Wenn ein Fürst auf Brautschau geht. Teil II

Im letzten Teil ging es um die äußeren Faktoren, die bei einer Brautschau beachtet werden wollen. Karl Eusebius von Liechtenstein (1611-1684) rät seinem Sohn zunächst, sich bloß nicht zu spät zu verheiraten, um die Fortsetzung der Dynastie nicht zu gefährden. Bei der Wahl seiner Partnerin habe er ihren Stand und ihre Konfession unbedingt zu berücksichtigen. Niemals dürfe sich ein Liechtenstein mit Ketzern einlassen. In den Augen von Karl Eusebius lagen die vorteilhaftesten Verbindungen bei den altehrwürdigen Häusern aus dem hohen Reichsadel. Der Fürst von Liechtenstein konnte natürlich nicht ahnen, dass es vielen nachfolgenden Generationen seiner Familie nicht gelingen würde, in diesen exquisiten Heiratskreis aufgenommen zu werden. Nachdem der Vater seinem Sohn die Eckpfeiler standesgemäßer Brautschau auseinander gesetzt hat, wendet er sich den wünschenswerten, ja notwendigen persönlichen Eigenschaften der Braut zu:

„bey dergleich aber vornehmen Verwandtnus wil, und mus auch die Gesundheit und Complexion eüßerst beobachtet werden, das keine zur Gemahlin erwehlet, so an derselben ein Mangel hätte“ (pag. 126)

Auch müsse man darauf achten, dass Krankheiten wie Gicht (zeitgenössich Podagra genannt) oder Lungensucht im weiteren Familie nicht auftauchen „dann Krankheiten erben sich, und kommen in die Geshlechter“ (pag. 126). Das nötige Wissen habe man sich beständig zu beschaffen, nicht erst im Vorfeld der Vermählung. Die verbindungswürdigen Geschlechter mussten also jeder Zeit genau beobachtet werden, um die ‘dynastische Gesundheit’ einzuschätzen. Karl Eusebius rät seinem Sohn, sich zu diesem Zweck durchaus offen an Dritte zu wenden, die Dienerschaft oder den Hofarzt zu befragen (sprich: zu bestechen).

Das Geheimnis der Körpersäfte

Der Begriff der Complexion, den Liechtenstein verwendet, meint übrigens weitaus mehr als den körperlichen Zustand eines Menschen. Er stammt aus der Humoralpathologie (Säftelehre), die trotz oder wegen ihrer antiken Grundlagen auch noch in der Frühen Neuzeit zum medizinischen Standardwissen gehörte. Wenn man von der Complexion eines Menschen sprach, meinte man damit seine körperliche Verfassung und seinen Geisteszustand. Aus der Sicht vormoderner Mediziner bedingte sich beides gleichzeitig. Zwischen Körper und Geist vermittelten die Körpersäfte, von denen es vier gab: Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle. In der Theorie befanden sich befanden sich die vier Säfte bei einem physisch und psychisch gesunden Menschen im perfekten Gleichgewicht. Unwohlsein oder gar Krankheit verrieten ein Ungleichgewicht der Säfte, das ein erfahrener Mediziner beheben konnte. Die am häufigsten gebrauchten Mittel waren der Aderlass oder spezielle Diäten, da man davon ausging, dass alles, was man dem Körper zu- oder abführte, die Konzentration der Säfte beeinflusste.

Der antike Arzt Galen (2. Jh. n. Chr.), dessen Werke im Mittelalter und der Renaissance das medizinische Wissen enorm beeinflusst hatten, hatte außerdem erkannt, dass die Menschen in der Realität niemals vollständig gesund an Geist und Körper waren. Insbesondere unterschieden sie sich in ihren Gemütslagen. Der eine lebte eher zurückgezogen und in sich gekehrt durch den Tag, die andere erging sich wegen jeder Kleinigkeit in Wutanfällen. Die Lösung, so vermutete Galen, lag auch hier im Gemisch der Körpersäfte. Jemand, der besonders schwerfällig und behäbig tat, besaß offenbar einen Überschuss an Schleim. Seinem Temperament nach war er Phlegmatiker. Sehr emotionale Menschen, Melancholiker, besaßen zu viel schwarze Galle. Jedem der vier Körpersäfte entsprach ein Temperament. Sie wirkten sich freilich nicht nur negativ auf die Complexion eines Menschen aus. Dem Choleriker zum Beispiel, dem man ein Zuviel an gelber Galle diagnostizierte, schrieb man gleichzeitig zu, besonders kühn und mutig zu sein.

Feldforschung

Karl Eusebius, so können wir folgern, war also in Grundzügen mit dem medizinischem State-of-the-art seiner Zeit vertraut. Er fordert von seinem Sohn:

„der Homur [= Humor] der künfftigen Gemahlin auch wohl zuerkündigen, zuerforshen und selbst zu penetriren ist, damit ein gutte gewünshte und glücksseelige in stäter Liebe stehende Ehe seye und erfolge, so durch eigene Persohn und Übung mus erfahren werden, also wohin man sich vermehlen wolte, und etliche Orth man in vorshlag haben thäte, man alldahin reyßen mus”  (pag. 127f)

Um den Humor, also die “Feuchtigkeit”, den Zustand der Säfte, richtig beurteilen zu können, müsse man die Kandidatin genau beobachten. Der Fürst rät deshalb, sich eine Woche Zeit für die Feldforschung am fremden Hof zu nehmen. Notfalls gelte es, Krankheit vorzuschützen, um die Abreise zu verzögern. Falls ihr Äußeres allerdings schon nach der ersten Begegnung nicht zu überzeugen weiß, könne man direkt wieder abreisen: „dann hessliche Gesichter zu Arthen und in das Geshlecht zu bringen und darmit die Menshengestadlt zuverderben, soll keines weeges jemahls seyn“ (pag. 129).

Schön und tugendsam soll sie sein

Die potentielle Braut müsse groß sein, bloß nicht klein, und auf gar keinen Fall bucklig, denn ein Buckel könnte vererbt und so zum Fluch des eigenen Geschlechts werden. Eine aufrechte, hochgewachsene Gestalt gebe der Person in ihrem Auftreten mehr Präsenz. Die Augen wiederum sollten groß und von schwarzer oder brauner Farbe sein, aber: „nicht die jenigen groß, so nur grosse Kugl und Poltzet seyn, weith aus den Kopf herauß stehend, an einen Ross oder anderen Thier seynd die Poltzeten shön, am Menshen aber nicht, sondern nur das geshlitzte zuachten und zu wählen ist“ (pag. 130f).

Während der Erkundung, so Liechtenstein, „soll man sich dernach nicht verliebt zu seyn erzeügen, sondern blos als thäte man täglich die Fürstinen besuchen aus Höfflichkeit, wie es in der Weldt der Gebrauch ist, das Frauzimmer zubesuch- und zubedienen“ (128) So könne man ohne Peinlichkeiten mehrere Kandidatinnen beobachten. Erst wenn die Braut ausgewählt sei, könne man ihr gegenüber Affektion zeigen. Man sieht, Karl Eusebius hatte einen eher pragmatischen Zugang zur Liebe. Jedoch macht er sehr deutlich, dass „kein Heürath soll gezwungen werden” (pag. 129). Eine erzwungene Ehe hat keine Zukunft.

Was den Charakter der Kandidatin betrifft, so bleibt der Fürst von Liechtenstein dem damals üblichen Rollenbild verhaftet. Eine Frau solle „nicht hochtragen-eigensinnig” sein “und besonders geshämig, so an einen Weibs Bild das beste, und aller vornehmste und ein Zeichen der Ehrbarkeit und Keishheit, in welchen die gröste Tugend der Weiber, so alle Leichtfertige ausshliesset, auch das eine demüttig-andächtig und gottfürchtig seye, welche Tugend im Menshen die aller vornehmste, dan sie versaget und fliehet das Laster”. Schamhaftigkeit und Keuschheit waren schon im Mittelalter weibliche Kardinaltugenden, daran änderte sich bis weit ins 18. Jahrhundert wenig. Im Übrigen, so Karl Eusebius “sol man also mehres die Tugenden als die Schönheit an einer erwählenden Gemahlin beobachten und erwählen“ (pag. 129).

Kinder sind segenreich

Der letzte Punkt, den der Vater seinem Sohn mit auf den Weg geben möchte, ist gleichzeitig der wichtigste: die Fruchtbarkeit der zukünftigen Braut. Sie hat oberste Priorität. Nichts sei mehr von Bedeutung als „das man in seiner Ehe viell Kinder zu Erhaltung des Nahmens und Stammes erzeigen möge, so ein Segen Gottes ist, und jeder glückseelig sich zushätzen hat“ (131). Die Gebärfreudigkeit einer Frau kann freilich nur auf indirektem Wege erkundet werden. Das liegt in der Natur der Sache. Mit Ausnahme von Witwen, die sich erneut auf den Heiratsmarkt begaben, waren die Kandidatinnen (jedenfalls offiziell) noch jungfräulich. Als verlässlicher Indikator gilt dem Fürsten von Liechtenstein die Fruchtbarkeit der Eltern und der vorrangegangenen Generationen. Als Faustregel empfiehlt er: Je mehr Geschwister eine Frau hat, desto besser die Chancen auf eine ‘fruchtbare’ Verbindung mit ihr.

Die Liechtenstein’sche Instruktion – eine einzigartige Quelle

Damit wären wir wieder zum Anfang dieser kleinen Reihe zurückgekehrt: die Erhaltung der Dynastie als Grundmotiv adeliger Heiratsstrategien. Auch die Liechtenstein’sche Instruktion wurde in diesem Geist verfasst. Karl Eusebius verdeutlicht seinem Sohn immer wieder, dass seine erste und wichtigste Aufgabe die leibliche Fortsetzung des Hauses ist. Es überrascht deshalb wohl kaum, wenn der Adel in Sachen Eheschließung langfristig plante. Die Instruktion von Karl Eusebius illustriert, wie das gesammelte Wissen darum, wie man eine erfolgsversprechenden Brautschau durchführt, an die nächste Generation weitergeben werden kann. Eine Textgattung wie die Instruktion verantwortet das natürlich nicht allein. Die Vermittlung von adeligen Kulturtechniken war Teil der Sozialisation. Von Kindesbeinen an lernten der adelige Mann und die adelige Frau, wie sie sich zu verhalten hatten und was von ihnen erwartet wurde. Die konkreten Inhalte sind nur insofern überliefert, als sie schriftlich fixiert wurden. Texte wie die Liechtenstein’sche Instruktion entwickelten mit der Zeit eine eigene Dynamik. Häufig wurden sie von kommenden Generationen als Blaupause genutzt für eigene Erziehungsschriften. Sie wirkten also traditionsbildend. Im Fall Liechtenstein wurde das Dokument sogar unverändert übernommen und im 18. Jahrhundert mehrmals abgeschrieben. Für den Historiker bedeutet diese Praxis einen Glücksfall, denn überliefert ist die Instruktion nicht im Original, sondern nur in den Abschriften. Hätte Karl Eusebius‘ Ratgeber innerhalb der Dynastie keine so große Bedeutung erlangt, wäre der Text für immer verloren gegangen.

Quelle

VA 5-2-2 Fürstlich Liechtensteinsches Domänenarchiv Wien. (Kopie des 18. Jahrhunderts): Die Instruktion des Fürsten Karl Eusebius von Liechtenstein.

Quelle: http://edelfrauen.hypotheses.org/122

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Wenn ein Fürst auf Brautschau geht. Teil I

 

Einer der bekanntesten Allgemeinplätze über das Leben in der Vormoderne betrifft das Zusammenleben von Männern und Frauen. Die Ehe, so sagt man, habe mit gegenseitiger Liebe und Zuneigung gar nichts zu tun gehabt. Die romantische Beziehung der Geschlechter sei eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. Bei vormodernen Eheschließungen hätte Pragmatismus geherrscht. Diese Pauschalisierung, die in der Regel mit einer negativen Wertung der vor-romantischen Ehepraxis einhergeht, ist nicht falsch. Aber, wie bei den meisten Allgemeinplätzen, steckt der Teufel im Detail. Ja, in allen Ständen und Schichten, vom Adel über das Stadtbürgertum bis hin zu den bäuerlichen Schichten, galt die Partnerwahl in erster Linie als eine Sache der Familien, nicht der Betroffenen. Die, zumeist männlichen, Oberhäupter der Familienverbände arrangierten die Ehen ihrer Kinder mit Blick auf das Interesse der gesamten Familie. Ehen stifteten soziale Kontakte, versprachen materiellen Gewinn und mehrten die Ehre des Familienverbandes. Persönliche Befindlichkeiten von Braut und Bräutigam hatten davor zurückzutreten. Gerade im Adel spielte die ‚richtige‘ Partnerwahl eine besonders wichtige Rolle, weil man über die größten sozialen, kulturellen und ökonomischen Ressourcen der vormodernen Gesellschaft verfügte. Eine Heirat besaß hier, wie Evelin Oberhammer bemerkt, „über die individuell-private Komponente hinaus, öffentlichen Charakter“ (Oberhammer 1990:182). Trotzdem darf man es sich nicht zu einfach machen und adelige Partnerwahl bzw. Eheschließung auf externe Faktoren reduzieren.

Die Normen und Vorstellungen, die bei der Partnerwahl handlungsleitend wirkten, waren deutlich vielschichtiger, als das Klischee der ‚arrangierten Ehe‘ glauben macht. So war es, um nur ein Beispiel zu nennen, den Zeitgenossen ungemein wichtig, dass die Ehepartner miteinander harmonisierten. Eine zerrüttelte Ehe, in der Mann und Frau aufgrund gegenseitiger Abneigung nicht mehr miteinander verkehrten, gesellschaftlich wie sexuell, schadete dem Familienwohl und widersprach den christlichen Wertvorstellungen, wonach die eheliche Verbindung der Geschlechter eine vor Gott geheiligte Form des Zusammenlebens darstellte. Unter den Bedingungen der vormodernen Partnerwahl war die dauerhafte Eintracht der Eheleute jedoch etwas, was kaum im Voraus garantiert werden konnte. Häufig sahen sich die Brautleute vor der Vermählung zum ersten Mal. Sie lernten sich also erst dann gegenseitig kennen, wenn sie bereits verheiratet waren. Dieser Heiratspraxis wohnte ein starkes Moment von Unvorhersehbarkeit inne, das nur abgemildert, nicht umgangen werden konnte.

Der Adel ging mit dieser Kontingenz in strategischer Weise um, indem er versuchte, das Unplanbare planbar zu machen. Da es in der Regel die Männer waren, für die eine Frau gesucht wurde, spricht man bei der Partnerwahl auch von Brautschau. Die Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Brautschau war Wissen. Zum einen benötigte man theoretisch-methodisches Wissen: Wie erkannte man zum Beispiel, ob eine Frau fruchtbar war? Welche Charakterzüge waren an einer Frau wünschenswert, welche gefährlich und wie erkannte man sie? Zum anderen hatte man den Heiratsmarkt ständig zu beobachten und relevante, zukünftig vielleicht einmal nützliche Informationen zu sammeln. Ein probates Mittel, um Nachrichten über geeignete Kandidatinnen auszutauschen, war das Medium des Briefes. Insbesondere die weiblichen Mitglieder eines Hauses nutzten ihr weit verzweigtes Korrespondenznetz in diesem Sinn. Aber auch während man Besuch empfing, bei Freunden, Bekannten oder am Hof weilte, gab es immer wieder Gelegenheiten, die Kenntnis des Heiratsmarktes aufzufrischen

Die hier bisher nur angedeutete Vorstellungswelt, die der adeligen Heiratspraxis zugrunde lag, gewinnt an Konturen, wenn man sich den Quellen zuwendet. Außergewöhnlich ergiebig ist in dieser Hinsicht ein Dokument aus dem späten 17. Jahrhundert, das über mehrere Generationen im Fürstenhaus Liechtenstein kursierte. Diese sogenannte ‚Instruktion‘ hatte Fürst Karl Eusebius von Liechtenstein (1611-1684) für seinen Sohn und Nachfolger Johann Adam (1657-1712) verfasst. Die Erziehungsinstruktion ist eine frühneuzeitliche Textgattung, die sich aus der mittelalterlichen Spiegelliteratur entwickelt hat. Spiegel waren moraldidaktische Schriften, die den Weg zum tugendhaften Leben aufzeigen wollten. Üblicherweise wählte man die Form des Tugendspiegels, in dem die Normen für den richtigen Lebenswandel anhand von Beispielen (exempla) erläutert wurden. Seltener waren sogenannte Lasterspiegel, die dem Motiv der verkehrten Welt waren. Sie malten moralisch verwerfliches Handeln in drastischen Bildern, um vor dieser Kontrastfolie das richtige Verhalten einzufordern. Die Tugenden, die immer wieder bemüht wurden, hatten sich in spätantiker Zeit unter dem Einfluss der Kirchenväter zu einem Katalog verfestigt. Es gab vier Kardinal-Tugenden, aus denen sich alle anderen ableiteten: Klugheit, Maß, Tapferkeit und Gerechtigkeit. Später wurde es üblich, die Tugenden in Frauengestalt zu allegorisieren. Von ihnen gab es insgesamt sieben. In der vormodernen Bilderwelt sind diese Frauen quasi allgegenwärtig.

Die "Mäßigung" von Piero del Pollaiolo um 1470. Eine von sechs Tugendallegorien, die der Maler aus Florenz geschaffen hatDie “Mäßigung” von Piero del Pollaiolo um 1470. Eine von sechs Tugendallegorien, die der Maler aus Florenz geschaffen hat

Die Sollens-Sätze der Spiegel fußten also in der Regel auf einem christlichen Fundament, d.h. sie wurden moraltheologisch begründet. Daran änderte sich auch in der Frühen Neuzeit nichts, als sich, bedingt durch den Buchdruck, das Feld der moraldidaktischen Erziehungsschriften immer weiter ausdifferenzierte. All den mehr oder weniger neuen Textsorten, den Ehebüchlein oder -predigten, den Erziehungsschriften und der Hausväter- bzw. Ökonomieliteratur stimmten in einer Sache überein. Sie besaßen den Anspruch von zumindest mittelbarer Anwendbarkeit. Sie sollten die Menschen durch Praxistauglichkeit belehren und erziehen, nicht durch theoretisch-theologische Denk- und Stilübungen.

Die Erziehungsinstruktion war vor allem eine Textgattung des Adels. In ihr bearbeitete der Verfasser verschiedene Themenfeldern, die praktische Relevanz für das Leben und Wirken seiner Nachkommen besaßen. Die weitaus meisten bekannten Instruktionen hatte der Vater an den ihm nachfolgenden Sohn verfasst. Manchmal richtete er sich auch an alle Söhne. Seltener überliefert sind Instruktionen, in denen sich Väter an ihre Töchter wenden. Dagegen scheinen Mütter häufiger an ihre Töchter geschrieben zu haben. Nur ausnahmsweise existieren Instruktionen von Frauen an ihre Söhne. Auch die Instruktion von Fürst Karl Eusebius berührt verschiedene Themen, wie die standesgemäße Lebensführung, das richtige Finanzgebaren und natürlich die Politik. Für die bisherigen Ausführungen relevant sind insbesondere seine mehrseitigen Ausführungen zur Brautschau und zum ehelichen Lebenswandel.

Zu Anfang dieses Abschnitts seiner Instruktion erinnert Karl Eusebius seinen Sohn an den Sinn und Zweck der Ehe:

So du dir vor allem werdest angelegen seyn lassen, deiner Vermählung und Erhaltung deiner eigenen Descendenz und Lini per sucessionem masculinam, vor und zu welchen allein von Gott und denen Gesatzungen ist gesetzet, geordnet und zugelassen worden das Christliche Ehe-Beth […] über welches nichts Angenehmeres, Wohlgefälligeres, Nutzlicheres und Erfreilicheres seyn kann, als seine succession in perpertua secula zu stabiliren und zu erhalten
(pag. 121)

Die erste Pflicht eines Familienoberhauptes war es, die biologische Fortsetzung, die ‚Fortpflanzung‘ der Dynastie sicherzustellen. Dazu bedurfte es natürlich einer ausreichenden Zahl von Nachkommen. Die einzige Möglichkeit, dies auf legitime Art und Weise zu besorgen, war das „Christliche Ehe-Beth“. Die Gesetze Gottes und übrigens auch die der Menschen („denen Gesatzungen“) sanktionierten jede Form von Verkehr außerhalb der Ehe. Dem dynastisch denkenden Adel Europas blieb keine andere Wahl als die monogame Bindung eines Mannes an eine Frau (bzw. einer Frau an einen Mann!). Heiraten war Standespflicht: „wer Landt und Leüth hat, muß vermehlet seyn, seine Succession nach dem Willen des Allerhöchsten zu erhalten“ (pag. 123).

Diesen Punkt betont Karl Eusebius in seiner Instruktion immer wieder. Den katholischen Liechtenstein ging es dabei gar nicht so sehr um einen möglichen vorehelichen Sexualkontakt seines Sohnes mit seinen potenziell skandalträchtigen Folgen (nämlich einer Schar von Kegeln, also unehelichen Kindern). Er scheint eher Angst davor gehabt zu haben, dass sich Johann Adam gar nicht oder zu spät vermählte:

werdest dir also nicht einfallen durch ein narrishen Capricio und Einfall und Laster Einstreüung des Teüfls deine ehiste Vermählung zu protrahiren und auf zushieben, mit etwan narrichten Einfall, du woltest gar nicht heürathen sub specie der Andacht oder eines geistlichen Stands, deme solst du nicht folgen; dan es seyn Einwurf und Fang-Strickh des Teüfls“(pag. 121)

So kommt es an dieser Stelle zu der paradoxen Situation, dass der Eintritt in den geistlichen Stand und den Zölibat als Teufelswerk beschrien wird. Die Gefahr, auszusterben, war freilich tatsächlich eine nur allzu reale Bedrohung für jedes Adelsgeschlecht. Kinderreichtum war nicht nur aus theologischer Sicht eine erfreuliche Angelegenheit, weil sich dadurch die Zahl der Christen vermehrte. Vielmehr war es für ein Haus überlebensnotwendig, nicht nur einen Erben, sondern viele hervorzubringen. Die Kindersterblichkeit war hoch, fast jede Krankheit konnte den Tod bedeuten, Reisen waren lang und beschwerlich, der im Adel übliche Kriegsdienst zog nicht gerade selten Tod oder Verwundung nach sich. Deshalb war es nur folgerichtig, wenn die Dynastie auf Alternativen in Form von zweiten, dritten und vierten Söhnen zurückzugreifen in der Lage war. Im Übrigen galt Ähnliches auch für die weibliche Nachkommenschaft. Es wird zwar immer wieder kolportiert, dass Mädchen als eine Belastung, gar als Fluch gesehen wurden (wegen der zu zahlenden Aussteuer), daran ist in der Praxis aber wohl wenig gewesen. Denn auch die Töchter dienten der Dynastie, indem sie in andere Häuser einheirateten und so Beziehungen etablierten bzw. stabilisierten. Vielleicht handelt es sich bei diesem Klischee um einen Reflex aus der in der Tendenz misogynen, d.h. frauenfeindlichen Literatur der Zeit? Insgesamt ist jedenfalls klar: Gerade im Adel galten Kinder als Segen.

Johann Adam I. Andreas Fürst von Liechtenstein (1684-1712). Gemälde von Peter van Roy (1683 – nach 1738).

Eine große Kinderschar stellte für die meisten Häuser gleichzeitig eine sehr schwere finanzielle Bürde dar. Eheschließungen waren eine teure Angelegenheit. Die Ausgaben für eine prächtige Hochzeitsfeier machten dabei nur einen Bruchteil  der eigentlichen Kosten aus. Die langfristige Belastung verbarg sich in der materiellen Ausstattung des Brautpaares. Töchter entzogen der Familie bei ihrer Vermählung Kapital in Form der Mitgift (Aussteuer), die je nach Rang und Stand des Hauses den Jahreserträgen mehrerer Gutsbetriebe oder kleiner Herrschaften ausmachen konnte. Im Gegenzug musste der Bräutigam Sicherheiten in Höhe der Mitgift stellen. Diese sogenannte Widerlage bestand üblicherweise aus Grundbesitz, dessen Einkünfte dann für die Bedienung der Zinsen von 5-10% verwendet wurden. Hinzu kam mit der sogenannten Morgengabe eine Barleistung des Bräutigams an seine Braut, die er ihr am Tag nach der Hochzeit verehrte. Sie betrug häufig, aber nicht immer, ungefähr 10% der Mitgift. Die Braut ihrerseits erhielt vor der Vermählung von ihrer Familie mehr oder weniger umfangreiche Sachleistungen, wie Schmuck, Kleider, Decken usw. Der aufwändige Gabentausch im Umfeld einer Eheschließung erfüllte einen doppelten Zweck. Die Geschenke und Verehrungen stifteten ein Band gegenseitiger Abhängigkeit zwischen den Brautleuten und ihren Familien. Sie bildeten aber auch das ökonomische Fundament der Ehe.

Weil ein Eheprojekt derartig hohe Aufwändungen mit sich brachte, verheirateten kinderreiche Adelshäuser, die es sich nicht leisten konnten oder wollten, nicht alle ihre Nachkommen. Bei den Liechtenstein etwa war es üblich, dass sich nur der älteste Sohn vermählte. Dieser Brauch hing unmittelbar zusammen mit der inneren Verfassung des Hauses. Karl von Liechtenstein (1569-1627), der Vater von Karl Eusebius, hatte nämlich 1598 eine Erbeinigung mit seinen beiden Brüdern Maximilian und Gundaker geschlossen, die den Familienbesitz de facto in einen sogenannten Fideikommiss umwandelte. Damit besaß der jeweilige Familienälteste (Senior), in diesem Fall Karl, später sein Sohn Karl Eusebius, weitgehende Privilegien bei der Handhabung der Hausgeschäfte. Fortan empfing nur noch der Senior allein die Lehen, er übernahm alle innerfamiliären Vormundschaftsfälle und vertrat ganz allgemein das Haus nach außen. Der Kern des Hausgutes, u.a. die Herrschaften Feldsberg, Herrenbaumgarten und Plumenau, unterstand seiner alleinigen Verfügungsgewalt. Für den gesamten Besitz bestand ein Veräußerungsverbot. Das aus Spanien stammende Rechtsinstitut des Fideikommiss war zu jener Zeit im Reich und den Erblanden fast völlig unbekannt. In den meisten Adelsfamilien blieb bis weit ins 18. Jahrhundert die gemeinsame Güterwaltung verbunden mit der Güterteilung üblich. Diese Besitz-Zersplitterung war in der Familie Liechtenstein seit Anfang des 17. Jahrhunderts ausgeschlossen.

Der Fidekommiss spielte den Liechtenstein bei ihren Eheprojekten auch in anderer Weise in die Hände. Sie konnten es sich nämlich mithilfe der großen Latifundien in Böhmen und Mähren leisten, ihren Ältesten bereits sehr jung zu verheiraten. In anderen, weniger begüterten Häusern mussten die Söhne bis zu ihrem eigenen Regierungsantritt, also bis zum Tod des Vaters, warten, falls sie nicht mit ihrer Braut auf Jahre im elterlichen Haushalt leben wollten. Wenn Karl Eusebius seinem Nachfolger eine möglichst frühe Eheschließung nahe legt, dann nur, weil die Familie es sich leisten kann. So ist denn auch das Argument, es sei doch „ein Freüd und Ergetzlichkeit“ die eigenen Kinder bis ins Erwachsenenalter begleiten zu können, für andere adelige Ehepaare purer Luxus. Die ökonomische Realität machte häufig eine rasche Heirat unmöglich.

Karl Eusebius spricht neben dieser dynastiesichernden Funktion der Ehe auch den vorerwähnten politischen Charakter der adeligen Heiratspraxis an:

Die andere Qualität und Wesenheit in deiner und aller der Deinig und Successoren unsers Haus bestehet in der vornehmen Vermählung und Befreindung der vornehmsten adelichsten uhralten fürstlichen und chürfurstlichen Geschlechtern […] dan ein dergleichen adelichste Freundshafft ist summa delectationis, honoris & consolationis & utilitatis & dignitatis [höchst erfreulich, ehrenvoll und sowohl tröstlich, wie nützlich als auch würdevoll]“ (pag. 125)

Freundschaft und Verwandtschaft sind hier austauschbare Begriffe. Im adeligen Verständnis bedingte das eine das andere und umgekehrt. Freunde, die man um Rat und Beistand bitten konnte waren eben in erster Linie die eigenen Verwandten. Durch Heiratspakte schuf sich eine Familie potenzielle Verbündete. Dabei war besonders wichtig, die Standesgleichheit zu wahren. Der fürstlichen Rang des Hauses Liechtenstein machte notwendig, sich nur mit Familien aus den höchsten Kreisen des Reichsadels zu verbinden. Man müsse „sich des vornehmsten Stammen allezeit höchst- und billich erfreüen und nicht einer unbedachtsammen Lieb, einer Schönheit überwinden noch mit Heürath einlassen sollen, als dergleichen hohen Verwandtens, so reputirlich und also vor allem zu shätzen“ (pag. 126).

Ein zweiter großer Faktor war die Konfession der Braut. Karl Eusebius fordert ausdrücklich:

keine ketzerishe Gemahlin jemahls, auf was Weyß oder Vorwand es beshehen könte, zu nehmen, dan ob gleich Exempl vorhanden, das dergleichen Heürath dennoch gerathen seyn, und die ketzerishe Gemahlin bekehrt ist worden, so ist dennoch nicht zu trauen, und denen alten Exempl nach der heyligen Schrifft zu besorgen, wie durch die Weiber die Männer verführet seyn worden“ (pag. 132)

In den Augen des liechtensteinischen Oberhaupts schadete eine konfessionsverschiedene Ehe mehr, als sie nützte. Einer Protestantin im Ehebett durfte man nicht trauen. Selbst wenn sie sich später bekehren ließ, könnte sie sich bloß verstellen, um ihren Gemahl vom wahren Glauben abzubringen. Furcht und Feindseligkeit gegenüber der anderen Konfession waren auch Jahrzehnte nach dem Dreißigjährigen Krieg noch aktuell.

Tatsächlich konnten die Liechtenstein diesen hier mit Nachdruck formulierten Anspruch auf ein reichsadeliges Konnubium lange Zeit nicht umsetzen. In den Augen ihrer Wunschpartner aus dem Reichsfürstenstand waren sie bloße Emporkömmlinge, weil sie aus dem landsässigen Herrenstand der habsburgischen Erblande stammten. Johann Adams Großvater Karl hatte den Reichsfürstentitel im Jahr 1620 vom Kaiser erhalten. Im Gegensatz zu den alten reichsfürstlichen Geschlechtern besaßen die Liechtenstein auch noch nicht die Reichsstandschaft, d.h. sie hatten keinen Sitz auf der Fürstenbank des Reichstages. Man versuchte zwar immer wieder, verwandtschaftliche Bande mit den alten Fürstenhäusern im Reich zu knüpfen, doch scheiterten diese Projekte stets. Deshalb blieb den Liechtenstein nichts anderes übrig, als sich weniger prestigeträchtige Alternativen zu suchen.

Karl Eusebius heiratete 1644 Johanna Beatrix Prinzessin von Dietrichstein. Die Dietrichstein stammten ebenfalls aus dem erbländischen Herrenstand und waren von Kaiser Ferdinand II. in den Reichsfürstenstand erhoben worden. Als katholisches Geschlecht ehemaliger Landsassen stand das Haus vor dem gleichen Problem wie die Liechtenstein. Die alten Reichsadelsgeschlechter verweigerten ihnen aufgrund ihrer Herkunft das Konnubium. Was lag also näher, als sich mit den anderen Neufürsten aus der unmittelbaren Umgebung zu ‚befreunden‘? Zusammen mit den ebenfalls in den 1620er Jaheren gefürsteten Eggenberg gaben die Liechtenstein und Dietrichstein ihre Nachkommen wechselseitig in den Ehestand. So entstand ein über mehrere Generationen stabiler, exklusiver Heiratskreis zwischen drei der reichsten und mächtigsten Adelsfamilien im Territorium der Habsburger. Diese $endogame Heiratspraxis hatte enge verwandtschaftliche Beziehungen zwischen den drei Häusern zur Folge. Karl Eusebius‘ Ehefrau zum Beispiel war gleichzeitig seine Nichte. Johann Adam heiratete mit Maria Theresia von Dietrichstein eine Cousine ersten Grades. Einen päpstlichen Dispens wegen zu naher Verwandtschaft einzuholen, war im ausgehenden 17. Jahrhundert nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel im Haus Liechtenstein.

Literatur

Beatrix Bastl: Eheliche Sexualität in der Frühen Neuzeit zwischen Lust und Last. Die Instruktion des Fürsten Karl Eusebius von Liechtenstein, in: Archiv für Kulturgeschichte 78 (1996), S. 277–301.
Evelin Oberhammer: Gesegnet sei dies Band. Eheprojekte, Heiratspakten und Hochzeit im fürstlichen Haus, in: Der Ganzen Welt ein Lob und Spiegel. Das Fürstenhaus Liechtenstein in der frühen Neuzeit, hrsg. v. ders., Wien/München 1990, S. 182–203.

 

 

Quelle: http://edelfrauen.hypotheses.org/94

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Zentrale Texte I. Jörg Rogge: “Nur verkaufte Töchter?” (2002)

Im Jahr 2002 veröffentlichte der Mediävist Jörg Rogge einen programmatischen Aufsatz mit dem Titel „Nur verkaufte Töchter?“, in dem er die Möglichkeiten für eine Sozial- und Kulturgeschichte hochadeliger Frauen auslotet. Mit seinem Titel überspitzt Rogge die Überschrift eines früheren Textes von Katherine Walsh, die noch etwas vorsichtiger formuliert hatte (s. Walsh 1991). Er bleibt aber nicht bei dieser kosmetischen Veränderung stehen, sondern führt dezidiert die Schwächen der üblichen Forschungsansätze aus. Rogge beklagt insbesondere, dass in den meisten Studien zu (hoch)adeligen Frauen die jeweilige sozialhistorische oder geschlechtergeschichtliche Perspektive nicht überschritten wird. So habe jede der beiden tonangebenden Forschungsrichtungen in der jeweils anderen ihren blinden Fleck. Die Geschlechtergeschichte vernachlässige die ständische Dimension der weiblichen Lebenswirklichkeit, während die sozialhistorisch geprägte Adelsgeschichte all zu oft die „Folgen der Geschlechterdifferenz“ (Rogge 2002:243) unterschätze.

Blinde Flecken

Rogges Überlegungen zeigen die Schwächen der Forschung auf. Dadurch, dass die Adelsforschung bisher vor allem die rechtlich-politische Dimension in den Blick genommen hat (Heiratspoltik, Ehe- und Erbverträge u.ä.), vergass man, die Frauen als Akteure wahrzunehmen, die über eigene Handlungsspielräume geboten. Deshalb, so Rogge, sei über das adelige Eheleben auch so wenig bekannt. Auf der anderen Seite ignorierte die Geschlechterforschung hochadelige Frauen lange Zeit (man war wohl .zu sehr damit beschäftigt, andere soziale Gruppen zu untersuchen). Als dieser Ansatz dann aufgegriffen wurde, untersuchte man adelige Damen vor allem „entlang der Geschlechterachse anhand von biologisch-biographischen Konstanten“ (ebd. 242), beschränkte sich also bewusst auf ganz bestimmte Lebensabschnitte und Rollen (insbesondere die Trias Tochter / Ehefrau / Witwe), was bedauerlicherweise die Aussagen über weibliche Lebensführung verzerrte. So ist etwa der Schluss, dass erst das Leben als Witwe für adelige Frauen eine emanzipierte Existenz ermöglichte, bei näherem Hinsehen unhaltbar.

Doing gender

Dann zieht Rogge die Konsequenzen aus seinem Befund und entwickelt gleichsam sein eigenes Forschungsprogramm am Beispiel der vormodernen Fürstin, das sich wie ein Leitfaden liest und deshalb von besonderem Nutzen für den Leser ist. Er tritt dabei mit dem Anspruch an die Forschung heran, die unsystematische und selektive Untersuchung prominenter Einzelpersonen zu überwinden, um systematisch und multiperspektivisch ein Quellenkorpus auszuwerten. Zentrales Moment seiner Ausführungen ist das Konzept des „doing gender“ (stark gemacht u.a. von Bea Lundt, vgl dies. 1998). Geschlecht entsteht erst in der Interaktion eines Individuums mit seiner gesellschaftlichen Umwelt. Es ist kein starrer, überzeitlicher Gegensatz, sondern ein Produkt „gesellschaftlicher Zuweisung und subjektiver Aneignung“ (Rogge 2002:242). Rogges Anspruch und sein methodisch-theoretischer Ansatz zielen darauf, die Lebenswelt einer Fürstin umfassend zu untersuchen, um die Lebensführung und Handlungsspielräume bestimmenden Faktoren zu isolieren. Damit will er der bisherige Tendenz entgegen steuern, adelige Frauen über Zwang, Unselbstständigkeit, gar Unterdrückung zu definieren.

Ein praktischer Leitfaden

Vier Perspektiven sind deshalb zu berücksichtigen. Erstens der materielle Rahmen der Lebensführung. Also finanzielle Ausstattung bei der Hochzeit durch die Mitgift, Einkünfte, finanzielle Möglichkeiten der dynastischen Repräsentation (Kleidung, Schmuck, Feste usw.), aber auch Wohnsituation, Dienerschaft u.a. Zweitens geht es darum, die gesellschaftlichen Normen, Diskurse und Leitbilder im Hinterkopf zu behalten, die ja das Rollenbild und das Rollenverständnis einer Fürstin maßgeblich prägen. Die dritte Perspektive ist die der sozialen Praxis, fokusiert also ganz besonders auf die adeligen Akteure. Im Mittelpunkt des Interesse stehen hierbei natürlich der Ehemann und die anderen Familienmitglieder. Viertens und abschließend lohnt es sich, auf das Innere der Fürstinnen zu blicken. Wenn passende Quellen, wie Schreibkalender, Tagebücher oder aussagekräftige Briefe, vorhanden sind, dann erfährt man so einiges über die subjektiven Erfahrungen und Wahrnehmungsmuster der Frauen, deren Reaktionen und Deutungen auf konkrete Ereignisse.

Ganzheitlich vs. spezifisch

Rogges vielschichtiger Aufsatz macht sehr deutlich, dass man adelige Frauen als Akteure ernst nehmen muss. Um akteurszentriert zu arbeiten muss man freilich die Quellenbasis erweitern. Dabei nicht den Überblick zu verlieren und gezielt historische Vorarbeit einzubeziehen, ist eine Kunst für sich. Ganzheitliches wie mikrohistorisches Arbeiten ist aufwändig. Aber, gerade das unterstreicht Rogge, gerade im Forschungsfeld ‚adelige Frau‘ ist es die Mühe wert und man wird mit neuen, faszinierenden Erkenntnissen belohnt. Natürlich, das soll hier einschränkend gesagt sein, haben eingeschränkte, spezifische Fragestellungen und Zugänge weiterhin ihre volle Berechtigung. Nicht umsonst lernt man bereits im Proseminar, dass der Historiker, die Historikerin den Gegenstand einzugrenzen hat, damit sinnvolles Arbeiten möglich wird. Rogges Verdienst ist es, die Probleme und Lücken aufgezeigt zu haben, die durch Einseitigkeiten entstehen. Sein ganzheitlicher Gegenansatz schwebt aber nicht im luftleeren Raum, sondern er fügt ihm im zweiten Teil seines Aufsatzes Überlegungen an, die einen hilfreichen Leitfaden bilden. Hier überlegt Rogge auch, welche Quellengattungen für sein Forschungskonzept besonders aussagekräftig sind. Und er diskutiert, gleichsam zur methodologischen Absicherung soziologische Rollen- und Identitätstheorien und ihr Anwendungspotenzial für die Geschichtswissenschaft. Diese beiden letztne Aspekte verdienen freilich jeweils einen eigenen Beitrag und werden deshalb später einmal ausgeführt.

Literatur

Bea Lundt: Frauen- und Geschlechtergeschichte, in: Geschichte. Ein Grundkurs, hrsg. v. Hans-Jürgen Goertz, Reinbek 1998, S. 579–597.

Jörg Rogge: Nur verkaufte Töchter? Überlegungen zu Aufgaben, Quellen, Methoden und Perspektiven einer Sozial- und Kulturgeschichte hochadeliger Frauen und Fürstinnen im deutschen Reich während des späten Mittelalters und am Beginn der Neuzeit, in: PRINCIPES. Dynastien und Höfe im späten Mittelalter. Interdisziplinäre Tagung des Lehrstuhls für allgemeine Geschichte des Mittelalters und Historische Hilfswissenschaften in Greifswald in Verbindung mit der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen vom 15.-18. Juni 2000, hrsg. v. Cordula Nolte u.a., Stuttgart 2002 (= Residenzenforschung XIV), S. 235-276.

Katherine Walsh: Verkaufte Töchter? Überlegungen zu Aufgabenstellung und Selbstwertgefühl von in die Ferne verheirateten Frauen anhand ihrer Korrespondenz, in: Jahrbuch des Vorarlberger Landesmuseumsvereins 135 (1991) S. 129-144.

Quelle: http://edelfrauen.hypotheses.org/88

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