Obstbäume – ein Politikum?

In meinem Bericht über den Ausflug in die Obstbaukolonie Eden hatte ich erwähnt, dass es auch in Oberbayern Vereine gab, die den Obstanbau intensivieren wollten. Ich hatte mich gefragt, ob es eventuell Ähnlichkeiten, sogar direkte Einflüsse zwischen den lebensreformerischen Obstromantikern und solchen lokalen Initiativen wie dem Bernrieder Obst- und Gartenbauverein geben könnte.

Apfelausstellung

Eine Apfelausstellung im Freilichtmuseum Skansen in Stockholm – auch gegenwärtig ziehen solche Veranstaltungen Besucher an. Foto: A. Schlimm, CC-BY-SA

Nun habe ich zumindest schon einmal angefangen, dieser Frage nachzugehen – etwas nebenher, denn ganz zentral ist die Frage für meine Untersuchung nicht. Die Unterlagen im Bernrieder Gemeindearchiv geben nicht besonders viel her; der Akt im Staatsarchiv München zur Obst- und Gemüseanbauförderung im Bezirk Weilheim ist hingegen ganz schön umfangreich.

Dort werden aber ganz andere Grundlagen und Motivationen der Obstbau-Förderung als in Eden sichtbar. Wie in anderen Territorien auch (und schon deutlich früher) war es im Königreich Bayern in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Anliegen von allerhöchster Stelle, den Obstbau zu intensivieren, beispielsweise Alleen mit Obstbäumen zu bepflanzen, um so ganz nebenbei zusätzliche Lebensmittel anzubauen. Aber warum eigentlich?

Der „Obstbaum-Freund“, ein Informationsblatt zum Obstbau, herausgegeben von der allgemeinen praktischen Gartenbau-Gesellschaft zu Frauendorf in Bayern, ist in der Hinsicht nicht allzu redselig. Dort wird lediglich betont, der Obstbau sei – direkt nach dem Getreideanbau – das „edelste, schönste und nützlichste Geschäft“, das nicht nur der Bauer, sondern eigentlich jeder Landbesitzer – und wenn er nur einen Garten sein Eigen nenne – betreiben könne. Hier taucht wieder eine Argumentation auf, die uns bereits aus den lebensreformerischen Kontexten bekannt ist: Der Obstbau mache keine große Arbeit: „Alle Zweige der ländlichen Oekonomie werden sorgfältig betrieben, und gerade derjenige, der bei der wenigsten Mühe den meisten Nutzen brächte, wird so unverantwortlich vernachläßiget.“ (Plan und Zwek [sic] des Obstbaumfreundes [1828], S. 2)

Offenbar waren aber die Bemühungen der Königlichen Kammer des Innern, die gemeinsam mit der Gartenbau-Gesellschaft eifrig für den Obstbau warb, nicht von besonderem Erfolg gekrönt. Immer wieder schrieb sie an die Gerichte (vor der Aufteilung von Verwaltung und Justiz in Bayern gab es keine Bezirksämter!), dass doch bitte die Hilfe, die der Gartenbauverein anbot – mit schriftlichem Informationsmaterial, der Zusendung von Bäumen und Saatgut, sogar der praktischen Unterweisung – angenommen werden solle. Aus dem Wust an Schreiben ist wohl für mich die Schlussfolgerung zu ziehen: Gebracht hat das alles nicht besonders viel.

Nun gibt es leider für die Zeit um 1912, als in Bernried der Gartenbauverein gegründet wurde, keine Aktenüberlieferung aus dem Bezirksamt. Erst aus den 1920ern fand ich wieder Material, das darauf hindeutet, dass der Obstanbau zu einem dringlichen politischen Thema geworden war, und zwar aus volks- wie aus betriebswirtschaftlichen Gründen:

„Alljährlich fliessen ungeheuere Summen deutschen, sauer erworbenen Geldes für Obst und Südfrüchte ins Ausland. Alle ländlichen Kreise leiden unsagbar schwer unter den heutigen wirtschaftlichen Nöten! Immer lauter und eindringlicher wird der Ruf nach Erhöhung der Einnahmen! Die Einnahmen des einzelnen Landwirtes lassen sich erhöhen, die Abwanderung deutschen Geldes eindämmen durch stärkere Beachtung und namentlich besserer Pflege eines landwirtschaftlichen Erwerbszweiges, der bis jetzt gerade in Oberbayern noch zu wenig Beachtung gefunden hat: des OBSTBAUES.”

So heißt es in einem Aufruf, den der Oberbayerische Kreisverband für Obst- und Gartenbau im November 1927 an „die ländliche Bevölkerung, Landwirtschaftsstellen, Geistlichkeit, Lehrerschaft, Bezirksverwaltungsbehörden und Gemeinden Oberbayerns“ richtete, und der ebenfalls im oben angesprochenen Akt enthalten ist. Von der Romantik einer naturgemäßen Lebensweise ist hier wenig zu spüren. Es geht nicht um den Aufruf zur Umkehr in ein irdisches Paradies, sondern darum, das ungenutzte Potential im Obstbau zu nutzen und das große Geschäft mit dem Obst nicht der ausländlichen Landwirtschaft zu überlassen.

Dass aber verschiedene Akteure wie Vereine und Verbände, die Bezirksverwaltung, die Regierung von Oberbayern und schließlich (schon weniger überraschend) der Reichsnährstand sich so viel mit dem Obst- und Gemüseanbau beschäftigte, finde ich sehr interessant. Dabei wurde der Anbau von Obst zu einem politischen Thema, indem er mit den verschiedensten gesellschaftspolitischen Zielsetzungen verbunden wurde. Zwischen herrschaftlicher Landesverbesserung, lebensreformerischer Obstromantik, wirtschaftspolitischer Krisenbekämpfung und der Forcierung von Autarkie und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit bis in die Spitzen der Obstbäume spannte sich ein Feld politischer Praktiken und auch Auseinandersetzungen auf. Hier kann man auch beobachten, wie sich die unterschiedlichsten Diskurse und Praktiken in verschiedenen räumlichen Kontexten – von weltwirtschaftlichen Verflechtungen bis hin zur Organisation auf dörflicher Ebene – etablierten. Und das ist es, was mich in meinem Projekt interessiert – wenn auch nicht nur am Beispiel von Obstbäumen.

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Quellen:

„Plan und Zwek [sic] des Obstbaumfreundes: Sämmtlichen hohen Regierungen ans Herz gelegt“, in: Probeblatt: Der Obstbaum-Freund, Nr. 1, 1. Jahrgang, 1. Jäner 1828, Herausgegeben von der allgemeinen praktischen Gartenbau-Gesellschaft zu Frauendorf in Bayern, S. 1-2.

Ein Sonderdruck der ersten Ausgabe liegt – offenbar als Werbemaßnahme dorthin gelangt – im angesprochenen Akt im Staatsarchiv München, Best. LRA 7067: Akt des königlichen Bezirksamtes Weilheim: Förderung des Obst- und Gemüsebaues.

Die Zeitschrift erschien 1828 bis 1843 und ist in verschiedenen Bibliotheken einsehbar [s. ZDB].

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An der TU Berlin gibt es ein Forschungsprojekt „Amtshausgärten“, das unter anderem am Beispiel der Plantage der Herrenhauser Gärten im Kurfürstentum Hannover den Zusammenhang von Verwaltungsstrukturen und Landesverbesserung zwischen 1750 und 1850 erforscht. Dabei geht es viel um die Verbreitung von Obstbau-Wissen. Der spannende Vortrag der Projektbearbeiterinnen Sylvia Butenschön und Heike Palm auf der GfA-Tagung 2013 hat mich unter anderem auf das Thema Obstbau aufmerksam gemacht.

Quelle: http://uegg.hypotheses.org/185

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Die Romantik des Obstbaums

Die Vorbereitung auf das Seminar zur Lebensreform geht weiter. Am Wochenende dann auch mal ganz praktisch: Ein Ausflug zur Obstbaukolonie Eden in Oranienburg stand auf dem Programm. Da ich gerade von Berlin aus arbeite, bot sich das ja an.

Eden ist eine Siedlungskolonie, die im Jahr 1893 in Berlin (übrigens in Moabit – mein Stadtteil!) gegründet wurde, als vegetarische Obstbaukolonie. Hier verbanden sich Lebensreform, Ernährungsreform und Bodenreform zu einem einzigartigen Projekt. Das Logo der Kolonie, das man dort an jeder Ecke findet, symbolisiert mit seinen drei Bäumen diese drei Reformstränge.

Logo von Eden

Das “Logo” von Eden mit den drei Bäumen – Lebensreform, Ernährungsreform, Bodenreform Foto: A. Schlimm, CC-BY-SA

Eden war nicht die einzige Siedlungskolonie, das bei weitem nicht. Aber doch die erfolgreichste. Die Genossenschaft besteht noch (bzw. wieder – nach der Wende neu gegründet), und ein bisschen „Reform“ ist auch noch zu spüren, wenn man den selbstgebackenen Vollkorn-Obstkuchen im Vereinscafé genießt, danach einen Spaziergang durch die Kolonie macht, vorbei an KiTa und Reformschule, und dabei ein Storch über dem Kopf (also sehr weit über dem Kopf) kreist.
Eden war auch lange Zeit wirtschaftlich ziemlich erfolgreich – wer öfter im Reformhaus einkauft, kennt vielleicht die Marke „Eden“, die um die Jahrhundertwende hier entwickelt wurde, nach dem Zweiten Weltkrieg dann ihren Sitz im Taunus hatte und schließlich 1991 in die Schweiz verkauft wurde. Vor allem Obstprodukte und vegetarische Fleischalternativen wurden hier hergestellt und vermarktet.
Auch bei Bilz (Ihr erinnert Euch?) spielte das Obst eine wichtige Rolle. Er forderte viel mehr Möglichkeiten für Obstanbau, weil das (angeblich) so wenig Arbeit bei extrem hohen Erträgen mache und natürlich außerdem gesund sei; außerdem sollte man viele Südfrüchte, zum Beispiel auch Datteln, essen.
Überhaupt spielte Obst in der Lebensreform und in der Ernährungsreform eine große Rolle. Woran mag das wohl liegen? Möglicherweise hat es etwas mit der Vorstellung zu tun, naturbelassene Nahrung – nicht erhitzt, nicht stark bearbeitet – sei die beste, natürlichste Ernährungsform. Ich glaube aber auch, dass der Obstbaum als Symbol für die nährende Natur eine Rolle spielte. Die bildlichen Darstellungen zeigen das, wie etwa hier im Terrakotta-Relief am Genossenschaftshaus. Auch sprachlich wird die Verknüpfung natürlich deutlich gemacht – Eden hieß ja nicht umsonst Eden, sondern war der Versuch, ein Paradies (wieder)herzustellen, das Leben (und Nahrung) zu spenden versprach.

Mensch und Obstbaum, Terrakotta

Teil des Terrakotta-Mosaiks am Genossenschaftshaus in Eden, ursprünglich vom Edener Bildhauer Wilhelm Groß, in den 1990er Jahren erweitert vom Keramiker Christian Richter; Foto: A. Schlimm, CC-BY-SA

Ich frage mich nun: Lassen sich Verbindungen aufspüren zwischen dieser reformorientierten Wertschätzung für Obst und den Versuchen, in Bernried am Starnberger See die Obstkultivierung voranzutreiben, um die Ernährungslage der ortsansässigen Bevölkerung zu verbessern? Dort wurde 1912, also noch mitten in der Zeit der Reformbewegungen, ein Obst- und Gartenbauverein gegründet. Mit diesem Verein sollte ich mich noch einmal eingehender beschäftigen. Direkte Verbindungen werden es wohl kaum sein, aber es wäre doch interessant, den verschlungenen Wegen nachzugehen, die eine solche Obst-Wertschätzung von lebensreformerischen Bestrebungen bis in die dörflichen Obstgärten durchmacht – oder eben auch nicht. Vielleicht waren ja diese dörflichen Vereinsbestrebungen aus ganz anderen Quellen gespeist. Aber vielleicht habe ich hier eine „Kontaktzone“ gefunden – zwischen der lebensreformerischen, medial präsenten Obstromantik und dem Bernrieder Vereinsleben. Ganz unwahrscheinlich ist das nicht.

 

Eden ist einen Besuch wert: Entweder mit der Bahn bis Oranienburg, von dort aus nach Westen, erst über die Havel, dann über den Oranienburger Kanal – dann ist man schon mittendrin; den gleichen Weg kann man auch mit dem Rad machen. Oder man fährt mit dem Auto, über die B96 bis zur B273, dann ist man praktisch da. Sonntags von 14 bis 17 Uhr ist im Presshaus (Struveweg 505) nicht nur das Café geöffnet, sondern auch eine kleine Ausstellung über die Geschichte der Siedlung; außerdem kann man Apfelsaft an einem einmaligen Automaten ziehen – in 5-Liter-Säcken. Bei gutem Wetter kann man sehr schön durch die Siedlung stromern, auch wenn wahrlich nicht mehr alle Häuser das Flair der Jahrhundertwende versprühen. Mehr Informationen unter http://www.eden-eg.de/
Baumgartner, Judith: Die Obstbaukolonie Eden, in: Buchholz, Kai u.a. (Hg.): Die Lebensreform. Entwürfe zur Neugestaltung von Leben und Kunst, Bd. 1, Darmstadt 2001, S. 511-515.

Quelle: http://uegg.hypotheses.org/102

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