Von Gummibären und essbarem Papier. Fluch und Segen im Archiv

Wir schreiben das Jahr 1965. Die Generation um Polke, Palermo und Richter stellen ihre Kunst in den Räumen der jungen Galeristen wie René Block und Konrad Fischer aus. Doch neben der Ausstellung der Werke selbst, spielt die Inszenierung derselben von der Einladungskarte, der oft an ein Happening erinnernden Eröffnung und der inszenierten Künstlerinterviews eine ebenso wichtige Rolle. Es gilt Aufmerksamkeit zu erwecken, die Galeriebesucher zu überraschen und sie in die Ausstellung zu integrieren. Was liegt da näher, als den Betrachter zu verköstigen. Und am besten gibt man den potentiellen Galeriebesuchern einen Vorgeschmack und druckt die Einladungskarten auf essbares Papier oder klebt ein Gummibär darauf. Und da behauptet man: Kunst macht nicht satt!

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Einladungskarte mit schwarzem Gummibär anlässlich der „Festwochenausstellung 65. Hommage à Berlin.

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Quelle: http://gra.hypotheses.org/2270

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Marian Goodmans Gespür für Kunst

Die Galeristin Marian Goodman wird dieses Jahr mit dem Leo Award ausgezeichnet. Der Leo Award, benannt nach dem einflussreichen amerikanischen Kunstsammler und Kunsthändler Leo Castelli (1907-1999), wird einmal im Jahr an Personen vergeben, die mit ihrer Arbeit für die zeitgenössischer Kunst sowie die Etablierung von Künstler in der internationalen Kunstwelt Herausragendes geleistet haben.

Der Leo Award wird am 26. Oktober 2016 anlässlich der jährlich stattfindenden Independent Curators International (ICI) Benefizauktion in New York verliehen. Marian Goodman ist die erste Galeristin, die diesen Preis erhält. Renoud Proc, der geschäftsführende Direktor des ICI, begründete die Preisvergabe wie folgt: „We’re proud to honor Marian Goodman for her steadfast support of so many of the artists who move us, impact society, and help us make sense of the world in which we live.“ In der Pressemitteilung lobt das ICI darüber hinaus Marian Goodmans “deep commitment to fostering the careers of some of the most significant and respected artists of our times, with a distinctive vision – international in scope, thoughtful, and always intimately supportive of the creative process […]. “

In den vergangenen 40 Jahren ist es der New Yorker Galeristin gelungen, weltweit anerkannte Künstler für ihre Galerie zu gewinnen.

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Quelle: http://gra.hypotheses.org/2232

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Vom Jagen und Sammeln. Die Sammlung Edlis/Neeson im Art Institute of Chicago

„Was passiert mit meiner Sammlung, wenn ich nicht mehr bin?“ fragte sich Stefan Edlis. Werden Anwälte entscheiden, was mit der über viele Jahre gesammelten Kunst passieren soll? Wird die Sammlung aufgeteilt und damit ihr besonderer Charakter zerstört? Nein, dachte sich der ambitionierte Sammler gemeinsam mit seiner Frau Gael Neeson und schenkte einen Teil der Kunstsammlung nun der Stadt, in der er seit 1951 lebt: Chicago.

Stefan Edlis und Gael Neeson haben eine der wohl wertvollsten Privatsammlungen zeitgenössischer Kunst zusammengetragen. Frühzeitig begannen sie dem Museum of Contemporary Art Chicago, dem Whitney Museum of American Art oder auch dem Solomon R. Guggenheim Museum in New York einzelne Kunstwerke zu schenken. Edlis störte es aber, dass diese Werke nach kurzer Zeit in den Depots der Museen verschwanden.

Mit dem Art Institute of Chicago haben Edlis und Neeson jetzt eine Vereinbarung getroffen, die dem Sammlerehepaar sowie dem Museum zugutekommt. Edlis umschrieb es als win-win-Situation für ihn, das Museum und die Stadt Chicago. Denn während das Art Institute of Chicago den beiden Kunstsammlern vertraglich zusichert, ihre Werke für fünfzig Jahre dauerhaft zu präsentieren, schenkt das Ehepaar im Gegenzug 42 Bilder und Skulpturen. Es ist die qualitativ wie quantitativ wertvollste Schenkung seit dem 136jährigen Bestehen des Hauses, denn die Kunstwerke schließen die Lücken der Sammlung, so James Rondeau, Kurator für Zeitgenössische Kunst am Art Institute of Chicago gegenüber der amerikanischen Presse.

Die meisten Werke stammen aus dem Bereich der Pop Art, darunter Bilder von Roy Lichtenstein und Andy Warhol. Mit den Arbeiten von Jasper Johns, Robert Rauschenberg, Cy Twombly, Brice Marden, Eric Fischl, Jeff Koons, Damien Hirst, Charles Ray, Takashi Murakami, Katharina Fritsch, Cindy Sherman, Richard Prince und John Currin erweitert das Museum seine Sammlung bis in die unmittelbare Gegenwart hinein.

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Gerhard Richter, Jagdgesellschaft (121), 1966 (c) Gerhard Richter

Ab Januar 2016 werden im Art Institute of Chicago aber auch vier Bilder des deutschen Malers Gerhard Richters zu sehen sein, darunter die „Jagdgesellschaft“ aus dem Jahr 1966.[1] Das Ölgemälde malte Richter nach einer Fotografie, die am 3. April 1966 im Magazin der stern abgedruckt worden war. Hier wird Belgien als Reiseziel wie folgt beworben: „Belgien hat vier Geräusche: Glockenspiel, Wind, Brandung und im Herbst – den Schall der Jagdhörner …“[2]. Entsprechend der Geräusche wurden die Bilder ausgewählt, darunter eine große Gesellschaft von Jägern mit ihren Hunden. Richter schnitt das schwarz-weiße Foto der Jagdgesellschaft aus, verkleinerte den Bildausschnitt und übertrug das Motiv mit dem Episkop auf eine 160 x 180 cm große, weiß grundierte Leinwand.[3]

Die „Jagdgesellschaft“ hat die Werknummer 121 und ist eines von acht Gruppenbildern, die Richter zwischen 1964 und 1966 nach Pressefotos anfertigte.[4] Allen gemein sind das große Format, welches an niederländische Gruppenportraits des 16. Jahrhunderts erinnert, sowie die Monochromie welche dem Schwarz-Weiß der Pressefotografie folgt.[5] Richter benennt diese Bilder neutral nach dem abgebildeten Sujets: „Matrosen“, „Krankenschwestern“ oder „Tänzerinnen“. Obwohl die Dargestellten in einigen der Werke namentlich benannt werden könnten, ist dies für den Künstler zweitrangig. Er möchte kein Portrait schaffen, sondern eine Gemeinschaft zeigen, die durch ihr Handeln, ihre Kleidung oder ihre Hautfarbe eine soziale sowie optische Einheit bildet: „Wissen Sie, was prima war?” so der junge Gerhard Richter Zu merken, dass solch eine blödsinnige, absurde Sache wie das simple Abmalen einer Postkarte ein Bild ergeben kann. Und dann die Freiheit, malen zu können, was Spaß macht. Hirsche, Flugzeuge, Könige, Sekretärinnen. Nichts mehr erfinden zu müssen, alles vergessen, was man unter Malerei versteht, Farbe, Komposition, Räumlichkeit, und was man so alles wusste und dachte. Das war plötzlich nicht mehr Voraussetzung für Kunst.“[6]

Als Gerhard Richter 1972 den Deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig gestaltete, präsentierte er die „Jagdgesellschaft“ gemeinsam mit dem Bild „Hirsch II (129)“[7]. In beiden Bilder greift der Maler auf “typisch deutsche” Themen zurück: „Natürlich hat der Hirsch – speziell für uns Deutsche mit unserer ausgeprägten Beziehung zum Wald – auch Symbolcharakter. Ich selbst wollte Förster werden in meiner Jugend, und ich war damals ganz begeistert, als ich einen richtigen Hirsch entdeckte und photographieren konnte, im Wald. Später malte ich ihn, und das Bild war dann etwas weniger romantisch als mein Jugendphoto.“[8] Seit der Romantik gehören der Hirsch und der Wald zum zentralen Thema der deutschen Dichtung, Musik und Bildenden Kunst. Im Märchen stilisiert als Schwellenraum zwischen Diesseits und Jenseits, als Ort von Geistern und Göttern avanciert der Wald in der Landschaftsmalerei der Romantik zu einem mystisch-sakralen Naturraum, in dem die Tiere des Waldes miteinander leben. Im ausgehenden 19. Jahrhundert zum Klischee geworden, gehören das Waldstück und der röhrende Hirsch über das Sofa einer gutbürgerlichen Stube.[9] Im Atlas von Gerhard Richter findet sich die enge Bindung der beiden Motive ebenfalls wieder. Auf der 11. Atlastafel montierte Richter die Vorlage für die “Jagdgesellschaft” neben die Bildvorlage für „Hirsch II”“.[10]

Selten war Richters „Jagdgesellschaft“ öffentlich zu sehen. Genau fünfzig Jahre nach der Entstehung des Bildes, ab Januar 2016, wird es mit dem “Schall der Jagdhörner” im Art Institute of Chicago einziehen und dauerhaft zu sehen sein.

 

 

[1] Vgl. Dietmar Elger: Gerhard Richter. Catalogue raisonné 1962-1968, Vol. 1, hg. vom Gerhard Richter Archiv, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Ostfildern 2011, S. 252.

[2] In: stern, 3.4.1966, S. 110; vgl. auch Gerhard Richter Atlas, hg. von Helmut Friedel, Städtische Galerie im Lenbachhaus München, 2. Aufl., Köln 2011, Tafel 11 Zeitungsfotos 1963-1966.

[3] Zur Malweise vgl. In der Werkstatt: Gerhard Richter, 1969, Dokumentarfilm von Hannes Reinhardt, Orbis Film Hannes Reinhardt, 1969, auf: Gerhard Richter. Das Kölner Domfenster. Ein Film von Corinna Belz (DVD), zero one film 2008 (Schriften des Gerhard Richter Archiv Band 2).

[4] Vgl. Neger (Nuba) (45), 1964, 145 x 200 cm; Personengruppe (83), 1965, 170 x 200 cm; Schwimmerinnen (90), 1965, 200 x 160 cm; Krankenschwestern (93), 1965, 48 x 60 cm; Versammlung (119), 1966, 160 x 115 cm; Tänzerinnen (123), 1966, 160 x 200 cm; Matrosen (126), 1966, 150 x 200 cm.

[5] Eine Ausnahme macht das Bild „Schwimmerinnen (90), 1965, 200 x 160 cm. Die Vorlagen stammt aus einem amerikanischen Magazin und ist eine schwarz-weiß Aufnahme. Sie zeigt acht Schwimmerinnen, die für die USA an der Olympiade in Tokio 1964 teilnahmen. Richter färbt sein Bild rosa ein.

[6] Gerhard Richter, in: Notizen 1964-1965, in: Gerhard Richter. Text 1961 bis 2007. Schriften, Interviews, Briefe, hg. von Dietmar Elger und Hans Ulrich Obrist, Köln 2008, S. 31.

[7] Vgl. auch Hirsch (7), 1963, 150 x 200 cm; Hirsch II (129), 1966, 130 x 150 cm.

[8] Gerhard Richter über „ Hirsch (7)“, 1963, in: Interview mit Sabine Schütz, in: Gerhard Richter. Text (wie Anm. 6), S. 258-259.

[9] Vgl. Silke Krohn: Der Hirsch. Popularisierung und Individualisierung eines Motivs, Weimar 2008; Ute Jung-Kaiser (Hg.): Der Wald als romantischer Topos. Eine Einführung, in: Dies. (Hg.): Der Wald als romantischer Topos 5. Interdisziplinäres Symposion der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main 2007, Bern 2008, S. 13-35.

[10] Vgl. Anm. 2.

 

 

Quelle: http://gra.hypotheses.org/1822

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Ostern im “September”

GR_Osterei_neuEier der ganz besonderen Art präsentiert die Pasticceria Bombiani in Rom. Unter dem Titel “Le Consistenze del Colore” zeigt sie 22 ovale Kunstwerke. Für jedes einzelne von Ihnen stand ein repräsentatives Werk eines international anerkannten Künstlers Pate. Die Konditorei griff für die Eier auf vorwiegend abstrakte Werke der Künstler zurück. Nur bei Gerhard Richter wählte sie nicht die dafür prädestinierten Streifenarbeiten oder die Farbtafeln aus. Sie entschied sich für das Bild “September (891-5)” von 2005.

Aus dem Faltblatt zur Ausstellung geht die Motivwahl nicht eindeutig hervor. Hier wird auf die Kunst Gerhard Richters im Allgemeinen abgehoben und sein permanenter Medienwechsel, vom Foto zum Gemälde zum Foto zurück, erläutert. Doch bei näherer Betrachtung ist das Motiv mehr als nur ein Stellvertreter der jüngsten Werke Gerhard Richters. Es ist ein Bild unserer Zeit und unserer Gesellschaft.

Richter malte das Bild nach einer Pressefotografie, die das New Yorker Word Trade Center am 11. September 2001 zeigt. In diesem Bild kommt die Tragik des Geschehens in all seinen Nuancen zum stehen: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft kulminieren in einem Standbild, dass die brennenden kurz vor dem Einsturz stehenden Hochhäuser zeigt. Das World Trade Center war nicht nur der höchste Gebäudekomplex New Yorks, sondern als Welthandelszentrum ein Symbol der amerikanischen Macht sowie der westeuropäischen Zivilisation schlechthin. Mit seiner Zerstörung wurde einmal mehr klar, wie zerbrechlich die Gesellschaft im Grunde ist. Damit wählte die Pasticceria – zufällig oder auch absichtlich – ein politisches Motiv, dass die krisenhafte Gegenwart in Frage stellt.

Während Richters Werk in seinem Kabinettformat, das Ereignis dokumentiert, scheint das auf das noch kleinere Osterei übertragene Motiv wie eine Ermahnung: Unsere Zeit ist fragiler als eine Eierschale. Und mit den Blick auf die christliche Ostergeschichte, fragt sich, ob die Motivübernahme eine Warnung an uns ist. Mit dem Tode und der Auferstehung Christi hat Gott, so die Bibel, Erbarmen mit dem Menschen gehabt und ihm die Möglichkeit gegeben, aus der Hölle zu entfliehen. Im Johannesevangelium geht mit der Auferstehung auch der Friede einher: “Friede sei mit euch!” verkündet Christus seinen Jüngern.

Doch der Mensch, wie es sich in der Geschichte abermals zeigt, schafft sich die Hölle auf Erden immer wieder selbst. Und so sollten wir der Frage, “Was war zuerst das Huhn oder das Ei”, an dieser Stelle nachgehen? Diese der Vernunft des Menschen entspringende Frage führt in ihrer paradoxen Struktur per se das Dilemma der Menschheit vor Augen. Denn unsere Gesellschaft erscheint wie ein perpetuum mobile zwischen friedlichen Miteinander und menschenunwürdiger Gewalt.

Die ovalen Meisterwerke mit Motiven der folgenden Künstler können noch bis zum 6. April bewundert werden:

  1. Afro Basaldella
  2. Federico Cari
  3. Piero Dorazio
  4. Gilbert & Georges
  5. Keith Haring
  6. Hans Hartung
  7. Collettivo Illimine
  8. Anselm Kiefer
  9. Franz Kline
  10. Emily Kame Kngwarreye
  11. Robert Mapplethorpe
  12. Georges Mathieu
  13. Joanna Irena Milewska
  14. Walter Musco
  15. Achille Perilli
  16. Robert Rauschemberg
  17. Mark Rothko
  18. Antoni Tapies
  19. Turkey Tolson Tjupurrula
  20. Cy Twombly
  21. Emilio Vedova

Mein Ausstellungstipp: Gerhard Richter legte 2009 der Edition (139) sein Bild “September (891-5)” zu Grunde. Der 66 auf 90 cm große Digitaldruck zwischen zwei Glasplatten ist noch bis zum 27. September im Dresdner Albertinum ausgestellt.

Mein Literaturtipp: Robert Storr: September. Ein Historienbild von Gerhard Richter, Köln 2010 [ISBN978-3-86560-792-8]

 

Quelle: http://gra.hypotheses.org/1623

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Putzen gegen das Vergessen – Dresdner Stolpersteine

 

Auch dieses Jahr wollen wir an die Opfer des Nationalsozialismus erinnern. Am 9. November 2014 findet anlässlich des Gedenkens an die Novemberpogrome 1938 ab 18 Uhr eine Mahnwache an den Dresdner Stolpersteinen statt. Die Mahnwache wird von dem Verein Stolpersteine für Dresden e.V. organisiert. Damit wendet sich der Verein gegen jeglichen Form von Rassismus und Antisemitismus.

Tante Marianne_Stolperstein
 

Im November 2012 wurde auf Initiative von Peter Hess ein Stolperstein für Marianne Schönfelder in Dresden verlegt. In der heutigen Köpkestraße 1 unmittelbar neben dem Jägerhof, hat Marianne Schönfelder mit ihren Eltern gelebt. Sie ist eines von fast 8.000 Euthanasie-Opfern in der Psychiatrischen Anstalt Großschweidnitz in Sachsen. Mit dem Verdacht auf Schizophrenie wurde sie 1938 in die Heilanstalt Arnsdorf eingeliefert. Im Dezember 1938 erfolgte bereits ihre Zwangssterilisierung. Fünf Jahre darauf wurde die 26jährige nach Großschweidnitz verlegt, wo sie am 16. Februar 1945 an einer Medikamentenüberdosierung, systematischer Mangelernährung und unzureichender Pflege starb.

 

Heute ist Marianne Schönfelder durch ein frühes fotorealistisches Gemälde Gerhard Richters weltweit als “Tante Marianne” bekannt. Das Bild war bis Ende 2012 im Albertinum Dresden zu sehen. Richter malte das Familienbild zwanzig Jahre nach der Ermordung seiner Tante. Das Bild entstand nach einer Fotografie aus dem Familienalbum des Künstlers. Auch wenn das Portrait keinerlei Rückschlüsse auf die tragische Biographie der jungen Frau zulässt, macht der Blick auf das Gesamtwerk Richters deutlich, wie der Künstler das Schicksal seiner Tante kritisch kontextualisiert. Denn nur wenige Monate später malte er das Portrait “Herr Heyde” (CR 100). Heyde war maßgeblich am Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten beteiligt. Er  lebte und arbeitete nach dem Krieg unbehelligt in Flensburg als Neurologe. 1965 wurde er in für seine Taten angeklagt. Fünf Tage vor dem Prozess beging er Selbstmord.

 

Die Stolpersteine sind die vielleicht größte Kunstinstallation der Welt. Der Künstler Gunther Demnig hat in den letzten zwei Jahrzehnten in zwölf Ländern Europas mehr als 38.000 Stolpersteine zum Gedenken der Opfer des Nationalsozialismus verlegt. Damit gibt er den Opfern des Nationalsozialismus nicht nur ihre Namen, sondern auch ihre Geschichte zurück.

Quelle: http://gra.hypotheses.org/1408

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Das Kunstmarktkarussell. Werke aus der Essl-Sammlung in London versteigert

kopiert aus InternetartikelKunst ist nicht nur schön, sondern auch eine Wertanlage. Aus dieser musste die Sammlung Essl nun auch Kapital schlagen und versteigerte am Montagabend im Londoner Auktionshaus Christie’s 43 Werke der Kunstsammlung von bauMax-Gründer Karlheinz Essl.

Wie in den kommenden Herbstauktionen, wurden die beiden eingelieferten Werke Gerhard Richters besonders hervorgehoben. Ganz offensichtlich erhöht schon der Nennung des Künstlernamens im Auktionskatalog die Aufmerksamkeit der Sammler und Geldanleger. Doch umso euphorischer ein Werk Gerhard Richters im Vorfeld angepriesen wird, umso enttäuschter ist die Presse, wenn dieses Bild doch erst im After-Sale verkauft wird. Dabei wird gern die Mathematik außen vor gelassen.

Denn stellen sie sich vor, sie kaufen aus Interesse ein Werk eines bekannten Künstlers für 225.000 Euro. Einige Jahre später gerät ihre Firma und damit auch sie in eine finanzielle Krise. Zur Rettung ihres Unternehmens sowie ihrer über Jahre liebevoll aufgebauten Kunstsammlung lassen sie dieses Kunstwerk versteigern. Sie erhalten 6.9 Millionen Euro. Um wie viel hat sich der Wert ihres Bildes gesteigert?

Trotz der Wertsteigerung um 3000 Prozent kam es am Montag einigen Journalisten in den Sinn, von einem „lahmenden Zugpferd“ zu sprechen. Denn der Verkäufer sowie das Londoner Auktionshaus erhofften sich von Richters Abstrakten Bild „Netz“ ein Bietergefecht. Dieses blieb aber aus. Erst nach der Auktion wurde das großformatige Bild aus dem Jahr 1985 für besagten Preis verkauft.

Die Enttäuschung wird verständlich, wenn man die Presseberichte von den Vortagen liest. Für 44 erlesenen Werken aus der Sammlung Essl erwartete das Auktionshaus einen Erlös von bis zu 76 Millionen Euro. Dabei war sich Christie’s so sicher, dass es dem Einlieferer einen Erlös von 50 Millionen Euro vertraglich zusicherte. Tatsächlich brachte die Versteigerung einen Gesamterlös von 66 Millionen Euro. Die Differenz zwischen Schätzung und Erlös geht zum einen auf das zu teuer eingeschätzte Richter-Werk und zum anderen auf den Rückzug eines Werkes sowie den drei unverkauften Werken von Martin Kippenberger, Paul McCarthy und Eduardo Chillida zurück. Der Kunstmarkt ist – so wird deutlich – nicht immer berechenbar. Doch betrachtet man den Verkauf der Werke von Sigmar Polke, Cindy Sherman, Louise Bourgeois, Maria Lassnig und anderen international renommierten Künstlern, so war die Auktion ein Erfolg.

Gerhard Richters vierteiliges Werk „Wolken“ von 1972 fand großen Anklang. Mit einem Erlös von 7,9 Millionen Euro, war es das teuerste Los des Abends, wie vom Gutachter Otto Hans Ressler im Vorfeld bereits angenommen. Am meisten interessierten sich die Bieter für einen Weggefährten Richters. So konnte Sigmar Polkes Porträt „Indianer mit Adler“ aus dem Jahr 1975 für 5,1 Millionen verkauft werden. Maria Lassnigs „Zwei Maler, drei Leinwände“ wurde für 150.000 Pfund veräußert. Für die österreichische Künstlerin ist das ein neuer Rekord. Auf ungeahntes Interesse stieß Anthony Gormleys Werk „ „Aggregate“. Das Erstgebot lag bei 100.000 Pfund. Der Hammer fiel bei 1.3 Millionen Pfund

Anfang September 2013 hat die Familie Essl 60 Prozent ihrer Sammlung an den Industriellen Hans Peter Haselsteiner verkauft. Damit tilgte sie mehr als 100 Millionen Euro Schulden. Mit dem Verkauf von 40 weiteren Werken wird zum einen der Schuldenberg des Baumarktriesen weiter geschmälert und zum anderen eine der wohl bedeutendsten Privatsammlungen zeitgenössischer Kunst mit rund 7000 Werken für die nächsten Jahre gesichert.

Auch wenn sich Karlheinz Essl nach der Auktion erleichtert äußerte, wird er die Versteigerung von einigen Werken seiner Sammlung wohl mit einem weinenden und einem lachenden Auge verfolgt haben. Mit seinem Sohn saß er im Publikum.

PS: Wie sich die anderen Werke Gerhard Richters in diesem Herbst verkaufen lassen, kann man schon morgen verfolgen. So werden sechs weitere Werke des Kölner Künstlers bei Christie’s veräußert. Darunter befinden abstrakte sowie gegenständliche Arbeiten.

Quelle: http://gra.hypotheses.org/1395

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Das Albertinum präsentiert neue Werke von Gerhard Richter

Im November diesen Jahres eröffnet in der Schirn Kunsthalle die Ausstellung “German Pop”. Bis zum 8. Februar 2015 werden mit dem  “Motorboot” sowie dem „Portrait Dr. Knobloch“ auch zwei Werke aus dem Dresdner Albertinum in Frankfurt zu sehen sein. Aus diesem Grund haben wir einen der beiden Richter-Räume im Albertinum neu konzipiert.

Anstelle der beiden fotorealistischen Arbeiten präsentierten wir erstmals Gerhard Richters „Gebirge (Pyrenäen Z.)“ (186-1) aus dem Jahr 1968. Das Bild ist eines von acht Werken, bei denen der Künstler ganz auf die Farbe verzichtet und das Motiv nur mit Bleistift auf die grundierte Leinwand gezeichnet hat. Es zeigt ein schemenhaftes Bergpanorama, bei dem Richter vergleichbar mit seinen Stadt-, Gebirgs- und Seestücke in Öl das Gezeigte auf wenige prägnante Linien und Schraffuren reduziert. Das Bild wurde im letzten Jahr restauriert und erstrahlt nun im neuen Glanz.

 

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Neben der seltenen Gebirgslandschaft wird nun auch der  „Strip“ (927-9), eine zweiteilige Arbeit aus der jüngsten Werkgruppe des Kölner Malers, ausgestellt. 2013 wurde die Arbeit in der Ausstellung „Gerhard Richter. Streifen & Glas“ im Albertinum zum ersten Mal öffentlich gezeigt. Die Ausstellung war im Anschluss im Kunstmuseum Winterthur zu sehen und wird leicht variiert in der nächsten Woche in der Marian Goodman Gallery in London eröffnet. Bereits im Herbst 2013 haben die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden den “Strip” (927-9) für die Galerie Neue Meister erwerben können. Damit ist es gelungen, den repräsentativen Bestand an Richter-Werken in Dresden maßgeblich zu erweitern.

Richters Streifenbilder entstehen mit Hilfe des Computers im Siebenfarbdruckverfahren. Nur damit ist die filigrane und variierende Breite der Streifen sowie die flimmernde schnell raumgreifende Wirkung realisierbar. Alle Streifenbilder des Künstlers gehen auf eines seiner Abstrakten Bilder von 1994 zurück. In einem aufwendigen computergestützten Verfahren, wird das ursprüngliche Bild bis zu 4096 Mal geteilt, gespiegelt und verdoppelt. In diesem Prozess werden aus großen bunten Flächen erst kleine, ornamentale Farbsegmente dann monochrome Pixel, die der Künstler dann bewusst auswählt, neu anordnet und mit Hilfe des Computers in die Länge zieht. Die scheinbare künstlerische Reduktion des Motivs auf das Nebeneinander klarer und verbindungsloser Farbstreifen ist bei näherer Betrachtung ein bildtheoretisches Statement. Führt Richter doch  das menschliche Auge an seine Grenzen. So vermischen sich bei der distanzierten Betrachtung die Streifen zu einem irritierenden Farbenspiel, das sich mit der kleinsten Bewegung des Betrachters verändert, verschwimmt und sich dem festen Blick zu entziehen sucht. Bisweilen werden aus den unterschiedlich hellen und dunklen, sowie breiten und äußert schmalen Farbstreifen dreidimensionaler Gebilde, die in der horizontalen Ausgerichtetheit der Bilder an Landschaften erinnern. Von Nahem betrachtet überwältigen die Streifenbilder aufgrund der ungebrochenen Intensität der Farben und der Strenge ihrer Linien. Dabei driften die Streifen durch der Breite des Bildes aus dem Blickfeld des zunehmend verunsicherten Betrachters heraus und flüchten sich in eine unfassbare Unendlichkeit.

Die visuelle Offenheit der Streifenarbeit wird auf der gegenüberliegenden Wand des Raumes von zwei Bildern aufgefangen. Im Kontrast zu dem 300 auf 250 cm großen abstrakten Bild “Fels” (694) hängt das 55 auf 50 cm kleine Bild „Schädel“ (548-1) . Das farblich sehr zurückgenommene Gemälde erinnert mit seinem Motiv an die Memento Mori-Stillleben des Barock. Vielmehr aber noch führt das Kontrastpaar die Spannweite des malerischen Œuvre Gerhard Richters eindrucksvoll vor Augen.

2014 Dresden,  Albertinum_nach Umgestaltung vom 06.10.2014 (7)

Quelle: http://gra.hypotheses.org/1342

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Mahnwache an den Dresdner Stolpersteinen

stolpersteindd100_v-standard43_zc-698fff06Am 9. November 2013 findet zwischen 18:00 und 18:30 Uhr in Dresden eine Mahnwache an den Dresdner Stolpersteinen statt. Hier werden Kerzen angezündet und Blumen niedergelegt. Die Mahnwache wird von Marita Schieferdecker-Adolph, der Vorsitzenden des Vereins Stolpersteine für Dresden e.V. betreut. Damit wendet sich der Verein gegen jede Form von Rassismus und Antisemitismus.

Im November letzten Jahres wurde auch der Stolperstein für Marianne Schönfelder in Dresden verlegt. Marianne Schönfelder ist eines von fast 8.000 Euthanasie-Opfern in der Psychiatrischen Anstalt Großschweidnitz in Sachsen. Sie wurde 1938 in die Heilanstalt Arnsdorf mit Verdacht auf Schizophrenie eingeliefert. Im Juni des gleichen Jahres ordnete das Erbgesundheitsgericht die Zwangssterilisation an, die im Dezember 1938 durchgeführt wird. Fünf Jahre später wird Marianne Schönfelder nach Großschweidnitz verlegt, wo sie am 16. Februar 1945 an Medikamentenüberdosierung, systematischer Mangelernährung und unzureichender Pflege stirbt.

Heute ist Marianne Schönfelder durch ein frühes fotorealistisches Gemälde Gerhard Richters weltweit als “Tante Marianne” bekannt und unvergessen. Zwanzig Jahre nach ihrer Ermordung malte Richter ein Familienbild, dass ihn selbst als Kleinkind mit seiner jungen Tante Marianne zeigt. Das Bild entstand nach einer Fotografie aus dem Familienalbum des Künstlers. Auch wenn das Familienportrait keinerlei Rückschlüsse auf die tragische Biographie der Tante zulässt, macht der Blick auf das Gesamtwerk Richters deutlich, wie der Künstler das Schicksal seiner Tante kritisch kontextualisiert. Denn nur wenige Monate später malte er das Portrait “Herr Heyde” (CR 100). Heyde war maßgeblich am Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten beteiligt und lebte und arbeitete nach dem Krieg unbehelligt in Flensburg als Neurologe. 1965 wird er in der BRD für seine Taten angeklagt. Fünf Tage vor dem Prozess begeht er Selbstmord.

Der Künstler Gunther Demnig hat auf Initiative von Peter Hess vor dem letzten Wohnort Marianne Schönfelders in Dresden den Stolperstein verlegt. Er hat in den letzten 20 Jahren in zwölf Ländern Europas mehr als 38.000 Stolpersteine zum Gedenken der Opfer des Nationalsozialismus verlegt. Damit gibt er den Opfern des Nationalsozialismus ihre Namen und ihre Geschichte zurück.

 

9. November 2013
Gedenken an den Stolpersteinen
18:00 – 18:30 Uhr
Weitere Informationen finden Sie hier.

Quelle: http://gra.hypotheses.org/1120

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Gerhard Richters Tafelwerk – Der Atlas im Lenbachhaus

Richter_Micromega_Presse24_220_02Vollendet! Nein! Gerhard Richters Schubladen sind noch voller Ideen und Projekte.  Und so wird in München “nur” der vorläufig endgültige ATLAS von Richter ausgestellt.

Für Helmut Friedel ist es die letzte Ausstellung als Leiter des Münchner Lenbachhauses. Dabei ist ihm noch einmal Großes gelungen. Es ist die 100. Richter-Ausstellung im Lenbachhaus und damit auch ein persönlicher Dank des Kurators und zugleich eine Hommage an Gerhard Richter und seinen Bilderkosmos, der in seiner Einzigartigkeit und Vielfalt seines Gleichen sucht.

Der ATLAS besteht aus tausenden von Fotos, Skizzen und Zeitungsausschnitten die Richter seit 1962 sammelt und seit 1965 auf Kartons aufklebt. Während die ersten Tafeln ein Sammelsorium verschiedener Zeitungsbilder sind, die von einander unabhängig nebeneinander zum Stehen kommen, beginnt Richter später seine Tafeln nach Motiven und Projektskizzen zu sortieren.

Manche dieser Motive arbeitet Richter zeitnah und manche später zu Gemälden aus. Andere Motive nimmt der Künstler immer wieder auf, experimentiert mit ihnen und verwirft sie am Ende doch. Dazu gehören zum Beispiel die Holocaust-Bilder. Bilder von Konzentrationslagern, die die Opfer des Nationalsozialismus zeigen. Ihr Überleben bei vollkommenen Verlust ihrer menschlichen Würde, hat den Künstler zusehends bewegt. Erste Überlegungen, den Bilder habhaft zu werden und in Kunstwerke zu überführen, gehen auf die 60er Jahre zurück. Damals verwirft der Künstler die Bilder und die daran gebundene Ausstellungsidee. Als Richter ein Kunstwerk für den Deutschen Reichstag in Berlin entwerfen soll, denkt er zuerst die Installation jener Bilder des Holocaust. Er projiziert sie auf die Fläche, tausende Bilder von unbeschreibaren Schicksalen, die die Geschichte Deutschlands und damit verbundene Verantwortung für die Zukunft anzeigen. Erst nach langem Hin- und Her entscheidet sich Richter gegen die Fotoinstallation, zu kleinteilig und unübersichtlich wirkt das Werk. Die Fotos machen der Farbfeldmalerei Platz, die wenig später dem endgültigen Entwurf der deutschen Flagge weicht.

Anhand dieser Werkgruppe wird die Bedeutung des “Atlas” deutlich. Er ist das Bildgedächtnis des Künstlers. Dabei handelt es sich um Motive und Ideen, die den Künstler oft aus einem unbenennbaren Grund faszinieren. Darunter befinden sich Motive und Ereignisse, die nicht in Worte gefasst werden können und denen Richter versucht mit dem Pinsel gerecht zu werden: formal, inhaltlich, moralisch sowie ästhetisch.

Bis zum 9. Februar ist der Bilderkosmos Richters in München zu sehen. Einen Einblick in die Ausstellung geben diverse TV-Beiträge:

 

Gerhard Richter. Atlas – Mikromega
Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau
23. Oktober 2013 bis 9. Februar 2014

 

Quelle: http://gra.hypotheses.org/1091

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