Kolonialvereine in Europa zwischen nationaler Konfrontation und transnationaler Kooperation (1870-1914)

Ab den 1870er Jahren gründeten sich in ganz Europa kolonialpolitische Gesellschaften und Vereine. Sie sahen es als ihre Aufgabe an, für die koloniale Expansion zu werben und durch die Entwicklung von kolonialen Theorien der praktischen Kolonisation den Weg zu bereiten. Diese Vereine, die sowohl als Lobbygruppen, als auch im Sinne von Gelehrtengesellschaften auftraten, leisteten einen bedeutenden Beitrag zur Ausformulierung und Verbreitung kolonialpolitischer Programme und Theorien. In meinem Dissertationsprojekt möchte ich die Kolonialvereine aus Deutschland, Frankreich, Belgien und Spanien vergleichen und sie hinsichtlich ihrer transnationalen Beziehungen untersuchen.

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Das Propagandainstrument der Deutschen Kolonialgesellschaft

Im Mittelpunkt steht dabei die soziale und ideelle Verortung der Kolonialverbände im Spannungsfeld von nationalistischen Positionen und internationaler Kooperation. Die Kolonialvereine und der von ihnen produzierte koloniale Diskurs soll durch die Verbindung komparativer und transfergeschichtlicher Methoden analysiert werden, um so ihren je besonderen Beitrag zur Entwicklung eines „europäischen Kolonialismus“ zu ermessen. Dieser wiederum situierte sich im globalen Kontext der Wechselwirkungen zwischen kolonisierenden und kolonisierten Gesellschaften, sowie der interimperialen Konflikte. Die Kolonialverbände bilden als Knotenpunkt dieser verschiedenen Wirkmuster einen Ansatz, globale Verflechtungen nachzuvollziehen und das Phänomen des Kolonialismus in seiner Komplexität neu zu erfassen und zu deuten.

Der mitgliederstärkste  Kolonialverein im Untersuchungszeitraum  war die Deutsche Kolonialgesellschaft (1887), der 1914 mehr als 40 000 Mitglieder angehörten. Als erste kolonialexpansive Vereinigung kann allerdings die international agierende Association Internationale Africaine, die in 1876 in Belgien gegründet wurde, angesehen werden. Die Union Coloniale Française wurde 1893 ins Leben gerufen, drei Jahre nach der Gründung des einflussreichen Comité de l‘Afrique Française. In Spanien übernahm zunächst die Real Sociedad Geográfica de Madrid die Funktion als Sammelbecken für kolonialistische Interessen, bevor 1883 die Sociedad Española de Africanistas y Colonialistas und 1885 die Sociedad Española de Geográfia comercial hinzukamen. Von 1900 bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges kam es einerseits zur Konsolidierung der bestehenden Verbände und andererseits zur Ausdifferenzierung und Neugründung von regional- und spartenspezifischen Untergruppen.

Mit großem Aufwand betrieben sie ihr satzungsgemäß oberstes Ziel, zunächst die Nation für die koloniale Sache zu gewinnen, bevor man zur Kolonisation an sich schritt. Die „koloniale Erziehung“ des Volkes sollte die Kongruenz von kolonialem Mutterland und nationalem Vaterland deutlich machen. Die erzieherischen Maßnahmen bestanden in allen vier Ländern aus einer breit angelegten Propagandakampagne mit Broschüren und Flugblättern, Vortragsabenden mit Lichtbildvorführungen, Kolonialausstellungen und kostenlosem Lehrmaterial für Schulen. Die Kolonialverbände richteten öffentlich zugängliche Kolonialbibliotheken ein, gründeten Kolonialmuseen und trieben die Institutionalisierung der Kolonialwissenschaften voran. Zudem agierten sie als koloniale Presseagenturen und sendeten vorformulierte Artikel an die Tageszeitungen. Zusätzlich zu dieser nach innen gerichteten Zivilisierungsmission der „kolonialen Erziehung“ arbeiteten sie an der Institutionalisierung der  von Kolonialwissenschaften an Universitäten. Die Einrichtung von Ausbildungsstätten für Kolonialbeamte ging genauso auf ihre Initiative zurück, wie die Organisation und Finanzierung wissenschaftlicher Expeditionen. Europäische Regierungen suchten zum Beispiel anlässlich der Berliner Kongo-Konferenz von 1884/5 den Rat der Experten aus den Kolonialverbänden, weil eigenständige Kolonialministerien noch nicht existierten. Unternehmer informierten sich in den Publikationen der Kolonialvereine über Gewinnaussichten in den Kolonien und Ergebnisse der Expeditionen zur Rohstoffsuche. Obwohl die Beziehungen der Kolonialverbände zu Regierungen und Unternehmern immer zwiespältig blieben, versuchten letztere die privaten Initiativen „von unten“ für ihre eigenen Zwecke zu nutzen. Umgekehrt konnten Kolonialvereine Teilerfolge in der Mobilisierung von Kapital für die Kolonien und von staatlicher Unterstützung für Kolonisation erzielen, auch wenn die Erwartungen nicht annähernd erfüllt wurden.

Neben der Aktivität auf nationaler Ebene setzten die Kolonialvereine von Beginn an auf eine internationale Kooperation der kolonisierenden Länder. Der Austausch erfolgte zunächst auf gemeinsamen Konferenzen und durch die Zirkulation der kolonialexpansiven Literatur in einem gemeinsamen europäischen Kommunikationsraum. Standardwerke zum Kolonialismus wurden in die eigene Sprache übertragen. Dafür wurden eigens Übersetzer und Experten angestellt. Auch die Organisationsstruktur der Vereine wurde zum Ziel gegenseitiger Nachahmungsversuche. In Deutschland bewunderte man den (angeblichen) Einfluss der französischen „Kolonialpartei“ im Parlament, während man in Frankreich neidvoll auf die Deutsche Kolonialgesellschaft blickte, weil diese es schaffte, die Massen für die koloniale Sache zu mobilisieren.

Das wichtigste Ergebnis der internationalen Kommunikation war aber der Austausch von kolonialpraktischer Erfahrungen und kolonialtheoretischer Rechtfertigungsstrategien. Der Austausch von Erfahrungen sollte der effizienteren Gestaltung kolonialer Herrschaft dienen. Der kolonialtheoretische Teil diente zur Legitimation dieser Herrschaft und spiegelt sich in Konzepten wie der „Zivilisierungsmission“ oder der Notwendigkeit einer „Pazifizierung“ der Kolonisierten wieder. Diese Euphemismen halfen, koloniale Eroberung und Ausbeutung vor der internationalen Öffentlichkeit zu verschleiern und zu rechtfertigen.

http://www.ub.uni-frankfurt.de/afrika/bildsammlung.html

Die internationale Expedition zur Rettung Emin Paschas

Zu diesem Zweck gründeten führende Mitglieder der Kolonialvereine das Institut Colonial International mit Sitz in Brüssel. Hier sollte die Vorstellung einer gemeinsamen Zivilisation in einem institutionalisierten Austausch gepflegt werden. Die einzelnen Mitgliedsländer sandten Vertreter aus den Kolonialvereinen alle zwei Jahre zu gemeinsamen Sitzungen, während ein ständiges Präsidium und ein Generalsekretariat die laufenden Geschäfte erledigten.

In ihrer Ideologie wurde die Fähigkeit zu Kolonisieren und zu Zivilisieren zum Beleg der Zugehörigkeit zur „zivilisierten Welt“. Der bloße Besitz von Kolonien wurde so zum Merkmal von Modernität erklärt. Dies bedeutete auch, dass im Institut Colonial International die nationale Konkurrenz zwar konkret vermieden, aber nicht generell ausgeblendet wurde. Die Mitglieder waren sich bewusst, dass sie keinen transnationalen Ansatz vertraten, sondern einen internationalen. Auf diese Weise erschien das Europa der Nationen als eine Konkurrenzgemeinschaft, in der Kooperation und Konfrontation bei der kolonialen Expansion parallel existieren konnten.

 

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Fotos: Koloniales Bildarchiv Universitätsbibliothek Frankfurt am Main

Quelle: http://19jhdhip.hypotheses.org/1216

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