Wozu eine wissenschaftliche Fragestellung?

Fragestellung, Forschungsstand und historische Argumentation – oder: warum tun sich viele Geschichtsstudentinnen und -studenten so schwer damit, „richtig“ Geschichtswissenschaft zu betreiben?

Von Christine Roll

Als ich im Februar die Themen für die Examensklausuren formulierte, stieg wieder die Unsicherheit in mir auf, ob wir unsere Studentinnen und Studenten eigentlich gut ausgebildet haben. Werden sie mit der Aufgabenstellung etwas anfangen können? Werden sie in der Lage sein, ihr Wissen als Argument einzusetzen? Oder werden auch dieses Mal wieder viele der Examenskandidatinnen und -kandidaten den gelernten Stoff einfach chronologisch heruntererzählen, ohne die strukturierenden Gesichtspunkte und analytischen Kategorien zu berücksichtigen, die ihnen die Themenstellung anbietet? Und werden sie ihre Klausuren mit einleitenden und abschließenden Reflexionen über das Thema in den Rang einer geschichtswissenschaftlichen Darstellung heben oder werden sie auf dem Niveau eines Schulaufsatzes bleiben?

Ähnliche Überlegungen gehen mir auch dann durch den Kopf, wenn ich die Seminararbeiten eines vergangenen Semesters korrigiere. Natürlich habe ich viel Freude an den gelungenen und klugen studentischen Arbeiten; aber in etwa der Hälfte der Gutachten, die ich zu jeder Hausarbeit formuliere, steht im Grunde dasselbe: „Gute Kenntnisse im Detail, auch recht gute Ideen, aber es fehlt ein Forschungsbericht; folglich fehlt auch die Herleitung der Fragestellung aus der Forschungssituation. Zudem wird die Fragestellung nicht konsequent durchgehalten“. Eine so begutachtete Arbeit kann dann nicht besser als mit „3“ bewertet werden, meistens steht leider sogar eine schlechtere Note darunter.

Solche Ergebnisse sind für die Studierenden wie für mich gleichermaßen unbefriedigend. Auch Kolleginnen und Kollegen klagen über diese Schwächen bei ihren Studentinnen und Studenten. Diese wiederum scheinen oftmals gar nicht zu verstehen, „was sie da falsch gemacht“ und warum sie keine bessere Note bekommen haben. Angesichts dessen erscheint es mir lohnend, grundsätzlich darüber nachzudenken, warum sich Studierende so schwer damit tun, ihre Ausführungen an einer leitenden Fragestellung zu orientieren, einen Forschungsbericht zum Thema ihrer Arbeit zu verfassen, einen Zusammenhang zwischen dem Forschungsstand und der eigenen Fragestellung herzustellen und eine schlüssige geschichtswissenschaftliche Argumentation aufzubauen. Zudem handelt es sich keineswegs um eine neue Beobachtung: Ich kann mich gut an entsprechende Klagen meines Konstanzer Doktorvaters aus den 1980er und 1990er Jahren erinnern. Immerhin dürften die Fähigkeiten der Studierenden seither nur graduell schlechter geworden sein; hier muss also nicht der Untergang des Abendlandes herbei geredet werden. Aber nach wie vor gibt es zu viele lausige Historiker/innen und Geschichtslehrer/innen, ein Ende des Teufelskreises ist also nicht zu erkennen. Woher rühren also diese Schwierigkeiten mit der Geschichte als Wissenschaft? Vier Thesen stelle ich zur Diskussion.

1. Untaugliche akademische Lehrer, studentische Lebenshektik und pädagogikfeindliche Studienordnungen – die Missstände des Studienalltags

Wir wissen es alle: Bis heute gibt es in Deutschland Historische Institute, an denen Studierende ihr Geschichtsexamen ablegen können, ohne je mit dem Anspruch auf Fragestellung und Forschungskontext konfrontiert worden zu sein; leider ist ja sogar in Publikationen von Professorinnen und Professoren haltloser Enzyklopädismus anzutreffen; von solchen Kolleginnen und Kollegen kann folglich „richtige“ Geschichtswissenschaft nicht gelernt werden.

Zugleich unterliegen die Studierenden einer neuartigen Lebenshektik: Gesellschaftlicher Jugendwahn, die Ökonomisierung der Universitäten zu einem geradezu akademischen Kapitalismus1 und die neuen Studiengänge suggerieren den jungen Leuten, „fertig werden“ mit dem Studium sei wichtiger als gut ausgebildet zu sein. Und die Lehramtsstudiengänge mit Modulprüfungen auch im Staatsexamen (wie sie in NRW zwar bald auslaufen, aber noch üblich sind) senden ganz falsche Signale: Sie fordern die Studierenden auf, möglichst bald Teilprüfungen abzulegen – und eben auch Examensklausuren zu schreiben –, und zwar schon bevor sämtliche Seminare absolviert, bevor also auch die entsprechenden Hausarbeiten geschrieben sind! Die Verfasser/innen der Prüfungsordnung haben offenbar gemeint, dass die Studierenden lediglich etwas über die Frühe Neuzeit lernen, wenn sie eine Hausarbeit über Luther schreiben; dabei lernen sie doch ebenfalls, wie man Hausarbeiten schreibt, wie man historisch argumentiert! Wenn sie die anderen Examensteile bereits abgeschlossen haben, können sie diese Fertigkeit aber gar nicht mehr anwenden – weshalb sie ggf. sogar wieder verloren geht! Und die neuen Bachelor- und Masterstudiengänge zwingen die Studierenden, ihre Seminararbeiten drei Wochen nach Semesterende abzugeben. Wir Lehrende wiederum können die Arbeiten nur noch benoten, wir dürfen aber nicht, jedenfalls nicht offiziell, Korrekturen einfordern, Korrekturen, mit denen die Studierenden zeigen könnten, das sie aus ihren Fehlern gelernt haben. Wie soll sich unter diesen Bedingungen das gerade für das Argumentieren so wichtige implizite Wissen in den studentischen Köpfen anreichern?

2. Wikipedisierung der Geschichtswissenschaft? Die Ordnungen des Wissens und die Unordnung im Internet

Was macht das Internet, was macht Wikipedia mit unserem Fach? Ich werde nicht müde zu betonen: Wikipedia wird immer besser! Wikipedia bietet schnell – zumeist – verlässliche Informationen, auf die auch ich gar nicht mehr verzichten könnte. Wikipedia entwickelt auch Gesichtspunkte – und immer bessere Gesichtspunkte –, nach denen der Stoff geordnet wird, aber, Johan Schloeman hat unlängst darauf hingewiesen: Die Gliederung von Online-Ressourcen greift in die Ordnung des Wissens ein.2 Ob wir uns dessen immer bewusst sind? Denn Google-Funde sind nicht schon Geschichtswissenschaft! Denn es geht um Kategorien und um Problemorientierung statt um Vollständigkeit und um die Reflexion des Erkenntnisfortschritts – für den Einzelnen und für die Wissenschaft! Hier bleibt online noch viel zu tun.

3. „Bin ich denn Teil der Forschung?“ Ein Problem des studentischen Selbstverständnisses

Warum fühlen sich Studierende aber so selten als Teil eines Forschungsdiskurses? Oft fällt mir in der Sprechstunde eine übertriebene Ehrfurcht vor der Forschungsliteratur auf: „Ich bin doch nur ein kleines studentisches Licht! Ich kann doch dazu keine Position beziehen…“. Doch, gerade Du! Auch „du als Studi“ gewinnst in der Auseinandersetzung mit Texten, also mit Forschungsliteratur und Quellen, neue Einsichten. Du gewinnst diese Erkenntnisse zunächst nur für Dich, denn Du als Individuum betreibst Geschichtswissenschaft, interessierst Dich, willst etwas wissen, etwas zeigen und reflektierst kritisch andere Forschungspositionen – genau dadurch wirst Du Teil des Forschungsdiskurses!“
Nach meiner Einschätzung müsste sich diese Scheu der Studierenden durch die Mitarbeit an Wissenschaftsblogs reduzieren lassen, das käme den Studierenden zugute und täte auch den Blogs gut, denn in Blogs zählt, wie in der „richtigen“ Wissenschaft, die eigene, gut begründete Stellungnahme, die eigene, mutig vorgetragene These. Gute Geschichtswissenschaft kann man nämlich nur betreiben, wenn man sich selbst und seine eigenen Fragen an die Vergangenheit ernst nimmt und für wichtig hält.

4. Schließlich: die erkenntnistheoretische Herausforderung einer eigenen Fragestellung

Das vermutlich am tiefsten sitzende Problem vieler Studierender – und zugleich das ihnen am wenigsten bewusste – ist die Ahnung, ja: die Befürchtung, dass sich durch eine eigene Fragestellung das eigene Geschichtsbild ändern wird. Mit der eigenen Fragestellung nimmt man eine eigene Perspektive auf das Geschehen ein – mit der „Gefahr“ des Aufbrechens des eigenen Vorverständnisses! Aber nur, wenn man dieses Risiko auf sich nimmt, kommt man weiter. Denn dieses Risiko verweist auf die erkenntnistheoretische Grundlage unseres Fachs, auf den Konstruktionscharakter von Geschichte: „Geschichte ist stets das, was ein geschichtskonstruktivistisches Subjekt zu ihr macht“.3 Darin besteht der einzigartige Reiz der Geschichtswissenschaft.
Die beste Versicherung gegen zu viel Risiko ist übrigens wiederum die eigene Fragestellung! Der Historiker/die Historikerin erlangt Sicherheit im Umgang mit der Fülle an Empirie allein durch die Methode, durch das historische Handwerk: Fragestellung, Forschungsstand, These, Argumente und Begründungen, Ergebnisse, deren Einordnung in die Forschung – diese Arbeitsschritte sind Voraussetzung dafür, dass aus ungeordneten Mengen von Informationen „richtige Geschichtswissenschaft“ werden kann. Haben Sie also Mut, sich zu Wundern! Erstaunen – sei es über die Formulierung in einer Quelle, sei es über die Äußerung eines Historikers – ist eine wichtige Voraussetzung für Geschichtswissenschaft! Es kommt auf Sie an! „Der Kern wissenschaftlichen Arbeitens sind nicht Gänsefüßchen; es geht darum, ob das eigene Denken Hand, Fuß und Substanz hat“.4

Übrigens: unter den sieben Staatsexamensklausuren, für die ich im Februar die Themen formuliert habe, waren zwei richtig gut. Nur zwei. Die anderen haben die Fragestellung ignoriert, nicht argumentiert und folglich keine eigenen Ergebnisse gewonnen. Geschichtswissenschaft aber ist Argument – oder sie ist nicht.

  1. Vgl. etwa Richard Münch: Akademischer Kapitalismus. Über die politische Ökonomie der Hochschulreform, Berlin 2011.
  2. Johan Schloemann, „Server oder Sammelband“, Süddeutsche Zeitung, 4. Februar 2013, Feuilleton.
  3. Das beste Buch über die Geschichte der Historiographie, das mir seit langem untergekommen ist: Daniel Fulda, Wissenschaft aus Kunst. Die Entstehung der modernen deutschen Geschichtsschreibung 1760-1860, Berlin etc. 1996, das Zitat auf S. 274.
  4. Heribert Prantl, „Belehrte Unwissenheit“, Der Fall Schavan, Kommentar in der Süddeutschen Zeitung vom 7.2.2013.

Quelle: http://frueheneuzeit.hypotheses.org/1408

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Bericht zum Vortrag von Marie Bouhaïk-Gironès zum spätmittelalterlichen Theater

Am Montag den 15.04.2013 füllte sich um 18 Uhr der Raum 104 des Fürstenberghauses mit Studenten, Mitarbeitern und Professoren, um Marie Bouhaïk-Gironès‘ Gastvortrag mit dem Titel „Pour une histoire sociale du théâtre à la fin du Moyen Age. Acteurs et pratiques“ zu hören. Stellvertretend für das versammelte Plenum begrüßte der Veranstalter der Vortragsreihe „La jeune génération des médievistes français invitée á Münster“, Jun.-Prof. Dr. Torsten Hiltmann, die Mediävistin aus Frankreich. Nach einem kurzen Verweis auf den akademischen Werdegang und die aktuelle Beschäftigung des Gastes als Forscherin am Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS), worin sich ihre besondere Qualität widerspiegle, wurde das Wort der Referentin gegeben.

Zu Beginn ihres Vortrags stellte Frau Bouhaïk-Gironès in knappen Worten ihr Forschungsprojekt vor, das den kontextuellen Rahmen ihres Vortragsthemas bildete. Innerhalb dieses Projektes, das auf eine vorausgehende fünfzehnjährige Auseinandersetzung mit dem Thema rekurriere, soll das mittelalterliche Theater als Schaffensprozess und berufliche Tätigkeit in den Blick genommen werden, wobei der Fokus gleichermaßen auf den Akteuren und den Praktiken liegt. Das mittelalterliche Theater sei, wenngleich nicht im ‚modernen Verständnis‘, durchaus als professionelle Tätigkeit zu begreifen – eine professionelle Tätigkeit im Sinne eines „savoir faire“ beruflicher Organisation. Dies umfasse gleichermaßen die Bildung, die Reglementierung, den Status und die Normen einerseits sowie den kreativen Schaffensprozess der Textproduktion und Inszenierung andererseits. Bouhaïk-Gironès’ erweiterter Zugang richtet sich damit gegen ein literarisch-reduktionistisches Verständnis von mittelalterlichem Theater – ein Verständnis, das dieses mit einem literarischen Genre gleichsetze. Trotz regen Forschungsinteresses am mittelalterlichen Theater bilde dieser Zugang ein Novum in der Theaterforschung. Der evolutionistische und ereignisgeschichtliche Ansatz in der Betrachtung der Geschichte des Theaters, wie er bisher vorgeherrscht habe, sei zu dichotomisch und verstelle den Blick auf das Untersuchungsobjekt als ein dem Wandel unterliegendes Kontinuum.

Um diese These zu verdeutlichen nahm sie konkreten Bezug auf die Frage nach dem Prozess der Professionalisierung der Akteure, dessen Beginn traditionell im Italien des 16. Jahrhunderts zu datieren sei. Folge man diesem bisherigen national- und ereignisgeschichtlichen Betrachtungsschema, belegten zwei kürzlich gefundene Quellen, dass man den Beginn der Professionalisierung ins Frankreich des 15. Jahrhunderts legen müsse, was die Referentin allerdings nicht intendiere. Bei den Quellen, die der Gast dem Plenum in transkribierter Form als Handouts und als projizierte Photographie des Originals zur vor Augen führte, handelt es sich um zwei notarielle Verträge aus den Jahren 1486 und 1500, in denen sich Schauspieler verpflichteten, in einem festgelegten Zeitraum ausschließlich gemeinsam Aufführungen zu gestalten und sowohl deren etwaige Gewinne wie deren Risiken zu vergemeinschaften. Mit diesen Quellen verband Frau Bouhaïk-Gironès nicht das Ziel, eine frühere Professionalisierung als bisher angenommen nachzuweisen, sondern das dyadische Verständnis von vormodernen Amateurschauspielern und modernen Profischauspielern zu hinterfragen und zu überwinden.

Dies werfe zweifellos die Frage auf, was unter Professionalität zu verstehen sei. Als Basis für die Beantwortung dieser Frage, bedient sich Frau Bouhaïk-Gironès eines achtteiligen Kriterienkatalogs der „sociologie de l’art“ (Kunstsoziologie). Innerhalb dieser Kriterien sind insbesondere Eigen- und Fremdzuschreibungen eines Künstlerstatus der Schauspieler sowie die offizielle Institutionalisierung des Theaterbetriebes hervorgehobene Komponenten. Dieser Kriterienkatalog könne die Matrix bilden, um die ‚vormoderne‘ Schauspielerprofessionalität einzuordnen und Wandel wie Verschiebungen innerhalb des Kontinuums Theater aufzuzeigen.

In der sich anschließenden Diskussion wurde zum einen nach der Theaterpraxis in verschiedenen Kontexten (Herrschereinzug, Passionsspiel etc.) gefragt. So wurden z.B. die Bühnenkonstruktionen im öffentlichen Raum thematisiert, die sich – wie die Referentin erklärte – zu Reisezwecken durch ihre Mobilität auszeichneten. Ferner stellte Frau Elise Wintz die Frage nach der Präsenz von Tieren in Inszenierungen und ob es sich um Attrappen oder Lebewesen handelte. Eine Antwort hierauf falle schwer, da es diesbezüglich zu wenige Quellenbelege gebe. Zum anderen war das Prestige oder die etwaige Stigmatisierung der Theaterbetreibenden in der betrachteten Zeit von Interesse. Frau Bouhaïk-Gironès führte aus, dass es sowohl eine tendenzielle Wertschätzung der Öffentlichkeit gegenüber den Schauspielern als auch eine Konkurrenzsituation innerhalb der Gemeinsaft der Theatertreibenden bestand. Auch die Haltung der Kirche gegenüber dem Theater wurde in der Diskussion thematisiert, wobei der Gast vor allem auf die mechanische Wiederholung der Ächtung von Seiten der Religion verwies, die jedoch keinen Bezug zur Lebenswirklichkeit mehr gehabt habe. Auch der Inhalt und die Repräsentativität der vorgestellten Quellen wurde näher diskutiert, die – laut Frau Bouhaïk-Gironès – hoch einzuschätzen sei. Herr Prof. Dr. Martin Kintzinger, interessierte sich ferner für den schwer zu beantwortenden Aspekt, ob die Existenz diese Quellen bezeuge, dass es sich bei dem Zusammenschluss um ein Novum des mittelalterlichen Theaters handle, oder ob diese nur als Beleg erster ‚Krisen‘ einer gängigen Praxis dienen können.

Alles in allem demonstrierte das Plenum reges Interesse an den Forschungen von Frau Bouhaïk-Gironès und an der Thematik im Allgemeinen.

Quelle: http://jeunegen.hypotheses.org/775

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Automatische Handschriftenerkennung

An der Friedrich-Alexander Universität Erlangen findet vom 14. bis 15. Juni 2013 der 20th International Workshop on Automatic Pattern Recognition and Historical Handwriting Analysis statt. Als Referenten dabei sind unter anderem Peter Stokes (King’s College London), Robert Sablatnig (Technische Universität Wien), Dominique Stutzman (CNRS), Lior Wolf (Tel Aviv University).

Mehr Informationen auf der Workshopseite

 

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=1682

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Studentisches Publizieren unter vernetzten Bedingungen: die Online-Zeitschrift w.e.b.Square, Präsentation von Sandra Hofhues und Tamara Ranner #studpubl

http://www.dini.de/fileadmin/workshops/vernetzungstage_2011/hofhues_websquare.pdf Vorstellung des studentischen “Marktplatzes” Wissensmanagement und E-Learning unter Bildungsperspektive der Universität Augsburg auf den Vernetzungstagen des Jahres 2011 der Deutsche Initiative für Netzwerkinformation e.V. Ein Leitmotiv des Magazins ist die Behebung des mangelnden Wissensaustauschs unter Studierenden.

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2013/05/4407/

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CfP: Arbeitskreis Süddeutsche Frauenstifte (neue Deadline: 23.5.!)

Frauenstifte, Kanonissenstifte, Damenstifte – die besondere religiös-kirchliche, aber nicht-monastische und dabei meist ständisch exklusive Lebensform von Frauen in Mittelalter und Früher Neuzeit findet seit langem die Aufmerksamkeit der historischen Forschung. Vor allem für die institutionengeschichtlichen Grundlagen vieler dieser Stifte erlauben inzwischen zahlreiche Bände der „Germania Sacra“ einen guten Einblick. Die begleitenden „Studien zur Germania Sacra“ gehen darüber hinaus auch spezielleren Fragen nach; neuere Beiträge nehmen insbesondere auch sozial- und kulturgeschichtliche Perspektiven ein und schlagen die Brücke zur Gender-Forschung oder zur neuerdings intensivierten Erforschung des [...]

Quelle: http://ordensgeschichte.hypotheses.org/4362

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Lehren aus der Causa Stralsund: Mehr Schutz für historische Bestände

Der folgende Text erschien zuerst in LIBREAS: Klaus Graf: Lehren aus der Causa Stralsund: Mehr Schutz für historische Bestände. In: LIBREAS.Library Ideas, Jg. 9, Heft 1 /Heft 22 (2013)
http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:kobv:11-100208891 (PDF)
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In der Stralsunder Archivsatzung aus dem Jahr 2002 heißt es: “Das Archiv- und Bibliotheksgut ist Kulturgut und unveräußerlich.” Auch das Archivgesetz von Mecklenburg-Vorpommern schreibt die Unveräußerlichkeit des öffentlichen Archivguts fest. Beide Normen haben den Hauptausschuss der Stralsunder Bürgerschaft nicht abgehalten, im Juni 2012 in nicht-öffentlicher Sitzung den um etliche regionale Titel verminderten Bestand der historischen Gymnasialbibliothek im Stadtarchiv Stralsund einem bayerischen Antiquar zu verkaufen. Falk Eisermann wurde auf eine entsprechende Pressemeldung zur Schließung des Stadtarchivs wegen Schimmelbefalls aufmerksam, ich hakte nach, erhielt die Bestätigung der Stadt und mobilisierte die Öffentlichkeit, nicht zuletzt in dem von mir betreuten Gemeinschaftsweblog “Archivalia”. [Fn 01] Nachdem zwei germanistische Fachgutachter, Nigel Palmer und Jürgen Wolf, die im “Handbuch der historischen Buchbestände” gewürdigte Büchersammlung des traditionsreichen Stralsunder Gymnasiums als erhaltenswerte wertvolle Gesamtheit einschätzten und auch das Innenministerium (als Kommunalaufsicht) und das Kultusministerium in dem Verkauf einen Verstoß gegen die Archivsatzung und das Archivgesetz sahen, revidierte die Stadtverwaltung ihre Position und holte die Bücher, soweit diese noch bei dem Antiquar greifbar waren, zurück. Die Leiterin des Stadtarchivs – sie soll die Gymnasialbibliothek als “totes Kapital” bezeichnet haben [Fn 02] – wurde fristlos entlassen. Vor allem durch eine Auktion bei dem Königsteiner Auktionshaus Reiss wurden wertvolle frühneuzeitliche Drucke unwiederbringlich in alle Welt zerstreut, darunter auch Bücher aus der Bibliothek des Stralsunder Poeten Zacharias Orth († 1579). [Fn 03] Nicht verwertbare Bücher, die zu stark beschädigt waren, hatte der Antiquar vernichtet.

“Lehren aus dem Karlsruher Kulturgutdebakel” habe ich 2007 in der “Kunstchronik” publiziert, [Fn 04] und was ich damals schrieb, ist unvermindert aktuell. Mein damaliger erster Punkt “Öffentlicher Druck ist wirkungsvoll!” wurde eindrucksvoll bestätigt. Hervorzuheben ist dabei die große Rolle der Social Media. [Fn 05] Eine Petition bei openpetition.de fand gut 3600 Unterstützer.

Man kann den Ausgang der Affäre, die viele Bibliothekare und Archivare schockiert hat, glimpflich nennen: Die Stadt Stralsund hat eingesehen, dass sie einen gravierenden Fehler begangen hat. Sie hat den Kauf rückabgewickelt und bemüht sich derzeit um die Wiederbeschaffung der bereits verkauften Titel. Doch sollte das nicht zu der Annahme verführen, mit dem Kulturgutschutz stehe es in deutschen Landen zum Besten. Nur Propheten können wissen, ob das Stralsunder Desaster als Abschreckung taugen wird oder ob angesichts klammer Stadt- oder Landeskassen vermehrt Kulturgutverkäufe zu erwarten sind. Ich möchte daher mit Nachdruck darauf hinweisen, dass es keine wirksame Lobby für historische Sammlungen gibt und die rechtlichen Rahmenbedingungen völlig unzureichend sind. Seit 1994 dokumentiere ich Kulturgutverluste, die das Versagen des Kulturgut- und Denkmalschutzes belegen. [Fn 06]

Es ist ein Unding, dass es so gut wie keine gesetzliche Sicherung gegen den Ausverkauf kommunalen Kulturguts gibt. Noch am ehesten kann bei Archivgut der Veräußerung Einhalt geboten werden, schutzlos sind Sammlungen in Bibliotheken und Museen. Die früheren kommunalrechtlichen Genehmigungsvorbehalte, die die Veräußerung von Kulturgütern der staatlichen Kontrolle unterstellte, wurden weitgehend beseitigt. In § 90 der schleswig-holsteinischen Gemeindeordnung erhielt sich eine solche Vorschrift. Absatz 3 lautet: “Die Gemeinde bedarf der Genehmigung der Kommunalaufsichtsbehörde, wenn sie über bewegliche Sachen, die einen besonderen wissenschaftlichen, geschichtlichen oder künstlerischen Wert haben, verfügen oder solche Sachen wesentlich verändern will. Die Gemeinde bedarf abweichend von Satz 1 keiner Genehmigung, wenn diese Sachen an andere schleswig-holsteinische kommunale Körperschaften oder das Land Schleswig-Holstein veräußert werden.” Die wertvollen Altbestände der historischen Stadtbibliotheken oder kommunales Museumsgut dürfen ohne Weiteres in den Handel gegeben werden, da sie weder unter Denkmalschutz stehen, noch als nationales Kulturgut eingetragen sind.

2006 wurde durch das Städtische Museum Schwäbisch Gmünd der Verkauf einer als Schenkung in die Institution gelangten Zinnfigurensammlung angekündigt. Obwohl erhebliche Zweifel am Vorgehen des Museums bestanden, [Fn 07] wollte die Kommunalaufsicht das Vorgehen des Museums nicht beanstanden: “Für uns ergeben sich keine Hinweise auf eine besondere wissenschaftliche, künstlerische oder heimatgeschichtliche Bedeutung und auf eine besondere Beziehung zum Kulturbereich des Landes. Eine Eintragung in das Denkmalbuch als Kulturdenkmal kam also nicht in Frage. Nur in diesem Falle bedarf eine Entfernung von Einzelsachen aus der Sammlung einer Genehmigung. Beim ‚Code of Ethics for Museums’ des Internationalen Museumsrates (IOCM) handelt es sich um eine Selbstbindungsrichtlinie. Ein evtl. Verstoß gegen diese Empfehlungen zieht keine Konsequenzen nach sich.” [Fn 08] Aus meiner Sicht ist der Schutz beweglicher Kulturdenkmale in allen Bundesländern aufgrund viel zu hoher Hürden nur als ganz und gar inakzeptabel zu bezeichnen. Es stünde einem Kulturstaat gut an, anstelle des überflüssigen Schutzes der “kleinen Münze” im Urheberrecht endlich die kleine Münze bei beweglichen Denkmälern anzuerkennen. Während man an der untersten Grenze des Urheberrechtsschutzes (sogenannte “kleine Münze”) großzügig ist und selbst das bescheidene Wegekreuz als Kleindenkmal oder den Hufnagel im Waldboden als Zeugnis für eine einstige Römerstraße und archäologische Quelle schützt, bleiben hochrangige Bibliothek-Ensembles vom Denkmalschutz “verschont”. Der Schutz der kleinen Münze könnte bei Kulturgut beispielsweise bedeuten, dass man Eigentümern verbietet, mittelalterliche oder frühneuzeitliche illuminierte Handschriften aufzubrechen, damit die einzelnen Blätter gewinnbringend verkauft werden können.

In Nordrhein-Westfalen wären die Stralsunder Verkäufe ganz legal gewesen, da man hier bei der Novellierung des Archivgesetzes unsinnigerweise die Ausnahmeregelung für die Kommunen (und Universitäten) bei Sammlungsgut beibehalten hat. Unveräußerlich ist nur das umgewidmete amtliche Registraturgut. Sammlungen oder Nachlässe dürfen also in Nordrhein-Westfalen von den Archiven verkauft werden. [Fn 09] Auf Anfrage im Jahr 2009 wurde mir dazu mitgeteilt: “Aus Sicht der Landesregierung soll es der Wertung der kommunalen Selbstverwaltung uneingeschränkt obliegen, ausnahmsweise bestimmtes Archivgut, das nicht aus Verwaltungshandeln öffentlicher Stellen stammt, veräußern zu können.” [Fn 10]

Die Stralsunder Archivbibliothek zählt zu den vier ganz großen Altbestandsbibliotheken in Mecklenburg-Vorpommern. Aber auch viele andere Archivbibliotheken bergen erhaltenswerte Sammlungen, die nicht selten vernachlässigt werden. Selbst wenn es im jeweiligen Archivgesetz eine Unveräußerlichkeits-Klausel für Archivgut gibt, können verkaufswillige Archivare und Archivträger zwei Ausflüchte anführen:

  1. Bibliotheksgut ist als Sammlungsgut kein “eigentliches” Archivgut und fällt daher nicht unter die gesetzliche Regelung für Archivgut.
  2. Selbstverständlich darf man “Dubletten” und für den Sammlungsauftrag des Archivs wertlose Bücher verkaufen, ohne gegen die Unveräußerlichkeit zu verstoßen.

Ich möchte die Hand nicht ins Feuer legen, dass es nicht nur vereinzelte Archivare gibt, die mit dem Argument “Sind doch nur gedruckte Bücher und keine Handschriften” Teile ihrer Dienstbibliotheken zu Antiquaren bringen und so den historischen Provenienzen in ihrer Sammlung Schaden zufügen. Schon der Vorgänger der geschassten Stralsunder Archivleiterin hatte ja mit dem Verscherbeln von Büchern begonnen. Er hat seine Nachfolgerin auch öffentlich in Schutz genommen.

Während Verkäufe im Museumsbereich in Deutschland noch weitgehend ein Tabu sind, herrscht in den USA eine Kultur der “deaccession”, die unbekümmert in den Markt gibt, was über Generationen bewahrt wurde. Kritiker meinen zwar, dass solche Bestände als Teil eines “Public Trust” zu verstehen seien, der treuhänderisch für die Öffentlichkeit erhalten werden müsse, [Fn 11] aber sie sind in der Minderheit. Es steht zu befürchten, dass eine solche Mentalität auch in Deutschland Boden gewinnen wird.

Warum sind Verkäufe von Beständen aus kulturgutverwahrenden Institutionen von Übel?

Erstens: Archive, Bibliotheken, Museen und andere Sammlungen (wie zum Beispiel die der Denkmalämter) haben eine Archivfunktion. Sie sind als Gedächtnisinstitutionen Teil des kulturellen Gedächtnisses und sollen ihre Kulturgüter dauerhaft bewahren. Gesetzlich festgeschrieben ist das aber leider nur für die Archive.

Zweitens: Die Gedächtnisinstitutionen sichern Geschichtsquellen und machen sie für Wissenschaft und Öffentlichkeit nutzbar. Um einen möglichst hohen Erlös zu erzielen, müssen sich verkaufswillige Institutionen an die Auktionshäuser wenden, die nicht derjenigen Institution den Zuschlag erteilen, in der das veräußerte Kulturgut am besten untergebracht ist, sondern demjenigen Bieter, der die höchste Summe zahlt. Unzählige für die Öffentlichkeit bedeutsame Kulturgüter verschwinden jährlich unzugänglich in Privatsammlungen. Wenn es bei solchen privaten Sammlungen die gleichen Möglichkeiten gäbe, die Stücke einzusehen, wie in öffentlichen Sammlungen, müsste man sich wenig Gedanken machen, aber das ist nun einmal nicht der Fall. Werden historische Sammlungen zerrissen, werden schützenswerte Geschichtsquellen zerstört, die nicht weniger Erkenntnisse über die Geschichte unserer Kultur vermitteln als archäologische Grabungen. Eine Dokumentation vor der Zerstörung, wie sie in der Boden- und Baudenkmalpflege üblich ist (mitunter auf Kosten des Bauherrn), kennt der Kulturgutschutz nicht. Man kann es Juristen überlassen zu überlegen, ob man die Pflicht des Staates, solche Geschichtsquellen für Wissenschaft und Öffentlichkeit zu bewahren, aus dem Kulturstaatsprinzip oder dem Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit ableitet. Entscheidend ist, dass sich an der Praxis des Wegschauens, wenn hochrangige Sammlungen zerstückelt werden, etwas ändert, und dass man den Denkmalschutz bei beweglichen Kulturdenkmalen radikal ausweitet.

Drittens: Großzügige Stifter haben die Gedächtnisinstitutionen in der Regel deshalb mit Schenkungen bedacht, damit ihre Stücke dauerhaft als eine Art Denkmal der Stifter erhalten bleiben. Es verstößt eklatant gegen den Vertrauensschutz, wenn man sich nun von den einstigen Schenkungen trennt und sie zu Geld macht. Potentielle Mäzene, die mit der erwähnten Mentalität in den USA Probleme haben, werden abgeschreckt. Sammler, Familien und private Vereine sollten es sich gut überlegen, ob sie ihre Kulturgüter ohne Auflagen öffentlichen Sammlungen als Schenkung überlassen. Möglicherweise ist es sinnvoller, sie in eine Stiftung einzubringen, die sie als Dauerleihgabe an ein Archiv, eine Bibliothek oder ein Museum gibt. Voraussetzung ist freilich, dass die staatliche Stiftungsaufsicht funktioniert. Bei dem Karlsruher Kulturgüterskandal konnte davon keine Rede sein. Bürgerinnen und Bürger müssen sowohl im Stiftungsrecht als auch im Denkmal- und Kulturschutzrecht die Möglichkeit haben, alle Entscheidungen der Behörden zu kontrollieren. Derzeit ist vor allem an eine gerichtliche Kontrolle zu denken. Es muss also analog zum Naturschutzrecht die Möglichkeit einer Verbandsklage gegeben sein.

Zur bürgerschaftlichen Kontrolle gehört auch eine stärkere Verwaltungstransparenz. Die Stadt Stralsund hat entscheidende Sachverhalte der Öffentlichkeit bewusst vorenthalten, insbesondere den Kaufpreis des im Sommer 2012 verkauften Buchbestandes (angeblich 95.000 Euro). Meine Versuche, dies durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit korrigieren zu lassen, wurden im Eilverfahren abgeschmettert. Das Oberverwaltungsgericht in Greifswald befand letztinstanzlich, dass mein Weblog “Archivalia” kein redaktionell-journalistisches Angebot sei, da eine redaktionelle Prüfung der Beiträge nicht stattfinde. Dass dabei mein Grundrecht der Pressefreiheit als Rechercheur mit Füßen getreten wird, nimmt das Gericht in Kauf. Bleibt es bei dem jetzigen hohen Ansatz des Streitwerts, haben mich die beiden Verfahren zusammen etwa 800 Euro gekostet.

Wäre es sinnvoll, eine Unveräußerlichkeitsklausel in Bibliotheksgesetze einzubauen? Oder sollte man öffentliche Sammlungen verstärkt in das Verzeichnis nationaler Kulturgüter aufnehmen? Beides kann nicht schaden, bringt aber keine entscheidenden Verbesserungen.

Sinnvoll ist nur ein gesetzlicher Schutz, der alle erhaltenswerten Sammlungstypen umfasst. Ein Bibliotheksgesetz hat keine Auswirkungen auf den Museumsbereich. Dass die Liste des national wertvollen Kulturguts im Land Mecklenburg-Vorpommern leer ist, hat man zu Recht anlässlich der Causa Stralsund angemerkt. Diese Kulturgutliste ist nach wie vor eine virtuelle Kunst- und Wunderkammer der Bundesrepublik, über die man sich nur wundern kann. Entscheidend ist, dass dieser Kulturgutschutz keinerlei Sammlungsschutz bewirkt. Ein Einzelverkauf der Sammlungsgegenstände im Inland könnte nicht verhindert werden.

Es spricht also alles dafür, an der Systemstelle anzusetzen, bei der es um den Erhalt von Sachen und Sachgesamtheiten geht, an deren Bewahrung aus wissenschaftlichen, heimatgeschichtlichen oder künstlerischen Gründen ein öffentliches Interesse besteht. Also bei dem in den Denkmalgesetzen geregelten Denkmalschutz, der im Prinzip ja auch bewegliche Kulturdenkmale für die Nachwelt sichern soll. Die Entscheidung über den Ausfuhrschutz national wertvollen Kulturguts sollte der Ministerialbürokratie weggenommen und den Denkmalämtern übertragen werden. Jedes national wertvolle Kulturgut muss zugleich auf der Denkmalliste des jeweiligen Landes stehen. Der auf Archäologie und Baudenkmalpflege beschränkte Denkmalschutz muss erweitert werden, wobei eine solche Aufgabenausweitung angesichts des rauen Winds, der der Denkmalpflege zunehmend ins Gesicht weht, derzeit eine reine Illusion darstellt. Die Denkmalpflege in Nordrhein-Westfalen kämpft 2013 mit massiven Mittelkürzungen.

Soweit Denkmalgesetze wie in Nordrhein-Westfalen oder Mecklenburg-Vorpommern Archivgut aus ihrem Geltungsbereich ausnehmen, sollte das rasch geändert werden. Auch bei Archivgut muss es die Möglichkeiten der denkmalschutzrechtlichen Eingriffsverwaltung, zum Beispiel eine vorläufige Unterschutzstellung bei Gefahr im Verzug geben. Es ist nicht hinnehmbar, dass private Archiveigentümer mit ihrem Archivgut Handlungsfreiheit haben, wenn es sich um Kulturgut, also kulturelles Allgemeingut handelt. Wenn sich ein westfälischer Landjunker entschließt, mit seinem Archiv ein Feuerchen auf dem Schlosshof zu machen, wird man ihn womöglich immissionsrechtlich belangen können, aber Denkmalschutz und Kulturgutschutz sind machtlos.

Es sei noch angefügt, dass die reine Existenz wertvoller Sammlungen für das öffentliche Interesse an ihrem Erhalt nicht ausreicht. Sie müssen auch gepflegt und angemessen nutzbar sein. Durch Kooperationen und Beratungsleistungen muss verhindert werden, dass wertvolle Bibliotheken – seien es öffentliche wie die Stralsunder Stadtarchivbibliothek, seien es private Adelsbibliotheken – verschimmeln und zugrunde gehen. Und die Kulturgüter müssen auch der Allgemeinheit (ebenso wie der Wissenschaft) zur Nutzung angeboten werden, wobei im digitalen Zeitalter vor allem an Digitalisierung und freie Nachnutzbarkeit als Open Data zu denken ist. “Kulturgut muss frei sein”. [Fn 12]

Als Fazit muss man leider konstatieren, dass die Rahmenbedingungen für den Kulturgutschutz eher schlecht sind, obwohl wir dringend mehr Schutz bräuchten. Der Staat zieht sich aus der Kultur zurück, man kann auch sagen: Er spart sie kaputt. Auf die Politik ist wenig Hoffnung zu setzen, denn Banausen wie in der Stralsunder Bürgerschaft kann es auch in einer Landesregierung geben. Unvergessen ist das Diktum des baden-württembergischen Justizministers, der 2006 im Karlsruher Kulturgutstreit angesichts der unersetzlichen Handschriften der Badischen Landesbibliothek von “altem Papier, das im Keller liegt”, sprach. [Fn 13] Also Resignation? Nicht unbedingt. Wenn der Kulturgutschutz nicht ganz ausgehöhlt werden soll, ist es erforderlich, dass in diesem Bereich die Bürgergesellschaft mehr Verantwortung übernimmt. Sie muss sich weit mehr als bisher einmischen und über Stiftungsgelder oder Crowdfunding alternative Finanzierungsmöglichkeiten anbieten. Den Social Media kommt dabei eine Schlüsselrolle zu: Sie können die Öffentlichkeit bei Missständen mobilisieren, zugleich aber auch für den kulturellen Wert der in den Gedächtnisinstitutionen verwahrten Zeugnisse der Geschichte und Kunst werben. Die Bürgergesellschaft muss also weit mehr als bisher aktiv in die “Überlieferungsbildung”, also die Arbeit am kulturellen Gedächtnis und die damit zusammenhängenden Bewertungsprozesse, einbezogen werden.

Fußnoten

[01] Vgl. für einen Überblick zum Sachverhalt neben den vielen Beitragen auf „Archivalia“ (auffindbar via Stichwortsuche nach “Stralsund”: http://archiv.twoday.net/search?q=stralsund) die zusammenfassenden Beiträge im “Weblog Kulturgut” (http://kulturgut.hypotheses.org/category/bibliotheken/stralsund) sowie explizit Graf, Klaus: Causa Stralsund, in: L.I.S.A. – Das Wissenschaftsportal der Gerda Henkel Stiftung, 13.11.2012, abgerufen am 24.04.2013, http://www.lisa.gerda-henkel-stiftung.de/content.php?nav_id=4101. [zurück]

[02] Vgl. Müller-Ulrich, Burkhard; Marx, Peter: Stralsund will historischen Bibliotheksbestand zurückkaufen – 6210 Bücher waren abgegeben worden, in: Deutschlandfunk – Kultur heute, 21.11.2012, abgerufen am 24.04.2013, http://www.dradio.de/dlf/sendungen/kulturheute/1928683/. [zurück]

[03] Vgl. Graf, Klaus: Causa Stralsund: Kepler-Druck aus der Gymnasialbibliothek Stralsund am 30. Oktober für 44.000 Euro bei Reiss verauktioniert, in: “Archivalia”, 20.11.2012, abgerufen am 24.04.2013,http://archiv.twoday.net/stories/219022356/. [zurück]

[04] Vgl. Graf, Klaus: Lehren aus dem Karlsruher Kulturgutdebakel 2006, in: “Archivalia”, 06.02.2007, abgerufen am 24.04.2013, http://archiv.twoday.net/stories/3287721/. [zurück]

[05] Siehe auch den Kommentar von: Schmalenstroer, Michael: Die Stralsunder Gymnasialbibliothek ist gerettet, in: Schmalenstroer.net, 21.11.2012, abgerufen am 24.04.2013, http://schmalenstroer.net/blog/2012/11/die-stralsunder-gymnasialbibliothek-ist-gerettet/. [zurück]

[06] Vgl. die Links via https://docs.google.com/document/d/1j2fQxZxJir1mTytZ0EMpTFZGVW6aDbi96Db3cdC2a-U/, abgerufen am 24.04.2013. [zurück]

[07] Vgl.: Graf, Klaus: Museum Schwäbisch Gmünd verscherbelt Museumsgut, in: “Archivalia”, 09.12.2006, abgerufen am 24.04.2013, http://archiv.twoday.net/stories/3043380/. [zurück]

[08] Vgl.: Nachtrag zu: Graf, Klaus: Museum Schwäbisch Gmünd verscherbelt Museumsgut, in: “Archivalia”, 09.12.2006, abgerufen am 27.04.2013, http://archiv.twoday.net/stories/3043380/. Nachträglich wurde mir der Bericht über die Tagung des Museumsverbands Mecklenburg-Vorpommern am 28./29.4.2013 in Wismar bekannt, auf der darauf hingewiesen wurde, “dass Kulturgüter in öffentlichen Sammlungen in Mecklenburg-Vorpommern gesetzlich nicht ausreichend geschützt seien. So sei nicht geregelt, unter welchen Umständen Museen Kulturgüter überhaupt abgeben dürfen.” Besserer Schutz für Kulturgüter gefordert, in: ndr.de, 28.4.2013, abgerufen am 30.04.2013 http://www.ndr.de/regional/mecklenburg-vorpommern/kulturgueter101.html. [zurück]

[09] Siehe zur Diskussion die einschlägigen “Archivalia”-Beiträge durch eine Stichwortsuche nach “Sammlungsgut” und “NRW” http://archiv.twoday.net/search?q=sammlungsgut+nrw. [zurück]

[10] Vgl. Graf, Klaus: Archivgesetz NRW: Stadtarchive und Uniarchive sollen Archivgut verscherbeln dürfen, in: “Archivalia”, 30.11.2009, abgerufen am 24.04.2013, http://archiv.twoday.net/stories/6070626/. [zurück]

[11] The Art Law Blog, abgerufen am 24.04.2013, http://theartlawblog.blogspot.de/ passim. [zurück]

[12] Vgl. Graf, Klaus: Kulturgut muss frei sein!, in: “Archivalia”, 24.11.2007, abgerufen am 24.04.2013,http://archiv.twoday.net/stories/4477824/. [zurück]

[13] Vgl. Raffelt, Albert: Der “badische Kulturgüterstreit” – eine erste Zwischenbilanz. In: Sühl-Strohmenger, Wilfried [u.a.]: EUCOR-Bibliotheksinformationen – Informations des bibliothèques, 29(2007), pp. 26-29, abgerufen am 24.04.2013, http://www.ub.uni-freiburg.de/fileadmin/ub/eucor_infos/pdf/eucor-29.pdf. [zurück]

Dr. Klaus Graf ist Historiker und Archivar, als solcher unter anderem als Geschäftsführer am Hochschularchiv der RWTH Aachen sowie als Lehrbeauftragter am Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte der Universität Freiburg im Breisgau und am Lehr- und Forschungsgebiet Frühe Neuzeit der RWTH Aachen, tätig. Über die historiographische und archivalische Arbeit hinaus beschäftigt sich Klaus Graf intensiv publizistisch mit Themen wie Urheberrecht und Open Access, insbesondere in Zusammenhang mit Kulturgütern. Das von ihm maßgeblich inhaltlich geprägte Weblog Archivalia ist weit über Fachgrenzen hinaus bekannt.

Der Beitrag als PDF: http://edoc.hu-berlin.de/libreas/22/graf-klaus-4/PDF/graf.pdf . Er steht unter CC-BY.

Quelle: http://kulturgut.hypotheses.org/204

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Kulturgeschichte Chinas im Netz (II)

In loser Folge werden Webseiten präsentiert und rezensiert, die sich mit der Kulturgeschichte Chinas im weitesten Sinne beschäftigen. Vgl.  “Kulturgeschichte Chinas im Netz (I)”

Die Seiten von Bridging Eurasia, auf denen das Deutsche Archäologische Institut und die Chinesische Akademie für Kulturerbe (Zhongguo wenhua yichan yanjiuyuan 中國文化遺產研究院) “gemeinsam über aktuelle Entwicklungen, Konservierungsarbeiten, Museumseröffnungen und Neuerscheinungen” informieren, bieten – in Deutsch, Englisch und Chinesisch – neben einer sehr nützlichen Zusammenstellung von Fachzeitschriften zur Chinesischen Kulturgeschichte auch eine Rezension des auf 32 Bände angelegten Zhongguo wenwu ditu ji 中國文物地圖集 (“Atlas of Cultural Relics”/Atlas der historischen Denkmäler Chinas). Neben den Hinweisen auf Publikationen zum Kulturgüterschutz werden in der Rubrik “Neuigkeiten” Hinweise auf archäologische Endeckungen, auf Museen und Ausstellungen sowie zum Thema “Kulturerhalt” gegeben. Die Rubrik “Übersichtsartikel” enthält bislang als einzigen Beitrag “Die ältesten menschlichen Fossilien in China”  (von Richard Ehrich).

Von den archäologischen Funden in China haben die Terrakottakrieger des Ersten Kaisers (Qin Shihuangdi, r. 221-210 v. Chr.) weltweit sicherlich die größte Aufmerksamkeit erhalten. Einige diesem Fund gewidmete Ausstellungen (die sich in der Regel als Besuchermagnet erweisen[1] ) werden mit Online-Präsentationen beworben – derzeit etwa “China’s Terracotta Warriors. The First Emperor’s Legacy” im Asian Art Museum, San Francisco (22 Februar – 27. Mai 2013)[2] oder “Qin – Der unsterbliche Kaiser und seine Terrakottakrieger” am Bernischen Historischen Museum (15. März – 27. November 2013)[3]

Informationen zum kulturellen Erbe Chinas bieten auch die in den Jahren 1998 bis 2012 von Richard R. Wertz in sehr ‘chinoisem’ Design erstellten Seiten “Exploring Chinese History”, die Rubrik “Culture” enthält durchaus nützliche Informationen zu den Gebieten Sprache, Literatur, Archäologie, Philosophie, Religion und Bevölkerung.

 

  1. So zählte man bei “The First Emperor: China’s Terracotta Army” (British Museum, 13. September 2007 – 6. April 2008) 850.000 Besucher. Vgl. http://www.britishmuseum.org/about_us/museum_activity/china.aspx
  2. Vgl. dazu auch die Presseaussendung des Museums vom 2. Januar 2013
  3. Vgl. dazu auch “Qin-Ausstellung in Bern eröffnet”, http://www.archaeologie-online.de/magazin/nachrichten/qin-ausstellung-in-bern-eroeffnet-25087/

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/448

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SUDOC – der Katalog der französischen Hochschulbibliotheken, Teil 1

Die französischen Universitätsbibliotheken bilden im Unterschied zu den deutschen ein relativ einheitliches System. Die Teilnehmer arbeiten auf nationaler Ebene zusammen und sind von den öffentlichen Bibliotheken, die auf regionaler Ebene wirken, klar getrennt. Ein gemeinsamer Verbundkatalog, der SUDOC  (Système Universitaire … Continue reading

Quelle: http://francofil.hypotheses.org/30

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