Archive und Twitter – einige selbstreflektive Gedanken

Ich muss bekennen: Meine eigene Aktivität auf Twitter ist noch recht jung. Lange habe ich geglaubt, 140 Zeichen dürften nicht annähernd ausreichen, um irgendeine Kommunikation zu führen, die auch nur ansatzweise fachlichen Standards genügen kann. Mit Facebook und einer Teil-Aktivität hier auf Archive 2.0 sah ich mich gut in den Sozialen Medien vertreten. Das war natürlich ein großer Irrtum. Eigentlich hätte ich es bereits bei der Offene-Archive-Tagung in Speyer ahnen müssen, der sich auch die Existenz dieses Blogs hier verdankt. Aber gut, damals war ich wohl irgendwie ein wenig schwer von Begriff. Jedenfalls war der Deutsche Archivtag 2013 für mich dann der Anlass, dieses Medium einmal näher auszuprobieren, insbesondere weil es mittlerweile mindestens eine gute Anleitung zum Twittern in der Wissenschaft im Netz gibt und gerade das Tagungstwittern nach spannendem Neuland klang. Und siehe da: Es hat nicht nur Spaß gemacht, sondern hat auch zum Entdecken einer völlig neuen Informationsebene und zum Kennenlernen vieler interessanter Leute geführt, deren Gedanken und Hinweise ich nicht mehr missen möchte. Und wir reden hier jetzt – um allen Kritikern zu begegnen – nicht vom morgendlichen Frühstück oder der abendlichen Partygestaltung, sondern von archivischen und geschichtswissenschaftlichen Fachinformationen. (Wie wenig „Spaß“ damit zwangsläufig verbunden sein muss, hat die ungemein intensive Nacherzählung der Pogromnacht unter @9nov38 gerade erst gezeigt.)

Tagungstwittern also, das war der Anfang. In Saarbrücken beim Deutschen Archivtag war so etwas noch nicht wirklich angekommen, auch wenn es doch eine kleine Gruppe von Kolleginnen und Kollegen gab, die munter die Vorträge dokumentierten und kommentierten. (Ungeachtet der seltsamen Blicke in der Zuhörerschaft ob des vermeintlichen Herumspielens mit dem Handy.)

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Auch wurde jüngst von der Bundeskonferenz der Kommunalarchive getwittert, ebenfalls sehr löblich, auch wenn ich mir hier doch mehr als die wenigen versprengten Tweets gewünscht hätte. (Ja, da draußen lesen tatsächlich Leute mit, also gebt uns Informationen!)

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Vor diesem Hintergrund bleiben einem auf Twitter auch andere Tagungen nicht verborgen, die man nicht direkt im Blick hat, vielleicht weil es um historische Fragen geht, die einen allenfalls mittelbar interessieren, vielleicht weil es auch um Nachbarwissenschaften geht, die man nur mit halben Augen (wenn überhaupt) verfolgt. Schon bei kleinen Gruppen von Leuten, denen man auf Twitter folgt, kommt man aber recht schnell in Berührung mit solchen Themen, vielleicht weil die Leute, denen man folgt, selbst vor Ort sind, vielleicht weil sie entsprechende Vorträge kommentieren. Dabei bin ich auch in der kurzen Zeit, die ich auf Twitter dabei bin, auf zwei (nicht-archivische) Tagungen gestoßen, bei denen ich mich unweigerlich folgendes fragen musste:

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Vielleicht war das etwas hart formuliert, aber wenn man das dortige Aufeinanderprallen von Archivaren und Nicht-Archivaren schmerzhaft direkt verfolgen konnte, dann möglicherweise doch verständlich. Das erste waren die EDV-Tage in Theuern, die mir bis dato überhaupt nicht bekannt waren, aber mein Interesse auf sich gezogen hatten, weil dort – neben zahlreichen Vortragenden aus Bibliotheken und Museen – ein Archivarskollege über den Einsatz von sozialen Medien vortragen sollte: „Allheilmittel Web 2.0 und Social Media?“ lautete der fragende Titel, der mich gerade auch vor dem Hintergrund des eigenen archivischen Facebook-Auftritts sehr reizte. Nach mehreren Vorträgen über die Bedeutung und Rolle von sozialen Medien für Kultureinrichtungen folgte hiermit dann allerdings ein rigoroses Gegenprogramm – man hätte es am Untertitel schon ablesen können („Kritische Nachfragen zum Einsatz in Gedächtnisinstitutionen“):

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Da blieb nur ungläubiges Staunen über kuriose Vorschläge…

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… oder Sarkasmus…

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… oder der nicht unberechtigte Vorschlag, es doch gleich zu lassen:

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Ein bedauerlicher Einzelfall? Scheinbar nicht, wie dann jüngst bei einer Tagung zum Gedenkbuch zu Münchner NS-Euthanasie-Opfern erahnbar wurde. Auch hier stieß archivischer Konservativismus manchem Teilnehmer bitter auf:

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Bei solchen Reaktionen bleiben manche Fragen: Haben Archive eigentlich derartig andere Rahmenbedingungen als Bibliotheken, Museen oder andere Kultureinrichtungen, dass sie sich solchermaßen zurückhaltend im Bereich der sozialen Medien zeigen müssen? Ist diese Abstinenz überhaupt von Interesse, weil der Adressatenkreis vielleicht nur aus ein paar vernetzten Hipstern und Nerds besteht, die breite Nutzerklientel aber überhaupt nicht erreicht? Und: Wissen wir Archivarinnen und Archivare eigentlich, wie wir uns nach außen präsentieren (und altbekannte Klischeebilder wiederbeleben)?

Für mich (und wahrscheinlich für die allermeisten, die dieses Blog hier lesen) sind diese Fragen rein rhetorischer Natur. Klar kennen wir Archivarinnen und Archivare Schutzfristen und müssen sie beachten, klar müssen wir ressourcenschonend arbeiten und nicht jedem neuen Hype hinterherlaufen und klar muss uns unser Standing in der Öffentlichkeit interessieren. Aber das Bild, das wir offenbar – zumindest mancherorts – abgeben, scheint nicht besonders schmeichelhaft. Vielleicht wäre das früher gar nicht sonderlich aufgefallen, aber dieser neue riesige Informationsraum, den soziale Medien schaffen, sorgt für eine neue Offenheit und einen neuen Informationsfluss. Gut so. Wenn die potentiellen Nutzer und auch Partner(-institutionen) von Archiven uns derartig hart angehen, dann sollte uns das zu denken geben. Facebook und Twitter sind auch wunderbare Evaluationstools, die uns verraten, was man von uns hält und wie man sich uns wünscht. Man muss vielleicht nicht alles erfüllen, was an uns herangetragen wird, aber letztlich müssen die Nutzer der zentrale Maßstab für unsere Arbeit sein. Hören wir auf Sie!

Ach ja, dafür muss man natürlich in den sozialen Medien vertreten sein. Also: mehr Archive rein in Facebook, auf Twitter, wohin auch immer. Unsere Nutzer haben uns dort etwas zu sagen!

 

Quelle: http://archive20.hypotheses.org/993

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Berichte aus der Benutzerperspektive (Preprint Archivar)

Auf academia.eu hat Klaus Taschwer bereits seinen gemeinsam mit Anja Sattelmacher verfassten Aufsatz für die nächste Ausgabe des Archivar veröffentlicht. Darin geht es um vorbildlichen und weniger vorbildlichen Service von Archiven – und erwartungsgemäß erweist sich die Serviceorientierung der Archive wieder einmal als ausbaufähig: lückenhafte Online-Bereitstellung von Beständeübersichten und Findbüchern, intransparente Beständestrukturen, wenig einladendes Nutzungsambiente (insb. überbürokratische Anmeldestrukturen, Misstrauenskultur gegenüber Nutzern), überwiegende Fotografierverbote in den Lesesälen, schwacher Digitalisierungsgrad von Archivgut. Zudem beklagen die Autoren eine fehlende Diskussion um die Benutzerfreundlichkeit bzw. fehlende Kommunikationsräume für diese Diskussion.

Eine Lösung dieser Probleme dürfte – ebenfalls wieder einmal – auf bestimmte zentrale Prämissen des Archiv 2.0 hinauslaufen: intensive Nutzerorientierung, transparente archivische Archivalien- und Bestandsstrukturen, attraktive (virtuelle) Kommunikationsräume für Archive/Archivare und Nutzer (jetzt bereits hier vorhanden oder beispielsweise auch auf Archivalia, daneben auf den Facebook-Seiten einiger Archive). Sicherlich nicht zufällig zielen viele der Kritikpunkte auf die analogen archivischen Denk- und Organisationsstrukturen, die im digitalen Zeitalter schnell Gefahr laufen, überholt und veraltet zu wirken. Entsprechend muss archivisches Handeln bereits jetzt den virtuellen Raum umfassen, sicherlich nicht mit hundertprozentigen Beständedigitalisierungen, wohl aber mit attraktiven Nutzungsangeboten  zur Vor- und Nachbereitung des traditionellen Archivalienstudiums. Sprechen wir mit unseren Nutzern und hören auf Sie, denn sie müssen das Maß archivischer Arbeit sein!

Und noch ein kleiner Teaser: In der genannten nächsten Archivar-Ausgabe wird auch ein Artikel zum Archiv 2.0 zu finden sein…

Quelle: http://archive20.hypotheses.org/883

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Archive 2.0 – Ein Überblick zu Links und Literatur

Das Thema Archive und Web 2.0 scheint sich langsam eines steigenden Interesses zu erfreuen: Auf verschiedenen Archivtagen war und ist es Thema und in der aktuellen Ausgabe des Archivars gehört es bei einer Vielzahl gerade der kleineren Beiträge zum guten Ton, zumindest auf die Möglichkeiten der sozialen Medien zu verweisen. Auch bei Gesprächen unter Kolleginnen und Kollegen ist das Thema präsent, häufig aber in Verbindung mit einer gewissen Unsicherheit, was es alles gibt, wo im Netz die wichtigsten Beiträge zu finden sind und wie man einen Überblick gewinnen kann.

Aus diesem Grunde seien an dieser Stelle einmal die wichtigsten Links und Literaturtitel zur Thematik gesammelt – ohne Anspruch auf Vollständigkeit, wohl aber mit dem Anspruch, einen Pfad durch den wuchernden Online-Dschungel zu den interessantesten archivischen Angeboten zu schlagen. Alle Ergänzungen sind herzlich willkommen!

 

LINKS

 

Archive 2.0 allgemein:

Archives 2.0 Manifesto (programmatische Standortbestimmung zum archivischen Web 2.0): http://www.archivesnext.com/?p=64

23 Things for Archivists (zur archivischen Nutzung des Web 2.0): http://23thingsforarchivists.wordpress.com/

The Interactive Archivist (Projekt der SAA zur archivischen Nutzung des Web 2.0): http://interactivearchivist.archivists.org/

Social Media-Startseite der us-amerikanischen National Archives and Records Administration: http://www.archives.gov/social-media/

 

Archivische Blogs:

Blog-Aggregator für archivsche Blogs: http://archivesblogs.com/

Blogs der us-amerikanischen National Archives and Records Administration: http://www.archives.gov/social-media/blogs.html

Blog der britischen National Archives: http://blog.nationalarchives.gov.uk/

Blog zum deutschen Archivwesen: Archivalia: http://archiv.twoday.net/

Blog zum (deutschen) Archiv 2.0 (ehemals Tagungsblog „Offene Archive?“): http://archive20.hypotheses.org/

Blog der Archive des Kreises Siegen-Wittgenstein: http://www.siwiarchiv.de/

Blog des Berlin-Brandenburgischen Wirtschaftsarchivs: Archivspiegel: http://www.bb-wa.de/de/archivspiegel.html

Blog zum Rheinischen Archivtag 2012/13: http://lvrafz.hypotheses.org/

Blog zum Westfälischen Archivtag 2013: https://www.lwl.org/LWL/Kultur/Archivamt/westfaelischer-archivtag-blog/

 

Archive 2.0: Anwendungen, Beispiele, Projekte etc.:

Wikisource (Sammlung von Quellentexten mit Möglichkeit zur Transkription): http://de.wikisource.org/

Citizen Archivist Dashboard (Crowdsourcing bei der amerikanischen National Archives and Records Administration): http://www.archives.gov/citizen-archivist/

Archiv-Wiki des niederländischen und flämischen Archivwesens: http://archiefwiki.org/

Soziales Netzwerk des niederländischen und flämischen Archivwesens: http://www.archief20.org/

Vele Handen (Crowdsourcing beim niederländischen Nationaal Archief): http://velehanden.nl/

Flickr: The Commons (Startseite für institutionelle Fotosammlungen bei Flickr): http://www.flickr.com/commons

Flickr: Hohenlohe Zentralarchiv (Fotografische Visitenkarte des HZAN): http://www.flickr.com/photos/nomenobscurum/sets/72157627387124620/

Interview: Vom Kellerarchiv zum Archiv 2.0. Das Landesarchiv NRW in den sozialen Medien: http://www.lisa.gerda-henkel-stiftung.de/content.php?nav_id=4292

Dazu mittlerweile zahlreiche Profile von Archiven auf Facebook und Twitter (vgl. auch http://archiv.twoday.net/stories/235546744/).

 

Ergänzend: Geistes-/Geschichtswissenschaften und soziale Medien:

Blogplattform: hypotheses: http://de.hypotheses.org/

Blog: Rezensieren – Kommentieren – Bloggen. Wie kommunizieren Geisteswissenschaftler in der digitalen Zukunft?: http://rkb.hypotheses.org/

Blogbeitrag von Mareike König: Twitter in der Wissenschaft. Ein Leitfaden für Historiker/innen: http://dhdhi.hypotheses.org/1072

Blog zur Geschichte und Digitalen Medien: hist.net (Peter Haber, Jan Hodel): http://weblog.histnet.ch/

L.I.S.A. Wissenschaftsportal der Gerda Henkel Stiftung (mit zahlreichen Thema u.a. zu Geisteswissenschaften und sozialen Medien): http://www.lisa.gerda-henkel-stiftung.de/

 

LITERATUR

Bouyé, Édouard: Le Web collaborative dans les services d’archives publics. Un pari sur l’intelligence et la motivation des publics, in: Gazette des Archives 227 (2012), S. xxx

Crymble, Adam: An Analysis of Twitter and Facebook Use by the Archival Community, in: Archivaria 70 (2010), S. 125-151.

Fuentes-Hashimoto, Lourdes / Szollosi, Vanessa: Archivistes et médias sociaux. Un monde de possibilités, in: Gazette des Archives 226 (2012), S. xxx

Garaba, Francis:  Availing the liberation struggle heritage to the public. Some reflections on the use of Web 2.0 technologies in archives within ESARBICA (http://www.ica2012.com/files/data/Full%20papers%20upload/ica12Final00017.pdf).

Gillner, Bastian: Jenseits der Homepage Zur archivischen Nutzung von Web 2.0-Anwendungen, Marburg 2011 (http://www.archivschule.de/uploads/Ausbildung/Transferarbeiten/Transferarbeit_BastianGillner.pdf).

Gillner, Bastian: Aufgewacht, aufgebrochen, aber noch nicht angekommen. Das deutsche Archivwesen und das Web 2.0, Speyer 2013 (http://archive20.hypotheses.org/454).

Glauert, Mario: Archiv 2.0. Vom Aufbruch der Archive zu ihren Nutzern, in: Schmitt, Heiner (Hg.): Archive im digitalen Zeitalter. Überlieferung, Erschließung, Präsentation. 79. Deutscher Archivtag in Regensburg (= Tagungsdokumentation zum Deutschen Archivtag 14), [Fulda] 2010, S. 43-54.

Glauert, Mario: Archiv 2.0. Interaktion und Kooperation zwischen Archiven und ihren Nutzern in Zeiten des Web 2.0, in: Archivpflege in Westfalen-Lippe 70 (2009), S. 29-34 (http://www.lwl.org/waa-download/archivpflege/heft70/heft_70_2009.pdf).

Gutsch, Susann: Web 2.0 in Archiven. Hinweise für die Praxis (Veröffentlichungen der Landesfachstelle für Archive und Öffentliche Bibliotheken im Brandenburgischen Landeshauptarchiv 8), Potsdam 2010.

Haber, Peter: Das Web 2.0 und die Archive. Anmerkungen aus Sicht eines Historikers, in: Lersch, Edgar / Müller, Peter: Archive und Medien, Stuttgart 2010, S. 72-77.

Haber, Peter / Pfanzelter, Eva (Hgg.): historyblogosphere. Bloggen in den Geisteswissenschaften [in Vorbereitung].

Heizmann, Uwe: Deutschsprachige Archive bei Facebook. Derzeitiger Stand und aktuelle Konzepte, Potsdam 2012 (http://www.multimediale-geschichte.de/bilder_co/heizmann_uwe_-_dtspr_archive_b_facebook.pdf).

Hess, Michael: Gefällt mir! Landesbibliothek Burgenland goes Facebook. Ein Stimmungsbericht, in: Mitteilungen der Vereinigung Österreichischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare 65 (2012), S. 316-321 (inkl. Burgenländisches Landesarchiv) (https://fedora.phaidra.univie.ac.at/fedora/get/o:175746/bdef:Asset/view).

Kemper, Joachim / Fischer, Jörg / Hasenfratz, Katharina / Just, Thomas / Moczarski, Jana / Rönz, Andrea: Archivische Spätzünder? Sechs Web 2.0-Praxisberichte, in: Archivar 65 (2012), S. 136-143 (http://www.archive.nrw.de/archivar/hefte/2012/ausgabe2/ARCHIVAR_02-12_internet.pdf).

Peltier-Davis, Cheryl Ann: The Cybrarian’s Web. An A-Z Guide to 101 free Web 2.0 Tools and other Resources, London 2012.

Samouelian, Mary: Embracing Web 2.0. Archives and the Newest Generation of Web Applications, in: The American Archivist 72 (2009), S. 42-71.

Sander, Oliver:„Der Bund mit Wiki“. Erfahrungen aus der Kooperation zwischen dem Bundesarchiv und Wikimedia, in: Archivar 63 (2010), S. 158-162 (http://www.archive.nrw.de/archivar/hefte/2010/ausgabe2/Archivar_2_10.pdf).

Theimer, Kate: Web 2.0 Tools and Strategies for Archives and Local History Collections. London 2010.

Theimer, Kate: Interactivity, Flexibility and Transparency. Social Media and Archives 2.0, in: Hill, Jennie (Hg.): The Future of Archives and Recordkeeping. A Reader, London 2011, S. 123-143.

Theimer, Kate: What is the Meaning of Archives 2.0?, in The American Archivist 74 (2011), S. 58-68.

Wagner, Bernd (Hg.): Jahrbuch für Kulturpolitik 2011, Essen 2011 [enthält zahlreiche Beiträge zum Schwerpunktthema „Digitalisierung und Internet“].

Westphal, Sina: Personenstandsarchive im Web 2.0 am Beispiel des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen, Marburg 2012 (http://www.archive.nrw.de/lav/abteilungen/fachbereich_grundsaetze/BilderKartenLogosDateien/Transferarbeiten/Westphal_Transferarbeit.pdf).

Quelle: http://archive20.hypotheses.org/622

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Archive 2.0 auf dem 65. Westfälischen Archivtag

 

Auf dem 65. Westfälischen Archivtag in Münster wurde der Bereich Archiv 2.0 zwar nicht explizit thematisiert, wohl aber an etwas versteckter Stelle angesprochen – und zwar auf dem Diskussionsforum “Verzeichnest du noch oder gefällst du schon? Archive als Anbieter digitaler Dienstleistungen”. Im Folgenden sei mein eigenes Impulsreferat dokumentiert:

 

„Diese Verzeichnung gefällt mir! Das Archiv 2.0 als Anbieter digitaler Dienstleistungen“

Am 13. März 2013 stieg weißer Rauch über der sixtinischen Kapelle in Rom auf und ein neuer Papst war gewählt worden.

Schornstein Sixtinische Kapelle

Was hat das zu tun mit uns als Archiven oder gar unserem heutigen Archivtag?

Vielleicht soviel, dass es ein Archivar war, der das „Habemus Papam“ verkündete, nämlich der Kardinalprotodiakon Jean-Louis Tauran, der von 2003 bis 2007 das Vatikanische Geheimarchiv leitete. Es war das Schweizerische Bundesarchiv, das diese Nachricht publik machte.

Vielleicht aber auch soviel, dass Päpste – oder besser: der schriftliche Nachlass päpstlichen Handelns – für die allermeisten Archive kein unbekanntes Thema sind. Vielerorts bilden Papsturkunden den Grundbestand der Alten Abteilungen, lässt sich mittelalterliche Geschichte insbesondere durch Papsturkunden rekonstruieren. Aus Anlass der Papstwahl berichtete beispielsweise das Österreichische Staatsarchiv über die Tagebücher des Erzbischofs von Wien, der 1655 nach Rom reiste um am damaligen Konklave teilnahm. Im Vergleich dazu brandaktuell war die Mitteilung des Stadtarchivs Linz am Rhein, dass in seinen Beständen die Erteilung des apostolischen Segens an die Bürger der Stadt direkt nach der Wahl des nunmehr emeritierten Papstes im Jahr 2005 vorhanden sei.

Und auch die us-amerikanischen National Archives nahmen das Ereignis zum Anlass, auf eine umfangreiche Fotosammlung zu den Begegnungen von Päpsten und Präsidenten der vergangenen Jahrzehnte zu verweisen.

Warum sind diese Informationen für uns heute interessant? Weil alle diese Archive ihre Rolle als digitale Dienstleister ernst genommen haben und ihre Nutzer mit aktuellen archivnahen Informationen versorgt haben – und gemacht haben sie das über den in diesem Fall wohl bequemsten virtuellen Weg: nämlich über das soziale Netzwerk Facebook.

Papst Österreichisches Staatsarchiv

 

Papst US National Archives

Das „gefällt mir“ kann ich da als Nutzer sagen – und ich bezweifle, dass auch nur eins der genannten Archive für diese nette kleine tagesaktuelle Aufmerksamkeit irgendwie seine Kernaufgaben vernachlässigt hätte. Das ist es nämlich, was die Leitfrage unserer Diskussion hier impliziert: „Verzeichnest du noch oder gefällst du schon?“

Hier scheinen zwei Aspekte gegeneinander zu stehen

  • Auf der einen Seite die eigentliche Arbeit eines Archivs, seine Kernaufgaben (wofür hier die Verzeichnung sinnbildlich steht): eine anspruchsvolle, eine fordernde, bisweilen eine mühselige, vielleicht auch ungeliebte Arbeit; ist ein laufender Meter Verzeichnungsarbeit geschafft, warten schön die nächsten fünf. Dank und Lob für eine erfolgreiche Verzeichnungsarbeit erhält man nicht.
  • Ganz anders dagegen dieses ominöse „gefällst du schon?“: Gefallen, wollen wir das? Wir sind doch das kulturelle Gedächtnis der Gesellschaft. Wir erinnern an Geschichte, an Politik, an Herrscher, an wichtige Geschehnisse, an mitunter schreckliche Untaten. Wir sind seriös, wir sind staatstragend, wir sind eine Behörde. Da müssen wir doch keinem gefallen. Und außerdem sind wir Monopolisten: Wer unsere Dokumente einsehen will, der muss schließlich zu uns kommen, egal ob wir ihm gefallen oder nicht. Und letztendlich: Bei Facebook wissen wir doch alle: das ist bloß Spielerei, irgendwas für Teenies und allenfalls noch für Studenten, da kann ja jeder alles reinschreiben und morgen kann das alles wieder weg sein, außerdem steht da sowieso nichts Wichtiges, denn das Wichtige wird nämlich gedruckt.

Dieser Gegensatz aber scheint mir an den gegenwärtigen und vor allem an den zukünftigen Arbeitsrealitäten von Archiven vorbeizugehen:

  • Die archivische Arbeit wird sich zunehmend in den digitalen Raum verlagern, durch Digitalisate, durch Online-Publikationen, durch virtuelle Lesesäle – entsprechend notwendig wird es sein, die Strukturen zu besitzen, um diese digitalen Inhalte zu bewerben und direkt den Interessenten zuzuleiten
  • Die technischen Mittel für einen virtuellen Auftritt – für die Präsentation von Archivalien und Beständen, für Kommunikation und Interaktion mit den Nutzern, für den fachlichen Austausch mit den Kollegen – stehen längst bereit: Soziale Netzwerke, Sharing-Plattformen, Blogs, Micro-Blogs, Foren, Wikis u.v.a.m.
  • Wir Archivare müssen nur bereit sein, diese technischen Mittel zu nutzen – oder wie es ein niederländischer Kollege (wo sie uns in diesen Belangen tatsächlich Lichtjahre voraus sind) formulierte: „It’s not about technology, it’s about attitude!“

Archives Cantal

Zu den Möglichkeiten, einer archivischen Nutzung von sozialen Medien (= Archiv 2.0) möchte ich schließlich 4 Thesen formulieren:

1) Die Nutzung von sozialen Medien ist für einen wachsenden Teil der Bevölkerung alltägliche Normalität. Die deutschen Archive haben noch keine Antwort auf diese neue Mediennutzung gefunden und stehen der Entwicklung weitgehend passiv gegenüber.

2) Die archivische Nutzung von sozialen Medien erlaubt eine unkomplizierte und unmittelbare Vermittlung archivischer Anliegen: Präsentation von Archiv und Beständen, Kommunikation und Interaktion mit den Nutzern, Mitteilung von Neuigkeiten, Publikationen, Veranstaltungen u.v.a.m.

3) Die archivische Nutzung von sozialen Medien erlaubt einen intensivierten fachlichen Austausch ohne auf punktuelle Ereignisse wie Archivtage oder auf persönliche berufliche Netzwerke angewiesen zu sein. Fragen und Probleme können unkompliziert und unmittelbar unter Einbeziehung aller Interessenten thematisiert werden.

4) Die archivische Nutzung von sozialen Medien verlangt einen Bewusstseinswandel: weg von hierarchischem, beständeorientiertem, reaktivem Denken und hin zu kommunikativem, kollaborativem, nutzerorientiertem Denken.

Andernorts funktioniert der archivische Umgang mit den sozialen Medien bereits – daran könnten wir uns ein Beispiel nehmen!

(Bastian Gillner)

 

 

 

Quelle: http://archive20.hypotheses.org/592

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Archivbau virtuell: Bausteine für ein Archiv 2.0

Die gegenwärtige Aktivität deutscher Archive im virtuellen Raum umfasst im Wesentlichen zwei Bereiche: 1) Den Unterhalt einer Homepage, die den Nutzer mit grundlegenden Informationen zum Archiv versorgt (Ansprechpartner, Öffnungszeiten, Nutzungsmöglichkeiten), 2) Die Korrespondenz mit den Nutzern über den Mailkontakt, vorrangig zur Beantwortung von Anfragen. Diese Internet-Auftritte sind bisweilen umfangreicher mit aktuellen Projekten und Publikationen, ausgewählten Fachinformationen, Quellenpräsentationen (bspw. „Archivalie des Monats“) o.ä. versehen, dienen (zu) häufig allerdings als bloße virtuelle Visitenkarte mit geringer Aussagekraft. Bei diesen Internetauftritten handelt es sich letztendlich um eine praktische, gleichwohl jedoch banale Übersetzung traditioneller analoger archivischer Arbeitsprozesse in den virtuellen Raum (Anfragenbeantwortung, Beständeübersichten, Informationsbroschüren). Der erhebliche Mehrwert, den das Internet den Archiven bietet, ist in Deutschland bislang allenfalls ansatzweise ausgelotet worden. Gleichwohl versucht eine zunehmende Zahl von deutschen Archiven, die neuen Medien zu nutzen, um ihre Arbeit effektiver, kundenfreundlicher oder schlicht zeitgemäßer zu gestalten. Diese Versuche können eine verstärkte Präsentation von Archivgut und Beständeübersichten im Internet zum Ziel haben (hier engagiert sich auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft mit ihren Fördermöglichkeiten stark), beziehen sich vermehrt aber auch auf die Nutzung von sozialen Medien (Web 2.0). In diesen Bereich gehört beispielsweise das Projekt des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen, seine Aktivitäten im sozialen Netzwerk Facebook zu präsentieren und somit eine breitere Nutzerschicht zu erreichen und neue Formen der Nutzerkommunikation auszutesten. Hierfür wurden (und werden) allen interessierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die damit verbundenen Ideen und Ziele nähergebracht, um die Akzeptanz des Projekts zu steigern. Im Rahmen dieser internen Projektvorstellung entstand auch ein Überblick über die verschiedenen Elemente eines sogenannten Archivs 2.0, die sicherlich eine gewisse Allgemeingültigkeit beanspruchen können und deshalb auch hier einer breiteren Öffentlichkeit präsentiert werden sollen. BLOGBEITRAG Bausteine Archiv 2-0 Den beiden Elementen „Homepage“ und „Mailkorrespondenz“ werden im Archiv 2.0 eine ganze Reihe von weiteren Bausteinen zur Seite gestellt, die eine deutlich umfangreichere Präsenz im virtuellen Raum ermöglichen. Die Metapher des Bausteins versinnbildlicht dabei, dass ein Archiv 2.0 unterschiedlich komplex aufgebaut werden kann und die einzelnen Bausteine modular einsetzbar sind. Ein Archiv 2.0 ist keine Konstruktion, die aus stets den gleichen Bausteinen bestehen muss, vielmehr können die unterschiedlichen Bausteine in unterschiedlichen Anordnungen miteinander kombiniert werden. Die Verwendung weniger Bausteine ergibt ein schlichtes Bauwerk, die Verwendung vieler Bausteine hingegen ein ansehnliches Gebäude mit ausdifferenzierten Bereichen. Ein Archiv 2.0 kann so etwas wie ein Wohnzimmer mit Fernsehsessel sein oder ein öffentliches Forum mit Galerien und Kinosälen, Gesprächsecken und Konferenzräumen, Arbeitszimmern und Lesesälen. Die Bausteine dazu stammen aus einer von drei Schubladen: Manche Bausteine ermöglichen die Präsentation von Informationen, sei es zu Archivalien, zu Beständen, zur Nutzung o.ä.; sie sorgen also für die Bereitstellung von Inhalten (neudeutsch: Content). Die klassische Homepage gehört hierzu, liefert sie doch grundlegende Basisinformationen: Was macht das Archiv? Wie kann ich das Archiv nutzen? Welche Dokumente kann ich im Archiv finden? Gerade letztere Frage ist für den Nutzer von zentralem Interesse, weil virtuelle Beständeübersicht und Findbücher die entscheidenden Hinweise zur Nutzung des Archivs bieten. Daneben ist die Möglichkeit zur Bereitstellung von Digitalisaten ein weiterer wichtiger Baustein in der Inhalts-Schublade. Gerade größere Archive verbinden diesen Baustein mit der Homepage bzw. den Online-Findbüchern, doch auch die Nutzung von Sharing-Plattformen ist eine bequeme und einfache Möglichkeit, die insbesondere für kleinere Archive attraktiv sein kann. Kostenlose Anbieter mit millionenstarker Nutzerklientel gibt es für viele Bereiche, etwa für Bilder (Flickr etc.), Videos (Youtube etc.), Präsentationen oder Texte (Slideshare etc.). Manche Plattformen haben mittlerweile Bereiche, die bereits auf professionelle Kulturinstitutionen zugeschnitten sind (z.B. Flickr Commons). Basisinformationen und digitale/digitalisierte Inhalte haben somit ihren Baustein, für umfangreichere Hintergrundinformationen bietet sich ein Blog als empfehlenswerter Baustein an. In einem Blog können detailliertere Informationen zu spezifischen Themen behandelt werden: Wie funktioniert die gegenwärtige Überlieferungsbildung? Wie geht das Archiv mit aktuellen Herausforderungen (bspw. digitale Archivierung) um? Welche Bestände bieten Material für momentane historische Diskussionen/Jubiläen/Kontroversen? Blogbeiträge können Einsicht in aktuelle Arbeitsprozesse liefern und Arbeitsweisen und Projekte transparent machen. Als Teil der archivfachlichen Diskussion können sie zur Information der Fachwelt beitragen und idealerweise helfen, Herausforderungen und Probleme miteinander zu besprechen oder gar zu bewältigen. Helfen Blogs somit, bestimmte Themen intensiver darzustellen, so bietet schließlich der vierte Baustein der Inhalts-Schublade die Möglichkeit zur Präsentation von aktuellen Kurzinformationen, nämlich durch die Nutzung von Micro-Blogging-Funktionen. Solche bieten etwa Twitter, ebenso aber auch die sozialen Netzwerke wie Facebook oder Google+. Aktuelles, Interessantes, Nützliches oder Wissenswertes kann mit kurzem Text, Bild oder Link direkt an interessierte Nutzer übermittelt werden. Der zusätzliche Mehrwert im Sinne einer viralen Weiterverbreitung kommt hier noch hinzu, fällt aber in den Bereich der Kommunikation und gehört damit bereits zur nächsten Schublade. Die Bausteine dieser zweiten Schublade erlauben allesamt den Aufbau von Kommunikationskanälen zur Verbreitung von Informationen. Klassisch läuft dieser Prozess über die Homepage eines Archivs, was aber einige strukturelle Schwächen mit sich bringt. Informationen, die auf die Homepage gestellt werden, haben keinen unmittelbaren Bezug zu einem Nutzer. Sie werden dort vorgehalten, bis sie eingesehen werden – oder auch nicht. Homepages basieren darauf, dass sie regelmäßig von Nutzern besucht werden, die sich auf ihnen über die angebotenen Informationen kundig machen. Die Bausteine der Kommunikations-Schublade drehen dieses Verhältnis um, in dem nicht mehr der Interessent nach Informationen suchen muss, sondern die Informationen direkt dem Interessenten zugeleitet werden. Ein simpler Baustein in diesem Prozess ist ein RSS-Feed: Die Homepage erhält eine Funktion, mit der alle Veränderungen, die an ihr vorgenommen werden (neue Inhalte, neue Meldungen), dem interessierten Nutzer zufließen. Ein Blick auf den Feed-Reader liefert die neuen Informationen, womit das Durchklicken zahlreicher Homepages auf der Suche nach Neuigkeiten entfällt. Ähnlich funktionieren soziale Netzwerke als Baustein des Archivs 2.0: Auch hier werden die vom Archiv stammenden Nachrichten direkt dem interessierten Nutzer zugeleitet; er bekommt diese Nachrichten auf seinem persönlichen Profil zu lesen, ohne dass er aktiv nach Neuigkeiten suchen muss. Sowohl Postings innerhalb des sozialen Netzwerks erreichen den Nutzer auf diese Weise als auch dort platzierte Homepage-Aktualisierungen, Blog-Beiträge u.ä. Ergänzt wird diese Funktion durch die Vernetzung innerhalb der sozialen Netzwerke, wodurch die eigenen archivischen Nachrichten von anderen Nutzern weiterverbreitet werden können oder das archivische Profil als Pinnwand für nutzergenerierte Informationen dienen kann. Ein dritter Baustein, um dem Nutzer archivische Inhalte zukommen zu lassen, ist schließlich der Kurznachrichtendienst Twitter. Auch hier können Informationen direkt dem interessierten Nutzer zugeleitet werden und auch hier ist die Weiterverbreitung dieser Informationen durch die Nutzer intendiert. Bewegen sich Postings und Tweets eher im Bereich knapper und öffentlicher Informationsvermittlung, so bleibt – auch das gilt es zu betonen – für die klassische Nutzeranfrage mit ihrem spezifischem individuellem Informationsinteresse nach wie vor die Mailkorrespondenz der sinnvollste Baustein (auch wenn eine Anfragenbeantwortung über andere Kommunikationskanäle durchaus denkbar wäre). Drittens schließlich bietet die Schublade Interaktivität dem Archiv 2.0 eine ganze Reihe von Bausteinen, um mit den Nutzern in einen gegenseitigen Austauschprozess zu treten. Dabei geht es – in ansteigender Komplexität – um die Diskussion archivischer Themen, die Sammlung von archivrelevantem Wissen und die Einbeziehung von Nutzern in archivische Aufgaben. Mit den schon erwähnten Bausteinen Blogs, Twitter und soziale Netzwerke lässt sich bereits in eine Kommunikation mit den Nutzern eintreten: ganz niederschwellig über das Liken und Sharen von präsentierten Inhalten, darüber hinaus durch die Möglichkeit zum Kommentieren von Beiträgen und Postings. Egal ob Blogs, Facebook oder Twitter: eine Kommentarfunktion ist immer vorhanden und sollte genutzt werden, um auch mit den Nutzern zu sprechen. Ein Feedback von Nutzerseite ist mindestens zu erreichen, das über den konkreten Anlass hinaus auch der gegenseitigen Bindung von Archiv und Nutzern dient. Im besten Fall lassen sich gar archivische Themen diskutieren und erfolgversprechende Diskussionsergebnisse zur Verbesserung der archivischen Arbeit einsetzen. Die Arbeit des Archivs kann durch die Nutzer interessiert und kommentierend begleitet werden. Über diese bloße diskursive Beteiligung der Nutzer hinaus gehen alle weiteren Bausteine der Interaktivitäts-Schublade, zielen sie doch auf die aktive Einbindung der Nutzer in archivische Arbeitsprozesse, auf das sogenannte Crowdsourcing. Nutzer konsumieren nicht lediglich die Angebote des Archivs, sondern partizipieren an der Erstellung dieser Angebote, etwa durch die Erstellung von themenbezogenen Inventaren, die (unterstützende) Erschließung von Archivalien und Beständen, die Transkription und Verschlagwortung von Archivalien u.v.a.m. Der Fantasie sind hier kaum Grenzen gesetzt. Instrumente für diese Arbeit wären beispielsweise Wikis, die ein unkompliziertes kollaboratives Sammeln von Wissen erlauben. So könnte ein Archiv ein Benutzungs-Wiki einrichten, in dem zu bestimmten Archivalien, Beständen oder Themen relevante Informationen (wie Überlieferungsspezifika, Gegen-/Parallelüberlieferung, Transkriptionen) durch die Nutzer gesammelt werden können. Andere Instrumente eines Crowdsourcing sind im nicht-archivischen Bereich bereits online zu erkennen: So ermöglicht etwa Flickr das eigenständige Taggen/Verschlagworten (und Kommentieren) von Bildern oder Wikisource das kollaborative Transkribieren von Quellen. Bei beiden Anbietern ist zu erahnen, welches immense Potential für die archivische Arbeit in ihren Funktionalitäten steckt. Archive könnten an den Möglichkeiten dieser Plattformen partizipieren und textliches oder visuelles Archivgut bereitstellen. Insbesondere aber stellen diese Funktionalitäten nachahmenswerte Vorbilder dar, die Archive gegebenenfalls in eigenständigen Lösungen für ihre spezifischen Belange adaptieren könnten. Unter den präsentierten Bausteinen wären solche kollaborativen Funktionalitäten sicherlich das komplizierteste Element, sind aber durchaus von manchen Archiven – mit beeindruckenden Ergebnissen – bereits eingesetzt worden (vgl. das „Citizen Archivist Dashboard“ des us-amerikanischen National Archives oder das Projekt „Vele Handen“ des niederländischen Nationaal Archiefs). Es dürfte nicht zu hochgegriffen sein, zu sagen, dass diese praktischen Formen der Interaktivität die archivische Arbeit hinsichtlich öffentlicher Wahrnehmung, effizientem Ressourceneinsatz und der Vernetzung von Wissen maßgeblich verändern bzw. verbessern können. Dieser Veränderungsprozess ist vorrangig ein mentaler: „It’s not about technology, it‘s about attitude“. Die Nutzung und Verknüpfung der genannten Bausteine eines Archivs 2.0 wird den bisherigen Umgang von Archiven und Nutzern verändern. Archive werden nach wie vor Bereitstellung und Überlieferungsbildung als originäre Kernaufgaben erfüllen, doch die Art und Weise dieser Aufgabenerfüllung wird sich wandeln. Auch wenn eine Komplettdigitalisierung wohl auf absehbare Zeit ein unerreichbarer Traum bleiben wird, so wird der virtuelle Raum doch sehr wohl ein wichtiger Bereich archivischer Arbeit sein. Dort können Archive interessierte Nutzergemeinschaften um sich herum aufbauen, die direkt mit Informationen und Inhalten versorgt werden können und sich über archivische Belange austauschen können. Aus diesen Nutzergemeinschaften können Ressourcen und Wissen generiert werden, um Archivalien und Bestände zu bearbeiten, zu erschließen, zu diskutieren und zu verknüpfen. Abschließend bleibt die Frage: Wo aber anfangen? Den Grundstein für ein Archiv 2.0 muss jedes Archiv selbst bestimmen, falsch machen kann man wenig („Act now. Think later. Nobody will die“). Bei der Verknüpfung der Bausteine zeigt sich jedoch, dass ein Baustein tatsächlich alle drei Bereiche (Inhalt, Interaktivität, Kommunikation) abdecken kann: Facebook. Diese Tatsache dürfte (neben der Einrichtung und Unterhaltung ohne größeren Ressourcenaufwand) der Grund sein, dass Facebook gegenwärtig ein steigendes Interesse der deutschen Archive entgegengebracht wird. Gepostete Inhalte erreichen Interessenten unmittelbar, Feedback dieser Interessenten ist ebenso unmittelbar erkennbar (liken, sharen) und Kommunikation über die geposteten Inhalte ist problemlos möglich. Die Präsenz in dem sozialen Netzwerk ist somit ein guter Ausgangspunkt, um den Bau eines Archivs 2.0 zu beginnen. Damit ist jedoch nur das Fundament gelegt. Andere Bausteine sind nötig, um ein Archiv 2.0 noch mit Wänden, Dach und Inneneinrichtung zu versehen. (Bastian Gillner)

Quelle: http://archive20.hypotheses.org/537

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