Ö1-Diagonal zur Kartoffel

Kontinuierliche Kartoffel-Berichterstattung gehört zu einem Alleinstellungsmerkmal des Adresscomptoirs; wie schön, dass kommenden Samstag (28.3.2015, 17:05-19:00) sich nun Ö1-Diagonal der Knolle widmet:

Diagonal - Radio für Zeitgenoss/innen
Zum Thema: Kartoffel. Die Kraft der Knolle. Präsentation: Johann Kneihs

Sie hat so viel zum Fortschritt beigetragen wie etwa die Eisenbahn, so ihr Biograf Larry Zuckerman: Ein Wunder der Natur, genügsam und ergiebig, ernährt sie auf einem kleinen Flecken Erde mehr Menschen als andere Nutzpflanzen. Sie enthält fast alle Vitamine und Spurenelemente und ist bis zum Polarkreis kultivierbar, wie auch auf 5000 Metern Seehöhe in den Anden. Von ihr zehrte das Proletariat während der Industriellen Revolution; nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg wurden städtische Blumenbeete zu Kartoffeläckern.
Dabei hat jemand sie vielleicht als Kuriosität über den Atlantik mitgenommen, vielleicht im Jahr 1565. Auch wenn die Spanier in der Neuen Welt schon gute Geschäfte mit der "mehligen Wurzel" machten - was die Indios aßen, kam Europäern nicht auf den Tisch. Erst ein-, zweihundert Jahre später, nach Propaganda von Agrarökonomen und königlichen Befehlen, konnte sich das Nachtschattengewächs durchsetzen gegen Weizen im Westen sowie Roggen und Buchweizen im Osten des Kontinents. So wurde es im deutschen Sprachraum unter anderem als Erdapfel, Grundbirne oder Nudel heimisch.
Heute werden weltweit jährlich geschätzte 300 Millionen Tonnen Kartoffeln geerntet, die meisten übrigens in den Reisländern China und Indien (85 bzw. 45 Millionen Tonnen). Für verschiedene Industriezweige ist die Kartoffel Stärke-Lieferant, inzwischen auch gentechnisch modifiziert und experimentell weiterentwickelt. In Großbritannien gelten Fish and Chips als Nationalgericht, doch von der Vielfalt von rund 5000 Sorten findet sich eher wenig in Supermärkten und Restaurants: Ihr Image als Arme-Leute-Speise, als anspruchsloses Nahrungsmittel für einfache (und auch einfältige) Menschen, hängt der pummeligen Knolle auch in Redewendungen nach - bis hin zum Couch Potatoe.

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/1022410615/

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DSI: Database of Scientific Illustrators 1450-1950

Vesuv - Hamilton. Illustrator: Pietro Fabris
Vesuv - Hamilton. Illustrator: Pietro Fabris

Vesuv – Hamilton. Illustrator: Pietro Fabris (1730-1792 oder 1795), in: William Hamilton: Campi Phlegraei, Neapel 1776, Platte XXXVIII (gemeinfrei). Quelle: Wikimedia Commons. Das Bild zeigt die Nacht vom 11. Mai 1771, in der Sir William Hamilton Mitglieder des Sizilianischen Königshauses an den Rand des Lava speienden Vesuv führte. Fabris hat sich selbst in der Ecke links unten zeichnend mit abgebildet.

Der Missstand, dass es über die von Naturforschern, Medizinern oder Technikern beauftragten Zeichner, Stecher und Radierer bzw. Holzschneider, Maler, Koloristen, Lithografen, Fotografen und sonstige Illustratoren oft keine oder nur spärliche Informationen gibt, ist schon seit Langem bekannt und des Öfteren beklagt worden. Doch getan hat sich bislang wenig. Diese Lücke wollen wir nun schließen. Denn die neuen Medien erlauben einen prosopografischen Zugriff auf diese für das vertiefte Verständnis von Wissenschaftspraxis so wichtige Gruppe.

Aus einer Vielzahl verstreuter Quellen und Spezialinventare sowie durch ergänzende Recherchen im Internet werden derzeit von Klaus Hentschel und seinem studentischen Mitarbeiter Torsten Himmel die Daten zusammengetragen. Unter Mithilfe von Ann Hentschel erfolgt der Eintrag in eine von Christian Lehmann in MySQL implementierte Datenbank: DSI: Database of Scientific Illustrators 1450-1950. Derzeit (Stand: Februar 2015) finden sich dort bereits knapp 9400 Illustratorinnen und Illustratoren von Werken der Naturforschung, Medizin und Technik – die von uns angestrebte Zielmarke liegt höher. Aufgenommen werden Werke, die zwischen 1450 und ca. 1960 entstanden sind. Damit wollen wir einerseits mittelalterliche Koloristen und Initialenmaler, andererseits noch lebende und aktive Illustratoren ausschließen. Denn für sie gibt es spezielle Nachschlagewerke und Datenbanken der Mediävistik bzw. kommerzielle Handbücher.

Anatomie des parties de la génération de l’homme et de la femme

Anatomie des parties de la génération de l’homme et de la femme. Illustrator: Jacques Fabien Gautier D’Agoty (1717-1785), Paris 1773. Farbiger Mezzotint-Druck. Quelle: National Library of Medicine (gemeinfrei)

Schwerpunkt der Stuttgarter DSI ist also die Periode des Buchdrucks vor dem Aufkommen der neuen Computer-basierten Medien und Repräsentationsformen. Fundamental für unsere Datenbank ist der Gedanke, dass die Auftraggeber der Illustrationen, seien dies Naturforscher oder gelehrte Institutionen wie Akademien oder wissenschaftliche Gesellschaften, über die Suchfelder „Auftraggeber“ („worked for“) bzw. über das Suchfeld „patronage“ recherchierbar sind, aber nicht mit eigenen Einträgen aufgenommen werden – im Vordergrund stehen die ausführenden Organe, also die Druckgrafiker, Modellisten, Maler und wissenschaftlichen Fotografen selbst. Denn sie sind bislang, wenn überhaupt, nur selten erfasst worden; von manchen ist vielfach nicht mehr als der Nachname oder ein Monogramm bekannt. Durch Kompilation einer Vielzahl heute verfügbarer Quellen verdichtet sich dieses Bild vielfach zu einem Kompositum, in dem zwar immer noch viele Puzzle-Steinchen fehlen, aber immerhin doch oft zumindest Konturen einer Vita und von Arbeitszusammenhängen deutlich werden, deren möglichst umfassende Rekonstruktion für eine praxisorientierte medizinische Wissenschafts- und Technikgeschichte sinnvoll ist.

Wie kann der Benutzer dieser Datenbank die zusammengestellten Informationen auffinden bzw. mit DSI arbeiten? Eine Suchmaske auf der Benutzerseite erlaubt die freie Recherche in den 20 Feldern der Datenbank, womit wir bereits an die technische Obergrenze des in solchen Datenbanken Üblichen gehen. Neben Nachnamen (Lastname) und Vornamen (Givennames) listet DSI (soweit von uns bereits recherchiert) auch alternative Schreibweisen , Künstlernamen bzw. Monogramme in Drucken usw. (Altnames) auf sowie das Geburts- und Todesjahr, den Todesort (Placedied), Kinder (Children), beruflich bedeutsame Verwandtschaftsverhältnisse (Relatives; Occupationfather) und Ehepartner (Marriage), wichtige Auftraggeber (Workedfor), Patronage-Bindungen und Mitgliedschaften (Patronage), Mitarbeitende an der Bildproduktion (Collab) und die wichtigste Region des Wirkens (Country of Activity). Für die Suche nach Illustratoren öffnet sich eine finite Optionsliste nach moderner Ländernomenklatur, um auch statistische Recherchen sinnvoll zu ermöglichen. Denn sonst müsste man nach historisch und geografisch stark veränderlichen Regionen wie Preußen oder dem Königreich Württemberg suchen, was statistische Aussagen unmöglich machen würde. Weitere Länder bzw. Regionen, in denen die betreffende Person gegebenenfalls gewirkt hat, werden am Anfang des Abschlussfelds „other“ mit eingetragen (z.B. bei Maria Sibylla Merian das Stichwort „Surinam“, wo ab 1699 ihre berühmten Studien zur Metamorphosis Insectorum Surinamesium entstanden). Dorthin gehören auch diverse andere Sondervermerke, die durch unser Raster nicht abgedeckt werden, z.B. zu anderen Berufsfeldern, in denen der Illustrator tätig war, oder zu Sekundärtexten zum weiteren Umfeld. Direkte Primärquellen und Sekundärliteratur hingegen werden von uns in den eigenen Feldern „archivals sources“ bzw. „pubsources“ eingetragen. Sofern im Internet verfügbar, werden in einem weiteren Feld auch repräsentative Samples der jeweiligen Illustrationen als Internetlink bereitgestellt. Hingegen wird in keinem Fall „Sonstiges“ von uns elektronisch archiviert oder gar eingescannt – damit ersparen wir uns knifflige Copyright-Fragen, die beim eigenen Hochladen von Abbildungsmaterial sofort in großer Zahl aufkämen.

Illustrator: Vishnupersaud, 1830-1832, in: Nathaniel Wallich: Plantae Asiaticae Rariores. (© gemeinfrei) Vishnupersaud (c. 1800-c.1840) war ein indischer, botanischer Zeichner, angestellt am Calcutta Botanical Garden, der u.a. im Auftrag der East India Company die "Plantae Asiaticae Rariores" illustrierte.

Illustrator: Vishnupersaud, 1830-1832, in: Nathaniel Wallich: Plantae Asiaticae Rariores (gemeinfrei). Vishnupersaud (c. 1800-c.1840) war ein indischer, botanischer Zeichner, angestellt am Calcutta Botanical Garden, der u.a. im Auftrag der East India Company die Plantae Asiaticae Rariores illustrierte.

Mit wenigen Mausklicks erschließen sich dem Benutzer unserer Datenbank somit auf engem Raum zahlreiche weiterführende Quellen. Die von den Illustratoren jeweils nachgewiesenermaßen praktizierten Arbeitstechniken werden in einem eigenen Feld der Datenbank erfasst; neben basalen Grundtechniken wie Zeichnen, Malen, Stechen oder Radieren (drawing, painting, … or engraving) sind hier vielfach auch genauere Einträge gemacht worden, z.B.: „copperplate engraving and hand-coloring“ oder „lithography“, sodass sich kombinierte Suchanfragen mit trunkierten Wortwurzeln empfehlen. Auch externe Vorschläge für weitere Einträge können in einer separaten Maske gemacht werden. Diese werden von unserem Team sorgfältig geprüft und dann erst gegebenenfalls ergänzt sowie online gestellt. Für Anregungen und Kritik sind wir jederzeit dankbar.

Für das gesamte Projektteam: Prof. Dr. Klaus Hentschel, Universität Stuttgart

DSI: Database of Scientific Illustrators 1450-1950

Quelle: http://www.visual-history.de/2015/03/25/dsi-database-of-scientific-illustrators-1450-1950/

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Commodification of everything – das Ende der Rechte?

Alles wird zur Ware, und was Ware ist, ist (ver)handelbar – auch grundlegende Rechte. Der Blog Klima der Gerechtigkeit der Heinrich-Böll-Stiftung verweist auf ein neues Gesetz zur Nachhaltigkeit in Ghana (Sustainable Development Law, SDL), das die Regierung dort am 1. August 2014 beschlossen hat. Dieses sieht vor, einen Markt für Nachhaltigkeitskredite zu schaffen  – Firmen, die etwa bei der Rohstoffförderung natürliche Resourcen zerstören oder Ökosysteme verändern, können dies dann durch Maßnahmen an anderen Orten oder anderen Feldern “ausgleichen”. Diese Art der (äußerst umstrittenen) Ausgleichsmaßnahmen gibt es bereits in vielen westlichen und südlichen Staaten, insbesondere im Bereich Biodiversität und Klimaschutz, sie sind Teil der Maßnahmen, mit denen die Umweltgesetzgebung seit den 1990er Jahren “flexibilisiert” wurde. So verwundert es auch nicht,  dass von der Europäischen Kommission finanzierte Experten an der Ausarbeitung der Details und der Umsetzung in Ghana beteiligt sind.

Bemerkenswert ist jedoch, dass sich das Gesetz nicht auf mehr auf Umweltgesetze beschränkt – in den neu zu schaffenden Kreditmarkt werden auch Menschen- und Gemeinschaftsrechte einbezogen.

Neben carbon credits, biodiversity credits und ecosystem credits sollen durch Projekte, die der Nachhaltigkeit dienen, auch community capital credits geschaffen werden können, definiert, wie eine Analyse der NGO FERN zitiert, als die “sum of
the natural and cultural assets belonging to a
community.” Ein jährliche Studie soll den Gesamtbestand an Nachhaltigkeitskapital erfassen und in einem nationalen Register mit dem zugehörigen Wert verzeichnen, und die darauf basierenden Kredite (generiert durch soziale oder Umweltprojekte) sind dann frei handelbar – und können etwa von anderen Firmen, im In- oder Ausland, gekauft werden, etwa um die Zerstörung von Ressourcen oder negative Effekte auf lokale Gemeinschaften “auszugleichen”.

Dies widerspricht geltenden Auffassungen von Recht, wonach Rechte eben nicht “veräußerbar” sind – aber es ist auch in anderer Hinsicht bedeutsam:

1) Die Austauschbarkeit verschiedener neu geschaffener (immatrieller) Waren, die  bereits im Bereich “natürlicher” und “systemischer” Komponenten zu beobachten ist, erreicht damit eine ganz neue Dimension – und damit die Frage, wie und durch wen diese Austauschbarkeit konkret hergestellt wird. Das Gesetz enthält noch keine Details, wie genau der Wert der einzelnen Kredite berechnet werden soll. Dennoch ist bereits klar, dass dies die “Be-Wertung” kultureller, natürlicher oder menschlicher Eigenschaften verschiebt: Der Wert, den ein Ort wie ein Wald für eine ansässige Gemeinschaft hat, die von seinen Ressourcen lebt oder ihm eine bestimmte spirituelle Bedeutung zuschreibt, mag sich eklatant unterscheiden von dem Wert, den ihm eine nationale Agentur im Zuge ihrer Berechnung des Nachhaltigkeitskapitals zuweist – und dieser wird wiederum, bei einer Integration in internationale Märkte, von den höchst abstrakten und schwankenden Bewertungen internationaler Finanzmärkte abhängen. Dies gilt aber, im Fall von Ghana, dann nicht mehr nur für Tierarten oder seltene Ökosysteme, sondern auch für den “Wert” von Bildung, medizinischer Versorgung oder dem Recht vor Enteignung. Diese sind nicht mehr von der Perzeption der Träger der Rechte oder nationalem Recht abhängig, sondern werden ebenfalls in die Bewertungs-Maschinerie globaler Märkte einbezogen – mit der Folge, das sie sozusagen “zerbrechen” in jene kapitalisierbaren Aspekte, die der Markt bewerten kann, und diejenigen Aspekte von (Menschen)Recht, die dabei ausgeschlossen werden.

2) In letzten Zeit wurde vielfach über die Auflösung bzw. die Verschiebungen diskutiert, die eine assemblage oder more than human-Perspektiven auf den Rechtsbegriff haben. Traditionell unterscheidet das liberale, westliche Recht strikt zwischen Menschen, die unveräußerliche Rechte haben, und nicht-menschlichen Entitäten, die diese nicht (im gleichen Maß) besitzen, auch wenn diese starre Trennung durch die Entstehung von Umweltgesetzen, aber auch durch kritische Betrachtung des Begriffs der Menschenrechte faktisch, diese Trennung bereits über die letzten Jahrzehnte aufgeweicht wurde (bzw. gezeigt wurde, dass diese nie wirklich in dieser Form bestanden hat). Während aber die theoretischen Diskussionen in Richtung einer möglichen Ausweitung von Rechten auf nicht-menschliche Wesen zielen, zeigt sich faktisch eine ganz andere Tendenz: nämlich eine Integration des Humanen in die (marktförmigen) Netzwerke nicht-menschlicher Waren, eine Auflösung der Grenze, die das Mensch-Sein der Verwertung in Teilen noch geboten hat.

Quelle: http://gclf.hypotheses.org/121

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Euren Kuchen essen wir nicht

Spannender Bericht von einer kleinen, aber wirkungsvollen Aktion, ein bisschen versteckt in einem Artikel der aktuellen Ausgabe von Analyse & Kritik:

Vor ein paar Monaten führten Kolleg_innen in Paderborn eine Aktion durch, um die Übernahme einer Kollegin zu erreichen. Sie einigten sich darauf, Buttons mit dem Namen der Kollegin zu tragen, und verweigerten den Verzehr eines Kuchens, den die Geschäftsleitung auf einer Teamsitzung austeilte. Unter anderem deshalb wurde die Kollegin übernommen und ist noch heute im Betrieb. Diese Aktion war weit mehr als nur ein symbolischer Akt: Sie zeigt, dass mit ein bisschen Absprache der tägliche individuelle Widerstand am Arbeitsplatz noch wirkungsvoller ist. Die Chef_innen spürten es deutlich: Das war ein ungeahnter Kontrollverlust.

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/1022410405/

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Albrecht von Waldstein – ein vergessener Katalog

Heute geht es darum, Versäumtes nachzuholen. Denn im Jahr 2007 erschien in Prag ein opulenter und grandioser Katalogband zu Wallenstein, ohne daß diesem in der deutschen Geschichtswissenschaft die gebührende Aufmerksamkeit zugekommen wäre:
Fučíková, Eliška / Čepička, Ladislav (Hrsg.): Waldstein. Albrecht von Waldstein. Inter arma silent musae?, Prag 2007.
Rezensionen in den wichtigen Zeitschriften des Fachs sind mir nicht bekannt, und überhaupt sieht es so aus, als ob die Rezeption dieses Buchs nicht wirklich stattgefunden hat. Auch die Bibliotheksnachweise halten sich, wie eine Recherche über den KVK zeigt, in erstaunlich überschaubarem Rahmen.

Waldstein-KatalogWarum dies so passierte, darüber kann ich nur spekulieren. Ob es der Titel war, der von „Albrecht von Waldstein“ sprach? Das mag ich kaum glauben, denn so weit ist der Weg von Waldstein zu Wallenstein nicht. Und es ist kein wirkliches Geheimnis, daß dies nun mal die tschechische Namensform für die im Deutschen übliche Variante „Wallenstein“ darstellt. Golo Mann hat damals in seiner Monographie die Namensvarietät erläutert, auch darauf hingewiesen, daß sein Namensträger sich selbst Waldstein schrieb (S. 10).

Definitiv stand einer Rezeption nicht die Sprache entgegen, denn es gibt eine deutsche Ausgabe des Bandes, die jede Verständnisbarriere aus dem Weg räumt. Ob es daran lag, daß es kein wirkliches Jubiläum gab, das den Blick der (Fach-)Öffentlichkeit auf diese Persönlichkeit gelenkt hätte? Der Anstoß zu diesem Buch war, wie das Geleitwort erklärt, eher ein politischer: Man wollte das Waldsteinpalais, das heute der Sitz des Senats des Parlaments der Tschechischen Republik ist, im Bewußtsein der Öffentlichkeit stärker verankern – auch der europäischen. Dieses Anliegen sollte eine Ausstellung befördern, die wiederum von dem hier genannten Katalogband begleitet wurde.

Und dieser kann sich wirklich sehen lassen: ein über 600 S. starker Band, über 40 Artikel verteilt auf vier Sektionen, dazu ein umfänglicher Katalogteil, alles dies mit vielfach großformatigen und qualitativ hochwertigen Fotos veranschaulicht. Erarbeitet wurde er vor allem von tschechischen HistorikerInnen, und auch wenn einige österreichische Kollegen noch vertreten sind (ob die Nichtbeteiligung deutscher Fachvertreter die erstaunliche Nichtwahrnehmung in Deutschland miterklärt?), kann dieses Werk als absolut überzeugende Leistungsschau der tschechischen Historikerzunft gelten. Und nicht nur der Historiker, sondern ebenso der kunsthistorischen Disziplinen, die einen erheblichen Anteil daran haben, die unterschiedlichen Zeugnisse der Malerei, der Skulptur und der Architektur vorzustellen.

Gerade auf diesen kunsthistorischen Aspekt zielt auch die Frage im Titel des Katalogbandes: „Inter arma silent musae?“ Es lehnt sich sicher nicht unbewußt an das Ciceronische „inter arma silent leges“ an, doch der ganze Katalog ist darauf ausgerichtet, die Frage, ob denn die Musen zu Kriegszeiten verstummen, als rhetorisch zu entlarven. Zumindest in der Welt Wallensteins war dies nicht der Fall, dies will dieser Band zeigen. Und ich habe vor, in den nächsten Wochen immer wieder mal einzelne Aspekte, die mir in dem Band aufgefallen sind, vorzustellen.

Noch ein Wort zum Übersehen dieses Buchprojekts: Mir ist es im Jahr 2007 nicht anders ergangen als vermutlich einigen in der Zunft – ich habe damals, Schande über mein Haupt, nichts davon mitbekommen. Es bedurfte erst einer tschechischen Kollegin, die mich darauf hinwies und mir diesen Band auch beschaffte. Aber besser später als nie.

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/619

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Lehre statt Professur!? Überlegungen von Prof. Gabi Reinmann, Vizepräsidenten der Zeppelin-Universität Friedrichshafen

http://gabi-reinmann.de/?p=4897 Sollen Profs im Bachelor lehren? – so fragt die Deutsche Universitätszeit (duz) hier und druckt die Antworten von zwei Professoren ab, deren Meinung dazu nicht unterschiedlicher sein könnte.

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2015/03/5749/

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Feststellung einer Vaterschaft nach 120 Jahren. Das Beispiel des konföderierten Bürgerkriegssoldaten Ezekiel “Zeke” Harper

http://scienceblogs.de/bloodnacid/2015/03/05/west-virginia-mountain-papa-vaterschaft-nach-120-jahren The 120-year-old skeletal remains of Confederate Civil War soldier Captain Ezekiel “Zeke” Harper were exhumed by court order in January 2011 for DNA analysis. The goal of the DNA testing was to support or refute whether Captain Harper had fathered a son (Earl J. Maxwell) with his Native American maid prior to his murder […]

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2015/03/5744/

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Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig fordert eine öffentlich-rechtliche Regulierung des Internets

http://www.internet-law.de/2015/03/albig-traeumt-vom-oeffentlich-rechtlichen-internet.html Unter dem Titel “Google ist nicht zu durchschauen” hat Torsten Albig, Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, in der aktuellen Ausgabe der ZEIT (Nr. 10 vom 05.03.2015, S. 29) einen Gastbeitrag veröffentlicht, der ein gerade in der Politik recht populäres Google-Bashing enthält, das mit der Forderung einer gesetzgeberischen Regulierung von Suchmaschinen und der Schaffung einer Medienaufsichtsbehörde verbunden […]

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2015/03/5740/

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Nikola Becker – Der Hitlerputsch und seine Vorgeschichte in Autobiographien von Münchener Bürgern – divergierende Deutungen

Lion Feuchtwanger verfolgt mit seinem Roman „Erfolg“ politische Absichten durch die Darstellung eines vermeintlichen Irrwegs des bayerischen Staats in den Jahren nach dem Umbruch von 1918/19 [Moser, Dietz-Rüdiger, Das Verhältnis von Fiktion und Realität in Lion Feuchtwangers Roman Erfolg. Ein Beitrag zum Bild der Stadt München in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts, in: München lesen: Beobachtungen einer erzählten Stadt, hg. von Simone Hirmer und Marcel Schellong, Würzburg 2008, S. 91-105, S. 93]. Die Bewertung der politischen Entwicklung erfolgt aus einer dezidiert linksgerichteten Perspektive, das Ende der Räteherrschaft wird in bitterer Ironie als Pervertierung einer vorgeblichen ‚Befreiung‘ geschildert. Im Vergleich der Gewalttaten des Räteunternehmens mit denen der Freikorps protokolliert Feuchtwanger minutiös die quantitative Überzahl der von rechter Seite begangenen Verbrechen. Deutlich streicht er das Ungleichgewicht in der juristischen Ahndung rechts- und linksradikaler Gewalttaten heraus. Moderne Entwicklungen im Bereich der Kunst werden in „Erfolg“ von einer kleinbürgerlich engstirnigen, verbohrt konservativen bayerischen Bevölkerungsmehrheit als Bedrohung der bürgerlichen Moral interpretiert. Ihre Träger wie Martin Krüger geraten zu Märtyrern, die zur Aufrechterhaltung der überkommenen Gesellschaftsordnung geopfert werden müssen. Insgesamt arbeiten im Roman Politik, Justiz, Verwaltung und Militär auf das engste zusammen, um nach dem Umsturz des alten Systems Ruhe und Ordnung wiederherzustellen. Sie schrecken dabei nicht vor der Beugung von Justiz und Gerechtigkeit zurück. Letztlich wird dadurch der Aufstieg des völkischen Nationalismus befördert oder aktiv herbeigeführt. Feuchtwanger legt somit am Mittel des historischen Romans eine spezifische Geschichtsinterpretation vor [Vgl. auch den Ausstellungskatalog: Erfolg. Lion Feuchtwangers Bayern, hg. von Reinhard Wittmann, München 2014].

Ein literarisches Medium zur Präsentation von Geschichtsbildern kann vielleicht mehr noch die Gattung Autobiographie darstellen. Volker Depkat nennt autobiographische Texte „hochkomplexe Ordnungs- und Orientierungsleistungen […], durch die sich Individuen, Gruppen und ganze Gesellschaften in der Zeit orientieren, historische Identitätsentwürfe formulieren, sie in Konkurrenz zu anderen behaupten und so immer auch Handlungsräume in einer jeweiligen Gegenwart eröffnen.“ [Depkat, Volker, Lebenswenden und Zeitenwenden. Deutsche Politiker und die Erfahrungen des 20. Jahrhunderts (= Ordnungssysteme. Studien zur Ideengeschichte der Neuzeit, 18), München 2007, S. 503]. Autobiographische Narrative dienen somit – indem sie eine „Version“ der erlebten Geschichte präsentieren – dem Zweck, diese jeweilige Deutung plausibel, und somit mehrheitsfähig zu machen – also eine Deutungshoheit zu erlangen, die immer auch gegenwartsbezogenen Zwecken dient. Die Plausibilität vorgelegter Geschichtsentwürfe innerhalb eines gesamtgesellschaftlichen Diskurses variiert naturgemäß – der niemals endende Fortgang der Geschichte führt zu einem stetigen Wandel der Interpretationsversuche, zu Revisionen und Neubewertungen.

Unter den zum Roman „Erfolg“ etwa zeitgleich überlieferten, autobiographisch formulierten Geschichtsbildern Münchner Bürger, um die es hier gehen soll, finden sich Komplementär- und Gegenentwürfe. Zunächst zu 4 Werken, die Feuchtwanger politisch am nächsten stehen – Texte der Schriftsteller Oskar Maria Graf, Kurt Martens sowie des Nationalökonomen Lujo Brentano und des Politikers Ernst Müller-Meiningen.

Oskar Maria Graf liefert eine weithin zu „Erfolg“ komplementäre Beschreibung der politischen Entwicklung in Bayern ab. In dem 1927 erstmals erschienenen autobiographischen Roman „Wir sind Gefangene“ [Graf, Oskar Maria, Wir sind Gefangene. Ein Bekenntnis aus diesem Jahrzehnt, München 1927] beschreibt er, wie er aufgrund der Erfahrung des gewaltsamen Niederschlagens der Räterepubliken, die in seiner Wahrnehmung besonders gewaltsam den Arbeiter traf, vom existenzialistisch-nihilistisch gestimmten Bohemien zum politisch engagierten Schriftsteller wurde. Ähnlich wie Feuchtwanger wertet er die Räteherrschaft als trotz aller radikalen Rhetorik harmloses Unternehmen und stellt ihm den blutrünstigen, unverhältnismäßigen Charakter der Liquidierung entgegen. Auch Grafs München-Bild der 20er Jahre stimmt mit dem im „Erfolg“ überein: München sei „in jeder Weise finster und kleinbürgerlich“ und „sicher von allen Städten die provinzlerischste“ [Graf, Oskar Maria, Notizbuch des Provinzschriftstellers Oskar Maria Graf 1932. Erlebnisse – Intimitäten – Meinungen, München 2002 (Erstausgabe Basel u.a. 1932), S. 35f.].

Der heute weitgehend in Vergessenheit geratene, mit Thomas Mann befreundete Kurt Martens sympathisierte bereits im Kaiserreich mit der Sozialdemokratie aus Anti-Wilhelminismus. In seiner 1924 publizierten Autobiographie [Martens, Kurt, Schonungslose Lebenschronik 1901-1923, Wien u. a. 1924] erscheint die Revolution zunächst positiv, da er sich von ihr ehrlich eine soziale und politische Erneuerung erhoffte. Dieses Bild kippt dann aber mit den Räteereignissen, die er als Regiment des Unproduktiven, des Chaos, der Inkompetenz bewertet. Aber auch Martens sieht die Rätephase nicht als blutige Schreckensherrschaft, ihre Träger sind vielmehr lächerlich und unfähig. Die erlebte Geschichte seit 1919 mit Gewalttaten infolge der Liquidierung des Räteregimes, politischen Morden, einer politisierten Justiz, Inflation und Krisen führt Martens zur Wahrnehmung einer Ära des Zerfalls. Da die Republik den Niedergang nicht aufhalten kann, delegitimiert sie sich in seinen Augen, und somit tut dies auch die Idee der demokratischen Volksvertretung. Aus dieser Warte sucht Martens um 1923 nach politischen Alternativen: das national-völkische Lager, eine „Militärdiktatur“ [Ebd., S. 202], jedenfalls aber ein „konservatives Staatswesen“ [Ebd., S. 181.], das Ordnung nach innen und außen schafft.

Bei dem linksliberalen Vernunftrepublikaner Lujo Brentano, dessen Erinnerungen 1930 abgeschlossen wurden, findet sich ebenfalls prononcierte Kritik an der gewaltsamen Beseitigung der Räteherrschaft [Brentano, Lujo, Mein Leben im Kampf um die soziale Entwicklung Deutschlands, Jena 1931]. Insgesamt ist seine Perspektive stark auf die Reichsebene konzentriert. Die im „Erfolg“ thematisierten Ereignisse in Bayern, eine politische Rechtsprechung und das Aufkommen der vaterländischen Bewegung spielen bei Brentano keinerlei Rolle, der Nationalsozialismus wird nicht erwähnt. In Bezug auf die Weimarer Republik insgesamt entwickelt er einen Krisendiskurs, der am Schluss des Textes in der Sorge vor einer „soziale[n] Revolution“ [Ebd., S. 404kulminiert.

Der linksliberale zeitweilige bayerische Justizminister Ernst Müller-Meiningen in den Kabinetten Johannes Hoffmann II und Gustav von Kahr I legte 1923 Revolutionserinnerungen vor [Müller-Meiningen, Ernst, Aus Bayerns schwersten Tagen. Erinnerungen und Betrachtungen aus der Revolutionszeit, Berlin und Leipzig 1923]. Sein Blick auf die Revolutionsphase malt – abweichend vom bisher Gehörten – das Bild einer blutigen Schreckensherrschaft, in der Willkür, Korruption, Chaos und Terror herrschen. Bayern wird dadurch zum „Schandfleck Deutschlands“ und München zur „Kloake.“ [Ebd., S. 32 und S. 84]. Die von ihm selbst verantwortete rechtliche Abwicklung der Revolution rechtfertigt er durch das Postulat einer milden Behandlung der Revolutionäre. Es geht Müller-Meiningen in seinem Text um den Beweis der These, dass ein Sieg des Bolschewismus unmittelbar bevorgestanden und weiterhin gedroht habe. Damit verteidigt er die von ihm selbst mit getragene Ordnungszellen-Politik unter Gustav von Kahr: Sie sei notwendig gewesen zur Wiederherstellung und langfristigen Sicherung der staatlichen Ordnung. Allerdings kritisiert Müller-Meiningen ausdrücklich den ‚Rechtsruck‘ in Bayern seit Ende 1922: Denn er wünschte keine Regierung des national-völkischen Lagers, sondern eine betonter nationale Haltung der legitimen bayerischen und deutschen Regierungen nach außen, nämlich gegen den Versailler Vertrag.

Zeigen diese aus einer linken oder linksliberalen Anschauung entwickelten Geschichtsbilder schon Inkongruenzen, so sollen im Folgenden die als Gegen-Interpretamente zu begreifenden Wortmeldungen nationaler und konservativ gesinnter Autobiographen vorgestellt werden. Zu Wort kommen die Schriftsteller Josef Hofmiller und Thomas Mann, der Physiker Wilhelm Wien und der Nationalsozialist Ernst Röhm.

Der nach dem Krieg zu einem der Protagonisten des national-konservativen Lagers in München geratene Josef Hofmiller lehnte als Monarchist die Revolution als für Bayern nicht gemäßes politisches Ereignis ab. In seinen 1930 erstmals in der Beilage der „Münchner Neuesten Nachrichten“ publizierten Tagebüchern [Hofmiller, Josef, Revolutionstagebuch 1918/19. Aus den Tagen der Münchner Revolution, Leipzig 1938] beschreibt er die Revolution unter Begriffen wie Chaos und Unfähigkeit und die Rätephase als Herrschaft des blutigen Terrors. Weiße Gewalttaten rechtfertigt er als bloße Reaktion auf die Tyrannei der Roten. Als einzig möglicher Ausweg aus Not und Vernichtung und dem angeblich vorherrschenden Bolschewismus spricht er sich im Kontext von Mitte 1919 für die Errichtung einer Militärdiktatur unter Ludendorff aus. Ein Symptom für Bolschewisierung sieht Hofmiller in der künstlerischen Moderne, etwa dem Expressionismus.

In den um 1927 entstandenen Erinnerungen [Wien, Wilhelm, Aus dem Leben und Wirken eines Physikers. Mit persönlichen Erinnerungen von Erich von Drygalski, Carl Duisberg, M. von Frey, Hermann Oncken, F. Paschen, Max Planck, E. Rüchardt, E Rutherford und einem Nachruf von M. v. Laue und E. Rüchardt, Leipzig 1930] des nationalkonservativen Physikers Wilhelm Wien entsteht gleichermaßen der Eindruck eines bolschewisierten und terrorisierten Münchens nach dem Vorbild von Sowjetrussland. Dies sei das Probestück für die äußerst reale Gefahr einer kurz bevorstehenden Bolschewisierung ganz Deutschlands. Wiens Beschreibung des Hitlerputsches drückt die Erwartungen nationaler bürgerlicher Kreise an ihn aus, nämlich die ‚Nationalisierung‘ der Arbeiterschaft und ihre Abwerbung von der Sozialdemokratie. Den Putsch selbst missbilligte er aber, da er eine Intervention der Entente bei Gelingen befürchtete. Insgesamt wird von ihm die Gegenwart der Weimarer Republik mit der Herrschaft des Sozialismus gleichsetzt.

Die nur für 1918 bis 1921 erhaltenen Tagebücher [Mann, Thomas, Tagebücher 1918-1921, hg. von Peter de Mendelssohn, München 1979] Thomas Manns aus der Weimarer Zeit spiegeln noch deutlich die konservative Phase seines Denkens wider, bevor er sich Jahre später öffentlich zur Republik bekannte, nämlich seine Distanz zu einem Demokratieverständnis westlicher Provenienz. Die Revolution und besonders die Rätephase lehnt er als „Unfreiheit“ und „Tyrannei“ ab [Ebd., S. 161f.]. Allerdings erhofft er sich daraus die Entstehung eines genuin deutschen Republikmodells, und zwar eine „soziale Republik“, etwas ‚Neues‘ zwischen Bolschewismus und „westlicher Plutokratie“ [Ebd., S. 74 und S. 100]. Somit plädiert er für die deutsche Sonderrolle, nämlich der zivilisatorischen Aufgabe, ein Bollwerk gegen den Bolschewismus zu bilden. Die Eintragungen bis Ende 1921 zeigen Manns Liebäugeln mit Vorstellungen einer „notwendigen Vereinigung des deutschen Konservativismus mit dem Sozialismus, der die Zukunft gehört und nicht der Demokratie“ [Ebd., S. 369] und die Auffassung eines ideell positiven Kerns völkischen Denkens.

Die 1928 erstmals veröffentlichten Erinnerungen [Röhm, Ernst, Die Geschichte eines Hochverräters, München 1928] des Nationalsozialisten Ernst Röhm zeigen die Rezeption der deutschen Kriegsniederlage als Resultat der Revolution, und somit als ‚Dolchstoß in den Rücken‘ der militärisch angeblich nicht besiegten Armee und letztlich als Verrat an Kaiser und Reich. Sein eigenes Engagement bei den Einwohnerwehren ab 1919 begründet mit einer weiterbestehenden Revolutionsgefahr. Die Ausführungen spiegeln die Auffassung des radikal völkischen Lagers, dass die bayerischen Regierungen den Marxismus geduldet oder aktiv gefördert und nach außen eine zu wenig nationale Linie gefahren hätten wider (‚Erfüllungspolitik‘). Die These von Bayern als Hort der nationalen Bewegung weist Röhm am Beispiel des Hitlerputschs zurück. So erscheint Gustav von Kahr als großer Feind der Völkischen, die er im Putsch verraten habe und somit auch als Verräter am Nationalismus. Röhm postuliert den einzig wahren Nationalismus der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft.

War das nachrevolutionäre Bayern der frühen 20er Jahre also ein ‚reaktionärer‘, stark rechtsgerichteter Staat, der einen Rechtsputsch geradezu herausforderte oder gar begünstigte? Die vorgestellten Autobiographen geben unterschiedliche Antworten – je nach eigner Positionierung erscheint die Linke als marginale Erscheinung, übermenschliche Bedrohung oder schon real herrschende Kraft. Der Hitlerputsch selbst erfährt eine dementsprechende Einordnung: als Beleg für die Vormacht der Linken oder der Rechten. Feuchtwangers Blick auf die bayerische Geschichte stellte – die zeitgenössische Rezeption zeigt es – zum Zeitpunkt des Erscheinens eine Minderheitenposition dar. Seine Geschichtsdeutung erfuhr Kritik von rechter wie linker Seite [Vgl. Lüttig, Gisela, Zu diesem Band, in: Lion Feuchtwanger, Erfolg. Drei Jahre Geschichte einer Provinz, Berlin, 9. Aufl., 2013 (Taschenbuchausgabe), S. 869-878, hier S. 874-876]. Erst in einer von ‚1968‘ geprägten Gesellschaft drehte sich die Rezeption und der Roman wurde für manche zum Inbegriff einer wahrheitsgetreuen Darstellung der Ereignisse.

Quelle: http://histbav.hypotheses.org/3563

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Die Christianisierung der Stadt im frühen Christentum (II)

Konstantinische Wende als Meilenstein für die Entstehung christlicher Bauten

In Folge des radikalen Wechsels in der Religionspolitik ab 313 n. Chr. durch das Toleranzedikt von Mailand durch Konstantin und Licinius1, der daraus resultierenden Förderung und Privilegierung des Christentums durch den Kaiser Konstantin und seine Söhne (313-361 n. Chr.) sowie der Erhebung des Christentums zur Staatsreligion durch Theodosius (379-395 n. Chr.) erhielt das Christentum einen rechtlich anerkannten Status.2 Von einer „weitgehenden Christianisierung des Imperiums“ konnte aber im 4. Jhr.

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Quelle: http://jbshistoryblog.de/2015/03/die-christianisierung-der-stadt-im-fruhen-christentum-ii/

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