„Das hat doch nichts mit dem Islam zu tun“
„Das hat nichts mit dem Islam zu tun“ zitierte der Focus vor kurzem auf seinem Titelbild. Das Zitat sollte dabei wohl eher eine allgemeine Grundhaltung ausdrücken, der gleichzeitig mit einem fetten roten „Doch!“ widersprochen wurde. Was soll denn nun eigentlich nichts mit dem Islam zu tun haben, oder eben doch? Das beantwortete der Focus anschaulich mit der Abbildung eines Maschinengewehrs: Die Gewalt natürlich, der Krieg und der Terror.
Es ist eine Debatte im Gange, die deutlich größer ist als der provokative Titel des Focus. Norbert Lammert sagt dazu: „Die gutgemeinte Erklärung, man dürfe den Islam nicht mit dem Islamismus verwechseln, der religiös begründete Terrorismus habe mit dem Islam nichts zu tun, reicht nicht aus – und sie ist auch nicht wahr“. Aber er sagt auch: „… ebenso wenig wie die beschwichtigende Behauptung, die Kreuzzüge hätten nichts mit dem Christentum zu tun und die Inquisition auch nicht und die Hexenverbrennung natürlich auch nicht.“
Das Anliegen, Gewalt und Islam trennen zu wollen, ist erst einmal nachvollziehbar: Wenn Gewalt und Terror mit dem Islam zu tun hätten, wären dann nicht auch die Muslime verdächtig, die sich nicht gewalttätig verhalten? Die Aussage, der Terror habe nichts mit dem Islam zu tun, entspringt damit der gleichen Idee, die Islam und Islamismus unterscheidet: Gegen den Islam an sich hat man nichts, nur der Islamismus als politisierter, gewalttätiger Auswuchs des Islam ist ein Problem.
Die Idee ist nachvollziehbar, aber kann ich als Religionswissenschaftler sie unterschreiben? Wenn ich das nicht kann, ihr sogar widerspreche, befeuere ich damit nicht die Positionen derer, die den Islam für inkompatibel mit der westlichen Demokratie halten? Würde ich das wiederum wollen?
Das Problem liegt dabei in dem – häufig unausgesprochenen – „an sich“. Was ist denn der Islam an sich, der mit Gewalt nichts zu tun hat? Oder der Islam an sich, der mit Demokratie unvereinbar ist? Hinter beiden Gedanken steckt die Idee eines unveränderlichen Wesenskerns der unterschiedlichen Religionen. Leider ist diese Idee auch in der Religionswissenschaft nicht unbekannt, wenn man etwa Max Webers Ausführungen zu den Weltreligionen liest, nach denen der Buddhismus die Religion „weltablehnende[r] Bettelmönche“, der Islam aber die Religion „welterobernder Krieger“ war.1
Wenn der Islam also in seinem Wesen kriegerisch wäre, dann könnte er nur oberflächlich gegen seine Natur befriedet werden. Wenn er aber seinem Wesen nach friedlich wäre – und auch dafür gibt es ja Stimmen –, dann wäre die Gewalt der Islamisten gegen seine Natur, und damit ein Missbrauch der Religion für politische Zwecke.
Nun ist das mit der Natur einer Religion an sich so eine Sache: Clifford Geertz zum Beispiel hat den Islam in Indonesien und Marokko studiert, und ist zu der Erkenntnis gelangt, dass die Religion zugleich die größte Gemeinsamkeit der beiden Länder ist und ihr größter Unterschied – so verschieden ist der Islam, den er vorgefunden hat.2 Für Geertz ist Religion ein soziales, kulturelles und psychologischen Phänomen.3Den Islam an sich gibt es nicht, es gibt nur das, was Menschen daraus machen. Der Islam ist sowohl gewalttätig als auch friedlich, ebenso wie das Christentum. Das Christentum ist sowohl Jorge Mario Bergoglio als auch Franz-Peter Tebartz-van Elst. Der Hinduismus ist sowohl Lal Krishna Advani als auch Mohandas Karamchand Gandhi.
Aus diesem Grund kann ich als Religionswissenschaftler auch nicht sagen, dass Gewalt nichts mit dem Islam zu tun hat. Mit dem Islam von Saïd und Chérif Kouachi hat sie schon etwas zu tun. Aber ebenso kann Ahmad Mansour feststellen: „Mein Islam ist ein anderer als der Islam der Hassprediger …“4
Als Religionswissenschaftler bringt mich das gelegentlich in eine schwierige Lage. Wenn jemand sagt: „Ich weiß, das hat mit dem Islam nichts zu tun“, dann müsste ich widersprechen. Im besten Falle könnte man zu einer Debatte kommen, welche historischen und sozialen Gründe dazu geführt haben, das in bestimmten Regionen und bestimmten Milieus ein Islam entstanden ist, zu dem Gewalt und Krieg eben doch gehören. Denn es ist ja richtig, dass darüber diskutiert werden muss. Und auch darüber, ob es Traditionen im Islam gibt, die militante Strömungen vielleicht nicht aktiv fördern, aber doch dulden. Im besten Falle würde man darüber ins Gespräch kommen. Aber im schlimmsten Fall bleibt nur der viel einfachere Gedanke zurück, dass die Gewalt eben doch etwas mit dem Islam zu tun hat. Und deshalb schweige ich manchmal.
fe
- Weber, Max: „Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Vergleichende religionssoziologische Versuche. Einleitung“, Max Weber Gesamtausgabe, Bd. 19, Tübingen: Mohr Siebeck 1989, S. 83–127, hier S. 86f.
- Geertz, Clifford: Islam Observed: Religious Development in Morocco and Indonesia, University of Chicago Press 1971, S. 4.
- Ebd., S. viii.
- Mansour, Ahmad: „Jetzt mal unter uns“, Der Spiegel 4 (2015), S. 132–135, hier S. 135.