Herodes als Baumeister

Was im Neuen Testament steht – dass Herodes kaltblütig die Kinder Betlehems ermorden ließ – hat sein Bild festgemeißelt. Er ist bekannt als der missgünstige Machtpolitiker, der an seinem Stuhl klebt und den Messias töten will.

In seiner Schrift Antiquitates Judaicae erzählt der jüdische Schriftsteller Flavius Josephus im 1. Jh. das Leben des Herodes spannend nach. Aber auch Josephus konnte den Idumäer nicht besonders leiden und Herodes trägt in den grausamen Episoden fast teuflische Züge. Auch diese, durch die Jahrhunderte äußerst beliebte Schrift hat Herodes‘ schlechten Ruf untermauert: böse, machthungrig, paranoid, taktierend, falsch, abgründig, intrigant.

Aber wer sich in Zeiten römischer Bürgerkriege an die Macht manövriert und sich dann 30 Jahre ebendort halten kann, zudem Städte, Paläste und Tempel baut, diplomatische Drahtseilakte besteht, aus der Provinz bis nach Rom hin Einfluss geltend machen kann, wer all die Brüche in seiner Herkunft, seinem Territorium und in seiner untergebenen Bevölkerung kontrollieren kann – der muss schon ein Mensch mit außergewöhnlichen Energien und Managerqualitäten gewesen sein.

Herodion

Am Modell kann man den Prachtbau mit den vier Türmen gen den vier Himmelsrichtungen gut erahnen. (Foto: S. Burkard)
Am Modell kann man den Prachtbau mit den vier Türmen, die in alle vier Himmelsrichtungen zeigen, gut erahnen. (Foto: S. Burkard)

Das Herodion erhebt sich weithin sichtbar wie ein Vulkan (Josephus sagt: „wie ein Busen“) am Rand der Wüste Juda empor (758 m ü.M.), fünfzehn Kilometer südlich von Jerusalem, ungefähr fünf Kilometer südöstlich von Betlehem. Der oben immer gleichmäßiger rund werdende, dann aber gekappte Kegel, der die Umgebung um rund 100 m überragt, wurde zum Teil künstlich bis zu dieser monumentalen Höhe aufgeschichtet.

Herodes gründete 23 v. Chr. die Turmfestung am Ort einer siegreichen Schlacht über die 40 v. Chr. in Palästina eingefallenen Parter und benannte sie nach sich. Die Festung enthielt alle Elemente hellenistisch-herodianischer Paläste und entfaltete sich auf fünf Stockwerken. Als Herodes 4 v. Chr. in Jericho starb, wurde sein Leichnam im feierlichen Geleit zum Herodium überführt und dort seinem Wunsch gemäß bestattet. Über all das informiert uns Josephus Flavius.

Im August 2006 begann Ehud Netzer, außerhalb der Turmfestung zu graben und stieß auf die so lange gesuchte Grabstätte. Die geringe Reste der Grabanlage wirken für Touristen durchaus ernüchternd. Das Besondere der Entdeckung ist nach den vielen Theorien nur die Auffindung der genauen Lage der Grabstätte.

Masada

Masada - ein besonderer Bau nahe der Küste zum Toten Meer (Foto: S. Burkard)
Masada – ein besonderer Bau nahe der Küste zum Toten Meer (Foto: S. Burkard)

Die vielleicht bekannteste aller herodianischen Ruinenstätten ist Masada, das im Westen des Toten Meeres auf einem weithin sichtbaren Felsen liegt.

Dieser Felsberg, auf dem die Palastfestung errichtet wurde, steht frei, getrennt von den Klippen, die das Tote Meer zu beiden Seiten flankieren. Dieser Ort, dessen Name sich von dem hebräischen Wort metzuda (Festung) herleitet, erlangte eine besondere Bedeutung aufgrund des dramatischen Berichts, den Josephus von den Geschehnissen gibt, die sich hier ereigneten.

Masada war der letzte Ort des Widerstandes in dem großen Aufstand der Juden gegen die Römer in den 60er und 70er Jahren des 1. Jhs. n.Chr. Drei Jahre nach der Zerstörung Jerusalems und des zweiten Tempels setzten sich hier noch immer etwas tausend Kämpfer mit ihren Familien gegen eine anhaltende Belagerung zur Wehr. Tag für Tag mussten die Belagerten das stetige Heranrücken der Sturmrampe an die Gipfelfläche des Berges mit ansehen. Als all ihre Versuche, die Römer am Erreichen der Gipfelfläche zu hindern, fehlgeschlagen waren, beging die gesamte Gemeinschaft Massenselbstmord. Dies war das Ende des Aufstandes.

Die Geschehnisse während des großen Aufstandes, die in den Schriften des Josephus berichtet werden, ereigneten sich rund 70 Jahre nach Herodes‘ Tod. Gleichwohl blieben die von diesem König auf dem Berg errichteten Bauten, die Josephus sehr detailliert beschreibt, bis in die Zeit erhalten, als die Zeloten die Kontrolle über Masada erlangten.

Literatur

Bernett, Monika, Herrschaft und Repräsentation unter den Herodiern, in: ZDPV 127,1 (2011) 75-104.

Keel, Othmar; Küchler, Max, Der Süden, OLB 2, Göttingen 1982 (Masada: S. 368-401; Herodeion: S. 650-661).

Küchler, Max, Ein Handbuch und Studienreiseführer zur Heiligen Stadt, Orte und Landschaften der Bibel 4,2, Göttingen 2007, 2. Aufl. 2014.

Netzer, Ehud, Die Paläste der Hasmonäer und Herodes des Großen, Mainz 1999.

Quelle: http://spuren.hypotheses.org/600

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Rekonstruktion: Sehhilfe oder Dogmatisierung?

Gedankenexperiment: Nachdem Mainz 2018 von Wiesbaden übernommen und zerstört worden ist, verfällt es in einen 2000 Jahre dauernden Schlaf und hüllt sich in eine Decke aus Schutt und Sedimenten. Aufgrund alter Quellen fangen Archäologen 4018 an, an dieser Stelle nach der “antiken” Stadt Mainz zu graben und finden unsere Universität auf dem Siedlungshügel Saarstraße. Was geblieben ist, sind einige Fundamente, die auf rechteckig angelegte Gebäude hindeuten und eventuell ein paar Tassen und Teller des Studentenwerks. Wie wird man diese Daten nun deuten? Stand auf diesem Hügel eine Herrscherresidenz, worauf die Größe der Gebäude schließen lassen würde? War es eine Kaserne, wie in einigen Quellen angedeutet? Oder vielleicht doch eine Universität – obwohl sich im Bereich des Forums keine echten Seminarräume finden lassen?

In einer ähnlichen Situation befinden sich heute auch die Archäologen in Israel und Palästina. Wir haben viele ihrer Ausgrabungen besucht und vor Ort vor allem Rohdaten gefunden, nämlich Mauerreste. Die Aufgabe von Archäologie und Geschichtsschreibung ist es, zu diesen Daten eine plausible Geschichte zu erzählen, also eine Deutung zu finden. Dabei helfen auch die Funde, die wir nicht vor Ort besichtigen konnten, weil sie etwa wie Keramikscherben längst weggebracht worden sind oder wie besonders wertvolle Funde im Museum ausgestellt werden.
Wir als Besucher sind darauf angewiesen, dass man uns diese Geschichten weitererzählt, weil es uns an Erfahrung, Daten und vielleicht auch an Vorstellungskraft fehlt, um das, was wir sehen, zu deuten.

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Es braucht Erfahrung und Vorstellungsvermögen, um in den ausgegrabenen Grundmauern einen bestimmten Gebäudetyp (hier: Residenz in Banyas) zu identifizieren. (Foto: Benedict Schöning)

Ein Weg, Außenstehenden einen Eindruck von historischen Gegebenheiten zu verschaffen, ist die Rekonstruktion. Oft begegneten uns zum Beispiel Rekonstruktionen des zweiten Tempels, etwa im Israel-Museum. Diese Rekonstruktionen sind in der Regel Zeichnungen oder Modelle – die sich durchaus voneinander unterscheiden können, je nachdem, wie und von wem die vorliegenden Daten gedeutet werden.
Andere Rekonstruktionstypen sind deutlich handgreiflicher, etwa in Tel Arad, wo entscheidende Teile des israelitischen Heiligtums wieder aufgebaut (d.h. re-konstruiert) wurden. Meistens werden solche baulichen Rekonstruktionen gekennzeichnet, etwa mit einer Linie im Mauerwerk. Nicht immer sind solche Linien aber vorhanden. Und wenn in Tel Arad die im Boden vergrabene Mazzebe wieder aufgestellt wird, dann ist das auch nur schwerlich als Rekonstruktion kenntlich zu machen.

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In Masada gut zu erkennen: Die Linie, ab der die Mauer rekonstruiert ist. (Foto: Benedict Schöning)

Diese Art der Rekonstruktion erscheint mir deutlich problematischer. Zum einen überbaut sie die Rohdaten, d.h. das ausgegrabene Mauerwerk wird um neues ergänzt. Das macht bei einer schlecht oder gar nicht dokumentierten Grabung aber die Überprüfung der Funde schwierig und schränkt die Wiederholbarkeit der archäologischen Deutung ein. Zum anderen wird durch diese Wiederaufbauten eine der vielen möglichen Deutungen (zum Glück meistens nur sprichwörtlich) zementiert. Trotzdem sind die wieder aufgebauten Ruinen für den Besucher der archäologischen Ausgrabungen sehr hilfreich. Plastischer lässt sich das Bad des Herodes auf Masada nicht erfahren, als wenn man es selbst durchschreitet. Die baulichen Rekonstruktionen erfüllen so in erster Linie ein museumspädagogisches Anliegen.

Wie ist mit dieser Spannung zwischen wissenschaftlichem Anspruch auf Deutungsoffenheit und dem Bedürfnis nach Vermittlung an Besucher umzugehen? Mit dieser Frage setzt sich die Charta von Venedig auseinander. In ihrem neunten Artikel steht dort “Die Restaurierung [im Sinne dieses Beitrags: die Rekonstruktion; B.S.] ist eine Maßnahme, die Ausnahmecharakter behalten sollte. Ihr Ziel ist es, die ästhetischen und historischen Werte des Denkmals zu bewahren und zu erschließen. Sie gründet sich auf die Respektierung des überlieferten Bestandes und auf authentische Dokumente. Sie findet dort ihre Grenze, wo die Hypothese beginnt. […]”1.

Eine Möglichkeit, um zukünftig dem Bedarf nach physischer Rekonstruktion auszuweichen, sehe ich in den sich etablierenden Techniken von Augmented bzw. Virtual Reality. Endgeräte, die eine solche visuelle Vermittlung zulassen, sind inzwischen sehr weit verbreitet: Mit günstigen Linsen und etwas Pappe kann aus nahezu jedem Smartphone eine Virtual Reality Brille werden, die die vorhandenen Ruinen mit Rekonstruktionen aller Art überlagern könnte – im Idealfall fotorealistisch und begehbar. Einerseits ließe sich dadurch der Unterschied zwischen Fund und wissenschaftlicher Deutung besser herausstellen, andererseits bliebe die jeweilige Deutung der Funde offen für neue Impulse.

Literatur zur Rekonstruktion/Restaurierung

Vieweger, Dieter: Archäologie der biblischen Welt, Gütersloh 2012, 366-371.

  1. Internationale Charta über die Konservierung und Restaurierung von Denkmälern und Ensembles. “Charta von Venedig”, 1964; zitiert nach http://oehl_br_j2.beepworld.de/charta.htm

Quelle: http://spuren.hypotheses.org/476

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Die Anker-Kirche bei Tiberias

Wenn es eine Lebensweisheit gibt, die sich im Verlauf unserer Exkursion immer wieder bewahrheitet hat, dann ist es wohl die folgende: Erstens es kommt anders, und zweitens als man denkt! Das trifft auf die sogenannte Anker-Kirche bei Tiberias gleich in doppelter Hinsicht zu. Zum einen konnten wir aufgrund des zu lange dauernden Auf- und Abstiegs die geplante Besichtigung der Ausgrabungsstätte dieser byzantinischen Basilika, die sich auf dem Stadtberg Berenike oberhalb von Tiberias befindet, nicht realisieren (die beigefügten Bilder stammen daher notwendigerweise aus Wikimedia Commons). Zum anderen wurde das Archäologenteam um Yizhar Hirschfeld, der die Ausgrabungen in Tiberias in den frühen 90ern leitete, mehr als nur einmal von den steinigen Überresten auf dem Gipfel des Berges überrascht.

Überraschungen während der Ausgrabungen

Bevor die Ausgrabungen begannen, vermuteten die Archäologen auf dem Berenike-Berg Überreste eines Herodes-Palastes, von dem Josephus in seiner Vita berichtet. Entgegen ihren Erwartungen legten sie aber die Grundmauern einer großen Basilika frei, die vermutlich unter der Herrschaft Justinians (527-565) erbaut wurde (48 x 28 Meter; Atrium an der Vorderseite mit großer quadratischer Zisterne; Mittelschiff; Presbyterium; Apsis).

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Anker-Kirche auf dem Berg Berenike bei Tiberias (Foto: Bukvoed ; Lizenz: CC BY 3.0, via Wikimedia Commons)

Einer weiteren Überraschung verdankt die Basilika ihren heutigen Namen. Denn unter dem Altar fand sich an der Stelle des Reliquiars ein riesiger Basaltstein mit einer Öffnung zur Vertäuung.

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Vermeintlicher Ankerstein unter dem Altar (Foto: Bukvoed ; Lizenz: CC BY 3.0, via Wikimedia Commons)

Ähnlich aussehende Basaltsteine kleineren Formats wurden rund um den See Genezareth als Anker verwendet. Die spezifische Art und Weise, mit welcher das Loch in der Mitte des Steines gebohrt wurde, legt allerdings nahe, dass es sich ursprünglich um einen bronzezeitlichen Kultstein gehandelt haben muss (wie er rund um den See mehrfach belegt ist), der eine christliche Umdeutung erfahren hat. Der Fundort des Steines unter dem Altar spricht jedenfalls dafür, dass das ankerförmige Gebilde sowohl für die Erbauer als auch für die Besucher der Kirche eine sakrale Bedeutung hatte.

Das Erdbeben von 749 zerstörte nicht nur große Teile des römisch-byzantinischen Stadtkerns und des antiken Hafens von Tiberias sondern auch Teile der byzantinischen Basilika auf dem Berenike-Berg. Allerdings wurde die Basilika bereits im 8. Jh. unter der Dynastie der Abbasiden – und auch das überraschte die Archäologen – sorgfältig auf dem Fundament der ursprünglichen Basilika wiederaufgebaut. Ein teilweise erhaltenes Bodenmosaik mit schwarz-weißen Zirkeln im Vorhof der Basilika könnte ein Zeugnis dafür sein, wie islamische Architektur die Gestaltung christlicher Kirchenbauten zu dieser Zeit beeinflusst haben könnte.

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Bodenmosaik im Vorhof (Foto: Bukvoed ; Lizenz: CC BY 3.0, via Wikimedia Commons)

Funktion und Bedeutung der Basilika

Da über die Basilika in byzantinischer Zeit keinerlei schriftliche Zeugnisse überliefert sind, kann über ihre tatsächliche Funktion und Bedeutung letztendlich nur spekuliert werden. Die große Zisterne und die Überreste eines Klosters in der Nähe der Kirche könnten darauf hindeuten, dass man eine Pilgerfahrt zu dem ankerförmigen Gedenkstein entwickeln wollte. Die eindrucksvolle Lage der Basilika am höchsten Punkt des Stadtgebiets spiegelt weiterhin womöglich das Anliegen wider, die Vormachtstellung der östlichen Reichskirche im Heiligen Land zu manifestieren.

Literatur

Hirschfeld, Yizhar, Roman, Byzantine, and Early Muslim Tiberias: A Handbook of Primary Sources, Tiberias 2005.

Hirschfeld, Yizhar (Hrsg.), Excavations at Tiberias, 1989-1944 (IAA Reports 22), Jerusalem 2004.

Hirschfeld, Yizhar, The Anchor Church at the Summit of Mt. Berenice, Tiberias. In: Biblical Archaeologist, Vol.57 No.3 (1994), 122/33.

Kuhnen, Hans-Peter, Der geologische „Hot Spot“ Tiberias. In: Das Heilige Land 1/2014, 26/31.

Stemberger, Günter, Juden und Christen im spätantiken Palästina (Hans-Lietzmann-Vorlesungen 9), Berlin u.a. 2007, v. a. 20/33.

Quelle: http://spuren.hypotheses.org/516

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