Wer verbarg sich hinter den Raubzügen um 845 n. Chr.?
Im Jahr 845 n. Chr. hatten die Plünderfahrten im Frankenreich zweifellos einen neuen Charakter erhalten: Richteten sich die Überfälle im Jahre 844 n. Chr. noch nicht ausschließlich gegen das Frankenreich, so erfolgten die Überfälle 845 n. Chr. planmäßig von West nach Ost gen Heimat gehend zunächst gegen westfränkische Gebiete in Paris und Saintonage in Aquitanien, dann gegen Friesland im Mittelreich und schließlich gegen das ostfränkische Hamburg.1 Im Jahr 845 n. Chr. wurde nun jedes der fränkischen Teilreiche von Überfällen heimgesucht. Womöglich von ein und demselben Wikingerverband durchgeführt, waren im Jahr 845 n. Chr. die überfallenen Regionen den Angreifern durch die fränkisch-dänischen Handelsbeziehungen hinreichend bekannt.2
Die Raubzüge im fränkischen Reich deuteten zunächst auf reine Beutezüge, nicht aber auf Eroberungsfeldzüge hin. Einzig und allein der Überfall auf die Hammaburg wies nicht nur wirtschaftliche Motive von Plünderung auf, sondern deutete auf politische Expansionsbestrebungen hin. Nach der Teilung des Frankenreichs 843 n. Chr. hatte die militärische Macht der Franken sichtlich nachgelassen. Hamburg, die Siedlung an der Elbe war im noch vereinten Frankenreich ein bedeutender Vorposten und sicherte fränkische Interessen in Nordalbingien. Fiel Hamburg, konnten die im Norden angrenzenden Dänen leicht ihr Territorium ausweiten und den fränkischen Einfluss im Norden brechen.3
Die Planmäßigkeit und Vielzahl der Überfälle im Jahre 845 n. Chr. und mögliche Absichten der territorialen Expansion beim Überfall auf Hamburg, deuteten zunächst auf Horik als Urheber hin. Insgesamt bestand der Erlös der Überfälle im Frankenreich aus Beutegütern, Lösegeldern und Sklaven. Neben bereits genannten Gefahren durch dänische Aufrührer und möglichen fränkischen Vergeltungsschlägen, stand für Horik, ökonomisch gesehen, der Umfang der Beuteerlöse nicht im Verhältnis zu dem Risiko der fränkischen Vergeltung und vor allem zu dem Versiegen seiner wichtigsten Einnahmequelle – dem Handel im dänischen Raum und mit den Franken.4
Warum sollte also Horik die Raubzüge im Frankenreich und gegen Hamburg, wie von Rimbert behauptet, durchführen und sich damit selbst schaden? Die Umstände und Hintergründe des Überfalls auf die Hammaburg im Jahre 845 n. Chr. geben hierzu weitere Aufschlüsse.
Unmittelbar nach dem Überfall auf Hamburg gab es einen Feldzug von Ludwig dem Deutschen gegen die Nordwestslawen, vermutlich gegen die Abodriten, gegen die der fränkische König bereits im Jahre 844 n. Chr. gekämpft hatte. Möglicherweise führten die Slawen im Jahre 845 n. Chr. gemeinsam mit den dänischen Wikingern die Überfälle im Frankenreich durch. Der Überfall auf die Hammaburg erfolgte jedoch von Wikingern, da er von See aus, unvermittelt und äußerst schnell, aufgrund von besten Ortskenntnissen, erfolgte.5 Die Gesamtorganisation der Raubzüge im Frankenreich um 845 n. Chr. muss konsequenterweise auch von Wikingern bzw. von einem Wikingerfürsten koordiniert worden sein. Der 845 n. Chr. bei den Raubzügen im Frankenreich betriebene Aufwand an Organisation, Material und Kriegern sowie die Koordination, Kombination und das Ausmaß der Raubzüge mussten vom Wikingerfürsten gesteuert worden sein, die für die Durchführung einer solchen Reihe von Überfällen über ausreichend Macht und Ressourcen verfügten.
Laut den Annales Xantenses war jedoch nicht Horik, sondern ein gewisser Rorik, Mitglied der dänischen Königssippe, der 850 n. Chr. als Lothars (I.) Gefolgsmann Karriere im mittleren Frankenreich machte, Drahtzieher der Überfälle im Jahre 845 n. Chr.. Dieser wurde von den Annales Xantenses irritierender weise als rex bezeichnet. Sein princeps war demnach der Wikingerfürst Reginher.6 Trotz mancher Detailtiefe und Kenntnisse der dänischen Königssippe wird Horik I. in den weiteren Erzählungen der Annales Xantenses nicht namentlich erwähnt, sondern nur in der Erläuterung der Thronfolge im dänischen Königshaus umschrieben. Horiks Name und Person scheint dem Verfasser der Annalen unbekannt gewesen zu sein. Horiks Todesjahr datiert er fälschlicherweise auf das Jahr 856 n. Chr. und nennt auch bei dieser Erläuterung nicht seinen Namen. Rorik erwähnt der Verfasser der Annalen hingegen mehrfach namentlich und berichtet von ihm im Zusammenhang mit den Überfällen von 845 n. Chr. und als Gefolgsmann von Lothar I. im fränkischen Mittelreich 850 n. Chr..7
Es sprechen drei Aspekte dafür, dass nicht Horik, sondern Rorik Drahtzieher der Überfälle im Jahre 845 n. Chr. war. 1. Horiks Machtstellung im dänischen Königreich, das durch die Überfälle auf das Frankenreich gefährdet war, 2. Horiks politisches und wirtschaftliches Verhältnis zu den Franken war durch die Überfälle gefährdet und schuf die konkrete Gefahr von fränkischen Vergeltungsschlägen, 3. Horik führte jahrelang eine konsequente Beschwichtigungspolitik gegenüber den Franken. Laut der Annales Bertiani und den Fuldaer Annalen beschwichtigte Horik auch nach dem Überfall auf die Hammaburg, den König des Ostfrankenreichs, Ludwig den Deutschen.8
Motive für die Überfälle 845 n. Chr. im Frankenreich
In den Jahren von Horiks Herrschaft waren für dänische Wikingerfürsten und Verwandte von Horik (z. B. Gudurm, Neffe von Horik) ein nennenswerter Machtzuwachs, das Scharen einer kampferprobten Kriegerschaft und materieller Reichtum nur über die Zuweisung von materiellen Gütern (beneficia) seitens Horiks, Raubzüge im Ausland oder aber über die konkrete Zusammenarbeit mit den Franken möglich.9 Letztere beide Aspekte stimmen mit Roriks Werdegang in den Jahren 845 n. Chr. bis 850 n. Chr. überein. Der Bericht der Annales Xantenes wirkt an dieser Stelle glaubwürdiger als der Bericht Rimberts in der Vita Anskarii.
Horik war während seiner Herrschaft stets darauf bedacht den Austausch und Kontakt mit den Franken aus wirtschaftlichem Interesse zu halten. Auch der Bau einer Kirche im dänischen Hedeby durch Ansgar um 850 n. Chr. war rein wirtschaftlichen Interessen geschuldet und belebte die Handelsaktivitäten in der Region Schleswig-Hedeby. Horik vermittelte weiterhin erfolgreich bei Ansgars Schwedenmission, um das belastete Verhältnis zu den Franken zu verbessern. Obwohl laut Rimbert zwischen Horik und Ansgar über die Jahre eine große Vertrautheit entstand, konnte Ansgar Horik nicht für das Christentum gewinnen. Ein wichtiges Ziel Ansgars war somit verfehlt.10
Mit manchen Indizien des Überfalls auf die Hammaburg, wie der geografischen Nähe, der Möglichkeit auf politische Expansion und der Tatsache, dass die Überfälle 845 n. Chr. von einem mächtigen Wikingerfürsten durchgeführt werden mussten, passte Horik als Drahtzieher für Rimbert perfekt ins Raster. Als Rimbert, der Vitenschreibers Ansgars, um 876 n. Chr. die Vita Anskarii verfasste, musste er sich an Horiks persönliche Verschlossenheit gegenüber dem Christentum erinnern. Doch statt dies zu erwähnen, feierte Rimbert Ansgar als denjenigen, der einen ehemaligen heidnischen Kirchenzerstörer von 845 n. Chr. und heidnischen Plünderer zum Kirchenstifter im Jahre 850 n. Chr. und Unterstützer der christlichen Kirche in Skandinavien machte. Rimberts Darstellungen der „Leistungen des Heiligen [Ansgars] in den schillerndsten Farben“11 erhielten somit keine Schönheitsfehler.
Empfohlene Zitierweise: Blümel, Jonathan (2014): Ansgar, Horik und die Wikinger – der Überfall auf die Hammaburg um 845 n. Chr. In: JBSHistoryBlog.de. URL: http://jbshistoryblog.de [Zugriff: DD:MM:YYYY]
Bibliographie:
- Helten 2011. S. 210. ↩
- Helten 2011. S. 210. ↩
- Helten 2011. S. 210. ↩
- Helten 2011. S. 209. ↩
- Helten 2011. S. 212-213. ↩
- Helten 2011. S. 216. Anm.: Wikingerfürsten während der Überfälle als Könige zu bezeichnen war typisch in der fränkischen Historiographie. ↩
- Helten 2011. S. 215. ↩
- Helten 2011. S. 211. ↩
- Helten 2011. S. 217. ↩
- Helten 2011. S. 205-206. ↩
- Helten 2011. S. 205. ↩