Geschichtsdidaktik im Schatten des Elfenbeinturms

 

LehrerInnen und auch Studierende sind ob mancher theoretischer Diskussionen in der Geschichtsdidaktik nicht selten verwundert bis verärgert. Die Frage nach der Relevanz einer oftmals abgehoben erscheinenden Wissenschaft ist tatsächlich nicht immer unberechtigt. Selbstverständlich besitzt zwar der Diskurs über Theorien, die Grundlagenforschung, ihre Berechtigung und ihre Notwendigkeit. Allerdings hapert es eben an der praktischen Umsetzung. Es stünde daher der Geschichtsdidaktik gut an, den “Elfenbeinturm”, in dem sie sich gerne selbst feiert, gelegentlich zu verlassen. 

 

“Mit Worten läßt sich trefflich streiten”

Michael Sauer hat an dieser Stelle erst kürzlich das “E=mc2″ der Geschichtsdidaktik, wie Martin Lücke die Formel “Sinnbildung über Zeiterfahrung” bezeichnet hat, kritisch hinterfragt. Die Reaktionen darauf blieben freilich nicht aus, ein Rekord an Kommentaren war zu verzeichnen. Im Namen des wissenschaftlichen Fortschritts ist dies freilich zu begrüßen, dennoch ist die große Anzahl an Stellungnahmen auch symptomatisch für eine Didaktik, die den Weg in die Praxis offenbar nur schwer bzw. oftmals gar nicht findet. Wie kann es ansonsten sein, dass ein Beitrag über Methodik, wie er von Christoph Kühberger geliefert wurde, kaum zu Stellungnahmen angeregt hat. Immerhin weist aber auch Monika Fenn mit ihrem Beitrag zum conceptual change den Weg in eine pragmatische Geschichtsdidaktik. Wie ein solcher Weg nun beschritten werden soll, ist aber noch ausführlich zu diskutieren.

Sichern, abseilen, Wege finden …

Der Redaktionssitz von Public History Weekly befindet sich in der Schweiz, und so ist die Metapher des alpinen Abstiegs durchaus passend: GeschichtsdidaktikerInnen müssen sich sichern (theoretisch fundieren), müssen sich abseilen und Wege in die Niederungen finden (die Theorie durch die Entwicklung einer Methodik, durch das Ausprobieren adäquater Methoden sowie schließlich durch den Lackmustest in der Praxis verifizieren oder letztlich auch modifizieren). Alle theoretischen Diskussionen der letzten Jahre zielen darauf ab, das traditionelle Instruktionsparadigma durch die Ermöglichung von “kooperativen Deutungsprozessen” (Jürgen Habermas), durch das interpretative Paradigma, das wechselseitige Verständigung vorsieht, abzulösen. Dabei ist darauf zu achten, historisches Lernen vor allem in die Lebenswelten der Lernenden einzubetten und es als bedeutungsvoll für die eigene Lebenswelt erkennbar zu machen (konzeptuelles Lernen, Prozessorientierung, Adressaten- und Lebensweltorientierung) sowie den aktiv-handelnden Umgang mit Lerngegenständen zu ermöglichen (Handlungsorientierung).

Geschichtsdidaktische Lernverfahren

Zugegeben: Diese Überlegungen klingen genauso kompliziert wie die Diskussionen über Geschichtsbewusstsein, Sinnbildung über Zeiterfahrung oder über die diversen Kompetenzmodelle, die in den letzten Jahren einen Aufschwung erlebt haben. Aber sie gehören eben auch zur theoretischen Diskussion und sind daher durchaus notwendig. Für die Praxis lassen sie sich verständlich machen, wenn wir sie zum Beispiel in die geschichtsdidaktische Trias der darbietenden, erarbeitenden und forschend-entdeckenden Lernverfahren einbetten: Die Geschichtsdidaktik muss Methoden verwenden und Lernarrangements entwickeln, die einerseits die Vermittlung von Informationen ermöglichen und andererseits die Individuen miteinbinden, indem deren unterschiedliche Voraussetzungen berücksichtigt, Multiperspektivität gefördert und deren Kompetenzen geschult werden. Alle drei Lernverfahren sind ineinander verschränkt zu betrachten: Sowohl fertige “Unterrichtsprodukte” als auch die Handlung als didaktischer Eigenwert müssen gleichberechtigt nebeneinander, zugleich aber je nach Lehr- und Lernzielen auch in eine Hierarchie gestellt werden. Als zentral gilt dabei folgende Maxime: Alle entwickelten Methoden und Lernarrangements sind nicht nur in einen theoretischen Kontext einzubinden, sondern zugleich – durch die Entwicklung von Unterrichtsbeispielen und im Idealfall durch ihre Erprobung und Evaluierung – in die Praxis zu transferieren.

Die Praxis als Zentrum der Geschichtsdidaktik?

Wenn hier die Praxis als Zentrum der Geschichtsdidaktik bezeichnet wird, so ist freilich keineswegs ihre Reduzierung auf eine schlichte Anwendungslehre gemeint, die vor allem durch Praxis, d.h. durch und im Unterricht entwickelt wird. Vielmehr wird darunter die praktische Erprobung theoretisch-methodischer Überlegungen verstanden, die auch empirisch begleitet werden sollte. Schließlich muss erneut der Aufstieg in die Höhen der Theorie gewagt werden, der Weg in den Elfenbeinturm, der dann aber umso mühsamer ausfällt, zumal die “Mühen der Ebene”, die Erkenntnisse, die in der “harten” schulischen Realität erworben wurden, in die Theorie einzuarbeiten sind. Dabei besteht zwar die Gefahr, dass manche theoretischen Konstrukte relativiert werden müssen. Aber wie heißt es in dem Song “Scheitern ist schön” von ‘Fiasco Électrique’? “Auch der Bauchfleck will gelernt sein / Wenn das Misslingen dich zerbricht / Denn schöner scheitert zumeist jener / Der es bedingungslos verficht”. Aus dem schönen und bedingungslosen Scheitern kann ja letztlich auch Produktives entstehen. Vielleicht muss die Geschichtsdidaktik dann auch nicht mehr ständig, wie Michele Barricelli in einem früheren Beitrag in Public History Weekly beklagt hat, in Verteidigungshaltung gegenüber den LehrerInnen und Studierenden gehen.

 

 

Literatur

  • Günther-Arndt, Hilke (Hrsg.): Geschichtsmethodik. Handbuch für die Sekundarstufe I und II, 4. Auflage, Berlin 2012.
  •  Völkel, Bärbel: Handlungsorientierung im Geschichtsunterricht, 2. Auflage, Schwalbach/Ts. 2008 (Methoden historischen Lernens).
  •  Wenzel, Birgit: Kreative und innovative Methoden. Geschichtsunterricht einmal anders, 2. Auflage, Schwalbach/Ts. 2011 (Methoden historischen Lernens).

Externe Links

 


Abbildungsnachweis

© Zenodot Verlagsgesellschaft mbH / Wikimedia Commons. Lizenzfreie Darstellung des Gemäldes ‘Meditierender Philosoph’, vermutlich Rembrandt (1632). Ausgestellt im Musée de Louvre, Richelieu, 2. Stock, Saal 31.

Empfohlene Zitierweise
Hellmuth, Thomas: Geschichtsdidaktik im Schatten des Elfenbeinturms. In: Public History Weekly 2 (2014) 16, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2014-1931.

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