Luise hilf! Ein rheinisches Stoßgebet an die ‘preußische Madonna’.

Als “désastreuse époque” bezeichnete Maria Isabella Geyr von Schweppenburg (†1811) im Herbst 1800 die zurückliegenden Jahre, jene Jahre seit dem Einmarsch der Revolutionstruppen ins Rheinland (Oktober 1794), jene Jahre, die dem rheinischen Adel das Äußerste abverlangt hatten. Von Maria Isabella hatten sie den Tod ihres Mannes, die Plünderung, Verwüstung und anschließend die Sequestrierung ihrer Familiengüter, den Fortfall ihrer Titel, Prädikate und Herrschaftsrechte gefordert. Darüber hinaus waren die Präbendenstellen, mithilfe derer ihre zwei Jüngsten versorgt worden waren, der Säkularisation zum Opfer gefallen, waren die einträglichen Hof- und Verwaltungsämter in landesherrlich-kurkölnischen Diensten, wie sie noch ihr Gatte und zuletzt ihr Ältester innehatten, weggebrochen.

Ein standesgemäßes Leben – ob links oder rechts des Rheins –, ja die bloße Existenz schienen in Gefahr. In ihrer augenscheinlichen Verzweiflung wandte sich die rheinische Freiherrin an Luise Königin von Preußen (1776-1811), deren haute protection sie sich offenbar 1793 während eines Aufenthalts der “Jungfer Husch” in der Bäderstadt Aachen erworben hatte. Der preußische Gesandte in Paris, der General Bernadotte und zuvorderst Josephine Bonaparte sollten durch die Preußenkönigin für die Sache Maria Isabellas gewonnen werden, sich beim Ersten Konsul der Französischen Republik für eine Aufhebung des auf den Geyerschen Gütern liegenden Sequesters verwenden. Und tatsächlich zeugen die in ihrem typischen, fehlerhaft-verhuschten Französisch abgefassten Antwortschreiben Luises von etlichen Bemühungen um ihre Klientin, spenden dieser Trost und Aufmunterung, zeugen darüber hinaus jedoch in überaus bemerkenswerter Weise von der Auseinandersetzung Königin Luises mit der Situation der französisch besetzten Rheinlande, des dortigen Adels, der Emigrantenproblematik, zeigen Luise räsonierend über die Schrecken der Revolution, über Möglichkeiten, jener “nation française” und ihrem gefährlichen esprit de démocratie” endlich Einhalt zu gebieten.

Die Frage, ob und inwiefern das Hilfegesuch der Witwe Geyr Früchte trug, gerät bei der Lektüre solcher Korrespondenzen rasch zur Nebensache. Und es manifestiert sich hier auch weit mehr als jenes weitere Mosaiksteinchen in der Überlieferung zur berühmten preußischen Königin, die vor allem dem Bürgertum zum Mythos wurde. Adlige Frauen, Adelsarmut, (weibliche) adlige Patronagenetzwerke um 1800, Ängste, Feindbilder und Verlusterfahrungen zweier Vertreterinnen ganz unterschiedlicher europäischer Adelsgruppen – dies sind nur einige der Themen und Forschungsfragen, die hier sofort ins Auge springen. Sie kreisen im Kern um adlige “Gewinnerinnen und Verliererinnen”. Luise, hilf doch mit!

Florian Schönfuß

Quelle: http://rhad.hypotheses.org/423

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Frankophile Schlotbarone? Rheinischer Adel als Unternehmer

Wer suchet, der findet. Gemäß dem Werbeslogan einer bekannten Pils-Brauerei findet der archivstreunende Adelsforscher – nicht immer, aber immer öfter – Materialien und Überlieferungen, die nicht in sein und schon gar nicht in das allgemein verbreitete Bild vom Adel, seinen Betätigungsfeldern und Wertehorizonten passen wollen. Immer öfter? Ja, durchaus, je weiter man nämlich dem adligen “Aufbruch in die Moderne” chronologisch folgt. Zu diesen auffälligen Trouvaillen zählen rege Korrespondenzen zwischen Adligen auf der einen und Rentmeistern, Verwaltern und Werksdirektoren, Agenten, Händlern und Lieferanten, “Aufsehern” und Prospektoren, Handelskammern und Bergämtern auf der anderen Seite. Lohnkosten und Absatzmärkte, Transportwege und Zollschranken, die Qualität von Grubenhölzern, plötzliche Wassereinbrüche und Bergstürze, ja selbst die Funktionsweise von Dampfmaschinen und Schleusenanlagen werden hier von und mit “Hochwohlgeboren” en détail erörtert. Ergänzt u.a. um einschlägige Rechnungsbücher, Rechenschaftsberichte und Prozessakten, Knappschaftslisten, Denkschriften zum Bergrecht und etliche Gruben-, Stollen-, und Werkskartierungen vermitteln sie den Eindruck großer Geschäftigkeit, reger Investitionstätigkeit, betriebswirtschaftlicher Ambition und unternehmerischer Initiative – kurz der Teilhabe des Adels am in der Region bereits vor 1800 einsetzenden Industrialisierungsprozess.

Dass sich Adel bereits weit vor den tiefgreifenden Wandlungsprozessen der Sattelzeit (1750-1850) als Unternehmer betätigte, hat Fritz Redlich seinerzeit (Der Unternehmer, 1964) sehr scharfsinnig darzulegen vermocht. Doch haben die Entwicklungen zwischen Agrarischer, Französischer und Industrieller Revolution mit Blick auf ein adliges Unternehmertum nochmals eigenen Charakter, nicht zuletzt was Marktorientierung und Kapitalinvestition anlangt. Für den rheinischen Adel ergab sich aufgrund der enormen Herausforderungen und Belastungen der “Franzosenzeit”, aber auch zahlreicher neuer Chancen, die beispielsweise das Nationalgütergeschäft, das (späterhin zäh verteidigte) französische Handels- und Bergrecht, die napoleonische Schutzzollpolitik uvm. mit sich brachten, nochmals eine besondere Ausgangssituation. Sie mündete in neuen unternehmerischen Aktivitäten, z.B. im Braunkohletagebau und Steinkohlebergbau, in der Papierherstellung, im Brauereiwesen, im holzverarbeitenden Gewerbe, in der Textil- und Eisenwarenindustrie, und verhalf altbestehenden adligen Regie-Unternehmungen zu neuer Dynamik. Daneben blieben etliche Standesgenossen – so viel lässt sich bereits festhalten – lediglich “stille Teilhaber”, Aktionäre und Profiteure, ohne selbst unternehmerisch aktiv zu werden.

Trotz einiger erster Untersuchungen und wissenschaftlicher Konferenzen (so die Tagung “Adel als Unternehmer im europäischen Vergleich”, 1.-2. Oktober 2009 auf Schloss Ehreshoven bei Overath, gefördert von der Fritz-Thyssen-Stiftung), die vor allem eine perspektivische Bestandsaufnahme der vorhandenen Überlieferungen initiierten, klaffen zwischen “Beisselgrube” und “Spee’schen Papiermühlen”, zwischen “Grube Franziska” und “Salm-Alfterschen Sauerbrunn” (http://rhad.hypotheses.org/98) noch weit ausgedehnte Forschungslücken. Sie allmählich zu schließen, bedarf noch etlicher Probe- und Folgebohrungen in den Adelsarchiven, weiterer Transmissionsriemen und Verbindungsstollen in die Wirtschafts-, Industrie-, und Unternehmensgeschichte, jeder Menge Druck im Kessel und einer bisweilen redlich-nonchalanten Bereitschaft zum “unternehmerischen Risiko”. Glück auf!

Florian Schönfuß

Quelle: http://rhad.hypotheses.org/406

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Liberal wie ein Fürst. Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck und der rheinische Provinziallandtag

Als der ständisch gegliederte rheinische Provinziallandtag im Jahre 1826 erstmals zusammentrat, gehörte ihm Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck als Mitglied des Ersten Standes an. Zwar waren seine Bemühungen um eine Anerkennung als ‘Standesherr’ vergeblich geblieben, doch gewährte ihm Friedrich Wilhelm III., so wie anno 1816 den Fürstentitel, “rein aus Gnade” eine entsprechende Stellung innerhalb des regionalen Vertretungsorgans, einhergehend mit einer Virilstimme. Fürst Joseph nahm bis 1852 an allen Sitzungen dieses in seinen Kompetenzen zwar stark eingeschränkten, allein vom König einzuberufenden und vom landbesitzenden Ritterstand dominierten Provinzialparlaments teil. Doch sollte der Provinziallandtag andererseits zur Bühne zahlreicher vehement geführter politischer Debatten im Zentrum-Peripherie Konflikt der katholisch dominierten, durch ihr französisches Erbe gekennzeichneten Rheinprovinz mit der preußischen Zentralregierung werden.

1830 wurde Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck zum Landtagsvizemarschall ernannt. Doch im Gegensatz zu den meisten seiner hier ebenfalls vertretenen adligen Standesgenossen, die eine letztlich erfolgreiche, auf möglichst weitgreifende Rearistokratisierung gerichtete Standespolitik betrieben, setzte sich Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck für durchaus ‘liberale’ Ziele ein. Er erinnerte immer wieder an das Verfassungsversprechen von 1815, mahnte zur Pressefreiheit und engagierte sich für eine grundsätzliche Emanzipation der Juden in ganz Preußen. Zuvorderst jedoch gehörte er zu den Vorkämpfern einer Erhaltung des ‘Rheinischen Rechts’ bzw. des Code Civil als wesentlichstem Vermächtnis der französischen Herrschaft am Rhein. Nicht zuletzt dies brachte ihm rasch den Ruf eines ‘Franzosenfreunds’ ein.

Die vordergründige Widersprüchlichkeit, die zwischen dem Einsatz für ein auf dem Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz beruhendes Rechtssystem auf der einen, und dem Streben nach teilsouveräner lokaler Herrschaftsausübung als Standesherr auf der anderen Seite zu bestehen scheint, lösen einschlägige Artikel innerhalb der multiperspektivischen Netzbiographie geradezu auf. Sie gewähren darüber hinaus wertvolle Einblicke in die gesellschaftlichen Netzwerke und Einflusssphären eines regionalen Granden, dessen politische Ambitionen insbesondere dann als ‘liberal’ erscheinen, wenn man sie als diejenigen eines “Fürsten” betrachtet.

Florian Schönfuß

Quelle: http://rhad.hypotheses.org/317

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