Misères de la condition royale en Occident (XIIIe-XVe siècles) (Gilles Lecuppre)

Die Nöte des königlichen Daseins im spätmittelalterlichen Europa

14. Juni 2010

Deutschsprachige Zusammenfassung

Die mediävistische Forschung hat sich in den letzten Jahrzehnten sehr dem Aufbau der Monarchie zugewandt. Ob eine allmähliche Genese des modernen Staates beschrieben oder die Feinheiten der Propaganda entschlüsselt wurden, den Studien lag dabei stets die Vorstellung eines allgemeinen politischen Konsenses zugrunde. Vielleicht so sehr, dass man vergaß, dass Politik immer auch Konflikt bedeutet, in dessen Zentrum mehr denn je der Titel des Königs stand. Weder der juristische, administrative oder fiskalische Apparat noch die Ausarbeitung klarer Nachfolgeregelungen oder die für die Funktion beanspruchte Sakralität konnten den König vor Staatsstreichen und anderen Bedrohungen bewahren. Die Konzentration immer größerer Gewalt geht stets mit immer höheren Ansprüchen an den Souverän einher: Die Zentralisierung politischer Autorität führt zur Zentralisierung des politischen Konfliktes. Und auch die schwindelerregende Höhe, in welche das ideale Königtum gehoben wurde, verlangt nach einem Monarchen, der diesem heiklen Amt gewachsen war. Beides trägt zu einer neuen Radikalität des Widerstandes bei.

In den Ereignissen selbst wie in der Historiographie ist es das Schicksal des Königs, bedrängt zu werden. Die christliche Moral fordert, dass der Inhaber der obersten Gewalt stetig an Menschlichkeit und Bescheidenheit erinnert werde: Widrigkeiten sollten ihm besonderer Ansporn sein. Die Zeitgenossen werden kaum vergessen: „Des Königs Herz ist in der Hand des HERRN wie Wasserbäche, und er neigt es, wohin er will“ (Spr. 21,1).

Ein Ziel des Beitrages ist es zu zeigen, dass auch die Erfahrungen des Bürgerkrieges – neben dem Hang der politischen Gesellschaft zur Figur des väterlichen Königs – zum Aufstieg der westlichen Monarchien beigetragen haben.

I. Schwächen und Unheil der Könige

1. Gefahren durch Geschlecht und Alter

Zehn Prozent der königlichen Nachfolger in den letzten drei Jahrhunderten des Mittelalters sind Frauen. Doch wird die weibliche Thronfolge zumeist als Krise wahrgenommen, die damit oft zersetzende Kräfte freisetzt. Davon zeugen die Ereignisse um Johanna von Konstantinopel um 1225. Die Erbin der Grafschaften Flandern und Hennegau, die von 1205 bis 1244 regierte, sah sich einem allgemeinen Aufstand ihrer Vasallen und Städte gegenüber. Ausgelöst wurde dieser durch Intrigen im Zusammenhang mit einem Betrüger, der im Land erschien und sich als ihr Vater Kaiser Balduin von Konstantinopel ausgab. Johanna musste sich letztlich an den König von Frankreich als ihren obersten Lehnsherren wenden, um ihre Autorität wieder herzustellen. Noch länger dauerte es, ihren Ruf wiederherzustellen.

Trotz der ständigen Anstrengungen, die Nachfolgeregelungen auf die Primogenitur hin zu verengen, war auch die Regierung eines Kindes bzw. die Regentschaft in dessen Namen häufig Umstürzen jedweder Art ausgesetzt. Meist zugunsten des väterlichen Onkels, der aufgrund seines Alters Sicherheit bot, aber auch, nach unserem Verständnis eher paradox, für die dynastische Kontinuität stand.

2. Unzulänglichkeiten der Existenz und des Körpers des Königs

Der König konnte nicht frei über seinen Körper verfügen und in den Auseinandersetzungen zwischen Parteiungen oder auswärtiger Mächte zum Unterpfand neu gefundener Gleichgewichte werden. Während der Regierung Karls VI. von Frankreich (1380-1422) wurden der Könige und dessen Söhne mehrfach seitens der Partei der Armagnacs entführt. Ein Vorgang, der nicht durch das Verbrechen der Majestätsbeleidung abgedeckt und von seinen Autoren als simple Varianten der Mobilität des Königs dargestellt wurde.

Seit Ende des 13. Jahrhunderts bot sich der englischen Diplomatie der Raub schottischer Prinzen oder der Thronkandidaten als probates Mittel an. Sie konnte damit zugleich an die ständige Bedrohung erinnern, welche die Engländer über das kleine Königreich ausübten und welches sie sich gern zum Untertan gemacht hätten.

Auch über seinen Tod konnte der König nicht frei verfügen. Die Historiographie wie die Feinde der Krone wussten ihn ganz nach ihren eigenen Interessen zu verwerten. Wilhelm, Graf von Holland und römischer König (1247-1256), hätte dem großen Interregnum ein Ende setzen und die Kaiserkrone ergreifen können. Doch fand er im Kampf gegen das unedle Volk der Friesen ein tragisches Ende: Das Eis eines zugefrorenen Sees gab unter dem Gewicht seines Pferdes nach. Die Kirchenmänner bemächtigten sich dieses Ereignisses, um an die Ungewissheit auch des Lebens der Großen zu erinnern.

Trotz der Verschärfung der Rechtsprechung gegen den Verrat war es im 13. Jahrhundert gebräuchlich, die Neuigkeit vom Tod des Königs in Umlauf zu bringen um somit dessen Anhängerschaft aufzulösen – ein weiterer Beleg für die persönliche Natur von Gehorsam und dessen Schwächen.

3. Verzicht und Delegation

Die Ausübung von Macht ist nicht immer erstrebenswert. Einige Potentaten zogen es sogar vor, ihr in Ermangelung der notwendigen Mittel und Sicherheiten den Rücken zu kehren. Die Päpste, die sich im 13. Jahrhundert gern in der Rolle der Hüter der Königtümer sahen, hatten es bisweilen schwer, geeignete Kandidaten zu finden.

Andere versuchten, ihre Macht zu delegieren. Doch selbst das wurde ihnen oft mit dem Verweis auf die Verpflichtungen versagt, die sie während des Eids bei der Salbung eingegangen waren. Vielmehr schuldeten sie einem jeden ihrer Barone die gleiche Zuneigung: So loyal sich ein Günstling auch zeigen mochte, in den Augen des Adels und der Chronisten war er stets des Verrats schuldig.

Trotz der Abscheu, welche die mittelalterlichen Menschen gegenüber Uneinigkeit und Teilung als Zeichen des Bösen hegte – die Gelegenheiten, welche den König sich ein alter ego wählen oder erdulden sahen, waren nicht selten: die Regentschaften einmal ausgenommen, konnte der Monarch zusammen mit seiner Ehefrau, seinem Bruder, seinem Sohn, seinem Günstling, seinem wichtigsten Berater oder seinem Feind als Gespann auftreten, und selbst mit einem Betrüger als Wiedergänger eines früheren Königs. Nicht immer gelang es durch Gewalt und Krieg, alle Gegensätze zu beseitigen. Zog sich der Konflikt in die Länge, mussten neue Formen der Teilung erfunden werden: Aufteilung des Territoriums, internationale Schlichtung, neuartige Formulierungen von Unterwerfung etc.

II. Rivalität um die Königskrone

Die Zeitgenossen hüteten sich davor, von Zwiespalt zu sprechen, und mehr noch, ihn zu denken – und dennoch ist er in der Monarchie häufig anzutreffen. Allein das 13. Jahrhundert, das gern als klassisch bezeichnet und mit der Perfektion seiner Kathedralen und seiner theologischen Summen gleichgesetzt wird, ist über das ganze Abendland hin von königlichen Schismen durchzogen, die Wahlkönigtümer ebenso trafen wie dynastische Thronfolgen.

Lange Zeit bildete das Königreich Frankreich eine Ausnahme. Die zeitgenössischen Autoren betrachten die mittlerweile chronische Zersplitterung im Reich mit Belustigung, vor allem aber mit viel Stolz, bis zu dem Zeitpunkt, als die Kapetinger in direkter Linie ausstarben und man sich an die Wahl eines Nachfolgers machen musste (1328). Diese Wahl wurde ihrerseits in Frage gestellt, während auch die englischen und navarrischen Verwandten Ansprüche auf den Thron anmeldeten.

III. Zwielichtige Praktiken der Monarchie

Die Fortschritte der königlichen Herrschaft kann man schließlich auch als eine „Domestizierung“ zweifelhafter und unmoralischer Praktiken verstehen, die von den traditionellen Fürstenspiegeln abgelehnt wurden.

In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts von Thomas von Aquin neu definiert, macht der Skandal die Sünde publik. Seine Untersuchung in den königlichen Häusern erlaubt es die Meisterschaft aufzuzeigen, welche die Fürsten gegenüber diesem a priori zerstörerischen Phänomen entwickelten: Auf ihre Initiative wichen die Grenzen des Akzeptierbaren zurück. Die Entscheidung für den Skandal statt für das Schweigen konnte dazu beitragen, eine Politik zu unterstützen (wie beim Skandal um die Tour de Nesle unter Philipp IV. den Schönen, 1314) und seine rituelle Beilegung konnte als Zeichen für die Zuneigung zum Monarchen interpretiert werden (wie nach dem Bal des Ardents am französischen Königshof, 1393).

Das Abgleiten ins Tyrannische, das potentiell jede Monarchie treffen konnte, vor allem aber jene, die aus einem Staatsstreich hervorgegangen waren, zeichnete sich insbesondere durch eine große Zahl von Komplotten aus. Der geschickte Souverän wusste diese aber nicht nur abzuwehren, sondern auch selbst einzufädeln, um auf diese Weise seinen Einflussbereich zu erweitern, vor Opposition zu warnen oder die Zuneigung seiner Untergebenen zu steigern, die bisweilen sogar bereit waren, imaginäre Verschwörungen niederzuwerfen.

Ein weiteres neues Element am Ende des 15. Jahrhunderts ist die Fähigkeit der Regierenden, Gerüchte gezielt zu steuern. Neben den autorisierten Informationskanälen und der Propaganda wurde im Rahmen der politischen Kämpfe gegen Fürsten und Städte dieser Umweg mit zunehmender Fertigkeit gewählt. So betrachtet, hatten die Könige in der Phase der Bürgerkriege Vieles dazugelernt, was ihre Handlungsmöglichkeiten im Falle eines Konfliktes erheblich erweiterte.

Ende des 15. Jahrhunderts stellten sich Humanisten in den Dienst der Monarchen, um mit Hilfe einer neuen und glanzvollen Sprache oder mit dem schmeichelhaften Vergleich mit Gestalten antiker Mythen deren Legitimität Ausdruck zu verleihen. Sicherlich ein geschicktes Ansinnen: Denn wie erst das Monster den Helden zum Helden machte, so machte erst die Prüfung den König zum König.

Informationen zu Gilles Lecuppre: hier
Zum Programm im Sommersemester 2010: hier

Quelle: http://jeunegen.hypotheses.org/256

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