Essaypreis WerkstattGeschichte „Was ist kritische Geschichtsschreibung heute?“

Die Zeitschrift WerkstattGeschichte schreibt einen Essaypreis zur Frage “Was ist kritische Geschichtsschreibung heute?” aus. Der von einer Jury prämierte Text wird in der WerkstattGeschichte veröffentlicht und der Preisträger erhält 500 Euro.

Die Ausschreibung führt die Frage noch ein wenig aus:

Was meint kritische Geschichtsschreibung heute im Vergleich zu vorangegangenen Jahrhunderten? Zeichnet sich ernst zu nehmende Geschichtsschreibung nicht ohnehin dadurch aus, dass sie „kritisch“ ist? Welche kognitiven, ästhetischen, politischen Kategorien, Leitbilder und Selbstansprüche motivieren heutige Autorinnen und Autoren, Geschichte zu schreiben? Wie wörtlich ist die Herausforderung des „Schreibens“ noch zu nehmen, wenn Geschichte über Bilder und multimedial repräsentiert und interpretiert wird? Wie haben alte und neue Medien die Auffassung von kritischer Geschichtsschreibung verändert?

Hinter unserer Preisfrage verbirgt sich nicht zuletzt selbstkritische Neugier – und vor allem der Wunsch, eine durch pointierte Beiträge ausgelöste Debatte zu initiieren, in der das Verborgene dies- und jenseits der Akademie zur Sprache kommt.

Nähere Infos zum Preis findet man auf Hsozkult und auf der Homepage des Klartext-Verlages – zur Zeitschrift WerkstattGeschichte (mit freiem download aller Texte, die älter als zwei Jahre sind) geht es hier.


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Quelle: https://kritischegeschichte.wordpress.com/2012/01/31/essaypreis-werkstattgeschichte-%E2%80%9Ewas-ist-kritische-geschichtsschreibung-heute/

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Karl Bosl in Cham abmontiert

Wie die Süddeutsche Zeitung (sueddeutsche.de, 29.11.2011, 12:20) gestern berichtete und der Nachrichtendienst für Historiker verlinkte, hat der Stadtrat von Cham vergangene Woche beschlossen Karl Bosl (1908-1993) die Ehrungen durch seine Geburtsstadt abzuerkennen. Ummittelbar danach wurde das Straßenschild des nun ehemaligen Prof.-Karl-Bosl-Platzes abmontiert. Gleiches soll mit einer 50.000 Euro teueren Bronzebüste Bosls geschehen, die die Stadt 2003 aufgestellt hatte.  Zuvor hatte der Stadtrat den Stadtarchivar Timo Bullemer beauftragt, Vorwürfe zu prüfen, Bosl habe seine Rolle als Widerstandskämpfer während der NS-Zeit erfunden.

Bosl – Erneuerer der Bayerischen Landesgeschichte im Sinne einer Struktur- und Sozialgeschichte in den 1950er und 60er Jahren -  war seit 1930 Mitglied des Stahlhelm gewesen, im Mai 1933 in die NSDAP, in den NS-Lehrerbund und danach auch in die SA eingetreten. Der Historiker Matthias Berg verweist in der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft darauf, dass Bosl zunächst keine aktive Rolle in den NS-Organisationen eingenommen habe, die Mitgliedschaft  sogar nach Wohnungswechseln einschlafen ließ. Nach seiner Promotion 1938 allerdings erwies sich Bosl als linientreuer Nachwuchsforscher und übernahm ein Forschungsprojekt des SS-Ahnenerbes zur Lehensgeschichte. Dass dem jungen Bosl keine Dozentur zuerkannt wurde, lag viel eher daran, dass das Kriegsende nahte, als an einer vermeintlich Widerstandstätigkeit, wie Bosl nach 1945 vorgab. Um eine Einstufung als ‘Mitläufer’ zu verhindern, gab Bosl unter Eidesstatt an, er sei Mitglied des Ansbacher Widerstands gewesen. Zeugen oder Quellenbelege gibt es dafür keine. Im Gegenteil deuten die von Berg  untersuchten Akten auf eine ‘mustergültige’ Wissenschaftlerkarriere und Vernetzung im NS-Wissenschaftsapparat hin, die vor allem über die Beziehung zu seinem Lehrer Karl-Alexander v. Müller ging.

Vgl. Matthias Berg, Lehrjahre eines Historikers. Karl Bosl im Nationalsozialismus, in: ZfG 59 (2011) 1, S. 45-63.


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Quelle: http://kritischegeschichte.wordpress.com/2011/11/30/karl-bosl-in-cham-abmontiert/

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Kritik einer Kapitalismuskritik

Kreolischer Schwertkampf. Südamerikanische Gauchos bei der Arbeit nach 1900, Quelle: Wikimedia Commons

Am vergangenen Mittwoch (2.11.11) trug Jürgen Kocka in Göttingen (SOFI) seine sozialhistorische Perspektive auf die Finanz- und Wirtschaftskrise des Jahres 2008 fortfolgende vor. Ich habe diesen Vortrag besucht in der Hoffnung, von einem Veteran historischer Sozialforschung eine Analyse der derzeitigen Kapitalismuskrise zu hören, die dem Pragmatismus oder soll man sagen der Banalität der öffentlichen Analysen eine Tiefendimension verleiht. Diese Hoffnung hat sich nur zu einem Teil erfüllt. Allerdings haben mich Kockas Reflexionen in Kombination mit seinem Hinweis auf die neuen Perspektiven der Globalgeschichte auf einige Ideen gebracht, die man m.E. bei einer historischen Kapitalismusanalyse berücksichtigen müsste. Diese möchte im Folgenden kurz zur Diskussion stellen, im Bewußtsein als wirtschaftsgeschichtlicher Laie damit ein gewisses Risiko einzugehen: die meisten haben damit zu tun, nicht von Kapitalismus, sondern von Kapitalismen oder einer Pluralität marktwirtschaftlicher Systeme zu sprechen. Doch zuerst zu Jürgen Kocka:

Jürgen Kockas Vortrag

Kocka interpretierte unter Rückgriff auf die Herausbildung des westlichen Industriekapitalismus seit dem 19. Jahrhundert sowie die Krisen von 1873 („Gründerkrach“) und 1929 die Krise von 2008 einerseits als systemisch bedingtes mithin für den in Wirtschaftszyklen verlaufenden Kapitalismus typisches Phänomen, das durch eine Reihe von rezenten Entwicklungen verschärft werde: durch den Übergang zum postindustriellen Kapitalismus, den in immer kürzeren Rhythmen agierenden Aktienmärkten und durch die mit Finanzprodukten zweiter und dritter Ordnung handelnden Finanzmarktmanager, die für ihre Aktionen nicht zur Verantwortung zu ziehen seien. Der von Kocka als „Wirtschaftssystem“ definierte Kapitalismus brauche aufgrund seiner Krisenanfälligkeit die Kritik als Systembedingung – dies lasse sich an den vergangenen Großkrisen beobachten. Nach 1929 hätten sich in den USA mit dem New Deal ein Regulativ für Finanzmärkte, Instrumente staatlicher Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik sowie mit dem Keynesianismus eine neue wirtschaftpolitische Theorie etabliert. In den letzten Jahren vor der Krise allerdings habe sich die Kritik auffällig zurückgehalten. Soweit so bekannt und auch etwas enttäuschend.

Verweis auf ein globalgeschichtliches Paradigma

Allerdings betonte Kocka in der Einleitung, dass die Geschichtswissenschaft womöglich vor einem neuen Paradigmenwechsel stünde – im Blick hatte er dabei die Globalgeschichte. Sie könne eine neue Perspektive auf das Problemfeld des Sozialen eröffnen. Wer nun aber in Kockas Kapitalismuskritik die ersten Auswirkungen dieser neuen Perspektive suchte, tat dies vergeblich. Sie verlief feinsäuberlich in den Bahnen der Bielefelder (man möchte, um den Raum zu umreißen, dem Kocka verhaftet blieb, beinahe sagen bundesrepublikanischen) Sozialgeschichte: Ein langer europäischer Sonderweg, beginnend mit den oberitalienischen Bankiers des 13. Jahrhunderts, richtig einsetzend am Ende des 18. Jahrhunderts mit der Industrialisierung in England und endend im Modernisierungsexport von Europa bzw. den USA aus in die Welt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und dem Ende der Systemalternative Sozialismus 1990. Der Vortrag schloss einerseits in dem Appell zu bedenken, dass sich der Sozialismus eben nicht als Alternative erwiesen habe, und forderte andererseits einen eingebetteten Kapitalismus mit verantwortlichen Unternehmerpersönlichkeiten, kritischer Zivilgesellschaft und regulierender Politik. Das klang haarscharf nach dem Rheinischen Kapitalismus der Bonner Republik, nach „sozialer“ Marktwirtschaft, und so gar nicht nach einem globalgeschichtlichen Paradigmenwechsel.

Kapitalismenkritik “jenseits des Eurozentrismus”

Dieser Kontrast allerdings wirft eindringlich die Gegenfrage auf, wie eine kritische Geschichte des Kapitalismus in globalgeschichtlicher Perspektive zu denken wäre. Globalgeschichte wäre hier dann nicht nur als räumliche Ausweitung des nordatlantischen Wirtschafts-, Gesellschafts- und Politikmodells zu verstehen, sondern als Geschichtsschreibung „jenseits des Eurozentrismus“ (Conrad/Randeria), die offen ist für den Perspektivenwechsel, bis hin zu der Idee, Europa tatsächlich „als Provinz“ (D. Chakrabarty) zu betrachten. Hier ein paar Überlegungen mehr oder weniger von Jürgen Kocka inspiriert:

1. Zunächst wäre nicht vom Kapitalismus zu sprechen, sondern von Kapitalismen, von ganz unterschiedlichen Formen in unterschiedliche geografische, kulturelle und historische Kontexte eingebetteten Marktwirtschaften. Dementsprechend wären analytische Definitionen zu finden, die nicht sofort auf das europäische Modell hinauslaufen – also eine ganz spezifische Art der Organisation von Klassenbildung, Angebot und Nachfrage auf Märkten oder Produktionsweisen voraussetzen -, um überhaupt von „Kapitalismus“ sprechen zu können. Diese Definitionen könnten sich dementsprechend nicht einfach auf bekannte Gewährsmänner der europäischen Wissenschaftsgeschichte berufen – Marx, Weber, Vertreter der neoklassischen Wirtschaftstheorie o. ä. – ohne zu überprüfen, ob durch die genuin nordatlantische Erfahrung dieser Denker bestimmte Formen der Marktwirtschaft apriori ausgeschlossen werden. Die Analogie zur Diskussion um den Begriff der „vielfältigen Moderne(n)“ (S. Eisenstadt) liegt natürlich auf der Hand.

2. Diese Art, Pluralität von sozio-ökonomischen Reproduktionssystemen zu denken, wird allerdings erst wirklich möglich, wenn sich die historische Sozialgeschichte aus dem Rahmen der cold war science heraus begibt. Solange, wie bei Kockas Vortrag, die Angst vor der Systemalternative – 20 Jahre, nachdem der realexistierende Sozialismus in den meisten Ländern der Erde zu Ende ging – noch immer weit in die Episteme der historischen Sozialwissenschaft hineinreicht, fällt es schwer vielfältige Kapitalismen zu denken. Kapitalismus wird dann nur als Differenzbegriff zu Sozialismus gedacht und definiert – dies gilt natürlich umgekehrt genauso für diejenigen die Sozialismus denken wollen. Sollte es wirklich so etwas wie Lernen aus der Krise geben, wird dieser Vorgang durch die binären, aus dem Kalten Krieg stammenden Denkweisen abgewürgt.

3. Eine Lösung der Frage, wie eine adäquate, globalgeschichtliche Analyse von sozioökonomischen Krisen geschehen könne, kann ich hier nicht bieten, nur einen ersten Schritt aufzeigen: taking stock – Bestandsaufnahme. Welche Formen und Gestalten von marktwirtschaftlichen Systemen gibt es jenseits der nordatlantischen Welt? Wie werden diese von den Forschern in den jeweiligen Regionen untersucht, definiert, der Kritik unterzogen? Wie sind diese ganz unterschiedlichen Formen untereinander verflochten – oder nicht? Letzteres nur angesichts der Beobachtung, dass keineswegs alle Marktwirtschaften der Welt von der Finanz- und Wirtschaftskrise gleichermaßen betroffen waren, also die Verflechtungen zu den amerikanischen und europäischen Finanzplätzen und ihrem hochriskanten Handelspraxen weniger stark waren? Dies gilt keineswegs nur für Rohstoffökonomien wie Saudi Arabien, sondern auch für Länder wie Argentinien (nach dem Staatsbankrott), Brasilien, Indien oder Südafrika. Aus welchen historischen Kontexten sind diese Unterschiede erwachsen? Welche politisch-ökonomischen, welche geschichtswissenschaftlichen Erklärungsmuster werden von den Forschern jenseits des anglo-deutschen Mainstream angeboten? Als wirtschafts- und regionalhistorischer Laie fällt es mir natürlich schwer die jeweilige Spezialforschung zu überblicken und einem Urteil zu unterziehen. Aus meiner umweltgeschichtlichen Warte heraus allerdings lässt sich sagen, dass beispielsweise die indische geschichtswissenschaftliche Forschung zur Ressourcenausbeutung und ihren sozialen und ökologischen Folgen weltweit impulsgebend wirkt. Auch die politische Ökologie von Juan Martinez Alier (z.B. El Ecologismo de los pobres: conflictos ambientales y lenguajes de valoración, Neuauflage Barcelona 2011, zuerst: engl. 2002 ), der selbst mit historischen Perspektiven arbeitet und von spanischen und lateinamerikanischen Historiker adaptiert wird, ist weiteres Beispiel.

Es hat verschiedene Ursachen, dass diese Regionen und ihre Fragen sowie Kritiken so wenig in den Blick der sozialhistorischen Forschung kommen – die binäre Struktur des Kalten Kriegs, die noch immer wirkt, ist eine. Eine generelle Fixierung der deutschen Öffentlichkeit auf die eigene – deutsche, nordatlantische – Welt ist eine andere Ursache. Beides ist zu überwinden. Wahrscheinlich gibt es jenseits der Grenzen viel zu entdecken.


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Quelle: http://kritischegeschichte.wordpress.com/2011/11/04/kritik-einer-kapitalismuskritik/

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Der lange Schatten des Imperialismus

Ein Dokumentarfilm der amerikanischen Regisseurin Pippa Scott zeigt die Funktionsweise der Ausbeutung von Natur und Bevölkerung im Kongo seit der Kolonialherrschaft des belgischen Königs Leopolds II. Auf youtube ist der Film in 11 Teilen abzurufen:

„Schatten über dem Kongo. Schreckensgeister der Kolonialherrschaft“, USA 2008, R: Pippa Scott, Buch: Pippa Scott, Adam Hochschild

Ruandische Minenarbeiten in Katanga, Belgisch-Kongo, 1925; Wikimedia Commons

Das Drehbuch basiert auf einen Buch des Journalisten Adam Hochschild (Schatten über dem Kongo. Die Geschichte eines der großen, fast vergessenen Menschheitsverbrechen, Stuttgart 2000). Mit reichlich zeitgenössischem Bild- und Filmmaterial verbindet der Film die Geschichte kolonialer Ausbeutung und öffentlicher Wahrnehmung in Europa. Er endet nicht mit der Übergabe der Kolonie an den belgischen Staat, sondern zieht die Verbindung zur Dekolonisation, der Ermordung des demokratischen Präsidenten Patrice Lumumba, zum bis heute andauernden Bürgerkrieg und der gegenwärtigen Ausbeutung von Metallen und ‚seltenen Erden‘ durch War Lords und westliche Bergbaukonzerne. Beeindruckend, erschreckend und ausführlich recherchiert analysiert der Film die Zusammenhänge von Kolonialismus, Globalisierung und die verflochtenen Lebenswelten im Kongo und in den alten wie neuen Metropolen in Amerika, Europa und Asien.


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Quelle: http://kritischegeschichte.wordpress.com/2011/10/17/der-lange-schatten-des-imperialismus/

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