Foto: Georg Lehner (2011)

Fast zwei Monate danach, im Februar 1915, finden  sich in österreichischen Lokal- und Regionalzeitungen kurze Artikel dazu, unter anderem ”Wie Jüanshikai dem Himmel opfert” in Der Arbeiterwille vom 9. Februar 1915[4] und “Juanshikkai als Hohepriester” in der Linzer Tages-Post vom 19. Februar[5]

Beide Artikel dürften auf einem Bericht der Daily News basieren, auf den in Der Arbeiterwille explizit verwiesen wird. Zur Bedeutung der Opfer heißt es in Der Arbeiterwille:

[...] Zum erstenmal in der Geschichte Chinas wurde dabei das heilige Opfer nicht von einem Kaiser dargebracht. Der Präsident bewies dadurch, daß er sich als den rechtmäßigen Nachfolger der chinesischen Herrschaft betrachtet. Der Präsident bewies dadurch, daß er sich als den rechtmäßigen Nachfolger der chinesischen Herrschaft betrachtet. Denn ein Machthaber, der im Himmelstempel die Opfer nach ritueller Sitte darbringt, ist für das chinesische Volk der Kaiser, da mit dem Himmelsopfer auf ihn das Ming[6] das Gottesgnadentum, übergeht.[7]

Die Überlegung, dass Yuán Shìkǎi mit der Vollziehung der Riten zur Wintersonnenwende seinen Herrschaftsanspruch demonstrieren (und legitimieren) wollte, passt zu Zeitungsmeldungen im Januar 1915, Yuán Shìkǎi habe ein Gesetz durchgebracht, das ihm das Präsidentenamt auf Lebenszeit sichern sollte.

Obwohl die alten Rituale befolgt wurden, gab es doch Unterschiede, die Der Arbeiterwille im Detail auflistet:

  • Yuán wäre “in einem Panzerautomobil” schnell gefahren, die Kaiser wören “zum Opferfest [...] stets in einem von Elefanten gezogenen Wagen langsam dahergefahren.”
  • “Der Präsident vollzog auch nicht den vorschriftsmäßigen Kotau, sondern verbeugte sich nur vor dem Altar, vor dem die Kaiser sich der Länge nach hingeworfen hatten.”
  • Auch bei der Vorbereitung hätte sich Yuán die Sache erleichtert: “Die Kaiser hatten auch stets [...] die ganze Nacht in einem neben dem Altar gelegenen Saal verbracht in tiefem Nachdenken und strengem Fasten [...]“. Yuán hingegen “war im ganzen nicht mehr als eine Stunde von seinem Palast abwesend.”[8]

Beide Berichte beschäftigen sich ausführlich mit den Sicherheitsvorkehrungen, die zum Schutz des Präsidenten notwendig waren:

Der erwählte Vertreter des Volkes, der es von der Mandschu-Herrschaft befreit hat, befindet sich täglich und stündlich in größter Lebensgefahr. [...] Der Präsident fürchtet die Rache der Jungchinesen, die auf alle erdenklichen Mittel sinnen, um ihn aus dem Wege zu räumen.[9]

Mit den hier angesprochenen “Jungchinesen” sind die Anhänger der Reformbewegung der 1890er und der Revolutionäre von 1911, die Yuán für einen Verräter hielten, der nur danach strebte, sein diktatorisches Regime zu festigen. Obwohl es Yüan sich schließlich selbst unter der Devise Hóngxiàn 洪憲 selbst zum “Kaiser des Kaiserreichs China” (Zhōnghuá Dìguó Dà Huángdì 中華帝國大皇帝) machte, blieben die Opfer zur Wintersonnenwende 1914 die letzten am Opfergelände des Himmels.

 

  1. S. dazu auch: Georg Lehner: “Das Opfergelände des Himmels und der konfuzianische Staatskult“. Zur Funktion der Opfergelände: Lei Gao/Jan Woudstra: “From landscape of gods to landscape of man: Imperial altars in Beijing.” In: Studies in the History of Gardens & Designed Landscapes Vol. 31 (2011) Nr. 4, 231-268 – DOI: 10.1080/14601176.2011.587279.
  2. H.S. Brunnert, V. V. Hagelstrom: Present Day Political Organization of China (Shanghai: Kelly & Walsh, 1911) 203 (no. 572) – Digitalisate → Bibliotheca Sinica 2.0.
  3. Zu den Gründen s. Peter Zarrow: “Political Ritual in the Early Repubic of China.” In: Kai-wing Chow; Kevin Michael Doak; Poshek Fu (eds.): Constructing nationhood in modern East Asia (Ann Arbor: University of Michigan Press, 2001) 149-188, speziell 151-153.
  4. Der Arbeiterwille Nr. 40 (9.2.1915) 6 f. – Online: ANNO.
  5. Tages-Post (Linz) Nr. 48 (19.2.1915) 3 – Online: ANNO.
  6. D.i. tiānmìng 天命 ["Mandat des Himmels"],
  7. Der Arbeiterwille Nr. 40 (9.2.1915) 6 – Online: ANNO.
  8. Der Arbeiterwille Nr. 40 (9.2.1915) 7. – Online: ANNO.
  9. Tages-Post (Linz) Nr. 48 (19.2.1915) 3 – Online: ANNO.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1838

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#wbgavie | Interview mit Michael Schmalenstroer über Planet History (Blogaggregator für geschichtswissenschaftliche Blogs)

Interview mit Michael Schmalenstroer anlässlich des Workshops „Bloggen in Geschichtswissenschaft und Archivwesen“, der am 10. November 2014 in Wien stattfindet.

Wie findet man überhaupt geschichtswissenschaftliche Blogs?  ist eine Frage, die immer wieder gestellt wird. Seit einem Jahr gibt es nun mit Planet History einen Blogaggregator für geschichtswissenschaftliche Blogs aus dem deutschsprachigen Raum, den Michael Schmalenstroer eingerichtet hat. Es handelt sich um ein privates Projekt, von dem wir alle profitieren. Herzlichen Dank dafür!

Michael Schmalenstroer hat sich bereit erklärt, für einige Fragen zur Verfügung zu stehen.

Kannst Du für die LeserInnen, die das bisher noch nicht verfolgt haben, kurz erklären, was eigentlich ein Blogaggregator ist?

Ich fang einfach mal technisch an – jedes Blog besitzt normalerweise einen RSS-Feed. Das ist ein strukturiertes Dateiformat, mit dem man automatisiert anfragen kann, ob es neue Beiträge gibt. Haupteinsatzgebiet davon ist für die meisten Menschen wohl der RSS-Reader, eine zentralisierte Seite, bei der man verschiedene Seiten abonnieren kann und dann zentral alle neuen Beiträge sieht. Das spart den täglichen Besuch gerade von weniger häufig aktualisierten Webseiten. Ich veröffentliche in meinem Blog mittlerweile etwas unregelmäßig und wer es in einem RSS-Reader wie Feedly oder TheOldReader abonniert hat, spart sich den täglichen Besuch. Die meisten werden ein ähnliches Prinzip von Facebook kennen – man likt einzelne Seiten und bekommt dann deren Beiträge im eigenen Newsfeed angezeigt. Das ist enorm praktisch und ich kann jedem nur empfehlen, die RSS-Reader einmal auszuprobieren. Ich kann mir ein Surfen ohne seit Jahren nicht mehr vorstellen, weil man damit sehr viele Informationen schnell konsumieren kann.

Ein Blogaggregator ist im Prinzip ein öffentlicher RSS-Reader. Planet History fragt jede Stunde bei den integrierten Blogs an, ob sie neue Beiträge haben, und wenn sie welche haben, dann werden sie auf der Startseite angezeigt. Das spart dem Leser also den Besuch von zig Blogs jeden Tag. 

 

Wie bist Du auf die Idee gekommen?

Mitte 2013 hat Google den damals marktbeherrschenden RSS-Reader, den Google Reader, eingestellt. Den hatte ich vorher mehrere Jahre lang benutzt und daher hat sich die Frage nach einer Alternative gestellt. Und mir war klar, dass ich ab sofort meinen eigenen RSS-Reader auf meinem eigenen Server hosten will, damit mir in Zukunft nicht nochmal ein Betreiber ein wichtiges Tool „wegnimmt“. Daher habe ich mit diversen Varianten und Softwarelösungen herumgespielt – privat bin ich bei TinyTinyRSS gelandet, aber bei der Bastelei mit einer WordPress-basierten Lösung ist mir aufgefallen, dass sich das wunderbar für einen Blogaggregator eignet. Und daher hab ich das dann einfach umgesetzt und aufgrund des sehr positiven Feedbacks dann stetig weiterentwickelt.

 

Welche Blogs werden aufgenommen? Und was müssen BloggerInnen tun, damit ihr Blog aufgenommen wird?

Im Prinzip muss man sich nur kurz per Mail oder Twitter bei mir melden – mein Ziel ist es, die geschichtswissenschaftliche Blogosphäre möglichst umfassend zu integrieren. Mittlerweile gibt es aber so viele Blogs, dass es praktisch unmöglich ist, alle selbst zu finden, und so fehlen sicherlich gerade einige. Gerade in Fachgebieten, die mich selbst nicht so interessieren, wird dies wohl der Fall sein.

Es gibt natürlich gewisse, nicht wirklich fest definierte „Qualitätsrichtlinien“. Der Neonazi mit seinem Holocaustleugnungsblog hat keine Chance und wenn ich beim Anschauen des Blogs bemerke, dass es einfach nur Schrott ist, dann wird es nicht aufgenommen. Das ist immer eine Einzelfallentscheidung und wenn ein Blog nicht integriert ist, bedeutet es wie gesagt auch nicht, dass ich es für Schrott halte, sondern ich kenne es im Zweifelsfall einfach nicht.

 

Wie viele Blogs sind inzwischen aufgenommen? 

Aktuell sind es 206 Blogs, welche insgesamt 20631 Beiträge veröffentlicht haben.

 

Wie funktioniert der Blogaggregator eigentlich?

Ich gehe jetzt nicht auf die technischen Details ein, aber im Hintergrund werkelt WordPress mit dem Plugin FeedWordPress. Ich kann übrigens nur empfehlen, kleinere Aggregatoren für einzelne Fachgebiete einzurichten – gerade in der Mediävistik gibt es wohl genug Blogs und Interessierte, dass sich ein eigener Aggregator lohnt.

 

Planet History wird mit Twitter, Facebook und Google+ in verschiedenen Social-Media-Kanälen begleitet, wo die Beiträge beworben werden. Diese Kanäle funktionieren sehr unterschiedlich. Kannst Du uns Deine Erfahrungen damit schildern?

So unterschiedlich funktionieren die Kanäle auch nicht – sie nutzen den RSS-Feed von Planet History, in dem alle neuen Beiträge auftauchen, und das „Schweizer Taschenmesser des Internets“, IFTTT, um dann einen Beitrag in dem jeweiligen Sozialen Netzwerk zu erstellen. Das funktioniert völlig automatisiert und erfordert keine extra Arbeit.

Große Erfahrungen kann ich nicht teilen – ich verzichte ganz bewusst auf allen meinen Blogs auf Statistik-Tools und daher kann ich noch nicht mal sagen, wie viele Leute täglich Planet History lesen. Ich kann daher eigentlich nur sagen, dass der Facebook-Auftritt eigentlich eine schlechte Idee ist – Facebook manipuliert seinen Newsfeed und zeigt dem User nicht alle Beiträge aller gelikten Seiten an, sondern nur eine Auswahl. Im Kern ist es das Geschäftsmodell von Facebook, einen kaputten RSS-Reader anzubieten und dann den herausgefilterten Seiten gegen Gebühr anzubieten, ihre „Reichweite“ zu erhöhen. Wer Planet History also auf Facebook abonniert, bekommt nur eine wahllos gefilterte Auswahl der Posts zu sehen – wenn Facebook nicht das führende soziale Netzwerk wäre und die Einrichtung so einfach wäre, würde ich PH dort nicht reinfüttern. Google Plus kann man eigentlich auch vergessen – dort sind zu wenig Leute. Aus diesem Grund habe ich bisher auch noch keine Seiten für andere Netzwerke wie Ello gebaut, das lohnt sich einfach nicht. Twitter läuft hingegen gut, kann aber logischerweise keine Teaser anzeigen. Am besten liest sich Planet History direkt auf der Webseite oder als Feed im eigenen Feedreader. Idealerweise liest man Planet History aber gar nicht, sondern abonniert sich selbst die Blogs, die einen interessieren, in seinem eigenen Feedreader.

 

Dein Eindruck von der Entwicklung der deutschsprachigen Geschichtsblogosphäre in den letzten Jahren?

Es tut sich auf jeden Fall etwas – als ich 2008 mit dem geschichtlichen Bloggen anfing, gab es nur eine handvoll Blogs. Diese wurden größtenteils von Privatpersonen betrieben. Mittlerweile gibt es über 200 Blogs und zunehmend starten auch Institutionen ihre eigenen. Das ist definitiv eine gute Entwicklung – gerade Hypotheses macht eine sehr gute Arbeit und hat viele Wissenschaftler zum Bloggen gebracht. Gleichzeitig finde ich es allerdings – trotz der guten Arbeit von Hypotheses – schade, dass so viele Wissenschaftler sich auf einen Dienstleister verlassen. Das selbstgehostete Blog bietet einfach mehr Möglichkeiten als die doch recht starren Plattformen von Hypotheses, Blogspot oder WordPress.com. Planet History könnte ich dort etwa nicht betreiben – und das Herumspielen an seinem eigenen Blog ist die Voraussetzung dafür, um irgendwann andere Projekte umzusetzen. Ich betreibe etwa nicht nur ein Blog, sondern etwa auch noch ein privates Wiki und diverse andere Sachen auf meinem Server. Und da ich damit sehr zufrieden bin, kann ich jedem nur empfehlen, auch mal andere „technische“ Projekte jenseits der Blogs zu versuchen. Blogs sind ja nur ein Teil der Möglichkeiten des Internets.

 

Planet History war eine Weile offline …

Ich habe Anfang September ein Einschreiben in meinem Briefkasten gefunden, in dem ein Fotograf von mir 200€ forderte. Ein in Planet History integriertes Blog hatte ein Bild eingebunden, dieses war urheberrechtlich geschützt und nun hat der Fotograf von mir Geld gefordert. Statt sich an den ursprünglichen Blogger zu richten, wurde ich in die Sache mit reingezogen. Ich habe die Seite dann erstmal offline genommen, um die rechtliche Seite zu klären, und ehrlich gesagt, war auch für eine Weile die Motivation weg.

An dieser Stelle daher eine kleine Warnung an Blogger: Das deutsche Recht ist in Sachen Internet absolut furchtbar. Gerade bei fremden Bildern muss man extrem aufpassen. Die Beiträge im eigenen Blog sind für jeden problemlos per Google zu finden und es gibt auch Reverse-Image-Search-Dienste, mit denen man in wenigen Sekunden herausfinden kann, auf welchen Seiten ein Bild verwendet wird. Als Blogger muss man leider auch Laienjurist sein, um den großen Ärger zu vermeiden, denn man weiß nie, wer alles sein privates Blog liest. Als Alternative bietet es sich an, einfach anonym zu bloggen.

 

Herzlichen Dank für die ausführlichen Antworten – und für Dein Engagement! 

 

Michael Schmalenstroer hat an der Universität Freiburg Neuere und Neueste Geschichte und Europäische Ethnologie studiert und 2012 mit dem Master in Vergleichender Geschichte der Neuzeit abgeschlossen. Er bloggt seit 2010 unter http://schmalenstroer.net/, twittert als @MSchFr. Er gehört zum Team des Projekts @9nov38.

Quelle: http://bioeg.hypotheses.org/649

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Rezension: Florian Kerschbaumer/Tobias Winnerling (Hg.): Frühe Neuzeit im Videospiel

Florian Kerschbaumer/Tobias Winnerling (Hg.): Frühe Neuzeit im Videospiel. Geschichtswissen­schaftliche Perspektiven (= Histoire 50), Bielefeld: Transcript 2014, 336 S., ISBN 978-3-8376-2548-6

Von Josef Köstlbauer (Wien)

Viele HistorikerInnen mögen das digitale Spiel als ein der geschichtswissenschaftlichen Betrachtung weitgehend entzogenes Phänomen ansehen, als ein pop­kulturelles Wellengekräusel in den gegenwartsnahen Uferzonen der Geschichte. Und doch ist das digitale Spiel auch in der Geschichtswissenschaft kein unbe­achtetes Thema mehr. Weshalb das so ist, machen die Herausgeber des vorliegenden Bandes schnell klar: Sehr viele Computerspiele verarbeiten historische Stoffe. Zudem sind sie ein beliebtes Medium, weitaus populärer als historische Sachbücher oder sogar His­torienfilme. Die Herausgeber schlagen dafür den Be­griff „historisierende Videospiele“ vor: „Sie produzie­ren fremdartige Zeiten. Sie historisieren.“ (S. 14)

Es sind vor allem HistorikerInnen jüngeren Jahrgangs und mit persönlicher Spielerfahrung, die sich in den letzten Jahren diesem Gegenstand zugewandt haben. In ihrer theoretischen Ausrichtung und ihrem metho­dischen Zugriff sind sie stark von Disziplinen beein­flusst, die schon wesentlich früher „zu spielen“ begon­nen haben. Zu nennen sind vor allem die Medien- und die Filmwissenschaften sowie die junge Disziplin der Game Studies.

Die eindrucksvolle inhaltliche und methodische Band­breite der im vorliegenden Band versammelten Aufsät­ze illustriert dies nachhaltig. Erwähnt sei beispielswei­se Simon Maria Hassemers origineller methodischer Ansatz zur Untersuchung von Computerspielen. Er geht davon aus, dass Videospiele im Unterschied zu Film oder Literatur kein fertiges Produkt sind, son­dern immer einen Moment subjektiver und nicht re­produzierbarer Erfahrung beinhalten. Daher plädiert Hassemer für die videografische Dokumentation von Spielprozessen und für die Einbeziehung von Spielauf­zeichnungen in die Analyse von Spielen. Simon Huber skizziert eine von Claus Pias inspirierte medienar­chäologische Untersuchung der filmischen Zwischen­sequenzen in Spielen und wirft damit ein Schlaglicht auf einen wenig beachteten Aspekt der Geschichte des Videospiels. Ganz buchstäblich einem Randthema widmet sich Adam Chapman, der die Bedeutung des off-screen space untersucht, also des nicht dargestell­ten aber in der Imagination der Spielenden evozierten Raumes jenseits des Bildschirmrandes. Tim Raupach und Martin Weis verhandeln die komplementären Phänomene der Erzeugung von Authentizität in Com­puterspielen und den Umgang mit dem Ahistorischen, das die Spielmechanik auch in historisierenden Spielen erzwingt. Gleich zwei Aufsätze widmen sich der Dar­stellung von Piraten in Computerspielen und wie hier populärkulturelle Projektionen neue Interpretationen erfahren (Gunnar Sandkühler und Eugen Pfister). Mehrere Beiträge beschäftigen sich mit Aspekten der Assassin’s Creed-Spiele, so etwa mit der simulierten und interaktiv erfahrbaren Städtearchitektur (Gernot Hausar), mit der Funktion von Spielen innerhalb des Spiels (Andreas Fischer) oder mit den Möglichkeiten einer geistesgeschichtlichen Annäherungen an diese Spiele (Sinem Kılıç).

Angesichts dieses breiten inhaltlichen Spektrums war es offensichtlich nicht leicht, eine inhaltliche Struktu­rierung des Bandes vorzunehmen. Die Herausgeber unterscheiden zwischen Beiträgen, die sich damit be­schäftigen „was historisiert wurde“, und Beiträgen, die untersuchen „wie historisiert wurde“. Gleichzeitig ist der Band in zwei Teile gegliedert. Der erste versam­melt acht Beiträge, die sich mit Fragen der Methodo­logie und Theorie auseinandersetzen, den zweiten Teil bilden sieben Aufsätze, die als Fallstudien bezeichnet werden und vor allem einzelne Spiele analysieren. Notwendigerweise sind die Grenzen fließend, weder kommen die Beiträge des ersten Teiles ohne (durchaus eingehend vorgestellte) Fallbeispiele aus, noch sind die Beiträge des zweiten Bands theoriefern.

Bei aller inhaltlichen Breite fällt auf, dass einige weni­ge Spiele-Titel bevorzugt zum Studienobjekt gemacht werden, während abseits des Mainstreams verortete Spiele kaum Beachtung finden. Assassin’s Creed domi­niert das Feld mit großem Abstand, in insgesamt acht Beiträgen werden die Spiele dieser Reihe eingehender betrachtet. Es folgen weit abgeschlagen Age of Empires und Total War. Dieses Ungleichgewicht ist zum Teil sicher der thematischen Vorgabe Frühe Neuzeit ge­schuldet. Es lässt sich auch argumentieren, dass eta­blierte Produkte wie Assassin’s Creed, Age of Empires oder Civilization einen weitaus größeren Personen­kreis erreichen. Daher empfehlen sie sich besonders für eine Analyse populärkultureller Diskurse und His­torisierungsphänomene. Vielleicht greifen auch für den Massenmarkt konzipierte Spiele bevorzugt histo­rische Themen auf, das wäre für sich genommen schon eine untersuchenswerte Frage.

Trotzdem ist festzuhalten, dass das Angebot an Spielen mittlerweile sehr heterogen ist und die Produkte un­abhängiger Spieleentwickler an Bedeutung gewonnen haben. Lutz Schröder trägt dem mit seinem Beitrag über Modding insofern Rechnung, als er verdeutlicht, dass die Untersuchung von Mods und Modding-Com­munities wertvolle Einblicke in die kritische Ausein­andersetzung der SpielerInnen mit bestimmten histo­rischen Thematiken ermöglicht.

Wenn man einen Kritikpunkt anbringen will, dann wäre wohl auf den Titel dieses Sammelbandes zu ver­weisen. Geschichtswissenschaftliche Perspektiven auf die Frühe Neuzeit in Videospielen erhält man nur bedingt, vielmehr bleibt der Umgang mit der Frühen Neuzeit seltsam unbestimmt. Die vorwiegend behan­delten Spieletitel (s. o.) sind zwar thematisch in der Frühen Neuzeit angesiedelt, aber nur wenige AutorIn­nen diskutieren die Kategorie der Frühen Neuzeit, was sie ausmacht und was von ihr Eingang in Computer­spiele findet. Eine Ausnahme bildet der Beitrag Anton Zwischenbergers. Er vergleicht die unterschiedliche Bedeutung von Epochengrenzen in Age of Empires und Europa Universalis und weist auf historische Pro­zesse wie die frühneuzeitliche Hexenverfolgung hin, die in Aufbau- und Strategiespielen in der Regel un­beachtet bleiben. Vermutlich werden aber historisch gebildete LeserInnen dies nicht als Defizit empfinden, lässt sich doch aus den Beiträgen implizit durchaus etwas darüber erfahren, welche Vorstellungen von der Frühen Neuzeit in Videospielen integriert werden und wie sie von Spielenden aufgegriffen werden.

Allein aufgrund der Fülle und der innovativen An­sätze der versammelten Beiträge ist dieser Band zu empfehlen. Er verspricht zum einen Ertrag für LeserInnen, die mit dem Feld vertraut sind, da viele der Beiträge auf hohem theoretischen Niveau verfasst sind und sich durch große Originalität auszeichnen. Zum anderen profitieren sicher auch Studierende der Ge­schichte von der großen Bandbreite an Inhalten und Methoden, die hier vorgestellt werden und die in ihrer Gesamtheit einen nützlichen Überblick über mögliche Themen und Zugänge bieten.

Printversion: Frühneuzeit-Info 25, 2014, S. 280f.

Quelle: http://fnzinfo.hypotheses.org/117

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Aus meinem Journal des Luxus und der Moden


Zelle.

(Mai 2003)

Meine Zelle misst knapp fünfzehn Quadratmeter, durch einen Querriegel geteilt. Sie ist aus Stahlbeton, fensterlos und über eine Alarmanlage direkt mit der Polizei verbunden. In ihr herrscht, selbst bei entsicherter und geöffneter Tür, eine Stille, die so absolut ist, dass der Klimaregler sich anhört wie eine startende Boeing. Meine Zelle ist das Herz einer über 260 Jahre alten Bibliothek mit ca. 35-40 000 Bänden, die genaue Zahl weiß man nicht, die letzte Zählung war vor mehr als zwanzig Jahren. Die diese Bibliothek umgebende Lehranstalt, die ebenso so alt ist, hat eine äußere Hülle von 1972, die von dem dänischen Stararchitekten Arne Jacobsen entworfen wurde. Meine Zelle heißt „Bunker“.

***

Vor einer Reihe von Jahren bin ich einmal in einer 9. Klasse mit knapp dreißig auf mehrere Beutel verteilten Büchern zu meinem Deutsch-Unterricht erschienen, hatte die Beutel ausgekippt und die Anwesenden aufgefordert, sich eins der Bücher zu nehmen und es zu lesen. Es handelte sich sämtlich um Neuerscheinungen aus den letzten zwei, drei Jahren, Hardcover-Erstausgaben aus meiner eigenen Bibliothek. Die Idee war im Gespräch mit meinem Buchhändler entstanden. Wir hatten uns die Frage gestellt, wie man mehr oder weniger nagelneue und qualitativ überdurchschnittliche internationale Erzählungen und Romane, die man für die Altersklasse geeignet hält, in den Literaturunterricht der höheren Lehranstalten kriegt. Wir sprachen vermutlich, genau erinnere ich mich nicht, unter anderem über Ian McEwan und seinen „Zementgarten“, über Alex Garlands „Strand“ oder Andrzej Zaniewskis „Ratte“. Eine Anschaffung im Klassensatz war aus Kostengründen – und auch denen einer Logik der Lehre – ausgeschlossen. Leseliste? Zu riskant für meine Glaubwürdigkeit: Was ist, wenn sich einer meiner Abhängigen ein Buch für DM 48,- kauft auf meine Empfehlung und es hernach völlig blöd findet? Mit dem Buchhändler war ich kurz durchgegangen, was ich in den letzten Monaten, im letzten Jahr alles erworben hatte. Warum sollten die Sachen eigentlich, einmal gelesen, bei mir als Wandschmuck vergilben?

***

In meiner Zelle bin ich allein mit Lederrücken, die allerlei Absonderlichkeiten bergen. Ich bevorzuge das Prinzip des Zufalls. Der einzige bewegliche Gegenstand ist eine alte Sitzleiter. Ich schiebe sie irgendwohin, steige hinauf, sondiere das erreichbare Karree, greife mir einen kleinen schweinsledernen Schinken, setze mich auf den obersten Absatz der Leiter und untersuche das Fundstück, eine deutsche Sprachlehre von 1700 zum Beispiel. Sie ist nicht wirklich eine Grammatik, aber so etwas Ähnliches, eher ein Wörterbuch mit bereits enzyklopädischem Anspruch, und erweist sich als Anthologie der deutschsprachigen Lyrik des 16. und 17. Jahrhunderts. „Der Aemter Last ist groß / sind schwer die hohen Würden / Drumb pfleget man sie auch / den Eseln aufzubürden“ dichtet Daniel Georg Morhofen, um die Kunst des Epigramms zu verdeutlichen, die sich im 17. Jahrhundert bereits zur improvisierenden, geselligen Dichtung entwickelte und bis auf den heutigen Tag zum Formenschatz „höheren Unsinns“ gehört.

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Der Verleih meiner Erstausgaben in der 9. Klasse hatte einwandfrei funktioniert. Das System war überschaubar gewesen: 1. Das Buch war im selben Zustand zurückzugeben. 2. Wer es innerhalb einer Woche nicht zurückgegeben hatte, musste es a) zuende lesen und b) der Klasse vorstellen, wofür man c) keine Note bekam. Es gab kaum Rückgänge, vielmehr einen lebhaften Tauschbetrieb und einen glücklichen Zufall. Einer der Romane, „Der Strand“, gerade drei Jahre alt, stand zur Verfilmung an, wie ein Mädchen aus „cinema“ zu zitieren wusste, mit Leonardo DiCaprio in der Hauptrolle. Das half lesen. Man kann ja nie wissen.

***

In meiner Zelle blättere ich in den Briefen von Ludvig Holberg, Erstausgabe der deutschen Übersetzung aus dem Dänischen von 1749. Der Mann befindet sich auf Bildungsreise, schreibt ganz flott und krittelt ziemlich amüsant. „Sehen wir einen Bauern, der in die Hand die Nase schneuzt, und die Unreinigkeit auf die Erde wirft, so nennen wir ihn einen Tölpel; und vielleicht giebt der Bauer den Stadtleuten keinen bessern Tittel, wenn er sieht, dass sie diesen Unflat in ein Tuch legen und in die Tasche aufheben“, sagt er (Bd. III/IV, S.349). Neben den Gesamtausgaben der Briefe und der Komödien steht auch das Buch eines Anonymus in lateinischer Sprache, erschienen in Kopenhagen und Leipzig 1741, auf dessen Rücken jemand mit Feder und Tinte „Holberg“ gemalt hat. Der Titel annonciert die unterirdische Reise eines Herrn Klim. In der deutschen Übersetzung, ebenfalls von 1741, lese ich einen hinreißend komischen und politischen Zukunftsroman.

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Wenn etwas funktioniert, wird man mitunter übermütig. Der Bücherverleih hatte so hübsche Ergebnisse gebracht, dass ich ihn für den Stein der Weisen hielt. Ich wollte mit ihm Geschichte machen. Die Kunstgeschichte ist gut zu lehren, habe ich doch exemplarisch die Bilder, die sofort und als Ganzes erfasst werden können. Mit der Literaturgeschichte geht das nicht so einfach. Kein Mensch, insbesondere wenn er ein Schüler ist, kann so viel lesen in so wenig Zeit. Ich kann Gedichte nehmen. Nur dann sind die Eleven nach einiger Zeit womöglich derer so überdrüssig, dass sie nie wieder welche lesen. Poesie sperrt sich gegen Zielformulierungen.

Ich hatte wieder eine Büchertasche gepackt, sie diesmal vor einem Leistungskurs ausgekippt, zum Zugriff aufgefordert und, nachdem sich jeder mehr oder weniger ratlos ein Buch gegriffen hatte, Nummern für die Titel verlesen, eine Reihenfolge, in der die Bücher dem Kurs vorzustellen seien. Die Vorstellung wurde von mir benotet. Für den Pechvogel mit der Nummer Eins war das gemein gewesen, denn ihm blieb nicht viel Zeit; mir, wie ich hernach feststellen sollte, allerdings auch nicht. Mein ehrgeiziger Plan, auf diese Weise eine kleine Geschichte des literarischen Geistes zu enthüllen, erwies sich als schweißtreibend, denn die Aufgabe, die Fäden aus dem Gewirr zu ziehen, lag bei mir; das daraus Selbstgestrickte hatte kein ordentliches Muster.

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Eines Schulmorgens vor einiger Zeit bin ich aus meinem schwarzen Rennauto gestiegen mit schwarzen Gedanken: Ich geh’ nach Kalifornien. Ein geklauter Spruch, mit dem ich mir das „Kalifornien der Poesie“ von H. C. Andersen zur Drohung verfinstert hatte für den Fall, dass mir mal wieder etwas nicht passt. In der Morgenzeitung war zu lesen gewesen, dass die vorgesetzte Behörde meine Arbeit in Zukunft als Minutentakt mit Stellen hinterm Komma nach Tabelle faktorisieren werde. Ich geh’ nach Kalifornien und bau’ denen im Silicon Valley in ihre Häuser Klos, die aussehen, als hätten sie mal im Château Chambord gestanden. Moderne Zeiten: Statt nach Kalifornien ging ich in die Zelle.

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Planung gerät manchmal durcheinander, wenn man zu schlau sein will. Mein Deutsch-Grundkurs im zweiten Semester kennt „Die Leiden des jungen Werthers“ nicht. Das wirft mein Programm über den Haufen, hatte ich doch diese Pflichtlektüre höherer Lehranstalten als längst erledigt vorausgesetzt. Werther muss sein und das Ganze bekommt ein neues Thema: Debüt. Ich packe wieder Bücher-Tüten. Die Hälfte der Exemplare ist soeben erschienen und kommt von meinem Buchhändler. Ich kenne nur die Klappentexte. Die Rückgabequote ist relativ hoch, denn einige der jungen Leute sind zum Buchhändler gegangen, um sich selbst ihre Erstlinge auszusuchen; andere haben auch ein von Mutter oder Onkel geschenktes Debüt daheim. Die von mir benoteten Buchvorstellungen der Kursteilnehmer erweisen sich als ausschlaggebend dafür, was ich selbst in den Sommerferien lesen werde, die Erstlinge von Gavalda, Kubicek, MacDonell oder Rouaud zum Beispiel.

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Holberg steht gottlob oben im “Bunker” in dem Teil der Bibliothek, den wir „Magazin“ nennen – ein irreführender Name insofern, als dieser Teil, abgesehen vom „Bunker“, ebenso wie der “Lesesaal” unter dem Lehrerzimmer mit den modernen Beständen, eine Präsenz- und Leihbibliothek ist für uns, wenn auch doppelt und dreifach alarmgesichert, so dass Sie zwar hinaus können, aber nicht ohne weiteres hinein. In dieser klösterlichen Anlage soll man, wird mir gesagt, dünne, weiße Handschuhe anziehen, wenn man an die Bücher muss, vor allem an die in den unteren Reihen; dabei gehe es keineswegs um die eigene Haut, sondern darum, dass die Kulturgüter geschont und etwaige Schädlinge nicht weiter in die oberen Etagen verteilt werden. Ich habe mir in der Apotheke ein zweites Paar Allergiker-Handschuhe gekauft, weil eins immer in der Wäsche ist.

Wenn ich in meiner Zelle mit Ludvig Holberg verabredet bin, trage ich die weißen Handschuhe, weil ich das chic finde, und ich beschließe, einen Artikel zu schreiben über „Nicolai Klims Unterirdische Reise worinnen eine ganz Neue Erdbeschreibung wie auch eine umständliche Nachricht von der fünften Monarchie die uns bisher ganz und gar unbekannt gewesen, enthalten ist. Aus dem Büchervorrathe Herrn B. Abelins anfänglich lateinisch herausgegeben, jetzo aber ins Deutsche übersetzt.“

Meine deutsche Ausgabe ist eine Neuauflage von 1780, die ich habe ausleihen dürfen, weil sie vorne im „Magazin“ steht. Oben. „Ich habe dieses Werk schon öfters durch den Druck gemein machen wollen, es haben mich aber noch jederzeit wichtige Ursachen von diesem Vorhaben zurück gehalten“, hatte Herr B. Abelin, der wie der Roman eine Erfindung ist, bereits 1741 hinzu gefügt.

 

Nachwort

Das Journal des Luxus und der Moden, erschienen zwischen 1786 und 1827, war eine beliebte Monatszeitschrift für die neuesten Trends. Das Magazin wurde von der Bibliothek des Christianeums in Altona (heute Hamburg) gehalten; dieses und weitere Zeitschriftenbestände gelangten 1946/47 in die Staatsbibliothek Hamburg.

Ich führe seit über zehn Jahren einen Dateiordner mit jenem Titel auf meiner Festplatte, den ich immer mal wieder ergänze. Der oben stehende Text daraus: Zelle. erschien erstmals in: Christianeum. Mitteilungsblatt des Vereins der Freunde des Christianeums in Verbindung mit der Vereinigung ehemaliger Christianeer, 58. Jg., H. 2. Hamburg, Dezember 2003. S. 97ff.; er wurde hier leicht überarbeitet.

Felicitas Noeske

Quelle: http://histgymbib.hypotheses.org/542

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#wbgavie | Andrea Rönz: Archiv und Stadtgeschichte im Web 2.0 – Das Blog des Stadtarchivs Linz am Rhein

Gastbeitrag von Andrea Rönz (Stadtarchiv Linz am Rhein) anlässlich des Workshops „Bloggen in Geschichtswissenschaft und Archivwesen“, der am 10. November 2014 in Wien stattfindet.

Stadtarchiv Linz am Rhein

Der Aufbau eines Blogs für das Stadtarchiv Linz am Rhein war der letzte Schritt hin zu einer breit aufgestellten Präsentation des Archivs in den sozialen Netzwerken. Bereits seit der Einrichtung einer Facebook-Seite im März 2011 ist das Stadtarchiv im Web 2.0 vertreten und war diesbezüglich einer der Vorreiter im deutschsprachigen Archivwesen. Im Dezember 2011 wurden die Web 2.0-Aktivitäten auf Google+ und Twitter ausgedehnt und des Weiteren ein YouTube-Kanal eingerichtet. Denn die sozialen Netzwerke bieten optimale niedrigschwellige und zugleich kostengünstige Möglichkeiten für die interne und externe Kommunikation – gerade auch für kleinere Archive (das Stadtarchiv Linz wird nur nebenamtlich an einem Tag pro Woche und von nur einer Person betreut). Einen Überblick über die Web 2.0-Aktivitäten des Stadtarchivs Linz bietet die Präsentation „Facebook & Co. – Potentiale sozialer Netzwerke für die Öffentlichkeitsarbeit von Ein-Personen-Archiven“:

 

Ziel war und ist es, durch Social Media einen Eindruck von den Aufgaben und der Bedeutung des Stadtarchivs zu vermitteln, die Leidenschaft für die Geschichte und das Archivwesen nach außen zu transportieren, das Archiv über Linz hinaus bekannt zu machen und Kontakt mit anderen Archivaren, Archiven und kulturellen Institutionen zu knüpfen und aufrecht zu erhalten. Die 2005 aufgebaute Internetseite bietet diese Möglichkeiten nicht ansatzweise, denn sie vereinfacht und vor allem beschleunigt durch den Zugriff auf die Online-Findmittel zwar die Arbeitsabläufe enorm und gewährt dadurch auch eine größtmögliche Benutzerfreundlichkeit, ist aber bis auf den Textticker relativ statisch.

 

Allerdings stoßen auch Facebook, Twitter & Co. an ihre Grenzen, wenn es um die Präsentation längerer Inhalte in Text und Bild geht. Aus diesem Grund und auch vor dem Hintergrund der guten Erfahrungen mit dem von der Linzer Stadtarchivarin mitbetreuten 1914-Blog des Landschaftsverbands Rheinland und des derzeit noch in der Entwicklung steckenden Blogs für den Archivtag Rheinland-Pfalz/Saarland kam die Idee zu einem eigenen Blog des Stadtarchivs Linz auf. Die Wahl fiel auch diesmal auf das wissenschaftliche Blogportal hypotheses.org.

 

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Ausschlaggebend für den Weg in die Blogosphäre war der Wunsch, die im Mai 2014 gezeigte Ausstellung „Linz im Ersten Weltkrieg“ auch online zu präsentieren. Denn einerseits konnte aus verschiedenen Gründen begleitend dazu kein kompletter Katalog aufgelegt, sondern lediglich die Ausstellungsplakate in einer Broschüre abgedruckt und andererseits die Ausstellung in ihrem vollen Umfang nur gut eine Woche gezeigt werden. Das Archiv-Blog diente also zunächst als Online-Katalog und wird jetzt in der Folge sukzessive mit Beiträgen zur Stadtgeschichte und weiteren Inhalten, auch zu Archiven & Web 2.0, gefüllt. Dafür werden auch von der Stadtarchivarin ursprünglich für Printpublikationen wie Pressemitteilungen, Artikel für das Heimatjahrbuch oder Broschüren erstellte Texte verwendet, die alle mehr oder weniger brachliegen, längst vergriffen bzw. nicht mehr abrufbar sind und so zu neuem Leben erweckt und verbreitet werden. Die erfreulichen Zugriffszahlen und das positive Feedback zeigen, dass sich der Schritt gelohnt hat.

 Stadtarchiv Linz am Rhein

 

Andrea Rönz M.A., 1994-1999 Studium der Germanistik und Mittleren und Neueren Geschichte in Bonn, seit 2004 Leiterin des Stadtarchivs Linz am Rhein. Betreut die Social-Media-Auftritte des Stadtarchivs auf Facebook, Google+, Twitter und YouTube sowie das Blog des Stadtarchivs, zählt zu den Administratoren der Blogs „Archivtag Rheinland-Pfalz/Saarland“ und „1914 – Mitten in Europa. Das Rheinland und der Erste Weltkrieg“.

 

Quelle: http://bioeg.hypotheses.org/598

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Tagungsbericht: Der Europagedanke im Vormärz

Vom 10. bis zum 11. Oktober 2014 richtete die Siebenpfeiffer-Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Historische Europastudien im Saarland (ZHEUS) im Schlossberghotel Homburg ein wissenschaftliches Kolloquium zum Europagedanken im Vormärz aus. Der Austausch über Europa hat bis heute nicht an Brisanz verloren und ist nach wie vor aktuell. Allerdings schenkte die Forschung dem Europagedanken im Vormärz in seinen verschiedenen Schattierungen bisher wenig Aufmerksamkeit, diese Lücke soll nun geschlossen werden. Mit der Organisation der zweitägigen Tagung wurde Professor Klaus Ries, Friedrich-Schiller-Universität Jena, beauftragt, der auch die vorgetragenen […]

Quelle: http://achtundvierzig.hypotheses.org/797

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