Seit 1996 ist der “Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus” in Deutschland ein gesetzlich verankerter Gedenktag und damit fester Bestandteil der nationalen Erinnerungskultur. Im Jahr 2005 führten Beschlüsse des EU-Parlaments sowie der UN-Generalversammlung dazu, dass der 27. Januar auch zu einem internationalen Gedenktag avancierte.
Anlässlich des 60. Jahrestages der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau durch die Rote Armee im Jahr 1945 verabschiedete das Parlament der Europäischen Union (EU) einen Beschluss zum Holocaust-Gedenken. Mit dieser „Entschließung zum Gedenken an den Holocaust sowie zu Antisemitismus und Rassismus“ vom 27. Januar 2005 wurden alle EU-Mitgliedsstaaten dazu aufgefordert,
„jegliche Form von Intoleranz und Aufwiegelung zum Rassenhass sowie alle Belästigungen und rassistischen Gewalttaten zu verurteilen […] insbesondere alle Gewalttaten, die aus Hass oder Intoleranz gegenüber anderen Religionen oder Rassen begangen werden“.[1]
Eine Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen Verbrechen, die in der Zeit zwischen 1933 und 1945 verübt wurden, sollte dazu beitragen, die Gesellschaft gegenüber Intoleranz, Diskriminierung und Rassismus zu sensibilisieren. Aus diesem Grund sei es sinnvoll, so das EU-Parlament, dass insbesondere junge Menschen zur Auseinandersetzung mit der Geschichte des Holocaust angeregt werden. Als wichtiger Beitrag hierzu wurde, neben der Errichtung von Gedenk- und Bildungsorten und der Thematisierung des Holocaust in schulischen Lehrplänen, die Begehung des 27. Januar als „europäischem Holocaustgedenktag“ angesehen.
Dass der Holocaust auch außerhalb Europas zu einem moralischen Maßstab avancierte, welcher nationale historische Erinnerungskulturen hinter sich lässt, um gemeinsame transnationale Bezüge herzustellen, zeigte sich am 1. November 2005, als die Generalversammlung der Vereinten Nationen (United Nations – UN) mit der Verabschiedung der Resolution 60/7 den Gedenktag des 27. Januar zum „International Day of Commemoration in Memory of the Victims of the Holocaust” erklärte.[2]
Die Resolution war nicht nur darauf ausgerichtet, das Datum des 27. Januar als weltweiten Holocaust-Gedenktag zu proklamieren, sondern sollte in den UN-Mitgliedsstaaten auch die Entwicklung pädagogischer Programme anregen, welche die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus für folgende Generation wach halten und gleichzeitig auch auf gegenwärtige Verbrechen gegen die Menschlichkeit verweisen sollten. Darüber hinaus sprach sich die UN in der Resolution ausdrücklich gegen die Leugnung des Holocaust sowie gegen jede Form von Intoleranz, Volksverhetzung und Bedrohung oder Gewalt gegenüber Personen oder ethnischen bzw. religiösen Gruppen aus.[3]
Der Resolutionsentwurf, welcher durch den israelischen Repräsentanten Dan Gillerman vorgebracht worden war, wurde von 104 Mitgliedsstaaten der UN, vom Generalsekretär, vom Unter-Generalsekretär für Kommunikation und Öffentliche Information sowie vom Präsidenten der Generalversammlung unterstützt. Das weit über die europäischen Grenzen hinaus reichende Interesse an der Thematik zeigte sich auch darin, dass Repräsentanten aus allen fünf Kontinenten zu den Unterstützern des Resolutionsentwurfs zählten – unter ihnen auch Länder, die selbst unter den Folgen von Bürgerkriegen oder Völkermord leiden oder sich bis heute mit Vorwürfen zur Verletzung von Menschenrechten auseinandersetzen müssen, wie Liberia, Sierra Leone oder Uganda.[4]
Sowohl der Beschluss des EU-Parlaments als auch die UN-Resolution zum Holocaust-Gedenken können als Versuche gesehen werden, eine Holocaust-orientierte Erinnerungskultur auf transnationaler Ebene zu etablieren, in der nationalspezifische Gedenkmechanismen und länderübergreifende Interpretationsschemata zusammenwirken. Die nationalsozialistischen Verbrechen werden schließlich heute nicht mehr nur von den „Tätern“ und „Opfern“ erinnert, sondern zunehmend auch von Nationen, welche nicht direkt von den Ereignissen betroffen waren. Der Holocaust scheint somit über seinen (west-)europäischen Bezug hinaus zu einem allgemeingültigen moralischen Bezugspunkt geworden zu sein.
Bei dem Blog-Beitrag handelt es sich um einen Auszug aus meinem Essay, der im Mai 2012 im Themenportal Europäische Geschichte erschien. (Angelika Schoder: Die Globalisierung des Holocaust-Gedenkens. Die UN-Resolution 60/7 (2005). In: Themenportal Europäische Geschichte, 2012.)
[1] Europäisches Parlament: Entschließung des Europäischen Parlaments zum Gedenken an den Holocaust sowie zu Antisemitismus und Rassismus: P6_TA[2005]0018, 27. Januar 2005, Abschnitt F.2.
[2] Vereinte Nationen: Resolutionen und Beschlüsse der sechzigsten Tagung der Generalversammlung, Band I: Resolutionen 13. September – 23. Dezember 2005. Offizielles Protokoll, Sechzigste Tagung, Beilage 49 [A/60/49], S. 34f.
[3] Dazu auch: United Nations: Resolution Adopted by the General Assembly, 61/255, Holocaust Denial. 85th Plenary Meeting, 26 January 2007.
[4] United Nations General Assembly [GA/10413]: Sixtieth General Assembly Plenary 42nd Meeting, 1.11.2005. General Assembly Decides To Designate 27 January As Annual International Day Of Commemoration To Honour Holocaust Victims.
Foto: Candles II (Angelika Schoder, 2013)